Integrierte First-in-Human-Studien aus Sicht der Ethik-Kommissionen BfArM / AMEK Workshop: Frühe klinische Prüfungen von Arzneimitteln – First-In-HumanStudien, Bonn, 24.Juni 2016 Prof. Dr. Joerg Hasford IBE Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie and Epidemiologie Ludwig-Maximilians-Universität München und Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen Email: [email protected] IBE J. Hasford München Vorbemerkung Die Ausführungen entsprechen der persönlichen Auffassung des Referenten und repräsentieren nicht notwendigerweise die Auffassungen des Arbeitskreises Medizinischer EthikKommissionen in Deutschland. IBE J. Hasford München Pregnancy-Drugs.ppt 1 Struktur I. Einführung und Aufgaben der EthikKommissionen II. Probandeninformation und Risiko / Nutzen-Abwägung bei integrierten FIM / Phase I-Studien III. Ethische Überlegungen bei der Sichtung des Prüfplans IV. Schlussfolgerungen IBE J. Hasford München Ethische Aporie der Medizinischen Forschung: Es ist unethisch eine Therapie anzuwenden, deren Sicherheit und Wirksamkeit nicht wissenschaftlich geprüft ist. Es ist aber auch unethisch, die Wirksamkeit einer Therapie wissenschaftlich zu prüfen, wegen des nicht auszuschließenden Risikos einer Schädigung des Patienten. Toellner 1990 Aporie: Unmöglichkeit, in einer bestimmten Situation die richtige Entscheidung zu treffen; Ausweglosigkeit. Pregnancy-Drugs.ppt IBE J. Hasford München 2 Folgen dieser Aporie Therapieforschung ist zwingend geboten. Therapieforschung mit Menschen ist aber nur legitim, wenn das notwendige Wissen ohne Humanforschung nicht zu erlangen ist. Humanforschung muss so angelegt sein, dass aussagekräftige Ergebnisse mit möglichst wenigen Patienten und mit möglichst geringen Risiken und Belastungen erlangt wird. IBE J. Hasford München Ansätze zur Minimierung von Risiken, Belastungen und ethischen Problemen • Präklinische Untersuchungen Risikominimierung • Detaillierter Prüfplan • Genehmigung durch zuständige Behörde • Prüfung durch zuständige Ethik-Kommission • Erfordernis der Zustimmung nach Aufklärung IBE J. Hasford München Pregnancy-Drugs.ppt 3 Ansätze zur Minimierung von Risiken, Belastungen und ethischen Problemen • Recht, die Zustimmung jederzeit zurücknehmen zu können • Verpflichtung die Risiko-Nutzen-Abwägung kontinuierlich zu prüfen • Zwischenauswertungen und DSMBs • Versicherung für etwaige Schäden • GCP-konforme Durchführung IBE J. Hasford München Nutzenchancen in einer Studie • Individueller bzw. Eigennutzen: Es gibt die Chance eines direkten gesundheitlichen Nutzens für den Patienten. • Gruppennutzen: Es wird zwar kein individueller Nutzen für die Studienteilnehmer erwartet, wohl aber eine Nutzenchance für weitere (zukünftige) Patienten desselben Alters bzw. für solche, die sich in der gleichen Situation (z.B. Krankheit) befinden. • Fremdnutzen: Es wird ein Nutzen ausschließlich für die Heilkunde bzw. die Wissenschaft erwartet. IBE J. Hasford München Pregnancy-Drugs.ppt 4 Ethik-Kommissionen - Definition Ethik-Kommission ist ein unabhängiges Gremium aus im Gesundheitswesen und in nichtmedizinischen Bereichen tätigen Personen, dessen Aufgabe es ist, den Schutz der Rechte, die Sicherheit und das Wohlergehen von betroffenen Personen… zu sichern und diesbezüglich Vertrauen der Öffentlichkeit zu schaffen, indem es unter anderem zu dem Prüfplan, der Eignung des Prüfers und der Angemessenheit der Einrichtungen sowie zu den Methoden, die zur Unterrichtung der betroffenen Personen und zur Erlangung ihrer Einwilligung nach Aufklärung benutzt werden und zu dem dabei verwendeten Informationsmaterial Stellung bezieht. GCP-V §3(2c) IBE J. Hasford München Selbstverständnis der Ethik‐Kommissionen • Patientenschutz und Forschungsfreiheit sicher zu stellen, d.h. ethisch‐rechtlichen Standards entsprechende Forschung pro‐aktiv zu ermög‐ lichen • gesetzeskonforme Erfüllung der Aufgaben • kollegiale Beratung • KollegInnen vor Haftungs‐ und sonstigen Risiken zu schützen AMEK Hasford Pregnancy-Drugs.ppt 5 Prüfauftrag der Ethik‐Kommission • die wissenschaftliche Qualität der klini‐ schen Prüfung • die rechtliche Zulässigkeit • die ethische Vertretbarkeit • die ärztliche Vertretbarkeit AMEK Hasford Prüfauftrag der Ethik‐Kommission • Relevanz der klinischen Prüfung und ihrer Planung • Angemessenheit der Bewertung des erwarteten Nutzens und der erwartbaren Risiken für die Versuchsperson • den Prüfplan • die Eignung des Prüfers und seiner Mitarbeiter • die Prüferinformation AMEK Clinical Trials Directive 2001/20/EU Pregnancy-Drugs.ppt Hasford 6 Prüfauftrag der Ethik‐Kommission • die Qualität der Einrichtungen • das komplette Prozedere beim Einholen der Zustimmung nach Aufklärung • die Versicherung des Studienteilnehmers (verschuldensunabhängig) • die Beträge und Modalitäten einer Vergütung von Prüfer, Prüfzentrum und Teilnehmer • die Modalitäten für die Auswahl der Prüfungsteilnehmer AMEK Hasford Clinical Trials Directive 2001/20/EU Integrierte FIM - Studien Integrierte FIM-Studien bündeln in einem Studienplan verschiedene Fragestellungen wie z.B. Pk ansteigender Einmaldosierungen, ansteigender Mehrfachdosierungen, Interaktionen mit Nahrungsmitteln und pharmakodynamische Wirkungen. Die Einbeziehung von Arneimittelbehörden und Ethik-Kommissionen vor Beginn des jeweils nächsten Studienteils ist dabei explizit nicht vorgesehen. Vermuteter Vorteil: Zeit- und Gebührenersparnis. IBE J. Hasford München Pregnancy-Drugs.ppt 7 Integrierte FIM-Studien – ethische Problematik Wie kann sichergestellt werden, dass die Patienten-Information bei einer integrierten FIM-Studie dem jeweils aktuellen Stand des Wissens, z.B. über unerwünschte Wirkungen, entspricht ? Wie kann sichergestellt werden, dass die Risiko/Nutzen-Abwägung die Fortführung der weiteren Phase I-Studienteile erlaubt ? IBE J. Hasford München Anforderungen an die Aufklärung nach AMG „Die betroffene Person ist … über Wesen, Bedeutung, Risiken und Tragweite der klinischen Prüfung, sowie über ihr Recht aufzuklären, die Teilnahme an der klinischen Prüfung jederzeit zu beenden; ihr ist eine allgemein verständliche Aufklärungsunterlage auszuhändigen. Der betroffenen Person ist ferner Gelegenheit zu einem Beratungsgespräch mit einem Prüfer über die sonstigen Bedingungen der Durchführung der klinischen Prüfung zu geben.“ (AMG §40 (2)) IBE J. Hasford München Pregnancy-Drugs.ppt 8 Anforderungen an die Aufklärung nach AMG „die betroffene Person nach Absatz 2 Satz 1 aufgeklärt worden ist und schriftlich eingewilligt hat.“ (AMG §40 (1)3.b))…..Eine…erklärte Einwilligung in die Teilnahme an einer klinischen Prüfung kann jederzeit gegenüber dem Prüfer schriftlich oder mündlich widerrufen werden, ohne dass der betroffenen Person dadurch Nachteile entstehen dürfen (AMG §40 (2)). IBE J. Hasford München Anforderungen an die Aufklärung nach AMG* Design der Studie Exakte Dauer der Studienteilnahme Dosierung(en) Zahl der bereits exponierten Probanden FIM Bereits aufgetretene Risiken Erwartbare Risiken (unter Einbeziehung der Präklinik) Placebo Genauer Ablauf der Studienteilnahme * Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Phase I Pregnancy-Drugs.ppt IBE J. Hasford München 9 Anforderungen an die Aufklärung nach AMG Eine den rechtlichen und ethischen Standards entsprechende Aufklärung kann bei integrierten Prüfplänen nicht gewährleistet werden. Bei FIM-Studien keine integrierten Prüfpläne, d.h. bei mehrteiligen FIM / Phase I -Studien muss vor jedem neuen Abschnitt wieder die Ethik-Kommission involviert werden. Änderungen der Patienteninformation im Bereich Risiken = Wesentliche Änderung gemäß GCP-V.§ 10 * Ohne Anspruch auf Vollständigkeit IBE J. Hasford München Anforderungen an die Risiko/NutzenAbwägung „Die klinische Prüfung eines Arzneimittels darf bei Menschen nur durchgeführt werden, wenn und SOLANGE……. 2. die vorhersehbaren Risiken und Nachteile gegenüber dem Nutzen für die Person, bei der sie durchgeführt werden soll, und der voraussichtlichen Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde ärztlich vertretbar sind.“ (AMG § 40 (1)) IBE J. Hasford München Pregnancy-Drugs.ppt 10 Anforderungen an die Risiko/NutzenAbwägung Das AMG fordert also eine kontinuierliche Beobachtung der Risiken und Nachteile und deren Bewertung bzgl. der voraussichtlichen Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde. Wie dieses praktisch in der Studie realisiert werden soll, ist im Prüfplan detailliert darzulegen z.B. DSMB/DMC IBE J. Hasford München Schlussfolgerungen für Ethik-Kommissionen Prüfplan: Bei FIMs (und den meisten Phase I-Studien) keine integrierten Prüfpläne akzeptieren. Begründung: Keine zuverlässige RisikoAbschätzung möglich. Probanden-Information muss immer an den aktuellen Erkenntnisstand angepasst werden. Rechtsgrundlage u.a.: GCPV §8 (4) Satz 2: „Bei aufeinander bezogenen Phase I-Studien desselben Entwicklungsprogramms verkürzt sich die Bearbeitungsfrist der Ethik-Kommission auf 14 Tage.“ IBE J. Hasford München Pregnancy-Drugs.ppt 11 FIM-Studie – Beispiel Einmalgabe ansteigender Dosierungen: 8 Gruppen à 0,25, 1,25, 2,5, 5, 10, 20, 40, 100mg einmalig, jeweils 6 Verum und 2 Placebo. Erste Gruppe: 1 V und 1 P; 24 Stunden Abstand bevor die nächsten 6 Vpn exponiert werden. Falls dabei die maximale tolerierbare Dosis (MTD) nicht erreicht wurde, bis zu 4 zusätzliche Gruppen à 8 Vpn mit Einzeldosen > 100mg möglich. CAVE: Hoher Dosissteigerungsfaktor 2040100 KEINE nicht spezifizierten Dosissteigerungen ! IBE J. Hasford München FIM-Studie Beispiel Mehrfachgabe ansteigender Dosierungen: 4 Gruppen à 8 Vpn (6 V, 2 P) mit fixer Dosierung über mindestens 10 Tage. Dosierung für MAD nicht im Prüfplan vorgegeben: “The dose levels will be determined after evaluation of the safety, tolerability and available PK results of previous SAD and MAD (when apllicable) dose groups. The MAD part may be starting during the SAD part but only when enough PK and safety data are available.“(p.44) Das geht so nicht: Was heißt ‚enough‘, und wer entscheidet das ? IBE J. Hasford München Pregnancy-Drugs.ppt 12 Wer entscheidet über das weitere Vorgehen ? „The investigator, medical director or representative, and medical monitor or representative of the sponsor decide jointly after the safety and tolerability data (treatment emergent adverse events, vital signs, ECG and routine lab tests) are reviewed for each dose group, for 6 out of 8 subjects in the cohort through H48 after last dosing…. Except for SAD2 PK data will be available with a lag time of 1 dose (i.e. PK results of group SAD2 will be reviewed before the start of group SAD4.“ (p.58) NO GO: Fachkunde* ? Fehlanzeige ! Unvollständige Datenlage ! *s. ICH-GCP 5.3 Medical Expertise IBE J. Hasford München Entscheidungsprozesse: Problematik Keine rein internen Entscheidungsprozesse: Einbeziehung externer ‚unabhängige Expertise‘ i.S. DSMB/DMC Es müssen alle Teilnehmer einer Dosisstufe in die Bewertung eingehen, bevor die nächste Dosisstufe begonnen wird. Alle Pk-Daten der zuletzt durchgeführten Gruppe sollten vorliegen, bei Inhibitoren auch die Inhibitionsdaten, bzw. andere Wirkungsmarker. Sonst Blindflug der FIM-S ohne Radar ! Pregnancy-Drugs.ppt IBE J. Hasford München 13 FIM-Studie: Beispiel Abbruchgründe The dose should not be escalated further if one of the circumstances listed below occurs in subjects within the same dosage cohort….: - Drug related severe AEs of the same character in 4 or more subjects; - Clinically significant drug-related lab abnormalities or changes in vital signs or the ECG of the same character in 6 or more subjects. Geht so nicht: Bei FIM-S sollte bereits ein serious UE/UAW zumindest zum temporären Halt der Studie führen. IBE J. Hasford München FIM-S Probleme: MTD Explizite Definition der MTD muss im Prüfplan stehen. Macht es bei der angestrebten Indikation überhaupt Sinn die MTD zu bestimmen ? Kann es nicht sinnvoller sein, z.B. die Dosis, die zur maximalen Inhibition ausreicht, zu bestimmen ? Wenn diese schon mit 5 mg/Tag maximal ist, bleibt der Sinn einer x Mal höheren Dosierung unklar. IBE J. Hasford München Pregnancy-Drugs.ppt 14 Schlussfolgerungen aus Sicht der EthikKommissionen Prüfplan: Die angestrebte Indikation muss deutlich erkennbar sein, s. §40 (1) 2. AMG*. Es ist zu prüfen, ob MTD unter Berücksichtigung der angestrebten Indikation und des Wirkmechanismus ein vertretbares Erkenntnisziel ist. Die zu prüfenden ‚Therapien‘ müssen detailliert und exakt bzgl. Dosierung, Dauer, und zeitlichem Ablauf beschrieben sein. Individuelle und studienbezogene Abbruchkriterien müssen genau angegeben werden. IBE *„Risiken und Nachteile...müssen bzgl. der voraussichtlichen Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde ärztlich vertretbar sein.“ J. Hasford München Schlussfolgerungen aus Sicht der EthikKommissionen Prüfplan: Bei FIM-Studien sollten vor der nächsten Dosisstufe auch die relevanten Pk-Daten der jeweils letzten Dosisstufe vorliegen. Externe Experten sollten i.S. eines DSMB in allfällige Entscheidungen eingebunden werden. Mit größtmöglicher Sorgfalt ist sicherzustellen, dass nur tatsächlich gesunde Vpn aufgenommen werden (außer, z.B. Onkologie). Bei FIM sollte ein Serious Adverse Event i.d.R. Anlass sein, die Studie zu unterbrechen. IBE J. Hasford München Pregnancy-Drugs.ppt 15 Weitere Schlussfolgerungen Die Ergebnisse aller vorklinischen Untersuchungen müssen vorgelegt werden. IB Es sollte anhand der IB geprüft werden, wie sich das therapeutische Potential der Prüfsubstanz im Vergleich zu vorhandenen Arzneimitteln darstellt. Auch Phase I-Studien müssen zeitnah in einem öffentlich zugänglichen Register gemeldet sein. Die geltenden Guidelines zu FIM-Studien sind zu berücksichtigen.* IBE J. Hasford München *Guideline on Strategies to Identify and Mitigate Risks for FIM Clinical Trials with IMPs. EMA CHMP 2007 Weitere Schlussfolgerungen Da es praktisch keine Erkenntnisse zu den langfristigen gesundheitlichen Folgen der Teilnahme an Phase I Studien gibt, besteht hier dringender Forschungsbedarf. Die Politik muss dafür sorgen, dass in der ganzen EU vergleichbare und hohe Standards bei der Genehmigung und Durchführung klinischer Prüfungen gewährleistet sind. Sonst droht ein unlauterer Wettbewerb zu Kosten der Sicherheit der Versuchsperson. IBE J. Hasford München Pregnancy-Drugs.ppt 16 Literatur Eddleston M et al. Br J Clin Pharmacol 2016;81:582-586 Guideline on Strategies to Identify and Mitigate Risks for FIM Clinical Trials with IMPs. EMA CHMP 2007 https://www.gov.uk/guidance/clinical-trials-for-medicinesapply-for-authorisation-in-the-uk#applications-that-needexpert-advice IBE J. Hasford München Risk Assessment of FIM-S* Examples of trials where expert advice may be needed include first-in-human (FIH) trials with novel compounds where the: mode of action involves a target that is connected to multiple signalling pathways (target with pleiotropic effects), eg leading to various physiological effects or targets that are ubiquitously expressed. The compound acts (directly or indirectly) via a cascade system where there may be an amplification effect which might not be sufficiently controlled by a physiological feedback mechanism. *https://www.gov.uk/guidance/clinical-trials-for-medicines-applyfor-authorisation-in-the-uk#applications-that-need-expert-advice Pregnancy-Drugs.ppt IBE J. Hasford München 17 Risk Assessment of FIM-S The compound acts (directly or indirectly) via the immune system with a target or mechanism of action which is novel or currently not well characterised. There is novelty in the structure of the active substance eg a new type of engineered structural format such as those with enhanced receptor interaction as compared with the parent compound. The level of expression and biological function of the target receptor may differ between healthy individuals and patients with the relevant disease. IBE J. Hasford München Risk Assessment of FIM-S There is insufficient available knowledge of the structure, tissue distribution, cell specificity, disease specificity, regulation, level of expression and biological function of the human target, including down-stream effects. The compound acts via a possible or likely species specific mechanism or where animal data are unlikely to be predictive of activity in humans. IBE J. Hasford München Pregnancy-Drugs.ppt 18