Die Revolution von 1848/49 in Deutschland

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Verfassung und Nationalstaat
Die Revolution von 1848/49 in Deutschland
gehalten hatte. Nach eineinhalb Jahren aber waren die Erhebungen niedergeschlagen. Woran lag das?
1848/49: Revolutionen in Europa
Das Jahr 1848 brachte Revolutionen in fast ganz Europa.
Schon 1847 war es in der Schweiz zum gewaltsamen Zusammenstoß zwischen liberalen und beharrenden Kräften
gekommen (siehe S. 155–158). Im Januar 1848 erzwangen
Aufständische in Neapel eine Verfassung. Das revolutionäre
Zentrum aber wurde erneut Paris. Zwar hatten die Franzosen
seit 1830 einen König, der von der Volksvertretung abhängig war. Aber ein harter Zensus sorgte dafür, dass nur etwa
drei Prozent der Franzosen an Wahlen teilnehmen konnten.
Im Februar 1848 nun wurde in Paris bei Demonstrationen ein
anderes Wahlrecht gefordert. Als die Regierung eine Volksversammlung verbot, kam es zu Straßenkämpfen, wobei sich
das Militär untätig zeigte. Wie 1792 wurde die Republik
ausgerufen.
Die Pariser Vorgänge wirkten wie ein Funke, der ins Pulverfass fliegt. Einige Tage später standen wichtige Städte Europas in Aufruhr. Vor allem waren Länder betroffen, in denen
die Restauration liberale und nationale Bewegungen nieder-
Die Märzbewegung in Deutschland
Im Februar, vor allem aber im März 1848 beteiligten sich in
ganz Deutschland Menschen aus allen Schichten an Volksversammlungen und Demonstrationen. Viele Flugschriften
verwiesen auf das westliche Vorbild: „Frankreich ist eine
Republik! Auch für uns hat die Stunde geschlagen!“ Einige
Forderungen wurden bald überall erhoben: Pressefreiheit,
Versammlungsfreiheit, Schwurgerichte, Öffentlichkeit der
Gerichtsverhandlungen, Bürgerwehr, Vollendung der Bauernbefreiung und schließlich: eine Verfassung, ein Parlament für ganz Deutschland.
In der letzten Forderung regte sich wieder das Verlangen
nach nationaler Einheit und Freiheit. Aber auch die anderen
Wünsche sind leicht zu verstehen. Sie bezogen sich auf die
Methoden, mit denen die Regierungen in den letzten Jahren
– im Vormärz – freiheitlichen Regungen entgegengetreten
Revolutionen in
Europa 1848/49
Berlin
18.3.
17.6.
Frankfurt
Prag
27.2.
Paris
13.3.
München
20.3.
Wien
Mannheim
23.2.
1848-51
Republik
18.3.
22.3.
Mailand
14.3.
Debreczin
Pest
Venedig
Von Revolutionen
betroffene Staaten
Rom
26.1.
Neapel
Palermo
26.1.
Erste liberale oder
13.3. nationale Aufstände
in wichtigen Städten
Tagungsort einer
Nationalversammlung
Erfolgreiche Militäraktionen gegen revolutionäre Bewegungen
Grenze des
Deutschen Bundes
128
Verfassung und Nationalstaat
„Errichtung und Vertheidigung einer Barrikade an der Rheinbrücke
zu Mannheim am 26. April 1848.“
Zeitgenössischer Stich
waren. Da waren die Knebelung der Presse, das Verbot öffentlicher Versammlungen, die undurchsichtigen Prozesse
gegen „Demagogen“, die oft mit härtesten Strafen endeten.
Zur besseren Kontrolle sollten Gerichtsverfahren öffentlich
werden und neben ausgebildeten Berufsrichtern Geschworene aus dem Volk mitwirken. Schließlich sollte das stehende Heer, das schärfste Instrument der Obrigkeit, durch die
Bürgerwehr ersetzt werden.
Die Regierungen in den deutschen Mittelstaaten wichen
zurück. Es war das erste Mal, dass sie gleichzeitig an vielen
Orten Demonstrationen erlebten, an denen sich gemeinsam
Bürger, Handwerksgesellen, Arbeiter, Studenten beteiligten. Die Herrscher machten Liberale zu Ministern. Sie setzten darauf, dass diese die Unruhe dämpfen und sich mit kleinen Reformen zufriedengeben würden. Auch die
Bauernbefreiung* wurde schnell überall vollendet. Ein
überfälliger Schritt, der nun aber die Revolution schwächte,
weil die Bauern aus dem Heer der Fordernden ausschieden.
Den Demokraten und Sozialisten indes genügten diese Reformen nicht. Sie wünschten die Republik. Die soziale Ungleichheit war vor allem den Sozialisten ein mindestens
ebenso wichtiges Thema wie die Verfassungsfragen. Versammlungs- und Pressefreiheit waren ihnen nicht nur Endzweck, sondern gleichzeitig Mittel, um weitere Ziele zu erreichen: Sie wollten Beteiligung der Arbeiter am Gewinn,
der in Fabriken erwirtschaftet wurde, Bildung auch für die
Armen und gleichen Wohlstand für alle. Es war wie in der
Französischen Revolution: Nicht alle, die auf Veränderung
drängten, wollten dasselbe.
Eine Vorentscheidung fiel schon im April 1848. In Frankfurt
am Main traten 574 Männer zu einem „Vorparlament“ zusammen. Sie handelten damit nach dem Grundsatz der
Volkssouveränität – allerdings ohne gewählt zu sein. Freilich hatten sie sich alle in den Jahren zuvor einen bekannten
Namen gemacht.
Die Demokraten und Sozialisten im Vorparlament forderten, dass die Versammlung Gesetze verabschieden und die
Exekutive einem Ausschuss übertragen solle. Deutschland
hätte damit eine Revolutionsregierung nach dem französischen Vorbild von 1793/94 bekommen. Hatte aber nicht gerade diese Phase der Französischen Revolution zu Diktatur
und Schreckensherrschaft geführt? Daran dachte die liberale Mehrheit im Vorparlament. Sie beschloss Wahlen zu einer
Nationalversammlung. Das Vorparlament löste sich auf.
Die Revolution in Deutschland
Die Revolution in Preußen
Zu Wahlen für eine deutsche Nationalversammlung wäre es
wohl nicht gekommen, wenn die Märzbewegung nicht in
den beiden wichtigsten deutschen Staaten, in Preußen und in
Österreich, gesiegt hätte.
In Preußen war noch die Erinnerung an das königliche Ver129
Verfassung und Nationalstaat
Die Aufbahrung der Märzgefallenen von Berlin (auf dem
Gendarmenmarkt), 1848. Unvollendetes Gemälde von
Adolph von Menzel, 1848
fassungsversprechen von 1815 wach. Von Friedrich Wilhelm IV., der seit 1840 regierte, hatte man endlich die Einlösung dieses Versprechens erwartet. Der aber stellte sich das
Regieren ganz anders vor: Verfassungen sah er als Ausdruck
von Misstrauen zwischen den Monarchen und „ihren“ Völkern an.
Nach Berlin drang rasch die Nachricht von der Revolution in
Paris. Die Wirtschaftslage in Berlin war 1848 – wie andernorts – schlecht. Die Stadt war in den Jahrzehnten zuvor rasch
gewachsen, es herrschte großes Wohnungselend. Die meist
armen Zuziehenden kamen vom Lande – eine Wirkung von
Bauernbefreiung und Bevölkerungsvermehrung. Lebensmittelgeschäfte wurden geplündert, die Polizei war nicht
mehr Herr der Lage, Militär griff ein.
Am 18. März versammelten sich etwa 10 000 Berliner vor
dem Schloss. Eine Abordnung sollte vom König Pressefreiheit und Volksbewaffnung verlangen. Den meisten Berichten zufolge verhielten sich die Teilnehmer an der Versammlung friedlich. Viele hatten ihre guten Kleider angezogen.
Auch Militär war da, dessen Abzug die Menge forderte.
Stattdessen erhielten die Soldaten den Befehl, die Versammlung aufzulösen. Es fielen zwei Schüsse. Sie wirkten
als Signal zum Kampf zwischen Bürgern und Soldaten, Barrikaden wuchsen empor. Schließlich zog sich das Militär
zurück, der König gab nach. Anderntags musste er sich vor
den Särgen gefallener Bürger verneigen. In einem Aufruf
des Königs an seine „lieben Berliner“ stand sogar zu lesen:
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„Preußen geht fortan in Deutschland auf.“ Auf einem Umritt
durch die Stadt zeigte sich der König mit schwarzrotgoldener Kokarde: den Farben der deutschen Nationalbewegung.
Die Revolution schien in Berlin gesiegt zu haben. Eine
„preußische Nationalversammlung“ wurde gewählt. Zur
Volksbewaffnung, die gefordert wurde, kam es aber nicht.
Die Franzosen hatten nach dem 14. Juli 1789 die Nationalgarde aufgebaut. Die preußische Armee hatte sich zwar
zurückgezogen, aber ihre Stellung war nicht gefährdet.
Die Revolution in Österreich
Aus Wien berichtete ein sächsischer Diplomat am 12. März:
„Salon Metternich. Ruhe und Sicherheit.“ Für den 13. März,
12 Uhr, vermerkte er: „Der Schrei ‚Nieder Metternich‘ wird
allgemein und Losungswort.“ Und um 21.30 Uhr an demselben Tag heißt es: „Fürst Metternich gibt seine Entlassung.“
Ein paar Tage danach verließ Clemens Fürst von Metternich,
der die Geschicke Europas und Deutschlands fast vier Jahrzehnte lang mitgestaltet hatte, Wien und Österreich. In Wien
hatte die Revolution gesiegt.
Um die Revolution in Österreich beurteilen zu können, müssen wir den Blick auch auf Prag, Budapest und Mailand richten: Schwarz-Rot-Gold konnten hier nicht die Farben der
Revolution sein. Hieß die nationale Forderung in Deutschland „Einheit“, so lautete sie hier „Freiheit“. Das hieß zwar
auch – wie in den deutschen Staaten – Verfassungen, vor allem aber bedeutete „Freiheit“ die Forderung nach nationaler
Verfassung und Nationalstaat
Die verfassungsgebende Nationalversammlung. Farblithographie von C. A. Lill, 1848
Selbstbestimmung, vielleicht sogar Trennung von Österreich.
Im Sommer 1848 war Venedig Republik, aus Mailand hatte
das österreichische Militär abziehen müssen. Ungarn regierte sich selbst, und in Böhmen regte sich eine tschechische
Nationalbewegung. Auch die Serben, Kroaten und Rumänen verlangten mehr Rechte.
Die Revolution in Südwestdeutschland
In den südwestdeutschen Mittelstaaten hatte sich die bürgerlich-liberale Bewegung in der Zeit des Vormärz am kräftigsten herausgebildet. In Baden trafen sich seit der Jahresmitte
1847 immer wieder führende Vertreter aus verschiedenen
süddeutschen Landtagen, um Reformvorschläge zu beraten.
Vor allem ging es ihnen um die Herstellung der deutschen
Einheit und um die Gewährung bürgerlicher Freiheits- und
Mitwirkungsrechte. Darüber hinaus besprachen sie auch,
wie die Lage der ärmeren Klassen zu verbessern sei und
größere Gerechtigkeit bei den Steuern und Abgaben erreicht
werden könne.
Die Mehrheit lehnte eine gewaltsame Veränderung der bestehenden Verhältnisse ab. Man wollte die Forderungen in
Zusammenarbeit mit den Herrschenden durch allmähliche
Reformen durchsetzen. So waren die Liberalen vom plötzlichen Ausbruch der Unruhen auch in den südwestdeutschen
Staaten ebenso überrascht wie die Fürsten und schlossen
sich der revolutionären Bewegung nur mit Vorbehalten an.
Die Frankfurter Nationalversammlung
Politische Gruppierungen und die Ernennung
einer provisorischen Regierung
Im Mai 1848 trat in der Frankfurter Paulskirche eine gewählte Nationalversammlung zusammen, um Deutschland
eine Verfassung zu geben und die Einigung vorzubereiten.
In der Nationalversammlung saßen vor allem „Honoratioren“, d.h. angesehene Männer aus angesehenen bürgerlichen Berufen. Fast 300 der Abgeordneten und ihrer Stellvertreter waren Professoren, Schriftsteller, Rechtsanwälte und
Ärzte. Es gab mehr als 300 Beamte und Richter. Mehr als
100 Gewählte vertraten das Wirtschaftsleben.
Bald bildete sich eine Vielfalt politischer Gruppen, die Vorläufer der späteren Parteien. Nach ihren Tagungsorten genannt – das waren Gasthöfe – reichte sie vom „Deutschen
Hof“ auf der Linken bis zum „Café Milani“ auf der Rechten.
Linke und Rechte: Diese Einteilung der politischen Richtungen hatte man nach der Sitzordnung im Versammlungssaal
aus der Französischen Revolution übernommen. Die Linke
wollte eine demokratische Republik. Die Rechten hielten zur
Monarchie und waren gegen die staatsbürgerliche Gleichheit, also für die Beibehaltung ständischer Rechte in einem
geeinten Deutschland. Die Mehrheit bildete die liberale Mitte, die zwischen beiden Positionen vermitteln wollte.
Die Versammlung richtete eine vorläufige Gesamtregierung
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