Kalorimetrische Messungen. Die Bestimmung von Enthalpieänderungen in Lösungen Praktikum physikalische Chemie für Pharmaziestudenten — zusammengestellt von Soma Vesztergom — 1.) Kurzbeschreibung Mit Hilfe eines Kalorimeters wurden Temperaturänderungen verschiedener Reaktionen gemessen, woraus Rückschlüsse auf die Enthalpieänderung gezogen bzw. berechnet werden konnten. Enthalpieänderungen treten bei chemischen Umwandlungen und zum Beispiel beim Lösen oder Mischen von Substanzen auf und sind auf die Wechselwirkungen zwischen den Substanzteilchen und deren Bewegungen zurückzuführen. Im heutigen Versuch wird die Hydratationsenthalpie von Natriumacetat . CH 3COONa + 3H 2 O → CH 3COONa ⋅ 3H 2 O ∆ Hydr H ≈ -35 kJ mol −1 (1) experimentell bestimmt durch die Anwendung quasi-adiabatischer Kalorimetrie. 2.) Theoretische Grundlagen 2.1) Quasi-adiabatische Kalorimetrie Das Aufgabegebiet der Kalorimetrie ist die experimentelle Bestimmung der Wärmemenge Q, die bei physikalischen, chemischen und biologischen Prozessen (zum Beispiel bei der Hydratation eines Salzes, behandelt hier in diesem Versuch) auftreten. Bekanntlich ist es nicht möglich, Energieänderungen bzw. Wärmemengen direkt zu messen. Man kann aber andere physikalische Effekte, deren Größe sich in Abhängigkeit der zugeführten bzw. weggeleiteten Energiemenge ändert, zum Messen von Energiemengen benutzen. Auf dieser Idee beruht auch das Messverfahren in allen gängigen Kalorimetern. Die Messung der Wärme Q in einem offenen „adiabatischen“ Kalorimeter liefert die (molare!) Reaktionsenthalpie ∆rH: Q = n ⋅ ∆r H , (2) wo Q (Einheit: J) ist die im System freiwerdende (bzw. vom System aufgenommene Wärme, und n (in Molen) wird – in diesem Fall – die Stoffmenge der Reaktion von Gleichung 1 sein. –1– Bei adiabatischer Kalorimetrie darf kein Wärmeaustausch mit der Umgebung des Kalorimeters stattfinden, was praktisch durch entsprechende Isolation des Aufbaus erreicht werden soll. Trotzdem bleibt ein geringer Wärmeverlust, der bei modernen Kalorimetern über das Angleichen der Umgebungstemperatur an die Kalorimetertemperatur ausgeglichen wird. Das im Praktikum verwendete Kalorimeter (siehe Abb. 1.) entspricht dem Vorgänger des adiabatischen Kalorimeters. Das sogenannte quasi-adiabatische (manchmal auch: anisotherme) Kalorimeter besteht aus einem durch eine Doppelwand mit evakuiertem Zwischenraum nach außen hin wärmeisolierten Dewar-Gefäß. Aufgrund der nicht vollständigen Isolation sind anisotherme Kalorimeter nur für Wärmeumsatzmessungen im Minutenbereich geeignet, da nur dann die unvermeidbaren Verluste durch Wärmeaustausch mit der Umgebung auf die Auswertung nicht verfälschend wirken. Abb. 1. Quasi-adiabatisches Kalorimeter. In einem quasi-adiabatischen Kalorimeter ergibt sich eine einfache Beziehung zwischen zugeführter bzw. entnommener Wärmemenge Q und beobachteter Temperaturänderung ∆T: Q = C ⋅ ∆T , (3) wo die Proportionalitätskonstante C ist die für das Kalorimeter genau definierte Wärmekapazität. 2.2) Eichung des Kalorimeters Die Idee kalorimetrischer Messungen ist die folgende: wenn eine Reaktion im Kalorimeter stattfindet, erhöht (bzw. erniedrigt) sich die Temperatur des Reaktionsgemisches. Durch die Abmessung der Temperaturdifferenz wird es möglich, die totale Wärme Q aus Gleichung 3 auszurechnen: die Teilung von Q durch die Stoffmenge der Reaktion n kann die Reaktionsenthalpie ∆rH liefern (Gleichung 2). In Gleichung 3 ist es aber die Wärmekapazität C des Systems anfangs unbekannt, deshalb ist es nötig, diese Menge durch die Eichung des Kalorimeters zu bestimmen. Um C zu ermitteln, führt man dem System über einen Tauchsieder (sogenannten Kalorifer) eine definierte Wärmemenge zu, die sich aus folgender Beziehung zwischen Wärmemenge und elektrischer Leistung errechnen lässt: sei die Dauer der elektrischen Stromdurchführung (Heizung) t, die Wärmemenge die damit zum System zugegeben wird, lässt sich als QHeizung = P ⋅ t = U ⋅ I ⋅ t , –2– (4) errechnen, wo die elektrische Leistung des Kalorifers P ist als U ⋅ I ermittelbar. (U ist die Spannung zwischen den Enden des Kalorifers, und I ist die elektrische Strom, die den Kalorifer durchfließt.) Erhitze man den Kalorifer mit einer Stromquelle von ständiger Spannung, durch die Anwendung des Ohmschen Gesetz, R= U , I (5) (wo R ist der elektrische Widerstand des Kalorifers), lässt sich Gleichung 4 als QHeizung = U2 ⋅t R (6) umordnen. Die Parameter U (Heizspannung) und R (Widerstand des Kalorifers) sind bekannt, also die das System durch Zeitdauer t hereingeführte Wärme ist schon berechenbar. Verursachte diese Wärme eine Temperaturerhöhung ∆T im System (das ist durch die Anwendung eines Thermometers messbar), lässt sich die Wärmekapazität des Systems als C= QHeizung ∆THeizung (7) ausrechnen; also die Eichung des Kalorimeters bedeutet, dass wir führen eine bekannte Wärmemenge das System hinein, und bestimmen die Temperaturänderung, die wir damit verursachen. Die durch Eichung bestimmte Wärmekapazität können wir in Zukunft anwenden, um unbekannte Wärmemengen aus den bezüglichen ermessenen Temperaturänderungen zu bestimmen. 2.3) Die Messung von Temperaturänderungen im Kalorimeter Um die Temperaturänderungen im System zu bestimmen, benutzen wir einen elektrischen Thermofühler (ein Widerstandthermometer, siehe Abb. 1), den wir ins Reaktionsgemisch eintauchen. Um die Homogenität der Wärmeverteilung des Systems zu zusichern, wird das System ständig verrührt von einem Magnetrührer. Die Bestimmung der Temperaturveränderung wird durch Gangbeobachtung durchgeführt: durch die Anwendung digitaler Datensammlung, wird die Temperatur/Zeit Kurve in einem Rechner gespeichert. Man unterscheidet bei kalorimetrischen Messungen drei Stadien (Abb. 2): die Vorperiode, die Hauptperiode und die Nachperiode. Die Vorperiode beginnt, sobald sich die Temperatur im Kalorimeter durch Rühren ausgeglichen hat und sich nur noch linear mit der Zeit (durch Wärmeleitung bzw. nicht 100%-ige Isolation) ändert. Die Hauptperiode beginnt, sobald die Wärmeentwicklung, die gemessen werden soll (verursacht entweder von der untersuchten Reaktion, oder von der Eichheizung), in Gang gesetzt wird. Die Hauptperiode ist vorüber und die Nachperiode beginnt, wenn nach Beendigung der Wärmeentwicklung die Temperatur sich ausgeglichen hat und sich wieder nur noch linear mit der Zeit ändert. Im Idealfall (augenblicklicher Wärmeausgleichung in einem trägheitslosen Kalorimeter bei trägheitsloser Temperaturmessung) wäre die Hauptperiode unendlich kurz. Der Temperatursprung –3– an dieser Stelle wäre mit ∆T identisch und damit nach Gleichung 3 der gesuchten Wärmemenge Q direkt proportional. Dieser Idealfall lässt sich jedoch streng nicht verwirklichen, da im Allgemeinen während der Wärmeausgleichung innerhalb der Kalorimeter auch ein Wärmeaustausch mit der Umgebung (konstante Temperatur T0) stattfindet. Die zeitliche Änderung der Temperatur im Kalorimeter erhält man in erster Näherung aus dem Fourierschen Abkühlungsgesetz als dT = K [T0 − T (t )], dt (8) wo T(t) ist die Temperatur des Kalorimeters zum Zeitpunkt t, und K (mit Dimension t–1) ist in dieser linearen Näherung konstant. Gleichung 8 liefert die Erklärung für die Steigung der Vor- und Nachperioden der Temperaturkurven. In der Praxis benutzt man zur Bestimmung von Abb. 2. Zur Gangbeobachtung der im Kalorimeter ∆T häufig das Verfahren des Flächenausgleichs (siehe gemessenen Temperatur. Die Hilfslinien zeigen, wie man ∆T ablesen soll. Bemerkenswert ist, dass die Abb. 2). Man extrapoliert die Vorperiode vorwärts Linie ℓ muss so gesetzt werden, dass die schraffierte und die Nachperiode rückwärts, bis die beiden Flächen A und A’ einander gleichstehen. „Dreiecksflächen“ beiderseits der Hauptperiode in Abb. 2 gleich groß sind. Die Flächengleichheit kann man durch numerische oder graphische Integration sowie durch Auszählen von Quadraten auf Millimeterpapier feststellen. Der Temperatursprung an der markierten Stelle ist die gesuchte Temperaturdifferenz ∆T. 2.4) Die Bestimmung der Hydratationswärme des Salzes CH3COONa Wenn ein Salz gelöst wird, wird in einigen Fällen Energie frei (exothermer Vorgang) und in anderen Fällen wird Energie aufgenommen (endothermer Vorgang). Der Lösungsvorgang eines Salzes in einem Lösemittel wird dabei in zwei Schritte unterteilt: 1. Das Salz liegt vor dem Lösen in kristalliner Form vor. Zwischen den unterschiedlich geladenen Ionen eines Salzkristalls herrschen starke Anziehungskräfte, zur Aufspaltung des Kristallgitters müssen also diese Kräfte überwunden werden. Die hierzu nötige Energie wird Gitterenergie genannt. Die Gitterenergie wird dem Lösemittel entzogen, wodurch sich die Lösung stark abkühlt. Da beim Aufspalten des Kristallgitters Energie benötigt wird, handelt es sich um einen endothermen Vorgang. 2. Die abgespaltenen Ionen umgeben sich mit einer Hülle aus Lösemittelmolekülen (sogenannte Solvathülle). Dieser exotherme Vorgang wird Solvatation genannt. Die hierbei an das Lösemittel abgegebene Energie heißt Solvatationsenergie. Handelt es sich bei dem Lösemittel um Wasser, spricht man von Hydratation bzw. Hydratationsenergie. Beide obengenannten Prozesse laufen parallel zueinander ab. Überwiegt die Gitterenergie, so ist der Gesamtvorgang des Lösens endotherm. Im umgekehrten Fall hat die Lösungsenthalpie ein negatives Vorzeichen (und dann nennen wir den Vorgang exotherm). –4– Chemische Reaktionen laufen dann freiwillig ab, wenn die Änderung der freien Enthalpie ∆G < 0 ist. Nach der Gibbs–Helmholtzscher Gleichung ist ∆G = ∆H – T · ∆S. Endotherme Lösungsprozesse (∆H > 0) können somit dennoch als freiwillige Reaktionen ablaufen, wenn sich die Entropie im System stark vermehrt (∆S >> 0). Einige Salze, wie auch Natriumacetat kommen im Form von Kristallhydraten vor (CH3COONa · 3H2O). Unter der molaren Hydratationswärme eines Salzes versteht man diejenige Wärmemenge, die man zur Bildung eines Mols festen Kristallhydrats aus dem festen wasserfreien Salz und der entsprechenden Menge Wasser benötigt. Wie diese Zustandsänderung bewirkt wird, ist nach dem ersten Hauptsatz – oder auch nach dem Hessschen Satz von der Konstanz der Wärmesummen bei verschiedenen Wegen einer Reaktion – belanglos. Die Hydratationswärme lässt sich aus den molaren Lösungswärmen des wasserfreien und des hydratisierten Salzes bestimmen. Um dies zu erklären, wird Gleichung 1 hier wiederholt: CH 3COONa + 3H 2O → CH3COONa ⋅ 3H 2 O ∆ Hydr H (1) Da die Enthalpieänderung der obigen Reaktion nicht experimentell bestimmt werden kann, bedient man sich der Tatsache, dass die Enthalpie H eine Zustandsfunktion und damit ihr Umlaufintegral (die Summe) über einen geschlossenen Weg gleich Null ist. Misst man die Lösungsenthalpie von wasserfreiem Natriumacetat ∆ Lös.H CH 3COONa neben der von Natriumacetat- ( ( ) ) Trihydrat ∆ Lös. H CH 3COONa⋅3H 2 O , so lässt sich die gesuchte Enthalpieänderung vom Anhydrat zum Trihydrat (Hydratatiosenthalpie, ∆HydrH) folgendermaßen bestimmen: ∆ Hydr. H = ∆ Lös. H CH3COONa 3H 2O − ∆ Lös. H CH3COONa , (9) was bedeutet, dass ∆Hydr.H ist die Differenz der Lösungsenthalpien der folgenden zwei Vorgänge: CH 3COONa + ∞H 2 O → CH 3COONa(aq) ∆ Lös. H CH 3 COONa (10) CH 3COONa ⋅ 3H 2O + ∞H 2 O → CH 3COONa (aq) ∆ Lös. H CH 3 COONa ⋅3H 2 O 3.) Durchführung des Versuches 1. Der Messzylinder wird sorgfältig getrocknet, und an einem Ende mit einem Korkenstöpsel verschlossen. Der Verschluss muss leicht sein, weil man den Korken später mit der Anwendung einer Stange ausdrucken muss, und man will damit das Dewar-Gefäß nicht beschädigen. Das mit dem Korken gesperrte Ende des Messzylinders wird in geschmolzenes Wachs eingetaucht, um die Versiegelung trotzdem zu dichten. 2. Eine bestimmte (an einer Tarierwaage genau abgewogene) Menge des Salzes (Natriumacetat-Anhydrat oder Trihydrat) wird in den Messzylinder gesetzt. 3. Das Dewar-Gefäß wird mit einer bestimmten Volumen destillierten Wassers aufgefüllt, der Magnetrührer wird hereingesetzt, und die Rührung wird eingeschaltet. Es ist wichtig, durch das Experiment das Reaktionsgemisch mit einer ständigen Geschwindigkeit zu rühren. Der Kalorifer, das Thermometer und der Messzylinder werden auch im Gefäß eingestellt (die sind in den PVC-Decker des Kalorimeters montiert). 4. Nach ein paar Minuten, beginnen wir die Aufnahme der Temperaturwerte mit dem digitalen Datensammlungssystem (mit der Hilfe des Betreuers). Die erste Vorperiode soll –5– 5. 6. 7. 8. etwa 5 Minuten lang dauern, und während der Vorperiode soll sich die Temperatur des Systems nur linear (und langsam) verändern. Nach der Vorperiode lang genug ist, beginnen wir die Heizung des Systems mittels Anschaltung der Heizung des Kalorifers. Die Heizung soll etwa 60-70 Sekunden dauern. Nach einer kleinen (20-30 Sekunden langen) Latenzperiode können wir im Messdiagramm die sich erhöhende Temperaturwerte beobachten. (Die Latenz ist von der Trägheit des Systems verursacht). Als sich die Temperatur nicht mehr erhöht, endet sich die erste Hauptperiode, und die Nachperiode fängt an. Dieser Schritt dient der Eichung des Kalorimeters. Die Nachperiode der Heizung dient auch als die Vorperiode der Gangbeobachtung des Lösevorgangs. Also der Erfassung der etwa 5 Minuten langen Nach- bzw. Vorperiode nachfolgend, entfernen wir die Korkenstöpsel mit der Anwendung der Auswurfstange. Damit fängt die zweite Hauptperiode an, währenddes die Temperatur sich wieder verändern wird. Wir müssen vorsichtig sein, denn die Entfernung des Korkens soll die Bewegung des Rührmagnets nicht stören. Benützen wir die Auswurfstange, um alle (vielleicht an der Wand des Messzylinders geklebte) Salzkristalle in die Lösung zu bringen. Der zweite Hauptperiode nachfolgend, erfassen wir auch eine entsprechend lange Nachperiode. Wiederholen wir das ganze Experiment mit der Anwendung des anderen Salz. Möglichst benützen wir die Salze in äquimolaren Mengen. Während des Versuches, tragen Sie die folgenden Daten in Messprotokoll rein: — die Mengen (in Grammen) der eingewogenen Natriumacetat-Anhydrat und Trihidrat; — die Namen der Messdaten behaltenden Files; — die angewandte Heizspannung, die Zeitdauer der Heizung, und die elektrische Widerstand des Kalorifers. 4.) Berechnungen und Auswertung 1. In jeden zwei gemessenen Files finden Sie Temperaturwerte als Funktion der Zeit. Benützen Sie diese Werte um ein Diagramm für die Gangbeobachtung der Temperatur zu ermitteln! 2. Bestimmen Sie in beiden Diagrammen die Temperaturänderung während Heizung und Löseprozess aufgrund der zur Abb. 2. hinzugefügener Erklärung! 3. Bestimmen Sie die von der Heizung ins System eingeleitete Wärmemenge aufgrund Gleichung 6, und anschließend die Wärmekapazität des Systems nach Gleichung 7 für beide Experimente! 4. Bestimmen Sie die freiwerdenden (bzw. aufgenommenen) Wärmemengen für beide Lösevorgänge aufgrund Gleichung 3. Beachten Sie auf die Vorzeichen! Rechnen Sie die molaren Lösungsenthalpiewerten des wasserfreien Salz und des Kristallhydrats aus! 5. Bestimmen Sie die Hydratationswärme (Hydratationsenthalpie) von Natriumacetat aufgrund Gleichung 9! –6–