Puls-NMR - Universität Ulm

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Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene
V 10
Puls-NMR
Kernmagnetische Relaxation
Kurzbeschreibung:
In diesem Versuch wird verdeutlicht, wie sich chemische, mechanische und
dynamische Eigenschaften der lokalen Umgebung eines Protons auf dessen
magnetisches Relaxationsverhalten auswirken, also auf die Wiederherstellung eines
Gleichgewichtszustandes nach einer äußeren Störung. Diese ist im Falle von PulsNMR ein hochfrequentes magnetisches Wechselfeld, welches einerseits bewirkt,
dass (i) die (energetisch nicht gleichwertigen) Ausrichtungen der Protonenspins nicht
mehr der Gleichgewichtsverteilung entsprechen, und andererseits dass (ii) die
Gesamtheit der Spins selber nach dem Puls ein von außen messbares hochfrequentes magnetisches Wechselfeld erzeugt. Die Geschwindigkeit, mit der die
beiden Abweichungen wieder verschwinden, wird durch die Relaxationszeiten T1 und
T2 beschrieben; deren Messung und Interpretation ist Gegenstand des Versuchs.
Konkret werden Veränderungen von T1 und T2 in Flüssigkeiten (i) in Gegenwart
gelöster paramagnetischer Substanzen, sowie (ii) als Funktion von Viskosität und
Temperatur quantitativ untersucht.
Überarbeitetes Versuchsskript, Version 2.7.1, H.E. Hoster, Mai 2008
Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR
2
Vorwort
Dieses Versuchsskript wurde im Jahr 2006 neu verfasst, um auf der einen Seite die
beschriebenen Messaufgaben an die tatsächlich an den mittlerweile im Praktikum
durchführbaren Experimente anzupassen, und auf der anderen Seite das für den
Versuch notwendige Wissen in möglichst kompakter Form zusammenzufassen. Eine
lesenswerte und übersichtliche Darstellung der wichtigsten Grundzusammenhänge
findet sich neuerdings aber auch in der vierten Auflage des Atkins (auch in der
deutschen Fassung).
Die verschiedenen Erläuterungen, Herleitungen und Grafiken in der vorliegenden
Anleitung, sofern sie nicht vollständig neu formuliert bzw. erstellt wurden, stammen
aus drei Hauptquellen:
Versuchsskript „Kernmagnetische Relaxation – Puls NMR“ des PhysikalischChemischen Fortgeschrittenenpraktikums der Universität Ulm (alte Version)
Versuchsskript „Gepulste Kernspinresonanz“ des Physikalischen Praktikums für
Fortgeschritte der Universität Bayreuth (mit freundlicher Genehmigung durch
Herrn Professor Dr. Ernst Rößler)
Versuchsskript „Messungen der Spin-Relaxationszeiten T1 und T2 mit einem
Impuls-NMR-Spektrometer“ des Praktikums Physikalische Chemie der
Universität Jena (mit freundlicher Genehmigung durch Herrn Priv.Doz. Dr. Reinhold
Gade)
Versuchsskript „Gepulste Kernresonanz (Puls-NMR)“ des Fortgeschrittenenpraktikums Physik der Universität Osnabrück (mit freundlicher Genehmigung
durch Herrn Dr. Hans-J. Reyher)
In der Überarbeitung im Jahr 2008 wurde das durchzuführende Messpensum erneut
vollständig überarbeitet und stärker auf quantitative Ergebnisse fokussiert.
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1 Aufgabenstellung und Versuchsdurchführung
1.1 Zielsetzung:
In diesem Praktikumsversuch sollen die Grundlagen der Kernmagnetischen Resonanz, wie sie in der Laborpraxis eingesetzt wird, anhand einfacher Modellexperimente verdeutlicht werden. In der Chemie gehört NMR-Spektroskopie zu den am
häufigsten verwendeten Analyseverfahren. Mittels Puls-NMR können jedoch nicht
nur Molekülstrukturen aufgeklärt werden, man kann damit auch viel über die nähere
Umgebung der jeweiligen Moleküle erfahren, insbesondere auch über die Dynamik
ihrer eigenen Bewegung sowie der sie umgebenden Moleküle. Versuchen Sie, beim
Studium des Versuchsskriptes und der Zusatzliteratur Antworten auf die folgenden
Fragen zu finden:
Wie verhalten sich einzelne Kernspins quantenmechanisch in einem Magnetfeld?
Wie lässt sich das Verhalten einer größeren Menge Kernspins thermodynamisch
beschreiben? Welches ist ihr Gleichgewichtszustand?
Wie kann man sich Kernmagnetische Resonanz mikroskopisch vorstellen?
Wie geschieht die Anregung, und was ist das eigentliche Messsignal?
Worin steckt die Information über die Molekülstruktur, und wie lässt sie sich
gewinnen?
Welche Rolle spielen Pulse und Pulsfolgen?
Was lernt man aus den Messsignalen über die nähere Umgebung der untersuchten
Kerne auf atomarer Skala, sowie über das Medium, in welchem sich die jeweiligen
Atome und Moleküle befinden?
1.2 Versuchsdurchführung
1.2.1 Apparatur
Der Versuch wird an einem Bruker minispec 20 MHz Puls-NMR durchgeführt. Alle
Messungen werden vom PC aus gesteuert, Ihr Assistent wird Sie in die Handhabung
der Software einweisen. Die Probenaufnahme ist mit einem externen Thermostaten
temperierbar; alle Probenröhrchen sollten vor der Messung im Wasserbad des
Thermostaten aufbewahrt werden um sie stets messbereit zu haben. Es steht ferner
ein Messröhrchen mit eingebautem Thermofühler zur Verfügung, mit welchem die
Temperatur der Probenaufnahme gemessen wird.
1.2.2 Erste Tests mit reinem Wasser
Das Spin-Gitter-Relaxationsverhalten lässt sich bereits recht gut beobachten, indem
man mit festen Zeitabständen 90°-Pulse einstrahlt und jeweils die Amplitude des FID
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beobachtet. Nach 3-4 Pulsen stellt sich ein stationärer Wert ein. Tragen Sie diesen in
ein Messprotokoll ein, und zwar für Pulsabstände zwischen 0.3 s bis 20 s.
Was können Sie über T1 bereits aus diesem Experiment lernen? Welche Konsequenzen ergeben sich für die einzustellenden Wartezeiten im nachfolgenden
Versuchsteil?
1.2.3 Langlebigkeit von Spinzuständen in reinem Wasser
Messen Sie zunächst für die Wasserprobe, die Luftdicht in das Glasprobenröhrchen
eingebettet ist, die Spin-Gitter-Relaxationszeit T1 mit der Inversion-RecoveryMethode. Achten Sie darauf, dass die entsprechenden Wartezeiten hinreichend groß
eingestellt werden.
Geben Sie nun eine kleine Menge destilliertes Wasser in eins der mit Gewinde
versehenen Glasprobenröhrchen und messen Sie abermals T1. Gibt es einen
Unterschied?
Messen Sie die Spin-Spin-Relaxationszeit T2 mit Hilfe einer Carr-Purcell-Sequenz.
Achten Sie darauf, dass der insgesamt beobachtete Zeitraum lang genug ist.
Versuchen Sie im Anschluss, die gleiche Messung mit der Hahn’schen Spin-EchoMethode mit variierter Verzögerungszeit durchzuführen. Welche Unterschiede
ergeben sich und warum?
Erzeugen Sie ein wiederholtes Spin-Echo mit einer Wartezeit von 1000 ms und
τ=50ms. Sie wissen, dass die Wartezeit eigentlich zu kurz gewählt ist. Nehmen Sie
nun einen oder zwei Krümel Kupfersulfat mit der Pinzette und lassen Sie diese ins
Wasser fallen. Spätestens nach etwas Schütteln sollten Sie einen Effekt sehen.
Beschreiben und erklären Sie diesen.
Messen Sie nun T1 und T2 für diese Probe.
1.2.4 Quantitative Analyse der Rolle paramagnetischer Verunreinigungen
In diesem Versuchsteil soll der starke Einfluss paramagnetischer Verunreinigungen
auf die Spin-Gitter- und die Spin-Spin-Relaxation demonstriert und auch quantitativ
analysiert werden. Aufgrund der vergleichsweise kurzen nötigen Wartezeiten (siehe
Seiten 27 und 30) können an diesen Proben viele Messungen in kurzer Zeit durchgeführt werden.
Messaufgabe. Die ‚Relaxivität’ eines der Metallionen Fe3+, Mn2+, Cu2+, oder Cr3+ soll
ermittelt werden. Stellen Sie für eines dieser Metallsalze fünf verschiedene
Lösungen mit Konzentrationen Ihrer Wahl her; die Konzentration sollten sich jeweils
etwa um einen Faktor 3-10 unterscheiden. Füllen Sie jede Lösung (Konzentration
bitte sorgfältig ins Messprotokoll eintragen) in eines der fünf Röhrchen ab und stellen
Sie die Röhrchen ins Temperierbad. Messen Sie für jede Lösung jeweils T1 und T2
und tragen Sie die Werte in eine Tabelle ein. Speichern Sie auch jeweils die
Originaldatensätze. Messen und notieren Sie auch die Temperatur des Probenkopfes. Wählen Sie zwei Lösungen aus, die sich besonders gut vermessen ließen,
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und messen Sie diese parallel zur nächsten Messreihe bei zwei weiteren
Temperaturen.
Auswertung.
1. Tragen Sie 1/T1 und 1/T2 gegen die Konzentration auf.
2. Führen Sie zur Bestimmung der Relaxivitäten RT1 und RT2 jeweils eine lineare
Regression durch. Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse qualitativ und quantitativ mit
den Daten im Anhang (eventuell müssen Sie hierfür eine andere Auftragung
wählen).
mögliche Diskussionsthemen. Welche Eigenschaften der Metallionen könnten
maßgeblich für ihre unterschiedlichen Relaxivitäten sein? Für welche praktischen
Anwendungen von NMR könnte der starke Effekt von Metallionen auf die
Relaxationszeiten wichtig sein?
1.2.5 Einfluss von Viskosität und Temperatur auf die Relaxationszeiten
Die Relaxationsprozesse in Flüssigkeiten werden stark von den Rotations- und
Translationsbewegungen der Moleküle beeinflusst, an denen sich die angeregten
Protonen befinden, und von denen sie umgeben sind. Diese Bewegungen ändern
sich mit Viskosität und Temperatur der untersuchten Flüssigkeiten. Dies soll durch
Untersuchung von Wasser, Glycerin, sowie vier Glycerin-Wasser-Mischungen bei
jeweils drei Temperaturen verdeutlicht werden.
Messaufgabe. Stellen Sie drei verschiedene Glycerin-Wasser Mischungen Ihrer
Wahl her. Sie sparen Zeit in der Auswertung, wenn Sie Massenprozente wählen, die
in der Viskositätstabelle im Anhang explizit vorkommen. Die Massenprozente können
Sie am präzisesten durch Einwiegen herstellen. Notieren Sie die Zusammensetzungen und füllen Sie die Mischungen in saubere, beschriftete Messröhrchen.
Füllen Sie außerdem ein Messröhrchen mit reinem Glycerin. Stellen Sie die fünf
Messröhrchen ins Temperierbad, zusammen mit einer reinen Wasserprobe. Sobald
die sechs Proben die richtige Temperatur haben, messen Sie bitte T1 und T2 und
tragen Sie die Werte (einschließlich Messungenauigkeit!) in das Messprotokoll ein.
Wiederholen Sie diese Messreihe bitte für zwei weitere Temperaturen (Bereich: 5°C60°C) Ihrer Wahl.
Messen Sie für jede Temperatur auch die Amplitude des FID für reines Wasser
(immer mit gleichem ‚gain’!).
Ferner sollten bei jeder Temperatur für die Metallsalzlösungen mit höchster und
niedrigster Konzentration T1 und T2 bestimmt werden.
Auswertung.
1. Überprüfen Sie, ob die Temperaturabhängigkeit der FID-Amplitude von H2O mit
der Frequenz des NMR-Spektrometers (20 MHz) vereinbar ist. Verwenden Sie
Gleichung (2-6-14).
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2. Prüfen Sie für reines Glycerin, ob die T1-Werte bei verschiedenen Temperaturen
zur Kurve im Anhang passen.
3. Berechnen mit Hilfe der Tabelle im Anhang (vermutlich Interpolation notwendig!)
die Viskosität für jede der Glycerin-Wasser-Mischungen bei jeder im Versuch
getesteten Temperatur.
4. Tragen Sie T1 gegen η doppellogarithmisch auf und vergleichen Sie mit dem
Diagramm im Anhang. Hinweis: Sie können diese Literaturkurve ihrem eigenen
Diagramm hinzufügen. Die nötige Formel steht oben rechts im Diagramm.
5. Tragen Sie T1 gegen η/T doppellogarithmisch auf. Streuen die Punkte nun
weniger?
6. Testen Sie, ob ähnliche Auftragungen Gesetzmäßigkeiten für T2 ergeben.
7. Tragen Sie T1 und T2 für die Metallsalzlösungen doppellogarithmisch gegen die
Viskosität von Wasser bei den verschiedenen Temperaturen auf. Lässt sich ein
Trend ablesen?
8. Bestimmen Sie für die Metallsalzlösungen RT1 und RT2 für die verschiedenen
Temperaturen. Sind die beiden Konstanten temperaturabhängig? Ist vielleicht der
Quotient RT1/RT2 temperaturunabhängig?
mögliche Diskussionsthemen. Wie empfindlich reagieren die Relaxationszeiten auf
Änderungen der Viskosität? Ist NMR ein geeignetes Verfahren, um Viskositäten
quantitativ zu messen? Ergibt sich ein schlüssiges Gesamtbild für die Zusammenhänge zwischen T1,2, Viskosität und Temperatur? Welche Rolle spielt die Temperatur
bei den Metallsalzlösungen? Die leichter nachvollziehbare Größe ist offensichtlich T1.
Warum wird in der Praxis trotzdem viel häufiger T2 gemessen, obwohl die Dateninterpretation hier komplizierter ist?
Diese Fragenliste ist nicht verpflichtend. Entscheidend ist, dass Sie Ihre Daten
qualitativ und quantitativ diskutieren – welche Aspekte Sie dabei besonders
beleuchten, können Sie in Absprache mit Ihrem Betreuer entscheiden.
2 Theoretische Grundlagen
2.3 Klassische und quantenmechanische Sichtweise
Bei der Betrachtung der NMR werden zwei verschiedene Modellvorstellungen
benutzt, zwischen denen in vielen veröffentlichten Herleitungen oft hin- und her‚geschaltet’ wird, je nachdem welches Phänomen man gerade mathematisch
beschreiben will. Zum einen betrachtet man quantenmechanisch den einzelnen
‚Spin’, der gegenüber einem äußeren Feld nur bestimmte Orientierungen einnehmen
kann (für das Proton: genau zwei), definiert durch seine z-Komponente. Einer Konvention zur Folge definiert man das verwendete Koordinatensystem stets so, dass
ein äußeres Magnetfeld parallel zur z-Achse verläuft. Die Orientierungen der Spins
sind energetisch nicht gleichwertig, also gibt es Unterschiede in den Besetzungs-
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zahlen und Möglichkeiten, durch Wechselwirkung mit äußerer Strahlung zwischen
den Niveaus hin- und her zu schalten.
Zum anderen betrachtet man die Magnetisierung eines Gesamtsystems, also eines
größeren Ensembles von Einzelspins. Diese Magnetisierung kann man sich als einen
Vektorpfeil im dreidimensionalen Raum vorstellen, der in eine beliebige Richtung
zeigen kann und sich im auch bewegen kann. Der Pfeil ist die Vektorsumme aus den
einzelnen ‚Elementarmagneten’, also den Kernspins. Für das einfache Energieniveauschema ist nur deren z-Komponente betrachtet worden, welche ja auch für die
Wechselwirkung mit dem äußeren Magnetfeld entscheidend ist, wohingegen x- und
y-Koordinate quantenmechanisch ‚unscharf’ sind und auch energetisch keine Rolle
spielen. Für die Energie des Gesamtsystems ist ebenfalls nur die z-Komponente der
Gesamtmagnetisierung entscheidend, für den Vorgang der Wechselwirkung mit
äußerer Strahlung jedoch, der für die praktische Anwendung von NMR-Techniken
wichtig ist, spielen x- und y- Komponente der Gesamtmagnetisierung sehr wohl eine
Rolle.
Sind zu einem gegebenen Zeitpunkt x- und y-Komponente dieses Gesamtvektors
von null verschieden, bedeutet dies, dass zwar für jeden einzelnen Spin x- und yKomponente unscharf sind, dass aber in der Gesamtheit der Spins bestimmte
Richtungen etwas häufiger vorkommen und damit die Summe der x- und yKomponenten von Null verschieden machen.
2.4 Kurze Übersicht: Störung des Gleichgewichts als zentrales Prinzip
Für die Messungen im Rahmen des folgenden Praktikumsversuchs und generell für
die Anwendung von NMR gilt das gemeinsame Prinzip, dass für die jeweilige Messung die im jeweiligen System enthaltenen Spins aus ihrer thermodynamisch
günstigsten Ausrichtung, also aus dem Gleichgewicht, gebracht werden. Unmittelbar
nach dieser Störung des Gleichgewichts können dem System Signale entnommen
werden, in welchen die lokalen Larmorfrequenzen enthalten sind, also insbesondere
auch die in der NMR-Spektroskopie verwerteten Informationen (chemische
Verschiebung und Feinstruktur).
Diese Signale klingen rasch ab. Dies liegt zum einen an feinsten Unterschieden
zwischen den lokalen Larmorfrequenzen, zum anderen aber auch an Wechselwirkungen der Spins untereinander und mit ihrer Umgebung. Beide Phänomene
werden im Rahmen der so genannten T2-Messungen untersucht.
Einen vergleichbaren Einfluss hat auch die Bewegung der betrachteten Spins
innerhalb eines inhomogenen Feldes, weshalb mittels NMR in geeigneten Fällen
auch Messungen von Transportphänomenen (z.B. Selbstdiffusion) möglich sind.
Schließlich beeinflusst die Störung vor allem auch die Magnetisierung in z-Richtung,
also parallel zum äußeren Feld. Diese strebt unmittelbar nach der Störung ihren
Gleichgewichtszustand wieder an, was wiederum nur durch Wechselwirkung der
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Spins mit ihrer Umgebung möglich ist. Die Relaxationszeit T1, welche die für das
Wiedererlangen des Gleichgewichtes typische Zeitkonstante ist, erlaubt damit
ebenso wie T2 Rückschlüsse über die lokalen Eigenschaften der untersuchten Probe.
Die folgenden Betrachtungen beginnen mit der Beschreibung des Gleichgewichts.
2.5 Energieniveaus und Kern-Zeeman-Effekt –
quantenmechanische Sichtweise
Generell hat jeder Atomkern mit von Null verschiedenem Spin (z.B. H oder 13C) ein
magnetisches Moment, d.h., er stellt einen magnetischen Dipol dar,
r
dessen Ausrichtungen gegenüber einem äußeren Magnetfeld sich B
energetisch unterscheiden. Allgemein gilt für die Energie eines
r
r
θ µ
magnetischen Dipols µ (anders als im ‚Wedler’ verwenden wir in diesem
Skript µ anstatt m für das magnetische Moment, um den Unterschied
zur
r
Quantenzahl m herauszustellen) in einem äußeren Magnetfeld B 0 die Beziehung
r r
r r
E = −µ ⋅ B 0 = − µ B 0 cos θ
(2-5-1)
sie ist also minimal für einen parallel zum Feld ausgerichteten Dipol und maximal bei
antiparalleler Ausrichtung.
Der magnetische Dipol erfährt außerdem durch das
Magnetfeld eine Kraft, welche ihn in die energetisch
günstigste Position zu drehen versucht. Dieses ist zentral
für die halbklassische Betrachtung des gleichen
Phänomens, die weiter unten erfolgen wird. In
r
nebenstehender Abbildung ist die Energie von µ als
Funktion von θ skizziert.
r
Für den Zusammenhang zwischen Drehimpuls Ι und Magnetischem Dipolmoment
gilt allgemein
r
r
µ = γ Ι , γ= gyromagnetisches Verhältnis.
(2-5-2)
Um weitere Rechnungen zu vereinfachen, wird das Koordinatensystem stets so
gewählt, dass das äußere Magnetfeld in positive z-Richtung zeigt. Damit vereinfacht
sich das Skalarprodukt in (1) zu
r
E = −µ z B 0 = −µ zB 0 ,
(2-5-3)
r
wobei µz die z-Komponente von
r µ ist (Der Einfachheit halber wird in den weiteren
Betrachtungen der Betrag von B 0 mit B0 bezeichnet).
Aus Gleichung (2-5-2) folgt, dass
µz = γ Ιz.
(2-5-4)
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9
r
Die Quantenmechanik schränkt die Orientierung Ι
auf diskrete Kegel ein (Æ Richtungsquantelung,
siehe Abbildung), die gekennzeichnet sind durch
Ιz = ћ mΙ,
(2-5-5)
mit mΙ= -Ι, -Ι+1, … , Ι.
Ι bezeichnet hierbei die Drehimpulsquantenzahl,
welche außerdem den Betrag des Drehimpulses
gemäß
r
| Ι |=ћ [Ι(Ι+1)]1/2
Ι=2
(2-5-6)
bestimmt (wird an dieser Stelle nicht benötigt).
Die Energie E kann dann die folgenden diskreten
Werte annehmen:
E = - ћ γ mΙ B0,
mit mΙ= -Ι, -Ι+1, … , Ι.
(2-5-7)
Ι=1/2
Für den Spezialfall des Protons, für welches Ι=½ und Richtungsquantelung
damit mΙ=±½ gilt, folgt die wichtige Formel
von Drehimpulsen
E = m ½ ћ γ B0
(2-5-8)
Damit kann der Spin des Protons genau zwei energetisch unterscheidbare Zustände
einnehmen, welche durch die Magnetquantenzahl mΙ = ±½ gekennzeichnet werden,
und deren Energiedifferenz genau
∆E= ћ γ B0
beträgt.
(2-5-9)
Das gyromagnetische Verhältnis hat beim Proton etwa den Wert 2,675·108/(T·s). Die
Bedeutung dieses Wertes in der Praxis wird erst im folgenden Abschnitt deutlich
werden.
Um die Zahl der in diesem Skript verwendeten
Größen der Übersicht zuliebe zu begrenzen,
verzichten wir auf die Einführung der auch oft in
diesem Zusammenhang erwähnten Größen
Landé-Faktor g und Bohr’sches Magneton µ und
verweisen auf die Literatur.
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Gleichgewichtszustand
Die Protonenspins sind damit Teil eines thermodynamischen zwei-Niveau-Systems,
so dass sich das Verhältnis der Besetzungszahlen der beiden Niveaus nach der
Boltzmann-Statistik berechnen lässt:
Nm Ι = − 12
Nm Ι = 12
Konvention:
=
Nβ
 − ∆E 
 − hγB0 
= exp
 = exp

Nα
 kT 
 kT 
r
α-Spin ↔ Spin parallel zu B 0
r
β-Spin ↔ Spin antiparallel zu B 0
(2-5-10)
↔ mΙ=+½
↔ mΙ=-½
Unter Beachtung der Vorzeichen in Gleichungen (2-5-1), (2-5-3) und (2-5-7) ist damit
der Zustand mit mΙ=+½ energetisch niedriger und folglich etwas höher besetzt.
Beispiel: Für B0 = 1 Tesla, ∆E =1,76.10-7 eV, T = 300 K:
Nα/Nβ = 1,00000681, also Besetzungsdifferenz Nα-Nβ= 0,00000681
Aufgrund der großen absoluten Teilchenzahlen (~1022) und der damit auch sehr
großen absoluten Besetzungszahldifferenzen (~1017) ergeben sich trotz der kleinen
relativen Besetzungsdifferenz messtechnisch nutzbare Magnetisierungen. Man
beachte: die Besetzungszahldifferenz wächst linear mit der Stärke des äußeren
Feldes B0 und sinkt mit steigender Temperatur.
Umschalten zwischen den Zuständen durch Strahlung
Analog zu den Übergängen zwischen den verschiedenen elektronischen Zuständen
im Atom, die durch äußere elektromagnetische Strahlung der passenden Energie angeregt werden können, sind auch Übergänge zwischen den 2Ι+1 verschiedenen
Orientierungen eines Kerns mit Gesamtspin Ι induzierbar. Während in der Elektronenhülle die Übergänge durch Wechselwirkung mit Strahlung vom Infrarotbereich
bis hinein in den Röntgenbereich stattfinden, genügen bei der Kernspinresonanz
aufgrund der kleinen Energieunterschiede jedoch schon Radiowellen. Selbst bei den
größten technisch realisierbaren Feldstärken (etwa 20 Tesla) liegen die entsprechenden Frequenzen noch im MHz-Bereich.
2.6 Relaxationsprozesse – Teil 1
Longitudinalrelaxation – Analogon zum radioaktiven Zerfall
Die Relaxation eines Kernspinsystems in einem äußeren Magnetfeld folgt einer
einfachen Kinetik erster Ordnung, ähnlich wie ein radioaktiver Zerfall. Die Wahrscheinlichkeit für einen einzelnen Übergang hängt von der näheren Umgebung des
jeweiligen Protons ab, und ist im Idealfall einer homogenen Probe und eines homogenen Feldes für jeden Kern gleich. Anders als beim einfachsten Modell für eine
chemische Reaktion mit einer Kinetik erster Ordnung ist der Endzustand beim
Spinsystem nicht die vollständige Umwandlung des betrachteten ‚Eduktes’ in ein
‚Produkt’, sondern das thermodynamisch günstigste Verhältnis von α zu β Spins
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(Gleichung 2-5-10). Für die Anschauung ist es am einfachsten, sich das Verhalten
der idealisierten Probe nach einem Transfer aus einem Feldfreien Raum in das
Magnetfeld B0 vorzustellen. Auf den Mechanismus der Relaxation hingegen soll an
dieser Stelle noch nicht näher eingegangen werden.
So lange die Probe sich außerhalb des Feldes befindet, sind die Kernspinniveaus
energetisch entartet, also Eα=Eβ. Damit sind beide Kernspinorientierungen gleich
wahrscheinlich, womit für die Besetzungszahldichten (Spins pro Volumeneinheit)
Nα=Nβ=N/2
(2-6-1)
folgt und sich für die z-Komponente der Magnetisierung (=Gesamtdipolmoment pro
Volumeneinheit) ergibt:
Mz=Nα(½µNgN)+Nβ(-½µNgN)=0
(2-6-2)
Nach Einbringen der Probe in das statische Magnetfeld B0 zum Zeitpunkt t=0 ist die
Entartung der Kernspinniveaus aufgehoben, d.h. es gilt jetzt nach Gleichung 2-5-9
Eα<Eβ und Eβ-Eα= ∆E=ћ γ B « kT
(2-6-3)
Da die Energiedifferenz klein ist gegenüber kT werden zwischen den Kernspinniveaus thermische Übergänge induziert (genauere Beschreibung folgt weiter unten),
deren Kinetik den folgenden Ratengleichungen 1. Ordnung gehorcht:
dN ( t )
dNα ( t )
= −k αβNα ( t ) + k βαNβ ( t ) = − β
dt
dt
(2-6-4)
Hierbei wurden für die beiden Spinumkehrprozesse die Geschwindigkeitskonstanten
kαβ und kβα eingeführt, von denen an dieser Stelle noch nichts Näheres bekannt
ist. Die Rechnungen vereinfachen sich, wenn man die Besetzungszahldifferenz n(t)
einführt
n(t)=Nα(t)-Nβ(t)
(2-6-5)
und außerdem die folgenden einfachen Zusammenhänge berücksichtigt:
N= Nα(t)+Nβ(t)
(2-6-6)
Nα(t)= ½ [Nα + Nβ + Nα - Nβ]
Æ
und analog
Nα(t)= ½ [N + n(t)]
(2-6-7)
Nβ(t)= ½ [N - n(t)]
(2-6-8)
Für die zeitliche Veränderung von n(t) folgt mit Gleichung (2-6-4):
dn( t )
= (k βα − k αβ )N − (k βα + k αβ )n( t )
dt
(2-6-9)
Da die zeitliche Ableitung von n im thermischen Gleichgewicht verschwindet, kann
aus Gleichung (2-6-9) der folgende Ausdruck für den Gleichgewichtswert von n
aufgestellt werden (der Gleichgewichtswert sei mit n∞ bezeichnet):
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n∞ = N
k βα − k αβ
k βα + k αβ
⇔ N = n∞
k βα + k αβ
12
(2-6-10)
k βα − k αβ
Unter Verwendung der Größe n∞ vereinfacht sich Gleichung (2-6-9) damit zu
k βα + k αβ
dn( t )
= (k βα − k αβ )n ∞
− (k βα + k αβ )n( t )
dt
k βα − k αβ
(2-6-11)
= (n ∞ − n)(k βα + k αβ )
Führt man ferner in der Form
1
= k βα + k αβ
T1
die wichtige Größe der Spin-Gitter-Relaxationszeit T1 ein, welche allgemein die
Geschwindigkeit der Einstellung der Gleichgewichtsmagnetisierung entlang des
äußeren Feldes beschreibt, so erhält man schließlich den Zusammenhang
dn( t ) n ∞ − n
.
=
dt
T1
(2-6-12)
Im betrachteten Falle wurde die Probe zum Zeitpunkt t=0 frisch in das Magnetfeld
gebracht, so dass Anfangs noch beide Spinniveaus gleich besetzt sind:
Nα(0)=Nβ(0)=½ N
⇔
n(0)=0
Damit ergibt sich für die Differentialgleichung (2-6-12) die einfache Lösung
t
− 

T1 

n( t ) = n∞ 1 − e




1,0
(2-6-13)
deren Gültigkeit sich leicht durch Einsetzen in (2-6-12)
überprüfen lässt. Der Verlauf einer solchen Kurve ist rechts
skizziert.
n/n
8
0,5
0,0
0
2
t
4
6
Aus Gleichung (2-5-10) ist bereits bekannt, dass
Nβ
 − ∆E 
= exp
.
Nα
 kT 
Berücksichtigt man wieder, dass ∆E« kT, so erleichtern folgende Näherungen die
weiteren Rechnungen:
exp(-x)≈(1-x) & (2+x)-1 ≈ ½ für kleine x.
Damit lässt sich die relative Besetzungsdifferenz n∞/N wie folgt abschätzen:
n ∞ Nα (1 − Nβ / Nα ) ∆E
=
≈
N Nα (1 + Nβ / Nα ) 2kT
(2-6-14)
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Bis zu dieser Stelle wurde der Magnetismus nur zur Berechnung der Energien der
beiden Spinzustände benötigt, die übrige Herleitung erfolgte analog der Kinetik einer
Gleichgewichtsreaktion. Um nun die Magnetisierung als Funktion der Zeit aus den
Besetzungszahlen ausrechnen zu können, benötigt man den Zusammenhang
zwischen Protonenspin und magnetischem Dipolmoment (vgl. Gleichung 2-5-2):
r
r
µ = γs
(2-6-15)
(Im Unterschied zu Gleichung 2-5-2 wird hier nicht mehr ein allgemeines
Dipolmoment, sondern bereits explizit der Protonenspin betrachtet.)
Entscheidend für das Verhalten der gesamten Probe (oder etwas abstrakter: des
Spinensembles) ist das Gesamtdipolmoment pro Volumeneinheit, die mit dem
Erwartungswert des magnetischen Dipolmomentes wie folgt zusammenhängt:
r
r
M = N⋅ µ
(2-6-16)
r
Damit gilt insbesondere für die einzelnen Komponenten von M :
Mx=N·<µx>
My=N·<µy>
Mz=N·<µz>
In diesem Abschnitt wird nur die z-Komponente betrachtet, die ausschließlich vom
den Besetzungszahlen sowie den Werten der z-Komponenten der beiden
Spinorientierungen abhängt (vgl. Gleichung 2-5-5):
Mz=Nα(γ½ћ)+Nβ(-γ½ћ)
=½ћ γ(Nα-Nβ)=½ћ γ n
Zeitabhängig ergibt sich damit Mz(t)= ½ћ γ n(t) und mit Gleichung 2-6-13
Mz(t)= M∞ [1-exp(-t/T1)], wobei M∞= ½ћ γ n∞
(2-6-17)
den Gleichgewichtswert der z-Magnetisierung bezeichnet, dem der Relaxationsprozess zustrebt.
Die Geschwindigkeit, mit der sich die Magnetisierungskomponente Mz ihrem
thermischen Gleichgewichtswert annähert, ist proportional zu 1/T1 und kann als
Charakteristikum der untersuchten Probe angesehen werden. Die für verschiedene
Materialien ermittelten T1-Werte erstrecken sich dabei über den Bereich von
Mikrosekunden bis zu einigen Sekunden.
Um den Charakter dieses Prozesses zu verstehen, betrachten wir die Energiedichte
u (Energie pro Volumeneinheit) des Kernspinsystems.
Für die Energie eines einzelnen Spins gilt je nach Orientierung (vgl. Gleichung 2-5-8)
Eα= -½ ћ γ B0 & Eβ= +½ ћ γ B0 ,
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so dass sich die Energiedichte u(t) in Analogie zur Magnetisierung folgendermaßen
aus den Besetzungszahlen Nα und Nβ berechnet:
u(t) = EαNα(t)+EβNβ(t)
u(t) = -½ ћ γ B0[Nα(t)-Nβ(t)]
= -½ ћ γ B0 n(t)
Mit der Definition E0 = ½ ћ γ B0 n∞ und n(t)=n∞[1-exp(-t/T1)] (Gleichung 2-6-13) folgt
u(t) = -E0[1-exp(-t/T1)]
0
t
u(t)
Aus der letzten Gleichung geht hervor, dass im
Verlauf der Gleichgewichtseinstellung die Energie
des Kernspinsystems abnimmt (vgl. nebenstehende
Skizze), d.h. Energie aus dem Spinsystem an dessen
Umgebung abgegeben wird. Das umgebende
Medium wird dabei aus historischen Gründen als
„Gitter“ und der Prozess folglich als Spin-GitterRelaxation bezeichnet, auch wenn die Probe eine
Flüssigkeit oder ein Gas ist.
(2-6-18)
-E0
Der Mechanismus der Spin-Gitter-Relaxation eines herausgegriffenen Kernspins
beruht darauf, dass durch die thermische Bewegung von Kernmomenten in seiner
Nachbarschaft ein oszillierendes B-Feld erzeugt wird, das Spinübergänge dieses
Kernspins induziert, wenn im zeitabhängigen B-Feld auch Frequenzen auftauchen,
die dicht genug bei der Larmorfrequenz ωL liegen. Befinden sich paramagnetische
Ionen im Lösungsmittel, so tragen auch weiter entfernte und damit insgesamt mehr
Moleküle zum oszillierenden B-Feld bei, da das magnetische Dipolmoment des
Elektronenspins um drei Zehnerpotenzen größer als das der Kernspins ist. Damit
vergrößert sich die Amplitude jenes oszillierenden Feldes und damit auch die
Übergangswahrscheinlichkeit, womit T1 kleiner wird. Dies wird weiter unten noch im
Detail diskutiert. Im folgenden Abschnitt muss zusätzlich zum einfachen 2-NiveauSystem ein halbklassisches Bild der Magnetisierung hinzugezogen werden, um
einerseits die Wechselwirkung mit äußeren Feldern und andererseits das Wesen und
die Relaxation der transversalen Magnetisierung verstehen zu können.
2.7 Klassische Sichtweise der Magnetisierung – Vektorbild
Für ein Zwei-Niveau-System (Ι=½) ist eine klassische Behandlung
r im so genannten
Vektorbild möglich. Durch Wechselwirkung
des angelegten B0 -Feldes mit dem
r
r
magnetischen Moment µ = γ Ι eines Kernspins entsteht ein Drehmoment, also eine
zeitliche Änderung des Drehimpulsvektors:
r
r r r
dΙ
D = µ × B0 =
(2-7-1)
dt
Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR 15
r
Hierbei bezeichnet Ι den Drehimpulsvektorr (Im Falle des Kernspins könnte man
r
diesen auch mit s bezeichnen, jedoch ist Ι für die nachfolgenden Betrachtungen
geeigneter, da allgemeiner)
Das Kreuzprodukt (auch Vektorprodukt) darf nicht mit dem Skalarprodukt
verwechselt werden. Letzteres ergibt als Wert eine skalare Größe (also eine einfache
reelle Zahl), die umso größer ist, je kleiner der Winkel zwischen den betrachteten
Vektoren ist, und für zueinander
senkrecht stehende Vektoren zu Null wird. Das
r
r
r
Kreuzprodukt
von µ und B 0 hingegen ergibt
Vektor, der senkrecht auf µ und
r einen
r
r
r
B 0 steht, und dessen Länge
sich nach D = | µ | | B 0 | sin βr berechnet, wobei β der
r
r
r
Winkel zwischen µ und B 0 ist. Sie wird also maximal für µ ⊥ B 0 .
r
r
Der Drehimpuls ist über das gyromagnetische Verhältnis µ = γ Ι mit dem magnetischen Moment verknüpft. Daher folgt, analog zu einem
r schweren Kreisel im Gravitar
tionsfeld, dass das magnetische Moment µ um das B0 -Feld gemäß der Gleichung
r
r
r r
dµ
dΙ
=γ
= γ µ × B0
(2-7-2)
dt
dt
mit der Kreisfrequenz ωL (Larmorfrequenz) präzediert, d.h., seine Drehachse dreht
sich wiederum um eine weitere Achse, die schräg zu ihr selbst steht.
r
Da die zeitliche Änderung von µ einerseits senkrecht
r
auf B 0 und damit zur z-Achse, und andererseits auch
senkrecht zu sich selber stehen muss, beschreibt der
r
Vektor µ eine Kegelfläche und seine Spitze (‚Pfeilende’) eine Kreisbahn. Die Präzession wird durch
r
den Vektor ωL beschrieben, welcher in der Drehachse liegt, und um welchen die Drehung konventionsgemäß entgegen dem Uhrzeigersinn erfolgt (vgl.
Abbildung rechts). Analog gilt für die makroskopische
r
Magnetisierung M :
r
r r
r r
dM 1
= ∑ γ µ i × B0 = γ M × B0
(2-7-3)
dt
V i
r
M ist also beschrieben als die Vektorsumme aller beitragenden einzelnen Magnetir
sierungen µi und führt ebenfalls eine Präzessionsbewegung aus.
Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR 16
r
Rotierendes Koordinatensystem – Pulse als mitgeführtes Feld B1 ’
Zur weiteren Beschreibung erweist es sich als
nützlich, ein um die z-Achse rotierendes
Koordinatensystem RKS einzuführen, dessen
r r r
r
Einheitsvektoren mit e x ' , e y ' , e z ' = e z bezeichnet
werden sollen. Dieses dreht sich zusammen mit
r
der Magnetisierung M bezüglich des (ruhenden) sog. ‚Laborsystems’ um die z-Achse, es ist
also mit dem ‚normalen’, ruhenden Koordir
natensystem über die Larmorfrequenz ωL
verknüpft (siehe Abbildung rechts).
r
Folglich ruht der Vektor M ’ inr diesem rotierenden Koordinatensystem. Dementsprechend muss das Magnetfeld B0 ’ ‚aus Sicht’ desr rotierenden Koordinatensystems
ebenfalls verschwinden, denn ansonsten müsste M ’ eine Präzessionsbewegung um
dieses Feld durchführen. Dass das Magnetfeld ‚verschwindet’ bedeutet, dass es mit
keinem Messgerät nachgewiesen werden kann, welches sich ebenfalls mit dem
Koordinatensystem bewegt.
Dies allgemein nachzuweisen, würde an dieser Stelle zu weit führen, man kann es
jedoch noch an einem weiteren einfachen Beispiel veranschaulichen: Eine bewegte
Ladung würde in einem Magnetfeld auf eine Kreisbahn abgelenkt, deren Analyse
Rückschlüsse auf das ablenkende Feld zuließe. Rotiert der Beobachter jedoch mit
der zu dieser Bahn gehörigen Kreisfrequenz, so ruht das Elektron wieder, folglich
muss er schließen, dass es auch kein Magnetfeld gibt.
Das rotierende Koordinatensystem ist äußerst hilfreich wenn man die Änderung der
Magnetisierung durch die Einstrahlung von magnetischen Wechselfeldern verstehen
möchte, also das, was man als Kernspinresonanz bezeichnet.
Einen einfachen Zugang bietet die ‚Aufgabe’, die z-Magnetisierung umzudrehen. Das
würde im ‚Besetzungszahlenbild’ eine Vertauschung von Nα und Nβ r(Æ Besetzungsinversion) und im ‚Vektorbild’ eine Inversion der z-Koordinate von M bedeuten. Da
die z-Koordinaten von ruhendem und rotierendem
Koordinatensystem gleich sind, ist
r
dies gleichbedeutend mit einer Drehung von M ’ um 180°. Diese findet im rotierenden
Koordinatensystem statt!
Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR
17
r
r
Um eine Magnetisierung
’
zu
drehen,
benötigt
man
ein
äußeres
Feld
B
M
1 ’, welches
r
r
senkrecht auf M ’ steht. M ’ verändert sich dann gemäß
r
r
r
dM '
= γ M ' × B1' ,
(2-7-4)
dt
r
r
r
r
r
d.h., der Vektor M ’ dreht sich mit der Kreisfrequenz ω1 ’=-γ B1 ’ um das Feld B1 ’. ω1 ’
ist hierbei wiederum eine Larmorfrequenz, allerdings hat sie nichts mit der Larmorr
frequenz ωL zu tun.
r
Sie beschreibt die langsame Drehung des Vektors M ’
im rotierenden Koordinatensystems, also bildlich
gesprochen aus Sicht eines Beobachters, der auf
r
einem Drehstuhl sitzt, welcher sich wiederum mit ωL
r
dreht. ωL liegt, wie erwähnt, üblicherweise im >1 MHzr
Bereich, während in der Praxis typische Werte von ω1
eher einen Faktor
10 darunter liegen. Um die
r
Magnetisierung M ’ um genau 180° zu drehen, muss
das
Feld
genau
für
eine
Dauer
von
r
τ180°=180°/ ωL eingeschaltet sein.
Aus Sicht eines nicht-rotierenden Beobachters stellt sich
r also die Aufgabe des 180°Pulses so dar, dass für eine Zeitdauer τ180° ein Feld B1 eingeschaltet werdenr muss,
welches der Präzessionsbewegung der umzuklappenden Magnetisierung M exakt
folgt, so dass es aus deren Sicht ein ruhendes Feld ist. Verwendet man andere
Einschaltzeiten τ, so erhält man entsprechend andere Winkel, um welche die
Magnetisierung gedreht wird (z.B. nur um r90° beim sog. 90°-Puls). Allgemein
r
berechnet sich der Kippwinkel nach α= ωL τ = γ| B1 |τ (siehe Abbildung) .
Somit können im RKS mit Hilfe von Pulsen im Radiofrequenzbereich (kurz: RFPulse) definierter Dauer und Phasenlage die magnetischen Momente und damit auch
die makroskopische Magnetisierung gedreht werden. Dabei wird - für vorgegebenen
Drehwinkel - eine möglichst kurze Pulslänge τ, also ein möglichst großes B1-Feld angestrebt, da dies nach der Unschärferelation der Anregung eines breiteren Frequenzspektrums entspricht.
In der Praxis werden für die verschiedenen Pulse
nicht tatsächlich rotierende Felder
r
r
B
erzeugt,
sondern
senkrecht
zum
Hauptfeld
eingestrahlte
Wechselfelder
B
0
1 der
r r 0
Form B1 = B1 [cos(ωLt+φ)]. (φ bezeichnet hier die an dieser Stelle
r nicht weiter wichtige
Phase des Wechselfeldes, die nicht zwingend = 0 ist, da ansonsten B1 in jedem Fall seinen
Maximalwert bei t=0 annehmen müsste.)
r
r
Dieses linear oszillierende Wechselfeld B1 hat auf die Magnetisierung M ’ im
rotierenden Koordinatensystem die gleiche Wirkung wie ein kreisendes Feld. Dies
liegt daran, dass sich einerseits ein zirkulares Feld aus zwei linear oszillierenden
Feldern zusammensetzt, die senkrecht zueinander stehen und eine Phasenver-
Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR 18
schiebung von 90° zueinander haben, und andererseits ein linear polarisiertes Feld
gleichbedeutend ist mit zwei zirkular polarisierten Feldern gegenläufiger Drehrichtung. Dieser Zusammenhang soll im Folgenden deutlich werden.
r
Ein in der xy-Ebene gegen den Uhrzeigersinn rotierendes Feld B1 - mit der Kreisfrequenz ωL würde beschrieben durch
r−
0  cos( ωL t ) 

(2-7-5)
B1 ( t ) = B1 
sin(
t
)
ω
L


r
Die Drehung eines Feldes B1 + mit dem Uhrzeigersinn wird beschrieben durch die
betragsmäßig gleiche Kreisfrequenz mit umgekehrtem Vorzeichen, also durch -ωL.
Unter Beachtung von sin(-x)=-sin(x) und cos(-x)=cos(x) erhält man
r+
rot  cos( −ωL t ) 
rot  cos( ωL t ) 

 = B1 
B1 ( t ) = B1 
 − sin(ωL t ) 
 sin( −ωL t ) 
Die additive Überlagerung der beiden rotierenden Felder ergibt dann:
r ges
rot  cos( ωL t ) 
rot  cos( ωL t ) 

 + B1 
B1 ( t ) = B1 
 − sin(ωL t ) 
 sin(ωL t ) 
⇔
r ges
rot  cos( ωL t ) + cos( ωL t ) 
rot  cos( ωL t ) 
 = 2 B1 

B1 ( t ) = B1 
0


 sin(ωL t ) − sin(ωL t ) 
r
Damit hat B1 ges nur noch eine x-Komponente und kann geschrieben werden als
r
r
B1 ges=B1 cos (ωLt) e x ,
(2-7-6)
wobei B1=½B1rot gesetzt wurde.
Von den zwei zirkularen Komponenten, aus denen das linear oszillierende Feld
besteht, tritt nur eine nennenswert mit den Protonen in Wechselwirkung, nämlich
diejenige, die sich im gleichen Drehsinn bewegt wie die Präzession eines einzelnen
Spins (vgl. Abschnitt 2.7). Dies ist aus Sicht eines Beobachters im rotierenden
Koordinatensystem leicht zu verstehen: für diesen ruhen sowohl der eigentlich präzer
dierende Spin als auch die mit diesem rotierende Komponente B1 +. Die gegenläufige
r
Komponente B1 - ist aus dieser Sicht jedoch ein Hochfrequenzsignal mit der Frequenz
2wL. Dessen Einfluss auf den präzedierenden Einzelspin mittelt sich zeitlich heraus,
so dass der Effekt eines linear oszillierenden Feldes in der Tat gleich dem eines im
richtigen Drehsinn rotierenden ist. Daher genügt eine einzige Spule für die
Erzeugung des Hochfrequenzsignales (siehe Abbildung auf der folgenden Seite).
Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR 19
Detektierbares Signal
Was geschieht nun mit der Magnetisierung nach einem 90°-Puls? Vernachlässigt man zunächst Relaxationsefr
fekte, bleibt die Magnetisierung M ’ im
RKS unverändert, d.h. im Laborsystem
findet eine Präzession um die z-Achse
statt. Details werden im Abschnitt zur
Spin-Spin-Relaxation
beschrieben.
Wichtig ist die Rolle dieser rotierenden
Magnetisierung für den eigentlichen
Messvorgang: In einer Spule, die
r senkrecht zum äußeren Magnetfeld B0 steht
und die auch zur Einstrahlung der RFPulse dient, induziert die magnetische Schematische Zeichnung eines Puls NMRFlussänderung, hervorgerufen durch Gerätes. Sende- und Empfangsspule sind
die präzedierende Magnetisierung, ein getrennt eingezeichnet, sind aber oft identisch.
Wechselstrom.
Dieser ist das Messsignal in allen Anwendungen der Kernspinresonanz, egal ob es
um Spektroskopie oder Relaxation geht.
2.8 Relaxationsprozesse – Teil2
Bislang sind die Kernspins als isoliert betrachtet worden. Dies ist aber nur in seltenen
Fällen eine gute Beschreibung. Häufig wechselwirken die Kernmomente direkt miteinander (z. B. über dipolare magnetische Kopplungen) bzw. mit ihrer Umgebung
(z.B. durch die sog. chemische Verschiebung oder quadrupolare Wechselwirkung).
All diese Mechanismen führen in erster Näherung zu einer charakteristischen, von
lokalen Parametern wie Nächste-Nachbar-Abstand,
Orientierung des lokalen Wechr
selwirkungstensors zu B0 , usw. abhängigen weiteren Aufspaltung der Energieniveaus, die ausgenutzt werden kann, um eben diese Parameter zu bestimmen. Aufgrund endlicher Temperatur und der damit verbundenen Bewegung der Atome und
Moleküle treten neben statischen Feldern auch zeitabhängige Wechselwirkungen
auf, die in einer dementsprechend zeitabhängigen Störungsrechnung behandelt
werden. Daraus ergibt sich, dass durch diese Wechselfelder induzierte Übergänge
eine Relaxation des Spinsystems von angeregten Zuständen (z. B. nach einem Puls)
in das thermische Gleichgewicht ermöglichen. Prinzipiell lassen sich Relaxationsphänomene in zwei Gruppen einteilen: (a) die bereits diskutierte Spin-Gitter- oder
longitudinale Relaxation, die mit einem Energietransfer vom Spinsystem zum Rest
des Systems, auch Gitter genannt, verbunden ist und (b) die Spin-Spin- oder
transversale Relaxation, bei der dieser Energieübertrag fehlt und die allein durch
eine Entropiezunahme im Spin-System gekennzeichnet ist. Diese wird im folgenden
diskutiert werden.
Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR 20
Transversalrelaxation – Analogon zum Gleichlauf von Uhren
Durch einen 90°-Puls
kippt die makroskopische Magnetisierung in die x-y-Ebene und
r
beginnt um das B0 -Feld zu präzedieren. Tatsächlich zerfällt jedoch, zusätzlich zur
Spin-Gitter-Relaxation, die Phasenbeziehung der einzelnen Kernspins im Laufe der
Zeit aufgrund rvon fluktuierenden Feldern. Es kann für t→∞ keine Magnetisierung
senkrecht
zu B0 existieren, da es keine statischen Feldkomponenten senkrecht zu
r
B0 gibt. Die durch den RF-Puls erzwungene Quermagnetisierung muss deshalb
zerfallen. Dieser Zerfall wird durch die transversale bzw. Spin-Spin-Relaxationszeit
T2 charakterisiert und ist ein irreversibler Prozess.
Die Quermagnetisierung soll anhand eines anschaulichenr Spezialfalles illustriert
werden. Im Gleichgewicht zeigt der Magnetisierungsvektor
M der Probe genau in zr
Richtung, was auch für
r den Vektor M ’ im rotierenden Koordinatensystem gilt. Durch
einen 90°-Puls wird M ’ in die xy-Ebene gekippt. Im rotierenden Koordinatensystem
ruht er, wie oben diskutiert, womit er im ruhenden Koordinatensytem eine Drehbewegung wie ein Uhrzeiger ausführt, und zwar mit der
r Kreisfrequenz ωL. Könnte
man die Spin-Gitter-Relaxation abschalten, würde M ’ in rdieser Ebene bleiben.
Aufgrund der Spin-Spin-Relaxation würde der Betrag von M ’ dennoch
abnehmen,
r
r
was darauf zurückzuführen ist, dass die Gesamtmagnetisierung M ’ bzw. M die
Vektorsumme der magnetischen Momente aller Protonen darstellt.
Nach einem 90°-Puls zeigen von
diesen zwar gleich viele in positive
wie in negative z-Richtung, womit Mz
verschwindet, die x- und y-Komponenten sind jedoch nicht mehr
gleichmäßig in alle Raumrichungen
verteilt, sondern sie laufen nun zu
einem gewissen Anteil in Phase
(siehe Abbildung rechts).
r
r
Wieder auf den Gesamtvektor bedeutet dies: Die Länge von
bzw.
’ ändert sich
M
M
r
r
durch den 90°-Puls nicht und betrug im Gleichgewicht | M |=| M ’|=Mz=M∞. Es wird
also bildlich das, was vorher an Spin-Überschuss in eine Richtung vorhanden war,
um 90° in die xy-Ebene gekippt, wo sich dann eine rotierende Magnetisierung
einstellt, die beschrieben wird durch
 M∞ cos( ωL t ) 
r


M( t ) =  − M∞ sin(ωL t )  .


0


(2-8-1)
Diese rotierende Magnetisierung kann jedoch prinzipiell ‚ins Nichts’ verschwinden,
denn sie lebt ausschließlich vom ‚Gleichschritt’ der einzelnen beitragenden
Kernspins. In der Regel ist die nicht einheitliche Larmorfrequenz der Protonen ein
dominierender Beitrag zum raschen Abklingen der rotierenden Magnetisierung: zwar
Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR 21
rotieren die Spins zu Beginn in Phase, je stärker die Vielfalt der Frequenzen jedoch
ist, umso schneller klingt das FID-Signal wieder ab.
Die Frequenzenvielfalt kommt einerseits durch chemische Verschiebungen, was in der NMR-Spektroskopie
ausgenutzt wird, und andererseits
durch Inhomogenitäten im Magnetfeld. Letztere ist in den allermeisten
Fällen eher ein Störfaktor. Weiter
unten wird jedoch gezeigt werden,
dass
Signalverluste
aufgrund
uneinheitlicher Frequenzen durch Erzeugung eines
‚Echos’ wieder Reversibler Anteil des Phasenverlustes im Spinrückgängig gemacht werden können. system: unterschiedliche Larmorfrequenzen
Die eigentliche Spin-Spin-Relaxation bezeichnet hingegen irreversible Prozesse, bei
denen Spins durch Wechselwirkung mit ihrer Umgebung den Phasenbezug zum
Rest des Ensembles verlieren und somit nicht mehr zum Gesamtsignal beitragen. Da
sich hierbei die Gesamtenergie des Spinsystems (die nur von der z-Komponente abhängt) wie auch des Gitters aber nicht ändert, sondern nur die Kohärenz innerhalb
der Spinsystems verloren geht, spricht man auch von einem Entropieprozess.
Empirisch lässt sich die Kinetik der Spin-Spin-Relaxation ebenfalls über eine
Relaxationszeit beschreiben, die in diesem Falle mit T2 bezeichnet wird. Sie
beschreibt die Abnahme der kreisenden Magnetisierung in der folgenden Form:
r
r
Mxy(t)=M∞exp(-t/T2), mit Mxy=| M |=| M ’|
(2-8-2)
Zusammen mit der zeitlichen Entwicklung der z-Magnetisierung nach einer Störung,
die durch
Mz(t)= M∞ [1-exp(-t/T1)]
(2-8-3)
beschrieben wird, erhält
r man damit den wichtigen Ausdruck für das zeitliche
Verhalten des Vektors M( t ) :
 M∞ cos( ωL t ) exp( −t / T2* ) 
 cos(ωL t ) exp( −t / T2* ) 




r
*
*
M( t ) =  − M∞ sin(ωL t ) exp( −t / T2 )  = M∞  − sin(ωL t ) exp( −t / T2 ) 




M
[
1
−
exp(
−
t
/
T
)]
[
1
−
exp(
−
t
/
T
)]
∞
1
1




(2-8-4)
Beachten Sie, dass in diesen Gleichungen nicht T2 sondern T2* für die Abnahme der
Transversalmagnetisierung verwendet wurde. Wie beschrieben tragen zwei
Prozesse hierzu bei, von denen einer reversibel (uneinheitliche Frequenz) und einer
irreversibel (Spin-Spin-Relaxation) ist. Fasst man den Signalverlust als kinetischen
Prozess auf, für den zwei parallel ablaufende und voneinander unabhängige
Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR 22
‚Reaktionen’ verantwortlich sind, so addieren sich die Reaktionsraten. In diesem
Falle sind dies die Kehrwerte der zugehörigen Relaxationszeiten, die mit Trev und
T2irrev bezeichnet werden seien. Damit gilt:
1
1
1
=
+
*
Trev T2irrev
T2
(2-8-5)
Es sei abermals unterstrichen, dass die eigentlich interessante Messgröße, die von
Spin-Spin-Wechselwirkungen abhängt, die Relaxationszeit T2irrev ist, die ab sofort nur
noch verkürzt als T2 bezeichnet wird.
Häufig wird im Zusammenhang mit detektierten NMR-Signalen von Real- und
Imaginärteil gesprochen.
Dies ist nur eine Zusammenfassung der x- und yr
Komponente von M( t ) zu einer einzigen komplexen Zahl gemäß der Formel
Mxy(t)=Mx(t) + i My(t). Mit Gleichung 2-8-4 folgt dann
Mxy(t) = exp(-t/T2)·[cos(ωLt)-i·sin(ωLt)]
= exp(-t/T2) exp (-iωLt)
(2-8-6)
Achtung: Anders als in Gleichung (2-8-2) beschreibt Mxy(t) hier nicht mehr nur die
Amplitude, sondern das gesamte Signal der rotierenden Magnetisierung.
Gleichungen 2-8-4 und 2-8-6 beschreiben eine Spiralförmige Bewegung der
Transversalkomponente der Magnetisierung, wie sie in den beiden untenstehenden
Abbildungen skizziert ist.
Realteil (x-Komponente) und Imaginärteil (y- Projektion der zeitlichen Entwicklung der
Komponente) der Transversalmagnetisierung Magnetisierung in die xy-Ebene
Bezieht man nun weiterhin noch die z-Komponente mit ein, die sich gemäß
Gleichung 2-8-3 wieder der Gleichgewichtsmagnetisierung M∞ nähert, so kann man
das geometrische Bild der Relaxation noch vervollständigen. In der untenstehenden
r
Abbildung ist der Spezialfall T1=T2 nach einem 90°-Puls skizziert: Der Vektor M( t )
verfolgt eine sich in einem Gipfel zuspitzende Spiralbahn.
Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR 23
r
Zeitliches Verhalten von M( t ) in allen drei Raumkoordinaten für den Spezialfall T1=T2.
2.9 Erkenntnisgewinn aus dem Relaxationsverhalten
Vollständig isolierte Spins würden keine Relaxation zeigen. Damit es zu Relaxationserscheinungen kommen kann, muss vielmehr die Möglichkeit bestehen, dass die
Spins Energie austauschen können.
Energieaustausch innerhalb des Spinsystems ermöglicht den Abbau von
Phasenzusammenhängen (Kohärenz) innerhalb des Gittersystems, was durch die
oben diskutierte Spin-Spin-Relaxationszeit T2 quantitativ beschrieben wird. Hier bleibt
die Energie des Spinsystems in der Summe erhalten, die Entropie nimmt jedoch zu.
Energieaustausch zwischen dem Spinsystem und seiner Umgebung (dem ‚Gitter’)
ermöglicht die Rückkehr der Spins in ihre Gleichgewichtsverteilung (siehe Seiten 8
und 10), was durch die Spin-Gitter-Relaxationszeit T1 quantifiziert wird. Im
Gegensatz zu anderen molekularen Freiheitsgraden (IR, UV-VIS, …), bei denen
Energieabgabe vorwiegend durch spontane Emission erfolgt, ist die Quantenenergie
der NMR-Übergänge so gering, dass spontane Prozesse praktisch keine Rolle mehr
spielen. Spin-Gitter-Relaxationsprozesse sind demnach immer stimulierte
Emissionsprozesse. Solche stimulierten Emissionen werden durch entsprechende
Frequenzen aus verschiedenen stochastischen Magnetfeldfluktuationen induziert.
Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR 24
Relaxation durch rotatorische Diffusion
In Flüssigkeiten besonders wichtig sind (isotrope) rotatorische Diffusionsprozesse.
Eine auf diesen Prozessen basierende Theorie für die Relaxation von Kernen mit
Spin ½ wurde bereits 1948 von Bloembergen, Purcell und Pound abgeleitet und ist
als BPP-Theorie bekannt. Ihre genaue Herleitung würde an dieser Stelle zu weit
führen, daher sollen an dieser Stelle die Grundideen und die resultierenden
funktionalen Zusammenhänge beschrieben werden.
Die Bewegung der Moleküle impliziert eine Bewegung der Kerne zueinander, so
dass das Magnetfeld, welches am Ort eines bestimmten Kernes von den Kernen
seiner Umgebung erzeugt wird, nicht konstant ist sondern signaltechnisch ein
‚Rauschen’ darstellt. Dabei spielt die Translation eine geringere Rolle als die
Rotation, da Kerne im gleichen Molekül naturgemäß für längere Zeit vergleichsweise
dicht beieinander liegen und damit am ehesten einen Einfluss aufeinander ausüben
können, der sich nicht einfach ‚herausmittelt’. Zu bedenken ist in diesem
Zusammenhang, dass die Kerne ihre bevorzugten Spinorientierungen jeweils relativ
zum äußeren Feld einnehmen, die Molekülachsen hingegen spielen dann keine
entscheidende Rolle.
Man stelle sich z.B., wie in nebenstehender Abbildung skizziert,
einen kurzen Stab vor, bei dem an jedem Ende jeweils ein Kompass
befestigt ist. Auch wenn man diesen Stab drehte, zeigten die Kompassnadeln immer entlang der Nord-Süd-Achse. Da Magnetfelder
aber Dipolfelder sind, hängt die Wechselwirkungsenergie mit
benachbarten Dipolen nicht nur vom Abstand der Dipole, sondern
auch vom Winkel zwischen Distanzvektor und Dipolvektor ab. Die
gegenseitige Beeinflussung der Kompassnadeln wäre damit ebenfalls von der momentanen Orientierung des Stabes abhängig, und
bei ständiger Drehung würden die beiden Nadeln für einander
leichte Wechselfelder erzeugen.
Wären die Nadeln nun Protonen, und träfen diese Wechselfelder die Larmorfrequenz, so könnte die Spins jeweils aufgrund gegenseitiger Beeinflussung umklappen. Damit wäre der kinetische Kanal für die Einstellung des Gleichgewichtes
geschaffen. Zentraler Gegenstand der BPP-Theorie ist nun die ‚Häufigkeit’, mit der
bei eigentlich zufälliger Molekularbewegung die Larmorfrequenz ωL ‚getroffen’ wird.
Etwas exakter (aber immer noch vereinfachend) ausgedrückt: Ihr Anteil im Rauschspektrum der zufälligen Fluktuationen, der sich über eine Fouriertransformation
ermitteln ließe.
Zentrale Größe für das zeitliche Verhalten der rotierenden Moleküle und damit auch
für den Beitrag der ‚wirksamen Frequenzen’ ist die so genannte Korrelationszeit τ.
Leider gibt es für diese Größe keine unmittelbar anschauliche Darstellung. Eine
Hilfsvorstellung ist vielleicht die zeitliche Veränderung einer Wolke oder einer Rauchsäule. Innerhalb sehr kurzer Zeitabstände wird man kaum Veränderungen an der
Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR 25
äußeren Form feststellen können. Je länger man jedoch die Wolke sich selbst
überlässt, umso mehr wird sie sich von ihrer anfänglichen Gestalt entfernt haben. Die
Korrelationszeit könnte man sich in diesem Falle vorstellen als die Zeit, innerhalb der
sich die Wolke nur so weit verändert hat, dass man gerade noch den Bezug
zwischen momentaner Gestalt und anfänglicher Form erkennen kann. Die
Geschwindigkeit der Veränderungen und damit die Korrelationszeit τ werden
wiederum von solchen Eigenschaften des Mediums wie zum Beispiel der Viskosität
abhängen, welche die Beweglichkeiten innerhalb der Materie bestimmen. Dies gilt
insbesondere auch für die Rotationsbewegung von Molekülen, deren Korrelationszeit
in diesem speziellen Fall mit τrot bezeichnet wird. Diese Größe kann man sich nur
abstrakt als ein Maß für die Zeitskala vorstellen, auf der sich ein System signifikant
verändert, dessen Dynamik von ungeordneten Rotationsbewegungen bestimmt wird.
Sie ist leider nicht unmittelbar ein Maß für die ‚Umlaufzeit’ der Rotation einzelner
Moleküle.
Man kann mittels Fouriertransformation zeigen, dass die Spektraldichte J(ω), welche
den Beitrag der verschiedenen Frequenzen zur lokalen Magnetfeldfluktuation
darstellt, in der folgenden Form mit τrot zusammenhängt:
J(ω)=τrot/[1+(ωτrot)²]
Auch wenn diese Formel der Kompaktheit halber hier nur als Faktum erwähnt
werden kann, ist intuitiv nachvollziehbar, dass die Relaxationsprozesse schneller
verlaufen, wenn J(ωL) (Spektraldichte für die Larmorfrequenz) besonders hoch ist,
d.h. 1/T1 und 1/T2 sollten mit J(ωL) wachsen. In der BPP-Theorie wurde zusätzlich
noch gezeigt, dass auch der Wert von J bei der doppelten Larmorfrequenz [J(2ωL)]
besonders mit einfließt, und im Falle von T2 zusätzlich auch noch J. Dies wird durch
die nachfolgenden beiden Formeln ausgedrückt:
1
= K [J(ωL ) + 4 J(ωL )]
T1
1 K
= [3 J(0) + 5 J(ωL ) + 2 J(2ωL )]
T2 2
2
2 4
mit K =  µ 0  ⋅ 3h λ6 .
 4π  10r
Hierbei bezeichnet K die Kopplungskonstante für die homonukleare Dipol-DipolWechselwirkung. r ist der Kernabstand und ωL die Larmorfrequenz. Setzt man hier
den oben gezeigten Ausdruck für J(ω) ein, so ergeben sich die Formeln


τrot
1
4τrot
= K
+
2
2
T1
1 + (ωL τrot ) 1 + (2ωL τrot ) 

1 K
5τrot
2τrot
= 3τrot +
+
2
2
T2 2 
1 + (ωL τrot ) 1 + (2ωL τrot ) 
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Der Zusammenhang zwischen den Relaxationszeiten T1 und T2 und τrot ist somit
nicht trivial. Für sehr kleine τrot ergeben sich allerdings in jedem Fall kleine Werte für
beide Zeiten, für sehr große ebenfalls, da dann die Nenner der Brüche stärker
wachsen als die Zähler. Ein Maximum der Relaxationsrate 1/T1 ergibt sich somit für
ωLτrot≈0.616 (die Zeitkonstante T1 hat dort also ein Minimum).
Die Formeln können für große und kleine τ außerdem signifikant vereinfacht werden.
Man unterscheidet die beiden Grenzfälle
1. „slow motion“ für ωLτrot»1:
1
2 ⋅K
=
T1 ωL 2 τ rot
und
1
3 ⋅K
=
τ rot
T2
2
sowie
2. „extreme narrowing“ für ωLτrot«1:
1
1
= 5 ⋅ K ⋅ τ rot =
T1
T2
Es wird sich in der Tat zeigen, dass für sehr dünnflüssige Substanzen T1 und T2 nicht
weit auseinander liegen.
Ein Molekül in einer Flüssigkeit kann näherungsweise als kleine Kugel mit Radius r
betrachtet werden, die sich in einer homogenen Substanz der Viskosität η befindet.
Dann gilt der (an dieser Stelle nicht einfach herzuleitende) Zusammenhang
τ rot =
4 3 1η
πr
(k=Boltzmannkonstante).
3
kT
Er besagt in Worten, dass die Korrelationszeit τrot linear mit dem Volumen der Kugel
und mit dem Verhältnis von Viskosität zu Temperatur wächst.
Für große Temperaturen bzw. nur wenig viskose Flüssigkeiten kann damit der
‚extreme narrowing’-Fall angenommen werden. Es gilt dann
1
1
η
~
≈
T1 T2 T
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das zeitliche Verhalten der Relaxation
nach einer Störung der Gleichgewichtsmagnetisierung von zwei Relaxationszeiten
bestimmt wird, von denen die eine Energieaustauschprozesse zwischen Spinsystem
und Gitter beschreibt (Spin-Gitter-Relaxationszeit, T1), während die andere den Verlust der Phasenzusammenhänge von Spins durch Wechselwirkungen innerhalb des
Spinsystems beschreibt (Spin-Spin-Relaxationszeit, T2). Die Länge dieser Relaxationszeit hängt stark von den physikalischen (z.B. Viskosität, Aggregatzustand,…)
und chemischen Eigenschaften der untersuchten Substanzen ab, was im Folgenden
in ein paar ‚Faustregeln’ zusammengefasst ist:
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27
•
in leichtbeweglichen Flüssigkeiten unterscheiden sich T1 und T2 kaum
(motional narrowing, extreme narrowing) und liegen im Bereich einiger
Sekunden;
•
in viskoseren Substanzen und in Festkörpern können T1 und T2 mitunter um
mehrere Zehnerpotenzen voneinander abweichen, wobei die T1-Werte
mitunter weit länger sind als in Flüssigkeiten. T2 hingegen ist umso kleiner, je
’starrer’ die betreffenden Kerne im Molekül gebunden sind;
•
in der Umgebung von stark gekrümmten Oberflächen (poröse Medien) ist die
Beweglichkeit der jeweiligen Moleküle herabgesetzt. Für das ‚Frequenzspektrum’ der ungeordneten Bewegungen hat dies die gleiche Konsequenz
wie eine erhöhte Viskosität des Mediums. Für die im Rahmen des Versuchs
untersuchten Flüssigkeiten sinkt die Relaxationszeit mit steigender Viskosität
bzw. steigendem Anteil von Molekülen, die sich dicht vor Oberflächen
befinden;
•
in Gegenwart von paramagnetischen Substanzen verringern sich die Werte
von beiden Relaxationszeiten (eventuell um viele Zehnerpotenzen);
Aufgrund der aufgezählten Zusammenhänge sind NMR-Relaxationszeiten inzwischen in vielen Bereichen zu wichtigen Materialparametern geworden, die wesentliche Beiträge zum Verständnis der Wechselwirkungen sowohl innerhalb der Moleküle als auch zwischen den Molekülen leisten können. Für viele technisch oder medizinisch bedeutsame Systeme gibt es auch heute noch keine vollständig befriedigenden Theorien über deren NMR-Relaxationsverhalten, weshalb einschlägige
Messungen und theoretische Ansätze zu ihrer Interpretation hier immer noch
Gegenstand der aktuellen Forschung sind.
2.10 Relaxation in Gegenwart paramagnetischer Verunreinigungen
Die Entdeckung, dass ein geringer Anteil paramagnetischer Ionen in der zu untersuchenden Substanz die Kernrelaxationsrate 1/T1 drastisch steigern kann, war ein
wichtiger Punkt in der Geschichte der NMR und führte zu einem genaueren Verständnis der Relaxationsprozesse in Flüssigkeiten und Festkörpern.
Der Effekt rührt wiederum von einem stark flukturierenden lokalen Feld am Ort der
Protonen her. Dessen Quellen sind im magnetischen Moment der Elektronenhüllen
der paramagnetischen Ionen zu finden. Diese Dipol-Dipol-Wechselwirkung zwischen
den Protonen und z.B. Cu2+-Ionen ist intermolekular, d. h. neben der Orientierung
(vgl. vorangegangener Abschnitt) ändert sich auch der Abstand der beiden beteiligten Partner. Da das Elektron ein ca. 1000-mal größeres magnetisches Moment als
ein Proton hat, ist leicht einzusehen, warum schon ein geringer Anteil paramagnetischer Verunreinigungen, wie z. B. O2 oder Cu2+, deutliche Veränderungen der
longitudinalen Relaxationszeit der Probe verursacht. Wiederum ist der Gesamteffekt
der Relativbewegungen von Protonen und paramagnetischen Molekülen ein zufäl-
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28
liges ‚Rauschen’, welches je nach Materialeigenschaften größere oder kleinere
Frequenzanteile im Bereich der Larmorfrequenz enthält.
Wenn mehrere voneinander unabhängige Relaxationsprozesse wirksam sind, setzt
sich die gesamte gemessene Relaxationsrate additiv aus den Beiträgen der einzelnen Prozesse zusammen (vgl. auch Transversalrelaxation). Für eine wässrige
Lösung mit paramagnetischen Ionen gilt:
1
ges
1
T
=
1
para
1
T
+
1
H2O
1
T
H O
Dabei ist T1 2
die Relaxationszeit der Protonen in dem zur Lösung verwendeten
Wasser. Sie beträgt in unserem Fall 3.2 ± 0.2s und wird durch die Dipol-DipolWechselwirkung mit bereits im Wasser vorhandenen paramagnetischen Verunreinigungen, insbesondere durch gelösten Sauerstoff verursacht. Die Relaxationsrate
(1/T1para) ist proportional zur Konzentration der zugefügten paramagnetischen Ionen
cpara:
1
para
1
T
= R T1 c para
Für T2 gilt entsprechend:
1
para
2
T
= RT2 c para
Die Relaxivitäten RT1 und RT2 hängen von der jeweiligen Substanz ab. Aufgrund
dieser einfachen linearen Zusammenhänge kann NMR-Relaxation auch zur
Konzentrationsbestimmung paramagnetischer Verunreinigungen in einer Flüssigkeit
eingesetzt werden. Wenn Sie den Begriff ‚Relaxivität’ in eine Suchmaschine
eingeben, werden Sie feststellen, wofür der Einfluss paramagnetischer Substanzen
auf das Relaxationsverhalten außerdem noch nützlich sein kann.
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29
2.11 Messverfahren
2.11.1 Spektrum der Larmorfrequenzen – Gegenstand der NMR-Spektroskopie
Die Resonanzfrequenz der Atomkerne wird nicht allein durch das äußere Magnetfeld,
in dem sich die Probe befindet, sondern auch durch die unterschiedliche chemische
Umgebung der Atome innerhalb der Moleküle mitbestimmt. Man spricht in diesem
Falle von der ‚chemischen Verschiebung’. Je nach der untersuchten Kernart liegen
die chemischen Verschiebungen im Bereich von einigen wenigen ppm (parts per
million), wie z.B. beim Proton bzw. 1H, bis zu mehreren Promille (bei schweren
Kernen, z.B. 207Pb). Die Existenz der chemischen Verschiebung bildet die Basis der
Kernresonanzspektroskopie, die heute eines der wichtigsten Mittel zur Strukturaufklärung in der Chemie darstellt (vor allem für organische Verbindungen). Außer
zur Strukturaufklärung kann NMR-Spektroskopie auch zur Analyse von Substanzproben eingesetzt werden. Die spektroskopischen Anwendungen der NMR haben
sich in den letzten 20 Jahren zu einem sehr vielfältigen und kaum mehr überschaubaren Gebiet entwickelt.
Bei den ersten Experimenten zur NMR-Spektroskopie wurde das Sättigungsverhalten der Spins bei dauerhafter Einstrahlung von Radiowellen untersucht, deren
Absorption durch die Probe als Funktion der äußeren Magnetfeldstärke gemessen
wurde (oder es wurde bei konstantem äußeren Feld die Frequenz variiert). Dieses so
genannte ‚continuous wave’ (CW)-Verfahren machte die Aufzeichnung detaillierter
Spektren sehr zeitaufwändig, weshalb heute fast ausschließlich mit Puls-NMR
gearbeitet wird. Für deren Entwicklung wurde Professor R.R. Ernst im Jahr 1991 mit
dem Nobelpreis ausgezeichnet. Das Prinzip lässt sich vereinfacht so zusammenfassen: Ist ein eingestrahlter Radiofrequenzpuls hinreichend kurz, so ist seine
Frequenz (analog der Heisenberg’schen Unschärferelation) nicht exakt bestimmt,
sondern umfasst ein gewisses Spektrum höherer und niedrigerer Frequenzen.
Folglich kann er mit allen Spins in Wechselwirkung treten, deren Larmorfrequenzen
dicht genug an der ‚mittleren’ Frequenz liegen.
Wie bereits erwähnt, gibt es unmittelbar nach einer geeigneten Anregung ein in der
xy-Ebene rotierendes Magnetfeld, welches entlang der x- oder der y-Achse als
sinusförmiges Wechselfeld gemessen wird. Das schnelle Abklingen dieser Oszillation
(bezeichnet als FID = free induction decay) ist in erster Linie eine Konsequenz der
unterschiedlichen Larmorfrequenzen, die zum einen eine Folge der chemischen
Verschiebungen innerhalb der Moleküle sind, zum anderen aber auch von gerätoder probenbedingten Magnetfeldinhomogenitäten herrühren (siehe obige Diskussion zu T2* und T2). Trotz seines raschen Abklingens lässt sich das Wechselfeld über
eine Fouriertransformation auf seine Frequenzbestandteile hin analysieren (siehe
Abbildungen). Das Resultat ist das aus der Strukturaufklärung geläufige NMRSpektrum der jeweiligen Probe, welches dann auf der Frequenzachse einen Peak zu
jeder auftretenden Larmorfrequenz aufweist. Dies gilt allerdings nur, wenn das
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30
Frequenzspektrum nicht durch zusätzliche Feldinhomogeniäten verfälscht ist, welche
günstigstenfalls zu leichten Peakverbreiterungen führen würden, im ungünstigeren
Fall zu einer ‚Verschmierung’ des gesamten Spektrums.
FID-Signal bei nur einer Larmorfrequenz
Fouriertransformierte des FID-Signals
FID-Signal bei Überlagerung mehrerer Fouriertransformierte des FID-Signals von
chemisch verschobener Larmorfrequenzen Ethanol, Frequenzen auf δ-Skala dargestellt
In der NMR-Spektroskopie ist es üblich, die relative Frequenzverschiebung im
Vergleich zur Larmorfrequenz der äquivalenten Protonen in Tetramethylsilan (TMS)
auf der sog. Deltaskala darzustellen: δppm =106 (ν - νTMS)/νTMS
2.11.2 Pulsfolgen zur Messung des Relaxationsverhaltens
Aus dem FID allein, für dessen Erzeugung ein einziger Puls genügt, lassen sich in
der Praxis die Relaxationszeiten T1 und T2 nicht oder nur unzureichend genau
bestimmen. Zwar ist in jedem Fall das Messsignal ein von präzedierenden Spins
erzeugtes rotierendes Magnetfeld, welches wie der FID als Wechselstromsignal an
der Detektorspule gemessen wird, dem jeweiligen Messzeitpunkt gehen jedoch klar
definierte und an das jeweilige Problem angepasste Pulsfolgen voraus. In den
folgenden Abschnitten werden die wichtigsten dieser Pulsfolgen kurz vorgestellt,
beginnend mit denjenigen zur Bestimmung von T1. Zentrales experimentelles
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31
Problem ist, hier, dass die Magnetisierung parallel zum Hauptmagnetfeld B0 nicht
direkt messbar ist.
Pulsfolgen zur Bestimmung von T1 - allgemein
Alle Verfahren zur Bestimmung von T1 beruhen darauf, dass das thermodynamische
Gleichgewicht der Spinorientierungen und somit der Magnetisierung durch einen
oder mehrere Pulse gestört wird – schließlich beschreibt die Relaxation ja gerade die
Wiederherstellung dieses Gleichgewichtes. Dieser Wiederaufbau der Gleichgewichtsmagnetisierung wird als Funktion der Zeit beobachtet, wobei wiederum Pulse oder
Pulsfolgen notwendig sind, um die zu jeweils interessierenden Zeitpunkt erreichte
Magnetisierung ‚auszulesen’. Die eigentlichen Messsignale bestehen ja stets nur aus
in der xy-Ebene rotierenden Feldern, deren Amplitude jedoch keine Aussage über
die z-Magnetisierung zum Zeitpunkt der Messung selbst erlauben. Was man sich bei
den Pulsfolgen zu Nutze macht ist die Tatsache, dass die Anfangsamplitude des
FID-Signals unmittelbar nach einem 90°-Puls proportional zur vorherigen z-Magnetisierung ist. Bildlich kann man sich vorstellen, dass der Vektorpfeil, der im Gleichgewicht ruht und parallel zur Magnetfeldrichtung zeigt, durch den 90°-Puls in die xyEbene gekippt wird und dort dann mit der Larmorfrequenz rotiert. Natürlich wird
genau in diesem Moment die z-Magnetisierung wieder gestört, so dass danach die
Relaxation nicht weiter verfolgt werden kann. Dieses Problem wird gelöst, indem das
gleiche Experiment mehrfach hintereinander durchgeführt wird, und zwar i) bei
gleicher Anfangsmagnetisierung M0 = Mz(t=0) und ii) mit wachsend größeren Wartezeiten τ zwischen anfänglichem „Störungspuls“ (also einstellen von M0≠M∞) und
nachfolgendem 90°-Puls zum ‚Auslesen’ der jeweils wiedererlangten z-Magnetisierung. Um stets die gleiche Anfangsbedingung zu haben, muss jede Pulsfolge im
Gleichgewichtszustand starten, weshalb vor jedem Durchgang eine Wartezeit von
5·T1 einzuhalten ist. Damit dauern Relaxationsmessungen an langsam relaxierenden
Proben nicht nur deshalb länger, weil längere Zeiträume beobachtet werden müssen.
Unterschieden werden die jeweils verwendeten Sequenzen durch den Puls oder die
Pulse zur Wiederholten Einstellung von M0.
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32
90°-τ-90°-Methode
Diese Methode ist nur anwendbar, falls T2 « T1 ist. Mit dem
ersten 90°-Puls wird die Magnetisierung in die x-y-Ebene
gedreht. Nach einer Zeit t =
τ wird durch einen zweiten 90°Puls die in positiver z-Richtung
neu
aufgebaute
Magnetisierung in der Detektionsebene
nachgewiesen, da ein direkter
Nachweis entlang der z-Achse
nicht möglich ist. Ist T2 « T1
erfüllt, sollte es vor diesem
zweiten Puls bereits keine
transversalen Magnetisierungsanteile mehr geben. Der im
Anschluss beobachtbare FID
besitzt eine Anfangsamplitude,
die dem Wert Mz(t = τ) proportional ist (vgl. Gl. 2-8-2). Es gilt
(vgl. Gl. 2-6-17 und 2-8-2)
Mz(t)= M∞ [1-exp(-t/T1)].
Bestimmung von T1 mit der 90°-τ-90°-Methode
Die Messung von Mz(t) für verschiedene Zeiten, d. h. durch Variation des Pulsabstandes τ erlaubt die Bestimmung von T1. Dabei ist es notwendig, vor der Wiederholung einer Pulsfolge jedes Mal eine Wartezeit von mindestens 5·T1 einzulegen.
Erst nach dieser Zeit befindet sich das System wieder annähernd im
Gleichgewichtszustand (vgl. Abbildung). Statt des FID kann auch ein Signal
ausgewertet werden, welches zur Anfangsamplitude des FID proportional ist, nämlich
ein Spin-Echo (siehe unten). Dieses muss dann immer in einem festen Abstand nach
dem 2. 90°-Puls erzeugt werden.
180°-τ-90°-Methode
Dieses auch Inversion-Recovery-Methode genannte Verfahren findet bei Systemen
mit T1≈T2, wie z. B. in Flüssigkeiten, Verwendung. Durch einen 180°-Puls wird die
Gleichgewichtsmagnetisierung Mz = M∞ in Richtung der negativen z-Achse gedreht
und die Anfangsbedingung lautet Mz(0) = - M∞. Da die Magnetisierung parallel zur zAchse in dem verwendeten Aufbau keine direkt messbare Größe ist, wird im zweitem
Schritt der Impulsfolge nach der Zeit t = τ die zu diesem Zeitpunkt vorhandene zMagnetisierung mit einem 90°-Impuls in die x-y-Ebene gedreht („Schnappschuss” der
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33
z-Magnetisierung). Der zeitliche Verlauf von Mz(t) lässt sich wieder aus einer Folge
von Experimenten mit anwachsendem τ konstruieren.
Die zeitliche Veränderung der z-Magnetisierung verhält sich dann wie folgt:
Mz(t)= M∞ [1-2·exp(-t/T1)]
(Faktor 2 wegen Mz(0) = - M∞)
Die Bedingung Mz(0) = - M∞ ist in der Praxis
nicht einfach zu realisieren, da sich
Inhomogenitäten des B1-Feldes (also des
eingestrahlten Pulses) störend bemerkbar
machen. Es gilt allerdings mit hinreichender
Genauigkeit Mz(t→∞) = M∞ . Aus der
Steigung der logarithmisch aufgetragenen
Kurve M∞-Mz(t) lässt sich schließlich T1
bestimmen. Das System muss, wie bei der
90°-τ-90°-Methode, vor Beginn der nächsten
Teilmessung
in
das
Gleichgewicht
zurückgekehrt sein, d. h. eine entsprechende
Wartezeit von mindestens 5·T1 muss wieder
eingehalten werden. Die somit teilweise sehr
langen Messzeiten sind unvermeidbar für
T1≈T2.
Da die Magnetisierung durch die Nulllinie Spin-Gitter-Relaxation nach 180°x’-Puls:
verläuft, wird dieses Verfahren auch ‚Zero- Vektormodell und zeitlicher Verlauf
Crossing’-Methode genannt.
nx90°-τ-90°-Methode
Diese Methode stellt sicher, dass zur Zeit t = 0 jegliche Magnetisierung in z-Richtung
verschwunden ist. Damit lassen sich die sonst nötigen Wartezeiten zwischen zwei
Pulsen vermeiden. Voraussetzung hierfür ist wiederum T2 « T1 (mit T2 « τ « T1).
Dazu wird eine Serie von 90°-Pulsen eingestrahlt, die folgende Aufgabe hat: Der
erste Puls dieser Serie dreht die Magnetisierung aus der z-Richtung in die xy-Ebene.
Allerdings könnte diese Drehung aufgrund eines Justierfehlers (z. B. ungenau eingestellte Pulslänge) unvollständig sein. Daher wird, nachdem alle transversale Magnetisierung zerfallen ist (Wartezeit >5T2 aber deutlich kürzer als T1), ein zweiter 90°-Puls
angelegt, der jetzt die eventuell noch in z-Richtung verbliebene Magnetisierung in die
xy-Ebene dreht. Weitere 90°-Pulse vergrößern diesen Effekt und schließlich wird
jede Magnetisierung über die schnelle T2-Relaxation zerstört. Alle Zeeman-Niveaus
sind dann gleichbesetzt, d. h. gesättigt, daher auch der Name Sättigungsfolge
(saturation–recovery). Nach Zerstörung der Magnetisierung wird wieder zu einer Zeit
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34
t = τ nach dem Ende der Serie ein 90°-Nachweispuls angelegt und durch ihn die seit
der Sättigung neu entstandene Magnetisierung Mz(t = τ) gemessen.
Man kann unmittelbar danach wieder eine 90°-Pulsserie zur Sättigung einstrahlen
und dadurch einen wohl definierten Anfangszustand für alle Teilmessungen erzeugen, ohne 5·T1 warten zu müssen. Jede „Erinnerung” des Systems an die vorhergehende Teilmessung wird eliminiert. Durch Inkrementieren des Parameters τ wird
der Verlauf von Mz(t) bestimmt. Die durch die Sättigung mögliche Zeitersparnis ist
besonders bei Messungen langer longitudinaler Relaxationszeiten T1 (sofern T2 « T1)
wichtig.
Auswertung von T1-Messungen
In allen drei genannten Verfahren erhält man die Magnetisierung als Funktion der
Zeit. Im einfachsten Fall ist dies nur die Anfangsamplitude des FID, etwas indirekter
aber ähnlich effektiv ist die Auswertung des Echos (siehe unten). Für die 180°-τ-90°Methode muss jedoch auch das ‚Vorzeichen’ der Amplitude, also die Phase des
Signals, bekannt sein. Hier kommt dann nur noch die Auswertung des FID in Frage
und zwar mit einem phasensensitiven Detektor. Die beiden im Praktikum verwendeten Geräte arbeiten zur T1-Bestimmung unterschiedlich, Details besprechen
Sie bitte mit Ihrem Assistenten.
Angenommen, es sei ein Datensatz vorhanden, der das gewünschte Signal als
Funktion der Zeit enthält. Daran muss jetzt zur Bestimmung von T1 eine Funktion der
Form Mxy(t)=M∞ [1-2·exp(-t/T1)] bzw. Mxy(t)=M∞ [1-exp(-t/T1)] angepasst werden. So
lange die Summe in der Funktion enthalten ist, kann sie nicht durch Logarithmieren
linearisiert werden. Dies ist jedoch möglich, wenn man jeden Messpunkt vom Wert
M∞ abzieht. Man erhält dann die folgenden Wertereihen
M∞ -Mxy(t) = 2·exp(-t/T1)
(180°-τ-90°)
(2-11-1)
(90°-τ-90°)
(2-11-2)
⇔ ln (M∞ -Mxy(t)) = ln (2) - t / T1
oder
M∞ -Mxy(t) = exp(-t/T1)
⇔ ln (M∞ -Mxy(t)) = - t / T1
In halblogarithmischer Darstellung lässt sich dann (1/T1) jeweils durch Lineare
Regression bestimmen
Pulsfolgen zur Bestimmung von T2 - allgemein
Wie bereits beschrieben, nimmt der Betrag der transversalen Magnetisierungskomponente nach der Differentialgleichung dMxy/dt=-Mxy/T2 ab, was für ihr zeitliches
Verhalten bedeutet, dass Mxy(t)=Mxy0 exp (-t/T2). Für den Spezialfall eines 90°-Pulses
gilt Mxy0=M∞=Mz(t=∞)
Für ein homogenes Magnetfeld und ohne chemische Verschiebungen wäre schon
das Abklingen des FID’s ausschließlich von der Spin-Spin-Relaxation bestimmt, so
dass T2 kann direkt aus dem FID bestimmt werden könnte. Wie schon besprochen,
Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR
35
führt die vorhandene Magnetfeldinhomogenität meist zu einer Verkürzung des FID,
dessen Abfall dann durch T2* bestimmt wird. Durch geschickte Pulsfolgen ist es
jedoch möglich, diesen Effekt zu eliminieren.
Hahnsches Echo
Zur Veranschaulichung der Wirkungsweise des von Hahn im Jahr 1950 entwickelten
Spin-Echo-Experiments dient die folgende Abbildung.
r r
Im Gleichgewicht zeigt der Vektor M = M∞ der makroskopischen Magnetisierung in
Richtung der z-Achse. Ein 90°x’ -Puls bewirkt eine Drehung der Magnetisierung um
die x’-Achse in die y’-Richtung des rotierenden Koordinatensystems. Es folgt ein Auffächern der Quermagnetisierung infolge der Feldinhomogenitäten (reversibler Prozess, s.o.) sowie ein Verlust der Phasenbeziehung durch die transversale Relaxation
(irreversibler Prozess, s.o.). Durch beide Prozesse nimmt der Betrag der transversalen Magnetisierung mit der Zeit ab. Nach einer Wartezeit t = τ wird ein 180°y’-Puls eingestrahlt. Aufgrund der Relativbewegung (unterschiedliche Präzessionsgeschwindigkeiten, deren Drehsinn von Pulsen unbeeinflusst bleibt) der Teilmagnetisierungen
kommt es nach einer Zeit t = 2τ zur Refokussierung derjenigen Teilmagnetisierungen, deren Phasenbeziehungen erhalten geblieben, d. h. also noch nicht mit T2 irreversibel zerfallen sind.
Der Einfluss einer statischen Magnetfeldinhomogenität
auf
die
Echoamplitude wäre dadurch eliminiert und man würde einen Abfall der
Amplitude
ausschließlich
durch
irreversible Dephasierung gemäß T2
messen. Diffundieren allerdings die
Moleküle (Selbstdiffusion) in einem
inhomogenen Magnetfeld, ändern
sich die Larmorfrequenzen der
betroffenen Kerne während der
Echoamplitude mit und ohne Diffusionseinfluss
Pulsfolge.
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36
Fasst man alle Kerne mit gleicher Larmorfrequenz zu Beginn der Versuchs als ein
Subensemble zusammen, so kann aufgrund der Diffusion die zugeordnete
Teilmagnetisierung nicht vollständig refokussiert werden: Die Dephasierung
geschieht mit einer anderen Geschwindigkeit als die Refokussierung, da der Kern
nicht nur seinen Ort, sondern damit auch seine Resonanzfrequenz gewechselt hat.
Dies führt zu einer Verkleinerung der Echo-Amplitude zur Zeit t = 2τ gemäß der
Gleichung
 t 
 1 2 2 3
0
Mxy ( t ) = Mxy exp −  exp −
γ G Dt 
 12

 T2 
D steht hier für den Selbstdiffusionskoeffizienten und G ist der Magnetfeldgradient.
Die gemessenen transversalen Relaxationszeiten können dann je nach Diffusionsgeschwindigkeit und Feldgradient stark verfälscht sein. Um den Diffusionseinfluss auf
eine T2-Messung möglichst zu minimieren, wird die im folgendem dargestellte CarrPurcell-Folge eingesetzt.
Carr-Purcell-Folge
Im Jahre 1954 hatten Carr und Purcell zur wirkungsvollen Verminderung der Diffusionseinflüsse eine Idee. Sie modifizierten das Hahnsche Echo, indem sie einem 90°x’Puls eine Serie von 180°x’ -Pulsen mit einem gleichen Pulsabstand 2τ folgen ließen,
die immer wieder Echos erzeugen (vgl. Abbildung). Man erhält für die Amplitude des
n-ten Echos zur Zeit t = 2nτ:
 t 
 t

0
Mxy ( t ) = Mxy exp −  exp − γ 2G2Dτ2 

 3
 T2 
Wählt man τ hinreichend kurz, so dass exp( − t 3 Dγ 2G2 τ2 ) ≈ 1 , so lässt sich der Diffusionseinfluss eliminieren. Falls der Gradient des Magnetfelds bekannt ist, kann man
auch den Diffusionskoeffizienten bestimmen, indem man ℓn(M) für festes t gegen τ²
aufträgt und die Steigung der dabei erhaltenen Geraden bestimmt.
Die NMR ist eine der wichtigsten
Methoden zum Studium der Selbstdiffusion, da hier keine besondere
„Markierung” durchgeführt werden
muss. Ein weiterer Vorteil dieser
Methode ist, dass anders als beim
Hahn’schen Echo die Beobachtung
des
Relaxationsprozesses
in
einem Durchgang möglich ist, was Durch Meiboom und Gill modifizierte Carr-PurcellFolge. Der 90°-Puls und die 180°-Pulse sind um 90°
zu einer deutlichen Verkürzung der
phasenverschoben.
Messzeit führt.
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37
Da sich bei der Carr-Purcell-Folge aber der Fehler aufgrund ungenauer Justierung
des Drehwinkels für die verschiedenen 180°-Pulse aufsummiert (es können bis zu
1000 Pulse sein), wurde diese von Gill und Meiboom im Jahre 1958 noch etwas
modifiziert. Sie führten eine Phasenverschiebung von 90° zwischen dem 90°-Puls
und den 180°-Pulsen ein, so dass 180°y’- an Stelle der 180°x’-Pulse eingestrahlt
werden. Diese Carr-Purcell-Meiboom-Gill-Folge (CPMG) eignet sich zur Messung
von kurzen bis hin zu sehr langen Relaxationzeiten (T2»1s).
Die Bedeutung einer Phasenverschiebung um 90° bzw. den Unterschied zwischen
180°y’ und 180°x’-Pulsen kann man sich am ehesten klar machen, wenn man zum
Uhrzeigermodell des rotierenden Koordinatensystems (Seite 16) zurückkehrt. Ein
180°y’-Puls bedeutet, dass die Magnetisierung um die y’-Achse gedreht wird und
nicht um die x’-Achse. Dies bedeutet, dass das B1-Feld im rotierenden
Koordinatensystem entlang der y’-Achse und nicht entlang der x’-Achse verläuft, wie
bisher in den Abbildungen dieser Anleitung eingezeichnet. Er läuft damit um 90°
voraus, bzw. er geht um eine Viertelstunde ‚vor’. Natürlich gibt es im rotierenden
Koordinatensystem keine markierten Richtungen – entscheidend ist der Phasenbezug der aufeinanderfolgenden Phasen: Der erste Puls (90°) kann im Prinzip
willkürlich gewählt werden, z.B. als B1=B1cos(ωLt). Dann müssen jedoch der nächste
Puls und alle weiteren von der Form B1= -B1sin(ωLt). Würde der erste Puls (im
Geiste) fortgesetzt werden, so würde der zweite ihm zeitlich stets um 90° (bzw. π)
vorauseilen.
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38
0.35
T1 für Glycerin als Funktion der Temperatur
0.30
empirische Kurve:
2
T1= 0.018 - 2.3 e-4 T + 2.85 e-5 T
0.25
- 4.8 e-7 T + 1.4 e-8 T
Daten aus: Preissing et al.,
"Zur Deutung der
Protonenspinrelaxation in Glycerin"
Zeitschrift für Physik 246 (1971) 84-90
3
0.20
T1= 2350 ms (η/mPa s)
-0.77
1000
4
100
T1 / ms
T1/ s
Anhang: wichtige Diagramme und Tabellen
0.15
0.10
10
0.05
0.00
-20
0
20
40
60
1
1
T / °C
10
100
1000
10000
η / (mPa s)
Abb. A2: T1 von Glycerin-Wasser-Mischungen als
Funktion der Viskosität des Gemisches. Aus:
Bloembergen et al., „Relaxation effects in nuclear
magnetic resonance absorption“, Physical Review
73 (1948) pp679
Abb. A1: T1 von Glycerin als Funktion der
Temperatur mit empirischer Formel (zum
Vergleich mit eigenen Daten)
Tabelle: Viskosität verschiedener Glycerin-Wasser-Mischungen als Funktion der Temperatur
Glycerin
Massenprozent
T / °C
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
T/K
273.15
283.15
293.15
303.15
313.15
323.15
333.15
343.15
353.15
363.15
373.15
0
1.792
1.308
1.005
0.801
0.656
0.549
0.469
0.406
0.357
0.317
0.284
10
2.440
1.740
1.310
1.030
0.826
0.680
0.575
0.500
–
–
–
20
3.440
2.410
1.760
1.350
1.070
0.879
0.731
0.635
–
–
–
30
5.140
3.490
2.500
1.870
1.460
1.160
0.956
0.816
0.690
–
–
40
8.250
5.370
3.720
2.720
2.070
1.620
1.300
1.090
0.918
0.763
0.668
50
14.600
9.010
6.000
4.210
3.100
2.370
1.860
1.530
1.250
1.050
0.910
60
29.9
17.4
10.8
7.19
5.08
3.76
2.85
2.29
1.84
1.52
1.28
65
45.7
25.3
15.2
9.85
6.8
4.89
3.66
2.91
2.28
1.86
1.55
67
55.5
29.9
17.7
11.3
7.73
5.5
4.09
3.23
2.5
2.03
1.68
70
76
38.8
22.5
14.1
9.4
6.61
4.86
3.78
2.9
2.34
1.93
75
132
65.2
35.5
21.2
13.6
9.25
6.61
5.01
3.8
3
2.43
80
255
116
60.1
33.9
20.8
13.6
9.42
6.94
5.13
4.03
3.18
4.24
85
540
223
109
58
33.5
21.2
14.2
10
7.28
5.52
90
1310
498
219
109
60
35.5
22.5
15.5
11
7.93
6
91
1590
592
259
127
68.1
39.8
25.1
17.1
11.9
8.62
6.4
92
1950
729
310
147
78.3
44.8
28
19
13.1
9.46
6.82
93
2400
860
367
172
89
51.5
31.6
21.2
14.4
10.3
7.54
94
2930
1040
437
202
105
58.4
35.4
23.6
15.8
11.2
8.19
95
3690
1270
523
237
121
67
39.9
26.4
17.5
12.4
9.08
96
4600
1580
624
281
142
77.8
45.4
29.7
19.6
13.6
10.1
97
5770
1950
765
340
166
88.9
51.9
33.6
21.9
15.1
10.9
98
7370
2460
939
409
196
104
59.8
38.5
24.8
17
12.2
99
9420
3090
1150
500
235
122
69.1
43.6
27.8
19
13.3
100
12070
3900
1410
612
284
142
81.3
50.6
31.9
21.3
14.8
Universität Ulm, Physikalisch-Chemisches Praktikum für Fortgeschrittene, Versuch 10: Puls-NMR
Einfluss paramagnetischer Substanzen auf die Relaxationszeiten.
Aus: „Frequency dependence of MR relaxation times I. Paramagnetic ions“, Josef Vymazal et al.,
Journal of Magnetic Resonance Imaging 3 (1993) 637
39
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