Astronomische Entfernungsmessungen und ihr Einfluss auf unsere

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Über Größen und Entfernungen
Astronomische Entfernungsmessungen und ihr Einfluss auf unsere Weltsicht
Dr. B. Pfeiffer
Astronomische Arbeitsgemeinschaft Mainz,
Astronomische Gesellschaft
• Antike Entfernungsbestimmungen
• Umwälzungen um 1600
- Parallaxe von Kometen 1577 bis 1620
- 3. Keplersches Gesetz
• Messung der Astronomischen Einheit
• Parallaxen von Fixsternen um 1838
• Lage der Sonne in der Milchstrasse
- Periode-Leuchtkraft-Beziehung, Kugelsternhaufen
• Galaxienflucht
• Kosmologische Entfernungen
- Vergangenheit und Zukunft
Volkshochschule Mainz: Besondere astronomische Themen
VHS-Sternwarte im Turm der Anne-Frank-Schule 03.06.2008 19:30
1
Einleitung
Wenn wir zum Himmel aufschauen,
ob mit dem Auge oder dem größten
Teleskop, meinen wir, dass alle
Objekte in gleicher Entfernung
stehen.
Weltbild der Bronzezeit
Das führte zur Anschauung, dass wir in einem kleinen Universum leben,
als Krone der Schöpfung selbstverständlich im Mittelpunkt.
Es dauerte Jahrtausende bis Astronomen die dritte Dimension, die Entfernung,
bestimmen konnten.
Heute will ich versuchen, Ihnen einen Eindruck von
dem langen und mühseligen Weg zu geben, der von
den obigen Anschauungen letztendlich zur rechts
dargestellten großräumigen Verteilung der Galaxien
führte.
Und der Weg ist nicht zu Ende!
Die Geschichte der Astronomie ist die Geschichte der sich
Edwin Hubble
weitenden Horizonte.
Der kolorierte Holzschnitt links oben ist keine mittelalterliche Darstellung des Weltbildes!
Er stammt von Camille Flammarion um 1880. Er zeigt, wie man sich in der Moderne das Mittelalter vorstellte!
2
Wie bestimmen Astronomen Entfernungen?
Es gibt nicht die Methode!
Je nach Entfernung kommen unterschiedliche Methoden zur Anwendung.
Dabei bauen die verschiedenen Verfahren
wie die Sprossen einer Leiter aufeinander
auf.
Das hat allerdings den Nachteil, dass ein
Fehler in einer Sprosse sich auf alle
weiteren auswirkt.
Heute Abend möchte ich ihnen zeigen,
wie sich im Verlauf der Jahrtausende
das Universum vergrößerte, genauer gesagt
unsere Vorstellung von der Größe.
3
Mythische Vorzeit der Astronomie
Menschen haben schon immer den Himmel beobachtet und
auch früh entdeckt, dass die periodischen Vorgänge als
Grundlage für Zeitmessungen genutzt werden können.
Mondkalender ???
Homo Erectus
370000 v.Chr.
Thüringen
Dafür ist es allerdings unerheblich, wie groß die Himmelskörper sind und welchen Abstand sie von uns
haben.
Dank langer Beobachtungsreihen konnten die
„Chaldäer“ Perioden mit lange unübertroffener
Genauigkeit ermitteln und damit die Positionen der
Planeten berechnen.
Im Weltbild blieben sie noch im Mythos gefangen.
Orion in der Steinzeit?
Schwäbische Alb
Goseck, ca. 4900 v. Chr.
Erst die ionischen Naturphilosophen begannen um 600
v.Chr. nach rationalen Ursachen zu fragen. Und legten so
die Grundlagen unserer abendländischen Kultur!
Angeregt durch den Meteoritenfall von Aegos Potamoi 467
v.Chr., lehrte der Naturphilosoph Anaxagoras (500-428
v.Chr.) in Athen, dass die Sonne ein rotglühender Steinball
von der Größe des Peloponnes sei (damit etwa 20000 km
entfernt von der Erde).
Dies führte zu einer Anklage wegen Gottlosigkeit!
Nebra, ca. 1600 v. Chr.
4
36 Dekan-Gestirne zur Zeitmessung
Das Weltbild der Griechen
Die babylonischen Priesterastronomen (Nabu-Rimannu und Kidinnu) bestimmten die Planetenpositionen durch algebraische Reihen unabhängig von einem Modell der räumlichen Anordnung.
Die griechischen Astronomen verwandten geometrische Modelle unterschiedlicher Komplexität
als Grundlage sowohl des physikalischen Weltbildes nach Aristoteles als auch der mathematischen
Modelle zur Berechnung der Positionen.
Das führte dann unweigerlich zur Frage der Abstände und Größen!5
Aristarchos Bestimmung der Entfernung zu Mond und Sonne
Die ältesten (überlieferten) Entfernungsmessungen wurden von Aristarchos von Samos
(ca. 310 – 230 v.Chr.) beschrieben:
Aristarchos erhielt aus der Dauer
von Mondfinsternissen als Entfernung zum Mond 60 Erdradien
(ca. 380000 km).
Die Idee zur Messung der Entfernung der Sonne ist
genial einfach, doch messtechnisch kaum zu realisieren.
Ergebnisse:
• 20 mal Entfernung Mond (Faktor 20 zu klein)
• Durchmesser Sonne 20 mal Mond, 7 mal Erde
α bei Aristarchos ca. 87°
statt 89° 50'.
Selbst damit Sonne ca. 250 mal Volumen der Erde:
• Sonne größter Körper
• Seit Anaxagoras bekannt, dass nur Sonne selbst leuchtet
(Überliefert durch Archimedes im Sandrechner)
α
Anstoß zu Aristarchos heliozentrischem System?
Posidonius von Apamea schätzte um 90 v.Chr. den Abstand Sonne-Erde zu ca. 63 Mill. km.
Der viel zu kleine Wert für den Abstand zur Sonne wurde erst ca. 2000 Jahre später verbessert!
6
Hipparchos Bestimmung der Mondentfernung durch Parallaxenmessung
Sonnenfinsternis
14.3.190 v.Chr.
Bei einer totalen Sonnenfinsternis am Hellespont
beobachtete man, dass in Alexandria 20% der Sonne
sichtbar blieb, bei einem Durchmesser von ca. 30‘
entspricht dies etwa 6‘.
Hipparchos bestimmte daraus die Entfernung zu
62 bis 73 Erdradien.
Byzantion
(ca. 394000 bis 464000 km)
Bitte merken für später:
Bei etwa 1000 km Basislänge zeigen Objekte in
Mondentfernung eine Parallaxe von
etwa 6 Bogenminuten.
11.8.1999
Alexandria
Alternativ: 20.11.129 v.Chr.
7
Hipparchos, Über Größen und Entfernungen, überliefert in Pappos, Kommentar zum Almagest
Die Entfernungen wurden relativ bestimmt
• Mondentfernung in Einheiten von Erddurchmessern
• Sonnenentfernung relativ zur Mondentfernung
Messung des Erdumfangs in absoluten Einheiten erforderlich!
Erathostenes wusste damit aber, dass die Sonne weit entfernt ist und somit die
Sonnenstrahlen quasi parallel auf die (kugelförmige) Erde treffen.
Anmerkung:
Historiker sind sich nicht einig,
wie ein “Stadium” in Meter
umzurechnen ist. Es kann auch
zeitliche und örtliche Änderungen
gegeben haben. Wenn man ein
Stadium zu 159 m rechnet, ergibt
sich ein Erdumfang von 39750 km.
Posidonius verwandte ein analoges Verfahren mit dem Stern Canopus von Rhodos und Alexandria aus beobachtet.
Sein Winkel war falsch und die Entfernung Rhodos-Alexandria schlecht bekannt. Er erhielt einen zu kleinen Wert.
Eine chinesische Bestimmung des Erdumfangs von 725 AD habe ich am 16.5.2006 vorgestellt.
http://www.staff.uni-mainz.de/bpfeiffe/vhs06-zeit.pdf
8
Räumliche Anordnung und Entfernungen der Planeten
Die Abfolge der Planeten wurde nach den Umlaufperioden festgelegt. In der „ Planetenhypothese“ (Hypotheseis ton planomenon)
macht Ptolemäus die Annahme, dass die Epizykeln die Dicke der
Sphären bestimmen und die Sphären direkt aneinander liegen
(Horror Vacui).
Tabelle aus Sacrobosco-Druck von 1516
Im Vergleich mit modernen Werten zwar eine kleine Welt,
doch wesentlich größer als wir uns heute die mittelalterliche Welt vorstellen!
Position von Merkur und Venus sind vertauscht. Antike Astronomen plazierten teilweise Merkur und Venus
jenseits der Sonne, da sie nie einen Transit dieser Planeten vor der Sonnenscheibe beobachtet hatten.
9
H.G. Thurm, Ingelheimer Wochenblatt, 20. Jahrgang, Nr. 45, 7.11.2002
Im Artikel wird noch erwähnt:
„Es handelte sich um einen der
berühmtesten Kometen der Neuzeit,
der Anlass zu einer der wichtigsten
astronomischen Erkenntnisse gewesen ist“.
Doch welche Erkenntnis?
Nach langer Suche in astronomieund astrologiegeschichtlichen Artikeln
entstand mit die Idee zu diesem
Vortrag.
B. Pfeiffer, “Ein Pfauenschwantz am Himme?”, Mitteilungen 42:1 (2003) 9
© SkyMap
10 Pro 9.
Die Umwälzungen im 15. - 17. Jahrhundert
Bis zum Ende des Mittelalters gab es kaum Fortschritt!
Europa begnügte sich damit, neben römischer Sekundärliteratur (z.B.
„Phainomena“ des Aratos kommentiert von Germanicus) einige Lehrbücher
aus der Zeit um 1200, die in Spanien auf der Basis von Übersetzungen aus
dem Arabischen entstanden waren, abzuschreiben und höchstens neu zu
kommentieren. Statt eigener Beobachtungen verwandte man Tabellen, die alle
auf dem Almagest beruhten, wie die Alfonsinischen Tafeln von ca. 1265.
Das bedrängte Byzanz nahm zu Beginn des 15. Jahrhunderts Kontakt zur
„lateinischen“ Christenheit auf. Kaiser Johannes VIII Palaiologos nahm
1439 mit großem Gefolge am Konzil von Ferrara/Florenz teil. Darunter
waren viele Gelehrte (mit Reiselektüre) wie Bessarion, der später Peurbach/
Regiomontanus mit einem Kommentar zum Almagest beauftragte: „Epitome
in Ptolemai Almagestum“.
Aratea, ca. 840 (Leidener MS)
System des Herakleides von Pontus
Danach konnte man zurück zu den Quellen, den griechischen Urtexten,
statt nur aus (vorzüglichen) arabischen Übersetzungen hergeleitete lateinische
Lehrbücher, wie das weitverbreitete „Libellum de sphaera“ von Sacrobosco oder
„Theoricae Planetarum“ von Gerard von Cremona zu benutzen.
Kopernikus dagegen hat keine Bedeutung für Entfernungen. Innerhalb des Planetensystems
übernahm er die Angaben aus der „Planetenhypothese“:
Sonne 1142 Erdradien entfernt.
Zur Erklärung der fehlenden Parallaxe musste er einen sehr großen Abstand zur Fixsternsphäre postulieren, mindestens 7,5 Mill. Erdradien.
Nur wenige Zeitgenossen konnten das akzeptieren.
11
Epitome, Venedig 1496
Ein essentieller Mainzer Beitrag – die Buchdruckkunst
Die wieder zugänglichen antiken Werke hätten ihre Wirkung
nicht entfalten können, wenn sie weiterhin mühsam abgeschrieben
worden wären.
Sternbild „Officina Typographica“
Gutenbergs Erfindung des Druckes mit beweglichen Lettern
ermöglichte es, zu günstigen Preisen hohe Auflagen qualitativ
hochwertiger Kopien zu erstellen.
[Das erschwerte auch die Unterdrückung unliebsamer Ideen!]
Kalender und Tabellen astronomisch/astrologischen Inhalts
zählen zu den frühesten Erzeugnissen aus Mainzer Druckereien.
Aderlasskalender für 1457
Johannes Regiomontanus war der erste Astronom, der 1470 eine
Druckerwerkstatt in Nürnberg einrichtete. Als erstes Werk druckte er
das Lehrbuch „Theoricae novae Planetarum“ seines Lehrers Peurbach.
Auf dem Weg nach Rom (wo er 1476 verstarb) gab er in Venedig noch
die „Ephemeriden“ heraus, die auch Kolumbus auf seinen Reisen
mitführte.
Seit etwa 1500 wurden alle bedeutenden astronomischen Werke
(seien es antike oder die schnell wachsende Zahl neuer Bücher)
in kurzer Zeit an vielen Orten aufgelegt.
Web-Page zum Sternbild „Officina Typographica“:
http://dkcmzc.chemie.uni-mainz.de/~pfeiffer/officina.htm
12
„Ephemerides astromomicae“
Johannes Regiomontanus
Aus aktuellem Anlass
Wurde die Renaissance durch einen Technologietransfer aus China gestartet?
Morgen erscheint in den USA ein neues Buch des
Autors von 1421. Nach Verlagsangaben wird von
einer chinesischen Gesandtschaft nach Venedig und
zu Papst Eugen IV. in Florenz berichtet. Ein Wissensund Technologietransfer von der damals führenden
Weltmacht ins erwachende Europa soll die Renaissance angestoßen haben.
Eine Quelle sind Arbeiten von Tai Peng Wang:
http://www.1421.tv/pages/evidence/content.asp?EvidenceID=463
In einem Brief Toscanellis an Kolumbus erwähnt er eine
Unterredung mit einem chinesischen
Gesandten in Florenz.
Die Polos waren sicher nicht die einzigen
Botschafter, anscheinend gab es einen
stetigen Austausch zwischen China und
den islamischen und auch chritlichen
Ländern. Ideen und Technologien
wanderten “im Gepäck” mit.
13
http://www.usatoday.com/life/books/excerpts/2008-05-06-1434-The-Year-a-Magnificent-Chinese_N.htm
Kometen und die Autorität des Aristoteles
Nach Aristoteles waren Kometen (Haarsterne) und Meteore (gleicher Wortstamm
wie Meteorologie) atmosphärische Erscheinungen, also sublunar.
Dann müsste allerdings eine Parallaxe zu messen sein, sei es die tägliche
Parallaxe an einem Ort oder gleichzeitige Positionsbestimmungen an weit
auseinander liegenden Orten (wie bei der Sonnenfinsternis des Hipparchos).
Schon Regiomontanus sammelte zu diesem Zweck Beobachtungen am Großen
Kometen von 1472 (C/1471 Y1).
Die posthume Auswertung ergab 8000 Meilen Entfernung , in Übereinstimmung mit Aristoteles.
Kometen als böses Omen
In Europa gab es allerdings keine Tradition astronomischer Beobachtungen.
Die Instrumente waren oft nur grobe Holzstöcke (Jakobsstab), die keine
Präzisionsmessungen erlaubten (Genauigkeit 30‘, bestenfalls 15‘).
In der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts begeisterten sich
neben Gelehrten auch Fürsten für die Himmelsbeobachtung, die mit den nötigen Mitteln versehen die Entwicklung neuer Instrumente vorantrieben, wie Landgraf
Wilhelm IV von Hessen-Kassel.
Su Songs Klepsydra
ca. 1088 A.D.
In China und der islamischen Welt dagegen wurde die
Astrologie schon immer vom Staat gefördert. Erwähnenswert sind die großen Observatorien, die Ilkhan Hülägü
1259 in Maragha, Kubilai Khan 1278 in Dengfeng und
Khan Ulugh Beg 1428 in Samarkand errichteten.
Älteste Aufzeichnung einer
Kometenbahn
Toscanelli 1449/50
14
P. Apian 1532
Die Großen Kometen 1577 bis 1618
Bei der SN1572 fand Tycho Brahe keine Bewegung relativ zu den Sternen
(De Nova et Nullius Aevi Memoria Prius Visa Stella, 1573).
Also konnte es keine atmosphärische Erscheinung sein, sondern musste Teil der
als auf ewig unveränderlich erachteten Sternensphäre sein.
Ein eklatanter Gegensatz zur Aristotelischen Physik.
Anmerkung: Tychos SN war vom Typ SN1a und hat eine Entfernung von ca. 9100 Lj.
Bei seinen Reisen durch Deutschland ließ sich Tycho erste große Instrumente für sein
neues Observatorium Uraniborg anfertigen, wie den rechts abgebildeten Sextanten
mit einer Genauigkeit von etwa 1 Bogenminute. Als im November 1577 ein großer
Komet erschien, konnte er recht präzise Messungen durchführen.
Der große Komet von 1577 (C/1577 V1) war sehr lange sichtbar und wurde von
vielen Astronomen beobachtet und es erschienen viele Abhandlungen. Aus der
Nichtbeobachtung sowohl einer täglichen Parallaxe als auch einer Parallaxe aus
simultanen Beobachtungen von weit entfernten Orten schloss Tycho Brahe,
dass der Komet mehr als vierfache Mondentfernung hatte.
Diese ersten Messungen wurden von vielen angezweifelt. Doch verbesserten sich
die Ergebnisse mit jedem weiteren Kometen.
Aus seinen Messungen am Kometen von 1585 schloss Wilhelm IV:
Augsburg, ca. 1570
„Ergo ist das fundamentum Philosophicum nichtig, das die Cometen in summa
Regione Aeris infra circulos Lunae sollten generirt werden.“
15
Ableitung der Erdrotation aus Kometenbeobachtungen?
Ein direkter Einfluss Chinas ist ein neuer Aspekt. Der Einfluss der
islamischen Wissenschaften auf die Renaissance wird zumindest
in Fachkreisen diskutiert.
Ich fand die Behauptung, eine von dem Observatorium al-Tusis in
Maragha, Nordiran, ausgehende astronomische Tradition habe aus
Maragha 1259
Kometenbeobachtungen gefolgert, dass die Erde um ihre Achse
rotiert (tägliche Parallaxe?) und dass Kopernikus die gleichen Argumente anführt. Kopernikus verwandte mathematische Verfahren
der Maragha-Astronomen (Tusi-Paar, Urda-Lemma). Sein heliozentrisches Modell stimmt weitgehend mit dem geozentrischen des
syrischen Astronomen Ibn al-Shatir (1304-1375) überein, inklusive
Ummayaden-Moschee
Schaubilder.
Unklar ist jedoch, auf welchen Wegen der Wissenstransfer erfolgte.
Ein möglicher Weg führt über Samarkand nach Istanbul. Khan Ulugh
Beg erbaute sein Observatorium nach dem Vorbild des durch Erdbeben zerstörten in Maragha. Die astronomische Tradition wurde
auch fortgesetzt und erweitert. Ali al-Qushji führte die Kometenbeobachtungen fort. Nach der Ermordung Ulugh Begs und der Zerstö- Samarkand 1428
rung des Observatoriums durch Sufi-Fundamentalisten konnte er
die Resultate, den Sultani-i-Zij, nach Istanbul bringen.
Die Präzision wurde erst wieder von Tycho Brahe erreicht, er lehnte
die Erdrotation jedoch ab.
16
Hagia Sophia
Das Tychonische System
Quasi als Anhang an die Beobachtungen der Kometen von
1577 und 1585 veröffentlichte Tycho Brahe sein alternatives
Geo-Heliozentrisches System:
De Mundi Aetherei Recentioribus
Phaenomenis (Uraniborg 1588)
Brahe beschreibt die Kometenbahn als „nicht exakt kreisförmig, wie ein Oval“. Die erste Abkehr vom Dogma
der Kreisbahnen.
Riccioli, SJ: Almagestum Novum, Bologna 1651
Es ähnelt der „Ägyptischen Hypothese“, die schon in der Antike vertreten wurde (Herakleides von Pontus).
(Eine weitere Variante, in der sich die Erde um ihre Achse dreht, wurde zeitgleich von Baer vorgeschlagen.)
Diese Modelle wurden von den meisten Gelehrten dem Kopernikanischen System vorgezogen, insbesondere
verbreiteten die Jesuiten dieses System.
Die historische Bedeutung liegt in einer „Brückenfunktion“, sie erleichterte vielen Gelehrten im Verlauf
des 17. Jahrhunderts den endgültigen Übergang zum Heliozentrischen System.
Galilei erwähnt dieses System nie (wie er auch gegen die Ellipsenbahnen war). Das Ptolemaische
System war längst „aus der Mode“ als Galilei es dem Kopernikanischen gegenüberstellte.
17
Was machte die „Sprengkraft“ der Kometenentfernungen aus?
Die Kometen rasen quer durch alle Kristallsphären des Aristoteles!
Apianus, Cosmographia (1524)
Die Kristallsphären hatten eine doppelte Funktion,
• zum einen führten sie die Planeten auf den Kreisbahnen und
• zum andern dienten sie als Mechanismus, der die Bewegungen quasi als Uhrwerk von der 9. Sphäre des
„Ersten Bewegers“ (eine Erscheinungsform Gottes) auf die inneren Sphären überträgt.
Damit hatten z.B. „gelehrte“ Astrologen eine Beziehung zwischen der göttlichen Ordnung und Planetenkonstellationen konstruiert, die die Astrologie mit den Lehren der Kirche vereinbar machen sollte.
Das erste Problem wurde durch Newtons Gravitationsgesetz gelöst, die „gelehrte Astrologie“
ging im Zeitalter der Aufklärung unter und es blieben nur Geheimbündler und Scharlatane übrig.
18
Kometen und der Fall Galilei?
Der Professor für Mathematik am Collegium
Romanum, Orazio Grassi, S.J. (alias Lothario
Sarsi) hatte aus Messungen am Großen Kometen
C/1618 W1, die Jesuiten an vielen Orten vorgenommen hatten, klar die „translunaren“ Bahnen bewiesen.
Aus unklaren Beweggründen heraus veranlasste Galilei
einen seiner Studenten (Mario Giuducci) dagegen zu
polemisieren und die alte Aristotelische Ansicht zu vertreten.
(Kepler sah darin einen Affront gegen seinen Mentor Tycho
Brahe, der die ersten Hinweise geliefert hatte.)
Grassi (höchstwahrscheinlich) revanchierte sich mit einer
Anzeige bei der Inquisition:
• nicht wegen astronomischer Thesen sondern
• Lutherischer Häresie in der Eucharistielehre:
Konzil von Trient: Sessio XIII, Canon II
Im „Saggiatore“ vertrat Galilei eine Theorie der Materie, die
an Demokrits Atomlehre erinnerte und im Gegensatz zum Aristotelischen Substanzbegriff stand, der die
Basis der Transsubstantiationslehre bildete, die im o.a. Kanon gegen Luther bekräftigt wurde.
Vor einigen Jahren fand man diese Anzeige in den Akten der Inquisition. Dieser Vorwurf wurde
bis heute nicht verhandelt. Einige Historiker vermuten, dass die Kirche auch deshalb Galilei
19
noch immer nicht voll rehabillitiert hat.
Das Gegenreformationskonzil von Trient
….mirabilem illam et singularem conversionem totius substantiae panis in corpus et
totius substantiae vini in sanguinem, manentibus dumtaxat speciebus panis et vini.
Conc. Oecum. Trid., Sessio XIII, Canones II, 11 octobris 1551
Die Sessio XIII bestätigte die katholische Eucharistielehre der Transsubstantiation. Die
verschiedenen reformatorischen Auslegungen werden explizit verworfen:
• Canones I - Zwingli
• Canones II - Luther
• Canones III - Calvin
Dies galt als „heilsnotwendig“. Galilei wäre bei dieser Anklage nicht mit Hausarrest
davongekommen.
Dank des „Schauprozesses“ wegen Kopernikanismus konnte Galilei seine Forschungen
fortführen, die die Mechanik entgegen den alten Vorstellungen Aristoteles auf neue
Grundlagen stellten und die Arbeiten Newtons vorbereiteten. Sein Hauptwerk wurde von
Freunden nach Holland geschmuggelt und in Leiden 1638 von Elsevier publiziert.
20
Keplersche Gesetze
In „Mysterium Cosmographicum“ (1596) zeigt
Kepler rechte Abbildung, die die Vorstellungen der
vergangenen 2000 Jahre zeigt. Abstände der
Planeten werden durch Epizykeln festgelegt.
Kepler versuchte im gleichen Werk mit
geringem Erfolg, die Abstände durch
ineinander verschachtelte Platonische
Körper zu erhalten.
Platonische Körper
Er war davon überzeugt, dass es genau 5 (klassische) Planeten gibt,
da es 5 Platonische Körper gibt.
Nach dem Tod Brahes verwandte Kepler dessen präzise
Marsdaten, um seine Gesetze der Planetenbahnen abzuleiten
(heute 1. und 2. Keplersches Gesetz):
„Astronomia Nova“, Anno aerae Dionysianae 1609
21 da
Tycho hatte jahrelange Beobachtungen durchgeführt um die Parallaxe des Mars zu messen,
Mars im Kopernikanischen System der Erde näher kommt als im Ptolemaischen.
3. Keplersches Gesetz
Kepler war im Gefolge von Pythagoras/Plato überzeugt, dass Gott (als Architekt) für
die Planetenbahnen harmonische Proportionen wählte, und betrachtete das Auffinden
dieser mathematischen Regeln als eine Art Gottesdienst.
In „Harmonici Mundi“ (1619) nahm er seine frühen Überlegungen gestützt auf Musiktheorie (Vincenzo Galilei, Ptolemaios) wieder auf und fand nach langem Probieren
einen Zusammenhang zwischen Halbachsen und Perioden der Planeten.
Die neue Gesetzmäßigkeit galt auch für die gerade erst von Galilei entdeckten Monde
des Jupiter.
Die physikalische Ableitung der Keplerschen Gesetze gelang Isaak Newton 1687.
Bible Moralisée
13. Jahrhundert
Betrag Gravitationsfeldstärke = Betrag Zentripetalbeschleunigung
Damit waren die relativen Abstände im Sonnensystem bekannt, denn die
Perioden hatten schon die Chaldäer bestimmt.
Für absolute Entfernungen muss jedoch mindestens ein Abstand hinreichend
genau gemessen werden. (Ptolemäus war um einen Faktor 20 zu klein.)
Um Kepler die umfangreichen Berechnungen für die „Rudolfinischen Tafeln“ zu erleichtern, erfand
Wilhelm Schickard in Tübingen 1623 eine Rechenmaschine, die jedoch kurz vor ihrer Vollendung
22
verbrannte. Die Astronomie hat schon immer die Mathematik vorangetrieben!
Interstellares Intermezzo:
Entfernung zum Sirius im 17. Jahrhundert
Im 17. Jahrhundert waren die meisten Astronomen überzeugt, dass unsere Sonne auch nur ein
Stern ist. Man wusste allerdings nicht, was ein Stern eigentlich ist, insbesondere war unklar,
ob/weshalb Sterne verschieden hell sind. Eine Annahme war, dass alle Sterne gleiche
(intrinsische) Helligkeit haben, der Unterschied also durch die Entfernungen bedingt wird.
• Christiaan Huygens beobachtete die Sonne durch verschiedene Lochblenden und bestimmte
die Entfernung zum Sirius zu 27664 AE (≈ ½ LJ). Veröffentlicht 1698.
• James Gregory verglich die Helligkeit des Sirius mit Jupiter und erhielt eine Entfernung von
83190 AE (≈ 1¼ LJ). Geometriae pars universalis 1668
• Isaac Newton verwandte 1686 den Saturn. Mit weiteren Annahmen über das von Saturn
rückgestrahlte Sonnenlicht (den Albedo) fand er 1 Mill. AE (≈16 LJ).
Posthum publiziert 1730 in System of the World.
Damit ergab sich allerdings, dass eine eventuelle jährliche Parallaxe der Fixsterne sehr klein
sein muss (etwa in der Größenordnung von Winkelsekunden).
Viel zu klein für die damaligen (und erst recht den antiken) Messinstrumenten!
Im 18. Jahrhundert wurden diese Messungen wieder aufgenommen, so von Pierre Boudet und Rev. John Michell
(der 1784 schon Schwarze Löcher vorhersagte).
23
Mit den modernen Kenntnissen der intrinsischen Helligkeiten folgt für
1 LJ entspricht 63000 AE
Huygens Werte ein Abstand von 5 LJ statt 8,6 LJ. Alle Achtung!
Bestimmungen der AE Ende des 17. Jahrhunderts
Die geringe Entfernung des Mars zur Opposition am 9.9.1672 wurde
auf 2 Arten genutzt:
• G.D. Cassini und J. Richer beobachteten den Mars gleichzeitig von Paris und
Cayenne aus, um eine große Basislinie zu erreichen.
Marsopposition 9.9.1672
• J. Flamsteed nutzte den praktischen Stillstand am 6.10., um die tägliche
Parallaxe ohne Eigenbewegung messen zu können.
„Stillstand“ am 6.10.
inmitten heller Sterne
Aus diesen Messungen ergab sich die erste präzise Bestimmung der AE zu 139 Mill. km.
24
Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit
Ole Roemer bemerkte 1676 in Paris, dass das Auftauchen der
Monde aus dem Jupiterschatten von der Entfernung zum
Jupiter abhängt, für 2 AE etwa 20 Minuten Differenz.
1672 hatten Cassini-Richer mit einer Marsparallaxen-Messung
mit der Basis Paris-Cayenne die AE zu 138 Mill. km bestimmt.
Daraus ergab sich die Lichtgeschwindigkeit zu
c ≈ 250000 km/s
Dieses Ergebnis fand jedoch keine allgemeine Anerkennung!
Damit waren Entfernung und Lichtlaufzeit von einem Objekt
miteinander verbunden (Rückschauzeit). Das Objekt musste
dann aber auch ein Alter zumindest der Laufzeit haben.
Für religiös verankerte Wissenschaftler konnte es je nach
Auslegung der Genesis Probleme geben.
James Bradley entdeckte 1728 bei der Suche nach der Parallaxe
die Aberration, den ersten experimentellen Beweis für die
Bewegung der Erde.
Neben einem genaueren Wert für die Lichtgeschwindigkeit fand er
keine Parallaxe für γ Draconis, d.h. die Fixsterne haben
Entfernungen größer als 400000 AE (≈6,3 LJ).
HIPPARCOS: γ Dra Parallaxe 0.022‘ ≡ (148 ± 3) LJ
25
Venustransits und die Astronomische Einheit (AE)
Aus der Antike liegen keine Berichte über Transits von Merkur oder Venus vor.
Manche Astronomen nahmen daher an, dass diese beiden Planeten jenseits der
Sonne liegen. Erste Beobachtungen erfolgten erst nach Erfindung des Teleskops.
J. Kepler sagte mit seinen Rudolfinischen Tafeln zwei Transits voraus:
•P. Gassendi konnte den Merkurtransit am 7.11.1631 beobachten,
der Venustransit am 6.12. war in Paris nicht sichtbar.
•Der Venustransit 8 Jahre später am 4.12.1639 (24.11. Julianisch) wurde von J.
Horrox vorausberechnet und von ihm und seinem Freund W. Crabtree dann
beobachtet. Die Kenntnis der Venusbahn wurde erheblich verbessert. Die AE
wurde von Horrox zu 96 Mill. km abgeschätzt .
Horrocks Gesetz: Alle Planeten außer Mars erscheinen
von der Sonne aus unter 28”. AE dann ca. 15000 Planetenradien oder 96 Mill. km.
Nachdem E. Halley am 7.11.1677 auf St. Helena als erster einen kompletten Merkurtransit beobachten
konnte, schlug er zur Bestimmung der AE Beobachtungen der Venustransits 1761/9 von weit entfernten
Positionen vor (ebenfalls nach Anregung von James Gregory):
A new Method of determining the Parallax of the Sun, or his Distance of the Earth
Phil. Trans. XXIX (1716) 454
Alle bedeutenden europäischen Staaten sandten Expeditionen in die ganze Welt aus.
Die Expeditionen sollten sogar von den Kriegshandlungen im Rahmen des Siebenjährigen Krieges
ausgenommen werden (teilweise nur ein frommer Wunsch).
Am 6. Juni 1761 beobachteten dann fast 200 Astronomen an 120 Orten.
Die Astronomie wurde damit die erste „globale“ Wissenschaft, die nationenübergreifend koordinierte
Messkampagnen durchführte.
26
James Cooks 1. Forschungsreise 1768 - 1771
Bekannt ist die Beobachtung des Venustransits am 3.
Juni 1769 auf Tahiti, die allerdings auch nicht die
erhoffte Genauigkeit erreichte. Bedingt durch den
„Schwarzen Tropfen“ wichen die Zeiten dreier
Beobachter stark voneinander ab.
Allerdings war dies nicht die Hauptaufgabe der Reise. So sollte
endlich die Frage nach der Existenz des von den antiken Geografen als „Gegengewicht“ zu Eurasia hypothetisierten Kontinents „Terra Australis Incognita“ geklärt werden, der auf vielen
Karten verzeichnet war.
Allerdings war zumindest der Nordteil des heutigen Australien den
Chinesen schon seit Jahrhunderten bekannt. Der Venezianer N. da
Conta war um 1420 mit einer chinesischen Flotte dort und hatte die
Serenissima, den Vatikan und Portugals Kronprinzen (?) informiert.
K1: Kendalls
Kopie der H4
Getestet auf
Cooks 2. Reise
Essentiell für lange Seefahrten waren weitere
Untersuchungen:
•Methoden zur Bestimmung der Position,
insbesondere der geographischen Länge.
•Maßnahmen gegen Skorbud (Vitamine):
- Sauerkraut
- Zitronensaft
(Trotzdem kehrte nur die halbe Mannschaft zurück!)
Benjamin Martins Wandkarte zur
Veranschaulichung des Transits in
27
einem Londoner Gasthaus 1769
Moderne AE Bestimmungen
•Die Venusdurchgänge erfüllten letztendlich nicht
die in sie gestellten Erwartungen.
•Die genauesten optischen Messungen wurden 1941
am 1898 entdeckten Amor-Asteroiden (433) Eros
durchgeführt.
(433) Eros von NEAR fotografiert
Die genauesten Messungen lieferten Radar-Reflexe an Planeten: 149.597.836 km.
Die AE wurde auf 149,6 Mill. km festgelegt.
28
Philosophisches Intermezzo
Um 1750 gab es weit verbreitete Spekulationen über ein sehr großes
oder sogar unendliches Universum, wie Thomas Wrights
An Original Theory or New Hypothesis of the Universe.
Er stützt sich auf die Entfernungsmessungen zum Sirius und gibt
(in der Tradition der Zeit) Flugzeiten für Kanonenkugeln, Adler und
Seelen, sieht jedoch interstellare Reisen sehr skeptisch:
„We can hardly conceive, how any Being can pass from Syrius to the Sun,
by natural Laws in their proper State.“
Immanuel Kant las eine Rezension dieses Werkes und
verarbeitete sie 1755 in seiner „Allgemeinen Naturgeschichte“,
in der er von einem unendlichen, ewigen Universum
ausgeht (mit bewohnten Welten).
Wenig Resonanz erhielt W. Herschel, der 1800/2 die Reichweite seiner
Großteleskope abschätzte und vermutete, Nebel in 2 Mill. LJ
Entfernung sehen zu können.
Da damit das biblische Weltalter von 6000 Jahren bei weitem übertroffen wurde, ignorierten klerikal gebundene Astronomen diese
Vorstellung.
Selbst Geologen und Darwin, die eine „uralte“ Erde postulierten,
bezogen sich anscheinend nicht darauf.
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Hypothese der Inselwelten
Immanuel Kant
Allgemeine Naturgeschichte
und
Theorie des Himmels
oder
Versuch von der Verfassung und dem mechanischen
Ursprung des ganzen Weltgebäudes nach
Newtonischen Grundsätzen abgehandelt
Königsberg, 1755 (Anonym)
„…werden nicht mehr Sonnensystemata , und so reden, mehr Milchstrassen entstanden sein, die in dem
grenzenlosen Felde des Weltraums erzeuget worden? Wir haben mit Erstaunen Figuren am Himmel
erblickt, welche nicht anders, als solche auf einen gemeinschaftlichen Plan beschränkte Fixsternensystemata, solche Milchstrassen, wenn ich mich so ausdrücken darf, sind, die in verschiedenen
Stellungen gegen das Auge, mit einem, ihrem unendlichen Abstande gemäß geschwächten Schimmer,
elliptische Gestalten darstellen;….“
Zweiter Theil. Siebentes Hauptstück: „Von der Schöpfung im ganzen Umfange ihrer Unendlichkeit,
sowohl dem Raume, als der Zeit nach“
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Der Begriff „Weltinseln“ wurde 1850 von Alexander von Humboldt geprägt.
Aberration des Sternlichts
• Seit der Antike Suche nach der Parallaxe der Fixsterne.
• 1669 beobachtete R. Hooke an γ Draconis eine kleine Verschiebung.
• Deshalb baute er ein Zenit-Teleskop in ein Londoner Monument ein.
• Zur Überprüfung baute Bradley ein Teleskop in sein Haus ein.
• Er fand 1725 eine jährliche Ellipsenbewegung, die er 1728 als
Aberration des Sternlichts erkannte.
Samuel Molyneux, Lord der Admiralität,
verband sich mit Bradley, um Hookes
Beobachtung zu wiederholen.
Sie bauten ein verbessertes Zenitteleskop in
ein Haus ein, befestigt am Kamin.
Sie wählten einen Stern im Zenit, um dem
Problem der Beugung in der Atmosphäre zu
entgehen.
Monument to the
Great Fire of London
Der Stern γ Draconis steht auf der
Breite von London im Zenit.
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Parallaxe - „Experimentis crucis“ für heliozentrisches System
Die Entdeckung der Aberration bewies, dass die Erde sich um die Sonne bewegt!
Damit mussten die Fixsterne eine jährliche Parallaxe zeigen, einen Effekt, den die
Astronomen seit Aristarchus vergeblich gesucht hatten.
Jedoch waren sehr kleine Winkeldifferenzen zu messen, die die Fortentwicklung der
Techniken weit über den Stand von 1728 erforderten, und das auf allen Gebieten.
• Der kleine Effekt erfordert Winkelabstände zu fernen Sternen, die keine Parallaxe aufweisen.
Beim Aufstellen von Katalogen enger Sternpaare erkannte man bald, dass viele Paare tatsächlich
umeinander kreisende Doppelsterne sind, damit nicht geeignet für Parallaxenmessung.
• Alle Einflüsse auf die Position der Sterne müssen genau bekannt sein:
• Refraktion in der Atmosphäre
• Aberration
• Nutation der Erdachse (Einfluss des Mondes). Auch von Bradley entdeckt.
• Eigenbewegung
• Verbesserung der Messapparaturen
Im Laufe des 19. Jahrhunderts ergaben sich bedeutende Fortschritte sowohl in der
Glasherstellung als auch in der Feinmechanik. Als Beispiel sei Fraunhofer genannt.
Als die Zeit reif war, wurden innerhalb von zwei Jahren unabhängig von drei Astronomen
reproduzierbare Parallaxen von drei Sternen veröffentlicht!
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Die Katholische Kirche nahm „De revolutionibus…“ zu dieser Zeit vom Index.
Positionsänderungen von Sternen
Die Änderung des scheinbaren Ortes durch Präzession, Nutation, Aberration und Eigenbewegung
muss erst herausgerechnet werden. Im Bild soll die gesuchte Parallaxe kleiner als einer der Punkte
sein. Die Parallaxe ist 0,316” (10,32 Lj), die Eigenbewegung 1,617”/Jahr. ????
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http://home.arcor.de/erwinschwab/pdf/FixsternparallaxeRoss248imVdS-Journal.pdf
Trigonometrische Parallaxe von Fixsternen
Mit von Fraunhofer gebauten Heliometern konnten F.G.W. Struve in
Dorpat und F.W. Bessel 1838 die Parallaxen von Vega und 61Cyg
messen. Gleichzeitig fand Thomas Henderson in Kapstadt mit α Cen
den der Sonne nächsten Stern.
Entscheidend war die Auswahl der Sterne, nicht die hellsten
sondern diejenigen mit der größten Eigenbewegung.
Moderne Werte: Vega
0,129 Bogensekunden
61 Cyg 0,287
α Cen 0,742
Unsere unmittelbare Nachbarschaft
Königsberger Heliometer
Fraunhofer 1826
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Astrometrie
250 LJ um die Sonne
Die Astrophysik hatte nach 1860 die
klassische „Positionsastronomie“ –
Astrometrie - in den Hintergrund verdrängt.
Eine Wiederbelebung erfolgte mit dem
(trotz falschem Orbit) außerordentlich
erfolgreichen HIPPARCOS-Satelliten
der ESA (1989-1993).
Für ein nationales Folgeprojekt – DIVA –
fanden sich im Bundesetat nicht mal etwa
40 Millionen DM, alles Geld wird für die
ISS sinnlos verpulvert.
Um 2010 will die ESA als Nachfolger den
Satelliten GAIA starten, der Positionen,
Parallaxen und Eigenbewegungen von
etwa 1 Mrd. Sternen bis in große Entfernungen
(mit geringerer Genauigkeit vielleicht bis zu den
Magellanschen Wolken) bestimmen soll.
260000 Sterne
Nebenbei soll er auch noch genauere Daten von Asteroiden bestimmen
und von der Erde aus schwer beobachtbare Atens-Erdbahnkreuzer aufspüren.
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Was sind Nebel und wo sind sie?
„Der Leviathan von Parsontown“
W. Parsons, Earl of Rosse, baute ein
Spiegelteleskop von 72 Inch ø.
Birr Castle, Irland
(Wieder errichtet.)
•Insel-Welten: Vermutung von Kant 1756
•W. Herschel meinte 1801, dass sie weit entfernt seien
M51, Lord Rosse 1845: 1. Spiralnebel
Rechts M51 und M99 (1850)
•Die meisten Astronomen hielten sie für einen Teil
unserer Milchstrasse, die das ganze Universum ist.
•Darüber hinaus war man davon überzeugt, dass,
wenn schon die Erde nicht mehr im Mittelpunkt
steht, dann wenigstens unser Sonnensystem das
Zentrum der Milchstrasse darstellt.
Dieser alte „Geo“zentrismus wurde durch
Herschels Sternstatistiken bestärkt.
Harlow Shapley wandte die Per.-Leuchtkr.Beziehung auf 69 Kugelsternhaufen an und
vermutete, dass das Zentrum der Galaxis
in Richtung Sagittarius in recht großem
Abstand liegt.
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PASP 30, 42 (1918)
Periode-Leuchtkraft-Beziehung
Um 1900 befassten sich viele Astronomen mit
veränderlichen Sternen. Da man keine physikalische
Theorie hatte, untersuchte man möglichst viele Objekte
und hoffte durch Aufstellen von Systematiken einer
Erklärung näher zu kommen.
Das Harvard-Observatorium hatte eine Außenstelle in
Arequipa (Peru) mit Blick auf die Magellanschen Wolken.
Die Photoplatten wurden in den USA von jungen (oft
unbezahlten) Damen („computer“ genannt) ausgewertet,
von denen einige wenige als Astronomen Anerkennung
fanden.
Henrietta Swan Leavitt
(1868-1921)
Bei dieser Arbeit entdeckte
Leavitt 1912 die P-L-Beziehung, die in der Folgezeit der
Ausgangspunkt für radikale
Änderungen unserer Sicht des
Kosmos werden sollte.
Min. / Max. Leuchtkraft
Periode-Leuchtkraft Beziehung
Log. Periode in Tagen
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Was liefe ohne Mäzene?
E.C. Pickering, der Direktor des Harvard College Observatory,
konnte die Außenstelle in Arequiba/Peru nur Dank zweier
Mäzene errichten:
Uriah A. Boyden und Catherine Wolfe Bruce (1816-1900).
Für Wiesbaden/Mainz von Interesse ist Miss Bruce aus New
York, da sie 1890 Max Wolf, dem Direktor der Landessternwarte Heidelberg-Königstuhl, 10.000,- $ für den Bau eines
Doppelastrographen spendete. Er setzte zum ersten Mal die
Photographie für die Suche nach Asteroiden ein und konnte
Dezember 1891 (323) Brucia entdecken.
Bruce-Doppelastrograph der Landessternwarte Heidelberg-Königstuhl
Während seiner Doktorarbeit entdeckte Franz Kaiser, der Gründer der Urania Wiesbaden,
mit diesem Astrographen 21 Kleinplaneten, darunter (766) Moguntia, (777) Gutemberga.
Bis zum Erscheinen meines Beitrags über Miss Bruce in den Mitteilungen, kann man bei
WIKIPEDIA nachsehen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Catherine_Wolfe_Bruce
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The Scale of the Universe
William Ellery Hale Foundation,
Washington, 26.4.1920
(„Die große Debatte“)
Harlow Shapley
Bulletin of the National Research Council 2,
pp. 171 – 217 (1921)
H. Shapley:
• Milchstrasse ca. 300.000 LJ
• Sonnensystem ca. 50.000 LJ vom
Zentrum entfernt
• Spiralnebel Teil der Milchstrasse
Heber D. Curtis
H.D. Curtis:
• Milchstrasse kleiner als 30.000 LJ
• Sonne im Zentrum
• Spiralnebel extragalaktisch
• Universum 10 – 100 Millionen LJ
http://antwrp.gsfc.nasa.gov/htmltest/gifcity/cs_nrc.html
Anmerkung: Vorschlag, über Allgem. Relativitätstheorie zu debattieren, wurde verworfen:
• Kann keiner mehr hören, da kommt keiner zum Vortrag.
• Ohnehin bis dahin sicher längst widerlegt.
Ironie der Geschichte: Einstein war bei der Diskussion anwesend!
Eddingtons Messungen zur Ablenkung von Licht am Sonnenrand:
• Totale Sonnenfinsternis am 29. Mai 1919
• Ergebnis am 6.11.1919 von der Royal Society bekannt gegeben.
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Lösung des Problems
Für zusätzliche Verwirrung hatte 1885 Hartwigs
Beobachtung einer Nova in M31 gesorgt, die dafür sprach,
dass M31 zur Milchstraße gehört (Supernovae kannte man
noch nicht!).
Mit neuen Großgeräten gelang es, Cepheiden in nahen
Galaxien wie der Andromeda-Galaxis (M31) nachzuweisen.
Zu aller Überraschung stellte E. Hubble fest, dass sich
(weit) entfernte Galaxien von uns fortbewegen.
Es gibt keine stabile statische
Anordnung der Galaxien, sie
müssen entweder expandieren
oder kontrahieren.
100“ Hooker Teleskop
Daraufhin verwarf Einstein seine
Kosmologische Konstante Λ
(Größte Eselei meines Lebens.).
Doch alles kehrt
irgendwann wieder.
Einstein und Hubble auf
dem Mount Wilson
Hubbles Originalschaubild
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Neue Kalibrierung der P-L-Beziehung
Mit einem Interferometer aus 2 VLT-Teleskopen konnten die Pulsationen von Cepheiden-Veränderlichen direkt
gemessen und die P-L-Relation kalibriert werden.
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Moderne Verfahren: Tully-Fisher-Beziehung
Beziehung zwischen absoluter Helligkeit und Rotationsgeschwindigkeit von Galaxien
Kalibriert an Cepheiden in Galaxien des Virgo-Haufens
Andromeda: Falschfarbenbild 21 cm Linie
Bedingt durch Rotation entfernen sich rote Teile
von uns, während blaue auf uns zu kommen.
Insgesamt bewegen sich die Milchstrasse und M31 aufeinander zu. Der Abstand
verringert sich pro Stunde um ca. 500000 km.
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Sonderfall: Laser-Entfernungsmessungen
Die Laufzeit von Laser-Impulsen gestattet hochpräzise Entfernungsmessungen. 3 Apollo- und 2 Lunochod-Missionen hinterließen auf dem
Mond Retroreflektoren. Zur Zeit kann die Entfernung zum Mond auf
1,7 cm genau bestimmt werden.
• Bahnparameter des Erde-Mond-Systems
• Test des Gravitationsgesetzes für Abstände um 400000 km
• Änderungen der Erdform (mit Reflektoren auf Satelliten), Kont.-Drift
• Bestimmung der Love-Zahl des Mondes: noch plastisch
• Beiträge zu fundamentalen physikalische Größen, teilweise nur
hiermit zu erhalten.
Problem geringe Nachweiswahrscheinlichkeit: nur 1 von 1019 Photonen
Zur Überprüfung des Äquivalenzprinzips als Basis
der Allgemeinen Relativitätstheorie „Fallversuch“
Erde/Mond Richtung Sonne.
Dazu Genauigkeit von 1-2 mm notwendig.
Projekt APOLLO verwendet 3,5 m Teleskop statt 0,72 m bisher.
Erwartet wird Lichtausbeute 5 aus 1017 und Zeitauflösung von Picosekunden (10-12 s).
Bei Fallversuchen mit Atomen (Rb-85 und Rb-87) konnte das Prinzip mit eiener Genauigkeit von 2 zu 10 Millionen bestätigt werden.
Das Glas wurde von Haeraeus-Schott Glasschmelze Hanau hergestellt, siehe
Dr. J. Steiner „Glas auf dem Mond“ Schottinfo No. 90, 11 (1989)
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Sonderfälle: „First principles“
Winkel- und Zeitmessungen
Entfernungsmessungen mit Cepheiden werden an die Große
Magellansche Wolke angehängt, deren Entfernung (163000 Lj)
wiederum über Offene Sternhaufen kalibriert wurde.
Die Supernova SN1987a gestattete nun eine unabhängige Messung:
Gamma-Strahlung von der Explosion bringt den älteren Sternwind
zum Leuchten. Der Durchmesser des Rings ergibt sich aus der Zeit
seit der Explosion und der Winkel wurde von Hubble gemessen.
Daraus ergibt sich der Abstand zu 169000 Lj, frei von Modellannahmen.
Mit die wichtigste Aufgabe des Hubble-Teleskops war das H0-Key Project: Bestimmung der HubbleKonstanten aus Entfernungsmessungen zu den Galaxien im Virgo-Haufen mittels Cepheiden.
Einen Tag vor Bekanntgabe des Resultates stellten Radioastronomen eine unabhängige Messmethode
für die Entfernung zu M106 (NGC4258) vor. Mit dem „Very Long Baseline Array“ (Radioteleskope von
Hawaii bis zu den Virgin Islands) beobachteten sie Wasserdampf-Maser in Akkretionsscheibe um zentrales
Schwarzes Loch von 36 Mill. Sonnenmassen.
Aus Kepler-Gesetzen und Winkelmessungen berechneten sie einen Abstand
von (23,8 ± 1,3) MLj in Diskrepanz zu „Hubble-Key Project“ aus Cepheiden
von 27 – 29 MLj.
Leider ist dies ein besonderer Glücksfall, vielleicht das einzige Beispiel.
Sollte sich dieses Ergebnis bestätigen, müssten viele davon abhängige
Verfahren neu kalibriert werden.
Es hat Einfluss auf Hubble-Konstante und damit auch das Alter des Weltalls.
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Wo befinden wir uns im All?
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Was liegt jenseits unserer Teleskope?
Inflation, Multiversen usw.
Zur Erklärung offener Fragen in der Kosmologie (Flachheit, Homogenität, Horizontproblem)
entwickelte Alan Guth 1979 die Inflationstheorie. Einen kurzen Augenblick nach dem Big Bang,
als die Welt die Größe einer Apfelsine hatte, verdoppelte sich die Größe alle 10-34 s während
eines Zeitraums von 10-30 s. Danach begann die heutige, eher gemütliche Ausdehnung.
Nach dieser (zumindest im Augenblick allgemein anerkannten) Theorie müsste das uns sichtbare
All, das wir gemeinhin das Universum nennen, nur ein winziger Ausriss aus dem Ganzen sein.
Als Alternative zu einem von dem starken anthropischen Prinzip
nahegelegten Schöpferwesen nehmen einige Kosmologen an, dass
es neben unserem All noch eine (unendliche ?) Manigfaltigkeit von
Welten mit anderen Eigenschaften gibt: die Multiversum-Theorie.
Entgegen dem Wunsch von Papst Johannes Paul II. befassen sich manche Kosmologen mit der
Zeit vor dem Urknall. Superstringtheorien und Schleifenquantengravitation sind zwar noch nicht
experimentell überprüft, doch muss die Vereinigung von Allgemeiner Relativitätstheorie und
Quantentheorie die Urknalltheorie wesentlich verändern.
Das Universum ist nicht nur merkwürdiger, als wir annehmen; es ist merkwürdiger, als
wir überhaupt annehmen können.
J.B.S. Haldane
17.06. Quarks und Strings, dunkle Materie und dunkle Energie, Parallelwelten und Extradimensionen –
In welchem Universum leben wir eigentlich ? (Dr. R. Riemann)
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Doch wie weit reichen unsere Augen?
Centaurus
Bis zum 19.3.2008 lautete die Antwort:
• M31 ca 2,5 MLj (Nordhalbugel)
• Centaurus ca. 14 MLj (Südhalbkugel)
M 31
Am 19.3.08 um 06:13 UTC (früher GMT) registrierte der Swift Röntgen-Satellit den intensiven
Gammastrahlen-Ausbruch GRB 080319B im Sternbild Boötes. 40 sec später sah das optische
Teleskop das Nachglühen, das auch von erdgebundenen Teleskopen registriert wurde..
The extremely luminous afterglow
of GRB 080319B was imaged by
Swift's X-ray Telescope (left)
and Optical/Ultraviolet Telescope
(right)
(Image:
NASA/Swift/Stefan Immler et al.)
Das Nachleuchten hätte auch ohne optische Hilfsmittel beobachtet werden können, falls man im
richtigen Moment hingeschaut hätte. Aus der relativistischen Laufzeitverlängerung schätzt man
die Entfernung zu 7,5 Milliarden Lichtjahren, d.h. ¾ des sichtbaren Universums.
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Doch man kann es auch anders sehen!
The Flat-Earth Society
Zu allen Zeiten gibt es Menschen, die von den wissenschaftlichen „Standard-Modellen“ abweichende Meinungen
haben. Im religiösen und antiwissenschaftlichen Milieu
der USA gedeiht im Zusammenhang mit den
„Creationisten“ so manche Sumpfblüte.
Die „Flat-Earth-Society“ (aus der englischen „Universal
Zetetic Society“ des 19. Jahrhunderts hervorgegangen)
glaubt, dass die Erde flach ist, den Nordpol als Zentrum
hat und außen von einem 150 m hohen Wall aus Eis
umgeben ist. Sonne und Mond sind etwa 32 Meilen groß
und laufen am Äquator um. Die Sterne sind am Himmel
befestigt, etwa in einem Abstand von 4000 Meilen.
Die ganze Raumfahrt ist natürlich eine Verschwörung
der Regierung in Washington.
Ich hoffe, dass meine Ausführungen heute Abend
sie vom Gegenteil überzeugen konnten.
Das Weltbild der „Flat-Earther“
Als Beweis lässt sich selbst die
Flagge der UN heranziehen!
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Nächster Vortrag
Dienstag 10. Juni 2008 um 19:30
Unser Nachbar Mars
Dr. R. Riemann
Astronomische Arbeitsgemeinschaft
Mainz
Mars nahe Phönix-Landsetelle
Volkshochschule Mainz: Besondere astronomische Themen
VHS-Sternwarte im Turm der Anne-Frank-Schule 03.06.2008 19:30
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