Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg SYLVIA PALETSCHEK Einschluß im Ausschluß? Überlegungen zur politischen Partizipation von Frauen 1848/49 und zum Verhältnis von Frauenemanzipation und Revolution Originalbeitrag erschienen in: Gabriella Hauch u.a. (Hrsg.): Vom "Reich der Freiheit ..." : Liberalismus - Republik - Demokratie; 1848 - 1998. Wien: Passagen-Verl., 1999, S. 73 - 83 Sylvia Paletschek Einschluß im Ausschluß? Überlegungen zur politischen Partizipation von Frauen 1848/49 und zum Verhältnis von Frauenemanzipation und Revolution Gabriella Hauch hat sich mit der Wirkungsmacht der Kategorie Geschlecht in der Revolution 1848/49 beschäftigt und den Aus- und Einschluß von Frauen in Politik, Macht und Öffentlichkeit diskutiert. Ich will im folgenden ihre zentralen Thesen aufgreifen und einige weitere Aspekte anschließen, die sich mit dem Verhältnis von Frauenemanzipation und Revolution beschäftigen. Wo waren Frauen eingeschlossen, wo ausgeschlossen bei den Revolutionsaktivitäten 1848/49? An der sogenannten nichtinstitutionalisierten Revolution, bei den Aufständen und Straßenunruhen waren sie maßgeblich beteiligt.' In diesen spontanen Aktionen, die überwiegend von den unteren sozialen Schichten getragen waren, schienen sich Geschlechterzuweisungen zu verwischen. Frauen kämpften auf den Barrikaden und plünderten Zeughäuser. Diese Aktionen erschienen bürgerlichen Beobachtern bedrohlich, was nicht zuletzt in der sexuellen Konnotation der Barrikadenkämpferin - als lüsterne Megäre oder als reine Freiheitsheidin - verarbeitet wurde. 2 Die revolutionären gewalttätigen Aktivitäten standen wie Teuerungsunruhen, Hungerkrawalle und Katzenmusiken in der Tradition vormodernen öffentlichen Protestverhaltens, an dem sich Unterschichtsfrauen wie -männer beteiligten. Politischer Protest von Frauen war in der nichtinstitutionalisierten Revolution integriert, selbst wenn sich an den Straßenkämpfen weniger Frauen als Männer beteiligten? Anders verhielt es sich mit der institutionalisierten Revolution. Schon bald nach dem März 1848 entstand ein breiter gesellschaftlicher Konsens für die Verrechtlichung der Revolution. Das hieß Weitertreiben der Revolution auf legalem Wege, also durch gewählte Par73 lamente, politische Vereine und liberale Märzministerien. Von diesen bürgerlichen Institutionen waren Frauen - egal welcher Sozialschicht - weitgehend ausgeschlossen und nicht, wie bei den traditionalen Protestformen der Straße, integraler Bestandtei1. 4 „Das Politikprojekt der Moderne ist ein Kind der Aufklärung, und zwar ein Sohn" - formulierte Gabriella Hauch eingängig. Dieser Ausschluß der Frauen aus der institutionalisierten bürgerlichen Politik reflektierte die unterschiedliche gesellschaftlichen Stellung von Männern und Frauen. Daß sich Männer und Frauen unterscheiden und für verschiedene Sphären zuständig sind, stellte ein grundlegendes Ordnungsmuster der ständischen Gesellschaft dar. Es wurde von der aufkommenden bürgerlichen Gesellschaft und ihren Theoretikern beibehalten. In der ständischen Gesellschaft konstituierte sich soziale Ungleichheit noch durch Standes- und Geschlechtsunterschiede. Im liberal-bürgerlichen Konzept der klassenlosen Bürgergesellschaft sollten „nur" die Standesschranken fallen - wobei unterbürgerliche und adelige Schichten bürgerlichen Lebensstil übernehmen sollten -, nicht jedoch die Geschlechtsschranken. Daß auch bisherige Geschlechterschranken zu überdenken und verwerfen seien, wurde zwar von einzelnen Frauen und auch Männern vorgebracht, konnte sich als zentrale Forderung im bürgerlichen Projekt im 19. Jahrhundert aber nicht durchsetzen. In der aufkommenden bürgerlichen Gesellschaft wurden Geschlechterdifferenzen der Ständegesellschaft fortgeschrieben, gleichzeitg aber umdefiniert und anders legitimiert. An Stelle der religiös-christlichen und ständischen Begründung des Geschlechtsunterschieds trat allmählich die „Natur". Wobei sich „naturgemäß" in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur auf die körperliche Physiognomie und die Gebärfähigkeit der Frau bezog. Als „naturgemäß" galt ebenso der aus göttlicher Vorsehung und Ordnung abgeleitete Geschichtsverlauf. Die Tradition und die bisherige Gesellschaftsentwicklung legitimierten somit die bürgerliche Geschlechterdifferenz und den Ausschluß der Frauen aus der politischen Öffentlichkeit. Frauen waren zwar qua gesellschaftlicher Stellung und bürgerlichen Geschlechterrollen tendenziell von der institutionalisierten Revolution ausgeschlossen, doch wurde dies partiell aufgebrochen, beispielsweise durch die demokratischen Frauenvereine, die quasi einen Einschluß im Ausschluß darstellten. Sie waren eine Reaktion 74 der Frauen auf ihre Ausgrenzung aus männlichen, explizit politisch definierten Räumen. Es waren überwiegend Frauen, aber auch eine kleine Anzahl von Männern, die sich für die politische Beteiligung von Frauen einsetzten. So wurden die demokratischen Frauenvereine von Teilen des radikaldemokratischen Männermilieus als Partner angenommen. Doch war weit häufiger der Fali rdaß die demokratischen Frauenvereine von Männern quer durch die politischen Lager angefeindet wurden. Es kritisierten aber nicht nur Männer, sondern auch liberal-bürgerliche Frauen das öffentliche politische Agieren ihrer Geschlechtsgenossinnen. So schrieb Fanny Lewald über den Frauenblock im friedlichen Demonstrationszug zum Berliner Friedrichshain im Juni 1848: „Denn mag man die geistige Berechtigung der Frauen noch so sehr anerkennen, ihr persönliches Auftreten in der Volksmasse liegt außerhalb des deutschen Charakters und sollte deshalb nicht absichtlich hervorgerufen werden, weil damit weder für die wirkliche Erhebung der Frauen, noch für die des Volkes ein Wesentliches gewonnen, wohl aber verloren werden kann."' Die Trennlinie, wer öffentliche politische Tätigkeit von Frauen befürwortete, lief nicht entlang, sondern quer zur Geschlechtergrenze - und sie lief auch nicht entlang bestimmter politischer Richtungen, wenn auch gerade im radikaldemokratischen Milieu die Akzeptanz weiblicher politischer Partizipation am größten war. Die demokratischen Frauenvereine, die im Laufe des Jahres 1848 in verschiedenen deutschen Staaten entstanden, sammelten Geld für die Revolutionsflüchtlinge, unterstützten deren Familien, stickten Fahnen, zupften Charpie und pflegten Verwundete. 6 Neu und ein Unterschied zu bisherigen karitativen systemkonformen Frauenvereinen war, daß sie sich mit ihrem Bekenntnis zur Revolutionsbewegung dezidiert in einen politisch-oppositionellen Kontext stellten. Neu war, daß sie Frauen aller sozialer Schichten und Konfessionen offenstanden. Diese „feinen" Unterschiede waren für die Zeitgenossen und Zeitgenossinnen gravierende. Was sich aus heutiger Perspektive unspektakulär ausnimmt, war damals eminent politisch. Neu war also nicht, daß sich nur Frauen zusammenschlossen. Reine Frauengruppen, wie sie sich im Kloster oder aus Arbeitszusammenhängen heraus ergaben, entsprachen noch der Ordnung der ständischen Gesellschaft. Neu war, daß sich Frauen über Schicht- und Konfessionsgrenzen hinweg und unabhängig von gemeinsamen 75 Arbeitszusammenhängen organisierten und daß sie ihre Sozialtätigkeit in den Dienst einer explizit politischen Aktion stellten! Fragt man nach dem Aktionsradius von Frauen 1848/49, gilt es zu bedenken, daß Frauen nicht nur auf seiten der Revolution, sondern auch auf seiten der Gegenrevolution zu finden waren. So kritisierte die demokratisch orientierte Frauen-Zeitung, daß zahlreiche Frauen den konservativen preußischen „Treubund für König und Vaterland" unterstützen. Als Spioninnen und Doppelagentinnen arbeiteten einzelne Frauen für die Polizeigewalt.8 Welche Rolle Frauen in Kreisen der alten Mächte, von Diplomatie und Hof, oder in der Unterstützung des revolutionsfeindlichen Klerus spielten, kann nur gemutmaßt werden. Hatten Frauen gar innerhalb der Gegenrevolution mehr Einfluß als in der institutionalisierten Revolutionsbewegung? Leider wissen wir bisher über die konterrevolutionären Frauen zu wenig, als daß eine Antwort gegeben werden könnte. Wie sieht es nun mit dem emanzipatorischen Kontext der Revolution aus? Emanzipierte die Revolution? Der Aktionsradius von Frauen und die emanzipierende Wirkung der Revolution wird unterschiedlich beurteilt. So betonen einige Autorinnen stärker die Frauen ausschließenden Momente der institutionalisierten Revolutionsbewegung sowie den Umstand, daß die in den demokratischen Frauenvereinen organisierten Frauen das herrschende Geschlechterverhältnis nur bestätigt und damit zu dessen weiterer Zementierung beigetragen hätten. So bemerkt beispielsweise Susanne Asche, daß die Revolutionsaktivitäten der Frauen das bürgerliche Geschlechterverhältnis letzlich eher konserviert und stabilisiert hätten. Zwar sei die Revolution 1848/49 auch die Geburtsstunde der deutschen Frauenbewegung, allerdings in ihrer bürgerlichen Variante, die das „Geschlechterverhältnis nicht angriff, sondern letztlich bestätigte."9 Rüdiger Hachtmann kommt gar zu dem Ergebnis, daß mit dem Blick auf die Frauenemanzipation die 1848er Revolution "trotz wichtiger Ansätze einer organisierten Frauenbewegung eher kontraproduktiv" wirkte.1° Dagegen heben andere Autorinnen stärker die Freiräume hervor, die sich in den Revolutionsjahren durch den Wegfall der Presse- und Versammlungsbeschränkungen und durch die Infragestellung tradierter Ordnungen boten und die auch Frauen nutzten. Sie gründeten Frauenvereine, nahmen an Volksversammlungen und als Zuhö76 rerinnen in Parlamentssitzungen teil. Doch auch hier scheinen die ambivalenten Folgen der Revolution 1848149 für Frauen durch. So hält etwa Dieter Langewiesche fest, daß die neuen politischen Partizipationschancen der Revolution lediglich von bürgerlichen Frauen genutzt werden konnten und die Verdrängung traditionaler Protestformen den politischen Protest unter- oder randbürgerlicher Frauen marginalisierte: „Insofern bot die Revolution auch für Frauen keine einheitliche Erfahrung, doch Teile von ihnen arbeiteten an der Entmännlichung des Zukunftsprojekts ‚bürgerliche Gesellschaft: 11 Die frühe Frauenbewegung wurde zwar nicht, wie häufig noch behauptet wird, von der Revolution initiiert, sondern formierte sich bereits im Vormärz, doch bewirkte die Revolution eine stärkere Politisierung der Frauen. Die für kurze Zeit bestehenden rechtlichen Freiräume ermöglichten Frauen, wenn auch nur einer verschwindenden Minderheit, politische Betätigung. Sie konnten in den Revolutionsjahren diverse Frauenprojekte verwirklichen, wie etwa die Herausgabe der Frauen Zeitune oder die Gründung der Hamburger Hochschule für das weibliche Geschlecht, die ohne die revolutionäre Aufbruchsstimmung und die kurzfristig geschaffenen politischen Freiheiten nicht möglich gewesen wären. Die Revolution schuf neue Freiräume, trug zu einer Fundamentalpolitisierung breiter Bevölkerungsschichten und damit auch der Frauen bei, doch sie legte nicht die Initialzündung dafür. Ohne die Aufbruchsstimmung des Vormärz und die oppositionellen und nationalen Bewegungen dieser Zeit hätten sich Frauen ihre beschränkteTeilhabe an der institutionalisierten Revolution nicht erkämpfen können. Eine besondere Rolle für die Frauen spielte hierbei im Vormärz die religiöse Oppositionsbewegung der deutschkatholischen und freien Gemeinden, auf die im folgenden kurz eingegangen werden soll." Bei diesen ab 1844 gegründeten freireligiösen Gemeinden handelte es sich um die erste große Kirchenaustrittsbewegung in den deutschen Staaten. Dissidenten und Dissidentinnen brachen mit der katholischen oder protestantischen Amtskirche, weil sie aufklärerisches Gedankengut nicht mit bestimmten christlichen Dogmen in Übereinstimmung bringen konnten. Sie erblickten im „Aberglauben" einer nicht aufgeklärten Religiosität ein Mittel der Volksverdummung, eine Befestigung des reaktionären Bündnisses von Thron und Altar und ein Hindernis für eine liberal-demokratische - 77 Gesellschaftsreform. An dieser von bürgerlichen, klein- und unterbürgerlichen Schichten getragenen Bewegung beteiligten sich Fraue n von Anfang an. Es gab enge Verbindungen zwischen der religiösen und der politischen Oppositionsbewegung. Religion und Politik durchdrangen sich. So zählten bekannte Revolutionsmänner und -frauen wie Robert Blum, Gustav und Amalie Struve oder Malwida von Meysenbug zu den Dissidentinnen. Zahlreiche Doppelmitgliedschaften verbanden an der „Basis" freireligiöse Gemeinden mit den demokratischen Vereinen der Revolutionszeit. Dies traf auch auf die demokratischen Frauenvereine zu, in denen Dissidentinnen oft besonders hervortraten, Ein Flügel der Bewegung, Wortführer war hier der bekannte Deutschkatholik Johannes Ronge, begriff Frauenemanzipation als Aufgabe der religiösen Reform, denn nur eine verbesserte Stellung der Frau könne langfristig die „Welterlösung", das heißt eine umgreifende Gesellschaftsreform garantieren. 4 Ab 1845 gründeten sich deshalb auf Initiative männlicher und weiblicher Dissidenten freireligiöse Frauenvereine, die eine doppelte Zielsetzung verfolgten: Sie wollten durch praktische soziale Tätigkeit die gesellschaftlichen Verhältnisse verbessern und ihre eigene sowie die Emanzipation anderer Frauen fördern. Sie gründeten erste Kindergärten, bemühten sich um koedukative konfessionslose Schulen, richteten Dienstmädchenund Näherinnenausbildungen ein, veranstalteten Vorträge und arbeiteten in der Sozialfürsorge. Das ehrgeizigste Projekt war die Gründung der 1850 bis 1852 geöffneten Hamburger Frauenhochschule. Die Schule finanzierte sich durch Spenden und überregionale Aktienzeichnung von Frauenvereinen, so zum Beispiel aus Breslau, Graz, Nürnberg, Hamburg und Mainz. Die einsetzende Reaktion zu Beginn der 1850er Jahre setzte diesen Bestrebungen ein Ende." Frauenemanzipation wurde nicht nur von weiblichen, sondern ebenso von männlichen Dissidenten eingefordert. Dies hatte auch mit männlichen Wunschbildern nach veränderten Geschlechterrollen zu tun. Wenn der Deutschkatholik Johannes Ronge Frauen als „Erlöserinnen der Menschheit" imaginierte, wurden Frauen nicht nur in ihrer gesellschaftlichen Funktion, sondern auch als Liebesobjekte aufgewertet und überhöht. Männliche Dissidenten wehrten sich damit gegen die Verdammung von Sexualität und freier Liebe durch die christlichen Kirchen. 16 Die Utopie des liebenden Paares versprach 78 ihnen Lebenserfüllung und den partiellen Ausgleich gesellschaftlicher Mißstände durch das private Glück. Der Kampf männlicher Dissiden.ten und anderer Revolutionäre für Frauenrechte kann somit auch als Männerbewegung verstanden werden, die sich für eine freiere männliche Sexualität und erfülltere Liebesbeziehungen einsetzte. Die freireligiösen Frauenvereine stellten einen Hauptstützpfeiler der frühen Frauenbewegung der 1840er Jahre dar. Von den demokratischen Frauenvereinen, mit denen sie ja personell verknüpft waren, unterschieden sie sich durch ein dezidierteres Engagement für Frauenbildung und Frauenerwerbstätigkeit. Wie diese gingen sie von einem dualistischen Geschlechtermodell und der Vorstellung unterschiedlicher Einflußsphären von Mann und Frau aus, arbeiteten aber auf eine größere Teilhabe der Frauen an der Öffentlichkeit, in Politik und Gesellschaft hin. Sie gingen aber nicht soweit, das politische Wahlrecht zu verlangen, wie dies Wienerinnen im Sommer 1848 taten - allerdings wurde diese Forderung auch nicht von anderen demokratischen Frauenvereinen erhoben. Warum war es gerade eine religiös-oppositionelle Bewegung, die in den 1840er Jahren frauenemanzipatorischen Bestrebungen Rückhalt bot? Dies hängt mit der religiösen Imprägnierung von Gesellschaft, Staat und Politik Mitte des 19. Jahrhunderts zusammen. Religionskritik stellte die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse und damit auch die Geschlechterrollen in Frage. Wenn Frauen aus der Kirche austraten, brachen sie mit der Konvention, mit angepaßtem Wohlverhalten und einer traditionalen Religiosität, das heißt mit zentralen Facetten des ihnen zugeschriebenen Geschlechtscharakters. Im Gegensatz zur Politik galt Religion nicht als männlicher Bereich. Familie und Erziehung waren ein integraler Bestandteil religiösen Gerneinschaftslebens. Die weibliche Sphäre war damit nicht, wie in der aufs Öffentliche zielenden bürgerlichen Politik, ausgeschlossen. Der für die 1840er Jahre festgestellte Zusammenhang von religiöser, politischer und Frauenemanzipation verweist darauf, daß das Geschlechterverhältnis nicht nur von sozioökonornischen und politischen Konstellationen bestimmt wurde, sondern sich in einem komplizierten Zusammenspiel von Sozioökonomie, Politik, Religion, kultureller Praxis und Tradition gestaltete. Dies bestätigt auch der Blick auf die weitere Entwicklung politi79 scher Frauenrechte im 19. und 20. Jahrhundert. Zwar wurde die politische Ausschlußkategorie Geschlecht rechtlich formal in Deutschland und Österreich 1918 eliminiert, indem Frauen das aktive und passive Wahlrecht erlangten. Diese staatsbürgerlichen Gleichberechtigung bedeutete aber noch lange - und bis heute - nicht eine gleichgewichtige Partizipation von Männern und Frauen in politischen Entscheidungsprozessen. Mit der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung ging zudem die gesellschaftliche noch lange nicht einher. Frauen erhielten zwar 1918 das Wahlrecht, doch hieß es im sogenannten Gleichberechtigungsartikel der Weimarer Verfassung: „Männer. und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten", das heißt, mit dieser Formulierung waren Wirtschafts- und Familienleben von der Gleichberechtigung ausgenommen. Bei der Verabschiedung des Grundgesetzes der BRD 1949 bedurfte es einer außerparlamentarischen Aktion, daß der Artikel 3 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt" verabschiedet werden konnte, und nicht die Weimarer Fassung des Paragraphen, wonach sich Gleichberechtigung nur auf die Staatsbürgerrechte bezog. Es dauerte allerdings bis 1959, bis das Familienrecht an den Gleichberechtigungsparagraphen angeglichen wurde. Dennoch blieben Ungleichbehandlungen von Männern und Frauen im Familienrecht bestehen. Erst 1977 wurde in der BRD mit der Novellierung des Familiengesetzes die Haushaltsführung nicht mehr als Sache der Frau festgeschrieben. Auf der Normebene endete in gewisser Weise für die Frauen erst jetzt die Ständegesellschaft, die qua Geburt bestimmte Tätigkeitsbereiche festschrieb. Aus dieser Perspektive erscheint nicht nur der Ausschluß der Frauen aus der Politik, sondern ebenso der Ausschluß der Männer aus der Haus- und Familienarbeit als Problem des bürgerlichen Projekts der Moderne. In den letzten 150 Jahren hat sich viel für Frauen verändert. Gabriella Hauch hat das Walzer tanzende Paar - er führt sie im Rückwärtsschritt - als ein Sinnbild der Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert vorgeführt. Heute wiegen sich junge Frauen und Männer eher selten paarweise im Walzer, sondern tanzen in der Disco zu techno, einzeln für sich nach individuellen Schrittfolgen. Doch die Musik bestimmen meist Männer: Weibliche Djs sind in der Minderheit, erst seit den 1980er Jahren treten in der Popmusik Frauen und Frauengruppen stärker hervor, die meisten ProduzentInnen sind 80 Männer. Diese musikalisch-tänzerischen Analogien in historischer Perspektive verweisen sowohl auf bisherige Errungenschaften an Frauenrechten und Frauenemanzipation wie auf heute bestehende Defizite. Um diese abzubauen, kann eine Beschäftigung mit Geschichte hilfreich sein, denn in den Ansprüchen auf Gegenwartsveränderung spielen historische Legitimation und Traditionsbildung eine große Rolle. Hier gilt es festzuhalten, daß es immer noch zu wenig weibliche Traditionsstiftung gibt. Dies liegt an der männlichen Dominanz in der Politik und in der Geschichtswissenschaft, vielleicht aber auch an einem Unbehagen mit unseren Großmüttern, deren politische Positionen uns fremd sind, gelingt es uns nicht, ihre Handlungsmöglichkeiten zu historisieren und kontextualisieren. 17 Anmerhungen 1 Zu den verschiedenen Partizipationsmöglichkeiten von Frauen an der Revolution 1848/49 siehe jetzt Gabriella HAUCH, Frauen-Räume in der MännerRevolution 1848, in: Dieter DOWE, Heinz-Gerhard Haupt, Dieter LANGEWIESCHE (Hg.), Europa 1848. Revolution und Reform, Bonn 1998, 841900. Ein Überblick über die ältere Literatur in Sylvia PALETSCHEK, Frauen im Umbruch. Untersuchungen zu Frauen im Umfeld der deutschen Revolution von 1848/49, in: Beate FIESELER , Birgit SCHULZE (Hg.), Frauengeschichte gesucht - gefunden? Köln 1991, 47-64. 2 Dazu Gabriella HAUCH, Frau Biedermann auf den Barrikaden. Frauenleben in der Wiener Revolution 1848, Wien 1990, 114-132, 191-229. 3 Zur „nichtinstutionalisierten" Revolution, aber ohne dezidierte Reflexion geschlechtsspezifischer Partizipationsmöglichkeiten, vgl. Manfred GAILUS, Die Revolution von 1848 als „Politik der Straße", in: DOWE, HAUPT, LANGEWIESCHE (Hg.), 1848, 1021-1044. Am frühesten aufgearbeitet wurden die traditionalen Protestformen von Frauen im Vormärz und Revolution in dem immer noch zentralen Sammelband von Carola Lipp (Hg.), Schimpfende Weiber und patriotische Jungfrauen. Frauen im Vormärz und in der Revolution von 1848/49, Moos 1986, vgl. vor allem Carola Lipp, Katzenmusiken, Krawalle und „Weiberrevolution", in: LIPP, Schimpfende Weiber, 112-130. 4 Die unterschiedlichen Beteiligungsmöglichkeiten von Frauen in der institutionalisierten und der nichtinstutionalisierten Revolution thematisiert auch Dieter Langewiesche, Revolution in Deutschland. Verfassungsstaat - Nationalstaat - Gesellschaftsreform, in: DOWE, HAUPT, LANGEWIESCHE, 167-195, 193- 195. 5 Fanny Lewald zur Teilnahme der demokratischen Frauen Berlins am Trauerzug 81 vom 4. Juni 1848, in: Gerlinde HUMMEL-HAASIS (Hg.), Schwestern zerreißt eure Ketten. Zeugnisse zur Geschichte der Frauen in der Revolution von 1848/ 49, Miinchen 1982, 15. 6 Vgl. zu den Aufgabenbereichen der demokratischen Frauenvereine HAUCH, Frauen-Räume, 854-864. 7 Als Vorläuferorganisationen dieser demokratischen Frauenvereine der Revolutionszeit könnten die im Zuge der antinapoleonischen Befreiungskriegen entstandenen Patriotischen Frauenvereine angesehen werden, wenn auch der Unterschied besteht, daß diese im Gegensatz zu den Frauenvereinen der Revolutionszeit in einem weitergehenden Einklang mit der Obrigkeit standen. Zu den patriotischen Frauenvereinen vgl. Dirk-Alexander REDER, Frauenbewegung und Nation. Patriotische Frauenvereine in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, Köln 1997. 8 So war beispielsweise eine der Gründerinnen und das Vorstandsmitglied des Berliner demokratischen Frauenvereins, Lucie Lenz, eine Spionin. Vgl. Sylvia PALETSCHEK, Wer war Lucie Lenz? in: WerkstattGeschichte 1998. 9 Susanne ASCHE, Frauen ohne Furcht und Nadel? Geschlechterverhältnisse in der Revolution von 1848/49, in: Ariadne 33, 1998, 4-11, 10. 10 Rüdiger HACHTMANN, „nicht die Volksherrschaft auch noch durch Weiberherrschaft trüben" - der männliche Blick auf die Frauen in der Revolution von 1848", in: WerkstattGeschichte 4 (1998). 11 LANGEWIESCHE, Revolution in Deutschland, 195. 12 Ute GERHARD, Elisabeth HANNOVER-DRÜCK, Romina SCHMITTER (Hg.), „Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen". Die Frauen-Zeitung von Louise Otto (Auszugsweises Reprint), Frankfurt 1980. 13 Sylvia PALETSCHEK, Frauen und Dissens. Frauen im Deutschkatholizismus und in den freien Gemeinden 1841-1852, Göttingen 1990. 14 Johannes RONGE, Maria oder: Die Stellung der Frauen in der alten und neuen Zeit, Hamburg 1849; ders., Die Stellung der Frauen, in: Für christkatholisches Leben 6, 1848, 252-255; ders., Grundbestimmungen und Verfassung der Vereine deutscher Frauen, Hamburg 1850. 15 Zur Hamburger Frauenhochschule vgl. PALETSCHEK, Frauen und Dissens, 218-222; Elke KLEINAU, Ein (hochschul-)praktischer Versuch. Die „Hochschule für das weibliche Geschlecht" in Hamburg, in: dies., Claudia OPITZ (Hg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Bd. 2, Frankfurt 1996, 66-84. 16 Vgl. zu diesem Aspekt von „(Wo)Men's Emancipation and Women's Difference" Dagmar HERZOG, Intimacy and Exclusion. Religious Politics in Pre-Revolutionary Baden, Princeton 1996, 85-110. 17 Obwohl die neuere Frauengeschichtsforschung, die im Zusammenhang mit der zweiten Welle der Frauenbewegung Ende der 1960er und in den 1970er Jahren ihren Ausgang nahm, zunächst antrat, Frauen in der Geschichte sichtbar zu machen, fand bisher kaum eine weitergehende Reflexion über eine bewußte weibliche Traditionsstiftung in der Öffentlichkeit jenseits der akademischen Geschichtsschreibung statt. Die Geschichte von Frauen fand zwar vermehrt Eingang in historische Ausstellungen, doch das » permanentere" öffent- 82 liche Gedenken in Form von Feiertagen, Denkmaälern, Briefmarkenköpfen etcetera bezieht sich immer noch vornehmlich auf männliche Personen oder historische Ereignisse, die im öffentlichen Bewußtsein von Männern geprägt wurden - sieht man einmal von der Erinnerung an tragisch-schöne Prinzessinnen wie Sissi oder Diana ab. Es gibt kaum weibliche oder feministische „lieu de mem.oire". Die Entwicklung in der Frauen- und Geschlechterforschung im letzten Jahrzehnt rückte die (De)Konstruktion von Geschlecht und das Aufzeigen der Trennlinien zwischen "Frauen", die Interaktion der Kategorien Geschlecht, Rasse, Ethnie, Sozialschicht, Konfession etcetera mehr und mehr in den Vordergrund. Dies beförderte eine notwendige Differenzierung der Frauen- und Geschlechterforschung und eröffnete neue Perspektiven, machte eine feministische Traditionsstiftung aber problematischer und rückte sie in den Hintergrund. Als anregender Versuch, die Erinnerungsarbeit der historischen Frauenbewegungen aufzuarbeiten und weibliche Traditionsbildung zu reflektieren, vgl. Maria GREVER, The Pantheon of Feminist Culture: Women's Movements and the Organization of Memory, in: Gender & History 9, 1997, 364-374. 83