SS 2013 Prof. Dr. Hans-Werner Hahn Vorlesung: Europäische Revolutionen 1848/49 7. Vorlesung: Revolution und Öffentlichkeit II I. Handlungsebene Straße: Die Straße war neben der organisierten außerparlamentarischen Öffentlichkeit (Vereine, Presse), den Parlamenten auf nationaler und auf einzelstaatlicher Ebene, den neuen Obrigkeiten in Form der Reichszentralgewalt, der Märzministerien und der Magistrate sowie der fortbestehenden monarchisch-aristokratischen Gewalten auch nach dem März 1848 eine wichtige Handlungsebene im Revolutionsgeschehen. Zum Teil fanden auf der Straße organisierte Veranstaltungen statt (Straßenparlamente, Feste, Versammlungen, Demonstrationen), zum Teil blieb die Straße Schauplatz des spontanen Protests (Katzenmusiken, Hungerunruhen). Die Straßenpolitik des Volkes fügte sich nur schwer oder auch gar nicht in die Revolution der Bürger ein (selbst die Demokraten hatten hier Probleme). Im Vordergrund des Straßenprotestes standen meist konkrete Interessen und die Verteidigung überlieferter vorindustriell-antikapitalistischer Normen. Folglich richtete sich der Protest der Unterschichten, denen nur die Straße als Handlungsraum blieb, nicht nur gegen die alten monarchisch-adligen Eliten, sondern oft auch gegen die Vorstellungen der neuen bürgerlichen Eliten. Das letztgenannte Konfliktmodell unterstreicht nach Manfred GAILUS (Brot und Straße. Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berücksichtigung Preußens, 1847-1849. Göttingen 1990) die Distanz zwischen bürgerlichen und unterbürgerlichen Schichten. GAILUS unterschätzt freilich, dass auch ein großer Teil der bürgerlichen Kräfte in sozialökonomischer Hinsicht vorindustriellen Leitbildern verpflichtet war. So wehrten sich viele Städte vehement gegen eine von wirtschaftsliberalen Prinzipien geleitete Ordnungspolitik und kritisierten sowohl das Prinzip der Freizügigkeit als auch die Gewerbefreiheit. II. Handwerkerbewegung: Die Handwerker waren vielerorts eine wichtige Trägerschicht der Revolution und unterstützten die politischen Ziele von Liberalen und Demokraten. In wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht blieben sie aber vielfach noch der alten Handwerkerwelt verbunden. Das zeigte der 1. deutsche Handwerker- und Gesellenkongress, der am 15. Juli 1848 in Frankfurt begann. Die Forderungen der Meister liefen auf besseren Schutz durch neue Gesetze und einen dritten Weg zwischen alter Zunftordnung und freier Konkurrenz hinaus. In Massenpetitionen unterstützten Handwerksmeister aus ganz Deutschland das Programm des Frankfurter Gewerbekongresses. Die Gesellen spalteten sich im Sommer 1848 weniger wegen unterschiedlicher Einstellungen zur geplanten Gewerbeverfassung, sondern wegen ihrer Kritik an der Bevormundung durch die Meister organisatorisch ab. Das Handwerk war sozialökonomisch eher konservativ, politisch aber offen für alle Richtungen. Besonders stark war es in den Demokratenvereinen engagiert. Im Verlaufe der Revolution wuchs im Handwerk die Enttäuschung wegen der unzureichenden Zugeständnisse der Nationalversammlung, die am Ende im Grundsatz für Freizügigkeit und Gewerbefreiheit, also für den Wirtschaftsliberalismus, entschied. Guter Überblick bei: F. LENGER, Sozialgeschichte der deutschen Handwerker seit 1800, Frankfurt a. M. 1988. 1 III. Schutzzoll- und Freihandelsbewegungen: In den Fragen eines künftigen gemeinsamen deutschen Zolltarifs gab es harten Streit innerhalb des bürgerlichen Lagers. Es ging weniger um wirtschaftspolitische Prinzipien, sondern vor allem um konkrete wirtschaftliche Interessen. Die auf Norddeutschland konzentrierten Freihändler und die Schutzzöllner mit ihren Zentren in Süd- und Mitteldeutschland versuchten, ihren jeweiligen Zielen durch nationale Organisationen und eine Petitionsbewegung Nachdruck zu verleihen. Besonders erfolgreich war dabei der "Allgemeine deutsche Verein zum Schutze der vaterländischen Arbeit", der mit wirtschaftsnationalen Parolen eine Petitionsbewegung mit über 370.000 Unterschriften aus verschiedensten sozialen Schichten in Gang setzen konnte. Die Reichszentralgewalt und die Nationalversammlung folgten am Ende keiner der beiden Seiten, sondern versuchten den Weg des Kompromisses. Konkrete Fortschritte auf dem Weg zur deutschen Wirtschaftseinheit konnten am Ende nicht erreicht werden. Die tiefen innerbürgerlichen Interessenunterschiede in den Wirtschaftsfragen (Schutzzoll/Freihandel – Gewerbefreiheit/Schutz des Handwerks) waren zwar nicht die Hauptursache für das Scheitern der Revolution, haben aber zweifellos dazu beigetragen, den bürgerlichen Führungsanspruch in der nationalen Politik zu schwächen. H. BEST, Interessenpolitik und nationale Integration. Handelspolitische Interessenkonflikte im frühindustriellen Deutschland, Göttingen 1980. IV. Frauen und Revolution: Carola LIPP (Hrsg.), Schimpfende Weiber und patriotische Jungfrauen. Frauen im Vormärz und in der Revolution von 1848/49, 2. Aufl. Baden-Baden 1998. Ute GRAU/ Barbara GUTTMANN, Fahnensticken, patriotisches Einkaufen und der „weibliche Terrorismus“. Frauen in der Revolution von 1848/1849, Eggingen 2002. Sabine FREITAG (Hrsg.), Die Achtundvierziger. Lebensbilder aus der deutschen Revolution 1848/49. München 1998. Sylvia PALETSCHEK, Frauen und Dissens. Frauen im Deutschkatholizismus und in den freien Gemeinden 1841-1852. Göttingen 1990. Die Revolution bildete auch für das politische Engagement von Frauen eine wichtige Zäsur. Frauen beteiligten sich in mehrfacher und sehr verschiedener Hinsicht an der Revolution: Unterschichtenfrauen waren am Straßenprotest und auch an Barrikadenkämpfen beteiligt. Bürgerliche Frauen wie Amelie STRUVE und Henriette OBERMÜLLER strebten danach, sich direkt an den politischen Kämpfen und sogar den Aufständen zu beteiligen. Ein solches Engagement wurde aber weder von den meisten Männern noch von den Frauen selbst angestrebt. Auf den Besuchertribünen der Parlamente, im Vereinsleben, bei Festen der Bürgerwehren oder nationalen Sammlungen (Flotte, Schleswig-Holstein) traten Frauen aber 1848 auch im öffentlichen Raum in Erscheinung. Vielfach wurden auch neue Frauenvereine gegründet, bei denen meist in aller Regel die sozialen Ziele im Vordergrund standen. Dennoch erhielten 1848/49 auch die Emanzipationsbestrebungen wichtige Impulse. Es entstanden einige politische Frauenvereine, es wurde intensiver als zuvor auch über die soziale und rechtliche Stellung der Frau diskutiert, so dass 1848 auch als Auftakt einer eigenständigen Frauenbewegung gesehen werden kann. Louise OTTO-PETERS, die 1865 den „Allgemeinen Deutschen Frauenverein“ gründete, trat 1848 bereits mit einer ersten Frauenzeitung hervor. 2