DANKSAGUNG Eine abgeschlossene Diplomarbeit vor sich zu haben ist ein großartiges Gefühl, aber noch viel großartiger ist es zu wissen, dass es rund um mich so hilfsbereite, kreative, unterstützende und aufmunternde Menschen gibt, die diesen ganzen Prozess der Diplomarbeit – von den ersten Gedanken bis zu den letzten geschriebenen Wörtern mitgetragen haben. DANKE – ein kleines Wort, aber ein großartiges Gefühl - möchte ich all jenen Bekannten, Freunden, Verwandten und ExpertInnen sagen, die mir geholfen haben, nun dort zu sein, wo ich hin wollte. Eine ganz herzliches DANKE möchte ich meiner Diplomarbeitsbetreuerin Maga. DSA Michaela Pichler aussprechen, die meine Ideen von Anfang an so aufgeschlossen unterstützte und immer ein motivierendes Wort parat hatte, die auf jede noch so kleine Frage sofort antwortete und den gesamten Prozess mit so viel Hilfe und Unterstützung mitgestaltete. Bedanken möchte ich mich auch bei allen SozialarbeiterInnen und LeiterInnen der Jugendämter in Tirol, die meine Fragebögen trotz großem Zeitdruck und hohen beruflichen Anforderungen ausfüllten, sowie bei der Abteilung Jugendwohlfahrt, die meine Forschungsarbeit unterstützte. DANKE für die vielen hilfreichen Informationen. Nur dadurch, war es mir möglich, diese Diplomarbeit zu verfassen. Ein ganz besonderes DANKE gilt dem Leiter der Jugendwohlfahrt Innsbruck Land DSA Georg Sponring und meiner Praktikumsbetreuerin DSA Iris Ciresa, die mir beide bereits bei der Konzeption der Fragebögen hilfreiche Anregungen und Ideen gaben. Für die Gestaltung der Fragebögen möchte ich auch all jenen FreundInnen, StudienkollegInnen und Familienmitgliedern danken, die sich bereit erklärten bei meinem Praetest mitzuwirken. Danke für die vielen guten sprachlichen, formellen und inhaltlichen Tipps. Bei meiner Freundin Katharina Pargger möchte ich mich für die Übersetzungshilfe bedanken und bei Maga. Susanne Zoller-Mathies vom Sozialpädagogischen Institut für die qualitativ hochwertigen Hinweise und Empfehlungen zum empirischen Teil meiner Diplomarbeit. Ein ganz besonderes DANKE möchte ich an meine Eltern richten, an meine Mama fürs Korrekturlesen und an meinen Papa für alle Computertipps und –tricks. DANKE auch an meinen Freund für das große Verständnis und den guten Zuspruch. Allen meinen FreundInnen, meiner Familie und meinen StudienkollegInnen möchte ich für die schönen Pausen und Zeiten zum Entspannen und Krafttanken danken. Vor allem diese Zeiten haben mich gestärkt, mich ermutigt, angeregt und vorangebracht. DANKE euch allen für die große Unterstützung. Manche werden als gut und manche als schlecht betrachtet, und beiden wird Unrecht getan. (kubanisches Sprichwort) Bedeutung ethischer Aspekte im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen in der Jugendwohlfahrt Tirol Diplomarbeit Zur Erlangung des akademischen Grades Magistra (FH) „für sozialwissenschaftliche Berufe“ Fachhochschul-Studiengang: „Soziale Arbeit“ Management Center Innsbruck Betreuerin: DSA Magª. Michaela Pichler Verfasserin: Christine Habernig 0410243009 Abgabedatum 04.April 2008 KURZFASSUNG Diese Diplomarbeit beschäftigt sich mit der Bedeutung ethischer Aspekte im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen in der Jugendwohlfahrt Tirol. Ziel der Diplomarbeit ist es, die enge Verbindung zwischen Ethik und Sozialer Arbeit insbesondere bei der Entscheidung für oder gegen eine Fremdunterbringung aufzuzeigen sowie Hilfsmechanismen zur ethischen Entscheidungsfindung zu beschreiben. Ethische Aspekte können eine Unterstützung und Orientierungshilfe für SozialarbeiterInnen sein und ihnen helfen, adäquate und sichere Entscheidungen zu treffen, sowie immer wieder eigene Vorannahmen zu hinterfragen und zu reflektieren. Der Schwerpunkt dieser Diplomarbeit liegt auf der Erhebung der Bedeutung ethischer Aspekte im Entscheidungsprozess über eine Fremdunterbringung in den neun Referaten der Jugendwohlfahrt in Tirol. Diese Diplomarbeit gliedert sich in einen theoretischen und einen empirischen Teil. Im theoretischen Teil werden ethische Aspekte mit dem Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen verknüpft. Die Bedeutung ethischer Aspekte im Prozess der Entscheidungsfindung wird vor allem durch die Beschreibung der Ethik als Bezugswissenschaft der Sozialen Arbeit erkennbar. Verschiedene Werte, ethische Theorien und Ausrichtungen wirken sich auf den Prozess der Entscheidungsfindung aus. Ebenso werden ethische Dilemmata, mit denen sich SozialarbeiterInnen bei der Entscheidungsfindung konfrontiert sehen, beschrieben. Weiters wird der Frage nachgegangen, was ethische Kodizes im Prozess der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung leisten können. Darüber hinaus werden rechtliche und allgemeine Informationen zu Fremdunterbringung und zum Prozess der Entscheidungsfindung angeführt und Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung vorgestellt. Der empirische Teil gibt die Untersuchungsergebnisse zur Bedeutung ethischer Einflussgrößen im Prozess der Entscheidungsfindung über Fremdunterbringung in den neun Referaten der Tiroler Jugendwohlfahrt wieder. Die Auswertung der Fragebögen der SozialarbeiterInnen, LeiterInnen und StudentInnen wurde analysiert und miteinander verglichen. Zusätzlich wurden markante Ergebnisse kommentiert und interpretiert um so die wichtigsten Aussagen der Befragung zu verdeutlichen. Die gewonnenen Ergebnisse zeigen, dass der Prozess der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung je nach Jugendwohlfahrtsreferat, Alter, Geschlecht etc. unterschiedlich ist. Weiters wird deutlich, dass die SozialarbeiterInnen und LeiterInnen hinsichtlich ethischer Aspekte für den Prozess der Entscheidungsfindung sehr offen sind und großteils den Wunsch nach mehr Wissen in diesem Bereich äußern. ABSTRACT My thesis deals with the impact of ethical aspects on the process of making decisions on out-of-home care for children and adolescents in youth welfare in Tyrol. The aim of this thesis is to create awareness of the strong connection between ethics and social work particularly in the decisions on out-of-home care. Furthermore it is proposed to show diverse helping mechanisms for ethical decision making. Since ethical aspects are a support and orientation guide for social workers, they enable them to take an appropriate and assured decision. Moreover, ethical aspects help social workers to question and reflect on their own stereotypes and attitudes. The emphasis of this thesis is to investigate the impact of ethical aspects in the decision-making of out-of-home care in the nine departments of youth welfare in Tyrol. This thesis is divided in a theoretical and an empirical part. In the theoretical part ethical aspects are linked with the decision-making of out-of-home care for children and adolescents. The description of ethics as a science related to social work shows the impact of ethical aspects on the process of making decisions. Several values, ethical theories and orientations have an effect on decision-making. Moreover, various ethical dilemmas are described which social workers have to deal with in their decision-making. Besides all that, this thesis attempts to answer the question what codes of ethics can provide in the decision-making on out-of-home care. Furthermore, legal and general information about out-of-home care and decision-making is given. Additionally, models for ethical decision-making are introduced. The empirical part contains the results of the investigation into the impact of ethical influencing variables on the decision-making on outof-home care in the nine Tyrolean departments of youth welfare. The evaluation of the questionnaires of the social workers, the heads of the youth welfare departments and students have been analysed and compared with each other. Moreover, striking outcomes have been commentated and interpreted to show the paramount conclusions of this investigation. The attained results point out that there are significant differences in the process of making decisions on out-of-home care regarding age, sex, the specific department etc. Furthermore it becomes apparent that social workers and the heads of the youth welfare departments are interested in and open for ethical aspects in the decision-making on outof-home care. Even the wish for more information and knowledge in this concern is expressed. INHALTSVERZEICHNIS 1 EINLEITUNG .............................................................................................. 1 1.1 Zugang zum Thema ....................................................................................................1 1.2 Ziele der Diplomarbeit ................................................................................................3 1.3 Vorgehen .....................................................................................................................4 2 THEORETISCHER HINTERGRUND ZUM THEMA ................................... 5 2.1 Ethik und Soziale Arbeit .............................................................................................5 2.1.1 Begriffserklärung........................................................................................................5 2.1.2 Ethik als Bezugswissenschaft der Sozialen Arbeit ......................................................9 2.1.3 Werte in der Sozialen Arbeit, insbesondere bei der Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen .......................................................................................13 2.1.4 Dilemmata in der Sozialen Arbeit, insbesondere bei der Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen .......................................................................................16 2.1.5 Ethische Theorien....................................................................................................21 2.1.6 Code of Ethics .........................................................................................................26 2.1.7 Zusammenfassung ..................................................................................................29 2.2 Fremdunterbringung.................................................................................................30 2.2.1 Rechtliche Grundlage der Fremdunterbringung ........................................................31 2.2.2 Auswirkungen einer Fremdunterbringung auf Kinder und Jugendliche......................34 2.2.3 Zusammenfassung ..................................................................................................36 2.3 Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung..........................................37 2.3.1 Prozess der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung ..........................37 2.3.2 Stellenwert der Ethik in der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung ...42 2.3.3 Zusammenfassung ..................................................................................................44 2.4 Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung ........................................................45 2.4.1 Leitfaden zur ethischen Entscheidungsfindung (Reamer) .........................................45 2.4.2 Vierstufiges Modell des ethischen Entscheidungsprozesses (Gruber) ......................46 2.4.3 Ethical Assessment Screen (Dolgoff, Loewenberg) ..................................................47 2.4.4 Ethical Principle Screen (Dolgoff, Loewenberg)........................................................48 2.4.5 Gerwirth’s Hierarchy ................................................................................................49 2.4.6 Zusammenfassung ..................................................................................................50 Seite I 3 UNTERSUCHUNG DER ETHISCHEN EINFLUSSGRÖßEN IM PROZESS DER ENTSCHEIDUNGSFINDUNG ÜBER EINE FREMDUNTERBRINGUNG IN DEN TIROLER JUGENDWOHLFAHRTSREFERATEN ......................51 3.1 Angabe der Hypothesen ...........................................................................................51 3.2 Beschreibung der gewählten Methode ....................................................................52 3.3 Untersuchungsergebnisse .......................................................................................57 3.3.1 Ethische Aspekte bei der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung ......57 3.3.2 Einfluss von Werten bei der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung ..61 3.3.3 Dilemmata bei der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung.................62 3.3.4 Ethische Theorien und Ausrichtungen in der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung ................................................................................................67 3.3.5 Anwendung ethischer Richtlinien bei der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung ................................................................................................71 4 3.3.6 Prozess der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung in der Praxis ......74 3.3.7 Anwendung und Bewertung der Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung .........88 3.3.8 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse ...................................................94 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK ................................................97 LITERATURVERZEICHNIS............................................................................101 ANHANG ........................................................................................................105 Seite II TABELLENVERZEICHNIS Tabelle 1: Volle Erziehung – Anzahl der Minderjährigen (außer Pflegekinder) am 31.12.2006.30 Tabelle 2: Beruf .....................................................................................................................53 Tabelle 3: Anwendung ethischer Richtlinien bei der Entscheidungsfindung .............................72 Tabelle 4: Grundeinstellung der SozialarbeiterInnen in der Entscheidungsfindung ..................77 Tabelle 5: Häufigkeit von Meinungsverschiedenheiten und Höhe der Zufriedenheit der SozialarbeiterInnen in der Entscheidungsfindung ....................................................82 Tabelle 6: Belastung auf Grund der Entscheidung über Fremdunterbringung ..........................84 Seite III ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Vierstufiges Modell des ethischen Entscheidungsprozesses..............................46 Abbildung 2: „Ethical Principle Screen“ ..................................................................................48 Abbildung 3: Dienstjahre .....................................................................................................53 Abbildung 4: Beteiligung der Referate ...................................................................................54 Abbildung 5: Geschlecht ......................................................................................................54 Abbildung 6: Alter..................................................................................................................54 Abbildung 7: Dienstjahre .......................................................................................................54 Abbildung 8: Familienstand ...................................................................................................54 Abbildung 9: Beruf ................................................................................................................54 Abbildung 10: (Ethische) Aspekte in der Entscheidungsfindung .............................................57 Abbildung 11: Wichtige Eigenschaften in der Entscheidungsfindung ......................................59 Abbildung 12: Werte in der Entscheidungsfindung .................................................................61 Abbildung 13: Dilemmata in der Entscheidungsfindung..........................................................62 Abbildung 14: Gesellschaftliche und individuelle Werte in der Entscheidungsfindung.............64 Abbildung 15: Spannungsfeld Ideal- vs. Rationallösung .........................................................65 Abbildung 16: Häufigkeit der Ideal- oder Rationallösung ........................................................65 Abbildung 17: Verhältnis von ethischen Richtlinien und rechtlichen Grundlagen in der Entscheidungsfindung.....................................................................................66 Abbildung 18: Grundhaltung in der Entscheidungsfindung .....................................................67 Abbildung 19: Verhältnis von Deontologie und Teleologie......................................................68 Abbildung 20: Wunsch nach ethischen Richtlinien für die Entscheidungsfindung ...................68 Abbildung 21: Anwendung ethischer Richtlinien.....................................................................71 Abbildung 22: Bekanntheit ethischer Richtlinien.....................................................................71 Abbildung 23: Besprechungen bei der Entscheidungsfindung ................................................74 Abbildung 24: Wichtige Schritte im Prozess der Entscheidungsfindung..................................75 Abbildung 25: Personenspezifische Unterschiede in der Entscheidungsfindung.....................76 Abbildung 26: Berücksichtigung spezifischer Interessen in der Entscheidungsfindung ...........78 Abbildung 27: Einfluss der SozialarbeiterInnen und der betroffenen Partei in der Entscheidungsfindung .....................................................................................80 Abbildung 28: Verantwortung in der Entscheidungsfindung....................................................81 Abbildung 29: Häufigkeit der Anwendung folgender Hilfsmittel in der Entscheidungsfindung ..85 Abbildung 30: Einfluss des Modells 1 im Prozess der Entscheidungsfindung .........................88 Abbildung 31: Einschätzung der Brauchbarkeit des Modells 1 ...............................................89 Abbildung 32: Einfluss des Modells 2 im Prozess der Entscheidungsfindung .........................90 Abbildung 33: Einschätzung der Brauchbarkeit des Modells 2 ...............................................91 Abbildung 34: Einfluss des Modells 3 im Prozess der Entscheidungsfindung .........................92 Abbildung 35: Einschätzung der Brauchbarkeit des Modells 3 ...............................................93 Abbildung 36: Rangordnung der ethischen Prinzipien aus Sicht der StudentInnen und LeiterInnen im Vergleich zum „Ethical Principle Screen“ von Dolgoff und Loewenberg ....................................................................................................93 Abbildung 37: Einschätzung der Brauchbarkeit des Modells 4 ...............................................94 Seite IV ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS a.a.O. am angegebenen Ort ebd. ebenda vgl. vergleiche bzw. beziehungsweise ca. circa z. B. zum Beispiel f., ff. folgende Seite(n) zit. n. zitiert nach Kap. Kapitel Abb. Abbildung Abs. Absatz TJWG Tiroler Jugendwohlfahrtsgesetz ABGB Allgemein Bürgerliches Gesetzbuch IFSW International Federation of Social Workers IASSW International Association of Schools of Social Work NASW National Association of Social Workers OBDS österreichischer Berufsverband der SozialarbeiterInnen Seite V Einleitung 1 EINLEITUNG 1.1 ZUGANG ZUM THEMA “…the press portrays social workers either as indecisive wimps who fail to protect children from death, or as authoritarian bullies who unjustifiably snatch children form their parents. Either way, the social workers are to blame“ (Franklin zit. n. Banks 1995, 19). Ich möchte meine Diplomarbeit mit diesem Zitat beginnen, da meines Erachtens bereits in dieser Aussage deutlich wird, welches ethische Dilemma die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen darstellt. Im Rahmen meiner Praktika, die ich während meiner Ausbildung zur Sozialarbeiterin absolvierte, beschäftigte ich mich intensiv mit der Thematik, wie der Entscheidungsfindungsprozess bei Fremdunterbringungen verläuft und mit welchen Schwierigkeiten sich SozialarbeiterInnen dabei auseinandersetzen müssen. Die ersten Erfahrungen in Bezug auf Fremdunterbringung sammelte ich in meinem Informationspraktikum in der Jugendwohlfahrt Imst. Da ich für mein Berufspraktikum eine jugendwohlfahrtsähnliche Einrichtung namens APPOGG in Malta wählte, konnte ich die dort gewonnenen Erfahrungen und erlebten Praktiken bezüglich Fremdunterbringung mit dem Prozess der Entscheidungsfindung über Fremdunterbringung in der Jugendwohlfahrt Imst vergleichen. Dabei stellte ich fest, dass es im englischsprachigen Raum viel mehr Literatur und eine sehr intensive Auseinandersetzung mit der Thematik der ethischen Entscheidungsfindung in der Sozialen Arbeit gibt. An Hand ethischer Richtlinien wird z. B. in Amerika, Großbritannien, Australien, Kanada etc. versucht die Qualität der sozialen Arbeit zu steigern und allgemein gültige Standards, Einschätzungsraster sowie Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung festzulegen. In Österreich ist bezüglich ethischer Richtlinien für die Soziale Arbeit bzw. im engeren Sinn für die Jugendwohlfahrt bisher nur wenig Forschungsarbeit geleistet worden. Aus diesem Grund beschloss ich mich im Rahmen meiner Diplomarbeit mit dieser Thematik auseinanderzusetzen und wählte dazu als Untersuchungsfeld die neun Referate der Jugendwohlfahrt in Tirol, in denen ich die SozialarbeiterInnen und LeiterInnen zum Thema des ethischen Einflusses bei ihren Entscheidungen über eine Fremdunterbringung befragte. Seite 1 Einleitung Nicht nur im Bereich der Jugendwohlfahrt, sondern in allen Arbeitsbereichen der Sozialen Arbeit sehen sich SozialarbeiterInnen auf Grund des sozialpolitischen Auftrags ihrer Profession und des Augenmerks auf menschliche Interaktionen immer wieder mit Entscheidungsprozessen und Urteilen konfrontiert. Dabei beschäftigen sich SozialarbeiterInnen mit ethischen Dilemmata und müssen somit Werte gegeneinander abwägen. Auch im Bereich der Jugendwohlfahrt bestätigten sich erst kürzlich im Fall „Luca“ wieder die Aktualität und die Schwierigkeiten, bei derartigen Dilemmata die „richtige“ Entscheidung zu treffen. In diesem Fall verstarb der nur 17 Monate alte Luca im November 2007 auf Grund schwerer Misshandlungen durch den Freund der Mutter. Trotz ärztlicher Untersuchungen und Vorwarnungen, trotz vorhandener Checklisten und informierter Kinderschutzgruppe blieb der Bub bis zu seinem Tod bei seiner Mutter untergebracht. Dieser Fall löste viele Diskussionen aus und im Nachhinein glauben alle ExpertInnen zu wissen, wie „richtig“ vorgegangen werden hätte müssen. Doch wie kann im Vorhinein bei so komplexen Fällen wie dem erwähnten beurteilt werden, welche Entscheidung die „richtige“ ist? Gibt es überhaupt eine generell „richtige“ Entscheidung und wie kann das „Für und Wider“ einer Fremdunterbringung abgewogen werden? Kurz nach dem Tod des Kindes Luca wurden in den Medien vermehrt auch aus anderen Regionen Fälle von Kindesmisshandlungen und –vernachlässigungen gemeldet sowie die Forderungen nach Fremdunterbringung laut, wie zum Beispiel in Tirol in den Bezirken Landeck und Imst. Das Thema scheint wie eh und je aktuell zu sein und auch die Gesellschaft zu bewegen. Nicht nur in unserer Gegenwart, sondern bereits vor vielen Jahrzehnten war die Thematik der Fremdunterbringung vorhanden und wurde in literarischen Werken aufgegriffen, wie zum Beispiel in Bertold Brechts „Kaukasischem Kreidekreis“ bzw. „Augsburger Kreidekreis“. Brecht beschreibt in diesen Werken bereits 1944 den Konflikt zwischen einer Pflegemutter und der leiblichen Mutter eines Kindes, und das Dilemma des Richters, einer der beiden die Obsorge des Kindes zusprechen zu müssen. Ebenso wird in der Bibel in „Salomos Urteil“ (1. Buch der Könige, 3. Kapitel, 16 – 28) das Dilemma, die Entscheidung über den Aufenthalt eines Kindes bestimmen zu müssen, beschrieben. In allen erwähnten Beispielen wird deutlich, dass Entscheidungen, die einen so maßgeblichen Einfluss auf den weiteren Verlauf des Lebens eines Kindes oder Jugendlichen haben, keine einfachen Entscheidungen sind, sondern auf Grund der Komplexität Seite 2 Einleitung und der vielen verschiedenen Anforderungen ein gründliches Überlegen, Abwägen und Abklären voraussetzen. Aus diesem Grund stellt es für mich eine große Herausforderung dar, mich der Thematik der Entscheidungsfindung über Fremdunterbringung unter ethischen Aspekten in meiner Diplomarbeit zu widmen und zu beschreiben, was ethische Aspekte dabei leisten und wie sie zur ethischen Entscheidungsfindung beitragen können. 1.2 ZIELE DER DIPLOMARBEIT Das Ziel meiner Diplomarbeit liegt darin, die Bedeutung von Ethik in der sozialen Arbeit bzw. dem Bereich Jugendwohlfahrt hervorzuheben und darauf hinzuweisen, dass es bei Entscheidungen über die Fremdunterbringung, die den weiteren Verlauf des Lebens eines Kindes/Jugendlichen maßgeblich beeinflussen, wichtig ist, eine allgemeine Grundlage und klare Richtlinien zu haben. Ethische Aspekte sowie Grundprinzipien und Richtlinien können eine Unterstützung und Orientierungshilfe für SozialarbeiterInnen sein und ihnen helfen, adäquate und sichere Entscheidungen zu treffen, sowie immer wieder eigene Vorannahmen zu hinterfragen und zu reflektieren. Weiters möchte ich die Codes of Ethics verschiedener Länder (Amerika, Kanada, Australien, Großbritannien, …) mit dem österreichischen Ethikkodex vergleichen und dessen Bekanntheitsgrad in den Referaten der Jugendwohlfahrt erfragen. Zusätzlich ist es mein Ziel aus den ethischen Theorien jene Aspekte herauszufiltern, die für die Entscheidungen über Fremdunterbringungen auch in Tirol als hilfreich erachtet werden können. Auf Grund der recherchierten englischsprachigen Literatur über Ethik möchte ich Modellvorschläge zur ethischen Entscheidungsfindung einbringen und diese nach dem Grad ihrer Sinnhaftigkeit für den Prozess der Entscheidungsfindung über Fremdunterbringungen analysieren. Ein weiteres Ziel ist es zu erkennen, wie der Prozess der Entscheidungsfindung in den neun Referaten der Jugendwohlfahrt in Tirol abläuft und Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu beschreiben. Meine Diplomarbeit ist somit ein Versuch Antwort darauf zu finden, wie hilfreich und unterstützend ethische Richtlinien und Aspekte bei der Entscheidungsfindung über Fremdunterbringungen sein können, bzw. wie hilfreich und brauchbar diese von Seiten der in der Jugendwohlfahrt tätigen SozialarbeiterInnen eingeschätzt werden und in welchem Ausmaß ethische Aspekte bereits bei derartigen Entscheidungen in der Jugendwohlfahrt Tirol einfließen. Seite 3 Einleitung 1.3 VORGEHEN Diese Diplomarbeit ist in einen theoretischen und einen empirischen Teil gegliedert. Im theoretischen Teil werden ethische Aspekte mit dem Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen verknüpft. Diese Verknüpfung ist in vier Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel wird die Verbindung von Ethik und Sozialer Arbeit beschrieben, indem wichtige ethische Begriffe der Ethik und Sozialen Arbeit definiert werden und der enge Zusammenhang zwischen Ethik und Sozialer Arbeit erläutert wird. Darüber hinaus werden Werte, Dilemmata und ethische Theorien, die für die Soziale Arbeit von Bedeutung sind, näher beschrieben und Ethikkodizes aus Österreich und weiteren Ländern analysiert und miteinander verglichen. Im zweiten Kapitel werden, neben der Angabe der Statistik zu Fremdunterbringung in Tirol, die rechtliche Grundlage und die Auswirkungen von Fremdunterbringungen auf Kinder und Jugendliche angeführt. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit dem Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen in der Jugendwohlfahrt. Dabei werden vor allem Orientierungshilfen, Checklisten und Leitlinien, die in Österreich verwendet werden, herangezogen und zusätzlich der Stellenwert der Ethik in der Entscheidungsfindung beschrieben. Im vierten Kapitel werden 5 Modelle der ethischen Entscheidungsfindung für den Bereich der Sozialen Arbeit näher erklärt. Im empirischen Teil werden zu Beginn die Hypothesen der Untersuchung angeführt und im Weiteren die Methode angegeben, indem die Vorgehensweise, die Untersuchungsgruppe und der Aufbau der Fragebögen beschrieben wurden. Der Schwerpunkt des empirischen Teils liegt in der Darstellung der Untersuchungsergebnisse. Die Auswertung der einzelnen Fragen der Fragebögen der SozialarbeiterInnen, LeiterInnen und StudentInnen wurde analysiert und bei zielgruppenübergreifenden Fragen miteinander verglichen. Zusätzlich wurden markante Ergebnisse kommentiert und interpretiert um so die wichtigsten Aussagen der Befragung zu verdeutlichen. Abschließend wird in der Zusammenfassung und im Ausblick die Bedeutung ethischer Aspekte für den Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen in der Jugendwohlfahrt in Tirol unterstrichen. Seite 4 Ethik und Soziale Arbeit 2 TH E O RE TIS C HE R HIN TE R G R U ND 2.1 ZUM THEMA ETHIK UND SOZIALE ARBEIT 2 . 1. 1 B E G R I F F S E R K L Ä R U N G Bevor näher auf die Verbindung zwischen Ethik und Sozialer Arbeit eingegangen wird, sollen hier wesentliche Begriffe definiert werden, die im Rahmen dieser Diplomarbeit im Zusammenhang mit Ethik und Sozialer Arbeit verwendet werden. ETHIK Ethik wird als die Theorie rechten und guten Lebens bezeichnet und reflektiert moralisches Verhalten. Autoren, die sich intensiv mit Ethik befassen, definieren den Begriff Ethik durch die Heraushebung verschiedener Gesichtspunkte unterschiedlich. Für Sarah Banks ist Ethik die „Wissenschaft der Moral“ bzw. des moralischen Handelns. In diesem Sinne beschreibt Ethik, was Menschen tun und nicht tun sollen (vgl. Banks 1995, 3 f.). Ähnlich wie Banks definieren Chris Beckett, Ralph Dolgoff und Frank M. Loewenberg Ethik als „Handlungsanleitungen“ bzw. als „Verhaltenskodex“, die bei der moralischen Entscheidungsfindung die Menschen durch klare Richtlinien befähigen zwischen „richtig“ und „falsch“ zu unterscheiden. Diese Richtlinien leiten sich aus einem genau definierten Wertesystem ab (vgl. Beckett 2006, 24; Dolgoff, Loewenberg 2005, 18). Dolgoff und Loewenberg greifen dabei auf folgende Definition zurück: „Ethics is not primarily concerned with getting people to do what they believe to be right, but rather with helping them to decide what is right“ (Jones, Sontag, Beckner & Fogelin zit. n. Dolgoff, Loewenberg 2005, 18). Hans Günther Gruber beschreibt Ethik as jene Teildisziplin der Philosophie, die Antwort auf die Frage „Was soll ich tun?“ zu geben versucht – eine der drei Fragen, die sich bereits Kant stellte (Gruber 2005, 11). Der Soziologe Niklas Luhmann und der Human-, Natur-, Sozialwissenschaftler und Philosoph Mario Bunge, zwei wichtige Begründer der Systemtheorien in der Sozialen Arbeit, befassten sich neben dem systemtheoretischen Paradigma auch mit ethischen Norm- und Wertetheorien. Seite 5 Ethik und Soziale Arbeit Luhmann beschreibt Ethik als Moral, die durch Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung zur Ethik wird. „Ethik ist … die Beschreibung der Moral. …eine Reflexionstheorie der Moral“ (Luhmann zit. n. Klassen 2004, 128). Mario Bunge vertritt eine sehr umfassende ethische Doktrin, die sich im Wesentlichen durch mehrere Aspekte auszeichnet. Laut Bunge lassen sich alle moralischen Prinzipien in der moralischen Maxime „Erfreue dich des Lebens und verhilf anderen, sich des Lebens zu erfreuen!“ zusammenfassen. Moral bezieht sich auf eine reale Welt mit konkreten richtigen und falschen Handlungen, obwohl nur wenige Werte objektiv sind. Weiters ist die Existenz von moralischen Gefühlen und Intuitionen nicht subjektiver Natur. Bunge führt noch weitere Perspektiven an, die das Wesen der Ethik aus seiner Sicht ausmachen. Er beschreibt Ethik sowohl für die Wissenschaft als auch für die Profession in Form professioneller ethischer Codes als sehr wichtig. Auch zu Themen wie Menschenwürde und gerechte Gesellschaft bezieht Bunge im Rahmen seiner ethischen Theorien Stellung (vgl. Bunge zit. n. Klassen 2004, 133, 138). Eine weitere Definition, die Norman Linzer verwendet, lautet kurz und bündig: „Ethics is values in action“ (Levy zit. n. Linzer 1999, 35). Damit ist gemeint, dass jene Werte, die normative Handlungsanleitungen repräsentieren, sobald sie in die Tat umgesetzt werden, zur „Ethik“ werden (vlg. Linzer 1999, 35). MORAL Unter „Moral“, die die Ausgangslage für die Ethik bildet, versteht Luhmann die Unterscheidung von „gut“ und „böse“. Er versteht darunter „eine besondere Art von Kommunikation, die Hinweise auf Achtung oder Missachtung mitführt“ (Luhmann zit. n. Klassen 2004, 127). Bei Bunge bezieht sich Moral auf beabsichtigte menschliche Handlungen, die moralisch richtig, falsch oder neutral sein können, je nachdem, ob sie die Ausübung von moralischen Rechten und Pflichten fördern, behindern oder unberührt lassen (vgl. Bunge zit. n. Klassen 2004, 131 f.). W ERTE Chris Beckett definiert Werte als “the regard that something is held to deserve, the importance or preciousness of something” (Beckett 2006, 6). Laut Beckett spielt die Wichtigkeit und Kostbarkeit in der Betrachtungsweise eines konkreten Objektes eine wesentliche Rolle. Er ergänzt diese Auffassung mit einer zweiten Seite 6 Ethik und Soziale Arbeit Definition, nämlich: „A person’s principles or standards of behaviour: one’s judgement about what is important in life“ (ebd.) Werte zeichnen sich, laut Beckett, durch den anhaltenden Glauben aus, dass bestimmte persönliche oder gesellschaftlich Verhaltensmaßstäbe und –regeln vor anderen entgegengesetzten Verhaltensweisen bevorzugt werden sollten. Somit bestimmen Werte „what a person thinks he ought to do which may or may not be the same as what he wants to do, what is in his interest to, or what in fact he actually does“ (Central Council for Education and Training in Social Work zit. n. Beckett 2006, 7). “Sollen” und “wollen” können laut dieser Definition einander widersprechen oder identisch sein. Werte sind aber durch das „Sollen“, nicht aber unbedingt durch das „Wollen“ gekennzeichnet. (vgl. ebd.). Norman Linzer bezeichnet Werte als handlungsorientierte Entscheidungshilfen. „When several choices of action are available, values lead the individual to choose one and to commit oneself to act on it” (Linzer 1999, 9). Luhmann beschreibt Werte als symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien, die die Funktion haben, eine gemeinsame Grundlage für die in der Gesellschaft (re)produzierten Kommunikationen zu schaffen (vgl. Luhmann zit. n. Klassen 126). Laut Bunge haben alle Werte ihren Ursprung in bestimmten Bedürfnissen oder Wünschen (vgl. Bunge zit. n. Klassen 2004, 129f). NORMEN Normen sind in ethischer Hinsicht inhaltlich konkretisierte Sollensforderungen, die auf die Verbindlichkeit menschlichen Handelns abzielen. Ethische Normen formulieren somit allgemein Anspruchsaspekte des menschlichen Handelns. Gleichermaßen stellen sie aber auch Lösungsvorgaben dar, die den Einzelnen bei Entscheidungen entlasten und somit Hilfe zu einem sachgerechten Entscheid bieten sollen (Gruber 2005, 26). Luhmann bezeichnet Normen als „Verhaltenserwartungen, die sich durch faktisches Verhalten nicht irritieren lassen“. An ihnen wird auch dann festgehalten, wenn die Verhaltenserwartungen enttäuscht werden (vgl. Luhmann zit. n. Klassen 2004, 128). Bunge beschreibt moralischen Normen als Regeln für soziales Verhalten. Die Funktion dieser Normen besteht dabei darin, menschengerechte Werte durch die faire Verteilung von Rechten und Pflichten zu verwirklichen (vgl. Bunge zit. n. Klassen 2004, 132 f.). Seite 7 Ethik und Soziale Arbeit DILEMMA Unter Dilemma wird die unangenehme Lage, zwischen zwei Übeln wählen zu müssen, verstanden (vgl. Microsoft Encarta Enzyklopädie Professional 2005). Ein Dilemma hat somit immer mit einer Zwangslage bzw. einer „Zwickmühle“ zu tun. Im Gegensatz zum Konflikt, bei dem ebenfalls zwei nicht vereinbare Interessen aufeinander stoßen, handelt es sich beim Dilemma immer um zwei „Übel“, zwischen denen man sich entscheiden muss (vgl. Gruber 2005, 189). Von moralischen Dilemmata wird dann gesprochen, wenn eine Person oder auch eine Gruppe zwei oder mehrere Verpflichtungen in einer Situation gleichzeitig einhalten soll, aber nur eine Verpflichtung erfüllt werden kann. Die Wahl der einen Verpflichtung schließt die Verletzung einer oder mehrerer anderer Verpflichtungen ein (Höffe 1992, 188). FREMDUNTERBRINGUNG Wenn die Pflege und Erziehung von Kindern und Jugendlichen kurz- oder langfristig auf eine andere Familie oder auf eine Einrichtung übertragen werden, bezeichnet man dies als Fremdunterbringung. Dies kann zum einen von den obsorgeberechtigten Eltern selbst oder zum anderen durch Anordnung einer Behörde geschehen. Im Falle einer behördlichen Anordnung wird zwischen (1) der Fremdunterbringung mit Einwilligung der Erziehungsberechtigten und (2) der Fremdunterbringung gegen deren Einwilligung unterschieden (vgl. Blandow zit. n. Leitner 2001, 6). Gesetzlich geregelt ist die Fremdunterbringung bzw. „Volle Erziehung“ im Jugendwohlfahrtsgesetz. Laut Tiroler Jugendwohlfahrtsgesetz ist die „volle Erziehung“ § 14 TJWG Abs.1, dann zu gewähren, „wenn die Erziehungsberechtigten nicht in der Lage sind, die zum Wohl eines Minderjährigen erforderliche Erziehung zu gewährleisten, und die Unterstützung der Erziehung nach § 13 nicht ausreicht.“ (TJWG 2006, § 14 Abs. 1). Seite 8 Ethik und Soziale Arbeit 2 . 1. 2 E T H I K AL S B E Z U G S W I S S E N S C H AF T D E R S O Z I AL E N A R B E I T Die enge Verbindung zwischen Sozialer Arbeit und Ethik lässt sich bereits in der Definition Sozialer Arbeit deutlich erkennen. Die Profession Soziale Arbeit wird laut der International Federation of Social Workers (IFSW) und der International Association of Schools of Social Work (IAASW) als jene Profession beschrieben, die sich für sozialen Wandel, die Lösung von Problemen in menschlichen Beziehungen sowie für die Befähigung und Befreiung von Menschen einsetzt und dabei das Ziel verfolgt das Wohlergehen zu fördern. Dabei stützt sich Soziale Arbeit auf Theorien menschlichen Verhaltens und sozialer Systeme und interveniert an jenen Stellen, wo Menschen mit ihrer Umwelt in Wechselwirkung stehen. Die Grundlage für die Soziale Arbeit sind die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit (vgl. IFSW, IASSW: Ethik in der Sozialen Arbeit 2004). Ethik bildet laut dieser Definition durch die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit das Fundament der Sozialen Arbeit. Da sich SozialarbeiterInnen mit verschiedensten widerstreitenden Interessen konfrontiert sehen, wie zum Beispiel der Doppelrolle, einerseits HelferIn und anderseits auch KontrolleurIn zu sein, sich zwischen den unterschiedlichen Interessen ihrer KlientInnen und denen der Gesellschaft nach Effizienz und Nützlichkeit zu bewegen und der Tatsache der begrenzten Ressourcen trotz hohem Bedarf an Unterstützungsangeboten etc., müssen sich SozialarbeiterInnen in ihrer Profession mit Dilemmata auseinandersetzen und diese reflektieren sowie ethisch informierte Entscheidungen darüber treffen, wie in jedem Einzelfall gehandelt werden soll. Diese Herausforderungen machen Ethik für SozialarbeiterInnen zu einer sehr wichtigen Bezugswissenschaft (vgl. ebd.). Die Entscheidung über ethische Dilemmata ist ein Prozess, der gründliches Überlegen erfordert und nicht durch Intuition oder Erfahrungswissen beschleunigt werden kann. Jedes ethische Dilemma ist unterschiedlich und spezifisch. Trotzdem können ethische Richtlinien, Prinzipien und Theorien durch die Beschreibung generalisierter ethischer Aspekte Entscheidungshilfen für die diversen ethischen Konfliktsituationen bieten. Ziel ethischer Richtlinien ist es nicht, eine Vereinheitlichung der so differenten Situationen zu erzeugen. Diese Anforderung können ethische Standards schon allein auf Grund der Eigentümlichkeit und Besonderheit jeder KlientInnengeschichte nicht leisten. Vielmehr soll das eigenständige Durchdenken, das Betrachten aus unterschiedlichen Blickwinkeln und somit die Vielschichtigkeit in der Entscheidungsfindung gefördert und unterstützt werden. Seite 9 Ethik und Soziale Arbeit Allen Entscheidungen gemeinsam muss aber die Ausrichtung an der Ethik bleiben (vgl. Linzer 1999, 2003). Um diese ethische Ausrichtung zu sichern, beschreibt auch die International Federation of Social Work in Zusammenarbeit mit der International Association of Schools of Social Work ethische Prinzipien der Sozialen Arbeit. Unter dem Aspekt der Menschenrechte und Menschenwürde sollen das Recht auf Selbstbestimmung geachtet, das Recht auf Beteiligung gefördert, jede Person ganzheitlich behandelt und Stärken und Ressourcen des Individuums, der Gruppe und der Gemeinschaft erkannt und entwickelt werden. Weiters sollen SozialarbeiterInnen nach dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit handeln und somit negative Diskriminierung zurückweisen, Verschiedenheit anerkennen, Ressourcen gerecht verteilen, sich ungerechter Politik und Praktiken widersetzen und solidarisch arbeiten bzw. Exklusion, Stigmatisierung und Unterdrückung zurückweisen. (vgl. IFSW, IASSW: Ethik in der Sozialen Arbeit 2004). Die Forderung nach klaren allgemeingültigen ethischen Prinzipien und Standards bezieht sich auf die Profession Soziale Arbeit im Gesamten, sowie in spezifischen Ausführungen auch auf einzelne Handlungsfelder wie z. B. die Jugendwohlfahrt. Bezogen auf die vielen verschiedenen Arbeitsbereiche der Sozialen Arbeit muss es neben den breit gefassten und allgemein gehaltenen ethischen Richtlinien ergänzend auch gezielte ethische Standards geben, die den spezifischen Arbeitskontext betreffen. Jener Kodex der auf die gesamte Soziale Arbeit ausgerichtet ist, wird als „code of professional ethics“ bezeichnet (vgl. Beckett 2006, 66). Beckett nennt vier ethische Aspekte, die er als relevant für die Soziale Arbeit betrachtet, da diese in den verschiedensten Bereichen der Sozialen Arbeit erkennbar sind. Diese vier Aspekte sind: • die Etablierung eines Code of Ethics um eine traditionelle professionelle Ethik zu sichern • besondere Beachtung der Sozialen Gerechtigkeit und Engagement, gegen Ungerechtigkeit aufzutreten um unterdrückten und an den Rand gedrängten Bevölkerungsgruppen eine gerechte Chance zu geben • Respekt für jedes Individuum • Anerkennung der eigenen Grenzen als SozialarbeiterInnen bzw. die Anerkennung des eigenen sozialarbeiterischen Kompetenzbereichs. (vgl. a.a.O. 80 f.) Seite 10 Ethik und Soziale Arbeit Neben diesen vier Aspekten, die bei der Vermeidung, Aufdeckung und Beseitigung von sozialen Problemen von großer Bedeutung sind, beschreibt Gruber (2005) weitere Bestimmungsmomente des ethischen Handlungsentscheids. Unter den Aspekten der eigenen Gesinnung, der Handlungsziele, der eingesetzten Mittel und Methoden, sowie der vorhersehbaren Folgen nennt er unter anderen folgende Punkte, die bei den Überlegungen und der Reflexion moralischen Verhaltens und Handelns genau betrachtet werden sollen: • die Gefahr für das Kind in der momentanen Situation • die eigene Grundeinstellung • eigene bisherige Erfahrungen • die eigene ethische Werthaltung • die beabsichtigten Handlungsziele • die geplanten Interventionsmittel bzw. das beabsichtigte Vorgehen • die ethische Bewertung der Intervention an sich • erwartete positive und/oder negative Handlungsfolgen • Umfang und Dauer der Nebenwirkungen • Anzahl der von Nebenwirkungen betroffenen Menschen • schwerwiegende Gründe, die die etwaigen negativen Folgen rechtfertigen • Verhältnis zwischen den unangenehmen „Nebenwirkungen“ der Intervention und den unangenehmen Folgen eines Interventionsverzichts • Limitierung der Nebenwirkungen auf das geringstmögliche Maß. (vgl. Gruber 2005, 159 - 206) Gruber sieht die Ethik als wichtige Bezugswissenschaft der Sozialen Arbeit, da die Ethik der Sozialen Arbeit ihre wissenschaftlich fundierte Einsichten über lebenswichtige ethische Güter, Werte und Normen zur Verfügung stellt und der Sozialen Arbeit somit hilft, ihr Tun zu reflektieren und ihre Ziele vor sich und der Gesellschaft zu begründen (vgl. a.a.O. 22). Frederic Reamer (2006) greift in seinem Buch „Social Work Values and Ethics“ auf neun „core professional virtues“, also auf professionelle Grundtugenden zurück, die bereits 1970 von Tom Beauchamp und James Childress benannt wurden und sich als entscheidend für professionelle Sozialarbeit erwiesen. Die enge Verbindung zwischen Ethik und Sozialer Arbeit lässt sich in den folgenden neun ethischen Grundeigenschaften, die aus Reamers Sicht in die sozialarbeiterische Arbeit einfließen sollten, erkennen: Seite 11 Ethik und Soziale Arbeit • Mitgefühl • Urteilsvermögen • Vertrauenswürdigkeit • Zuverlässigkeit; Integrität • Gewissenhaftigkeit • Schadensvermeidung • Eigenständigkeit / Willensfreiheit • Wohltätigkeit • Gerechtigkeit. (vgl. Reamer 2006, 31 - 33) Biestek fasste schon zu Beginn der 60er Jahre sieben ethische „Grundsätze der helfenden Beziehung“ zusammen. In diesen Grundsätzen erwähnte er damals bereits die Annahme des anderen, die nichtrichtende Haltung, die Selbstbestimmung des Klienten [!] und die Verschwiegenheit (vgl. Biestek 1970, 25 – 130). Auch die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen ist in ethischen Überlegungen verwurzelt. Die Frage, ab wann SozialarbeiterInnen der Jugendwohlfahrt berechtigt sind, in das Leben von Familien und insbesondere von Kindern einzugreifen, muss gründlich überlegt und es müssen alle „Für und Wider“ abgewogen werden. Schwierig ist diese Entscheidung vor allem auch deshalb, weil die „Selbstbestimmung“ ein wichtiger Grundwert der Sozialen Arbeit ist. Gegen diesen Wert wird bei der Fremdunterbringung verstoßen, da das Recht auf „Selbstbestimmung“ nicht als absolut angesehen werden kann. Brian Simmons (2003) meint dazu in seinem Ausbildungshandbuch „Child Welfare Ethics and Values“: “Individuals are not free to do whatever they want whenever they want. This kind of a system is called anarchy” (Simmons 2003, 42). Simmons ist daher der ethischen Auffassung, dass SozialarbeiterInnen die Verpflichtung haben im Namen der machtlosen und ungeschützten Kinder, die sich nicht selber schützen können, in das Familienleben einzugreifen. Diese Verpflichtung, sich für das Wohl und den Schutz der Kinder einzusetzen, ist die ethische Basis der Fremdunterbringung (vgl. ebd.). Seite 12 Ethik und Soziale Arbeit 2 . 1. 3 W E R T E I N D E R S O Z I AL E N A R B E I T , I N S B E S O N D E R E B E I D E R FREMDUNTERBRINGUNG VON KINDERN UND JUGENDLI CHEN Jeder/jede SozialarbeiterIn wird im Rahmen seines/ihres Berufslebens mit Anforderungen, die aus unterschiedlichsten Werthaltungen entspringen, konfrontiert. Beckett (2006) beschreibt das Spannungsfeld zwischen den persönlichen, professionellen, institutionellen bzw. organisationsbezogenen und gesellschaftlichen Werten aus einer mikro- und makroethischen Perspektive. Zum einen können vom mikroethisch, also individuell geprägten Standpunkt aus die genannten Werte innerhalb einer Person in Konflikt geraten, zum anderen wird das Spannungsfeld durch dieselben Werte anderer Personen und Professionen (makroethisch) zusätzlich erweitert (vgl. Beckett 2006, 21 – 23). Um trotz Wertdiffusion ethischen Entscheidungen gewachsen zu sein, bedarf es einer intensiven Auseinandersetzung und Bewusstmachung der verschiedenen Werthaltungen, sowie der Definition der eigenen professionellen Werte, die Klarheit darüber geben sollen, welche Haltung man in schwierigen Situationen als SozialarbeiterIn einnehmen soll. Ziel der bewussten Beschäftigung mit Werten ist es, Konflikte zwischen den verschiedenen Werten zu reduzieren und somit bessere ethische Entscheidungen auf Basis der Bedürfnisse der KlientInnen und der Aufrechterhaltung der eigenen ethischen Integrität zu treffen. Ralpf Dolgoff und Frank Loewenberg (2005) heben besonders die Auseinandersetzung mit folgenden Werten hervor: 1. individuelle Werte, denen unabhängig von anderen Bedeutung beigemessen wird 2. Gruppenwerte, die für eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe wichtig sind 3. gesellschaftliche Werte, die vom gesamten gesellschaftlichen System oder zumindest von politischen VertreterInnen getragen werden 4. professionelle Werte, die die Profession der Sozialen Arbeit maßgeblich beeinflussen. (vgl. Dolgoff, Loewenberg 2005, 51, 52) Die National Association of Social Workers (NASW) definiert in den „Standards for the Classification of Social Work Practice” folgende professionellen Grundwerte der Sozialen Arbeit: • commitment to the primary importance of the individual in society • respect for the confidentiality of relationships with clients Seite 13 Ethik und Soziale Arbeit • commitment to social change to meet socially recognized needs • willingness to keep personal feelings and needs separate from professional relationships • willingness to transmit knowledge and skills to others • respect and appreciation for individual and group differences • commitment to develop clients’ ability to help themselves • willingness to persist in efforts on behalf of clients despite frustration • commitment to social justice and the economic, physical, and mental well-being of all members of society • commitment to high standards of personal and professional conduct. (NASW Standards for the Classification of Social Work Practice zit. n. Reamer 2006, 21) Auch im Code of Ethics der National Association of Social Workers werden Grundwerte der Sozialen Arbeit benannt und mit klaren ethischen Handlungsanweisungen verknüpft. Diese sechs Grundwerte beinhalten, dass SozialarbeiterInnen sich zum Ziel setzen: 1. bedürftigen Menschen zu helfen und zu versuchen soziale Probleme zu bekämpfen 2. sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen 3. die Menschenwürde jeder Person zu respektieren 4. die Bedeutung menschlicher Beziehungen und Kontakte (an) zu erkennen 5. vertrauensvoll und zuverlässig zu sein 6. sich der eigenen Kompetenz bewusst zu sein und nur innerhalb dieser zu handeln sowie auch das eigene professionelle Expertentum weiter zu entwickeln und zu verbessern. (vgl. NASW Code of Ethics 1999) Gruber nennt im Gegensatz zu den sechs genannten „core values“ des NASW Code of Ethics nur vier Werte, die er als Basis für alle weiteren Wertungen und Normierungen in der Praxis der Sozialen Arbeit sieht. Diese vier Grundwerte sind (1) die Eigenverantwortlichkeit, (2) die Gerechtigkeit, (3) die Solidarität und (4) die Toleranz (vgl. Gruber 2005, 50). Im Sinne der Eigenverantwortung meint Gruber: „Jeder Mensch kann nicht nur, er muss als Person sein Handeln selbst verantworten“ (a.a.O. 59). Seite 14 Ethik und Soziale Arbeit Aus diesem Grundwert leitet Gruber für das sozialarbeiterische Handeln das Ziel ab Verantwortung und Mündigkeit zu fördern und nennt dabei das Prinzip der Subsidiarität, das er mit der Faustregel: „Soviel Hilfe wie nötig, soviel Eigenständigkeit wie möglich“ vergleicht (vgl. a.a.O. 65 – 67). In Bezug auf die Sicherung des Kindeswohls und somit von besonderer Relevanz für die Jugendwohlfahrt beschreibt Simmons (2003) in seinem Ausbildungshandbuch zwölf „Core Child Welfare Values“. Diese beinhalten detaillierte Ausführungen zu den Werten Schutz für Kinder, Erhaltung und Stärkung der Familie, Respekt für die Familien und alle involvierten Personen, Selbstbestimmung der KlientInnen und individuelle Interventionen abgestimmt auf die Bedürfnisse des Kindes und die spezielle Situation. Weiters sind für die SozialarbeiterInnen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen Werte wie die Einhaltung der eigenen Grenzen in Bezug auf den sozialarbeiterischen Kompetenzbereich, Loyalität und Aufrichtigkeit, sowie Gewissenhaftigkeit, Sorgsamkeit und Ehrlichkeit wichtig. Auch die Verschwiegenheitspflicht bzw. Vertraulichkeit sind für einen professionellen, wertschätzenden Umgang mit Kindern unabdingbar (vgl. Simmons 2003, 10 f.). Im Vergleich dazu definiert die National Society for the Prevention of Cruelty to Children (NSPCC) sechs Grundwerte, die auf die UN Kinderrechtskonvention aufbauen. 1. Children must be protected from all forms of violence and exploitation. 2. Everyone has a responsibility to support the care and protection of children. 3. We listen to children and young people, respect their views and respond to them directly. 4. Children should be encouraged and enabled to fulfil their potential. 5. We challenge inequalities for children and young people. 6. Every child must have someone to turn to. (NSPCC zit. n. Beckett 2006, 12) Die ethische Gestalt der Sozialen Arbeit ist all diesen Erläuterungen nach von Grundwerten geprägt, die das Wesen der Sozialen Arbeit maßgeblich beeinflussen. Diese Werte können, wie beschrieben, auch miteinander konkurrieren und in Konflikt geraten. Durch eine gewissenhafte Auseinandersetzung verhelfen sie aber zu mehr Klarheit und einer selbstbewussten sozialarbeiterischen Haltung, die vor allem zur Bewältigung ethischer Dilemmata einen wesentlichen Beitrag leistet. Seite 15 Ethik und Soziale Arbeit 2 . 1. 4 D I L E M M AT A I N D E R S O Z I AL E N A R B E I T , I N S B E S O N D E R E B E I D E R FREMDUNTERBRINGUNG VON KINDERN UND JUGENDLI CHEN Neben den genannten Werten, die untereinander in Konflikt geraten können, treten in der Sozialen Arbeit eine Reihe von ethischen Dilemmata auf, die ebenso eine große Herausforderung an die SozialarbeiterInnen stellen. Von ethischen Dilemmata wird dann gesprochen, wenn SozialarbeiterInnen vor der schwierigen Entscheidung zwischen zwei gleichermaßen unerwünschten Alternativen stehen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Konflikte zwischen moralischen Prinzipien, wodurch die Abwägung, welche Entscheidung die „richtige“ ist, erschwert wird (vgl. Banks 1995, 12). Banks nennt dazu als Beispiel die Entscheidung über die Fremdunterbringung eines Kindes. Wenn das Kind aus der Familie genommen wird, ist das weder für das Kind noch für die Mutter eine ideale Lösung, da das Kind in einer außerfamiliären Umgebung untergebracht werden muss, was viele unangenehme Folgen für das Kind mit sich bringen kann. Als zweite Alternative beschreibt Banks, das Kind in der Obsorge der Eltern in der gewohnten Umgebung zu belassen. Diese Alternative birgt aber im Beispiel von Banks die Gefahr der Misshandlung, wodurch dem Kind Verletzungen oder gar der Tod drohen könnten (vgl. a.a.O. 22). Bezogen auf dieses und ähnliche Dilemmata in der Sozialen Arbeit meint Banks hinsichtlich der Tatsache zwischen zwei Übeln entscheiden zu müssen Folgendes: „[This] seems to sum up quite well how it often feels to be a social worker in a „no win“ situation“ (ebd.). Laut Banks stehen SozialarbeiterInnen zusätzlich vor der Schwierigkeit einen geeigneten Kompromiss zwischen den vielen Verpflichtungen zu finden, die sie unterschiedlichen Interessensgruppen gegenüber haben. Die Gratwanderung zwischen den Anforderungen der KlientInnen, der eigenen Profession, der sozialen Einrichtung und der Gesellschaft, stellt ein zusätzliches Konfliktpotential dar (vgl. a.a.O. 122). Im Code of Ethics der National Association of Social Workers werden die ethischen Standards in Verantwortungsbereiche gegliedert, die SozialarbeiterInnen unterschiedlichen Gruppen gegenüber wahrnehmen müssen. Neben den vier von Banks genannten Anforderungsstellern, nämlich KlientInnen, die eigene Profession, soziale Einrichtungen und die Gesellschaft, werden im Code of Ethics der NASW zusätzlich Verpflichtungen Seite 16 Ethik und Soziale Arbeit gegenüber den KollegInnen, und der Qualität der Professionalität an sich formuliert (vgl. NASW Code of Ethics 1999). Die Schwierigkeit besteht darin, den Anforderungen und Verpflichtungen bestmöglich gerecht zu werden, was mitunter in Fällen, in denen Anforderungen verschiedener Gruppen unvereinbar und widersprüchlich sind, ein Ding der Unmöglichkeit sein kann. Auch die International Federation of Social Workers beschreibt im Wesentlichen vier Dilemmata, die sich aus den genannten entgegengesetzten Anforderungen und Verpflichtungen der SozialarbeiterInnen ergeben. Diese Dilemmata entstehen durch: 1. den Loyalitätskonflikt der SozialarbeiterInnen durch widerstreitende Interessen z. B. wenn eigene Interessen sich von denen der KlientInnen unterscheiden oder Interessen der KlientInnen sich mit denen des Dienstgebers nicht vereinbaren lassen etc. 2. das zweifache Mandat der SozialarbeiterInnen, einerseits HelferInnen, andererseits KontrolleurInnen zu sein 3. unterschiedliche Anforderungen, einerseits die Pflicht, die Interessen ihrer KlientInnen zu schützen, und die gesellschaftlichen Erfordernisse nach Effizienz und Nützlichkeit 4. die Tatsache, dass Ressourcen der Gesellschaft begrenzt sind. (vgl. IFSW, IASSW: Ethik in der Sozialen Arbeit 2004) Ergänzend zum eben genannten Punkt 4 der IFSW und IASSW beschreiben sowohl Beckett als auch Dolgoff und Loewenberg, dass häufig Ideallösungen auf Grund der limitierten möglichen Ressourcen nicht umgesetzt werden können (vgl. Beckett 2006, 92; Dolgoff, Loewenberg 2005, 130 ff.). Dolgoff und Loewenberg schreiben dazu: „ If they [the resources] were unlimited, there would be no problem in providing all persons with the help they need. In the real world, there are never enough resources for everything that should be done. Life is like a zerosum game” (ebd.). Gruber (2005) beschreibt das Dilemma, zwischen der Ranghöhe und der Dringlichkeit von Werten entscheiden zu müssen. Dabei bezieht er sich auf Max Scheler, der meint, dass bestimmte „Güter“ in ihrem Wert höher eingestuft werden als andere. Diese höheren Werte sind z. B. Werte wie Gerechtigkeit, Freundschaft, Liebe, Güte, aber auch geistige Werte, wie Wissenschaft, Kunst und Religion, die als dauerhafter und sinnstiftender Seite 17 Ethik und Soziale Arbeit empfunden werden. Sie können im Gegensatz zu materiellen und vitalen Werte nicht verbraucht und abgenützt werden (vgl. Scheler zit. n. Gruber 2005, 198). Andererseits können diese höheren Werte nur dann erreicht werden, wenn rangniedrigere Werte erfüllt sind. Gruber dazu: „Ranghöhe und Dringlichkeit eines Wertes fallen nicht zusammen. Geistig-personale Werte sind zwar ranghöher; aber sie haben zu ihrer Realisierung die vital-materiellen Werte zur Voraussetzung“ (ebd.). Ähnlich wie in den beschriebenen Dilemmata der IFSW nennt Gruber das Dilemma, das sich aus dem Spannungsfeld des Wohls des Einzelnen und dem Wohl der Gemeinschaft ergibt (vgl. a.a.O. 199). Auch Frederic Reamer (2006) beschreibt in seinen Büchern „Social Work Values and Ethics“ und „Ethical dilemmas in social service“ eine Vielzahl ethischer Dilemmata in der Sozialen Arbeit. Neben einigen der bereits genannten Dilemmata nennt Reamer zusätzlich den Konflikt, zwischen professionellen und persönlichen Werten entscheiden zu müssen. In Bezug auf den Jugendwohlfahrtsbereich beschreibt er die „Zwickmühle“, in der sich SozialarbeiterInnen befinden, wenn die Erziehungspraktiken ihrer KlientInnen nicht mit den eigenen Vorstellungen übereinstimmen. SozialarbeiterInnen müssen dabei abwägen, ob sie ihre Bedenken kundtun, oder sich im Sinne des Respekts und der Selbstbestimmung zurücknehmen, solange es sich nicht um eine grobe Gefährdung des Kindeswohls handelt (vgl. Reamer 2006, 33 f.). Weiters legt Reamer das Dilemma zwischen eigenen kulturellen oder religiösen Werten und den kulturellen und religiösen Werten der KlientInnen dar. Dazu nennt er zur Veranschaulichung die Thematik der Abtreibung oder auch Scheidungsproblematiken, die häufig mit persönlichen kulturell und/oder religiös geprägten Vorstellungen in engem Zusammenhang stehen (vgl. a.a.O. 35 f.). Auch zwischen unterschiedlichen Betrachtungsweisen bezüglich des Ursprungs sozialer Probleme kann es zu Spannungen kommen. Einerseits kann die Ausgangslage sozialer Schieflagen als Folge vielfältiger sozialer Gegebenheiten, Kräfte und Ungerechtigkeiten gesehen werden, die die KlientInnen in ihre Situation gezwungen haben. Aus einer anderen Perspektive betrachtet, könnte die aktuelle KlientInnensituation auch als freiwillige und bewusste Entscheidung für die spezifische Art der Lebensführung angesehen werden. So kann Armut, um diese von den beiden genannten Blickwinkeln aus zu betrachten, einerseits als strukturell bedingt und somit als Resultat ungleich verteilter Ressourcen, Mangel an Unterstützungsleistungen durch den Staat und politisches Seite 18 Ethik und Soziale Arbeit Versagen etc. oder andererseits als Ergebnis von individueller Faulheit und Auflehnung gesehen werden. Diese beiden Sichtweisen sind in Diskussionen über verschiedenste soziale Probleme, wie Straffälligkeit, Kriminalität, Arbeitslosigkeit, Substanzenmissbrauch und Sucht, etc. erkennbar (vgl. a.a.O. 37 f.). Das Setzen professioneller Grenzen und das Vermeiden von Konfusion verschiedener Rollen, wie zum Beispiel das Verschwimmen der professionellen Grenzen in Richtung freundschaftliche Beziehung, erfordert von SozialarbeiterInnen ein sehr bewusstes Umgehen und eine gründliche Reflexion um einem diesbezüglichen Dilemma vorzubeugen (vgl. a.a.O. 108 ff.). Darüber hinaus beschreibt Reamer (1993) auch die Schwierigkeit sich bei Entscheidungen auf der einen Seite an Gesetzen und Politik und auf der anderen Seite an den eigenen sozialarbeiterischen Interventionszielen orientieren zu müssen. Wenn diese einander widersprechen, befindet sich der/die SozialarbeiterIn in einem weiteren Dilemma (vgl. Reamer 1993, 94 ff.). Als schwierige Situation für die Profession Soziale Arbeit erachtet Reamer auch die Entscheidung darüber, ob KlientInnen über tragische Ereignisse informiert werden sollen oder ob es in gewissen Fällen auch gerechtfertigt ist, dies zu unterlassen im Sinne einer emotionalen Schonung der KlientInnen (vgl. a.a.O. 67 ff.). Einer weiteren sehr problematischen und nicht eindeutig zu beurteilenden Entscheidung stehen SozialarbeiterInnen dann gegenüber, wenn sie zwischen Grundrechten verschiedener Personen oder zwei verschiedenen einander widersprechenden Rechten einer Person urteilen müssen. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn das Wohl einer Person durch die Handlungen einer anderen Person gefährdet ist. Die konkurrierenden Rechte sind in solchen Situationen das Recht auf Wohlbefinden des einen und das Recht auf Freiheit des anderen Individuums. Zwei Rechte, die innerhalb einer Person einander widersprechen können, sind z. B. im Falle von selbstverletzendem Verhalten oder Suizidalität zum einen das Recht auf Selbstbestimmung und zum anderen das Recht auf Wohlergehen derselben Person. Welches Recht höher zu bewerten ist, stellt eine schwer zu beantwortende Frage dar (vgl. a.a.O. 62, 63). Einige dieser genannten Dilemmata treten auch in der Jugendwohlfahrt bei Entscheidungen über Fremdunterbringungen von Kindern und Jugendlichen auf. Von besonderer Relevanz für diese Entscheidungsfindung ist das Dilemma über die Verschwiegenheit und Geheimhaltung persönlich anvertrauter Informationen versus die Angabepflicht und Seite 19 Ethik und Soziale Arbeit Aufdeckung zum Schutz und Erhalt von Leben, Gesundheit und körperlicher Unversehrtheit, sowie dem Wohl des Kindes (vgl. a.a.O. 87 ff.; Reamer 1993, 100ff; Linzer 1999, 47 - 52; Dolgoff, Loewenberg 2005, 73 ff.). Auch die Verletzung des Wertes der Selbstbestimmung auf Grund der Notwendigkeit von Seiten der Jugendwohlfahrt in das Familienleben einzugreifen sowie im Falle den Eltern die Obsorge zu entziehen stellt ein Dilemma bei der Entscheidungsfindung über Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen dar (vgl. Reamer 2006, 98 ff.; Reamer 1993, 76 ff.; Linzer 1999, 135 ff.; Dolgoff, Loewenberg 2005, 105 ff.). Zusätzlich befinden sich SozialarbeiterInnen auch dann in einer schwer zu entscheidenden Situation, wenn das Einverständnis der Erziehungsberechtigten bei Fremdunterbringungen nicht zu Stande kommt und somit mittels gerichtlichen Entscheids über die „volle Erziehung“ verfügt werden muss (vgl. Reamer 1993, 110 ff.; Beckett 2006, 86 ff.). Weitere ethische Dilemmata, denen sich SozialarbeiterInnen bei der Entscheidung über Fremdunterbringung stellen müssen, die jedoch nicht explizit in der Literatur zu finden waren, sind meines Erachtens nach z. B. die Entscheidung darüber, ob eine ambulante Erziehungshilfe für die jeweilige Situation ausreichend oder eine Fremdunterbringung erforderlich ist bzw. ob es notwendig ist, die Fremdunterbringung fortzuführen oder ob es zu einer Rückführung in die Familie kommen kann. Seite 20 Ethik und Soziale Arbeit 2 . 1. 5 E T H I S C H E T H E O R I E N Für den Umgang mit ethischen Dilemmata gibt es aus ethischer Sicht keine eindeutige Antwort. Vielmehr ist Ethik von verschiedenen Ansätzen geprägt, die, obgleich alle darauf abzielen „richtiges“ und „gutes“ Verhalten herzustellen, zu gleichen oder aber auch zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen können. Im Lexikon der Ethik (1992) werden unter dem Überbegriff der Normativen Ethik vier ethische Positionen unterschieden. Diese sind: 1. die theologische Ethik, die sich als Maßstab den Willen Gottes zur Beurteilung von „gutem“ menschlichen Verhalten nimmt 2. der Utilitarismus, der das Wohlergehen aller Betroffenen als das höchste erstrebenswerte Ziel ansieht 3. die egoistische Ethik, die das Selbstinteresse und somit das eigene langfristige Wohl einer Person oder Gruppe in den Mittelpunkt rückt 4. die deontologische Ethik, die sich an explizit festgelegten Maximen und Pflichten, die von allen Erdenbürgern einzuhalten sind, orientiert. (vgl. Höffe 1992, 201 f.) Für die Soziale Arbeit sind im Wesentlichen zwei dieser Hauptkategorien wichtig, nämlich (1) die deontologische Ethik mit ihren Schwerpunkten der Gesetzmäßigkeiten, Pflichten und der Handlung selbst und (2) die teleologische bzw. utilitaristische Ethik mit ihrem Fokus auf die Folgen und den Nutzen aus den jeweiligen Handlungen (vgl. Reamer 2006, 65 - 72; Reamer 1993, 13 - 20; Linzer 1999, 41 – 46). Beckett fügt diesen beiden sozialarbeiterisch relevanten Theorien noch eine dritte hinzu die er „virtue ethics“ nennt. Diese Ethik rückt die Tugenden und das Werteverständnis der Akteure/Akteurinnen ins Zentrum der Betrachtung. Im Fokus steht nicht die Handlung selbst, sondern die ausführende Person mit ihren Tugenden (vgl. Beckett 2006, 33 - 43). Beckett schreibt dazu: „It surely is important for social workers not just to follow rules but to be courageous and kind and honest“ (a.a.O. 42). Auch Sarah Banks (1995) betont im Wesentlichen die deontologische und teleologische Ethik als adäquate Theorien für die Praxis der Sozialen Arbeit, fügt diesen beiden aber als dritten geeigneten Ansatz die „Ethics of Care“ – die Fürsorgeethik – hinzu. Aus der Fürsorge-Perspektive betrachtet, haben die Gemeinschaft und das In-Beziehung-Stehen zu anderen einen hohen Stellenwert. Dabei gewinnen, im Gegensatz zur GerechtigkeitsSeite 21 Ethik und Soziale Arbeit perspektive, Werte wie Anteilnahme, Kommunikation, Einfühlsamkeit, Beteiligung und Hilfsbereitschaft sowie die Fürsorge besondere Bedeutung (vgl. Banks 1995, 34 f.). Im Folgenden werden die teleologische und die deontologische Ethik in ihren Besonderheiten näher beschrieben. TELEOLOGISCHE ETHIK Die Teleologie leitet sich vom griechischen Wort „telos“ ab, dass so viel wie „Vollendung, Erfüllung, Zweck oder Ziel“ bedeutet und ist der Auffassung, dass alle Entwicklung zweckund zielgerichtet auf feststehende ideelle Ziele zustrebt (vgl. Microsoft Encarta Enzyklopädie Professional 2005). Eine Form der teleologischen Ethik ist der Utilitarismus. Der Begriff Utilitarismus, der sich aus dem lateinischen „utilis“ (=„nützlich“) ableitet, orientiert sich am Prinzip der Nützlichkeit, das jene Handlungen als sittlich geboten sieht, deren Folgen für das Glück aller optimal sind (Höffe 1992, 285). Der Utilitarismus wiederum leitet sich aus dem Konsequenzialismus ab, der Handlungen danach bewertet, ob die daraus entstanden Folgen bzw. Konsequenzen wünschenswert sind oder nicht. Beim Utilitarismus wird darüber hinaus davon ausgegangen, dass eine Handlung dann „gut“ und „richtig“ ist, wenn sich aus ihr das größte Glück bzw. der größte Nutzen für die größtmögliche Anzahl von Menschen ergibt (vgl. Beckett 2006, 39). In den meisten Fällen ist es daher erforderlich, den Vorteil der einen Person gegen den Nachteil einer andern Person abzuwägen. Ziel des utilitaristischen Nutzenkalküls ist es nämlich nicht nur die Vor- und Nachteile einer Person zu berücksichtigen, sondern alle Subjekte in die Überlegungen mit einzubeziehen, die von der Entscheidung betroffen sind (vgl. Reamer 2006, 67). Der Utilitarismus wird wiederum in zwei verschiedene Formen untergliedert, nämlich in den Akt- und den Regelutilitarismus. Der Aktutilitarismus konzentriert sich vor allem auf die Handlung an sich und ist darauf ausgerichtet alle möglichen Konsequenzen und ihre Wahrscheinlichkeit in Betracht zu ziehen um auf dieser Grundlage die Entscheidung darüber zu treffen, welche das größtmögliche Glück zur Folge hat. Der Regelutilitarismus hingegen sucht zuerst nach Regeln für das Handeln. Dabei spielen Überlegungen, welche Konsequenzen es hätte, die erwogene Regel immer zu befolgen, in die Entscheidung ein. Jene Regel, deren Befolgung dauerhaft das meiste Glück nach sich zieht, wird als am besten geeignet betrachtet. Bei der Entscheidung nach dem Regelutilitarismus werden Seite 22 Ethik und Soziale Arbeit auch die langfristigen Konsequenzen mit einbezogen (vgl. Reamer 2006, 67 f.; Beckett 2006, 39 f.; Linzer 1999, 44). Neben diesen beiden und anderen Formen des Utilitarismus, die sich mit der Maximierung des Glücks für die Menschen befassen, gibt es zusätzlich den „negativen“ Utilitarismus, der auf die Minimierung des Leides der Menschen ausgerichtet ist (vgl. Reamer 2006, 69). All diese beschriebenen Handlungsbewertungen auf Grund der daraus resultierenden Folgen und die Zurückweisung fester moralischer Grundsätze und Pflichten fassen Dolgoff und Loewenberg unter den Begriff des ethischen Relativismus zusammen (vgl. Dolgoff, Loewenberg 2005, 42). DEONTOLOGISCHE ETHIK Die Deontologie leitet sich vom griechischen „deon“ ab, was übersetzt „das Erforderliche“ und „die Pflicht“ bedeutet. Der wohl bekannteste Vertreter dieser Theorie ist Immanuel Kant. Im Mittelpunkt seiner Philosophie steht die Vernunft, die er als das betrachtete, was allen Menschen gemeinsam ist und somit Ausgangspunkt ethischen Handelns sein muss. Er suchte nach Begründungen und Grundsätzen, die fall-, personen- und kultur- sowie epochenunabhängig unbedingt von Gültigkeit sind und denen somit alle vernünftigen Wesen zustimmen müssen. Kant formulierte dazu den kategorischen Imperativ, der wohl einer der bekanntesten ethischen Grundsätze darstellt: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ (Schneider 2001, 30). Wesentlich für die deontologische Ethik ist, dass Handlungen nicht am Wertemaßstab der Handlungsfolgen bewertet werden, sondern es vielmehr um die Gesinnung und die Motivation der Handlung geht. Handlungen werden demnach von Natur aus als „richtig oder falsch“ bzw. „gut oder schlecht“ angesehen, ohne dabei die Folgen der Handlung zu berücksichtigen (vgl. Reamer 2006, 65; Beckett 2006, 33; Linzer 1999, 41 f.). Dolgoff und Loewenberg bezeichnen diesen Ansatz als ethischen Absolutismus (vgl. Dolgoff, Loewenberg 2005, 43). Seite 23 Ethik und Soziale Arbeit KRITIK AN DEN BEI DEN THEORIEN Obwohl ethische Theorien SozialarbeiterInnen helfen sollten, sich der eigenen Standpunkte klarer bewusst zu werden und somit Entscheidungen gründlicher reflektieren zu können, bieten sie keine eindeutigen Handlungsanweisungen darüber, was letztendlich getan werden soll. Sowohl deontologische als auch teleologische Prinzipien weisen kritikwürdige Schwachstellen auf. Sie können auch je nach subjektiver Auslegung als Begründung für divergente Interessen verwendet werden. Die Interpretation dieser beiden Theorien trägt somit immer die Handschrift derjenigen/desjenigen, der die Entscheidung fällt (vgl. Reamer 1993, 16 ff; Reamer 2006, 65, 67 f.; Schneider 2001, 28 ff.; Banks 1995, 28ff., 33; Linzer 1999, 42 f.; Hartsell 2006). AUSRICHTUNGEN Im Laufe der Geschichte der Sozialen Arbeit haben sich sechs bedeutende Ausrichtungen im Hinblick auf die Grundwerte der Sozialen Arbeit herauskristallisiert. Diese sind: 1. die paternalistische1 Ausrichtung, durch welche KlientInnen durch professionelle sozialarbeiterische Unterstützung zu einem eigenständigen Leben befähigt werden sollen 2. die Ausrichtung an sozialer Gerechtigkeit 3. die religiöse Ausrichtung 4. die objektiv sachliche Ausrichtung, welche als Orientierungshilfe allgemein gültige Werte und ethische Richtlinien heranzieht 5. die defensive bzw. verteidigende Ausrichtung, die sich mit den Gefahren der Sozialarbeit und den notwendigen Schutzmaßnahmen auseinandersetzt 6. die moralfreie Ausrichtung, die davon ausgeht, dass keine ethischen Werte, normativen Konzepte und Richtlinien für die Praxis der Sozialen Arbeit vonnöten sind. Diese spezifischen abgeleiteten Theorien konnten sich im Gegensatz zu anderen über längere Zeit halten und haben nach wie vor Einfluss auf die Praxis der Sozialen Arbeit (vgl. Reamer 2006, 18 - 20). Dolgoff und Loewenberg (2005) nennen fünf zeitgenössische Ansätze der ethischen Entscheidungsfindung. Ebenso wie Reamer erwähnen sie die objektiv sachliche sowie die religiöse Ausrichtung. Unter dem Begriff der situationsbezogenen Ethik fassen sie ähnliche 1 Paternalismus: Bestreben andere zu bevormunden; Handlung , die gegen den Willen, aber auf das Wohl eines anderen gerichtet ist Seite 24 Ethik und Soziale Arbeit Aspekte wie Reamer unter der moralfreien Ethik zusammen und beschreiben diese als gesetz- und richtlinienfreie Ethik, die sich nur an der konkreten Situation orientiert. Zusätzlich zu diesen drei Ansätzen beschreiben Dolgoff und Reamer die humanistische Ethik, die eine idealistische und grundlegend positive und optimistische Perspektive bezüglich der Zukunft hervorhebt (vgl. Dolgoff, Loewenberg 2005, 46 ff.). Dieser Zugang wird von ihnen folgendermaßen beschrieben: „This approach stresses the capacity, opportunity, and responsibility of every person to make choices that make sense to him or her” (a.a.O. 47). Als fünften Ansatz beschreiben Dolgoff und Reamer die feministische Ethik, die mit der bereits von Sarah Banks in Kapitel 2.1.5 erwähnten „Ethics of care” vergleichbar ist (vgl. a.a.O. 50). All diese ethischen Ansätze und Theorien sollen SozialarbeiterInnen darin unterstützen bewusste ethische Entscheidungen zu treffen. Genaue ethische Prinzipien und Standards zur Sicherung des ethischen Verhaltens von SozialarbeiterInnen finden sich in den Codes of Ethics. Seite 25 Ethik und Soziale Arbeit 2 . 1. 6 C O D E O F E T H I C S Die Fähigkeit und Verpflichtung ethisch zu handeln, sind für die Qualität der Sozialen Arbeit wesentliche Aspekte und setzen ethisches Bewusstsein der SozialarbeiterInnen voraus. „Codes of Ethics“ bzw. zu deutsch „ethische Kodizes“ sollen es SozialarbeiterInnen ermöglichen, in Übereinstimmung mit den Richtlinien ihres Landes zu handeln (vgl. IFSW, IASSW: Ethik in der Sozialen Arbeit 2004). Die International Federation of Social Workers setzte sich deshalb zum Ziel eine Anzahl von grundlegenden Prinzipien der Sozialen Arbeit zu formulieren, die an die jeweilige kulturelle und soziale Umgebung angepasst werden sollen. Ethische Richtlinien können darüber hinaus eine Anleitung für die Wahl der Methoden bei ethischen Dilemmata bieten. (vgl. IFSW The Ethics of Social Work Principles and Standards 1994). Dolgoff und Loewenberg beschreiben den Zweck von Codes of Ethics folgendermaßen: “Ethical principles do not describe professional practice, but provide screens for assessing practice options for their rightness or wrongness. Codes of professional ethics identify and describe the ethical behaviour expected of professional practitioners” (Dolgoff, Loewenberg 2005, 20). Codes of Ethics sollen also SozialarbeiterInnen als Orientierungshilfe bei schwierigen Entscheidungen dienen. Sie sind vor allem dann von großer Wichtigkeit, wenn SozialarbeiterInnen alleine Entscheidungen treffen müssen, wenn einzuleitende Maßnahmen von hoher Komplexität sind und wenn es sich um eine auf Vertrauen beruhende Beziehung zwischen SozialarbeiterIn und KlientIn handelt, die z. B. die Vermögensverwaltung oder Entscheidungen über das Leben des Klienten/der Klientin involviert. Außerdem bieten Codes of Ethics sowohl für KlientInnen einen Schutz vor verschiedensten Arten des Amtsmissbrauchs als auch für SozialarbeiterInnen einen Schutz bei Gerichtsverfahren. Alle Berufspflichten werden in einem Code of Ethics klar definiert und festgehalten. Darüber hinaus verhelfen Ethikkodizes, nach innen und außen Professionalität und Integrität zu demonstrieren und leisten einen Beitrag zum Bestreben als Profession anerkannt zu werden. Auch die Identität der SozialarbeiterInnen wird durch klar formulierte gemeinsame Prinzipien und Standards gefördert und gestärkt. Dies soll aber nicht bedeuten, dass Soziale Arbeit, der keine ethischen Richtlinien zu Grunde liegen, unprofessionell ist (vgl. Banks 1995, 71ff., 89). Auch Pantuček (1999) meint, dass SozialarbeiterInnen bei vielen Entscheidungen z. B. jenen, die sich auf die Biographie der KlientInnen auswirken, mit Unsicherheit und Seite 26 Ethik und Soziale Arbeit Komplexität konfrontiert sind. Diese Entscheidungen lassen sich zwar leichter bewältigen, wenn strikt nach den Institutionsnormen vorgegangen wird, es führt aber dazu, dass die EntscheidungsträgerInnen ihre Eigenverantwortung verleugnen. Wenn sie die eigene Verantwortung wahrnehmen, kann dies allerdings schnell zur Überforderung führen und somit auch zu Entscheidungs- und Handlungsunfähigkeit. Um sicher und selbstbewusst verantwortlich handeln zu können, bedarf es institutioneller sowie professioneller Regeln (vgl. Pantuček 1999, 180 f.). Codes of Ethics dienen SozialarbeiterInnen demzufolge als wichtige Entscheidungshilfen gerade in schwierigen Fällen, in denen schnell entschieden und gehandelt werden muss. Obwohl jeder Fall unterschiedlich ist und auch spezifische Überlegungen in die Entscheidung einfließen müssen, gibt es gewisse Gemeinsamkeiten und Überschneidungen. Diese werden in den Codes of Ethics angeführt. Die Prinzipien und Standards in den Kodizes sind allgemein gehalten in der Absicht eine fallspezifische Abstimmung auf die jeweilig einzigartige Situation zu ermöglichen (vgl. Dolgoff, Loewenberg 2005, 33). VERGLEICH VON CODES OF ETHI CS Gemäß der International Federation of Social Workers (IFSW) und der International Association of Schools of Social Work (IASSW) existieren sowohl allgemeine als auch für einzelne Länder spezifische Probleme in der Praxis der Sozialen Arbeit. Aus diesem Grund beschränkten sich diese beiden Organisationen auf die Formulierung allgemeiner Prinzipien, die als Basis für detailliertere länderspezifische ethische Kodizes dienen sollen. Die Darstellung der Prinzipien der IFSW und IASSW möchten SozialarbeiterInnen in aller Welt ermutigen Herausforderungen und Dilemmata der Sozialen Arbeit gründlich zu reflektieren um ethisch informierte und fundierte Entscheidungen treffen zu können (vgl. IFSW, IASSW: Ethik in der Sozialen Arbeit 2004). Die Codes of Ethics von Amerika, Australien, Deutschland, Großbritannien und Kanada, die für diese Diplomarbeit herangezogen wurden, sind inhaltlich ähnlich aufgebaut. Alle geben eine Einführung in den jeweiligen Code, erklären den Zweck ethischer Richtlinien, geben die grundlegenden Werte der Sozialen Arbeit an und erläutern in unterschiedlich detaillierter Ausführung im Weiteren ethische Prinzipien und Standards der Sozialen Arbeit. Bezüglich der Standards werden in den Codes of Ethics der genannten Länder ähnliche Verantwortungsbereiche der SozialarbeiterInnen genannt. Seite 27 Ethik und Soziale Arbeit Im Dokument „The Ethics of Social Work Principles and Standards“ des IFSW werden als Grundlage für länderspezifische Weiterentwicklung Standards zum allgemeinen ethischen Verhalten sowie Standards der Sozialen Arbeit in Bezug auf KlientInnen, auf Dienststellen und Organisation, auf KollegInnen und auf den Beruf beschrieben (vgl. IFSW The Ethics of Social Work Principles and Standards 1994). Aufbauend auf diesem Kodex verfasste der Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit zusätzliche Standards bezüglich des Verhaltens gegenüber Angehörigen anderer Berufe und des Verhaltens in der Öffentlichkeit sowie klar vorgegebene Verfahrensregeln (DBSH Berufsethische Prinzipien des DBSH 1997). Die Australian Association of Social Workers (AASW) erwähnt einige der genannten Standards und ergänzt die ethische Verantwortung in “particular settings”, worunter vor allem Regeln für die Dokumentation, Administration und Supervision fallen (vgl. AASW Code of Ethics 1999). Der Code of Ethics der National Association of Social Workers fügt zu einigen der genannten Standards Richtlinien hinzu um die Professionalität und Qualität der Sozialen Arbeit sowie die ethische Verpflichtung hinsichtlich der Gesellschaft zu sichern (vgl. NASW Code of Ethics 1999). In der detaillierten Ausführung des kanadischen Ethikkodex werden zusätzlich Standards zu den Bereichen der Selbstständigkeit in der Sozialen Arbeit („private practice“) und im Bereich der Forschung angeführt (vgl. CASW Guidlines for ethical practice 2005). Ausschließlich im britischen Code of Ethics werden ethische Standards für SozialarbeiterInnen zur Sicherung des verantwortungsbewussten Umgangs in besonderen Rollen erwähnt, wie z. B. im Management, als Supervisor, Trainer oder Ausbildner etc (vgl. BASW Code of Ethics 2002). Im Vergleich zu diesen Ethikkodizes, die einen Umfang von 16 bis 33 Seiten aufweisen, gibt es von Seiten des österreichischen Berufsverbandes der SozialarbeiterInnen eine zweiseitige Ausführung zu ethischen Standards, die die Berufspflichten für SozialarbeiterInnen beschreiben. Dieses Schriftstück (siehe Anhang) weist im Gegensatz zu den Codes of Ethics der genannten Länder weder eine Gliederung in verschiedene Teile, noch Prinzipien und Verantwortungsbereiche auf. Es werden lediglich 14 Berufspflichten der SozialarbeiterInnen genannt (vgl. OBDS Ethische Standards – Berufspflichten für SozialarbeiterInnen 2004). Seite 28 Ethik und Soziale Arbeit Neben diesem Dokument bezieht sich der OBDS auf seiner Homepage (http://www.wiensozialarbeit.at/) auf den bewusst allgemein gehaltenen Ethikkodex des IFSW (siehe Anhang), der ursprünglich als Grundlage für länderspezifische detaillierte Ausführungen gedacht ist (vgl. IFSW, IASSW: Ethik in der Sozialen Arbeit 2004). 2 . 1. 7 Z U S AM M E N F AS S U N G In diesem Kapitel wurde die Bedeutung der Ethik für die Soziale Arbeit und insbesondere für den Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen beschrieben. Die enge Verbindung zwischen Sozialer Arbeit und Ethik lässt sich bereits in der Definition Sozialer Arbeit deutlich erkennen, in der die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit als Grundlage der Sozialen Arbeit genannt werden. Darüber hinaus werden SozialarbeiterInnen in allen Berufsfeldern mit Anforderungen konfrontiert, die aus unterschiedlichsten Werthaltungen entspringen und miteinander in Konflikt geraten können. Professionelle Werte und ethische Überlegungen sind demnach für die Praxis der Sozialen Arbeit unabdingbar. Das Wesen der Sozialen Arbeit ist maßgeblich von diesen ethischen Grundwerten geprägt, welche jedoch in schwierigen Fällen kontrovers sein können. Im Falle ethischer Dilemmata kann eine gewissenhafte Auseinandersetzung mit ethischen Ansätzen, Theorien und Modellen dazu verhelfen mehr Klarheit und Sicherheit über den Prozess der Entscheidungsfindung zu erhalten um die Dilemmata bestmöglich unter Berücksichtung ethischer Aspekte zu bewältigen. Auch Codes of Ethics versuchen anhand von klar definierten ethischen Prinzipien und Standards SozialarbeiterInnen zu bewussten ethischen Entscheidungen zu befähigen. Die Qualität der Sozialen Arbeit ist maßgeblich geprägt von der Fähigkeit als auch Verpflichtung der SozialarbeiterInnen ethisch zu handeln. Dafür ist das Bewusstsein über Ethik als Basis der Sozialen Arbeit und die Auseinandersetzung mit ethischen Aspekten eine maßgebliche Voraussetzung. Seite 29 Fremdunterbringung 2.2 FREMDUNTERBRINGUNG Als Fremdunterbringung wird die kurz- oder langfristige Übertragung der Pflege und Erziehung von Kindern und Jugendlichen auf eine andere Familie oder auf eine Einrichtung bezeichnet. Eine Fremdunterbringung kann zum einen von den obsorgeberechtigten Eltern selbst oder zum anderen durch Anordnung einer Behörde eingeleitet werden, wobei im zweiten Fall zwischen (1) der Fremdunterbringung mit Einwilligung der Erziehungsberechtigten und (2) der Fremdunterbringung gegen deren Einwilligung unterschieden wird (vgl. Blandow zit. n. Leitner 2001, 6). Die folgende Tabelle zeigt die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die in den vergangenen Jahren in Tirol fremd untergebracht waren. Tabelle 1: Volle Erziehung – Anzahl der Minderjährigen (außer Pflegekinder) am 31.12.2006 (Quelle: Amt der Tiroler Landesregierung 2005/06, 159) Von den insgesamt 437 Kindern, für die 2006 in Tirol die Maßnahme der Vollen Erziehung erteilt wurde, wurden 350 auf Grund einer Vereinbarung und 87 auf Grund einer gerichtlichen Verfügung fremd untergebracht (vgl. Bundesministerium für Gesundheit Familie und Jugend 2006, 3). Diese Zahlen beinhalten nicht die zusätzlichen Pflegekinder, die von anderen Personen als von bis zum dritten Grad Verwandten oder Verschwägerten, von Wahleltern oder vom Vormund gepflegt und erzogen werden. Für das Jahr 2006 waren in Tirol zusätzlich 292 Kinder bei Pflegeeltern untergebracht (vgl. Amt der Tiroler Landesregierung: 2005/06, 160). Der durchschnittliche Nettoaufwand für eine volle Erziehung belief sich im Berichtsjahr 2006 auf 18.908 Euro (vgl. a.a.O. 159). Insgesamt betrugen die Aufwendungen für die volle Erziehung im Jahr 2006 12.432.150 Euro, für das Pflegegeld zusätzlich 1.849.684 Euro (vgl. a.a.O. 162). Seite 30 Fremdunterbringung 2 . 2. 1 R E C H T L I C H E G R U N D L AG E D E R F R E M D U N T E R B R I N G U N G Im Jugendwohlfahrtsgesetz, dem Tiroler Jugendwohlfahrtsgesetz und dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch finden sich Rechtstexte/Paragraphen, die den Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung gesetzlich festlegen. So wird in den „Grundsätzen für die Besorgung der Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt“ des TJWG in Paragraph 2 Folgendes vorgeschrieben: § 2 (1) „Die öffentliche Jugendwohlfahrt hat die Familie bei der Erfüllung ihrer Aufgaben der Pflege und Erziehung Minderjähriger zu beraten und zu unterstützen. Die Familie soll befähigt werden, diese Aufgaben unter Beachtung des Grundsatzes der gewaltlosen Erziehung soweit wie möglich selbst wahrzunehmen.“ (TJWG 2006 § 2 Abs. 1). Wenn für das Wohl des Kindes nicht ausreichend gesorgt ist, hat die Jugendwohlfahrt einzuschreiten. Allerdings ist das gelindeste noch zum Ziel führende Mittel zu wählen. (2) „Bei der Gewährung von Hilfen der öffentlichen Jugendwohlfahrt ist die grundlegende Bedeutung der Familie für die Entfaltung des Minderjährigen zu beachten. In Bindungen zur Familie oder zu familienähnlichen Einrichtungen darf nur insoweit eingegriffen werden, als das Wohl des Minderjährigen dies erfordert. Dies ist insbesondere der Fall, wenn zur Durchsetzung von Erziehungszielen Gewalt angewendet oder körperliches oder seelisches Leid zugefügt wird.“ (a.a.O. § 2 Abs. 2). In den weiteren Absätzen wird die Berücksichtigung der Entwicklungsmöglichkeiten des Minderjährigen hinsichtlich Fähigkeiten, Neigungen und Bedürfnissen, sowie das gesellschaftliche Umfeld des Minderjährigen erwähnt. Es ist jene Hilfe zu gewähren, die der Persönlichkeit des Minderjährigen und seinen Lebensverhältnissen entspricht. Zusätzlich wird die Zusammenarbeit mit den Minderjährigen, den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertretern thematisiert. Die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt müssen unter Berücksichtigung der allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnisse und darauf aufbauende Methoden angewendet werden. (vgl. a.a.O. § 2 Abs. 3 - 6). Hinsichtlich der vollen Erziehung wird zusätzlich in Paragraph 14 Absatz 1 des Tiroler Jugendwohlfahrtsgesetzes festgehalten, dass die „volle Erziehung dann zu gewähren ist, wenn die Erziehungsberechtigten nicht in der Lage sind, die zum Wohl eines Minderjähri- Seite 31 Fremdunterbringung gen erforderliche Erziehung zu gewährleisten, und die Unterstützung der Erziehung nach § 13 nicht ausreicht.“ (a.a.O. § 14 Abs. 1). Im Absatz 2 wird beschrieben, dass sich die volle Erziehung auf die Pflege und Erziehung eines Minderjährigen in einer Pflegefamilie, in einer Kinderdorffamilie, in einer familienähnlichen Einrichtung, in einem Heim, in einer sonstigen Einrichtung oder durch nicht ortsfeste Formen der Pädagogik beziehen kann, wenn die Jugendwohlfahrt mit der Pflege und Erziehung zur Gänze betraut wurde (vgl. a.a.O. § 14 Abs. 2). Werden die elterlichen Pflichten vernachlässigt, dann besteht eine Gefährdung des Kindeswohls, die die Judikatur in drei Gruppen der Gefährdung unterscheidet, nämlich (1) die grobe Vernachlässigung der elterlichen Pflichten, (2) die Unfähigkeit Pflege und Erziehung wahrzunehmen, wobei es egal ist, ob die Unfähigkeit verschuldet oder nicht verschuldet ist und (3) den Missbrauch des Erziehungsrechtes (vgl. Posch zit. n. Leitner 2001, 12). In Paragraph 15 des Tiroler Jugendwohlfahrtsgesetzes ist die „Durchführung der Hilfen zur Erziehung“ geregelt. Die Hilfen zur Erziehung können laut Absatz 1 auf Grund einer schriftlichen Vereinbarung zwischen dem Land Tirol (Jugendwohlfahrtsbehörde) und den Erziehungsberechtigten oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung gewährt werden. Weiters wird im Absatz 2 vorgeschrieben, dass Minderjährige ab dem Alter von zehn Jahren jedenfalls und unter zehn Jahren nach Tunlichkeit zu hören sind. Wenn die Erziehungsberechtigten der Hilfe zur Erziehung nicht zustimmen, wird von der Jugendwohlfahrtsbehörde bei Gericht die Verfügung der Maßnahme, die zum Wohl des Minderjährigen erforderlich ist, beantragt (§ 3). Im vierten Paragraphen wird festgehalten, dass eine Maßnahme der Hilfe zur Erziehung dann zu ändern oder aufzuheben ist, wenn es das Wohl des Minderjährigen erfordert bzw. wenn die Maßnahme dem Wohl des Kindes nicht mehr förderlich ist (vgl. TJWG 2006, § 15 Abs. 1 – 4). In den weiteren Erläuterungen der Tiroler Landesregierung zu diesem Paragraph sowie im ABGB Paragraph 215 Absatz 1 wird angeführt, dass in jenen Fällen, in denen Gefahr in Verzug besteht, also die gerichtliche Verfügung nicht ohne Gefährdung des Wohles des Kindes abgewartet werden kann, die Jugendwohlfahrtsbehörde die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung vorläufig bis zur Wirkung der gerichtlichen Entscheidung selbst treffen kann. Die Jugendwohlfahrtsbehörde muss aber unverzüglich, spätestens innerhalb von acht Tagen, die erforderliche gerichtliche Verfügung beantragen, da ansonsten die Maßnahme rückgängig gemacht wird. Ex lege außer Kraft tritt die Seite 32 Fremdunterbringung Maßnahme auch dann, wenn das Gericht die vorgenommene Maßnahme nicht genehmigt (vgl. a.a.O. Erläuterungen zu § 15; ABGB 2000, § 215 Abs.1). Die Jugendwohlfahrtsbehörde ist laut Paragraph 215 des ABGB im Umfang der getroffenen Maßnahme vorläufig mit der Obsorge betraut (vgl. a.a.O.). Im ABGB wird hinsichtlich der Fremdunterbringung im Paragraph 176 „Entziehung oder Einschränkung der Obsorge“ Folgendes festgehalten: § 176. (1) „Gefährden die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes, so hat das Gericht, von wem immer es angerufen wird, die zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen. Besonders darf das Gericht die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise, auch gesetzlich vorgesehene Einwilligungs- und Zustimmungsrechte, entziehen. Im Einzelfall kann das Gericht auch eine gesetzlich erforderliche Einwilligung oder Zustimmung ersetzen, wenn keine gerechtfertigten Gründe für die Weigerung vorliegen.“ (ABGB, § 176 Abs. 1). In der UN-Kinderrechtskonvention (1989), die in 54 Artikeln Kindern umfassende Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte zuerkennt, sind mehrere Artikel für den Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen zu beachten. Zum einen wird im Artikel 3 die Orientierung am Wohl des Kindes vorgeschrieben. Darüber hinaus wird im Artikel 9 das Recht auf gemeinsames Leben mit den Eltern festgehalten, das eine Trennung nur aus bestimmten Gründen erlaubt. Im Artikel 12 wird die Berücksichtigung des Kindeswillens und im Artikel 20 werden Bestimmungen für die von der Familie getrennt lebenden Kinder genannt. Der Artikel 27 beschreibt das Recht des Kindes auf einen seiner geistigen, körperlichen, seelischen und sozialen Entwicklung angemessenen Lebensstandard (vgl. UN-Kinderrechtskonvention 1989). Seite 33 Fremdunterbringung 2 . 2. 2 A U S W I R K U N G E N E I N E R F R E M D U N T E R B R I N G U N G AU F K I N D E R U N D JUGENDLICHE „… eine Fremdunterbringung bedeutet ganz grundsätzlich immer ein Doppeltes: Trauma und Chance“ (Magistrat Graz 2000, 11.6). Im Qualitätskatalog der Grazer Jugendwohlfahrt (2000) wird beschrieben, dass Fremdunterbringung einerseits ein Trauma durch die negativen Sozialisationserfahrungen in der Familie und das Verlassen der Familie als selbstverständlichen Ort des Aufwachsens als auch andererseits eine Chance, hilfreiche Unterstützung und einen neuen Lebenszusammenhang zu finden, sein kann. Durch diese konträren widersprüchlichen Auswirkungen, die eine Fremdunterbringung haben kann, sehen sich auch SozialarbeiterInnen Fremdunterbringung als mit einer sehr schwierigen „Leistungsangebot“ ist Entscheidung daher keine konfrontiert. „entweder-oder“ Entscheidung, sondern erfordert immer „sowohl – als auch“ Überlegungen. Mit Fremdunterbringungen muss sehr vorsichtig umgegangen werden. Es müssen auch negative Auswirkungen in die Entscheidung miteinbezogen werden (vgl. ebd.). Längere Trennungserlebnisse sind laut John Bowlby, dem Begründer der Bindungstheorie, mit dem Erleiden körperlicher Verletzungen, Verbrennungen oder Entzündungen vergleichbar. Den phasentypischen Trauerprozess, der nach Trennungen einsetzt, vergleicht Bowlby mit dem Prozess der Wundheilung. Längere Trennungen von Bindungspersonen stellen für Kinder traumatische Erfahrung dar, die das Risiko zur Entwicklungsbeeinträchtigung in sich bergen (vgl. Bowlby zit. n. Suess 2007, 10). Der Prozess der Trennung erfolgt in drei Phasen, (1) der Phase des Protests, bei dem das Kind mit Gefühlen des Ärgers, Kummers und der Furcht umgehen muss, (2) der Phase der Verzweiflung, in der das Kind sich zurückzieht und trauert, und (3) der Phase der Ablösung, in der sich das Kind wieder seiner Umwelt zuwendet. In der dritten Phase wird in den meisten Fällen davon ausgegangen, dass das Kind alles gut überstanden habe, was jedoch eine zweifelhafte Schlussfolgerung ist (vgl. a.a.O. 9). Obwohl jede Trennung eine schwierige Situation für Kinder/Jugendliche darstellt, wirkt sie sich nicht per se negativ auf deren weitere Entwicklung aus. Die Auswirkungen hängen maßgeblich von der Form der Trennung und vom Alter des Kindes ab (vgl. a.a.O. 10). Häufige psychische Folgen von Trennungserlebnissen sind z. B. Angst, Bindungssuche mit Trennungsprotest, Weinen, Rufen, Suchen der Bindungsperson, Desorganisation, Seite 34 Fremdunterbringung Resignation, Anpassung, Verstummen, Trauer bis Depression und psychosomatische Symptome wie Einnässen, Schlafstörungen und Essstörungen (vgl. Brisch 2007, 46). Traumatische Bedingungen und die für eine längere Zeit andauernde körperliche Übererregung nach einem Trennungserlebnis können zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen. Kindspezifische Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung sind z. B. das wiederholende Durchspielen der traumatischen Situation, verschiedenste Verhaltensauffälligkeiten wie unter anderem aggressives oder depressives Verhalten oder Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen, rascher Wechsel von Affekten, Verstummen, Sprachlosigkeit, Lernstörungen, Entwicklungsrückschritte, Wachstumsstillstand und psychosomatische Störungen wie etwa Einnässen, Einkoten, Schlafstörungen etc. (vgl. a.a.O. 48). Außerdem können Trennungs- und Verlusttraumata in der frühen Kindheit zu Bindungsstörungen führen. Diese Bindungsstörungen stellen eine schwerwiegende Gefährdung des Kindeswohls dar, da sie mangelnde Beziehungsfähigkeit, weniger pro-soziales Verhalten im Konflikt, geringe Stresstoleranz bei Belastungen und ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung psychosomatischer Störungen und dissoziativer Erkrankungen nach sich ziehen (vgl. a.a.O. 49). Brisch (2006, 2007) unterscheidet sechs Formen von Bindungsstörungen, die auch häufig bei Heimkindern erkennbar sind: • Kein Bindungsverhalten (Typ I): Diese Kinder zeigen überhaupt kein Bindungsverhalten gegenüber ihrer Bezugsperson. • Undifferenziertes Bindungsverhalten (Typ II a): Diese Kinder verhalten sich freundlich gegenüber allen Bezugspersonen und machen keinen Unterschied darin, ob die Person ihnen fremd ist, oder ob sie diese schon länger kennen. • Unfallrisikoverhalten (Typ II b): Diese Kinder suchen in Gefahrensituationen nicht nach sichernden Bindungspersonen. • Übersteigertes Bindungsverhalten (Typ III): Diese Kinder klammern „exzessiv“ und sind nur in absoluter Nähe zu ihrer Bezugsperson emotional beruhigt. • Gehemmtes Bindungsverhalten (Typ IV): Diese Kindern setzen Trennungen nur geringen oder gar kein Widerstand entgegen. • Aggressives Bindungsverhalten (Typ V): Diese Kinder gestalten die Bindungsbeziehungen vorzugsweise durch körperliche und/oder verbale Aggres- Seite 35 Fremdunterbringung sionen. Sie bringen so ihren eindeutigen Wunsch nach Nähe gegenüber der Bindungsperson zum Ausdruck. • Bindungsverhalten mit Rollenumkehr (Typ VI): Diese Kinder werden überfürsorglich zu ihrer Bindungsperson und übernehmen für diese Verantwortung. Das Kind verzichtet bereitwillig auf eigene Bedürfnisse, sobald die Bindungsperson signalisiert, dass sie Unterstützung benötigt. • Psychosomatische Symptomatik (Typ VII): Bei diesen Kindern treten vermehrt psychosomatische Symptome wie z. B. Wachstumsretardierung auf. (vgl. a.a.O. 50 – 52; Brisch 2006, 83 – 91) Trotz dieser möglichen negativen Auswirkungen ist es bei akuter Gefährdung des Kindeswohls unabdingbar eine „Notfallmaßnahme“ einzuleiten und das Kind von den Bezugspersonen zu entfernen. In den meisten Fällen geschieht das so rasch, dass diese Maßnahme mit dem Kind oder den Eltern nicht vorbesprochen oder geplant werden kann. Bei der Entscheidung über eine Fremdunterbringung ist es unbedingt notwendig die möglichen negativen Auswirkungen mitzubedenken. Die Auswirkungen sollen durch einen geeigneten Unterbringungsplatz so gering wie möglich gehalten werden, indem die kindlichen Bindungsbedürfnisse beruhigt und dem Kind eine Chance für neue Erfahrungen der Bindungssicherheit gegeben wird (vgl. Brisch 2007, 55). 2 . 2. 3 Z U S AM M E N F AS S U N G In diesem Kapitel wurden verschiedene Aspekte in Bezug auf die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen zusammengefasst. Die Statistik über die Fremdunterbringungen von Kindern und Jugendlichen in Tirol zeigt, dass im Jahr 2006 437 Fremdunterbringungen notwendig waren. Rechtstexte des Jugendwohlfahrtsgesetzes, des Tiroler Jugendwohlfahrtsgesetzes und des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches sowie auch die in der UN-Kinderrechtskonvention festgehaltenen Kinderrechte geben die Rahmenbedingungen für den Prozess der Entscheidungsfindung vor. Ein Kind darf nur dann von seinen Bezugspersonen getrennt werden, wenn das Wohl des Minderjährigen dies unbedingt erfordert. Dabei ist stets das gelindeste noch zum Ziel führende Mittel zu wählen. Fremdunterbringung kann auf Grund der vielen möglichen negativen Nebenwirkungen nie eine Ideallösung sein. Jede Fremdunterbringung stellt für das Kind eine Krise dar, kann aber im besten Fall auch zu einer Chance für neue Erfahrungen der Bindungssicherheit werden und eine Möglichkeit, einen neuen Lebenszusammenhang zu finden, darstellen. Seite 36 Entscheidungsfindung über Fremdunterbringungen 2.3 ENTSCHEIDUNGSFINDUNG ÜBER EINE FREMDUNTERBRINGUNG Die Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung stellt einen sehr komplexen Prozess dar, in den Überlegungen über die Folgewirkungen für das Kind und die Familie, über die regionalen Möglichkeiten sowohl der ambulanten Betreuung als auch der Fremdunterbringungsplätze sowie die unterschiedlichen Perspektiven der beteiligten Akteure/Akteurinnen einfließen sollen. Im Zentrum der Entscheidungsfindung steht die Sicherung des Kindeswohls, die im Produktplan der Tiroler Jugendwohlfahrtsabteilung wie folgt definiert ist: „“Kindeswohl" hat die Absicherung der physisch-materiellen Grundbedürfnisse des Kindes zur Voraussetzung und beruht auf der Erfahrung förderlicher (Familien-) Beziehungen. Grundlage jeder förderlichen Beziehung ist Wertschätzung und speziell in Hinblick auf die Beziehung zwischen Erziehenden und Kindern - eine auf die Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes Bedacht nehmende Haltung der Erwachsenen.“ (Amt der Tiroler Landesregierung 2002, III/2). Wenn das Wohl des Kindes in der eigenen Familie nicht gewahrt ist, wird eine Fremdunterbringung zur Sicherung des Kindeswohls notwendig. Im Folgenden wird in Kapitel 2.3.1 beschrieben, wie der Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen in der Literatur dargestellt wird sowie in Kapitel 2.3.2, welcher Stellenwert der Ethik im Prozess der Entscheidungsfindung zukommt. 2.3. 1 P ROZE SS DER E NTSC HE IDU NGS FI NDU NG ÜBER E IN E F REMDUNTE RBRINGUNG Im Prozess der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung sehen sich die SozialarbeiterInnen mit dem Dilemma konfrontiert, einerseits das Kind/den Jugendlichen wenn nötig so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone zu bringen und andererseits so wenig wie möglich in das Familienleben einzugreifen und das gelindeste noch zum Ziel führende Mittel zu wählen (vgl. Magistrat Graz 2000, 7.3). Um die für die jeweilige Situation unter Berücksichtigung aller Informationen beste Entscheidung zu treffen, werden in der Literatur verschiedenste Aspekte, Qualitätsstandards und Leitlinien für den Prozess der Entscheidungsfindung beschrieben, die SozialarbeiterInnen dabei unterstützen sollen, gründlich überlegte und sichere Entscheidungen zu treffen. Seite 37 Entscheidungsfindung über Fremdunterbringungen Im Qualitätskatalog der Grazer Jugendwohlfahrt (2000), der vorgibt, an welchen Qualitätskriterien sich die SozialarbeiterInnen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit orientieren sollen, wird die gesamte Prozessgestaltung der Hilfe zur Erziehung außerhalb der Herkunftsfamilie wie folgt beschrieben: 1. Problemklärung/Anamnese 2. Indikationsabklärung (= Abklärung der unbedingten Notwendigkeit einer Fremdunterbringung) 3. Art der Fremdunterbringung (Heim, Pflegeeltern,…) 4. Risikoeinschätzung (Gewährleistung des Kindeswohls) 5. HelferInnenkonferenz/Teambesprechung 6. Suche und Auswahl der indizierten stationären Hilfe zur Erziehung 7. Hilfevereinbarung/Hilfeplan 8. Abschied und Aufnahme (Wechsel) 9. Nachsorge, Beratung und Begleitung der Herkunftsfamilie. (vgl. Magistrat Graz 2000, 11.8 – 11.15) Die Schritte 1 bis 5 sind für den Prozess der Entscheidungsfindung von besonderer Relevanz, wogegen die Schritte 6 bis 9 sich mehr auf den Prozess nach der Entscheidung für eine Fremdunterbringung beziehen. In der Abteilung der Tiroler Jugendwohlfahrt (2002) werden Qualitätsstandards für den Prozess der Entscheidungsfindung im Produktplan der Tiroler Jugendwohlfahrtsreferate beschrieben. Dieser beinhaltet neben Produkten zur „Rechtsvertretung für Kinder“ (Ausübung der Obsorge, Sicherstellung des Geldunterhaltes, Klärung der Abstammung,…) und Produkten der „mittelbar klientenbezogenen Arbeitsbereiche“ (Pflegeeltern zur Verfügung stellen, Adoption, Tagesmütter,...) auch Produkte zur „unmittelbar klientenbezogenen Sozialarbeit“, die Qualitätsstandards zur Sicherung des Kindeswohls beinhalten und somit von Bedeutung für den Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen sind. Die Produkte der „unmittelbar klientenbezogenen Sozialarbeit“ sind: 1. die Beratung, 2. die Hilfen zur Erziehung entweder durch die „Unterstützung der Erziehung“ (ambulante Betreuung) oder durch die „volle Erziehung“ (Fremdunterbringungen von Kindern und Jugendlichen), Seite 38 Entscheidungsfindung über Fremdunterbringungen 3. die Gefährdungsabklärung und die Überprüfung von Pflege und Erziehung in Ausübung der Obsorge zur Sicherung des Schutzes für das Kind/den Jugendlichen sowie 4. das Verfassen von Berichten und Stellungnahmen für Behörden. (vgl. Amt der Tiroler Landesregierung 2002, IV) Vor allem die Gefährdungsabklärung und die Überprüfung von Pflege und Erziehung in Ausübung der Obsorge sind für den Prozess der Entscheidungsfindung wesentliche Schritte, die die Entscheidung darüber, ob eine Fremdunterbringung notwendig oder eine ambulante Betreuung ausreichend ist, maßgeblich beeinflussen. Zu diesem Zweck wird im Produktplan der Tiroler Jugendwohlfahrt eine „Checkliste zur Überprüfung des Kindeswohls“ beschrieben, die ein Hilfsmittel für den Abklärungsprozess darstellt. Diese Checkliste dient dazu, die Lebenssituation eines Kindes und seiner Familie sowie die Dynamik und die prägenden Umstände auf psycho-sozialer und auf physisch materieller Ebene zu erfassen. Sie dient somit als „Handwerkzeug“ um beurteilen zu können, ob die Erziehungsberechtigten fähig sind für das Wohl des Kindes/Jugendlichen ausreichend zu sorgen und als Reflexionshilfe für die Beurteilung der Gesamtsituation einer Familie (vgl. a.a.O. III/2). Die „Checkliste zur Überprüfung des Kindeswohls“ beinhaltet 5 Qualitätsstandards, die unter Berücksichtigung verschiedener Indikatoren, Faktoren, die zur Sicherung des Kindeswohls vorhanden sein müssen, beschreiben. Diese sind: 1. die physisch - materiellen Grundbedürfnisse der Familie 2. die Beziehungsgestaltung in der Familie 3. die Entwicklung des Kindes 4. die Alltagskompetenzen der erziehenden Personen und 5. die elterliche Verantwortung. (vgl. ebd.) Das Amt der burgendländischen Landesregierung entwickelte als Hilfsmittel für den Abklärungsprozess „Leitlinien zum Kindeswohl“ mit dem Ziel „des Schutzes ohne Risiko für alle Kinder dieses Landes“ (Amt der burgenländischen Landesregierung 1998, 9). Diese Leitlinien legen das Augenmerk in der Gefährdungsabklärung auf vier Zugangswege. Diese Zugangswege sind: Seite 39 Entscheidungsfindung über Fremdunterbringungen 1. das Sozialverhalten, bei dem darauf geachtet wird, inwieweit Kinder/Jugendliche Verantwortung übernehmen, Grenzen setzen und die Bedürfnisse anderer wahrnehmen und auf diese Rücksicht nehmen können 2. der Verstand, bei dem der Schwerpunkt darauf liegt, inwieweit Kinder/Jugendliche gefördert und gefordert werden ihr geistiges Potential zu nutzen, wie sie ihren Willen äußern und wie weit das Gewissen entwickelt ist 3. das Gefühlsleben, in dem das Ausmaß, in dem Kinder Sicherheit bekommen und Geborgenheit und Zufriedenheit erfahren sowie die Fähigkeit, Gefühle aller Art wahrnehmen und erleben zu können, ausschlaggebend zur Beurteilung des Kindeswohls ist und 4. der Körper, bei dem vor allem dem Schutz der Intimsphäre, der Sicherstellung der Ernährung, des Wachstums und der medizinischen Versorgung als auch der faktischen ordentlichen Pflege große Bedeutung beigemessen wird. (vgl. a.a.O. 11 - 28) Die Leitlinien zum Kindeswohl dienen dazu den Prozess der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen zu erleichtern, in dem sie SozialarbeiterInnen dabei unterstützen wichtige Informationen für die Beurteilung der Gefährdung des Kindeswohls durch die vier Zugangswege zu erlangen. Zusätzlich wurden vom SOS-Kinderdorf, der International Foster Care Organisation und der Fédération Internationale de Communautés Educatives (2007) Qualitätsstandards entwickelt um die Situation und die Entwicklungschancen von fremd untergebrachten Kindern zu verbessern. Unter dem Namen „Quality4Children“ werden 18 Standards für die Betreuung von fremd unterbrachten Kindern und jungen Erwachsenen in Europa in drei Betreuungsphasen untergliedert, nämlich (1) den Entscheidungsfindungs- und Aufnahmeprozess, (2) den Betreuungsprozess und (3) den Verselbstständigungsprozess, in dem das Kind bzw. der/die junge Erwachsene im eigenen Selbstständigwerden unterstützt wird. Im Entscheidungsfindungs- und Aufnahmeprozess werden sechs Qualitätsstandards genannt, die den Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen von Seiten der Jugendwohlfahrt betreffen und die Qualität des Prozesses zu Gunsten bestmöglicher Entwicklungschancen des Kindes/Jugendlichen steigern sollen. Diese sechs Standards lauten: Seite 40 Entscheidungsfindung über Fremdunterbringungen 1. Das Kind und seine Herkunftsfamilie werden während des Entscheidungsfindungsprozesses unterstützt. 2. Das Kind wird befähigt, am Entscheidungsfindungsprozess aktiv teilzunehmen. 3. Ein professionell gestalteter Entscheidungsfindungsprozess stellt die bestmögliche Betreuung für das Kind sicher. 4. Geschwister werden gemeinsam betreut. 5. Der Wechsel in das neue Zuhause wird gut vorbereitet und sensibel durchgeführt. 6. Der Betreuungsprozess während der Fremdunterbringung folgt einem individuellen Betreuungsplan. (FICE, IFCO, SOS-Kinderdorf 2007, 13 – 15) All die genannten Standards, Leitlinien und Checklisten sollen Orientierungshilfen für die SozialarbeiterInnen in ihrer Entscheidungsfindung sein. Nichts desto trotz wäre es bei Entscheidungen wie der Fremdunterbringung eines Kindes, die maßgeblich in das Schicksal eines Menschen eingreifen, unverantwortlich diese Entscheidung alleine zu tragen. Jeder/jede SozialarbeiterIn ist der eigenen selektiven oft auch vorurteilsbehafteten Wahrnehmung ausgesetzt und würde somit bei einer alleinigen Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung ein sehr persönliches Urteil fällen. Aus diesem Grund wird der Teamarbeit, der kollegialen Kontrolle und Supervision im Prozess der Entscheidungsfindung hohe Bedeutung beigemessen (vgl. Leitner 2001, 39). Auch im Qualitätskatalog der Grazer Jugendwohlfahrt (2000) wird die Thematik der personenspezifischen Unterschiede in der Entscheidungsfindung unter anderem auf Grund der widersprüchlichen Grundeinstellung hinsichtlich der Fremdunterbringung angeschnitten. „Es gibt unterschiedliche, ja gegensätzliche Einstellungen. Während einerseits eine schnelle Hilfe zur Erziehung (Fremdunterbringung) von Kindern im Interesse der Förderung ihrer Entwicklung, zu ihrem Schutz, aber auch zu ihrer Disziplinierung und Bestrafung gefordert wird …, werden Hilfen zur Erziehung außerhalb der Herkunftsfamilie von den beteiligten Familienmitgliedern, nicht zuletzt aber von den Fachkräften andererseits auch kritisch gesehen und es wird sogar vor ihnen gewarnt“ (Magistrat Graz 2000, 11.4). Zu dieser unterschiedlichen personenspezifischen Grundeinstellung in Bezug auf die Fremdunterbringung ergibt sich eine zusätzliche Schwierigkeit dadurch, dass die Hilfen zur Erziehung außerhalb der Herkunftsfamilie in einem Kontext kontroverser Meinungen, Seite 41 Entscheidungsfindung über Fremdunterbringungen Urteile und Vorurteile bedacht, entschieden und umgesetzt werden müssen. SozialarbeiterInnen müssen daher zwischen den Meinungen verschiedenster Akteure/Akteurinnen abwägen und ihnen unterschiedlich viel Bedeutung beimessen (vgl. a.a.O. 11.5). Obwohl es grundsätzlich eine Hilfe im Prozess der Entscheidungsfindung darstellt, Entscheidungen nicht alleine zu treffen, erhöht sich die Komplexität des Entscheidungsfindungsprozesses in vielen Fällen gerade durch die enge Zusammenarbeit zwischen dem/der SozialarbeiterIn und dem/der LeiterIn. In vielen Fällen ist nicht geklärt, wer letztendlich die Verantwortung für die Entscheidung trägt. Durch einander widersprechende Grundeinstellungen kann es durch die geteilte Verantwortung im Prozess der Entscheidungsfindung auch zu Spannungen und Meinungsverschiedenheiten kommen (vgl. Beckett 2006, 92). Auch wenn die Beurteilung der jeweiligen Sachlage noch so professionell und gewissenhaft erfolgt, kann die Möglichkeit einer subjektiven Fehleinschätzung nie ganz ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund sind ethische Entscheidungen häufig mit Unsicherheiten verbunden und stellen für die SozialarbeiterInnen eine enorme psychische Belastung und Zumutung dar (vgl. Gruber 2005, 228). Von besonderer Bedeutung sind daher Hilfsmechanismen wie z. B. das gründliche Reflektieren der Interventionen sowie angewendeten Mittel und Methoden, die als Grundlage ethisch verantwortlichen Handelns dienen (vgl. a.a.O. 160). 2 . 3. 2 S T E L L E N W E R T D E R E T H I K I N D E R E N T S C H E I D U N G S F I N D U N G Ü B E R E I N E FREMDUNTERBRINGUNG Der Stellenwert der Ethik in der Entscheidungsfindung lässt sich bereits in der Auseinadersetzung mit dem Begriff des „Kindeswohls“ erkennen, der ein sehr interpretationsbedürftiger Begriff ist und für die Anwendung in der Praxis inhaltlich unter Berücksichtigung theoretischer Ansätze sowie kultureller, gesellschaftlicher und persönlicher Werthaltungen bestimmt und ausgedeutet werden muss. Die Schwierigkeit dabei liegt aber darin, dass das jeweilige Kind selbst die wohl „größte Variable“ bei der Definition des Kindeswohls darstellt und es demzufolge so etwas wie ein allgemeingültiges Kindeswohl nicht geben kann, da für jedes Kind individuell bestimmt werden muss, was sein Wohl ausmacht, es sichern oder gefährden könnte. Obwohl das Kindeswohl demnach nicht absolut definiert werden kann, ist es trotzdem aus praktischen, vor allem aber auch aus ethischen Gründen notwendig, Voraussetzungen für das Kindeswohl zu vereinbaren Seite 42 Entscheidungsfindung über Fremdunterbringungen und daraus Anforderungen an das Umfeld des Kindes abzuleiten. Durch die Verbindung zwischen dem einerseits definierten Rahmen und dem anderseits undefinierbaren Kern des Begriffs „Kindeswohl“ soll es möglich werden einerseits eine gemeinsame Vorstellung über das, was für das Wohl des Kindes „wichtig“ und „richtig“ ist, zu haben und dennoch die Individualität jedes einzelnen Kindes zu berücksichtigen (vgl. Amt der Tiroler Landesregierung 2002, III/2). Auch im Qualitätskatalog der Grazer Jugendwohlfahrt ist die Bedeutung der Ethik erkennbar, indem erwähnt wird, dass es beim Schutz für das Kind immer um zwei Aspekte geht, nämlich um den Schutz des Kindes und den Schutz seiner Eltern vor Scheitern, Schande, Unglück und Strafe. Dabei stehen SozialarbeiterInnen im Auftrag des Staates immer vor der doppelten Aufgabe und somit vor einem ethischen Dilemma, einerseits die Kompetenzen und die Kräfte der Eltern zu fördern und andererseits für den Fall, dass Eltern ihrer Pflicht, ihre Kinder gut zu versorgen, nicht nachkommen, das Kind vor Misshandlungen und Vernachlässigung sowie vor entwicklungsschädigenden Konsequenzen zu schützen (vgl. Magistrat Graz 2000, 8.2). Das doppelte Mandat sich gleichzeitig in den Rollen des Helfers/der Helferin und des Kontrolleurs/der Kontrolleurin zu befinden, führt zu einem widersprüchlichen fachlichen Profil das sowohl die BürgerInnen als auch die Jugendwohlfahrtsträger selbst verwirrt. Umso wichtiger ist es, sich im Prozess der Entscheidungsfindung mit den Rollenzuschreibungen und Rollenübernahmen unter ethischen Aspekten sowie mit kulturellen, religiösen und weltanschaulichen Wertvorstellungen auseinanderzusetzen. Diese ethische Auseinandersetzung soll SozialarbeiterInnen auch dabei unterstützen, die Balance zwischen den eigenen Machtansprüchen und den Machtvorurteilen und Rollenzuschreibungen in der Bevölkerung zu halten. Darüber hinaus ist Ethik ein wichtiges und geeignetes Instrument dafür, einen ganzheitlichen Blick unter Berücksichtigung verschiedenster Perspektiven auf den jeweiligen Fall zu werfen. Bei der Entscheidungsfindung ist eine offene Begegnung der verschiedenen Sichtweisen und Bewertungen, insbesondere von Eltern-Kind-Beziehungen und familialen Wertsystemen, von großer Wichtigkeit um sowohl eine einseitige Wahrnehmung und normative Dogmatisierung als auch ethische Beliebigkeit zu vermeiden (vgl. a.a.O. 8.4 – 8.6). Daher werden im Qualitätskatalog der Grazer Jugendwohlfahrt acht Qualitätsstandards angegeben, die sich zum Teil mit einigen Grundwerten, die in Kapitel 2.1.3 „Werte in der Sozialen Arbeit, insbesondere bei der Fremdunterbringung“ beschrieben wurden, decken. Seite 43 Entscheidungsfindung über Fremdunterbringungen Diese Qualitätsstandards beinhalten (1) die Kindzentrierung, (2) die Achtung und Wahrung der Familienintegrität, (3) die strukturelle Zurückhaltung bei staatlichen Eingriffen, (3) Kontinuitätswahrung, (5) Bedarfsgerechtigkeit und Fachlichkeit, (6) die bestmögliche Förderung, (7) die Partnerschaftlichkeit und Klientenfreundlichkeit und (8) die Qualitätssicherung, Prozessdokumentation und Ergebniskontrolle (vgl. a.a.O. 11.6 – 11.8). 2 . 3. 3 Z U S AM M E N F AS S U N G In diesem Kapitel wurde der Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen beschrieben, in dessen Fokus die Sicherung des Kindeswohls steht. In diesem Prozess sind die SozialarbeiterInnen mit vielen Schwierigkeiten rund um die Entscheidung konfrontiert, ob das Kind/der Jugendliche so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone zu bringen ist oder ob es die Situation noch zulässt das Kind in der Familie zu belassen. Welche dieser Alternativen das gelindeste noch zum Ziel führende Mittel darstellt, ist in den meisten Fällen schwer zu entscheiden. In einigen Bundesländern wurden daher Qualitätsstandards, Checklisten und Leitlinien entwickelt um ein einheitliches Vorgehen und ein einheitliches Miteinbeziehen verschiedener Aspekte in die Entscheidungsfindung zu sichern. Diese sollen als Hilfsmittel im Abklärungsprozess verwendet werden und dienen der Sicherung des Kindeswohls bzw. dem Schutz ohne Risiko für Kinder und Jugendliche. Durch die Anwendung dieser Leitfäden, Checklisten und Standards werden vielseitige wichtige Informationen strukturiert wahrgenommen und somit der Entscheidungsprozess erleichtert. Als zusätzliche Erleichterung für die Entscheidungsfindung dienen auch Teamarbeit, kollegiale Kontrolle und Supervision, da es bei Entscheidungen wie der Fremdunterbringung, die einen maßgeblichen Einfluss auf den weiteren Verlauf des Lebens von Kindern und Jugendlichen haben, unverantwortlich wäre, Entscheidungen alleine zu tragen. Ebenso ist die regelmäßige Reflexion ein wichtiges Werkzeug um personenspezifische Unterschiede auf Grund widersprüchlicher Grundeinstellungen auszugleichen sowie den Einfluss der Meinung verschiedenster Akteure/Akteurinnen bewusst wahrzunehmen und abzuwägen. Um die Qualität des Prozesses der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung zu wahren, wird mehr und mehr auf die Ethik als wichtiges Instrument im Entscheidungsfindungsprozess hingewiesen. Seite 44 Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung 2.4 MODELLE ZUR ETHISCHEN ENTSCHEIDUNGSFINDUNG Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung sollen SozialarbeiterInnen bei schwierigen ethischen Entscheidungen darin unterstützen, schrittweise ethische Aspekte durchzudenken und Lösungsmöglichkeiten auf ethischer Basis zu reflektieren. In jenen Situationen, in denen es aus ethischer Perspektive keine eindeutig richtige oder falsche Handlungsweise gibt, ist es notwendig systematisch und schrittweise einzelne ethische Überlegungen durchzugehen um mehr Klarheit und Sicherheit für den Prozess der Entscheidungsfindung zu erlangen und ethisch entscheiden zu können. Im Folgenden werden einige ausgewählte Modelle vorgestellt, die verschiedene Autoren für die ethische Entscheidungsfindung in der sozialen Arbeit entwickelt haben. 2 . 4. 1 L E I TF AD E N Z U R E T H I S C H E N E N T S C H E I D U N G S F I N D U N G (R E AM E R ) Frederic Reamer beschreibt in seinem Buch „Social Work Values and Ethics“ einen Leitfaden zur ethischen Entscheidungsfindung, welchen er „The Ethics Decision-making Framework“ nennt. Reamer erachtet ein systematisches Vorgehen in der ethischen Entscheidungsfindung als wichtig um sicherzustellen, dass alle Aspekte des ethischen Dilemmas behandelt und durchdacht worden sind. Zu diesem Zweck entwickelte er ein Modell, das aus sieben klar formulierten Schritten besteht und dazu dient, die Qualität der ethischen Entscheidungen der SozialarbeiterInnen zu erhöhen (vgl. Reamer 2006, 73). Dieses Modell gibt folgende Schritte für den Prozess der Entscheidungsfindung vor: 1) Identifizierung der ethischen Themenbereiche des Falles einschließlich konkurrieren- der Werte und Pflichten der Sozialen Arbeit 2) Identifizierung der Personen, Gruppen, Organisationen, die von der ethischen Ent- scheidung betroffen sein könnten 3) vorläufige Identifizierung aller durchführbaren Handlungsmöglichkeiten und möglichen beteiligten Akteure/Akteurinnen sowie Vor- und Nachteile (unter Berücksichtigung der Effizienz und Effektivität) 4) genaues Durchüberlegen von Argumenten um geeignete Handlungsmöglichkeiten herauszufinden an Hand von: a) ethischen Richtlinien und gesetzlichen Prinzipien b) ethischen Theorien, Prinzipien und Leitlinien c) Theorien und Prinzipien der Sozialen Arbeit Seite 45 Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung d) persönlichen Werten (z. B. Religion, Kultur, ethische Werte und politische Ideologie) 5) Beratung mit KollegInnen und ExpertInnen (Fallbesprechung im Team, Leiter, Supervision) 6) Treffen der Entscheidung und Dokumentation des Entscheidungsfindungsprozesses 7) Beobachtung, Evaluierung und Dokumentation der Entscheidung und des weiteren Verlaufs (vgl. Reamer 2006, 73) 2.4.2 V IERSTUFIGES M ODELL DES ETHISCHEN E NTSCHEIDUNGSPROZESSES (G RUBER ) Hans-Günter Gruber definiert in seinem Buch „Ethisch denken und handeln“ die Findung eines begründeten Handlungsentscheids als Ziel des ethischen Entscheidungsprozesses. Er entwickelte dazu folgende Schritte des ethischen Entscheidungsprozesses: Abbildung 1: Vierstufiges Modell des ethischen Entscheidungsprozesses 1. Gesinnung 2. Eingesetzte Mittel • Ist der Wille zur Übelminimierung als Rückvergewisserung der guten Gesinnung erkennbar? • Sind die Mittel geeignet zur Zielerreichung? • Stehen die Mittel in einem angemessenen Verhältnis zum Ziel? 4. Folgen 3. Ziel • Übelabwägung und Übelminimierung • Vorzugsregeln zur Bestimmung des geringstmöglichen Übels • Abwägung der Güter und Werte nach den Kriterien - Ranghöhe und Dringlichkeit - Gemeinwohl und Eigenwohl • Gesetz der Gradualität (Quelle: Gruber 2005, 215) Als ersten Schritt beschreibt Gruber die genaue Bestimmung des Konflikts sowie das Herausfinden der eigenen Gesinnung und Zielsetzung. Dabei soll herausgefunden werden, welche Motive, Absichten, Interessen und Grundhaltung hinter der Entscheidung stehen. In einem zweiten Schritt werden die Vor- und Nachteile möglicher Handlungsalternativen in Form von Methoden und Interventionen durchüberlegt. Hierbei geht es vor allem um die Eignung der Mittel bzw. Methode für die Zielerreichung sowie auch darum, ob die Mittel in Seite 46 Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung einem angemessenen Verhältnis zum Ziel stehen. Im Mittelpunkt steht die Frage der professionellen Beurteilung der konkreten Situation und vorhersehbaren Folgen. Im dritten Schritt wird die Entscheidung getroffen und ethisch nachvollziehbar und transparent begründet. Die Entscheidung soll auf die Fähigkeiten, Interessen und Bedürfnisse der KlientInnen abgestimmt sein, ohne sie dabei zu überfordern. Darüber hinaus soll sicher gestellt sein, dass das gewünschte Ziel durch die angewendete Methode erreicht werden kann und die Entscheidung auf die Dringlichkeit der Intervention und das Gleichgewicht des Wohls der KlientInnen und anderer Akteure/Akteurinnen überprüft wurde. Der vierte Schritt ist besonders wichtig für die „Rückvergewisserung der guten Gesinnung“ und Zielausrichtung. Vor allem dann, wenn unangenehme Folgen bewusst in Kauf genommen werden, ist es wichtig sich genau zu überlegen, welche kurzfristig und langfristig vorhersehbaren Folgen durch die Entscheidung entstehen können. Alle Folgen sollen auf die Entstehung von Unannehmlichkeiten und die Minimierung dieser überprüft werden (Gruber 2005, 215 f.). 2 . 4. 3 E T H I C AL A S S E S S M E N T S C R E E N (D O L G O F F , L O E W E N B E R G ) Dolgoff und Loewenberg gehen davon aus, dass SozialarbeiterInnen, in deren Entscheidungen ethische Aspekte einfließen, vorhandene Optionen anders betrachten und einschätzen als jene SozialarbeiterInnen, die ethischen Aspekten weniger Bedeutung beimessen. Dolgoff und Loewenberg stellen in ihrem Buch „Ethical Decision for Social Work Practice“ ein Modell vor, das sie „Ethical Assessment Screen“ nennen. Das folgende Modell soll SozialarbeiterInnen befähigen ethische Aspekte zu erkennen, abzuklären und in die Entscheidungsfindung zu integrieren (vgl. Dolgoff, Loewenberg 2005, 58). 1) Identifizierung eigener bedeutender Werte in Bezug auf einen konkreten ethischen Konflikt 2) Identifizierung anderer sozialer Werte, die für die konkrete ethische Entscheidung relevant sind 3) Identifizierung maßgebender professioneller Werte und Ethik 4) Minimierung möglicher ethischer Konflikte der drei genannten Wertegruppen (Punkt 1 bis 3) 5) Identifizierung alternativer ethischer Möglichkeiten in einer konkreten Konfliktsituation Seite 47 Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung 6) Identifizierung alternativer ethischer Möglichkeiten, die am ehesten die KlientInnen und die Rechte und das Wohlergehen anderer schützen könnten 7) Identifizierung alternativer Handlungen, die am ehesten gesellschaftlichen Interessen und Rechten entsprechen 8) Minimierung möglicher Konflikte zwischen den Rechten von KlientInnen, anderer und der Gesellschaft 9) Identifizierung alternativer Handlungen, die das „geringste mögliche Übel“ mit sich bringen 10) Identifizierung der Effektivität und Effizienz und Ethik der alternativen Handlungen 11) Identifizierung und Abwägung von kurz- und langfristigen ethischen Folgen (vgl. Dolgoff, Loewenberg 2005, 60) 2 . 4. 4 E T H I C AL P R I N C I P L E S C R E E N (D O L G O F F , L OE W E N B E R G ) Ein weiteres Modell, das Dolgoff und Loewenberg in ihrem Buch „Ethical Decision for Social Work Practice“ beschreiben, stellt ethische Prinzipien in einer Rangordnung in Form einer Pyramide dar. Dieses Modell, das Dolgoff und Loewenberg „Ethical Principle Screen“ nennen, wird vor allem dann angewendet, wenn zwei oder mehrere ethische Argumente einander widersprechen. In solchen Fällen kann eine klare Rangordnung ethischer Prinzipien die Entscheidungsfindung erleichtern (vgl. Dolgoff, Loewenberg 2005, 63). Obwohl es sehr schwierig ist, eine solche allgemeingültige Rangordnung zu erstellen, erachten Dolgoff und Loewenberg dies als Notwendigkeit für die Soziale Arbeit. „Even though some social workers disagree, we believe that the preferred way of resolving such conflicts among ethical principles is a lexical ordering of these principles – that is, rankordering them from the most important to the least important.“ (a.a.O. 64). Abbildung 2: „Ethical Principle Screen“ Sicherung/Schutz des Lebens Gleichberechtigung für alle und Recht auf Individualität Selbstbestimmung und Freiheit geringster Schaden Qualität für das Leben Privatsphäre und Verschwiegenheitspflicht Aufrichtigkeit und Transparenz (Quelle: vgl. Dolgoff, Loewenberg 2005, 65) Seite 48 Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung Dolgoff und Loewenberg weisen aber darauf hin, dass eine Rangordnung ethischer Prinzipien nur als Richtschnur verstanden werden kann und keine Zauberformel darstellen, die blind auf alle Fälle angewendet werden kann (vgl. a.a.O. 64). Der „Ethical Principle Screen“ wird nur in jenen Fällen angewendet, in denen keine Regel des Code of Ethics angewendet werden kann. Wenn es z. B. im Code of Ethics keine Anweisungen zum spezifischen Problem gibt oder sich Anweisungen des Codes widersprechen, da deren Befolgung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würde, ist es sinnvoll den „Ethical Principle Screen“ anzuwenden. Dieser gibt vor, dass ein höher geordnetes Prinzip Vorrang gegenüber einem niedriger eingestuften Prinzip hat (vgl. a.a.O. 64, 65). 2 . 4. 5 G E R W I R T H ’ S H I E R AR C H Y Gerwirth vertritt die Auffassung, dass in Konfliktfällen eine Wertehierarchie notwendig ist. Aus diesem Grund führt er eine Reihe von Richtlinien an, die schwierige Entscheidungen erleichtern. In jenen Fällen, in denen das Wohl einer Person gefährdet ist, können Maßnahmen zur Verhinderung des Übergriffes, auch wenn diese mit Zwang durchgesetzt werden müssen, gerechtfertigt sein. In solchen Situationen, in denen das generelle Prinzip „niemanden zu etwas zu zwingen“ aufgehoben wird, muss aber immer darauf geachtet werden, ob die Maßnahme zur Verhinderung der Fremdgefährdung notwendig ist und im richtigen Ausmaß eingesetzt wird (vgl. Reamer 1993, 61; Reamer 2006, 70, 71). Resultierend aus diesen Argumenten entwickelte Gerwirth folgende Leitlinien für jene Fälle, in denen Werte und Pflichten in Konflikt miteinander geraten: 1. Regeln gegen die grundlegende Verletzung der notwendigen Handlungsvoraussetzungen (wie Leben, Gesundheit, Nahrung, Obdach, mentale Ausgeglichenheit) haben Vorrang gegenüber Regeln gegen Verstöße wie etwa Lügen oder die Weitergabe von vertraulichen Informationen oder die Gefährdung von zusätzlichen Gütern wie Erholung, Bildung und Besitz. 2. Das Recht eines Individuums auf grundlegendes Wohlergehen (als notwendige Handlungsvoraussetzung) hat Vorrang gegenüber dem Recht eines anderen Individuums auf Freiheit. 3. Das Recht eines Individuums auf Freiheit hat Vorrang gegenüber seinem Recht auf grundlegendes Wohlergehen. Seite 49 Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung 4. Die Verpflichtung, Gesetze, Regeln und Vorschriften einzuhalten, welchen man freiwillig zugestimmt hat, setzt gewöhnlich das Recht zur bewusst entschiedenen Durchführung von Handlungen, welche diesen Gesetzen, Regeln und Vorschriften widersprechen, außer Kraft. 5. Das Recht von Individuen auf Wohlergehen kann in Konfliktfällen Gesetze, Regeln, Vorschriften und Abmachungen freiwillig beigetretener Interessensverbände außer Kraft setzen. 6. Die Verpflichtung, grundlegenden Schaden wie Hunger zu verhindern und öffentliche Güter wie Unterkunft, Bildung und staatliche Unterstützung zu fördern, setzt das Recht auf eigenen Besitz außer Kraft. (vgl. Reamer 1993, 62 - 65) 2 . 4. 6 Z U S AM M E N F AS S U N G In diesem Kapitel wurden 5 Modelle beschrieben, die SozialarbeiterInnen im Prozess der Entscheidungsfindung bei schwierigen Fällen einen Leitfaden ethischer Überlegungen und Aspekte anbieten. Diese Modelle sollen helfen ethische Aspekte durchzudenken und Lösungsmöglichkeiten auf ethischer Basis zu reflektieren. Da in manchen Fällen ethische Prinzipien einander widersprechen und miteinander unvereinbar sind, kann nicht in allen Fällen eine eindeutig richtige Handlungsweise aus ethischer Perspektive empfohlen werden. Die beschriebenen Modelle bieten für solche Situationen eine Leitlinie um systematisch und schrittweise einzelne ethische Überlegungen durchzugehen und daraus mehr Klarheit und Sicherheit für die ethische Entscheidungsfindung zu erlangen. All diese Modelle dienen als Leitfaden um ethisch gründlich durchdachte Entscheidungen treffen zu können und somit die Qualität des Entscheidungsprozesses sicherzustellen. Seite 50 Angabe der Hypothesen 3 UN TE R S U C HU NG DE R E TH IS C HE N EINF LU SS GR Öß EN IM PR O ZE SS D E R EN TS C HE IDU NG SF IND UN G Ü BE R E INE FR EM D UN TE RB R IN G UN G IN D E N TIR O LE R JUG EN DW O HL F AH R TS R EF ER ATE N 3.1 ANGABE DER HYPOTHESEN In der Auseinandersetzung mit Ethik als Bezugswissenschaft der Sozialen Arbeit, dem Prozess der Entscheidungsfindung bei der Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen und den Modellvorschlägen zur ethischen Entscheidungsfindung stellte ich Vergleiche zu meinen bisherigen Erfahrungen aus meinen Praktika in Imst und Malta her und leitete daraus Hypothesen ab, die im Rahmen meiner Diplomarbeit bewiesen oder widerlegt werden sollen. Meine Hypothesen, die darüber hinaus durch Gespräche mit ExpertInnen beeinflusst wurden, möchte ich im folgenden Abschnitt darlegen. • Im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen fließen in den neun Referaten der Tiroler Jugendwohlfahrt nur in einem geringen Ausmaß ethische Modelle und Richtlinien ein. • Ethische Richtlinien und Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung, die im Prozess der Entscheidungsfindung als ethische Orientierungshilfe dienen sollen, sind den in der Tiroler Jugendwohlfahrt tätigen SozialarbeiterInnen großteils nicht bekannt. • Im Prozess der Entscheidungsfindung wenden nicht alle SozialarbeiterInnen der Tiroler Jugendwohlfahrt die gleichen ethischen Theorien und Ausrichtungen an. • In der Bedeutung ethischer Aspekte im Prozess der Entscheidungsfindung für oder gegen eine Fremdunterbringung gibt es personenspezifische Unterschiede, die auf Merkmale wie Alter, Geschlecht, eigene Erfahrungen, Dienstjahre, eigener Familienstand (Kinder, …) etc. zurückzuführen sind. • Die SozialarbeiterInnen der Tiroler Jugendwohlfahrt sehen erhöhten Bedarf an ethischen Orientierungshilfen für den Prozess der Entscheidungsfindung. Seite 51 Beschreibung der gewählten Methode 3.2 BESCHREIBUNG DER GEWÄHLTEN METHODE Um die genannten Hypothesen in der Praxis zu überprüfen, wurden Fragebögen an die 72 in der Jugendwohlfahrt tätigen SozialarbeiterInnen und 9 LeiterInnen ausgesendet. VORGEHENSW EISE Die Fragebögen, die für SozialarbeiterInnen und LeiterInnen unterschiedliche Schwerpunkte aufwiesen, wurden entsprechend dem Inhalt des theoretischen Teils der Diplomarbeit entwickelt. Bevor die Fragebögen ausgesendet wurden, fand eine Praetest-Phase statt, in der fünf ausgewählte StudentInnen des Fachhochschulstudiengangs Soziale Arbeit (7. Semester), sowie drei ExpertInnen aus dem Bereich Jugendwohlfahrt und acht Personen aus dem nicht sozialarbeiterischen Kontext den Fragebogen auf Verständlichkeit, Vollständigkeit und Ausdruck überprüften. Zusätzlich wurde die Abteilung Jugendwohlfahrt über die Diplomarbeit und die Aussendung der Fragebögen informiert. Die Abteilung Jugendwohlfahrt unterstützte die Befragung, indem sie an die neun Referate der Jugendwohlfahrt ein Ersuchen um Beteiligung an der Befragung aussendete. Zusätzlich erging von Seiten meiner Diplomarbeitsbetreuerin am Management Center Innsbruck, Studiengang Soziale Arbeit, ein Schreiben an die neun Referate mit der Bitte um Unterstützung der Diplomarbeiten der StudentInnen. Die Fragebögen wurden Mitte Oktober an die neun LeiterInnen sowie an die 72 in der Jugendwohlfahrt tätigen SozialarbeiterInnen ausgesendet. 52 Fragebögen wurden ausgefüllt zurückgesendet, was einer Rücklaufquote von 64 Prozent entspricht. Zusätzlich wurden die Modelle der ethischen Entscheidungsfindung im Rahmen der Vorlesung „Ethik der Sozialarbeit“ 28 StudentInnen des Fachhochschulstudiengangs Soziale Arbeit des 7. Semesters vorgestellt und deren Einschätzung bezüglich der Anwendbarkeit der vier Modelle als Orientierungshilfe in der Praxis mittels eines Bewertungsrasters erfragt. Die Fragebögen der SozialarbeiterInnen und LeiterInnen sowie der Bewertungsraster der StudentInnen wurden mit dem Programm Excel ausgewertet, indem Häufigkeiten und Mittelwerte errechnet wurden. Die Ergebnisse der LeiterInnen konnten auf diesem Weg mit den Ergebnissen der SozialarbeiterInnen und StudentInnen bei überschneidenden Fragen verglichen werden. Seite 52 Beschreibung der gewählten Methode BESCHREI BUNG DER UNTERSUCHUNGSGRUPPE Das Profil der Untersuchungsgruppe, das sich aus den 52 erhaltenen Fragebögen, davon 43 Fragebögen der SozialarbeiterInnen und 9 der LeiterInnen, ableiten lässt, ergibt folgendes Bild: LEITERINNEN: Abbildung 3: Dienstjahre Tabelle 2: Beruf Beruf 1 1 N=9 7 1-3 J 5-10 J Anzahl SozialarbeiterIn 2 DSA + Ehe- und FamilienberaterIn 1 DSA+ JuristIn 2 DSA+ PsychotherapeutIn 1 DSA + SupervisorIn 1 Jugend- und ErziehungsberaterIn 1 SozialmanagerIn 1 >10 J Alle neun LeiterInnen füllten den Fragebogen aus. 7 LeiterInnen sind bereits länger als 10 Jahre in der Jugendwohlfahrt tätig. Ein/eine LeiterIn arbeitet bereits zwischen 5 und 10 Jahren in der Jugendwohlfahrt und einer/eine weniger als 3 Jahre (siehe Abb. 3). 7 LeiterInnen sind ausgebildete SozialarbeiterInnen. Von diesen 7 haben 5 eine zusätzliche Ausbildung, zwei als JuristIn, drei weitere jeweils als Ehe- und FamilienberaterIn, PsychotherapeutIn oder SupervisorIn. Zwei LeiterInnen sind von ihrer Ausbildung her keine SozialarbeiterInnen, sondern Jugend- und ErziehungsberaterIn oder SozialmanagerIn. Seite 53 Beschreibung der gewählten Methode SOZIALARBEITERINNEN: Abbildung 4: Beteiligung der Referate Abbildung 5: Geschlecht 4 5 8 4 6 2 N=43 N=43 5 4 4 4 35 5 weiblich IBK Land Kitzbühel Lienz IBK Stadt Kufstein Reutte Abbildung 6: Alter 5 männlich keine Angabe Imst Landeck Schwaz Abbildung 7: Dienstjahre 1 4 10 5 N=43 N=43 22 4 6 17 8 4 25 - 30 31 - 35 36 - 40 41 - 50 Abbildung 8: Familienstand > 50 ? <1J 1-3J N=43 26 keine Kinder 5 - 10 J > 10 J Abbildung 9: Beruf 35 SozialarbeiterInnen 17 3-5J DSA / HTL-Technik 1 DSA / Mag.BWL 1 Lebens- und Sozialberaterin 2 PädagogIn 2 keine Angabe 2 Kinder Seite 54 Beschreibung der gewählten Methode An der Untersuchung nahmen 43 SozialarbeiterInnen teil. Davon sind 8 in der Jugendwohlfahrt Schwaz tätig, 6 in Innsbruck Stadt, 5 jeweils in Innsbruck Land, Kitzbühel und Lienz, 4 jeweils in Imst, Kufstein und Landeck und 2 in Reutte. 35 SozialarbeiterInnen und 4 Sozialarbeiter füllten den Fragebogen aus. 4 Personen machten keine Angabe zum Geschlecht. Der Großteil, nämlich 17 SozialarbeiterInnen sind zwischen 41 und 50 Jahren. 10 Sozialarbeiterinnen sind zwischen 25 und 30 Jahren, 6 zwischen 31 und 35 Jahren, 4 zwischen 36 und 40 Jahren und 5 über 50 Jahre alt. Ziemlich genau die Hälfte der befragten SozialarbeiterInnen ist bereits über 10 Jahren in der Jugendwohlfahrt tätig. 8 SozialarbeiterInnen arbeiten bereits zwischen 5 und 10 Jahren in der Jugendwohlfahrt. Knapp über einem Viertel arbeiten weniger als fünf Jahre in der Jugendwohlfahrt. 60 Prozent, das sind 26 SozialarbeiterInnen, haben selbst Kinder. 17 haben keine Kinder. 37 von 43 Befragten sind ausgebildete SozialarbeiterInnen. Weiters füllten zwei PädagogInnen und zwei Lebens- und SozialberaterInnen den Fragebogen aus. Zwei Personen machten keine Angabe zu ihrer Ausbildung. Der Einfachheit wegen werden im Folgenden alle hier genannten Berufsgruppen in die Berufsbezeichnung „SozialarbeiterInnen“ eingeschlossen. AUFBAU DER FRAGEBÖGEN Die Fragebögen für die SozialarbeiterInnen und LeiterInnen wurden anhand der ethischen Aspekte in der Sozialen Arbeit, die im theoretischen Teil beschrieben wurden, entwickelt und sollen Antwort darauf geben, welche ethischen Perspektiven in die derzeitige Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung einfließen. Beide Fragebögen sind im Anhang ersichtlich (siehe Anhang S. 113, 120). Der Inhalt der Fragebögen kann in folgende Fragenkomplexe zusammengefasst werden: • Wie gestaltet sich momentan der Entscheidungsfindungsprozess bei der Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen? • Wie viel Einfluss haben die SozialarbeiterInnen im Prozess der Entscheidungsfindung? • Welchen Konfliktbereichen bzw. Dilemmata sind die SozialarbeiterInnen und LeiterInnen in ihrer Entscheidungsfindung ausgesetzt? • Welche ethischen Überlegungen fließen in die Entscheidungsfindung ein? Seite 55 Beschreibung der gewählten Methode • Welche Orientierungshilfen nutzen die SozialarbeiterInnen und LeiterInnen um sich derzeit in ihren Entscheidungen sicher zu fühlen? • Welche generelle Einstellung zur Fremdunterbringung haben die SozialarbeiterInnen? • Nach welchen ethischen Ansätzen, Theorien und Werten gehen die SozialarbeiterInnen in ihren Entscheidungen über Fremdunterbringungen vor? • Sind den SozialarbeiterInnen Codes of Ethics und/oder Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung bekannt? Wenn ja, erachten sie diese als hilfreich? • Spielen ethische Richtlinien derzeit bei der Entscheidungsfindung eine Rolle? • Wie wichtig erachten die LeiterInnen Richtlinien und Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung bei der Fremdunterbringung? • Welche Aspekte der Modelle fließen bereits in die Arbeit ein und für wie wichtig erachten die LeiterInnen diese? Manche Fragen wurden sowohl an die SozialarbeiterInnen als auch an die LeiterInnen gestellt und dienten dazu, die Sichtweisen miteinander vergleichen zu können. Andere wurden nur an eine der beiden Gruppen gerichtet, da sie entweder nur den Berufsalltag der SozialarbeiterInnen oder der LeiterInnen betreffen. Zur Beantwortung der Fragen wurde großteils eine 11-stufigen Skala verwendet, die eine Prozentangabe von 0 (gar nicht) bis 100 (sehr viel) Prozent in Zehnerschritten ermöglicht. Die detaillierten Ergebnisse der Fragebögen der SozialarbeiterInnen, LeiterInnen und StudentInnen werden im nächsten Kapitel beschrieben. Seite 56 Untersuchungsergebnisse 3.3 UNTERSUCHUNGSERGEBNISSE Im diesem Kapitel werden die Antworten der SozialarbeiterInnen und LeiterInnen im Hinblick auf ethische Aspekte, Werte, Dilemmata, ethische Theorien und Richtlinien im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen genauer beschrieben sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede dargestellt. Ebenso folgt die Beschreibung ausgewählter Aspekte des Entscheidungsfindungsprozesses der neun Jugendwohlfahrtsreferate. Zusätzlich wird in Kapitel 3.3.7 auf die ethischen Modelle hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit und Brauchbarkeit in der Praxis eingegangen und die Ergebnisse der Leiter mit der Einschätzung der StudentInnen verglichen. 3 . 3. 1 E T H I S C H E A S P E K T E B E I D E R E N T S C H E I D U N G S F I N D U N G Ü B E R E I N E FREMDUNTERBRINGUNG In diesem Abschnitt wird der Frage nachgegangen, inwieweit spezifische ethische Aspekte bei der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kinder und Jugendlichen in den neun Referaten der Jugendwohlfahrt in Tirol einfließen. Der theoretische Hintergrund zu diesen Fragen kann im Kapitel 2.1.2 „Ethik als Bezugswissenschaft der Sozialen Arbeit“ nachgelesen werden. Abbildung 10: (Ethische) Aspekte in der Entscheidungsfindung 95 Gefahr für das Kind in der momentanen Situation Bisherige Erfahrung mit der Familie 81 80 Erwartete positive Handlungsfolgen Schwerwiegende Gründe als Rechtfertigung neg. Folgen 70 Erwartete negative Handlungsfolgen 70 Umfang und Dauer der Nebenwirkungen 67 Handlungsziele 67 Interventionsmittel 67 Limitierung der Nebenwirkungen 66 Verhältnis unangenehmer Nebenwirkungen und Fogen 65 Ethische Werthaltung 51 Eigene Grundeinstellung 48 Ethische Bewertung der Intervention 47 Anzahl der Nebenwirkung 47 Seite 57 Untersuchungsergebnisse Im Gesamten wurden die „Gefahr für das Kind in der momentanen Situation“, „bisherige Erfahrungen“ sowie die „erwarteten positiven Handlungsfolgen“ am höchsten bewertet. Die SozialarbeiterInnen gaben an, dass die „Gefahr für das Kind in der momentanen Situation“ mit einer durchschnittlichen Einflusshöhe von 95 Prozent höchste Priorität hat. Mit einem durchschnittlichen Einfluss von ca. 80 Prozent werden die „bisherigen Erfahrungen mit der Familie“ und die „erwarteten positiven Handlungsfolgen“ an zweiter und dritter Stelle erwähnt. Weiters zeigt die Abbildung, dass die „ethische Werthaltung“, die „eigene Grundeinstellung“, die „ethische Bewertung der Intervention“ und die „Anzahl der Nebenwirkungen“ den geringsten Einfluss im Prozess der Entscheidungsfindung haben. Dies verdeutlicht, dass ethischen Aspekten eher wenig Bedeutung im Prozess der Entscheidungsfindung zukommt. Im Hinblick auf das Geschlecht oder eigene Kinder sind keine Unterschiede in der Bewertung erkennbar. Bezüglich des Alters und der Dienstjahre wird allerdings eine differente Anordnung der Werte deutlich. In allen Referaten der Tiroler Jugendwohlfahrt wird die „Gefahr für das Kind in der momentanen Situation“ an erster Stelle erwähnt. Rang zwei und drei werden von 7 Referaten dem Durchschnitt gemäß angegeben. 2 Referate weichen vom Durchschnitt ab. Die weiteren (ethischen) Aspekte differieren in ihrer Reihung sehr stark. Seite 58 Untersuchungsergebnisse Abbildung 11: Wichtige Eigenschaften in der Entscheidungsfindung Objektivität und Fachlichkeit 90 Gewissenhaftigkeit 85 Selbstreflexion 85 Urteilsvermögen 84 Teamfähigkeit 83 Zuverlässigkeit, Integrität 83 80 Schadensvermeidung Vertrauenswürdigkeit 77 Eigenständigkeit 68 Gerechtigkeit 59 54 Mitgefühl Wohltätigkeit 33 Im Durchschnitt bewerteten die SozialarbeiterInnen die Grundtugend der „Objektivität und Fachlichkeit“ mit 90 Prozent als am hilfreichsten, gefolgt von den beiden Tugenden „Gewissenhaftigkeit“ und „Selbstreflexion“, die mit durchschnittlich 85 Prozent bewertet wurden. Die „Objektivität und Fachlichkeit“ könnte in ihrer Bewertung als wichtigste Eigenschaft für den Prozess der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung darauf zurückzuführen sein, dass diese auch bei Fremdunterbringung mittels gerichtlicher Verfügung durch regelmäßige Dokumentation nachweisbar sein muss. Die genaue Dokumentation, die den Kriterien der „Objektivität und Fachlichkeit“ gerecht werden soll, wird auch als Qualitätsstandard im Produktplan angegeben. „Selbstreflexion“ und „Gewissenhaftigkeit“ können als wichtige Eigenschaft zur „Objektivität und Fachlichkeit“ beitragen. Es gibt keinen Unterschied bezüglich des Geschlechts bzw. der Dienstjahre der SozialarbeiterInnen in der Bewertung der Bedeutung dieser Eigenschaften. An deutlich letzter Stelle stehen mit 54 Prozent das „Mitgefühl“, gefolgt von der „Wohltätigkeit“ mit nur 33 Prozent. Diese beiden Werte werden zwar sehr häufig mit sozialem Engagement und sozialen Berufen in Verbindung gebracht, sind aber nach Angaben der SozialarbeiterInnen und Seite 59 Untersuchungsergebnisse auch meiner Meinung nach für die Soziale Arbeit nicht die wichtigsten Eigenschaften um die Professionalität und Qualität zu sichern. Von SozialarbeiterInnen wurde im Fragebogen zusätzlich vermerkt, dass es nicht um „Mitleid“ in Form von „mitleiden“ geht, sondern um das „mitfühlen“, also das professionelle sich einfühlen können. Auch die „Gerechtigkeit“ wird mit 54 Prozent als eher unwichtig erachtet. Dies könnte darauf zurück zu führen sein, dass Gerechtigkeit oft sehr schwer zu bemessen ist. Limitierte Ressourcen und Möglichkeiten schränken den Gerechtigkeitsgedanken in manchen Fällen ein. Darüber hinaus gibt es unterschiedliche Arten von Orientierungen hinsichtlich des Aspekts der Gerechtigkeit. Egal ob in Bezug auf Verteilungs- oder Bedarfsgerechtigkeit, in beiden Fällen können die limitierten Ressourcen und Möglichkeiten sowie der unmittelbare Handlungszwang den Einfluss der Gerechtigkeit auf die Entscheidungsfindung für oder gegen eine Fremdunterbringung einschränken. Eine weitere Interpretation lässt den Schluss zu, dass es durch die vielen verschiedenen Anforderungen, die an die SozialarbeiterInnen gestellt werden, in manchen Fällen unmöglich ist, allen gerecht zu werden. Im Allgemeinen wird ersichtlich, dass der Großteil der zur Auswahl stehenden Eigenschaften mit einem eher hohen Prozentsatz von über 50 Prozent bewertet wurde. Als zusätzliche wichtige Eigenschaften wurden von SozialarbeiterInnen Folgende ergänzt: • Verständnis für ambivalente Gefühle von Kindern und Jugendlichen • Bereitschaft zur Weiterbildung • Entwicklung und Reflexion von ethischen Standards und Werten. Seite 60 Untersuchungsergebnisse 3 . 3. 2 E I N F L U S S V O N W E R T E N B E I D E R E N T S C H E I D U N G S F I N D U N G Ü B E R E I N E FREMDUNTERBRINGUNG Im Folgenden wird der Einfluss unterschiedlicher Wertekategorien im Prozess der Entscheidungsfindung über Fremdunterbringung in den neun Referaten der Jugendwohlfahrt Tirol beschrieben. Die Theorie zu dieser Auswertung findet sich unter 2.1.3 im Kapitel „Werte in der Sozialen Arbeit, insbesondere bei der Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen“. Abbildung 12: Werte in der Entscheidungsfindung Professionelle Werte 86 Indivduelle Werte 51 Gesellschaftliche Werte Gruppenwerte 44 40 Professionelle Werte liegen mit einem großen Vorsprung an erster Stelle. Die SozialarbeiterInnen geben diese mit einem durchschnittlichen Einfluss von 86 Prozent in ihren Entscheidungen über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen an. Am zweithöchsten werden individuelle Werte erachtet, die laut Angaben durchschnittlich bis zu 51 Prozent in die Entscheidung einfließen, gefolgt von gesellschaftlichen Werten mit einem Einfluss von 44 Prozent und Gruppenwerten mit 40 Prozent. Hinsichtlich dieser vier Wertekategorien gibt es Unterschiede je nach Geschlecht, Alter Dienstjahren, eigenen Kindern und Jugendwohlfahrtsreferaten. Diese Unterschiede beziehen sich aber nur auf die Einflusshöhe der individuellen, gesellschaftlichen und gruppenspezifischen Werte, nicht aber auf die professionellen Werte. Die professionellen Werte werden immer an erster Stelle platziert. Ihr Einfluss liegt unabhängig von Alter, Geschlecht, Dienstjahren, etc. immer mit einem Einfluss von 75 bis 95 Prozent an erster Stelle. Deutlich wird bei der Analyse hinsichtlich der Faktoren auch, dass Gruppenwerte am häufigsten an letzter Stelle platziert werden. Seite 61 Untersuchungsergebnisse 3 . 3. 3 D I L E M M AT A B E I D E R E N T S C H E I D U N G S F I N D U N G Ü B E R E I N E FREMDUNTERBRINGUNG In diesem Kapitel werden die Dilemmata aufgelistet, mit denen sich die SozialarbeiterInnen im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen in den Referaten der Jugendwohlfahrt Tirol am häufigsten konfrontiert sehen. Die Theorie zu „Dilemmata in der Sozialen Arbeit, insbesondere bei der Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen“ wurde im Kapitel 2.1.4 beschrieben. Abbildung 13: Dilemmata in der Entscheidungsfindung Einverständnis der Erziehungsberechtigten vs. Zwangsmaßnahme 66 Grundlegender Wert vs. Dringlichkeit eines anderen Wertes 63 Selbstbestimmung vs. Bevormundung 61 Verschiedene Rollen der SozialarbeiterInnen 59 Konfrontation vs. Verschonung 58 Selbstbestimmung vs. Wohlergehen derselben Person 57 Recht auf Wohlbefinden vs. Recht auf Freiheit einer anderen Person 55 Schutz der KlientInnen vs. Wirtschaftlichkeit und Rentabilität 53 Freiwilliger Entscheid zur Lebensführung vs. Einfluss sozialer Bedingungnen 52 Verschwiegenheits- vs. Angabepflicht 50 Gesetz/Recht/ Politk vs. sozialarbeiterische Interventionsziele 50 Wohl des Einzelnen vs. Wohl der Gemeinschaft 47 Fortführung der Fremdunterbringung vs. ambulante Erziehungshilfe 44 Profesionelle vs. persönliche Werte 41 Verbundenheit zum/zur KlientIn vs. Verbundenheit zum Dienstgeber 40 Eigene Interessen vs. Interessen der KlientInnen 35 Eigene kuturelle und religiöse Werte vs denen der KlientInnen Einhaltung professioneller Grenzen vs. freundschaftliche Beziehung 34 23 Die SozialarbeiterInnen müssen sich mit vielen verschiedenen Dilemmata im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen auseinandersetzen. Bei der Entscheidungsfindung sehen sich die SozialarbeiterInnen am häufigsten mit dem Dilemma konfrontiert, das Kind/den Jugendlichen auf Grund einer gerichtlichen Verfügung fremd unterzubringen, wenn kein Einverständnis der Erziehungsberechtigten erreicht werden kann. Dieses Dilemma wird mit einer durchschnittlichen Häufigkeit von 66 Prozent beurteilt. Mit einer Häufigkeit von durchschnittlich 63 Prozent stehen die SozialarbeiterInnen am zweithäufigsten vor dem Konflikt, dass ein grundlegender, wichtiger Wert auf Grund der Gefahr eines anderen Wertes nicht aufrecht erhalten werden kann. Mit durchschnittlichen 61 Prozent an Häufigkeit und somit an dritter Stelle müssen die Seite 62 Untersuchungsergebnisse SozialarbeiterInnen sich mit dem Dilemma auseinandersetzen, dass die Bevormundung mittels Auflagen, Einschränkungen etc. das Recht auf Selbstbestimmung einschränkt. An den drei letzten Stellen werden die Dilemmata der „eigenen Interessen versus der Interessen der KlientInnen“, der „eigenen kulturellen und religiösen Werte versus denen der KlientInnen“ und der „Einhaltung professioneller Grenzen und dem Verschwimmen der Grenzen in Richtung freundschaftliche Beziehung“ genannt. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass auf Grund der Gefahrensituation weniger eigene Interessen, eigene kulturelle und religiöse Werte einfließen können, da das maßgebliche Augenmerk auf der Sicherung des Kindeswohls liegt. Darüber hinaus können auch die Interessen der KlientInnen und deren religiöse und kulturelle Werte nicht immer bei „Gefahr in Verzug“ berücksichtigt werden. Das Dilemma der „Einhaltung professioneller Grenzen und dem Verschwimmen der Grenzen in Richtung freundschaftliche Beziehung“ ist möglicherweise im der Jugendwohlfahrt weniger vorhanden, da den SozialarbeiterInnen häufig von Seiten der KlientInnen eher mit Distanz als auf freundschaftlicher Ebene begegnet wird. Die Aufrechterhaltung professioneller Grenzen gerät somit kaum in Gefahr. Die Häufigkeit dieser und aller weiteren genannten Dilemmata, die SozialarbeiterInnen im Prozess der Entscheidungsfindung wahrnehmen, variiert je nach Alter, Geschlecht, Dienstjahren, eigenem Familienstand und Referat der Jugendwohlfahrt. Zusätzlich erwähnten SozialarbeiterInnen das Problem, dass häufig nur der Symptomträger „entfernt“, nicht aber mit dem „kranken“ Familiensystem gearbeitet wird. Auch der Druck der Öffentlichkeit z. B. von Schulen, die eine hohe Erwartungshaltung der Jugendwohlfahrt gegenüber haben, kann mit eigenen Vorstellungen und Möglichkeiten in Konflikt geraten und ein Dilemma darstellen. Ergänzend dazu wurde als zusätzliche Schwierigkeit genannt, dass SozialarbeiterInnen nur als „Handlanger“ im Prozess der Entscheidungsfindung fungieren können und wenig ernst genommen werden. Viel mehr Einfluss kommt laut zusätzlichen Angaben eines Sozialarbeiters/einer Sozialarbeiterin den GutachterInnen zu. Darüber hinaus wurde auch das Dilemma genannt zwischen dem Eigeninteresse der Eltern und den Bedürfnissen der Kinder abwägen zu müssen. Zweimal gaben SozialarbeiterInnen die Einschränkung durch finanzielle Ressourcen als weiteren Konfliktpunkt bei der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung an. Seite 63 Untersuchungsergebnisse Abbildung 14: Gesellschaftliche und individuelle Werte in der Entscheidungsfindung 3 10 N=43 30 Gesellschaft/Gruppe Individuum keine Angabe In jenen Fällen, in denen gesellschaftliche Werte oder die Werte einer Gruppe mit denen eines Individuums konkurrieren, sehen sich die SozialarbeiterInnen mit deutlicher Mehrheit eher dem Individuum verpflichtet. 30 SozialarbeiterInnen entschieden sich für die Einzelperson und nur 3 für den Vorrang der gesellschaftlichen bzw. Gruppenwerte. 10 SozialarbeiterInnen enthielten sich dieser Frage. Die Enthaltung der 10 SozialarbeiterInnen könnte darauf hinweisen, dass diese Frage schwer zu beantworten war. Möglicherweise besteht die Schwierigkeit darin, dass Individuum und Gesellschaft in enger Wechselwirkung stehen und somit nur schwer getrennt voneinander betrachtet werden können. Da daraus resultierend beide Wertekategorien einen Einfluss auf die Entscheidung haben, bedarf es gründlicher Überlegungen um diese Frage beantworten zu können. Die starke Tendenz in Richtung individuelle Werte im Prozess der Entscheidungsfindung kann dahingehend interpretiert werden, dass Soziale Arbeit als jene Profession definiert wird, die sich für den sozialen Wandel und die Lösung von Problemen in menschlichen Beziehungen sowie die Befähigung und Befreiung von Menschen einsetzt (vgl. Kap. 2.1.2 S. 9). Im Zentrum steht das Wohlergehen der marginalisierten Individuen, die häufig durch gesellschaftliche Werte oder die Werte spezifischer einflussreicher Gruppen unterdrückt und benachteiligt werden. Somit könnte es sein, dass die starke Orientierung an individuellen Werten vom Berufsbild der Sozialen Arbeit stark geprägt ist. Es sind bezüglich dieser Frage keine Unterschiede nach Geschlecht, Alter, Dienstjahren, eigener Elternschaft oder Jugendwohlfahrtsreferat erkennbar. Seite 64 Untersuchungsergebnisse Abbildung 15: Spannungsfeld Ideal- vs. Rationallösung Abbildung 16: Häufigkeit der Ideal- oder Rationallösung 1 4 48% N=9 N=9 52 % 4 eher selten eher oft sehr oft Wünschenswerte Lösung Rationallösung Diese Abbildungen verdeutlichen, dass das Spannungsfeld und die Einschränkung durch limitierte Ressourcen sich stark auf den Prozess der Entscheidungsfindung auswirken. 4 LeiterInnen gaben an, dass sie sich mit dem Spannungsfeld zwischen der wünschenswerten, idealen Lösung und den limitierten möglichen Ressourcen bei der Entscheidung über Fremdunterbringung in ihrem Jugendwohlfahrtsreferat sehr oft konfrontiert sehen, 4 LeiterInnen eher oft und ein/eine LeiterIn eher selten. Auf die zusätzliche Frage an die LeiterInnen, wie häufig eher Ideallösungen und wie häufig eher Rationallösungen umgesetzt werden, gaben die LeiterInnen an, dass beides in etwas gleich häufig vorkommt (siehe Abb.16). Somit ist mit durchschnittlichen 48 Prozent ca. jede zweite Entscheidung durch limitierte Ressourcen beeinflusst. Wünschenswerte Lösungen werden laut Angaben von einem/einer LeiterIn mit einer Häufigkeit von über 90 Prozent, von 4 LeiterInnen mit einer Häufigkeit zwischen 60 und 80 Prozent, von 3 LeiterInnen mit zwischen 40 und 60 Prozent und von einem/einer LeiterIn mit ca. 30 Prozent angegeben. Rationallösungen werden von 5 Leiterinnen mit einer Häufigkeit zwischen 60 und 80 Prozent angegeben, von 2 LeiterInnen mit zwischen 40 und 60 Prozent und von weiteren 2 LeiterInnen mit zwischen 20 und 40 Prozent. Ein/eine LeiterIn ergänzte, dass eine Fremdunterbringung streng genommen nie eine Ideallösung darstellt, aber oft die einzige mögliche Lösung ist. Ideal wäre es, laut dieser Anmerkung, die Ressourcen bei der Herkunftsfamilie zu stärken, sodass das Kind in der vertrauten Umgebung bleiben kann. Seite 65 Untersuchungsergebnisse Abbildung 17: Verhältnis von ethischen Richtlinien und rechtlichen Grundlagen in der Entscheidungsfindung 2 2 7 2 N=43 ergänzen sich können nebeneinander existieren Recht höher als Ethik Ethik höher als Recht keine Angabe 30 Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Ethik und rechtlichen Grundlagen sehen die SozialarbeiterInnen kaum Konflikte. 30 SozialarbeiterInnen geben an, dass ethische Richtlinien und Gesetze nebeneinander existieren können und 7 SozialarbeiterInnen sind der Ansicht, dass sich diese ergänzen. 2 SozialarbeiterInnen meinen, dass rechtliche Grundlagen höher bewertet werden sollten als Ethik, wogegen 2 andere SozialarbeiterInnen der konträren Ansicht sind, dass Ethik höher bewertet werden sollte als gesetzliche Vorschriften. 2 SozialarbeiterInnen enthalten sich hinsichtlich dieser Frage ihrer Stimme. Diese Abbildung zeigt deutlich, dass die SozialarbeiterInnen das Spannungsfeld zwischen Ethik und Recht als sehr gering einschätzen. Diese Einschätzung könnte darauf zurückzuführen sein, dass im Tiroler Jugendwohlfahrtsgesetz einige Aspekte angeführt werden, die mit ethischen Aspekten übereinstimmen. Es wird z. B. darauf hingewiesen, dass das Kind ab dem Alter von zehn Jahren jedenfalls und unter zehn Jahren nach Tunlichkeit zu hören ist, dass das gelindeste noch zum Ziel führende Mittel zu wählen ist, dass die grundlegende Bedeutung der Familie für die Entfaltung des Minderjährigen zu beachten ist und dass eine Maßnahme der Hilfe zur Erziehung dann zu ändern oder aufzuheben ist, wenn es das Wohl des Minderjährigen erfordert bzw. wenn die Maßnahme dem Wohl des Kindes nicht mehr förderlich ist. Das „Wohl des Kindes“ kann sowohl unter ethischen als auch rechtlichen Aspekten betrachtet werden. Seite 66 Untersuchungsergebnisse 3 . 3. 4 E T H I S C H E T H E O R I E N U N D A U S R I C H T U N G E N I N D E R E N T S C H E I D U N G S F I N D U N G Ü B E R E I N E F R E M D U N TE R B R I N G U N G Das folgende Kapitel beschreibt die Bedeutung von ethischen Theorien und Ausrichtungen im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen in den Referaten der Jugendwohlfahrt Tirol. Eine detaillierte Beschreibung der Ausrichtungen und Theorien, die Grundlage der folgenden Auswertung waren, sind im Kapitel 2.1.5 „ethische Theorien“ angeführt. Abbildung 18: Grundhaltung in der Entscheidungsfindung Paternalistische Ausrichtung 11% 39% 23% Verteidigende Ausrichtung N=43 Ausrichtung an der sozialen Gerechtigkeit Religiöse Ausrichtung 27% Auf die Frage, in welchem Ausmaß die paternalistische, verteidigende, auf soziale Gerechtigkeit bezogene und religiöse Ausrichtung in den Prozess der Entscheidungsfindung über Fremdunterbringung einfließen, wurde die paternalistische Ausrichtung am höchsten gewertet. Die SozialarbeiterInnen gaben an, dass diese einen Einfluss von durchschnittlich 39 Prozent in ihren Entscheidung haben. Der verteidigenden Ausrichtung wurde mit einem durchschnittlichen Ausmaß von 27 Prozent und der Ausrichtung an der sozialen Gerechtigkeit mit durchschnittlichen 23 Prozent ebenso Bedeutung beigemessen, allerdings deutlich weniger als der paternalistischen Ausrichtung. Mit einer durchschnittlichen Bewertung von 11 Prozent an Einfluss auf die Entscheidungsfindung liegt die religiöse Ausrichtung eindeutig an letzter Stelle. Hinsichtlich Geschlecht, Alter und eigenen Kindern wurden keine Unterschiede in der Bewertung dieser Ausrichtungen ersichtlich. Ebenso gab es bezüglich der Dienstjahre kaum unterschiedliche Meinungen zu dieser Frage. Auffällig ist aber, dass nur die unter einem Jahr in der Jugendwohlfahrt tätigen Seite 67 Untersuchungsergebnisse SozialarbeiterInnen die verteidigende Ausrichtung bzw. die Bedeutung von Schutzmaßnahmen für die eigene Berufsgruppe niedriger bewertete als der Durchschnitt. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die SozialarbeiterInnen, die unter einem Jahr in der Jugendwohlfahrt beschäftigt sind, noch weniger Erfahrungen gemacht haben, in denen sie die eingeleiteten Interventionen rechtfertigen mussten und auf Schutzmaßnahmen angewiesen waren. Bezugnehmend auf die verschiedenen Referate der Jugendwohlfahrt werden bei allen sowohl die paternalistische Ausrichtung durchschnittlich am höchsten bewertet und die religiöse Ausrichtung am niedrigsten. Beide anderen Ausrichtungen befinden sich im Mittelfeld und werden von den verschiedenen Referaten unterschiedlich bewertet und nicht einheitlich an zweiter oder dritter Stelle platziert. Die hohe Bewertung der paternalistischen Ausrichtung könnte darauf zurückzuführen sein, dass bei der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung häufig gegen den Willen, aber zum Wohl des Klienten/der Klientin gehandelt werden muss (siehe Kap. 2.1.5, S. 24). Ein/eine SozialarbeiterIn bemerkte zusätzlich, dass seiner/ihrer Ansicht nach die Gefahren für den Beruf zu wenig beachtet werden. Abbildung 19: Verhältnis von Deontologie und Teleologie 6 Abbildung 20: Wunsch nach ethischen Richtlinien für die Entscheidungsfindung 2 6 5 N=43 N=43 ethische Richtlinien 31 deontologisch teleologisch keine Angabe 36 keine ethischen Richtlinien keine Angabe In der Abbildung 19 wird das Verhältnis zwischen der deontologischen und der teleologischen Ausrichtung dargestellt. Dabei wird ersichtlich, dass die teleologische Ausrichtung von nahezu drei Viertel der SozialarbeiterInnen als wichtiger als die deontologische Ausrichtung erachtet wird. Seite 68 Untersuchungsergebnisse 31 SozialarbeiterInnen tendieren eher zu einer teleologischen Ausrichtung. 6 SozialarbeiterInnen entschieden sich für die deontologische Ausrichtung. 6 SozialarbeiterInnen machten keine Angaben zu dieser Frage. Sowohl männliche als auch weibliche SozialarbeiterInnen geben zu einem deutlich höheren Prozentsatz von durchschnittlich 70 Prozent bei den Männern und 90 Prozent bei den Frauen die teleologische Ausrichtung höher als die deontologische an. In Bezug auf das Alter und den eigenen Familienstand gibt es keine eindeutige Tendenz in eine der beiden Richtungen. Unterschiede werden aber je nach Dauer der Tätigkeit in der Jugendwohlfahrt ersichtlich. Von den 6 deontologisch ausgerichteten SozialarbeiterInnen sind 4 länger als 10 Jahre in der Jugendwohlfahrt tätig. Vier Referate der Jugendwohlfahrt entschieden sich zu 100 Prozent für eine teleologische Ausrichtung, drei mit einer Höhe von zwischen 60 und 80 Prozent. In zwei Referaten der Jugendwohlfahrt gaben die SozialarbeiterInnen an, dass das Verhältnis zwischen teleologischer und deontologischer Ausrichtung 50 zu 50 sei. Ein/eine SozialarbeiterIn entschied sich für keine der beiden Ausrichtungen. Ein weiterer Sozialarbeiter/eine weitere Sozialarbeiterin entschied sich für die deontologische Ausrichtung, aber mit der Zusatzbemerkung, dass Konsequenzen trotzdem möglich sind. Auf die Frage, ob ein Wertegrundgerüst bzw. ethische Richtlinien als Orientierungshilfe für die Entscheidung über Fremdunterbringung als hilfreich oder hinderlich erachtet werden (siehe Abb. 20), gaben 36 SozialarbeiterInnen an, dass ethische Richtlinien als Orientierungshilfe förderlich sind (siehe Kap. 2.1.5, S. 24). Im Gesamtbild wird somit ein deutlicher Wunsch nach ethischen Orientierungshilfen erkennbar. 5 SozialarbeiterInnen teilen diese Meinung nicht und entschieden sich für die moralfreie bzw. situationsbedingte Ausrichtung, da sie glauben, dass für Entscheidungen über Fremdunterbringung keinerlei ethische Richtlinien und Standards brauchbar sind. 2 SozialarbeiterInnen machten keine Angaben. Es gibt bei diesen Angaben keine geschlechtsspezifischen und altersbezogenen Unterschiede. Bezogen auf das Alter wird ausschließlich ersichtlich, dass alle über 50jährigen SozialarbeiterInnen geschlossen die Ansicht vertreten, dass ethische Richtlinien in ihrer Arbeit hilfreich und sinnvoll wären. Seite 69 Untersuchungsergebnisse Auch bei der genauen Analyse des Einflusses bezogen auf Dienstjahre und eigener Familie ergab sich ein einheitliches Bild. Die Mehrheit in allen Gruppen bewertete ethische Richtlinien als hilfreich für die Arbeit in der Jugendwohlfahrt. 6 Referate sprachen sich zu 100 Prozent für ethische Richtlinien aus. Mit einer Mehrheit von durchschnittlich 60 bis 80 Prozent entschieden sich die SozialarbeiterInnen von zwei Referaten ebenso eher für die objektiv-sachliche Ausrichtung und erachten demzufolge ethische Richtlinien als eher hilfreich. Die SozialarbeiterInnen eines Referates zeigten mit 50 Prozent an Stimmen für eine moralfreie, situationsbedingte Ausrichtung und 50 Prozent für die objektiv-sachliche Ausrichtung keine eindeutige Neigung in eine Richtung auf. Seite 70 Untersuchungsergebnisse 3 . 3. 5 A N W E N D U N G E TH I S C H E R R I C H T L I N I E N B E I D E R E N T S C H E I D U N G S F I N D U N G ÜBER EINE FREMDUNTERBRINGUNG In diesem Kapitel wird der Einfluss ethischer Richtlinien und Standards im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen beschrieben. Theoretische Aspekte zu ethischen Richtlinien sowie deren Bedeutung für die Soziale Arbeit sind im Kapitel 2.1.6 „Code of Ethics“ angeführt. Abbildung 21: Anwendung ethischer Richtlinien Abbildung 22: Bekanntheit ethischer Richtlinien 1 4 N=9 N=9 5 8 kein ethischer Leitfaden ethischer Leitfaden unbekannt bekannt Bezüglich ethischer Richtlinien als Orientierungshilfe bei der Entscheidung über Fremdunterbringungen gaben 8 LeiterInnen an, dass in ihrem Jugendwohlfahrtsreferat kein Leitfaden zur ethischen Entscheidungsfindung vorhanden ist. Ein/eine LeiterIn gibt an, dass in seinem/ihrem Referat ein Leitfaden zur ethischen Entscheidungsfindung existiert (siehe Abb. 21). Die Frage an die LeiterInnen, ob sie bereits von solchen Leitfäden oder Modellen zur ethischen Entscheidungsfindung gehört haben, beantworten 4 LeiterInnen positiv. 5 LeiterInnen geben an, noch nie davon gehört zu haben (siehe Abb. 22). Auch von 53 Prozent der SozialarbeiterInnen, also ca. der Hälfte, wird angegeben, dass ihnen keine Codes of Ethics bzw. ethische Richtlinien bekannt sind. Ein/eine LeiterIn ergänzt, dass er/sie zwar davon gehört habe, aber nur sehr wenig darüber wisse. Er/sie fügt hinzu, dass Aspekte zur ethischen Entscheidungsfindung integrierter Bestandteil des Produktplans der Jugendwohlfahrt sind. Im Produktplan werden vielerlei Angaben zu Qualitätsstandards mit genau festgelegten Indikatoren gemacht. Ethische Orientierungshilfen, Standards und Modelle, wie sie im Theorieteil Seite 71 Untersuchungsergebnisse dieser Diplomarbeit beschrieben wurden, werden jedoch im Produktplan nicht angegeben. Diese Aussage könnte somit dahingehend interpretiert werden, dass mit dem Begriff Ethik Unterschiedliches verbunden wird und unter den LeiterInnen und SozialarbeiterInnen keine einheitlichen Definition von Ethik, wie sie in dieser Diplomarbeit in Kapitel 2.1.2 (siehe S. 5f.) angegeben wurde, vorhanden ist. Tabelle 3: Anwendung ethischer Richtlinien bei der Entscheidungsfindung Anwendung ethischer Richtlinien bei der Entscheidungsfindung SozialarbeiterInnen ∅ 26% LeiterInnen ∅ 36% Sowohl die LeiterInnen als auch die SozialarbeiterInnen geben an, dass ethische Richtlinien eher wenig bis gar keine Anwendung im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen finden. Die LeiterInnen schätzen den Gebrauch ethischer Richtlinien mit einer durchschnittlichen Höhe von 36 Prozent, die SozialarbeiterInnen mit nur 26 Prozent ein. Obwohl an Hand der 36-prozentigen Anwendung ersichtlich wird, dass ethische Richtlinien bei Entscheidungen über die Fremdunterbringung durchschnittlich wenig Verwendung finden, geben 2 LeiterInnen an, ethische Richtlinien zu 90 oder 100 Prozent in Anspruch zu nehmen. Ein weiterer Leiter/eine weitere Leiterin schätzen die Anwendung ethischer Richtlinien auf 60 Prozent und alle anderen unter 20 Prozent. Dies lässt den Rückschluss zu, dass in den Jugendwohlfahrtsreferaten in den Prozess der Entscheidungsfindung ethische Richtlinien unterschiedlich stark einfließen. Bei den SozialarbeiterInnen lassen sich auch hinsichtlich des Geschlechts bei der Häufigkeit der Anwendung ethischer Richtlinien Unterschiede erkennen. Männliche Sozialarbeiter geben an bei ihren Entscheidungen bis zu durchschnittlich 50 Prozent von ethischen Richtlinien Gebrauch zu machen, wogegen Frauen angeben, mit einem Ausmaß von durchschnittlich 20 Prozent nur selten darauf zurückzugreifen. Bezüglich des Alters sind kaum Unterschiede erkennbar. Alle Altersgruppen, außer die SozialarbeiterInnen über 50 Jahren, schätzen die Nutzung ethischer Richtlinien mit unter 50 Prozent ein. Jene, die älter als 50 Jahre sind, geben einen Gebrauch von bis zu 60 Prozent an. Seite 72 Untersuchungsergebnisse Hinsichtlich der Dienstjahre geben alle SozialarbeiterInnen die Anwendung mit unter 30 Prozent an, außer jenen, die kürzer als ein Jahr im Referat der Jugendwohlfahrt tätig sind. Diese geben an, dass ethische Richtlinien mit durchschnittlich 65 Prozent im Prozess ihrer Entscheidungsfindung über Fremdunterbringung Anwendung finden. Eine mögliche Interpretation hierzu ist, dass die SozialarbeiterInnen, die kürzer als ein Jahr in der Jugendwohlfahrt sind, aktiv nach Orientierungshilfen für ihre Entscheidungen suchen um mehr Sicherheit im Entscheidungsprozess zu erlangen und somit auch auf ethische Richtlinien stoßen. SozialarbeiterInnen, die bereits länger in der Jugendwohlfahrt tätig sind und bereits viel Erfahrung in der Entscheidungsfindung haben, greifen möglicherweise mehr auf ihnen bereits bekannte Leitlinien zurück und versuchen weniger neue ethische Richtlinien anzuwenden. Bezugnehmend darauf, ob SozialarbeiterInnen eigene Kinder haben oder nicht, gibt es keine Unterschiede in der Inanspruchnahme ethischer Richtlinien. Die SozialarbeiterInnen aus zwei Referaten geben an, dass durchschnittlich ethische Richtlinien zu ca. 50 Prozent in Anspruch genommen werden. Alle anderen Referate schätzen die Inanspruchnahme ethischer Richtlinien mit unter 30 Prozent ein. Ergänzend wurde 7-mal erwähnt, dass sich SozialarbeiterInnen mehr Fortbildungsmöglichkeiten im Bereich Ethik oder Entscheidungsfindung wünschen würden, 3-mal, dass Modelle der ethischen Entscheidungsfindung und 2-mal, dass ethische Richtlinien und Standards sowie Komitees zur ethischen Entscheidungsfindung mehr Beachtung im Prozess der Entscheidungsfindung finden sollten. Diese zusätzlichen Anmerkungen verdeutlichen den Wunsch der SozialarbeiterInnen nach ethischen Orientierungshilfen. Auf die Frage an die SozialarbeiterInnen und LeiterInnen, welche ethischen Standards ihnen bekannt sind und Anwendung in ihren Entscheidungen finden, werden die Kinderrechte, die Menschenrechte, die Leitlinien des Kindeswohls, das Kindschaftsrechtsänderungsgesetz, das Jugendwohlfahrtsgesetz, die Grundwerte der Sozialarbeit und des humanistischen Menschenbildes, ethische Standards des OBDS sowie die Qualitätsstandards der Jugendwohlfahrt genannt. Allerdings können nicht alle dieser Angaben als ethische Richtlinien bezeichnet werden, da einige dieser Standards und Gesetze andere Schwerpunkte als die Ethik haben, wie z. B. die Leitlinien des Kindeswohls. Seite 73 Untersuchungsergebnisse 3 . 3. 6 P R O Z E S S D E R E N TS C H E I D U N G S F I N D U N G Ü B E R E I N E F R E M D U N T E R B R I N G U N G I N D E R P R AX I S Im Folgenden werden Aspekte beschrieben, die in den Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen in den neun Referaten der Jugendwohlfahrt in Tirol einfließen. Einige der folgenden Auswertungen beziehen sich sowohl auf die Angaben der LeiterInnen als auch auf die der SozialarbeiterInnen. Diese Ergebnisse werden im Weiteren einander gegenübergestellt. Manche Fragen wurden ausschließlich an eine der beiden Gruppen gerichtet. Detailliertere Ausführungen zum Prozess der Entscheidungsfindung können im Kapitel 2.3. „Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung“ nachgelesen werden. Abbildung 23: Besprechungen bei der Entscheidungsfindung N=9 1 Helferkonferenzen 8 Einzelbesprechungen zwischen einem/einer SozialarbeiterIn und dem/der LeiterIn 9 5 Team-Meetings 3 6 Supervision Fallbesprechungen mit allen bzw. dem Großteil der SozialarbeiterInnen 3 0% 20% 1 2 2 40% 1 60% 1x pro Woche 14-tägig alle 3-4 Wochen seltener je nach Anlassfall 1 3 80% 100% In dieser Abbildung wird deutlich, dass die genannten Besprechungen und Meetings im Prozess der Entscheidungsfindung unterschiedlich häufig stattfinden. Fallbesprechungen finden in 3 Referaten wöchentlich, in 2 Referaten 14-tägig, in einem Referat seltener und in drei Referaten je nach Anlassfall statt. Die Möglichkeit zur Supervision gibt es in 6 Referaten alle 3 bis 4 Wochen, in zwei Referaten seltener und in einem Referat, wenn ein konkreter Anlass dazu gegeben ist. Team-Meetings sind in 5 Jugendwohlfahrtsreferaten im Wochenablauf fixiert, in 3 Referaten finden sie 14-tägig statt und in einem alle 3 bis 4 Wochen. Bei den Einzelbesprechungen zwischen einem/einer SozialarbeiterIn und dem/der LeiterIn geben alle ReferatsleiterInnen der Jugendwohlfahrt in Tirol an, dass diese dann stattfinden, wenn der Anlass dazu gegeben ist. Ebenso Seite 74 Untersuchungsergebnisse werden auch in 8 Referaten HelferInnenkonferenzen bei Bedarf organisiert. In einem Referat finden diese alle 3 bis 4 Wochen statt. Zusätzlich gab ein/eine LeiterIn an, dass Fallbesprechungen mindestens einmal pro Woche stattfinden, manchmal auch öfter. Ein weiterer Leiter/eine weitere Leiterin gab an, dass es wöchentliche Dienstbesprechungen gibt. Alle 3 bis 4 Wochen kommt es laut Angaben zweier weiterer LeiterInnen zu Referatsversammlungen oder einem Jour-fix bzw. einer größeren Dienstbesprechung. Je nach Anlassfall werden in zwei Referaten Sitzungen zu verschiedenen Vernetzungsthemen oder zusätzliche Team-Meetings einberufen, so die Angaben zweier LeiterInnen. Abbildung 24: Wichtige Schritte im Prozess der Entscheidungsfindung Abklärung der unbedingten Notwendigkeit der Fremdunterbringung 97 Risikoeinschätzung 93 Suche und Auswahl der stationären Hilfe zur Erziehung 91 Problemklärung/Anamnese 90 Art der Fremdunterbringung 90 Helferkonferenz/Teambesprechung Nachsorge, Beratung und Begleitung der Herkunftsfamilie Hilfevereinbarung/Hilfeplan Abschied und Aufnahme 86 78 77 76 Allen angeführten Schritten wird mit über 75 Prozent viel Bedeutung beigemessen. Die neun LeiterInnen der Tiroler Jugendwohlfahrt geben an, dass die „Abklärung der unbedingten Notwendigkeit der Fremdunterbringung“ mit einem durchschnittlichen Stellenwert von 97 Prozent der wichtigste der genannten Schritte im Prozess der Entscheidungsfindung ist. Die „Risikoeinschätzung“ wird mit einem durchschnittlichen Stellenwert von 93 Prozent an zweiter Stelle und die „Suche und Auswahl der stationären Hilfe zur Erziehung“ an dritter Stelle genannt. Am wenigsten Bedeutung wurde der „Nachsorge“, der „Hilfevereinbarung bzw. dem Hilfeplan“ und dem Schritt „Abschied und Aufnahme“ beigemessen. Eine mögliche Interpretation diesbezüglich ist, dass diese Schritte im Prozess der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung als weniger Seite 75 Untersuchungsergebnisse wichtig erachtet werden, da sie sich nicht unmittelbar auf die Sicherung des Kindeswohls auswirken. Von den LeiterInnen wurde ergänzt, dass neben den genannten Schritten im Prozess der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung auch eine Fallbesprechung mit dem/der LeiterIn stattfinden muss. Vor der Fremdunterbringung sollte die Familie nach Meinung eines Leiters/einer Leiterin unbedingt davor ambulant betreut worden sein. Weiters wird hinzugefügt, dass die Familie „dort abgeholt werden soll, wo sie steht“, und dass die Zuständigkeit Fremdunterbringung der eines SozialarbeiterInnen Kindes/Jugendlichen der Jugendwohlfahrt weiterhin gegeben nach bleibt. der Eine fortlaufende Betreuung sei laut Angaben eines Leiters/einer Leiterin sehr wichtig. Abbildung 25: Personenspezifische Unterschiede in der Entscheidungsfindung 1 1 1 N=9 6 gar keine kaum eher schon sehr viele Mehr als drei Viertel der LeiterInnen geben an, dass die Einstellung des jeweiligen Sozialarbeiters/der jeweiligen Sozialarbeiterin einen Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen eine Fremdunterbringung hat. 6 LeiterInnen glauben, dass es „eher viele“ personenspezifische Unterschiede im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung gibt und ein/eine LeiterIn glaubt, dass es „sehr viele“ Unterschiede gibt. Ein/eine LeiterIn nimmt an, dass kaum personenspezifische Unterschiede vorherrschen und einer/eine, dass gar keine personenspezifische Unterschiede in der Entscheidungsfindung vorhanden sind. Seite 76 Untersuchungsergebnisse Tabelle 4: Grundeinstellung der SozialarbeiterInnen in der Entscheidungsfindung Grundeinstellung der SozialarbeiterInnen in der Entscheidungsfindung Ehestmöglich aus instabiler Situation befreien ∅ 55% Längstmöglich zu Hause belassen ∅ 67% Die Mehrheit der SozialarbeiterInnen bewerteten die Aussage „ein Kind soll, so lange es geht, zu Hause bleiben“ höher als die Aussage „um ein Kind vor Schaden zu bewahren, sollte man ehestmöglich reagieren und es aus der instabilen Situation befreien“. Die Durchschnittshöhe der Zustimmung lag bei der Aussage, das Kind längstmöglich zu Hause zu belassen bei 67 Prozent, bei der Aussage, das Kind ehestmöglich aus der instabilen Situation zu befreien, bei 55 Prozent. Beide Bewertungen befinden sich demnach eher im Mittelfeld der Bewertungsskala und stellen keine Extrempositionen der Sozialarbeiterinnen dar. Dieses Ergebnis macht aber deutlich, dass die SozialarbeiterInnen keine einheitliche Grundeinstellung haben und somit starke personenspezifische Unterschiede in der Entscheidungsfindung je nach Einstellung der SozialarbeiterInnen vorhanden sein können. Hinsichtlich des Geschlechts, des Alters, der Dienstjahre und des eigenen Familienstands der SozialarbeiterInnen gab es keine Unterschiede in der Bewertung der Aussagen. In 8 Referaten der Jugendwohlfahrt Tirol gab es eine leichte Tendenz, die Aussage, dass ein Kind so lange es geht eher zu Hause untergebracht bleiben sollte, höher zu bewerten. In einem dieser 8 Referate gab es sogar eine starke Tendenz in diese Richtung. Nur in einem Jugendwohlfahrtsreferat wurde die Option, das Kind ehestmöglich aus der instabilen Situation zu befreien, bevorzugt. Die SozialarbeiterInnen ergänzten zu den beiden genannten Aussagen, dass diese Entscheidung sehr stark vom Einzelfall, wie auch vom Alter des Kindes abhängig sei. Fremdunterbringung ist laut Angaben zweier SozialarbeiterInnen dann notwendig, wenn die ambulante Hilfe nicht ausreicht und Gefahr für Leib und Leben des Kindes/Jugendlichen besteht. Zwei weitere SozialarbeiterInnen geben an, dass es nicht darum gehe, das Kind ehestmöglich aus der Familie zu entfernen, sondern vielmehr darum, ehestmöglich Hilfsangebote für das Kind und die Familie durch ambulanter Betreuung anzubieten um das Kind vor Schaden zu bewahren. Ein/eine SozialarbeiterIn gibt ergänzend dazu an, Seite 77 Untersuchungsergebnisse dass vor einer Fremdunterbringung alle anderen Hilfsangebote ausgeschöpft sein müssen. Kinder müssen mit Würde und Respekt behandelt werden und wirksamen Schutz vor Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung und allen Formen von Ausbeutung erhalten, fügt ein weiterer Sozialarbeiter/eine weitere SozialarbeiterIn hinzu. Abbildung 26: Berücksichtigung spezifischer Interessen in der Entscheidungsfindung Kind 74 Mutter 70 Vater 65 Schule 28 andere Verwandte 27 Kindergarten 26 25 Gesellschaft 15 Nachbarn Die SozialarbeiterInnen geben an, dass die Interessen des Kindes am meisten Einfluss im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung haben, gefolgt von den Interessen der Mutter und denen des Vaters. Die Interessen der Nachbarn spielen die geringste Rolle und werden von allen SozialarbeiterInnen an letzter Stelle genannt. Bezugnehmend auf Unterschiede je nach Alter wurde deutlich, dass die SozialarbeiterInnen im Alter zwischen 41 und 50 den Einfluss der Gruppen nicht nach der oben gezeigten Rangordnung bewerteten, sondern die Mutter an erster, den Vater an zweiter und das Kind an dritter Stelle sahen. Die SozialarbeiterInnen über 50 Jahren geben ebenso eine vom Durchschnitt abweichende Reihenfolge an, indem sie die Mutter, gefolgt von Kind und anschließend Vater an die ersten drei Plätze reihen. Auch im Hinblick auf die Dienstjahre weichen die Aussagen der SozialarbeiterInnen, die zwischen 1 bis 3 Jahre in der Jugendwohlfahrt tätig sind, vom Durchschnitt ab. Diese SozialarbeiterInnen beachten die Interessen der Mutter vor denen des Vaters und denen des Kindes. Jene, die zwischen 3 und 5 Jahren in der Jugendwohlfahrt arbeiten, erachten ebenso die Interessen der Mutter durchschnittlich als am wichtigsten, gefolgt von denen des Kindes und an dritter Stelle denen des Vaters. Im Gegensatz dazu messen die Seite 78 Untersuchungsergebnisse SozialarbeiterInnen, die bereits länger als 5 Jahre in der Jugendwohlfahrt tätig sind, den Interessen des Kindes am meisten Bedeutung bei, gefolgt von den Interessen der Mutter und denen des Vaters. SozialarbeiterInnen, die selbst Kinder haben und die selbst keine Kinder haben, unterscheiden sich hinsichtlich der durchschnittlichen Reihung der ersten drei Einflussgruppen nicht. Allerdings werden bei den SozialarbeiterInnen, die selbst Kinder haben, die Verwandten bereits an vierter Stelle genannt, wogegen kinderlose SozialarbeiterInnen diese erst als vorletzte nennen. Dies könnte damit zusammenhängen, dass SozialarbeiterInnen, die selbst Kinder haben, dem Verwandtenkreis auf Grund eigener Erfahrungen in ihrer Großfamilie mehr Bedeutung beimessen. Männliche Sozialarbeiter nehmen durchschnittlich eine andere Reihung vor als Sozialarbeiterinnen und schätzen den Einfluss der Mutter am höchsten ein, gefolgt von dem des Vaters und an dritter Stelle dem des Kindes. Die Gesellschaft wird bei den Männern überdurchschnittlich stark beachtet und steht bereits an vierter Stelle. Die Sozialarbeiterinnen weichen im Gegensatz zu Sozialarbeitern vom genannten Durchschnitt nicht ab. Diese starken Unterschiede hinsichtlich des Geschlechts stechen zwar heraus, lassen aber meiner Ansicht nach keine Verallgemeinerungen zu, da nur 4 von männlichen Sozialarbeitern ausgefüllte Fragebögen vorlagen. Hinsichtlich der Referate der Jugendwohlfahrt lässt sich erkennen, dass bei 5 Referaten dem Kind und bei 4 der Mutter am meisten Einfluss auf den Prozess der Entscheidungsfindung beigemessen wird. Bei allen 9 Referaten sind aber die drei Einflussgrößen Mutter, Vater und Kind immer die drei höchsten Nennungen, obgleich in unterschiedlicher Reihenfolge. Die Interessen der Schule, des Kindergartens, der Nachbarn, der Verwandten und der Gesellschaft werden in den Jugendwohlfahrtsreferaten in unterschiedlich hohem Ausmaß berücksichtigt. Als weitere Einflussgrößen werden die Politik, psychologische Gutachten, sowie ÄrztInnen und PsychologInnen genannt. Zusätzlich wurde von SozialarbeiterInnen ergänzt, dass der Einfluss des Kindes altersabhängig ist. Auch der Einfluss der Mutter und des Vaters wird durch die Obsorgeberechtigung eines Elternteiles maßgeblich beeinflusst. Beim Vater hängt der Einfluss seiner Interessen auch sehr stark davon ab, ob er in der Familie lebt, regelmäßig Kontakt zum Kind hat oder keines der beiden gegeben ist. Seite 79 Untersuchungsergebnisse Abbildung 27: Einfluss der SozialarbeiterInnen und der betroffenen Partei in der Entscheidungsfindung 57 SozialarbeiterInnen 76 Einfluss Partei Einfluss SozialarbeiterIn 96 LeiterInnen 92 Diese Graphik zeigt, dass die SozialarbeiterInnen und LeiterInnen den Einfluss der SozialarbeiterIn und der betroffenen Partei im Prozess der Entscheidungsfindung unterschiedlich einschätzen. Die LeiterInnen schätzen den Einfluss der zuständigen SozialarbeiterInnen mit durchschnittlich 92 Prozent ein, den der betroffenen Partei mit 96 Prozent. Sowohl der/die SozialarbeiterIn als auch die betroffene Partei haben nach Ansicht der LeiterInnen einen sehr hohen und nahezu gleichwertigen Einfluss. Die SozialarbeiterInnen glauben, dass sie mehr Einfluss im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung haben als die betroffene Partei. Sie geben das Verhältnis mit 76 Prozent an eigenem Einfluss zu 57 Prozent an Einfluss der betroffenen Partei an. Geschlechtsspezifische Unterschiede sind keine erkennbar. In der Altersgruppe der 25bis 30-jährigen SozialarbeiterInnen und bei den SozialarbeiterInnen, die keine Kinder haben, sowie den LeiterInnen, die über 10 Jahre in der Jugendwohlfahrt tätig sind, lässt sich allerdings eine deutliche Spanne zwischen dem Einfluss von ca. 80 bis 90 Prozent der SozialarbeiterInnen und dem Einfluss von ca. 50 Prozent der betroffenen Partei erkennen. Den niedrigsten Einfluss der betroffenen Partei vermuten die SozialarbeiterInnen, die erst bis zu einem Jahr in der Jugendwohlfahrt tätig sind. Nach Angaben der SozialarbeiterInnen ist in allen Jugendwohlfahrtsreferaten ein stärkerer Einfluss der SozialarbeiterInnen erkennbar, wobei auch der betroffenen Partei in 7 Referaten ein Einfluss von ca. 60 bis 70 Prozent beigemessen wird. Auch die LeiterInnen von 6 Jugendwohlfahrtsreferaten messen sowohl den SozialarbeiterInnen als auch der betroffenen Partei einen fast gleich hohen Stellenwert bei. Nur bei drei Jugendwohlfahrtsreferaten klafft der Einfluss bis zu 60 Prozent auseinander. Dabei wird bei allen ein höherer Einfluss der SozialarbeiterInnen deutlich. Seite 80 Untersuchungsergebnisse Ein/eine LeiterIn ergänzt, dass der Einfluss immer von der Situation abhängt. Bei Gefahr in Verzug muss auch gegen den Willen der Eltern eine Fremdunterbringung durchgeführt werden. Dabei wird zwar versucht mit den betroffenen KlientInnen eine geeignete Lösung zu erarbeitet, aber es kann nicht immer auf alle Bedürfnisse Rücksicht genommen werden, da manchen KlientInnen die Einsicht fehlt und auch die Unterbringungsmöglichkeiten begrenzt sind. Weitere Einflussfaktoren im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung sind laut Angaben der SozialarbeiterInnen die Gerichte, die ambulanten BetreuerInnen, die Fachabteilung, die LehrerInnen, die freien Jugendwohlfahrtsträger, ÄrztInnen, PsychologInnen, die Erziehungsberechtigten, die GutachterInnen und die Kinder und Jugendlichen selbst. Auch die Besprechungen im Jugendwohlfahrtsteam sowie die Kosten und die freien Plätze in geeigneten Einrichtungen beeinflussen den Entscheidungsprozess maßgeblich. Die LeiterInnen geben an, dass das Platzangebot, das Gericht, die Abteilung Jugendwohlfahrt, der Bezirkshauptmann und die Möglichkeit der „Auslandsunterbringung“ also der nicht ortsfesten Formen der Pädagogik, wie sie im Gesetz beschrieben wird (siehe Kap. 2.2.1, S. 32), in die Entscheidung einwirken. Abbildung 28: Verantwortung in der Entscheidungsfindung 84 SozialarbeiterInnen 80 Verantwortung der LeiterIn Verantwortung der SozialarbeiterIn 80 LeiterInnen 87 Ebenso wie in Abbildung 27 wird hier ersichtlich, dass die LeiterInnen und SozialarbeiterInnen eine unterschiedliche Vorstellung der Verantwortung im Prozess der Entscheidungsfindung haben. Die LeiterInnen sehen die Verantwortung mehr bei den SozialarbeiterInnen, wogegen die SozialarbeiterInnen die Verantwortung mehr den LeiterInnen zuschreiben. Nach Angaben der SozialarbeiterInnen kommt ihnen selbst im Prozess der Entscheidungsfindung 80 Prozent an Verantwortung zu, den LeiterInnen 84 Prozent. Die LeiterInnen sehen hingegen mit 87 Prozent mehr Verantwortung bei den SozialarbeiterInnen. Sich selbst messen sie 80 Prozent der Verantwortung bei. Seite 81 Untersuchungsergebnisse Im Gegensatz zu den weiblichen SozialarbeiterInnen bewerteten männliche Sozialarbeiter die Verantwortung der SozialarbeiterInnen um etwas höher als die der LeiterInnen. Eine Interpretation hierzu ist, dass männliche Sozialarbeiter mehr Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme zeigen als Frauen, was in diesem Fall möglicherweise auf den unterschiedlichen Sozialisations- und Erziehungsprozess zurückzuführen sein könnte. Von SozialarbeiterInnen zwischen 36 und 50 sowie SozialarbeiterInnen, die länger als 10 Jahre in der Jugendwohlfahrt tätig sind, wird im Unterschied zum Durchschnitt die Verantwortung der SozialarbeiterInnen höher geschätzt als die der LeiterInnen. Die SozialarbeiterInnen von 6 Jugendwohlfahrtsreferaten messen der Leitung mehr Verantwortung zu im Kontrast zu 3 Referaten, in denen sie sich selbst mehr Verantwortung beimessen. Dies könnte mit dem Führungsstil des jeweiligen Leiters/der jeweiligen Leiterin zusammenhängen. Der Großteil der LeiterInnen beurteilt die Verantwortung der SozialarbeiterInnen höher als ihre eigene. 4 ReferatsleiterInnen glauben, dass SozialarbeiterInnen und LeiterInnen genau gleich viel Verantwortung tragen, 4 meinen, dass mehr Verantwortung den SozialarbeiterInnen zukommt und ein/eine LeiterIn meint, dass die Leitung mehr Verantwortung hat. Tabelle 5: Häufigkeit von Meinungsverschiedenheiten und Höhe der Zufriedenheit der SozialarbeiterInnen in der Entscheidungsfindung Häufigkeit von Meinungsverschiedenheiten in der Entscheidungsfindung Höhe der Zufriedenheit mit dem Ausmaß der Eigenverantwortung in der Entscheidungsfindung SozialarbeiterInnen ∅ 26% ∅ 75% LeiterInnen ∅ 30% ∅ 80% Auf einer Skala von 0 bis 100 (sehr hohe Zufriedenheit) gaben die SozialarbeiterInnen großteils an, sehr zufrieden mit ihrem Einfluss im Prozess der Entscheidungsfindung zu sein. Nach Angaben der LeiterInnen und SozialarbeiterInnen kommt es in der Entscheidungsfindung kaum zu Meinungsverschiedenheiten. In der Tabelle wird ersichtlich, dass sowohl die LeiterInnen mit 30 Prozent, als auch die SozialarbeiterInnen mit 26 Prozent die Spannungen und Meinungsverschiedenheiten als niedrig erachten. Seite 82 Untersuchungsergebnisse In Bezug auf das Geschlecht und den Familienstand gibt es keine Unterschiede in der Häufigkeit der Meinungsverschiedenheiten. SozialarbeiterInnen, die über 50 Jahre sind, und LeiterInnen, die über 10 Jahre in der Jugendwohlfahrt tätig sind, sehen sich häufiger als durchschnittlich mit Meinungsverschiedenheiten konfrontiert. In 8 Referaten der Jugendwohlfahrt liegen die Spannungen laut Angaben der SozialarbeiterInnen als auch der LeiterInnen knapp unter dem Durchschnitt. Laut Angaben der SozialarbeiterInnen in einem Jugendwohlfahrtsreferat gibt es aber bei der Entscheidung über Fremdunterbringung Meinungsverschiedenheiten bis zu einer Häufigkeit von 50 Prozent und in einem anderen Referat laut Angaben eines Leiters/einer Leiterin bis zu 90 Prozent. Hinsichtlich der Zufriedenheit der SozialarbeiterInnen mit dem Ausmaß ihres Einflusses im Prozess der Entscheidungsfindung deckt sich die Einschätzung der LeiterInnen nahezu mit den Angaben der SozialarbeiterInnen. Die LeiterInnen schätzen die Zufriedenheit der SozialarbeiterInnen auf durchschnittlich 80 Prozent. Die Selbsteinschätzung der eigenen Zufriedenheit der SozialarbeiterInnen liegt bei durchschnittlichen 75 Prozent (100 % sehr zufrieden / 0% gar nicht zufrieden). In Bezug auf das Alter, das Geschlecht, die Dienstjahre, den eigenen Familienstand und das Jugendwohlfahrtsreferat gibt es keine starken Abweichungen von den angegebenen Durchschnittswerten. Seite 83 Untersuchungsergebnisse Tabelle 6: Belastung auf Grund der Entscheidung über Fremdunterbringung Belastung auf Grund der Entscheidung über Fremdunterbringung SozialarbeiterInnen ∅ 63% LeiterInnen ∅ 44% Die Belastung auf Grund der Entscheidung über eine Fremdunterbringung geben SozialarbeiterInnen mit 63 Prozent auf einer Skala von 0 Prozent (gar nicht belastend) bis 100 Prozent (sehr belastend) an. Damit bewerten SozialarbeiterInnen die eigene Belastung höher als die LeiterInnen. Die SozialarbeiterInnen geben den Grad der Belastung mit durchschnittlich 63 Prozent an, die LeiterInnen mit 44 Prozent. Hinsichtlich der Belastung ist kein Unterschied bezüglich des Geschlechts, eigener Familie, Dienstjahre und Jugendwohlfahrtsreferat bei den SozialarbeiterInnen erkennbar. Altersspezifisch geben die Sozialarbeiter zwischen 36 und 40 Jahren an, dass sie Entscheidungen über eine Fremdunterbringung mit 80 Prozent als sehr belastend empfinden. Ebenso liegen Sozialarbeiterinnen über 50 Jahren und zwischen 30 und 35 Jahren diesbezüglich knapp über dem Durchschnittswert an Belastung. LeiterInnen, die über 10 Jahre in der Jugendwohlfahrt tätig sind, geben mit durchschnittlich 54 Prozent eine höhere Belastung an als jene, die erst kürzer in der Jugendwohlfahrt arbeiten. Eine mögliche Interpretation zu diesem Ergebnis ist, dass auf Grund der höheren Anzahl der Dienstjahre und der damit einhergehenden vermehrten Fremdunterbringungserfahrungen die Belastung der LeiterInnen steigt. 5 ReferatsleiterInnen erachten die Entscheidung mit einer Bewertung unter 30 Prozent als eher wenig belastend, 4 mit über 70 Prozent als sehr belastend. Ein/eine LeiterIn sowie ein/eine SozialarbeiterIn ergänzen, dass der Belastungsgrad je nach Fall unterschiedlich ist. Ein weiterer Leiter/eine weitere Leiterin gibt an, dass er/sie auf Grund seiner/ihrer jahrelangen Erfahrung gelernt habe, dass Fremdunterbringung auch eine Erleichterung für KlientInnen und das System sein können und mit diesem Gedanken die Entscheidung weniger belastend ist. Seite 84 Untersuchungsergebnisse Zusätzlich fügt ein/eine SozialarbeiterIn hinzu, dass der Grad der Belastung davon abhängt, ob die Fremdunterbringung mit Zustimmung der Betroffenen oder ohne deren Zustimmung erfolgte. Abbildung 29: Häufigkeit der Anwendung folgender Hilfsmittel in der Entscheidungsfindung Fallkonferenzen/-besprechungen 81 84 88 Gespräch mit KollegInnen bzw. SozialarbeiterInnen Rücksprache mit dem/der LeiterIn 0 51 52 Orientierung an anderen Fällen Persönliche Aufzeichnungen 80 65 Checklisten 48 9 Mitgliedschaft im Berufsverband oder Interessensvertretung 53 19 77 74 Leitlinien zum Kindeswohl 32 Modelle/Leitfäden zur ethischen Entscheidungsfindung 25 Einzelsupervision 50 29 Fallsupervision 64 48 68 Gruppenreflexionen/Intravision Helferkonferenz 73 70 Rechtslage, Gesetze 75 71 26 Fortbildungen im Bereich Ethik oder Entscheidugnsfindung 42 Gespräch mit Vertrauensperson zu Hause 7 Ethische Komitees zur Entscheidungsfindung 6 88 51 Bauchgefühl/Intuition Ethische Richtlinien/Standards 96 90 48 23 10 26 36 SozialarbeiterInnen LeiterInnen Diese Graphik schlüsselt die einzelnen Hilfsmittel auf, die SozialarbeiterInnen und LeiterInnen verwenden um sich im Prozess der Entscheidungsfindung sicher zu sein. Deutlich wird, dass vor allem das „Gespräch mit KollegInnen bzw. SozialarbeiterInnen“, die „Rücksprache mit dem/der LeiterIn“, „Fallkonferenzen/-besprechungen“, die „Gesetze“, sowie „persönliche Aufzeichnungen“ und die „Leitlinien zum Kindeswohl“ zu einem hohen Prozentsatz angewendet werden. Laut Angaben verschiedener SozialarbeiterInnen sollen alle dieser Punkte außer der „Orientierung an anderen Fällen“, das „Bauchgefühl“ und die „Gespräche mit Seite 85 Untersuchungsergebnisse Vertrauenspersonen zu Hause“ mehr beachtet werden. 7-mal wurde erwähnt, dass mehr Möglichkeiten zu „Fortbildungen im Bereich Ethik oder Entscheidungsfindung“ vorhanden sein sollten. Darüber hinaus wurde 6-mal von SozialarbeiterInnen erwähnt, dass „Einzelsupervision“, „Fallsupervision“ und „Checklisten“ mehr angewendet werden sollten. 3- oder 4-mal wurde erwähnt, dass „Fallkonferenzen bzw. –besprechungen“ sowie die „Leitlinien zum Kindeswohl“ und „Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung“ mehr Beachtung im Prozess der Entscheidungsfindung finden sollten. Darüber hinaus wurden 2mal „der Wunsch nach vermehrter Anwendung von ethischen Richtlinien/Standards“ sowie „ethische Komitees zur Entscheidungsfindung“, „Gruppenreflexionen“ und die „Rücksprache mit der Referatsleitung“ erwähnt. Auch laut LeiterInnen sollten „Fallkonferenzen bzw. –besprechungen“, „Checklisten“, „Modelle und Leitfäden zur ethischen Entscheidungsfindung“, „Einzelsupervision“ sowie „Fortbildungen oder Trainings im Bereich Ethik oder Entscheidungsfindung“ mehr angewendet werden bzw. zur Verfügung stehen. Dies verdeutlicht erneut den Wunsch nach mehr ethischen Orientierungshilfen für den Prozess der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung. Auf die Frage, welche der angeführten Punkte den SozialarbeiterInnen und LeiterInnen unbekannt sind, wurden von den insgesamt 43 SozialarbeiterInnen 8-mal die „Mitgliedschaft im Berufsverband oder einer anderen Interessensvertretung“, 14-mal „Fortbildungen im Bereich Ethik oder Entscheidungsfindung“, 22-mal „Modelle und Leitlinien zur ethischen Entscheidungsfindung“, 23-mal „ethische Richtlinien und Standards“ angegeben und 24-mal „ethische Komitees zur Entscheidungsfindung“. 15 SozialarbeiterInnen machten keine Angaben darüber, welche der angeführten Hilfsmittel ihnen bekannt oder unbekannt sind. Von den 9 LeiterInnen wurden 8-mal „Modelle und Leitfäden zur ethischen Entscheidungsfindung“ 5-mal „ethische Komitees zur Entscheidungsfindung“ 3-mal „ethische Richtlinien und Standards“ und einmal die „persönlichen Aufzeichnungen“ als ihnen unbekannt angegeben. Neben den angeführten Orientierungshilfen im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen gaben die SozialarbeiterInnen den „Fallverlauf“, das „fachliche Wissen aus der Sozialen Arbeit, Psychologie und Psychotherapie“, „Erfahrungswerte aus anderen Fremdunterbringungen“, „entwicklungspsychologische Gutachten“, „ärztliche Diagnosen“, „Ressourcenklärung“, „wahrscheinliche Seite 86 Untersuchungsergebnisse Zukunftsprognosen“ (z. B. worst-case-Szenarien), „systemische Ansatzpunkte“, den „natürlichen Hausverstand“, die „Kooperation der Eltern“, die „ambulante Betreuung“, „Fortschritte im Familiensystem“, „Literatur“, „gründliches Grübeln“, das „Gespräch mit betroffenen Familien selbst“, die „Miteinbeziehung von Fachleuten wie z.B. PsychologInnen von Kinderheimen“, „kindrelevantes und kindorientiertes Wissen“, „Erfahrungswerte und Feedback ehemals betroffener KlientInnen“, „Hausbesuche“, das „eigene Gefühl über das geringste Übel für das Kind“, „je nach Alter der Wunsch des Kindes selbst“, „langjährige Arbeitserfahrung“ sowie „freie Kapazitäten der Einrichtungen“ an. Die LeiterInnen erwähnen, dass sie zusätzlich den „systemischen Ansatz“, die „Qualitätsstandards“, „Direktgespräche mit KlientInnen von Seiten der SozialarbeiterInnen“ und das „Wohl des Kindes“ sowie „Fachliteratur“ als Hilfsmittel verwenden um möglichst sichere Entscheidungen über die Notwendigkeit einer Fremdunterbringung fällen zu können. Seite 87 Untersuchungsergebnisse 3 . 3. 7 A N W E N D U N G U N D B E W E R T U N G D E R M O D E L L E Z U R E T H I S C H E N ENTSCHEIDUNGSFINDUNG Dieses Kapitel befasst sich mit der Anwendung der Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung in den Tiroler Jugendwohlfahrtsreferaten und der Bewertung der Modelle durch die JugendwohlfahrtsleiterInnen und StudentInnen des Fachhochschulstudiengangs Soziale Arbeit. Die Modelle wurden bezüglich ihrer derzeitigen Anwendung und Eignung im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen beurteilt (siehe Anhang S. 117). Die Beschreibung der Modelle findet sich ausführlicher im Kapitel 2.4 „Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung“. M O D E L L 1: L E I T F A D E N Z U R E T H I S C H E N E N T S C H E I D U N G S F I N D U N G ( R E A M E R ) Abbildung 30: Einfluss des Modells 1 im Prozess der Entscheidungsfindung 1) 1 2) 1 3) 1 4a) 1 4 4b) 1 4 4c) 1 4d) 1 5) 1 6) 1 3 5 7) 1 3 5 0% 2 5 1 6 1 2 3 4 4 1 3 7 1 5 1 20% N=9 3 7 40% 60% unwichtig kaum wichtig eher wichtig sehr wichtig 80% 100% Diese Graphik lässt erkennen, dass 5) die Beratung mit KollegInnen und ExpertInnen laut LeiterInnen derzeit am meisten in die Entscheidungsfindung einfließt, gefolgt von 6) dem Treffen der Entscheidung und der Dokumentation des Entscheidungsprozesses und 7) der Seite 88 Untersuchungsergebnisse Beobachtung, Evaluierung und Dokumentation des weiteren Verlaufs. Am unwichtigsten wurde 4d) das Durchüberlegen eigener persönlicher Werte eingestuft. Ein/eine LeiterIn gab zusätzlich an, dass seiner/ihrer Meinung nach das Identifizieren ethischer Themenbereiche mehr einfließen sollte. Weiters gaben jeweils ein/eine LeiterIn an, dass ethische Theorien, Prinzipien und Leitlinien sowie persönliche Werte mehr Beachtung im Prozess der Entscheidungsfindung bedürfen. Außerdem wurde von einem Leiter/einer Leiterin ergänzt, dass das Treffen der Entscheidung und die Dokumentation über den Prozess mehr Bedeutung beigemessen werden muss. Zwei LeiterInnen meinen, dass 7) die Beobachtung, Evaluierung und Dokumentation der Entscheidung und den weiteren Verlauf mehr in die Entscheidungsfindung einfließen sollten. Ein/eine LeiterIn ergänzte darüber hinaus, dass sie die angeführten Punkte teilweise als wichtig, teilweise als ohnehin selbstverständlich erachtet. Hinsichtlich der Brauchbarkeit und Eignung dieses Modells aus Sicht der 9 LeiterInnen und 28 StudentInnen ergab sich folgendes Bild: Abbildung 31: Einschätzung der Brauchbarkeit des Modells 1 81% - 100% 61% - 80% 41% - 60% 7 1 12 2 6 4 21% - 40% 3 LeiterInnen 0% - 20% 2 N=9 StudentInnen N=28 Die StudentInnen bewerteten dieses Modell hinsichtlich der Anwendbarkeit viel höher als die LeiterInnen. Kein einziger Leiter bewertete das Modell mit über 80 Prozent, im Gegensatz zu 7 StudentInnen. 2 LeiterInnen hielten das Modell für nicht geeignet und bewerteten es mit unter 20 Prozent. Durchschnittlich bewerteten die StudentInnen das Modell mit einer Eignung von 71 Prozent, die LeiterInnen mit 40 Prozent. Seite 89 Untersuchungsergebnisse MODELL 2: VIERSTUFIGES MODELL DES ETHISCHEN ENTSCHEIDUNGSPROZESSES (GRUBER) Abbildung 32: Einfluss des Modells 2 im Prozess der Entscheidungsfindung 1 1) 2 2 2 4 4 3 3 2) 6 4 5 1 3) 8 2 7 1 4 4 4 4) 1 0% N=9 2 20% unwichtig kaum wichtig eher wichtig sehr wichtig 5 3 40% 3 60% 80% 100% Die LeiterInnen messen in der derzeitigen Entscheidungsfindung dem ersten Aspekt in Punkt 3), der Abstimmung der Entscheidung auf die Fähigkeiten, Interessen und Bedürfnisse der KlientInnen am meisten Bedeutung bei. Am zweitmeisten fließt die Überlegung des zweiten Aspekts in Punkt 3) ein, die die Frage aufwirft, ob das gewünschte Ziel durch die angewendete Methode erreicht werden kann. Am drittwichtigsten erachten die LeiterInnen den ersten Aspekt von Punkt 2), die Eignung der Mittel/Methoden zur Zielerreichung. Die geringste Beachtung findet derzeit der letzte Aspekt, die Überlegungen hinsichtlich der unangenehmen Folgewirkungen. Zwei LeiterInnen meinen diesbezüglich, dass Überlegungen dahingehend mehr in die Entscheidung über Fremdunterbringung einfließen sollten. Seite 90 Untersuchungsergebnisse Abbildung 33: Einschätzung der Brauchbarkeit des Modells 2 3 3 81% - 100% 2 61% - 80% 41% - 60% 8 1 2 21% - 40% 0% - 20% 7 8 1 LeiterInnen 2 N=9 StudentInnen N=28 Sowohl von 3 LeiterInnen als auch von 3 StudentInnen wird dieses Modell hinsichtlich der Anwendbarkeit zwischen 81 und 100 Prozent bewertet. Die Einschätzung der LeiterInnen und StudentInnen bezüglich der Anwendbarkeit des Modells ist sehr unterschiedlich und wird von „sehr geeignet“ bis „gar nicht geeignet“ angesehen. Die LeiterInnen beurteilen dieses Modell mit durchschnittlich 63 Prozent und die StudentInnen mit durchschnittlich 55 Prozent als geeignet für die Praxis. Unter den vorgestellten Modellen erscheint den LeiterInnen dieses Modell als am hilfreichsten. Seite 91 Untersuchungsergebnisse M O D E L L 3: E T H I C A L A S S E S S M E N T S C R E E N ( D O L G O F F , L O EW E N B E R G ) Abbildung 34: Einfluss des Modells 3 im Prozess der Entscheidungsfindung 1) 1 2) 2 2 4 5 1 4) 4) 1 1 5 5 1 1 5) 1 5 1 6) 1 3 2 8) 1 9) 1 0% wird ersichtlich, dass die 2 3 4 1 3 LeiterInnen unwichtig kaum wichtig 3 4 20% 1 2 4 11) Graphik 3 1 1 N=9 1 1 10) dieser 1 3) 7) In 3 40% in eher wichtig sehr wichtig 2 60% der 80% 100% derzeitigen Entscheidungsfindung über Fremdunterbringung sehr stark auf 10) die „Effektivität, die Effizienz und die Ethik der alternativen Handlungen“ achten. Am zweitmeisten Einfluss hat 6) die „Identifizierung alternativer ethischer Möglichkeiten, die am ehesten dem Individuum und der Gesellschaft gerecht werden“, gefolgt von 11) der „Identifizierung und Abwägung von kurz- und langfristigen ethischen Folgen“. Am wenigsten fließen derzeit 7) „alternative Handlungen, die gesellschaftlichen Interessen und Rechten entsprechen“ ein. Hinsichtlich dieses Modells enthielten sich zwei LeiterInnen ihrer Stimme. Ein/eine LeiterIn gab an, dass Punkt 1 bis 9 mehr Stellenwert in der Entscheidung erhalten sollten. Ein/eine LeiterIn ergänzte, dass dieses Modell seiner/ihrer Meinung nach häufig der Praxis entspricht. Ein weiterer Leiter/eine weitere Leiterin fügte hinzu, dass all diese Punkte in allen anderen Bereichen der sozialen Arbeit genauso zu beachten sind, nicht nur bei der Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen. Seite 92 Untersuchungsergebnisse Abbildung 35: Einschätzung der Brauchbarkeit des Modells 3 81% - 100% 2 3 61% - 80% 4 2 41% - 60% 21% - 40% 12 1 0% - 20% 8 2 2 LeiterInnen N=8 StudentInnen N=28 Dieses Modell wird von nur von 2 StudentInnen mit zwischen 81 und 100 Prozent hinsichtlich der Anwendbarkeit in der Praxis bewertet. Der Großteil der StudentInnen bewertet das Modell mit zwischen 41 und 60 Prozent, der Großteil der LeiterInnen mit zwischen 61 und 80 Prozent als geeignet. Ein/eine LeiterIn machte zu diesem Modell keine Angaben. Bezüglich der Anwendbarkeit wird dieses Modell sowohl von den LeiterInnen als auch von den StudentInnen mit durchschnittlich 50 Prozent bewertet. M O D E L L 4: E T H I C A L P R I N C I P L E S C R E E N (D O L G O F F , L O EW E N B E R G ) Abbildung 36: Rangordnung der ethischen Prinzipien aus Sicht der StudentInnen und LeiterInnen im Vergleich zum „Ethical Principle Screen“ von Dolgoff und Loewenberg StudentInnen LeiterInnen Dolgoff und Loewenberg Sicherung/Schutz des Lebens Gleichberechtigung für alle und Recht auf Individualität Selbstbestimmung und Freiheit geringster Schaden Qualität für das Leben Privatsphäre und Verschwiegenheitspflicht Aufrichtigkeit und Transparenz Sowohl StudentInnen als auch LeiterInnen beurteilen ebenso wie Dolgoff und Loewenberg in ihrem „ethical principle screen“ die Sicherung bzw. den Schutz des Lebens an erster Stelle. Bezüglich aller weiteren Werte unterscheidet sich die Rangordnung zwischen StudentInnen und LeiterInnen deutlich und weicht stark von der Pyramide Dolgoffs und Loewenbergs ab. Seite 93 Untersuchungsergebnisse Abbildung 37: Einschätzung der Brauchbarkeit des Modells 4 81% - 100% 61% - 80% 1 4 1 10 2 41% - 60% 7 2 21% - 40% 5 3 0% - 20% 2 LeiterInnen N=9 StudentInnen N=28 14 StudentInnen beurteilen Modell 4 hinsichtlich der Eignung zwischen 61 Prozent und 100 Prozent. Die LeiterInnen bewerten es jedoch deutlich niedriger. Dieses Modell wird in Bezug auf die Anwendbarkeit von den LeiterInnen mit durchschnittlichen 44 Prozent, von den SozialarbeiterInnen mit durchschnittlich 60 Prozent bewertet. 3 . 3. 8 Z U S AM M E N F AS S U N G D E R U N T E R S U C H U N G S E R G E B N I S S E In diesem Kapitel wurden die Meinungen der SozialarbeiterInnen und LeiterInnen zu ethischen Aspekten, Werthaltungen, Dilemmata, Theorien und Richtlinien sowie zum Prozess der Entscheidungsfindung und zur Bewertung vorgestellter Modelle ausgewertet und miteinander verglichen. Zusätzlich wurde in den Vergleich der Anwendbarkeit von Modellen zur ethischen Entscheidungsfindung die Meinung von StudentInnen des Fachhochschulstudiengangs Soziale Arbeit herangezogen. Die in Punkt 3.1. angegebenen Hypothesen können durch die Auswertung verifiziert werden. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Erhebung kurz zusammengefasst. Aspekte wie die „Gefahr für das Kind in der momentanen Situation“, „bisherige Erfahrungen“ sowie der ethische Aspekt der „erwartete positive Handlungsfolgen“ fließen sehr stark in die Entscheidungsfindung ein. Eigenschaften wie „Objektivität“, „Gewissenhaftigkeit“ und „Selbstreflexion“ werden für den Prozess der Entscheidungsfindung als am wichtigsten erachtet. Ebenso wird der Großteil der zur Auswahl stehenden Eigenschaften mit einem eher hohen Prozentsatz bewertet. Hinsichtlich des Einflusses verschiedener Wertekategorien wurden die professionellen Werte wichtiger erachtet als individuelle, gesellschaftliche und gruppenspezifische Werte. Seite 94 Untersuchungsergebnisse Die SozialarbeiterInnen sehen sich bei der Entscheidungsfindung über eine Fremdunterbringung häufig mit verschiedensten Dilemmata konfrontiert. Im Hinblick auf das Abwägen der Wünsche und die Erwartungen des Individuums und der Gesellschaft, sehen sich die SozialarbeiterInnen eher dem Individuum gegenüber verpflichtet. Die LeiterInnen sehen sich häufig mit dem Spannungsfeld zwischen der wünschenswerten, idealen Lösung und den limitierten, möglichen Ressourcen bei Entscheidungen über Fremdunterbringung in ihrer Jugendwohlfahrt konfrontiert. Die Entscheidungen über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen werden ca. zur Hälfte durch limitierte Ressourcen beeinflusst. Bezüglich des Spannungsfelds zwischen Recht und Ethik glauben die meisten SozialarbeiterInnen, dass Recht und Ethik nebeneinander existieren können bzw. sich ergänzen. In der Auswertung wird deutlich, dass die Ausrichtung an der sozialen Gerechtigkeit und die paternalistische Ausrichtung einen größeren Einfluss als die verteidigende und religiöse Ausrichtung haben. Besonders häufig sind die teleologische Theorie sowie die objektiv sachliche Ausrichtung unter den SozialarbeiterInnen vertreten. In 8 Jugendwohlfahrtsreferaten existiert kein ethischer Leitfaden zur Entscheidungsfindung Ein/eine LeiterIn gibt jedoch an, einen solchen Leitfaden zu verwenden. Ca. die Hälfte der LeiterInnen hat im Gegensatz zu den SozialarbeiterInnen bereits von ethischen Richtlinien und Modellen zur ethischen Entscheidungsfindung gehört. Einige SozialarbeiterInnen äußern den Wunsch nach mehr ethischen Orientierungshilfen wie z. B. durch ethische Richtlinien, Modelle, Entscheidungskomitees und Fortbildungen im Bereich Ethik oder Entscheidungsfindung. Hinsichtlich der Besprechungen in den Jugendwohlfahrtsreferaten wird deutlich, dass nicht alle Referate in gleicher Häufigkeit Besprechungen abhalten. Team-Meetings sowie Fallbesprechungen mit allen oder dem Großteil der SozialarbeiterInnen finden nicht in allen Referaten wöchentlich statt. Große Schwankungen in der Häufigkeit gibt es auch in Bezug auf die Supervision. HelferInnenkonferenzen und Einzelbesprechungen finden bei gegebenem Anlass statt. Bezüglich wichtiger Schritte im Prozess der Entscheidungsfindung werden sowohl die „Abklärung der unbedingten Notwendigkeit der Fremdunterbringung“, die „Risikoeinschätzung“ und die „Suche und Auswahl der stationären Hilfe zur Erziehung“ an den ersten Stellen genannt. Deutlich ersichtlich wurde in der gesamten Auswertung, dass ethische Aspekte in einem unterschiedlichen Ausmaß in den Prozess der Entscheidungsfindung in den neun Referaten einfließen. Seite 95 Untersuchungsergebnisse Personenspezifische Unterschiede, die durch Merkmale wie Alter, Geschlecht, eigene Erfahrungen, Dienstjahre, eigener Familienstand etc. geprägt sind, spielen dabei eine wesentliche Rolle. Die Auswertung ergibt, dass sich die LeiterInnen dieser Unterschiede bewusst sind. Hinsichtlich der grundsätzlichen Ausrichtung der SozialarbeiterInnen werden sehr unterschiedliche Ansichten vertreten. Knapp über die Hälfte gibt an, dass ein Kind so lange es geht zu Hause untergebracht bleiben sollte. Am meisten orientieren sich die Sozialarbeiterinnen bei der Entscheidungsfindung an den Interessen des Kindes, der Mutter und des Vaters. An vierter Stelle wird die Schule genannt. In Bezug auf den Einfluss, der den SozialarbeiterInnen und der betroffenen Partei zukommt, waren sich die LeiterInnen und SozialarbeiterInnen nicht einig. Ebenso wurden von SozialarbeiterInnen und LeiterInnen unterschiedliche Angaben hinsichtlich der Verantwortung im Prozess der Entscheidungsfindung genannt. Deutlich wurde, dass die SozialarbeiterInnen sowohl laut ihren Angaben als auch nach Angaben der LeiterInnen mit dem Ausmaß ihres Einflusses zufrieden sind und es kaum zu Meinungsverschiedenheiten kommt. Die Entscheidung über Fremdunterbringung wird von den SozialarbeiterInnen belastender als von den LeiterInnen empfunden. Bezüglich der Hilfsmechanismen machen die SozialarbeiterInnen am meisten von der „Rücksprache mit der/m JugendwohlfahrtsleiterIn“, „Gespräche mit KollegInnen“, „Rechtslage und Gesetzen“, „Fallkonferenzen/-besprechungen“ sowie den „Leitlinien zum Kindeswohl“ und „persönliche Aufzeichnungen“ Gebrauch. „Ethische Komitees zur Entscheidungsfindung bei schwierigen Fällen“ sowie „ethische Richtlinien/Standards“ sind den SozialarbeiterInnen kaum bekannt und haben wenig bis gar keinen Einfluss in ihren Entscheidungen. Die SozialarbeiterInnen äußern aber den Wunsch danach, mehr über ethische Richtlinien, Modelle, Komitees als Ausgangspunkt für die ethische Entscheidungsfindung zu erfahren. Einzelne Aspekte der Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung werden von den LeiterInnen in der momentanen Situation als wichtig erachtet und fließen bereits in die derzeitige Arbeit ein. Die Modelle wurden von den StudentInnen und den LeiterInnen sehr unterschiedlich bewertet. Auf Grund der gewonnen Ergebnisse lässt sich darauf schließen, dass die SozialarbeiterInnen und LeiterInnen hinsichtlich ethischer Aspekte für den Prozess der Entscheidungsfindung sehr offen sind und großteils den Wunsch nach mehr Wissen in diesem Bereich äußern. Seite 96 Zusammenfassung und Ausblick 4 Z U S AM M E NF AS S UN G UND AU S B L I C K Ethik als Bezugswissenschaft der Sozialen Arbeit spielt im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen in der Jugendwohlfahrt eine wesentliche Rolle. Die in der Tiroler Jugendwohlfahrt tätigen SozialarbeiterInnen werden bei derartigen Entscheidungen mit verschiedensten ethischen Dilemmata und Wertekonflikten konfrontiert, auf die es auch aus ethischer Perspektive keine eindeutig „richtige“ oder „falsche“ Antwort gibt. Um diese Dilemmata auf professionelle Weise begegnen und die bestmögliche Entscheidung für das jeweilige Kind/den jeweiligen Jugendlichen treffen zu können, bedarf es einer bewussten und intensiven Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Dilemma. Dabei können ethische Aspekte, Richtlinien, Modelle sowie professionelle Werte eine wichtige Orientierungshilfe darstellen, die SozialarbeiterInnen helfen, verschiedene Perspektiven, Theorien und Ausrichtungen in ihre Überlegungen mit einzubeziehen um so ein möglichst vollständiges Bild sowie mehr Sicherheit und Klarheit zu bekommen und die eigenen Haltungen gründlich zu reflektieren. Ethikkodizes versuchen anhand von klar definierten ethischen Prinzipien und Standards SozialarbeiterInnen zu bewussten ethischen Entscheidungen zu befähigen. Entscheidungen über eine Fremdunterbringung sind in jedem Fall drastische Schritte, die massive Auswirkungen nach sich ziehen und daher ein gründliches Überlegen erfordern. Deshalb ist das Bewusstsein über Ethik als Basis der Sozialen Arbeit und die Auseinandersetzung mit ethischen Aspekten insbesondere auch bei so schwerwiegenden Entscheidungen wie der einer Fremdunterbringung eine wichtige Voraussetzung. SozialarbeiterInnen sind in der Entscheidungsfindung mit vielen schwierigen Fragen rund um die Thematik, ob das Kind/der Jugendliche so schnell als möglich aus der Gefahrenzone zu bringen ist, oder ob es die Situation noch zulässt das Kind in der Familie zu belassen, konfrontiert. Welche dieser Alternativen das gelindeste noch zum Ziel führende Mittel darstellt, ist in den meisten Fällen schwer zu entscheiden. Der Kinderpsychiater Ernst Berger, der am 09.11.2007 in der „Zeit im Bild 2“ zum Fall „Luca“ (siehe Einleitung, S. 2) seine Meinung äußerte, meint bezüglich der Entscheidung für oder gegen eine Fremdunterbringung Folgendes: „Jetzt im Nachhinein ist diese Frage wohl ganz eindeutig zu beantworten: Jetzt sind wir alle klüger - natürlich war das letztlich eine Entscheidung, die nicht ganz korrekt Seite 97 Zusammenfassung und Ausblick zum richtigen Zeitpunkt getroffen wurde, aber man muss schon sagen, dass in solchen Situationen die Entscheidungen im Detail von Vornherein sehr, sehr schwierige und sehr komplexe Entscheidungen sind und im Nachhinein schaut’s oft leichter aus.“ Um ein strukturiertes einheitliches Vorgehen und das Miteinbeziehen verschiedenster Aspekte zu sichern wurden in einigen Bundesländern Qualitätsstandards, Checklisten und Leitlinien entwickelt. Diese sollen als Hilfsmittel im Abklärungsprozess verwendet werden und dienen der Sicherung des Kindeswohls bzw. dem Schutz ohne Risiko für Kinder und Jugendliche. Rechtstexte des Jugendwohlfahrtsgesetzes, des Tiroler Jugendwohlfahrtsgesetzes und des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches sowie auch die in der UN-Kinderrechtskonvention festgehaltenen Kinderrechte legen die Rahmenbedingungen für den Prozess der Entscheidungsfindung fest. Fremdunterbringung bedeutet für das Kind/den Jugendlichen und seine Familie immer einen massiven Eingriff in deren Privatleben. Jede Fremdunterbringung stellt daher für das Kind eine Krise dar mit einem erhöhten Risiko möglicher negativer Nebenwirkungen. Eine Fremdunterbringung kann aber auch im besten Fall zu einer Chance für neue Erfahrungen der Bindungssicherheit werden und eine Möglichkeit, einen neuen Lebenszusammenhang zu finden, darstellen. Diese Diplomarbeit zeigt auf, dass ethische Richtlinien SozialarbeiterInnen in diesem schwierigen Entscheidungsprozess unterstützen und ihnen als Hilfsmittel dienen können. Neben den von LeiterInnen empfohlenen Tipps der vermehrten Präventionsarbeit, der verbesserten Gesamtplanung von Seiten der Fachabteilung, der engen Vernetzung mit allen beteiligten Einrichtungen sowie vermehrten Einzel- und Fallsupervisionen, als auch Gruppenreflexionen und HelferInnenkonferenzen möchte ich vor allem die stärkere Bedachtnahme auf ethische Aspekte im Prozess der Entscheidungsfindung als wichtige Orientierungshilfe herausstreichen. Auch von Seiten der SozialarbeiterInnen und LeiterInnen wurde der Wunsch nach mehr ethischem Wissen, das den Prozess der Entscheidungsfindung unterstützen kann, laut (siehe Kap. 3.3.6, S. 85, 86). Zusätzlich soll meine Diplomarbeit verdeutlichen, dass in anderen Ländern wie Amerika, Kanada, Australien, Großbritannien etc. bereits die Bedeutung der Ethik für die Soziale Arbeit und insbesondere auch für den Prozess der Entscheidungsfindung erkannt wurde. Aus diesem Grund existieren in den genannten Ländern ausführliche Codes of Ethics und Seite 98 Zusammenfassung und Ausblick Modelle zur ethischen Entscheidungsfindung, die die Qualität des Entscheidungsprozesses sichern sollen. Obgleich nicht alle ethischen Standards dieser Länder per se auch für Österreich als adäquat und nützlich erachtet werden können, möchte ich doch dafür appellieren, den Ethikkodex von Österreich ausführlicher zu gestalten und mehr Aspekte, die für den Prozess der Entscheidungsfindung wichtig sind, dort zu verankern und festzuhalten. Wie in meiner Diplomarbeit ersichtlich wurde, gibt es in Tirol bei Fremdunterbringungen sehr große Unterschiede hinsichtlich des Alters, des Geschlechts, eigenen Familienstands, der Dienstjahre und des jeweiligen Jugendwohlfahrtsreferats. Auch wenn die letztendliche Entscheidung vom Gericht getroffen wird und in sehr schwierigen Fällen zusätzliche Gutachten der Entscheidung zugrunde liegen, soll trotzdem auch von Seiten der Jugendwohlfahrt sichergestellt sein, dass die Entscheidung, die von ihrer Seite aus vorgeschlagen wird, nicht von der jeweiligen entscheidenden Person abhängt. Ethische Standards, Richtlinien und Modelle dienen dazu, die Berücksichtigung verschiedenster ethischer Theorien und somit vielseitige Perspektiven im Prozess der Entscheidungsfindung zu garantieren. Von vielen SozialarbeiterInnen wurde betont, dass die jeweilige Entscheidung immer vom spezifischen Fall abhängig ist. Jeden Fall aufs Neue in seiner Individualität zu bewerten und zu beurteilen ist ein sehr wichtiger Prozess, der durch ethische Aspekte, Standards, Richtlinien und Modelle jedoch nicht eingeschränkt wird. Im Gegenteil können gerade diese als Unterstützung in der individuellen Beurteilung des jeweiligen Falles aus ethischer Sicht dienlich sein. Ethische Richtlinien und Modelle stellen kein allgemein anwendbares Patentrezept für alle Entscheidungen für oder gegen eine Fremdunterbringung dar. Dies ist auch nicht die Absicht der beschriebenen Theorien und Modelle. Sie stellen lediglich eine Unterstützung dar, die die Überlegungen der SozialarbeiterInnen im Prozess der Entscheidungsfindung in verschiedenste Richtungen lenken soll und somit sicherstellt, dass vielseitige ethische Aspekte berücksichtigt werden. Sie sollen den SozialarbeiterInnen helfen das Für und Wider aus ethischer Perspektive abzuwägen. Die Entscheidung selbst ist immer auf den spezifischen konkreten Einzelfall ausgerichtet, auch wenn ethische Richtlinien angewendet wurden. Im Rahmen meiner Diplomarbeit konzentrierte ich mich auf die Erhebung der Ist-Situation des momentanen Entscheidungsprozesses bei Fremdunterbringungen in der Jugendwohlfahrt Tirol und des Bedarfs an ethischen Orientierungshilfen von Seiten der SozialSeite 99 Zusammenfassung und Ausblick arbeiterInnen. Da der Umfang und der zeitliche Rahmen der Diplomarbeit beschränkt sind, war es mir unmöglich konkrete Ideen und Entwürfe für ein Modell der ethischen Entscheidungsfindung über Fremdunterbringungen von Kindern und Jugendlichen in der Tiroler Jugendwohlfahrt zu entwickeln, da dies eines großen zusätzlichen Zeitaufwands und weiterer Forschungsschritte bedürfen würde. Nichtsdestotrotz erachte ich diesen Schritt als sehr hilfreich und notwendig für den gesamten Prozess der Entscheidungsfindung über Fremdunterbringungen. Die SozialarbeiterInnen hinsichtlich des Einflusses der Ethik in ihren derzeitigen Entscheidungsprozessen zu befragen, stellte sich dahingehend als schwierig heraus, dass Ethik ein sehr weiter Begriff ist, der je nach SozialarbeiterIn unterschiedliche konnotiert ist. Eine zusätzliche Schwierigkeit ergibt sich dadurch, dass nicht alle SozialarbeiterInnen die gleichen Vorstellungen von diesem Begriff haben. In meinem Fragebogen versuchte ich daher viele verschiedene Aspekte der Ethik, die in der Theorie häufig mit vielen Fremdwörtern und komplizierten Sätzen beschrieben sind, in einfacheren Worten wiederzugeben um, so möglichst viele Facetten einzufangen. Auf diesem Weg erhoffte ich mir ein eher der Realität entsprechendes Bild über den Einfluss der Ethik im Prozess der Entscheidungsfindung zu erlangen als durch die allgemeine Frage: „Welche Bedeutung hat Ethik im Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen in Ihrer Jugendwohlfahrt?“. Diese Frage würde sehr von der Interpretation des Begriffs Ethik des jeweiligen Sozialarbeiters/der jeweiligen Sozialarbeiterin abhängen. Obgleich ich persönlich auf Grund meiner bisherigen Erfahrungen die Qualität der Arbeit in den Jugendwohlfahrtsreferaten Tirol als sehr hoch erachte, wäre es meiner Meinung nach trotzdem wichtig, dass ethische Aspekte stärker in den Prozess der Entscheidungsfindung über die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen einfließen. Ein ausführlicherer Ethikkodex der Sozialen Arbeit in Österreich und insbesondere Modelle der ethischen Entscheidungsfindung könnten eine Grundlage und geeignete Orientierungshilfe für die Entscheidungen über Fremdunterbringungen von Kindern und Jugendlichen in der Jugendwohlfahrt darstellen. Ein qualitativer und einheitlicher ethischer Entscheidungsprozess über Fremdunterbringungen sollte als Basis für die Sicherung des Kindeswohls zum Standard werden. Seite 100 Literaturverzeichnis LITERATURVERZEICHNIS – AASW: AASW Code of Ethics. Kingston: Australian Association of Social Workers (AASW) 1999. – Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) BGBl. I Nr. 135/2000. Online im Internet: http://www.ris2.bka.gv.at/Bundesrecht/. 13.02.2008. – Amt der burgenländischen Landesregierung (Hrsg.): Leitlinien zum Kindeswohl - Ziele und Gefährdung. Ergebnisse von Expertengesprächen. Eisenstadt: Abteilung VI Hauptreferat Sozialwesen 1998. – Amt der Tiroler Landesregierung (Hrsg.): Landesbudget 2007. 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Seite 104 Anhang ANHANG Ethische Standards und Berufspflichten des OBDS ..................................................106 Ethikkodex der IFSW.................................................................................................108 Fragebogen für die JugendwohlfahrtsleiterInnen.......................................................113 Fragebogen an die SozialarbeiterInnen der Jugendwohlfahrt....................................120 Seite 105 Anhang ETHISCHE STANDARDS UND BERUFSPFLICHTEN DES OBDS Ethische Standards – Berufspflichten für SozialarbeiterInnen Generalversammlungsbeschluss des OBDS 17.10.2004 in Salzburg 1. SozialarbeiterInnen*) sind den Menschenrechten**) verpflichtet. Aufträge, die den Menschenrechten widersprechen, werden zurückgewiesen. 2. Die Leistungen der professionellen Sozialarbeit richten sich grundsätzlich an jede/n InteressentIn, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Familienstand, Religion, ethnischer Zugehörigkeit, politischer Überzeugung, sexueller Orientierung oder körperlicher, geistiger oder psychischer Behinderung. 3. SozialarbeiterInnen gehen auf die Ziele der Betroffenen ein. Sie respektieren und fördern deren Selbstbestimmung. Ihre Hilfeleistung baut auf den Ressourcen der KlientInnen auf. Sie endet in der Regel, sobald der/die KlientIn sich ausreichend selber helfen kann, beziehungsweise wenn die professionelle Hilfe aus fachlicher Sicht nicht mehr nötig erscheint; wenn es der/die KlientIn wünscht und/oder es die gesetzlichen Regelungen vorsehen. Wenn die Hilfeleistung aus Mangel an geeigneten Ressourcen eingeschränkt oder beendet werden muss, setzen sich SozialarbeiterInnen für die Erschließung alternativer Mittel ein. 4. SozialarbeiterInnen informieren ihre KlientInnen über Art, Umfang, Möglichkeiten und Konsequenzen, sowie absehbare unerwünschte Folgen der ins Auge gefassten Hilfeleistung. Während des Beratungsprozesses geben sie über mögliche Alternativen Auskunft. 5. Im Betreuungsprozess bemühen sich die SozialarbeiterInnen laufend um ein Höchstmaß an Transparenz gegenüber den KlientInnen. 6. SozialarbeiterInnen achten die Privatsphäre der KlientInnen. Sie erheben und dokumentieren nur jene Informationen, die für die Hilfeleistung notwendig sind. 7. Für alle Sachverhalte, die im Rahmen der Leistungen der professionellen Sozialarbeit bekannt werden, gilt grundsätzlich Verschwiegenheitspflicht. Ein Austausch der Informationen mit beteiligten Institutionen im privaten oder öffentlichen Bereich oder mit am Hilfeprozess beteiligten Personen ist nur erlaubt mit Zustimmung des/der KlientIn, wenn es die Hilfeleistung erfordert (und der/die KlientIn durch das Ersuchen um Hilfe dem Informationsaustausch indirekt zustimmt), oder wenn es die gesetzlichen Regelungen vorsehen. Die SozialarbeiterInnen bemühen sich um eine Befreiung von der Pflicht zur Zeugenaussage bei Gericht, sofern dadurch nicht Seite 106 Anhang wesentliche Interessen Beteiligter oder Dritter ernstlich gefährdet sind. Jedenfalls sind die KlientInnen über eine Weitergabe von personenbezogenen Daten zu informieren. 8. SozialarbeiterInnen dokumentieren und evaluieren die einzelnen Arbeitsschritte in geeigneter Form unter Einhaltung der geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen. 9. KlientInnen haben das Recht, in die sie betreffende Dokumentation Einsicht zu nehmen, soweit es durch die Vorschriften des Dienstgebers oder die Gesetze nicht anders vorgesehen ist, bzw. die berechtigten Interessen beteiligter Dritter dem nicht entgegenstehen. 10. SozialarbeiterInnen treffen ihre fallbezogenen Entscheidungen nach sorgfältiger Abwägung aller Informationen, sowie nach den Regeln der Profession und unter Berücksichtigung der KlientInnenrechte**). Sie informieren sich laufend über den aktuellen Wissensstand der Sozialarbeitswissenschaften in ihrem Arbeitsfeld. 11. SozialarbeiterInnen arbeiten interdisziplinär in Kooperation mit anderen Professionen sowie mit allen Personen und Institutionen, die für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der KlientInnen einen Beitrag leisten können. 12. Den KlientInnen werden die nötigen Informationen für eine allfällige Beschwerdeführung zur Verfügung gestellt. 13. Das berufliche Verhältnis zum/r KlientIn darf keinesfalls für die eigenen Interessen politischer, sexueller, religiöser, sozialer oder wirtschaftlicher Art missbraucht werden. 14. Für professionelle Sozialarbeit sind qualitätssichernde Rahmenbedingungen notwendig. Die SozialarbeiterInnen leisten qualitätsvolle Arbeit und unterstützen sinnvolle Maßnahmen zur Qualitätssicherung und zur Sicherung der psychischen Gesundheit der beruflichen HelferInnen. Reflexion, Intravision, Supervision und Weiterbildung sind verbindliche Bestandteile professioneller Praxis. *) Der Begriff SozialarbeiterIn umfasst die Ausbildungstitel Dipl.SozialarbeiterIn und Mag. FH (mit dem Ausbildungsschwerpunkt Sozialarbeit) **) Menschen- und KlientInnenrechte werden unter anderem in folgenden internationalen Dokumenten formuliert: Universal Declaration of Human Rights The International Covenant on Civil and Political Rights The International Covenant on Economic Social and Civil Rights The Convention on the Elimination of all Forms of Racial Discrimination The Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination against Women The Convention on the Rights of the Child Indigenous and Tribal Peoples Convention (ILO convention 169) Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft Seite 107 Anhang ETHIKKODEX DER IFSW Ethik in der Sozialen Arbeit – Darstellung der Prinzipien 1. Vorwort Ethisches Bewusstsein ist ein grundlegender Teil der beruflichen Praxis jeder Sozialarbeiterin und jedes Sozialarbeiters. Ihre Fähigkeit und Verpflichtung, ethisch zu handeln, ist ein wesentlicher Aspekt der Qualität der Dienstleistung, die jenen angeboten wird, die sozialarbeiterische Dienste in Anspruch nehmen. Der Zweck der Tätigkeit der IASSW und IFSW im Feld der Ethik ist es, ethische Diskussionen und Reflexionen in den Mitgliedsverbänden, unter den Anbietern Sozialer Arbeit in den Mitgliedsländern, in den Ausbildungsstätten sowie unter den Studierenden der Sozialen Arbeit zu fördern. Einige ethische Herausforderungen und Probleme, denen Sozialarbeiter/-innen begegnen, sind spezifisch für einzelne Länder, andere sind allgemein. Dadurch dass diese gemeinsame Stellungnahme von IASSW und IFSW auf der Ebene allgemeiner Prinzipien bleibt, möchte sie Sozialarbeiter/-innen in aller Welt ermutigen, ihnen begegnende Herausforderungen und Dilemmata zu reflektieren und ethisch informierte Entscheidungen darüber zu treffen, wie sie in jedem einzelnen Fall handeln sollen. Einige dieser Problembereiche beinhalten: die Tatsache, dass die Loyalität der Sozialarbeiter/-innen oft inmitten widerstreitender Interessen liegt die Tatsache, dass Sozialarbeiter/-innen einerseits die Rolle des Helfers und andererseits die des Kontrolleurs ausfüllen den Konflikt zwischen der Pflicht der Sozialarbeiter/-innen, die Interessen der Menschen, mit denen sie arbeiten, zu schützen, und den gesellschaftlichen Erfordernissen von Effizienz und Nützlichkeit die Tatsache, dass die Ressourcen der Gesellschaft begrenzt sind. Ausgangspunkt dieses Dokuments ist die Definition Sozialer Arbeit, die von der IFSW und IASSW auf ihren jeweiligen Generalversammlungen im Juli 2000 in Montreal, Kanada, angenommen und dann in Kopenhagen im Mai 2001 als gemeinsame Definition beschlossen wurde (Kapitel 2). Sie betont die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit. Das nächste Kapitel (3) verweist auf verschiedene Menschenrechtserklärungen und -übereinkommen, die für die Soziale Arbeit relevant sind, Seite 108 Anhang gefolgt von der Darstellung der allgemeinen ethischen Prinzipien unter den beiden weiten Überschriften Menschenrechte und Menschenwürde sowie Soziale Gerechtigkeit (Kapitel 4). Das letzte Kapitel stellt einige grundlegende Orientierungen für ethisches Verhalten in der Sozialen Arbeit vor, von denen erwartet wird, dass sie von den EthikKomitees der Mitgliedsverbände der IFSW und IASSW in ihren ethischen Kodizes und Richtlinien ausgearbeitet werden. 2. Definition Sozialer Arbeit Die Profession Sozialer Arbeit setzt sich ein für sozialen Wandel, die Lösung von Problemen in menschlichen Beziehungen sowie die Befähigung und Befreiung von Menschen mit dem Ziel, das Wohlergehen zu fördern. Gestützt auf Theorien menschlichen Verhaltens und sozialer Systeme interveniert Soziale Arbeit an den Stellen, wo Menschen mit ihrer Umwelt in Wechselwirkung stehen. Die Grundlagen von Menschenrechten sozialer Gerechtigkeit sind für die Soziale Arbeit wesentlich. 3. Internationale Übereinkommen Internationale Menschenrechtserklärungen und -übereinkommen bilden allgemeine Zielmaßstäbe und anerkennen Rechte, welche von der weltweiten Gemeinschaft akzeptiert werden. Für die Soziale Arbeit besonders relevante Dokumente sind: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Übereinkommen über die Rechte des Kindes Übereinkommen betreffend die Ureinwohner und Stammesvölker (ILO- Übereink.169) 4. Prinzipien 4.1. Menschenrechte und Menschenwürde Soziale Arbeit basiert auf der Achtung des innewohnenden Wertes und der Würde aller Menschen und den Rechten, welche daraus folgen. Sozialarbeiter/-innen sollen die körperliche, psychische, emotionale und spirituelle Integrität und das Wohlbefinden jeder Person wahren und verteidigen. Das heißt: 1) Das Recht auf Selbstbestimmung achten- Sozialarbeiter/innen sollten das Recht der Menschen achten und fördern, eigene Wahl und Entscheidungen zu treffen, Seite 109 Anhang ungeachtet ihrer Werte und Lebensentscheidung, vorausgesetzt, das dadurch nicht die Rechte und legitimen Interessen eines anderen gefährdet werden. 2) Das Recht auf Beteiligung fördern- Sozialarbeiter/innen sollten das volle Einbeziehen und die Teilnahme der Menschen, die ihre Dienste nutzen fördern, so dass sie gestärkt werden können in allen Aspekten von Entscheidungen und Handlungen, die ihr Leben betreffen. 3) Jede Person ganzheitlich behandeln- Sozialarbeiter/innen sollten sich mit der Person als Ganzes innerhalb der Familie, der Gemeinschaft, sowie der sozialen und natürlichen Umwelt beschäftigen, und sollten darauf bedacht sein, alle Aspekte des Lebens einer Person wahrzunehmen. 4) Stärken erkennen und entwickeln- Sozialarbeiter/innen sollten den Schwerpunkt auf die Stärken des Einzelnen, der Gruppen und der Gemeinschaften richten um dadurch ihre Stärkung weiter zu fördern 4.2 Soziale Gerechtigkeit Sozialarbeiter/innen haben eine Verpflichtung, soziale Gerechtigkeit zu fördern in Bezug auf die Gesellschaft im Allgemeinen und in Bezug auf die Person mit der sie arbeiten. Das heißt: 1) Negativer Diskriminierung entgegentreten(1)- Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, negativer Diskriminierung auf Grund von Merkmalen wie Fähigkeiten, Alter, Kultur, Geschlecht, Familienstand, sozioökonomischem Status, politischer Überzeugung, Hautfarbe, Rasse oder anderer körperlicher Gegebenheiten, sexueller Orientierung, oder spiritueller Überzeugung entgegenzutreten. 2) Verschiedenheit anerkennen- Sozialarbeiter/innen sollten die ethnischen und kulturellen Unterschiede von Gesellschaften in denen sie arbeiten anerkennen und respektieren und die Unterschiede von Einzelnen, Gruppen und Gemeinschaften beachten. 3) Gerechte Verteilung der Mittel-Sozialarbeiter/innen sollten sicherstellen, dass die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel gerecht- gemäß den Bedürfnissen verteilt werden 4) Ungerechte Politische Entscheidungen und Praktiken zurückweisen- Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, ihre Arbeitgeber, Gesetzgeber, Politiker und die Allgemeinheit darauf aufmerksam zu machen, wo Mittel unzulänglich sind oder wo die Seite 110 Anhang Verteilung von Mitteln durch Verordnungen und Praxis unterdrückerisch, ungerecht oder schädlich ist. 5) Solidarisch arbeiten- Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, sozialen Bedingungen entgegen zu treten, die zu sozialem Ausschluss, Stigmatisierung oder Unterdrückung führen. Sie sollen auf eine einbeziehende Gesellschaft hinarbeiten. 5. Berufliches Verhalten Die Mitgliedsverbände des IFSW und IASSW sind verpflichtet, ihre eigenen Ethik Kodizes und ethischen Richtlinien im Einklang mit der Stellungnahme von IFSW und IASSW weiterzuentwickeln, und auf den neuesten Stand zu bringen. Es ist auch Pflicht der Mitgliedsorganisationen die Sozialarbeiter/innen und die Schulen für soziale Arbeit über diese Kodizes und Richtlinien zu informieren. Sozialarbeiter/innen sollten in Übereinstimmung mit dem in ihrem Land aktuell geltenden ethischen Kodex oder Richtlinien handeln. Diese werden im Allgemeinen detailliertere Anleitungen der ethischen Praxis abgestimmt auf den nationalen Kontext enthalten. Es gelten die folgenden allgemeinen Richtlinien für berufliches Handeln: 1) Es wird von Sozialarbeitern/innen erwartet, dass sie die erforderliche Fertigkeiten und Fähigkeiten, um ihre Arbeit ausüben zu können, weiterentwickeln und aufrechterhalten. 2) Sozialarbeiter/innen sollten nicht zulassen, dass ihre Fertigkeiten für inhumane Zwecke missbraucht werden, wie Folter und Terrorismus 3) Sozialarbeiter/innen sollten redlich handeln. Dies beinhaltet, keinen Missbrauch der Vertrauensbeziehung der Menschen, die ihre Dienste nutzen. Anerkennung der Grenzen zwischen privatem und beruflichem Leben, keine Ausnutzung der Stellung zu persönlichem Vorteil oder Gewinn. 4) Sozialarbeiter/innen sollten die Menschen, die die Dienste nutzen, mit Mitgefühl, Einfühlungsvermögen und Achtsamkeit behandeln. 5) Sozialarbeiter/innen sollten die Bedürfnisse und Interessen der Menschen, die die Dienste nutzen, nicht ihren eigenen Bedürfnissen und Interessen unterordnen. 6) Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, notwendige Schritte zu unternehmen, um am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft beruflich und privat für sich selbst Sorge zutragen, um sicherzustellen, dass sie angemessene Dienstleistungen erbringen können. Seite 111 Anhang 7) Sozialarbeiter/innen sollten die Vertraulichkeit von Informationen der Menschen, die ihre Dienste nutzen, gewährleisten. Ausnahmen dürfen nur durch höhere ethische Erfordernisse gerechtfertigt sein. (wie etwa der Schutz des Lebens) 8) Sozialarbeiter/innen müssen anerkennen, dass sie den Nutzern der Dienste verantwortlich sind für ihr Handeln ebenso ihrem Anstellungsträger, der Berufsorganisation und dem Gesetz und dass diese Verantwortlichkeiten sich widersprechen können. 9) Sozialarbeiter/innen sollten bereit sein, mit den Ausbildungsstätten für soziale Arbeit zusammenzuarbeiten, um Studierende zu unterstützen damit sie ein qualitativ gutes Praxistraining und zeitnahes Praxiswissen, bekommnen. 10) Sozialarbeiter/innen sollten Debatten über Ethik pflegen und fördern sowohl mit ihren Kollegen, wie mit Ihren Anstellungsträgern. Sie sollen Verantwortung übernehmen für ethisch begründete Entscheidungen. 11) Sozialarbeiter/innen sollten bereit sein, die Gründe für ihre ethischen Überlegungen darzulegen, und Verantwortung übernehmen für ihre Entscheidungen und Handlungen. 12) Sozialarbeiter/innen sollten sich bemühen, bei ihren Anstellungsträgern und in ihrem Land solche Bedingungen zu schaffen, in denen diese Prinzipien and die ihres eigenen nationalen Kodex (soweit anwendbar) diskutiert ausgewertet und unterstützt werden. Das Dokument „Ethik in der Sozialen Arbeit – Darstellung der Prinzipien“ wurde bei den Generalversammlungen der International Federation of Social Workers (IFSW) und der International Association of Schools of Social Work (IASSW) in Adelaide, Australien, im Oktober 2004 verabschiedet (1) In einigen Ländern wird der Ausdruck „ Diskriminierung“ an Stelle von „negativer Diskriminierung“ gebraucht. Das Wort negativ wird hier gebraucht, weil in einigen Ländern der Begriff „positive Diskriminierung“ gebräuchlich ist. Positive Diskriminierung ist auch bekannt als „positive Handlung“. Positive Diskriminierung oder Handlung meint positive Schritte, die unternommen wurden, um die Auswirkungen früherer Diskriminierungen gegen die in 4.2.1. genannten Gruppen wieder gut zu machen. Übersetzung: Barbara Molderings DBSH e.V. Seite 112 Anhang FRAGEBOGEN FÜR DIE JUGENDWOHLFAHRTSLEITERINNEN Seite 113 Anhang Seite 114 Anhang Seite 115 Anhang Seite 116 Anhang Seite 117 Anhang Seite 118 Anhang Seite 119 Anhang FRAGEBOGEN AN DIE SOZIALARBEITERINNEN DER JUGENDWOHLFAHRT Seite 120 Anhang Seite 121 Anhang Seite 122 Anhang Seite 123 Anhang Seite 124 Anhang Seite 125 LEBENSLAUF PERSÖNLICHE DATEN Name: Habernig Christine Geburtsdatum: 05.11.1983 Geburtsort: Lienz Staatsbürgerschaft: Österreich AUSBILDUNG 1990 - 1994: Volksschule Leisach 1994 - 1998: Bundesgymnasium Lienz 1998 - 2003: Kath. Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik 2000 - 2003 Zusatzausbildung zur Hortpädagogin an der Kath. Bakip Juni 2003 Reife- u. Diplomprüfung in den Fächern Deutsch, Englisch, Pädagogik, Didaktik (Diplomarbeit), Heil- und Sonderpädagogik, Musikerziehung und Instrumentalmusik Gitarre, Geographie und Wirtschaftskunde, Didaktik der Horterziehung, Lernhilfe Deutsch Nov. 2003 – April 2004 Ausbildung zur rhythmischen Gruppenbegleiterin Jän. 2004 - Feb. 2005 Ausbildung zur Montessoripädagogin für KinderbetreuerInnen (Altersstufe 0-6 Jahre) Okt. 2004 – Juni 2008 Fachhochschule MCI (Management Center Innsbruck)Studiengang Soziale Arbeit seit März 2007 Psychotherapeutisches Propädeutikum an Institut für Kommunikation im Berufsleben und Psychotherapie Innsbruck BERUFSTÄTIGKEIT Sept. 2003 – Okt. 2004 Kindergartenpädagogin im Integrationskindergarten „Kindergarten für Alle“ PRAKTIKA Feb. 2005 Caritas Integrationshaus (1 Monat) Feb. 2006 Referat für Jugendwohlfahrt Imst (1 Monat) Sept. – Dez. 2006 „Looked After Children“ in APPOGG Malta (4 Mon.) ERFAHRUNGEN Ehrenamtliches Engagement Bereichshelferin bei WoKi-WoGo 2002 (Kindergroßveranstaltung der Kath. Jungschar) Kinderlager der Kath. Jungschar in Mutters Leitung eines Bereiches der WoKi-WoGo 2006 (Kindergroßveranstaltung der Kath. Jungschar) Mitglied im Leitungsteam für den „Grundkurs von GruppenleiterInnen 2007“ der Kath. Jungschar seit 2004 ehrenamtl. Mitarbeit im Team der „Dreikönigsaktion“ Kath. Jungschar seit 2007 Mitglied im Organisations- und Durchführungsteam des Projekts Alafia Aktion z. B. zur Unterstützung einer Region in Mosambik und von Aidswaisen in Togo Auslandserfahrungen Au-pair-Stelle in London (1 Monat - August 2001) Kinderheim in Ecuador (1 Woche - August 2004) Berufspraktikum in Malta (4 Monate – Sept. – Dez. 2006) Zusatzqualifikationen Musikalische Ausbildung in den Bereichen: Gitarre (8 Jahre), Stimmbildung (1 ½ Jahre) und afrikanische Trommel (= Djembe, seit 2006) Leitung des Kinderchores „Kirchenmäuse“ - Pfarre Guter Hirte, IBK (2005 - 2006) Mitglied des Duos „Sang und Klang“ (Gitarre und Gesang) (2004-2007) Informatikkenntnisse: Word, Excel, Powerpoint Fremdsprachen: Englisch (fließend), Spanisch (Anfänger) EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG „Ich erkläre hiermit an Eides statt, dass ich vorliegende Diplomarbeit selbstständig angefertigt habe. Die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht. Die Arbeit wurde bisher weder in gleicher noch in ähnlicher Form einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht.“ Innsbruck, am 13. März 2008 Christine Habernig