Jahrbuch 2006/2007 | Frahm, Jens | Magnetresonanz-Tomografie in der Neurobiologie – von Maus bis Mensch Magnetresonanz-Tomografie in der Neurobiologie – von Maus bis Mensch Magnetic Resonance Imaging in Neurobiology – From Mouse to Human Frahm, Jens Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen Korrespondierender Autor E-Mail: jfrahm@gw dg.de Zusammenfassung Die Arbeitsgruppe „Biomedizinische NMR“ befasst sich mit der Weiterentw icklung der MagnetresonanzTomografie und ihrer Anw endung in der Neurobiologie. Die Ansätze erlauben einzigartige Einblicke in die Struktur, den Stoffw echsel und die Funktion des intakten lebenden Gehirns – von Maus bis Mensch. Schw erpunkte bilden neben methodischen Entw icklungen die Untersuchungen von Tiermodellen neurodegenerativer Erkrankungen sow ie neue Zugänge zu der Verschaltung von Nervenfasern und der kortikalen Informationsverarbeitung im menschlichen Gehirn. Summary Research of the Biomedical NMR unit focuses on the further development of magnetic resonance imaging and advanced applications in neurobiology. Pertinent approaches allow for unique insights into the structure, metabolism, and function of the intact living brain – from mouse to human. Specific projects range from novel image encoding and reconstruction techniques to animal models of neurodegenerative disease and functional assessments of neuroaxonal connectivity and cognitive information processing in humans. Fortschritte in der Biologie auf genetischer, molekularer und zellulärer Ebene w erden zunehmend von neuartigen bildgebenden Verfahren begleitet. Dies gilt sow ohl für optische Methoden, etw a im Bereich der Fluoreszenz-Mikroskopie, als auch für die nichtinvasiven Verfahren der Magnetresonanz-Tomografie (MRT), die eine Untersuchung lebender Systeme und intakter Organismen eröffnen. Ein besonders fruchtbares Anw endungsfeld stellen die Neurow issenschaften dar, w o moderne MRT-Techniken einzigartige Einblicke in die Struktur, den Stoffw echsel und die Funktion des zentralen Nervensystems bieten. Die MRT-Ansätze verbinden dabei einerseits In-vitro-Untersuchungen an Zellen und Gew eben mit der In-vivo-Bildgebung anästhesierter Versuchstiere und schlagen andererseits eine Brücke von tierexperimentellen Studien zu Untersuchungen des menschlichen Gehirns. Auf diese Weise w ird es erstmalig möglich, neurogenetische und molekularbiologische Erkenntnisse direkt an die bildgebende medizinische Diagnostik und Therapiekontrolle am Patienten heranzuführen. Die Biomedizinische NMR (Nuklearmagnetische Resonanz) verknüpft die methodische Weiterentw icklung der © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/6 Jahrbuch 2006/2007 | Frahm, Jens | Magnetresonanz-Tomografie in der Neurobiologie – von Maus bis Mensch Magnetresonanz-Tomografie mit neurobiologischen Fragestellungen, die im Tiermodell oder auch direkt am Menschen bearbeitet w erden. Aktuelle methodische Schw erpunkte beziehen sich vor allem auf eine verbesserte parallelen Bildgebung mit Hochgeschw indigkeits-Messtechniken, den Einsatz von Mehrfachspulen zur Datenaufnahme, die Erprobung neuartiger (nicht-kartesischer) Ortskodierungen für die Datenaufnahme sow ie die Nutzung komplexer Verfahren der numerischen Mathematik zur Bildrekonstruktion, die die bisher verw endete einfache Fourier-Transformation ablösen. Das Spektrum der MRT-Anw endungen in der Neurobiologie reicht von Insekten über Nager und nicht-menschliche Primaten bis zum Menschen. Die Abbildung 1 zeigt Schnittbilder aus dreidimensionalen MRT-Aufnahmen des Gehirns von Maus, Rhesusaffe und Mensch. Die folgenden Abschnitte stellen ausgew ählte Forschungsvorhaben dar. Ausge wä hlte Ebe ne n a us dre idim e nsiona le n MR T-Aufna hm e n de s Ge hirns (link s) e ine r Ma us, (Mitte ) e ine s R he susa ffe n und (re chts) e ine s Me nsche n. Die je we ils isotrope rä um liche Auflösung be trä gt 0.1 m m , 0.5 m m und 1.0 m m . © Ma x -P la nck -Institut für biophysik a lische C he m ie Mausmodelle neuroaxonaler Veränderungen Zentrale Tiermodelle menschlicher Hirnerkrankungen sind heute genetisch modifizierte Mäuse. Im direkten Vergleich mit histologischen Befunden bieten tierexperimentelle MRT-Untersuchungen des lebenden Gehirns die Chance, den Signalveränderungen in der MRT eine pathophysiologische Bedeutung zuzuordnen und ein grundlegenderes Verständnis für die Diagnostik am Menschen zu gew innen. Zugleich lassen sich In-vivoMarker und Kriterien für eine frühe Kontrolle der W irksamkeit neuer therapeutischer Ansätze, etw a im Bereich der Neuroprotektion oder Remyelinisierung, ableiten. Diese Ziele w erden auf vielversprechende Weise durch funktionelle MRT-Verfahren (siehe nachstehende Abschnitte) und den Einsatz neuartiger Kontrastmittel erw eitert, die mittels paramagnetischer Nanopartikel Biomoleküle oder Zellen markieren und eine Brücke zur Fluoreszenz-Mikroskopie schlagen. Ein aktueller Schw erpunkt sind neuroaxonale Schädigungen des zentralen Nervensystems. In Zusammenarbeit mit Abteilungen des MPI für experimentelle Medizin (Nils Brose, Hannelore Ehrenreich, KlausArmin Nave) w ird das gesamte Spektrum moderner MRT-Verfahren für eine In-vivo-Charakterisierung von Mausmodellen genutzt, die sich in der Regel durch selektive Veränderungen der axonalen Integrität und/oder der die Nervenfortsätze (Axone) ummantelnden Myelinschicht auszeichnen. Derartige Schädigungen stellen Kernelemente menschlicher Hirnerkrankungen dar – beispielsw eise der Multiplen Sklerose, aber auch von Schizophrenie und Autismus. Die Abbildung 2 zeigt MRT-Aufnahmen von Mausmodellen, die sich im Vergleich zu Kontrolltieren durch eine markante Hypermyelinisierung (PTEN -/-), eine dominante axonale Schädigung mit milder (PLP -/-) bzw . keiner Strukturveränderung des Myelins (Cnp1 -/-) sow ie durch eine reversible Demyelinisierung ohne offensichtliche axonale Schädigung (pharmakologisches Modell) auszeichnen. Die Aufnahmen illustrieren auf exemplarische Weise komplementäre Veränderungen der MRT-Kontraste in der w eißen Hirnsubstanz, die sich besonders gut © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/6 Jahrbuch 2006/2007 | Frahm, Jens | Magnetresonanz-Tomografie in der Neurobiologie – von Maus bis Mensch Weise komplementäre Veränderungen der MRT-Kontraste in der w eißen Hirnsubstanz, die sich besonders gut im w eißen Balken (Corpus Callosum) erkennen lassen. Ax ia le Ebe ne n a us dre idim e nsiona le n MR T-Aufna hm e n de s Ge hirns von Ma usm ode lle n, die sich im Ve rgle ich zu e ine m Kontrolltie r durch e ine m a rk a nte Hype rm ye linisie rung (P TEN /-), e ine dom ina nte a x ona le Schä digung m it ge ringe r (P LP -/) bzw. k e ine r Mye linbe te iligung (C np1 -/-) sowie durch e ine De m ye linisie rung ohne a x ona le Schä digung (ora le Ga be von C uprizon) a usze ichne n. Die Aufna hm e n illustrie re n spe zifische Kontra stve rä nde runge n de r im we iße n Ba lk e n ge bünde lte n Ne rve nfa se rba hne n (P fe ile ) be i W ichtung m it de n R e la x a tionsze ite n T1 und T2. © Ma x -P la nck -Institut für biophysik a lische C he m ie Axonale Konnektivität – der weiße Balken Die w eiße Hirnsubstanz w ird aus den mit Myelinscheiden ummantelten Fortsätzen der Nervenzellen gebildet. Diese Axone gestatten die Übertragung von Informationen über größere Entfernungen – zw ischen den einzelnen Funktionseinheiten in der Großhirnrinde, zu tiefer liegenden Zentren im Mittelhirn und Kleinhirn oder © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/6 Jahrbuch 2006/2007 | Frahm, Jens | Magnetresonanz-Tomografie in der Neurobiologie – von Maus bis Mensch durch das Rückenmark bis zu den peripheren Nerven, die die Muskeln innervieren. In der Regel w erden die Nervenfortsätze einer Region als Faserbahn in einem Strang gebündelt. Derartige Strukturen können mit dynamischen MRT-Messungen der richtungsabhängigen Bew eglichkeit der Wassermoleküle im Gew ebe bildlich dargestellt w erden. Dazu w ird die in jedem Bildpunkt vorliegende Vorzugsrichtung der Bew egung bestimmt und der strukturellen Ausrichtung des zugrunde liegenden Bündels aus Nervenfasern zugeordnet. Anschließend lässt sich die Information nutzen, um von Bildpunkt zu Bildpunkt mithilfe einfacher Algorithmen eine Nervenfaserbahn dreidimensional zu verfolgen. Mit einem neu entw ickelten MRT-Verfahren, das bisherige messtechnisch bedingte Bildfehler vollständig vermeidet, w urde erstmalig eine umfassende Charakterisierung des w eißen Balkens im intakten menschlichen Gehirn erzielt. Diese größte Struktur der w eißen Hirnsubstanz gew ährleistet in zentraler Lage den Informationsaustausch zw ischen den beiden Hirnhälften, w obei die Faserbahnen hauptsächlich gleichartige Funktionszentren in der jew eils gegenüberliegenden Großhirnrinde miteinander verknüpfen. Die Abbildung 3 zeigt eine vollständige Identifizierung und Zuordnung dieser Faserbahnen im Gehirn einer gesunden Versuchsperson. Die Ergebnisse zeigen ein neues Bild von der geordneten Reihung (Topographie) der Kreuzungsgebiete gleichartiger Faserbahnen. Insbesondere die Bahnen aus den primären motorischen und sensorischen Hirnrinden verlaufen eindeutig w eiter hinten als bisher angenommen. Frontale Areale des Gehirns w erden im vorderen Bereich des w eißen Balkens verbunden, w ährend Bahnen der visuellen Funktionsgebiete im okzipitalen Kortex den hintersten Abschnitt des Balkens kreuzen. Ide ntifizie rung und Zuordnung a lle r Ne rve nfa se rba hne n de s we iße n Ba lk e ns e ine r ge sunde n Ve rsuchspe rson m ithilfe de r Diffusionste nsor-MR T. Die Me ssunge n e rge be n e ine ne ue Anordnung de r k re uze nde n Fa se rba hne n, die von de m bishe rige n Sche m a von W ite lson e rhe blich a bwe icht. W ä hre nd de r Fa rbk ode im O rigina lbild (link s obe n) de n lok a le n R ichtunge n de r Ne rve nfa se rba hne n e ntspricht, k e nnze ichne t die Fa rbe in de n übrige n Bilde rn die Ve rbindunge n zwische n gle icha rtige n k ortik a le n Are a le n: grün = prä fronta l, he llbla u = prä m otorisch und supple m e ntä r-m otorisch, dunk e lbla u = prim ä r-m otorisch, rot = prim ä r-se nsorisch, ock e r = pa rie ta l, viole tt = te m pora l, ge lb = ok zipita l. © Ma x -P la nck -Institut für biophysik a lische C he m ie Kognitive Informationsverarbeitung – ein Beispiel Auch die graue Hirnsubstanz ist einer funktionellen Kartierung durch geeignete MRT-Verfahren zugängig. Sie nutzen die fokale Änderung der Sauerstoffsättigung des Blutes bei neuronaler Aktivierung, um die funktionelle Anatomie des individuellen menschlichen Gehirns mit bisher unerreichter räumlicher Auflösung zu bestimmen. © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/6 Jahrbuch 2006/2007 | Frahm, Jens | Magnetresonanz-Tomografie in der Neurobiologie – von Maus bis Mensch Die Methode basiert auf den Kontrasteigenschaften des paramagnetischen Desoxyhämoglobins in den Blutgefäßen. Neben methodischen Arbeiten zu den physiologischen Grundlagen sow ie zu besonders hochauflösenden Messverfahren, die bis zu einer Darstellung kolumnarer und laminarer Strukturen der Großhirnrinde reichen, befassen sich aktuelle Aufmerksamkeitsprozesse Untersuchungen sow ie der mit der Umsetzung Modulation bzw . primärer Überprüfung sensorischer etablierter Systeme durch neuropsychologischer Testparadigmen zur Charakterisierung höherer kognitiver Leistungen. Ein besonderes Beispiel stellen die Mechanismen von Konfliktbew ältigung und Fehlerverarbeitung im menschlichen Gehirn dar, die mit einer so genannten Go-Nogo-Aufgabe getestet w urden. Die Aufgabenstellung verlangt es, einen durch eine Reihe schneller Entscheidungen erzeugten, vorherrschenden Motorimpuls (Go = Tastendruck mit einem Finger) bei selten auftretenden Alternativ-Ereignissen zu unterdrücken (Nogo). Da die Schw ierigkeit der Aufgabe durch die Kürze der zur Entscheidung eingeräumten Zeit gesteuert w erden kann, machen die Probanden zahlreiche Fehler. Die in Abbildung 4 zusammengefassten Aktivierungskarten funktioneller MRT-Messungen belegen eine Aufteilung der beteiligten Verarbeitungsschritte auf die Anteile des hierfür „zuständigen“ anterioren zingulären Kortex (ACC) in der rechten und linken Hirnhälfte. W ährend der linke ACC selektiv auf Fehler reagiert (rote Aktivierungen), ist der rechte ACC sow ohl bei erfolgreicher (grün) als auch fehlgeschlagener (rot) Unterdrückung der Fingerbew egung beteiligt (blaue Überlappung) und zeigt damit eine eher allgemeine Funktion in der Konfliktverarbeitung. Aus methodischer Sicht ist festzustellen, dass diese Ergebnisse nicht mit den üblichen funktionellen MRT-Verfahren, sondern nur bei deutlich erhöhter räumlicher Auflösung sichtbar w erden. © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/6 Jahrbuch 2006/2007 | Frahm, Jens | Magnetresonanz-Tomografie in der Neurobiologie – von Maus bis Mensch Funk tione lle MR T de s a nte riore n zingulä re n Korte x (AC C ) e ine r ge sunde n Ve rsuchspe rson be i e ine r Go-Nogo-Aufga be , die m otorische Fe hle ntsche idunge n provozie rt. Die obe re n Ak tivie rungsk a rte n e ntspre che n e ine r k orona le n O rie ntie rung, die unte re n e ine r tra nsve rsa le n Schnitte be ne . W ä hre nd a us Aufna hm e n m it k onve ntione lle r rä um liche r Auflösung (link s: 2 × 2 × 4 m m 3) k e in Unte rschie d in de r Ak tivie rung de s AC C zwische n fe hlge schla ge ne n (rot) und e rfolgre iche n (grün) Unte rdrück unge n e ine s Motorim pulse s e rsichtlich wird (bla u = Übe rla ppung), ze ige n die re chte n Ka rte n be i de utlich e rhöhte r Auflösung (1.5 × 1.5 × 1.5 m m 3) e ine k la re La te ra lisie rung (R = re chte Hirnhä lfte , L = link e Hirnhä lfte ). © © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/6