Der Hörsturz

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Refresher und Update
Der Hörsturz
Was gibt es Neues zu berichten beim Hörsturz? Alles beim
Alten, da Ätiologie und Pathophysiologie weiterhin unklar sind
und es keine Therapie mit bewiesener wissenschaftlicher Evidenz gibt? Da Steroidrezeptoren im Innenohr nachgewiesen
sind, verspricht man sich von der intratympanalen Steroidapplikation eine höhere Effizienz und kann damit insbesondere auch Patienten mit Kontraindikationen für eine
st alles
alle bleibt
systemische Steroidtherapie behandeln. Fast
beim Alten.
ls Hörsturz (Sudden sensorineural hearing loss) werden alle
lasSchallempfindungsschwerhörigkeiten unklarer Ätiologie klassifiziert, die innerhalb 72 h auftreten und einen Hörverlust vo
von
mindestens 30 dB über drei benachbarte Frequenzen zeigen (1). Als
cochleovestibuläre Störung gilt die Kombination von Hörsturz und
nischen Alltag
akutem peripher vestibulärem Drehschwindel. Im klinischen
werden meist alle plötzlichen Hörveränderungen mit Innenohrbeuftreten, unter Hörteiligung, die ohne direkt erkennbare Ursache auft
sturz subsummiert. Die Anzahl der betroffenen Frequenzen und
das Ausmass der Hörstörung sind jedoch variabel. Im Kantonsspioffenem Frequenzbereich
Freq
tal Luzern unterscheiden wir je nach betroff
ieftonbereich ((< 2kHz)
Hörstürze im Hochtonbereich (ab 3 kHz), Tieft
gemess
requenzen 0.25
oder pantonale Hörstürze (über alle gemessenen
Frequenzen
0.25–8
örung we
gradige (HörkHz). Je nach Ausmass der Hörstörung
werden leichtgradige
ige (Hörverlust zwis
verlust bis ca. 30 dB), mittelgradige
zwischen 300 und 60
rze (Hörverlust von me
dB) und hochgradige Hörstürze
mehr als 60 dB)
differenziert. Die Häufigkeit von Hörstürzen wird entsprechen
entsprechend aktschland mit 160–400/100 000/Jahr
000/Jah
tueller Untersuchungen in Deutschland
ed. Claudia Candr
Dr. med.
Candreia
Luzern
of. Dr. med. Thomas Linder
Prof.
Luzern
zern
A
angegeben
gegeben (2). Die Anzah
Anzahl wird wohl unterschätzt, da viele Patienmitte
ten mit leicht- bis mittelgradiger
Hörminderungen keine ärztliche
Hilfe suchen und in cca. 50% eine Spontanheilung eintreten kann
((3). Hörstürze treten
reten in jedem Alter auf, am häufigsten in der 4. und
5. Dekade.
D
Ät
Die Ätiologie
der meisten plötzlichen Hörminderungen
bleibt weiterhin unklar (bis 90%). Als mögliche Ursachen werden
vaskul
vaskuläre und inflammatorische Prozesse im Innenohr diskutiert,
allerdin
allerdings lassen sich diese bisher mittels Bildgebung (MRI) nicht
nachw
nachweisen. Bei Stressbelastung der Cochlea kommt es über verschied
schiedene molekularbiologische und Gen-induzierte Vorgänge zu
mec
mechanischen und physiologischen Veränderungen im Innenohr
un
und damit zu einer Hörminderung. Die diagnostischen Möglichkeiten betreffend solcher Prozesse in der Cochlea und am Hörnerv
sind in vivo sehr eingeschränkt. Hinweise für eine virale Hörsturzgenese gibt es nicht.
Ein Hörsturz als unvorhergesehenes und unerklärliches Ereignis führt zu einer starken Verunsicherung des Patienten. Neben diagnostischen und therapeutischen Empfehlungen ist die Begleitung
und Beratung des Patienten in dieser schwierigen Situation zentral.
Patienten mit akuten Hörminderungen sollten auch deshalb als Eilfall behandelt werden.
Symptomatik und Diagnostik
Abb. 1. Die intratympanale Steroidgabe erfolgt durch Injektion von
Dexamethason
examethason in den vorderen oberen Quadranten in Lokalanästhäsie. Vom
om Mittelohr dif
diffundiert der Wirkstoff durch die Rundfenstermembran in die Perilymph
Perilymphe und Endolymphe
12
Typischerweise beschreiben die Patienten eine plötzliche einseitige Hörminderung. Häufig ist diese von einem Tinnitus oder einem Druck- oder Wattegefühl auf dem Ohr begleitet. Schmerzen
auf dem Ohr sprechen gegen einen Hörsturz. Gelegentlich bemerken die Patienten auch keine Hörminderung sondern klagen nur
über ein verändertes Hören, eine Dysakusis, und ein Druckgefühl
auf dem Ohr, insbesondere bei isolierten tieftonbetonten Hörstur03 _ 2013 _ der informierte arzt
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zereignissen. Eine telefonische oder rein klinische Diagnose eines
Hörsturzes ist nicht möglich. Patienten mit Druckgefühl und Dysakusis mit normalem Trommelfellbefund (also ohne Mittelohrerguss) haben möglicherweise einen Hörsturz. Die diagnostischen
Schritte bei der Abklärung eines Hörsturzes sind in Abb. 2 schematisch dargestellt. Dabei gilt es zunächst eine Schalleitungs- von einer
Schallempfindungsstörung zu unterscheiden. Bei normalem Trommelfellbefund und Lateralisation des Stimmgabelversuchs nach
Weber ins gesunde Ohr bei gleichzeitig positivem Rinne Test (Luftleitung lauter als Knochenleitung), ist eine Schallempfindungsstörung wahrscheinlich. Die Ursache einer Schallempfindungsstörung
liegt in der Cochlea oder retrocochleär. Liefert die klinische Untersuchung oder die Anamnese keine Hinweise auf eine Ursache der
Hörstörung, liegt die Diagnose eines Hörsturzes nahe. Wichtig ist
zu bedenken, dass ein normaler Stimmgabeltest eine Hörstörung
nicht ausschliessen kann, da nur eine Frequenz (440 Hz) gemessen wird. Zur sicheren Diagnose eines Hörsturzes ist ein Tonaudiogramm unerlässlich. In der Notfalldiagnostik genügen die klinische
Untersuchung, Stimmgabel- und Hörprüfung.
Begleitsymptome (vestibuläre, ophtalmologische oder neurologische), schubweises oder beidseitiges Auftreten oder ein vorangegangenes Trauma, können auf eine cochleo-vestibuläre Störung
es zoster,
zoster Lues,
(z.B. Menière), eine infektiöse Genese (z.B. Herpes
drom, A
Borreliose) einen Autoimmunprozess (Cogan-Syndrom,
Autoiml
mune Inner Ear Disease, Multiple Sklerose), eine Perilymphfi
stel
oder ein Vestibularisschwannom/intracochleäres Neurinom hindeuten.
ig.
Routinemässige Blutuntersuchungen sind nicht notwendig.
Nach einer retrocochleären Pathologie suchen wir bei unvollständiger Erholung des Gehörs oder bei rezidivierenden Hörstürzen, also
nicht im akuten Stadium sondern erst im Verlauf. Dazu dienen die
öglich) und die
Hirnstammaudiometrie (nur bei gutem Gehör möglich)
rologische AbkläMagnetresonanztomographie des Felsenbeins. Serologische
ubweisem Auftreten
rungen betreffend ZNS-Infekte werden bei schubweisem
nbiss) em
und entsprechender Anamnese (z.B. Zeckenbiss)
empfohlen. Daehandelbaren Ursachen
bei beschränken wir uns meist auf die behandelbaren
(Lues, Borrelien, HIV). Bei schubweisem Auftreten und prom
promptem
rweite wir die Diagnostik
Ansprechen auf die Steroidtherapie erweitern
en des rheumatologischen
rh
schen For(ANA, ANCA, RF) auf Erkrankungen
ngen, Vaskulitiden).
menkreis (Autoimmunkerkrankungen,
Therapie
Die Therapieoptionen des Hörsturzes
urzes umfassen ein breites Spektnheilung bis zu intravenösen
rum von Massnahmen vom der Spontanheilung
oder intratympanalen Therapien. D
Da die Ätiologie des Hörstur
Hörsturzes
pie. Die schwache
schw
unbekannt ist, gibt es keine ursächlich
ursächliche Therapie.
durc die hohe
ohe Sp
wissenschaftliche Evidenz ist mitunter durch
Spontanheilungsrate und die unterschiedlich weit gefass
gefasste Definition des
gt, welche Hörstörungen unterschi
Hörsturzes bedingt,
unterschiedlicher Frequenz und Schweregrade und wahrscheinlich auch unterschiedtiologien einschliessen. Die Therapie wird individuell auf
licher Ätiologien
ienten abgestimmt, je nach
nac der Art und dem Ausmass des
den Patienten
lustes, vorbestehenden Hörmin
Hörverlustes,
Hörminderungen und dem Leidensuck. Ein Musiker oder ein Patient mit Hörminderung
Hö
druck.
oder Taubheit auf dem Gegenohr, wird eher eine Ma
Maximaltherapie wählen als
uf eine Spontanheilung zu vertrauen. Basierend auf der Annahauf
n Durchblutung
me von
Durchblutungstörungen und inflammatorischer oder imcher Prozesse im Innenohr als Ursache der plötzlichen
munologischer
der informierte arzt _ 03 _ 2013
ABB. 2
Möglicher diagnostischer Algorhytmus
us beim Hörsturz
Hörm
hab
Hörminderung,
haben sich über die Jahre vor allem Kortikosteroidtherapie und rheologische Massnahmen durchgesetzt. Die Theratherapien
m
pie soll möglichst
bald begonnen werden, um irreversible Schäden
N
an den Nervenzellen
im Innenohr zu vermeiden. Neben der intvenöse und peroralen Verabreichung führen wir seit 2006 auch
ravenösen
die intra
intratympanale Steroidanwendung durch, sowohl als Primär-,
Ko
als Kombinationsund „Salvage“-Therapie bei unvollständiger Erholu der Hörschwelle innerhalb von 4 Wochen. Die intratympaholung
na Steroidanwendung hat den grossen Vorteil, dass systemische
nale
Nebenwirkungen vermieden werden können. Das ermöglicht auch
eine Hörsturztherapie bei Patienten mit Kontraindikationen für
eine systemische Steroidgabe (z.B. Diabetes mellitus, Hypertonie,
Glaukom). In tierexperimentellen Studien konnten zudem höhere Steroidkonzentrationen im Innenohr nachgewiesen werden (4).
In einer kürzlich publizierten Metaanalyse zum Thema intratympanale Steroidtherapie zeigte sich eine weitgehend vergleichbare
Wirkung von intratympanaler Steroidanwendung mit systemischer
Steroidtherapie als Primärtherapie beim Hörsturz (Odds Ratio OR
0.9) und eine klarer Vorteil von intratympanaler Steroidtherapie als
Salvagetherapie gegenüber dem Spontanverlauf (OR 2.9) (5). Eine
Übersichtsarbeit von Spear 2011 zeigte, dass die Therapien mit intratympanalen und oralen Steroiden gleichwertig sind (6). Eine
2012 in unserer Klinik durchgeführte Studie, welche die frühere
Standardtherapie (Prednisolon, Hydroxyethylstärke, Pentoxyfyllin) mit einer Kombinationstherapie mit intratympanalem Steroid
verglich, zeigte bei hochgradigen Hörstürzen eine Tendenz zu bes13
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seren Hörergebnissen mit intratympanalem Steroid ohne relevante
Nebenwirkungen (7). Betahistin wird seit Jahren mit gutem Erfolg
zur „Innenohrstabilisierung“ beim Morbus Menière eingesetzt. Die
genaue Wirkungsweise des Medikaments auf das Innenohr mit der
Wirkung eines Histamin H1-Rezeptor Agonists /H3-Rezeptor Antagonist ist noch unklar. Eine durchblutungsfördernde Wirkung ist
wahrscheinlich. In tierexperimentellen Studien zeigte Betahistin
einen dosisabhängigen Effekt auf die Durchblutung der stria vascularis bei Meerschweinchen in vivo (8) und eine klinische Studie
wurde angekündigt.
Am Luzerner Kantonsspital empfehlen wir aktuell folgende abgestufte Therapie:
l Bei leichtgradigem Hörsturz mit Hörverlust < 30 dB ambulante
Behandlung mit Betahistin 24 mg 2x1/d für 4 Wochen;
l bei mittelgradigem Hörsturz mit Hörverlust zwischen 30 und
60 dB zusätzlich intratympanale Steroidtherapie mit Dexamethason (4 Injektionen innerhalb 2 Wochen);
l bei hochgradigem Hörsturz mit Hörverlust über 60 dB stationäre
Behandlung mit Betahistin und Kombination von intratympanaler und intravenöser Steroidtherapie während 5 Tagen.
Lehnt der Patient die intravenöse oder intratympanale Behandlung ab, empfehlen wir eine perorale Steroidtherapie. Kommt es zu
rischen Nachkeiner Erholung der Hörschwelle bei der audiometrischen
mpanale Sterokontrolle innerhalb von 4 Wochen ist eine intratympanale
idtherapie im Sinne einer Salvage-Therapie möglich. Bei fehlender
Erholung wird ein MRI zum Ausschluss eines Akustikusneurinoms
(Vestibularisschwannoms) angeordnet.
Schlussfolgerungen
Trotz weiterer Erforschung der molekularbiologischen Vorgänge
rsturz bisin der Cochlea und neuer Therapieformen bleibt der Hörsturz
tsbild. Weitere
lang ein unberechenbares idiopathisches Krankheitsbild.
elfen, UntergrupForschungsergebnisse und Datenbanken sollen helfen,
n, um den Sammelpen mit ähnlichen Charakteristika zu definieren,
m Ziel therapeutische
th
begriff Hörsturz weiter zu unterteilen mit dem
Massnahmen gezielter einzusetzen.
Literatur:
oss;Otolaryng
1. Stachler RJ et al: Clinical Practice Guideline: Sudden Hearing Loss;Otolaryngol
Head Neck Surg 2012; 146:S1
2. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
chen Fachgesellschaften
als- Nasen-Ohren-Heilkunde,
(AWMF), Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für HalsReg
Kopf- und Halschirurgie: Hörsturz AWMF-Leitlinien-- Register
O17/010 2011
J.: Mögliche
M
3. Heinrich, U.R., Brieger J; Stauber R.H.; Mann W.J.:
molekulare Mechanremission bei
b Hör-sturz.HNO
O 2011
20 59:1103–1110
nismen einer Spontanremission
DJ(
roid pharmacokinetics
p
4. Parnes LS, Sun H, Freeman DJ(1999):
Corticosteroid
in the
cal appli
inner ear fluids: an an
animal study followed by clinical
application. Laryngoscope
109:1–17
ympanic treatment for sudden
su
afness: A metaanalysis
meta
5. Garavello W, Intratympanic
deafness:
of
lled trials)., otology neurotology)
neu
012 (33): 724–729
Randomized controlled
2012
R: Intratympanic Steroids
S
en Sensorineural Hearing
6. Spear SA, Schwartz SR:
for Sudden
ew; Otolaryngol Head Neck Surg 2011
1 145; 534–543
Loss: A systematic Review;
7. Burkart C, Linder T, Gärtner M; Intratympanic steroid administration: Use in the
athic sudden sensorineural
sensorin
treatment of profound idiopathic
hearing loss., HNO 2012,
July 7
rts a dose-dependent effect on cochlear stria vascularis
va
8. Ihler F et al: Betahistin exerts
012; 7(6)e39086
blood flow in guinea pigs in vivo; PLoS One 2012;
Take-Home
Home M
Message
nter einem Druckgefühl auf dem Ohr oder eeiner Dysakusis kann
◆ Hinter
sich
ch ein Hörsturz verstec
verstecken
prüfung kann hilfreich ssein und auf eine Schallempfin◆ Die Stimmgabelprüfung
dungsschwerhörigkeitt hinweisen. Es m
muss aber bedacht werden, dass
nur eine
e
Frequenz (meist 440 Hz) ggeprüft wird
Hörsturzes ist ein Tonaudiogramm nötig
◆ Zur sicheren Diagnose eines Hör
◆ Ein plötzlicher Hörverlust ist ein Eilfall. Ein baldiger Therapiebeginn ist
wichtig für
ür den Patienten u
und günstig für die Prognose
Therapie des Hörsturzes ist momentan nicht mög◆ Eine ursächlichee Therap
lich. Die Wirksamkeit
keit der aktuellen Therapien ist nicht ausreichend
wissenschaftlich
wiss
be
bewiesen
◆ Trotz hhoher Spontanheilungsrate empfehlen wir eine Therapie mit Steroiden und Rheologika zur Unterstützung der Durchblutung und Heme
mung entzündlicher
und immunonologischer Vorgänge im Innenohr
„lo
intratympanale Anwendung ist eine Alternative zur perora◆ Die „lokale“
Dr. med. Claudia Candreia
Oberärztin HNO, Leitung Otoneurologie,
Kantonsspital Luzern
[email protected]
len und
un iv - Therapie von Steroiden und reduziert das Risiko von systemischen
Nebenwirkungen
misc
Bei fehlender Erholung der Hörschwelle, beidseitigem oder rezidivie◆B
rendem Auftreten sind weitere Abklärungen inkl. Auschluss einer retrocochleären Pathologie zu empfehlen
Prof. Dr. med. Thomas Linder
Chefarzt HNO-Klinik
Kantonsspital Luzern
14
03 _ 2013 _ der informierte arzt
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