2.1 Zyklische Gruppen und die Ordnung von Elementen

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Algebra I
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c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012
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Zyklische Gruppen und die Ordnung von Elementen
Eine Gruppe heißt zyklisch, wenn sie aus den Potenzen eines festen Elementes
besteht. Solche Gruppen tauchen in ganz unterschiedlichen Kontexten auf, von
der elementaren Zahlentheorie bis zu geometrischen Situationen verschiedener
Art, und als Untergruppen von beliebigen Gruppen. Trotz verschiedenartigen
Aussehens“ etwa der Drehgruppe eines regulären Polygons und der multiplika”
tiven Gruppe der Reste modulo einer Primzahl haben alle zyklischen Gruppen
die gleiche Struktur. Der Prototyp einer endlichen zyklischen Gruppe ist die aus
der Linearen Algebra bekannte additive Reste-Gruppe bzw. Restklassen-Gruppe
(Z/mZ, +m ) bzw. (Z/mZ, +). Im unendlichen Fall hat man die Gruppe Z als im
wesentlichen einzige zyklische Gruppe.
Im Zusammenhang mit der Untersuchung zyklischer Gruppen steht der Begriff der Ordnung eines Elementes. Er wird in diesem Abschnitt eingeführt und in
einigen wichtigen Situationen studiert. Er spielt eine grundlegende Rolle für jegliche Untersuchung endlicher Gruppen, sei es in der abstrakten Gruppentheorie,
der Zahlentheorie oder der Geometrie.
Als eine Anwendung des Konzeptes der zyklischen Gruppen geben wir eine
neue Charakterisierung eines bekannten Begriffs, nämlich des größten gemeinsamen Teilers (ggT) zweier ganzer Zahlen. Wir ergänzen ihn an dieser Stelle um
den Begriff des kleinsten gemeinsamen Vielfaches (kgV) zweier ganzer Zahlen.
Abgesehen von der Analogie zum ggT wird das kgV für die gruppentheoretischen
Inhalte dieses Abschnitts tatsächlich gebraucht, nämlich für das Studium von
Elementordnungen in bestimmten Gruppen.
Vor der folgenden Definition erinnern wir der Vollständigkeit halber an die Potenzschreibweise an aus 1.3.15 sowie ihre Variante n.a für den Fall der Verknüpfung +.
Bemerkung und Definition 2.1.1 a) Es sei G eine beliebige Gruppe und a ∈
G. Definiere
�a� := {an | n ∈ Z},
bzw.
�a� := {n.a | n ∈ Z}
bei additiver Schreibweise der Verknüpfung. Dieses ist eine Untergruppe von G.
b) Eine Gruppe G heißt zyklisch, falls ein a ∈ G existiert mit �a� = G. In
diesem Fall heißt a Erzeuger oder erzeugendes Element von G.
Die drei Eigenschaften einer Unterguppe prüft man unmittelbar anhand der Potenzgesetze 1.3.15 nach. Man kann sich auch auf 1.4.4 a) berufen: die Teilmenge
�a� ist das Bild eines Homomorphismus, nämlich der Abbildung n �→ an , Z → G
und als solches eine Untergruppe von G.
Ebenfalls aus den Potenzgesetzen ergibt sich folgende allgemeine Bemerkung:
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Bemerkung 2.1.2 Jede zyklische Gruppe ist abelsch.
Denn wenn x und y zwei beliebige Elemente aus G = �a� sind, so schreibe x = an ,
y = am . Es ist
x · y = an · am = an+m = am+n = am · an = y · x .
Auch in diesem Beweis können wir wieder einen etwas allgemeineren Standpunkt
einnehmen:
Bemerkung 2.1.3 Wenn ϕ : A → G ein surjektiver Gruppenhomomorphismus
ist und A abelsch, so ist auch G abelsch.
Den leichten Beweis lassen wir als Übung.
Beispiele 2.1.4 (Zyklische Gruppen)
(1) Die Gruppen (Z, +) und (Z/mZ, +) sind zyklisch mit Erzeuger 1 bzw. 1 :=
[1]m . Ein Erzeuger ist nicht eindeutig bestimmt. Für Z ist die einzige weitere
Möglichkeit −1; bei Z/mZ hängt die Antwort natürlich von m ab: so gilt
etwa für m = 10 genau dann �a� = Z/10Z, wenn a ∈ {1, 3, 7, 9} ist.
(2) Allgemein gilt für beliebiges m ∈ N, m > 1 und a ∈ Z
� [a]m � = Z/mZ ⇐⇒ [a]m ∈ (Z/mZ)∗ ,
d.h. eine Restklasse ist Erzeugendes der additiven Restklassengruppe genau
dann, wenn sie Einheit (invertierbar) im Restklassenring ist. Siehe 1.5.8 für
die Einheiten in Z/mZ.
(3) Die Vielfachenmenge mZ = {mz | z ∈ Z} ist die von m erzeugte (zyklische) Untergruppe von Z (insbesondere überhaupt eine Untergruppe, siehe
Beispiel 1.3.12 (1)).
(4) Die (multiplikative) Gruppe (Z/5Z)∗ ist zyklisch mit Erzeuger g = 2, denn
(Z/5Z)∗ = {2, 4, 3, 1} = {g, g 2 , g 3 , g 4 = e}.
(5) Die Gruppe (Z/8Z)∗ = {1, 3, 5, 7} ist nicht zyklisch, denn für jedes Gruppenelement g gilt g 2 = 1 = e; für einen Erzeuger g müsste aber g 2 �= e
gelten.
Aus ähnlichen Gründen ist auch die (additive) Gruppe Z/2Z × Z/4Z nicht
zyklisch; siehe unten 2.1.8.
(6) Entgegen dem ersten Anschein ist die Gruppe Z/2Z × Z/3Z zyklisch. Als
Erzeuger kann man das Paar (1, �
1) nehmen (wobei natürlich 1 = [1]2 , , �
1=
[1]3 ist). Fortgesetztes Addieren dieses Elementes liefert nämlich alle sechs
Elemente von Z/2Z × Z/3Z.
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Der folgende Satz beantwortet im Anschluss an Beispiel (2) die naheliegende
Frage, ob es in Z noch weitere Untergruppen gibt.
Satz 2.1.5 Jede Untergruppe von (Z, +) ist zyklisch, also von der Form mZ für
ein m ∈ Z.
Beweis: Die in Frage stehende Untergruppe H sei o.B.d.A �= {0}. Sei m das
kleinste positive Element von H. Offenbar ist m �= 0. Wir wollen zeigen, dass
dieses m das gesuchte erzeugende Element ist, also jedes andere Element a ∈ H
ein Vielfaches von m ist. Hierzu teilt man a durch m mit Rest r. Dann liegt
r = a − qm ebenfalls in H und ist kleiner als m, also nach Wahl von m gleich 0.
�
Beachte: Für eine gegebene Untergruppe von Z ist das erzeugende Element m
eindeutig bestimmt, wenn wir noch m ≥ 0 verlangen. Denn für zwei Erzeuger
m, n gilt m | n | m.
Wir geben nun zwei Anwendungen von Satz 2.1.5. Die erste Anwendung ist eine
Beschreibung der von einem Gruppenelement a erzeugten Untergruppe �a� von
G. Im Hinblick auf den diesbezüglichen Satz treffen wir zunächst die folgende
Definition.
Definition 2.1.6 Sei (G, ·) eine Gruppe und a ∈ G. Dann heißt
ord(a) := min{n ∈ N | an = e}
die Ordnung von a. Wir setzen ord(a) = ∞, falls kein solches n existiert.
Der folgende Satz beinhaltet insbesondere, dass die Ordnung eines Elementes genau die Ordnung, d.h. die Anzahl der Elemente der davon erzeugten Untergruppe
ist.
Satz 2.1.7 Es sei (G, ·) eine Gruppe, a ∈ G, m = ord(a) die Ordnung von a.
a) Es sei m < ∞ angenommen. Für n ∈ Z gilt an = e ⇐⇒ m | n und
allgemeiner für k, l ∈ Z
ak = al ⇐⇒ k ≡m l.
Weiter ist
�a� = {e = a0 , a, a2 , . . . , am−1 } ,
und die angegebenen Elemente sind paarweise verschieden. Insbesondere ist
|�a�| = m.
b) Es sei m = ∞. Dann sind die Elemente an , n ∈ Z alle voneinander verschieden.
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Beweis: Die Menge H = {n ∈ Z | an = e} ist der Kern des Homomorphimus
ϕ : n �→ an , Z → �a�, also eine Untergruppe von Z. Nach Satz 2.1.5 ist H = Zm�
für ein m� ∈ Z, m� ≥ 0.
Im Fall a) ist m ∈ H, also H �= {0}. Nach Definition der Ordnung ist m das
kleinste positive Element von H; die gleiche Eigenschaft hat wegen H = Zm�
offenbar auch m� . Also ist m = m� , was genau die erste Behauptung unter a) beweist. Die zweite Behauptung wird durch betrachten von n := l − k unmittelbar
auf die erste zurückgeführt. Die dritte folgt schließlich aus der zweiten (und der
selbstverständlich verwendeten Tatsache, dass die Zahlen 0, 1, . . . , m − 1 ein Repräsentantensystem für die Kongruenzklassen bilden; man kann für die Exponenten auch jedes andere Repräsentantensystem nehmen, etwa 0, ±1, . . . ± (m − 1)/2
für ungerades m.)
Im Fall b) ist definitionsgemäß H = {0}, und somit ϕ injektiv, was genau die
Behauptung ist.
�
Korollar 2.1.8 Eine endliche Gruppe G mit n Elementen ist dann und nur dann
zyklisch, wenn sie ein Element der Ordnung n enthält.
Genauer gilt für a ∈ G die Äquivalenz:
a erzeugt G
⇐⇒
ord(a) = n .
Beweis: �a� besteht aus m := ord(a) Elementen, ist also genau dann gleich ganz
G, wenn m = n ist.
�
Dieses Korollar liefert auch die prinzipielle Methode zu begründen, dass eine
vorgelegte Gruppe G nicht zyklisch ist: wenn man eine Zahl m < |G| angeben
kann mit am = e für alle a ∈ G, dann kann G nicht zyklisch sein, denn alle
Ordnungen von Elementen von G sind dann kleiner gleich m (sogar Teiler von
m). In dem oben unter 2.1.4 (5) erwähnten Fall Z/2Z × Z/4Z kann man m = 4
nehmen (man beachte die additive Schreibweise: die Bedingung lautet 4.a = 0,
was offenbar zutrifft). Die Frage, wann ein allgemeines Produkt Z/mZ × Z/nZ
zyklisch ist, wird unten unter 2.2.16 abschließend geklärt.
Im Spezialfall der zyklischen Gruppe (Z/mZ, +) mit Erzeuger a = [1]m ist der
Homomorphismus ϕ aus dem Beweis von Satz 2.1.7 einfach die Restklassenabbildung ϕ(n) = [n]m . Die Aussagen aus diesem Satz reduzieren sich dann auf
grundlegende Tatsachen über die Kongruenzrelation und Gleichheit von Restklassen. Im allgemeinen Fall kann man den Satz so verstehen: in einer zyklischen
Gruppe rechnet man am besten mit Exponenten (bezüglich eines fest gewählten Erzeugers); die Exponenten werden entsprechend den Potenzgesetzen einfach
addiert (bzw. negativ genommen, subtrahiert), jedoch muss man sie modulo m
betrachten, also wie mit Resten bzw. Restklassen rechnen. Strukturell formuliert:
eine (endliche) zyklische Gruppe mit m Elementen ist isomorph zu Z/mZ. Der
folgende Satz (der im wesentlichen schon bewiesen ist), hält dieses genau fest:
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Satz 2.1.9 Es seien wie eben (G, ·) eine Gruppe, a ∈ G, �a� die von a erzeugte
Untergruppe und m = ord(a) die Ordnung von a.
a) Für m < ∞ ist �a� ∼
= Z/mZ. Ein Isomorphismus ist gegeben durch
n �→ an , Z/mZ → �a�.
b) Für m = ∞ ist �a� ∼
= Z. Ein Isomorphismus ist gegeben durch
n
n �→ a , Z → �a�.
Beweis: Es ist allenfalls bei a) noch etwas zu beweisen. Wenn wir die dort angegebene Abbildung mit ψ bezeichnen, so ist vor allem einzusehen, dass ψ wohldefiniert ist. D.h. für k, n ∈ Z mit k = n ist ak = an einzusehen. Das folgt aber
sofort aus Teil a) des vorigen Satzes, aus dem sich auch die Injektivität ergibt.
Die Surjektivität ist nach Definition von �a� klar, die Homomorphie-Eigenschaft
folgt aus der entsprechenden Eigenschaft von ϕ (die sich wiederum unmittelbar
aus der Definition der Restklassenaddition ergibt).
�
Wir werden bald sehen, dass die Definition von ψ sowie die Eigenschaften dieser Abbildung Spezialfall eines ganz allgemeinen Sachverhaltes, nämlich des sog.
Homomorphiesatzes sind. Hier wird Z/mZ durch eine allgemeinere sog. Faktorgruppe ersetzt.
Wir kommen nun zu der zweiten Anwendung des obigen Satzes 2.1.5. Wir benutzen ihn, um den aus 1.1.3 bekannten Begriff des größten gemeinsamen Teilers
(ggT) zweier natürlicher Zahlen neu zu begründen. Der folgende Hilfssatz bereitet
dieses vor.
Hilfssatz 2.1.10
a) Für a, b ∈ Z ist Za + Zb = {xa + yb | x, y ∈ Z} eine
Untergruppe von Z.
b) Allgemeiner ist für eine abelsche Gruppe (G, +) und Untergruppen A, B ⊆
G auch
A + B = {a + b | a ∈ A, b ∈ B}
eine Untergruppe.
Der Beweis ist reine Routine und kann als Übung überlassen werden. Man muss
einfach die drei Untergruppen-Eigenschaften mit der Definition von A + B zusammenbringen. Wir erinnern daran, dass der entsprechende Sachverhalt für Vektorräume dem Leser vermutlich bekannt ist.
Wir erinnern an die folgende Kennzeichnung des größten gemeinsamen Teilers
g = ggT(a, b) zweier ganzer Zahlen a, b mit Hilfe der Teilbarkeitsrelation auf Z:
(1) g | a und g | b
(2) c ∈ Z, c | a und c | b =⇒ c | g.
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Satz 2.1.11 Seien a, b ∈ Z. Eine Zahl g ∈ Z hat die Eigenschaften des größten
gemeinsamen Teilers von a und b genau dann, wenn g ein Erzeugendes der Gruppe Za + Zb ist.
Beweis: zu ⇐=“: Wir beginnen mit dieser Richtung des Beweises, denn sie ist
”
die leichtere und läuft direkt mit den Definitionen durch. Vorausgesetzt über die
Zahl g ist, dass Zg = Za + Zb ist. Zeigen wollen wir die beiden Eigenschaften
(1) und (2). Aus Za ⊆ Zg folgt a ∈ Zg, also g | a; entsprechend sieht man g | b
ein. Somit ist (1) schon gezeigt. Zum Beweis von (2) sei ein c ∈ Z mit c | a und
c | b gegeben. Dann ist Za ⊆ Zc und Zb ⊆ Zc, also auch Za + Zb ⊆ Zc, nach
Voraussetzung also Zg ⊆ Zc. Somit gilt c | g, wie gewünscht.
zu =⇒“: Diese Richtung des Beweises ist ein kleines bißchen schwieriger.
”
Vorausgesetzt ist, dass g die beiden Bedingungen (1) und (2) für einen ggT erfüllt.
Zu zeigen ist:
!
Zg = Za + Zb.
Wegen g | a ist Za ⊆ Zg, entsprechend Zb ⊆ Zg. Also ist auch Za + Zb ⊆ Zg.
Für die umgekehrte Inklusion kommt man rein mit den Definitionen nicht mehr
weiter. Wir benutzen zusätzlich die Darstellung des ggT in der Form g = xa + yb
mit x, y ∈ Z (Lemma von Bezout, siehe 1.1.5). Diese besagt genau g ∈ Za + Zb,
also auch Zg ⊆ Za + Zb.
�
Man kann sich fragen, ob man in dem letzten Beweisteil die explizite Verwendung
des Lemmas von Bezout vielleicht hätte vermeiden können. Es wäre schön, wenn
man auch einen Beweis hätte, der ganz im augenblicklichen Kontext der zyklischen Gruppen bleibt. Das ist in der Tat leicht möglich und geht wie folgt. Die
Gruppe Za+Zb ist jedenfalls zyklisch, also Za+Zb = Zd für ein passendes d ∈ Z.
Nach den gleichen einfachen Schlüssen, die wir bereits mehrfach benutzt haben,
gilt nun d | a und d | b. Nun ist die Voraussetzung, dass g ein ggT ist, direkt
anwendbar: nach (2) gilt d | g. Dieses bedeutet Zg ⊆ Zd, also Zg ⊆ Za + Zb, und
das war genau die noch fehlende Inklusion.
Wir benutzen die Gelegenheit, auch im Hinblick auf gleich folgende Überlegungen zur Ordnung von Gruppenelementen, den Begriff des größten gemeinsamen
Teilers durch den Begriff des kleinsten gemeinsamen Vielfachen zu ergänzen.
Definition 2.1.12 Gegeben seien zwei ganze Zahlen a und b. Eine ganze Zahl
k heißt kleinstes gemeinsames Vielfaches von a und b, wenn sie folgende Eigenschaften hat:
(1) a | k und b | k,
(2) l ∈ Z, a | l und b | l
=⇒
k | l.
In Worten: k ist ein Vielfaches von a und von b, und jede Zahl, die gleichzeitig
Vielfaches von a und b ist, ist ein Vielfaches von k.
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Der Begriff des kleinsten gemeinsamen Vielfachen ist also dual zum Begriff des
größten gemeinsamen Teilers in dem Sinn, dass die Definition die gleiche Struktur
hat, aber alle Teilbarkeitsbeziehungen umgedreht werden. Es ist nach unseren
Einsichten über den ggT nicht mehr überraschend, dass ein kleinstes gemeinsames
Vielfaches existiert und im wesentlichen eindeutig ist. Der folgende Satz hält
dieses fest und stellt auch ein Beziehung zum ggT her.
Satz 2.1.13 Zu je zwei ganzen Zahlen a und b gibt es ein kleinstes gemeinsames
Vielfaches k. Es ist unter der zusätzlichen Forderung k ≥ 0 eindeutig bestimmt
und wird mit kgV(a, b) bezeichnet. Falls a und b nicht beide Null sind, gilt
kgV(a, b) = ±
ab
.
ggT(a, b)
Beweis: Die Eindeutigkeit ergibt sich genau wie beim ggT unmittelbar aus der
Definition: wenn k und k � beide die Bedingungen (1) und (2) erfüllen, so gilt k | k �
und k � | k, also Gleicheit, wenn beide positiv oder Null sind.
Für die Existenz benutzt man den folgenden Hilfssatz, der dem obigen Satz
2.1.11 ähnelt, sich aber sehr viel direkter aus der Definition ergibt.
Hilfssatz 2.1.14 Eine Zahl k ∈ Z ist kgV von a und b genau dann, wenn Za ∩
Zb = Zk ist.
Die Existenz eines kgV folgt nun unmittelbar daraus, dass Za ∩ Zb eine Untergruppe von Z, also nach Satz 2.1.5 zyklisch ist.
Es bleibt noch die Formel ab = ±gk zu zeigen, wobei wir natürlich kurz
g := ggT(a, b) und k := kgV(a, b) gesetzt haben. Wir benutzen eine Darstellung
g = xa + yb mit x, y ∈ Z und schreiben ferner k = aa� = bb� mit a� , b� ∈ Z.
Einsetzen liefert gk = xak + ybk = xabb� + ybaa� = (xb� + ya� )ab, also ab | gk.
Für die umgekehrte Teilbarkeit bemerken wir, dass die obigen Zahlen a� und b�
jedenfalls teilerfremd sind, denn sonst gäbe es einen echten Teiler von k, der
immer noch gemeinsames Vielfaches von a und b wäre. Also existieren r, s ∈ Z
mit ra� + sb� = 1. Es folgt ab = ab(ra� + sb� ) = braa� + asbb� = (br + as)k = zgk
für ein z ∈ Z, denn g | br + as. Also gilt gk | ab, was noch zu zeigen war.
�
Der größte gemeinsame Teiler und das kleinste gemeinsame Vielfache werden oft
auch für mehr als zwei Zahlen gebraucht. Die von uns gewählte Definition über
Teilbarkeitsbeziehungen überträgt sich in offensichtlicher Weise auf den allgemeinen Fall. Ebenso übertragen sich die Existenz- und Eindeutigkeitsaussage sowie
die Charakterisierung durch Summen bzw. Durchschnitte von Vielfachenmengen
(also gewissen Untergruppen von Z). Dieses wird im folgenden Satz zusammengefasst.
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Satz und Definition 2.1.15 (ggT und kgV von mehr als zwei Zahlen)
a) Gegeben seien ganze Zahlen a1 , . . . , ar . Dann gibt es eine ganze Zahl g mit
folgenden Eigenschaften:
(1) g | ai für i = 1, . . . , r, d.h. g ist ein Teiler aller ai ;
(2) c ∈ Z, c | ai für i = 1, . . . , r =⇒
Teiler aller ai ist ein Teiler von g.
c | g, d.h. jeder weitere gemeinsame
Ein solches g ist bis auf das Vorzeichen eindeutig bestimmt und heißt größter
gemeinsamer Teiler der ai , kurz ggT(a1 , . . . , ar ).
b) Eine Zahl g ∈ Z ist ggT von a1 , . . . , ar genau dann, wenn
Za1 + Za2 + · · · + Zar = Zg.
c) Gegeben seien ganze Zahlen a1 , . . . , ar . Dann gibt es eine ganze Zahl k =
kgV(a1 , . . . , ar ) mit folgenden Eigenschaften:
(1) ai | k für i = 1, . . . , r, d.h. k ist ein Vielfaches aller ai ;
(2) ai | l für i = 1, . . . , r =⇒ k | l; d.h. jedes weitere gemeinsame Vielfache l
der ai ist ein Vielfaches von k.
Ein solches k ist bis auf das Vorzeichen eindeutig bestimmt und heißt kleinstes
gemeinsames Vielfaches der ai , kurz kgV(a1 , . . . , ar ) .
d) Eine Zahl k ∈ Z ist kgV von a1 , . . . , ar genau dann, wenn
Za1 ∩ Za2 ∩ · · · ∩ Zar = Zk.
Wir kehren nun zum Themenkreis der Ordnung von Elementen in einer Gruppe
zurück. Wir wollen klären, wie diese Ordnungen in der symmetrischen Gruppe
aussehen. Die Elemente der symmetrischen Gruppe besitzen bekanntlich eine
Art Normalform, nämlich die Zerlegung in elementfremde Zyklen. Es ist nicht
überraschend, das sich hieraus die Ordnung leicht ablesen läßt. Das Ergebnis ist
wie folgt:
Satz 2.1.16
a) Es sei ρ = (i1 , i2 , . . . , i� ) ein Zyklus der Länge � in der symmetrischen Gruppe Sn . Dann ist � auch die Ordnung von ρ.
b) Es sei σ ein beliebiges Element der Sn und σ = ρ1 ◦ ρ2 ◦ . . . ◦ ρr seine
Zerlegung in elementfremde Zykel; mit �i sei die Länge von ρi bezeichnet.
Dann ist die Ordnung von σ das kleinste gemeinsame Vielfache der �i .
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Beweis: Der Teil a) ergibt sich durch Ausschreiben von ρ = (x0 , x1 , . . . , x�−1 )
und scharfes Hinsehen: für 0 ≤ m < � bildet ρm das Element xi auf x(i+m) mod �
ab, also jedenfalls nicht auf sich selbst, und folglich ist ρm nicht die Identität.
Aus dem gleichen Grund gilt ρ� = id.
Für den Teil b) ist entscheidend, dass die Faktoren ρi alle miteinander vertauschbar sind: ρi ◦ ρj = ρj ◦ ρi für elementfremde Zykel ρi und ρj . Dieses liegt
einfach daran, dass die Wirkungsbereiche in {1, 2, . . . , n} disjunkt sind. (Mit Wirkungsbereich einer Permutation meinen wir die Menge derjenigen Ziffern, die
nicht auf sich selbst abgebildet werden.) Hieraus folgt, dass für jeden Exponenm
m
ten m gilt σ m = ρm
1 ρ2 · · · ρr . Wieder wegen der disjunkten Wirkungsbereiche ist
diese Abbildung nur dann gleich der Identität, wenn alle Faktoren ρm
i die Identität sind. Dieses gilt genau dann, wenn m ein Vielfaches der Ordnung von jedem
ρi ist, also �i | m für i = 1, . . . , r nach Teil a). Nach Definition des kgV gilt dieses
genau für kgV(�1 , . . . , �r ) | m, wie gewünscht.
�
Ein Teil des Argumentes unter b) des letzten Satzes ist in offensichtlicher Weise
verallgemeinerungsfähig:
Bemerkung 2.1.17 Wenn zwei Elemente a und b einer Gruppe vertauschbar
sind, also ab = ba, und beide endliche Ordnung haben, dann gilt dieses auch für
das Produkt. Genauer ist ord((ab)) ein Teiler von kgV(ord(a), ord(b)).
Ohne die Vertauschbarkeit ist diese Behauptung natürlich falsch: die Elemente
(1, 2), (2, 3) ∈ S3 haben die Ordnung 2, ihr Produkt die Ordnung 3. In unendlichen
Gruppen kann die Ordnung eines Produktes leicht sogar unendlich werden. Dieses
sieht man am einfachsten bei der später behandelten unendlichen Diedergruppe.
Die genaue Bestimmung der Ordnung von ab im vertauschbaren Fall gelingt uns
im Augenblick nur in einem relativ simplen Fall.
Bemerkung 2.1.18 Eine Gruppe G sei gegeben als direktes Produkt von zwei
Gruppen A und B. Wenn a ∈ A und b ∈ B zwei Elemente endlicher Ordnung
sind, so gilt
ord((a, b)) = kgV(ord(a), ord(b)).
In der Tat ist (a, b)m = (e, e) genau dann, wenn am = e und bm = e; wie oben
bei den elementfremden Zykeln greift also unmittelbar die Definition des kgV.
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