P O L I T I K MEDIZINREPORT Kolorektale Adenome und Karzinome Polypen sind die sessilen und flachen Formen, denn diese haben nach Infiltration der Lamina muscularis mucosae sofort den Level vier der Eindringtiefe erreicht, während gestielte Polypen dann erst den Level eins erreicht haben. Nur bei Level vier aber resultieren Lymphknotenmetastasen. „Wenn man lange genug wartet Die Prognose für Patienten mit kolorektalen Karzinomen hat sich infolge zunehmender und der Patient die entsprechenden Früherkennung, modifizierter Operationstechniken und wirkungsvollerer Bekämpfung von Voraussetzungen hat, wird aus jedem in Rektum oder Kolon ein Metastasen im vergangenen Jahrzehnt deutlich verbessert. Im Mittelpunkt der 23. Ko- Adenom Karzinom“, charakterisierte Prof. W. loproktologie-Tage in München standen Vorsorge, Klassifikation, chirurgische Therapie Matek (Coburg) die Situation. Zu den und Nachsorge bei den verschiedenen Formen kolorektaler Adenome und Karzinome. Risikogruppen für Kolonkarzinome zählen Personen mit familiärer as Adenom ist im kolorekta- gegeben, wenn weniger als 100 über- Adenomatosis coli, erstgradige Verlen Bereich die weitaus häu- wiegend flache Polypen vorzugsweise wandte mit Dickdarmkrebs, Patienfigste Präkanzerose. Die Ent- im rechten Kolon zu finden sind. ten mit Colitis ulcerosa oder Morbus wicklung eines Karzinoms Wie Prof. Wolfgang Heitland Crohn sowie mit Schistosomiasis im verläuft vom normalen Gewebe über (München) ausführte, sind Polypen Kolon. Über 90 Prozent der Kolonnieder- und hochgradige Dysplasie mit einem Durchmesser von mehr als karzinome gingen aus adenomatösen hin zum Karzinom. Für kolorektale 40 Millimetern in 78,2 Prozent der Kolonpolypen hervor, so Matek. Tumoren gilt die Regel: „Nur wenn Fälle zu einem Adenokarzinom entObwohl unspezifisch für das Kodas dysplastische Epithel durch die artet. Gefährlicher als die gestielten lonkarzinom und auch nicht immer Lamina muscularis mucosae in die ein Frühsymptom, ist die sichtbare Submukosa infiltriert ist, liegt ein peranale Blutung das wichtigste Karzinom vor“, erklärte Prof. Paul Leitsymptom der Erkrankung. UnHermanek (Erlangen). abhängig von der Häufigkeit und Neue Erkenntnisse betreffen der Frequenz der Blutung ist ein das Vorkommen sogenannter flaPatient mit diesem Leitsymptom cher Adenome (flat adenomas). ein Risikopatient. Nur die konseStudien am Erlanger Register koquente diagnostische Abklärung lorektaler Polypen ergaben, daß des gesamten Kolons durch Kolobei Adenomen bis zu fünf Milliskopie bis hin zum Zökum – altermeter Durchmesser in nur 0,02 nativ der Doppelkontrasteinlauf – Prozent der Fälle und bei einem ermöglicht den sicheren Ausschluß Durchmesser von fünf bis zehn oder die Bestätigung eines Tumors. Millimetern in 0,8 Prozent der Die Makroblutung tritt jedoch bei Fälle infiltrative Karzinome entmanchen Patienten erst in fortgewickelt sind. Dieses langsame schrittenen Tumorstadien auf, oder Wachstum ist für Vor- und Nachsie unterbleibt sogar. Mit der Mögsorge von Bedeutung. lichkeit, okkultes Blut im Stuhl Patienten mit Adenomen sind durch den Haemoccult-Test aufzuRisikopersonen für die Entwickdecken, kann auch die peranale Milung von Karzinomen. Dieses Risikroblutung erfaßt werden. Neuerko beträgt höchstens zehn Prozent. dings werden für die Frühdiagnose Liegen mehr als 100 Polypen im genetische Methoden getestet, beikolorektalen Bereich vor, so wird spielsweise die Bestimmung des von Polypose gesprochen. Von dieOnkogens K-ras im Stuhl. Durch die ser Regel gelten folgende AusnahGenanalyse eröffnet sich auch die men: Möglichkeit, bestimmte Risikoc Juvenile Polypose besteht, gruppen besser herausfiltern zu wenn mehr als fünf Polypen im Kokönnen. Matek empfielt neben dem lorektum und in anderen Abschnitjährlichen Haemoccult®-Test als zusätzliche Maßnahme alle drei Jahre ten des Gastrointestinaltraktes vor- Oben: Skizze eines gutartigen Polyps in der Damwand. handen sind. Diese Form tritt fami- Mitte: Einzelne Zellen sind bereits zu Tumorzellen entartet. eine Sigmoidoskopie, die auch das Zökum erfassen sollte. Wenn Verliär gehäuft auf. Noch ist eine endoskopische Entfernung möglich. c Hereditäres flaches Ade- Unten: Aus dem gutartigen Polypen hat sich ein bösartiger wandte ersten Grades an kolorektalem Karzinom erkrankten und ein nom-Syndrom (HFAS) ist dann Tumor entwickelt, der tief ins Gewebe eingedrungen ist. Das Vorgehen ist differenzierter geworden Olympus Fotoarchiv D A-3166 (34) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 47, 21. November 1997 P O L I T I K MEDIZINREPORT höheres Lebensalter vorliegt, sollte dieses Standardprogramm um totale Koloskopie und histologische Untersuchungen erweitert werden. benignen Polypen waren bei den 237 Patienten in 60 Fällen im unteren Rektumdrittel, 150mal im mittleren und 27mal im oberen Rektumdrittel lokalisiert. Die Tumoren wiesen einen Rezidive Durchmesser von durchschnittlich 4,1 Zentimetern auf. Die durchNach der Adenom-Entfernung schnittliche Operationsdauer betrug muß der Patient mit einem Rezidiv 93,5 Minuten. Postoperativ blieben rechnen – und zwar abhängig vom die Patienten im Mittel 8,9 Tage in Primärbefund, wie Matek erinnerte: der Klinik. Die Letalität lag bei 0,8 Hatte der Patient nur ein einziges Prozent (zwei von 237 Patienten). Adenom im kolorektalen Bereich, Die Komplikationsrate betrug drei dauert es etwa vier Jahre, bis sich Prozent (sieben von 237 Patienten). Benigne wieder ein Adenom entwickelt. HatIn der durchschnittlichen Nachbeobte er aber zwei oder mehrere solcher achtungszeit von 56 Monaten entRektumpolypen Tumoren, dann sprießen die Rezidiwickelten 14 Patienten ein Rezidiv. Dr. Achim Heintz (Mainz) be- Alle 14 konnten transanal, endoskove bereits nach dem zweiten oder dritten Jahr. Dies betrifft etwa zehn richtete über eine retrospektive Ana- pisch nachoperiert werden und sind Prozent der polypektomierten Pati- lyse, die das Ziel hatte, die Ergebnis- seitdem ohne Befund. Heintz et al. se der transanalen, endoskopischen zogen aus diesen Ergebnissen den enten. Ein Patient mit multiplen Schluß, daß die transanale, endoAdenomen sollte alle zwei Jahre skopische Operation zur Entferendoskopisch kontrolliert werden. nung von benignen RektumpolyBei einem Adenom genügt die Inpen eine niedrige Morbidität und spektion alle vier Jahre. War das Mortalität aufweist und gute entfernte Adenom kleiner als ein Langzeitergebnisse erbringt. Zentimeter im Durchmesser, ist Die differenzierte chirurgische keine spezielle Nachsorge erforBehandlung kolorektaler Polypen derlich; es genügt die Standardzeigte Dr. Karl-Heinz Ebert (Olpe) Nachsorge. Handelte es sich um tuauf. Sie orientiert sich an Größe bulovillöse oder villöse Adenome, und Dignität der Adenome. Die die größer als ein Zentimeter wa152 Patienten der vorgetragenen ren, so ist eine KontrolluntersuStudie wurden in drei Gruppen einchung im Abstand von drei Jahren geteilt. Die Patienten der Gruppe und später von fünf Jahren angeeins (n = 93) wurden endoskopisch zeigt. polypektomiert. Von den entfernEine engmaschige Kontrolle ten 140 Polypen waren sechs maliim Abstand von drei bis sechs Mogne entartet. Rund 75 Prozent aller naten wird empfohlen, wenn die Polypen fanden sich im Rektum sessilen Polypen über zwei Zentiund Sigmoideum, zehn Prozent im meter Durchmesser aufwiesen, rechten Hemikolon. wenn sie eine hochgradige DysplaGruppe zwei umfaßte die Patisie zeigten oder wenn sie gar bereits enten mit transanaler Abtragung ein invasives Karzinom entwickelt Thermische Abtrennung eines Polypen aus der Darmschleim- (n = 25). Bei neun Patienten war hatten. Zeigen sich über einen län- haut per Schlinge, die durch den Arbeitskanal eines Endo- das Adenom bereits maligne entarFoto: Olympus Fotoarchiv tet. Gruppe drei schließlich setzte geren Zeitraum keine pathologi- skops geführt wird. schen Veränderungen, ist später eisich aus Patienten zusammen, dene Inspektion im Abstand von drei Operationstechnik zur Entfernung ren Darm teilweise entfernt wurde benigner Rektumpolypen zu über- oder die sich einer Kolostomie unterJahren sinnvoll. Anhand einer retrospektiven prüfen. Zur lokalen Exzision wurde ziehen mußten. Hier war bei elf von Auswertung von 3 174 Patienten mit die von Bueß entwickelte transanale, 43 Patienten der Polyp bereits maliproktologischen Erkrankungen und endoskopische Technik angewendet. gne entartet. dem Vergleich der Ergebnisse mit de- Die Indikation für den Eingriff wurde Ebert verwies auf die unabhängig nen einer prospektiven Studie, in der gestellt, wenn der Polyp bei der rek- von der Methode niedrige Komplika140 Patienten mit rektalen Blutungen tal-digitalen Untersuchung frei be- tionsrate des differenzierten Vorgezunächst rektoskopiert und an- weglich war und sich die Muscularis hens. Nur bei einem Patienten aus schließend koloskopiert wurden, propria unter dem Polypen endoso- Gruppe drei war eine Re-Laparoskokonnte die Notwendigkeit einer Ko- nographisch unauffällig zeigte. Die pie wegen Nachblutung erforderlich. loskopie bis zum Zökum untermauert werden. Bei 30 Prozent der Patienten wurden insgesamt 73 Polypen und vier Adenokarzinome entdeckt. Rund 35 Prozent der Polypen hatten ihren Sitz proximal der linken Flexur und wären somit einer alleinigen Rektoskopie oder Sigmoidoskopie entgangen. „Nur der routinemäßige Einsatz der totalen Koloskopie vermag die Inzidenz des kolorektalen Karzinoms deutlich zu senken“, unterstrich J. Weber (Wuppertal). A-3168 (36) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 47, 21. November 1997 P O L I T I K MEDIZINREPORT Auffallend ist der hohe Anteil von 13 Prozent bereits maligne entarteter Polypen. Breitbasige Rektumadenome Die lokale endoskopische Schlingen-Abtragung ist bei einem benignen Tumor im Rektum die Methode der Wahl. Sie ist für den Patienten kaum belastend. Auch beim Rektumkarzinom kann im Stadium pT1 unter bestimmten Bedingungen („low risk“) eine lokale Exzision mit kurativer Zielsetzung durchgeführt werden. Hier ist jedoch die transanale, endoskopische Mikrochirurgie (TEM) angebracht, bei der unter stereoskopischer Lupenvergrößerung im gesamten Rektum und unteren Sigma exakt präpariert werden kann. Je nach Art, Größe und Lokalisation des Tumors kann in Mukosektomie- oder Vollwand-Technik operiert werden. Durch Modifikation des Standard-Instrumentariums, zum Beispiel zu unterschiedlich abgewinkelten Präparierhaken, können kom- plette Darmsegmente auf eine Länge bis zu zehn Zentimetern reseziert werden, berichtete Dr. Karl Kipfmüller (Hildesheim). Bei den 255 von Kipfmüller et al. mit dieser Technik operierten Patienten ließen sich komplikationslos Segmentresektionen durchführen. Der Blutverlust belief sich im Mittel auf 97 ml. Im Durchschnitt dauerte die Operation 166 Minuten. Inzwischen konnte diese Zeitspanne auf unter 120 Minuten gesenkt werden. Die mittlere Größe der resezierten Präparate betrug rund 79 cm2, die der entfernten Tumoren 58,6 cm2, und das größte Segment hatte ein Ausmaß von 10 x 16 Zentimetern. Die histologische Analyse erbrachte zwölf Adenome und vier pT1-Karzinome. Präoperativ waren alle Tumoren klinisch und endosonographisch als gutartige Adenome eingestuft worden. Die postoperativen Verläufe nach dem minimal-invasiven Eingriff waren durchwegs komplikationslos. Die älteste Patientin war im 82. Lebensjahr. Alle Patienten konnten nach etwa einer Woche entlassen werden. Siegfried Hoc Serologische Diagnostik kolorektaler Karzinome Der serologische Nachweis von Tumorantigenen, wie CEA und CA 19-9, wird zur Diagnostik von kolorektalen Tumoren zwar praktiziert, ist jedoch nicht sehr aussagekräftig, da nicht nur vitale Tumorzellen erfaßt werden, sondern auch kreuzreagierende Antigene normaler Zellen falsch positive Resultate liefern. Die ist zum Beispiel der Fall bei Phagozyten, die Tumorzellen aufgenommen haben. Sicher dagegen ist der Nachweis von Tumorantigen-RNA durch die Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Diese Methode ist an das Vorhandensein vitaler Tumorzellen geknüpft. Dabei wird nicht das Antigen HL-6 selbst, sondern als Korrelat seiner Expression die entsprechende mRNA nachgewiesen. HL-6 ist ein membranintegriertes Protein mit Ionenkanal-Eigenschaften. Es unterliegt physiologisch einer autologen Expressionshemmung. In Tumoren aber fehlt diese Hemmung, so daß es ungehindert exprimiert wird. Zur Bestimmung der entsprechenden mRNA wird aus zehn ml heparinisiertem Vollblut mit Hilfe von reserver Transkriptase (Umwandlung in cDNA), PCR und Nachweis durch Gel-Elektrophorese die mRNA des tumorassoziierten Antigens HL-6 bestimmt. In einer klinischen Studie mit Patienten, die an kolorektalen Tumoren erkrankt waren, haben Dr. Th. Schiedeck et al. (Lübeck) das HL-6-Antigen bestimmt und mit dem CEA-Titer verglichen. Von 50 Patienten zeigten 84 Prozent präoperativ einen positiven HL-6-Nachweis. Die CEA-Spiegel waren dagegen nur in 48 Prozent der Fälle pathologisch erhöht. Eine Kontrollgruppe aus 45 gesunden Probanden war HL-6-negativ. Aufgrund dieser Ergebnisse empfehlen Schiedeck et al. den Nachweis tumorantigenassoziierter mRNA als wertvolles und sensitives Instrument der Tumordiagnostik. S.H. A-3170 (38) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 47, 21. November 1997 Notizen vom Europäischen Krebskongreß Die Erfolge bei der Therapie des kolorektalen Karzinoms blieben heute noch weit hinter den Möglichkeiten zurück, erklärte Prof. Werner Hohenberger (Erlangen/Nürnberg) auf dem Europäischen Krebskongreß in Hamburg. Derzeit würden nur maximal zehn Prozent aller kolorektalen Karzinome im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen erfaßt. Die Folge sei, daß mehr als 20 Prozent der Betroffenen wegen des weit fortgeschrittenen Tumorleidens von vornherein nicht mehr heilbar seien. Dabei sei die Vorsorge bei diesem Tumorleiden besonders aussichtsreich. Praktisch alle bösartigen Tumoren des Dickdarms und des Mastdarms durchliefen gutartige Vorstufen, in denen sie längere Zeit verbleiben. Mittelfristig sei bei Adenomen aber immer das Risiko der Entartung gegeben. Hohenberger setzte sich für eine jährliche Vorsorgeuntersuchung (Suche nach okkultem Blut in drei aufeinanderfolgenden Stuhlproben) ab dem 50. Lebensjahr ein. Eine weitere Verbesserung ist von der Einführung der Qualitätssicherung zu erwarten. Stärker als bei anderen Tumoren sei beim Kolorektalkarzinom die Prognose von der Geschicklichkeit des Chirurgen abhängig. Langzeitstudien hätten ergeben, daß die Fünf-Jahres-Überlebensraten zwischen 45 und 80 Prozent schwanken – je nachdem, an welcher Klinik der Patient operiert wird. Die Deutsche Krebsgesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie hätten durch die Erstellung von Leitlinien die Voraussetzungen für eine optimale chirurgische Therapie geschaffen. Diese gelte es nun umzusetzen. Übrigens könne eine Verbesserung der operativen Versorgung auch helfen, die Kosten zu senken. Eine schottische Studie habe ergeben, daß die Kliniken mit den besten Ergebnissen auch am kostengünstigsten arbeiten. Es gebe weniger postoperative Komplikationen, weniger adjuvante Therapien und weniger Rezidivoperationen. Rüdiger Meyer