Auch Schädlinge, die im Frühjahr scheinbar aus dem Nichts auftauchen, haben ihre eigene Überwinterungsstrategie. Sie lassen sich mit geeigneten Massnahmen bereits im Winter gut in Schach halten. Text: Helen Weiss Florfliege auf der Jagd nach Blattläusen Foto: Bildagentur Waldhäusl J eder Gartenbesitzer kennt das Phänomen: Kaum herrschen im Frühling wärmere Temperaturen und brechen die Knospen auf, bedecken bereits ganze Kolonien von Läusen die frischen Blätter und die Setzlinge werden über Nacht von Schnecken kahl gefressen. Woher all die Tierchen kommen, die sich an den Lieblingspflanzen gütlich tun, bleibt meist ein Rätsel. Beschäftigt man sich jedoch etwas mit dem Lebenszyklus der Insekten, wird schnell klar, dass sie wahre Überlebenskünstler sind. Grundsätzlich können alle bei uns heimischen und an die hiesigen Klimaverhältnisse angepassten Insekten den Winter problemlos überstehen. Je nach Art sind Insekten als Ei, Larve oder im adulten Stadium auch gegen tiefe Temperaturen widerstandsfähig. «Allerdings vertragen sie nasskaltes Wetter über längere Zeit schlecht», weiss Urs Streuli, Gartenberater und Gärtner am Landwirtschaftlichen Zentrum Ebenrain in Sissach BL. Pilze machen dann den Tierchen zu schaffen, ein starker Befall kann sie sogar abtöten. Es gibt keine Schädlinge Direkte Massnahmen im frühen Frühling können helfen, schädliche Insekten im Garten im Schach zu halten. Dabei sollten Garten NATUR Insekten halten Winterschlaf jedoch nie die hilfreichen Nützlinge vergessen gehen, die ebenfalls überwintern und die geschützt werden sollten. «Der Begriff Schädling existiert im biologischen Gartenbau eigentlich nicht», erklärt Streuli. «Vielmehr sollte man von Nahrungskonkurrenten sprechen.» Denn in der Natur sind alle Insekten auf ihre Weise nützlich, wichtig ist vor allem, dass das Gleichgewicht stimmt und nicht gestört wird. Das ständige Wechselspiel der RäuberBeute-Beziehung in der Natur erfordert von den Gärtnern Beobachtungsgabe und manchmal viel Geduld. «Wir sollten uns über die ersten Läuse im Frühling freuen, denn dadurch sind Nützlinge wie Marien|käfer und Florfliegen versorgt und können ihre Population aufbauen», erklärt Hanspeter Althaus, Gartenberater bei der schweizerischen Bioorganisation Bioterra in Zürich. wichtig, den Garten auch in den kalten Monaten zu beobachten und allfällige Eigelege oder Larven von Insekten gezielt einzusammeln», rät Schüpbach. In den meisten Fällen macht es hingegen wenig Sinn, bereits im Winter vorbeugend Pflanzenschutzmittel zu sprühen, damit die Insekten gar nicht erst aus ihrem Winterschlaf erwachen. Es gibt jedoch Massnahmen, die bereits jetzt gegen Nahrungskonkurrenten eingesetzt werden können. Schnecken fressen auch im Winter Schnecken überwintern als Eier oder Tiere im Boden. Sie sind zwittrig, jedes Tier kann also Eier legen. Sie vermehren sich jedoch nur dann übermässig, wenn die Lebensbedingungen für sie stimmen. Die Gartenweg- und Ackerschnecken verbringen im Gegensatz zu ihren grösseren Verwandten Die Weisse Fliege: Sie vermehrt sich an warmen Standorten wie in Gewächshäusern auch im Winter fleissig weiter Foto: Andermatt Biogarten AG Garten im Winter beobachten Damit die weniger erwünschten Insekten nicht überhandnehmen, ist es deshalb neben direkten Massnahmen gegen Nahrungskonkurrenten genauso wichtig, Nützlinge in den Garten zu locken (siehe Box). Durch das Kultivieren oder bereits nur Tolerieren gewisser meist einheimischer Pflanzenarten können Nützlinge nachhaltig gefördert werden. «In einem naturnahen Garten geht es vor allem darum, das Gleichgewicht zu finden», so Daniel Schüpbach, Produktmanager bei der Andermatt Biogarten AG in Grossdietwil LU. Zwar herrscht im Winter meist Ruhe – abgesehen von den Aktivitäten der Wühlmäuse –, doch das Leben der Natur sollte man trotz allem im Auge behalten. «Es ist den Hochsommer verborgen in der Erde und werden mit zunehmender Feuchtigkeit im Herbst wieder aktiv. Sie fressen selbst bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, also auch im Winter. «Da diese Schnecken nicht sehr mobil und relativ standorttreu sind, kann man sie leicht entfernen», erklärt Hanspeter Althaus. Legt man ausgepresste Orangenhälften aus, nutzen Gartenweg- und Ackerschnecken diese gerne als Unterschlupf und lassen sich so gut einsammeln. Schneckeneier überstehen den Winter meist im Kompost oder unter der Erdoberfläche. Die Eier sind weisslich bis durchsichtig, glänzend und rund. «Im Frühjahr können zudem Bretter ausgelegt werden, um die jungen wie adulten Tiere besser einsammeln zu können», so Daniel Schüpbach. Die ruhige Zeit während des Winters kann genutzt werden, um einen Schneckenzaun zu installieren. Natürlich | 2-2007 23 Foto: Siegfried Keller Blattläuse sind wahre Vermehrungsspezialisten (siehe auch «Natürlich» 4-05): Die kalte Jahreszeit verbringen sie im Eistadium. Die Läuse, die im Frühling schlüpfen, sowie ihre Nachkommen sind in der Lage, das ganze Jahr hindurch ohne Befruchtung lebende Jungtiere zu gebären. Ende des Jahrs bilden sich wieder Geschlechtstiere, die Eier ablegen. Die Vermehrung ist rasant, denn Jungläuse können im Sommer bereits im Alter von 10 bis 14 Tagen Junge zur Welt bringen. «Bevor die Nützlinge genügend aktiv werden, ist die Population der Läuse meist bereits sehr gross», so Daniel Schüpbach. Als Blattlaus-Liebhaber sind Marienkäfer und deren Larven bekannt: Sie können ab Ende April auf stark befallenen Pflanzen ausgesetzt werden. Die Marienkäfer-Larven dürfen erst ab einer bestimmten Grösse auf die Blattläuse angesetzt Foto: René Berner Blattläuse vermehren sich ungehemmt Rosenkäferlarven (rechts) unterscheiden sich gut von den Engerlingen des Maikäfers: Sie bewegen sich auf dem Rücken vorwärts, sind vielfach im Kompost und in Blumenkistchen zu finden und sind im Gegensatz zu den Engerlingen keine Schädlinge und deshalb zu schonen werden, da sie sich sonst nicht gegen die Ameisen zur Wehr setzen können, die die Blattlauskolonien pflegen und schützen. Bietet der Standort ihnen genug Nahrung und ideale Bedingungen, sind Marienkäfer relativ standorttreu. Die Eiablagen an den Trieben – schwarze glänzende Kügelchen bei den Rosenläusen – können bereits im Winter von den Pflanzen abgestreift werden. Neben Marienkäfern gehören auch Schwebe- und Florfliegen sowie Ohrwür- Nützlinge fördern Erdkröte Foto: Bildagentur Waldhäusl Foto: Thomas Vogel Starkes Auftreten von Schädlingen und Krankheiten an Pflanzen sind meist auf einen Mangel oder Überschuss mehrerer Faktoren wie Klima, Standort, Fruchtwechsel, Sortenwahl, bestmögliche Aussaat- und Pflanzzeit sowie ausgewogene Bewässerung und Düngung zurückzuführen. Neben gezüchteten Rosen und Ziergehölzen sollten stets auch einheimische oder sogar standortheimische Pflanzen im Garten Platz haben. Indem sie Insekten Nahrung, Fortpflanzungsmöglichkeiten und Unterschlupf bieten, erhöhen sie die natürliche Vielfalt und somit die Stabilität des Ökosystems «Garten». Doch Nützlinge können nicht nur mit einheimischen Pflanzen wie Flockenblume, Dost und Pfaffenhütchen in den Garten gelockt werden. Besonders attraktiv sind auch Wiesenblumen mit offenem Blütenbau wie die Schafgarbe oder Margerite, da deren Pollen und Nektar auch von kurzrüssligen Schwebefliegen aufgenommen werden können. Den Nützlingen zuliebe sollte zudem in jedem Garten die traditionelle Trennung zwischen Blumenrabatte und Gemüsebeet aufgegeben werden. Heil- und Gewürzkräuter, Klatschmohn und Ringelblumen locken die Nützlinge auch Blindschleiche ins Gemüsebeet. «Einheimische Heckensträucher sorgen während des ganzen Vegetationsjahrs für Nektar und Pollen», erklärt dazu Daniel Schüpbach. Beim Räumen des Gartens sollte man Unterschlüpfe wie Gras- und Asthaufen für Blindschleichen, Kröten und Frösche lassen. Diese Tiere sind zwar sehr ortstreu, verlassen jedoch den Garten, wenn die Lebensbedingungen für sie nicht ideal sind. 24 Natürlich | 2-2007 mer und Schlupfwespen zu den natürlichen Gegenspielern der Blattläuse. Robuste Schild- und Wollläuse Diese Läuse schützen sich im Gegensatz zu Blattläusen mit einem Schild aus wachsartigen oder wolligen Ausscheidungen vor Feinden und ungünstigen Witterungseinflüssen. Deshalb stellt ihre Bekämpfung meist eine Herausforderung dar. Daniel Schüpbach empfiehlt beim Befall von Obstgehölzen, Beeren und Reben eine Austriebsspritzung im Januar oder Februar, bevor die Blätter treiben, jedoch nur bei sehr starkem Befall: «Mit der Winterspritzung auf paraffinölhaltiger Basis verschliesst man den Läusen und somit den unter dem Schild liegenden Eiern die Atemöffnungen.» Doch Achtung: Auch Nützlinge ersticken. Eine andere Alternative gibt es kaum. Befallen Schild- oder Wollläuse Zimmerpflanzen, kann der Australische Marienkäfer und seine Larven eingesetzt werden. Sie können jedoch nur in geschlossenen Räumen ausgesetzt werden, da sie Temperaturen von 22 bis 30 Grad Celsius benötigen und die Gefahr besteht, dass die Käfer wegfliegen. Weisse Fliege – Mottenschildlaus Jene Arten der Weissen Fliege, die sich vor allem an Kohlgewächsen gütlich tun, überwintern als adulte Tiere und sind so lange aktiv, wie sie Nahrung finden können. «Deshalb ist es wichtig, alle Kohlpflanzen im Garten bis Ende Januar zu ernten und auszureissen», erklärt Urs Streuli. Ohne Nahrung sterben die saugenden Lästlinge bald. Auch das Gewächshaus wird gerne als Winterquartier benutzt, wo sich die Weisse Fliege durch die ganze kalte Jahreszeit fleissig vermehren kann. «Wenn möglich sollte Garten NATUR Lauchminierfliegen überwintern als Puppen Maden von Dickmaulrüssler, Junikäfer und Maikäfer In den letzten Jahren hat sich die Lauchminierfliege sehr stark ausgebreitet. Ihre Wirtspflanzen sind, wie der Name schon sagt, Zwiebelgewächse wie Lauch, Schnittlauch, Knoblauch und Zwiebeln. Die Lauchminierfliege produziert zwei Generationen pro Jahr: Die ersten Fliegen schlüpfen im Frühjahr und stechen die Pflanzen an der Blattspitze an, wobei kleine silbrige Frasspunkte entstehen. Mit dem Der nachtaktive Dickmaulrüsslerkäfer hinterlässt an hartlaubigen Pflanzen wie Rhododendron, Rosen und Kirschlorbeer halbrunde Frassspuren. Viel grössere Schäden richten jedoch seine Larven an, die als Engerlinge im Boden überwintern und an den Wurzeln nagen. Die Dickmaulrüssler-Larven haben eine Grösse von etwa 1,2 Zentimeter und sind an ihrem braunen Kopf zu erkennen. Beim Umgraben des Beets im Foto: René Berner deshalb das Gewächshaus bis spätestens Ende Februar komplett ausgeräumt sein», so Streuli. Hygiene steht bei der Dezimierung der Weissen Fliegen an erster Stelle. Das Gewächshaus sollte vor der weiteren Benutzung im Frühling offen stehen gelassen werden, sodass alles durchfrieren kann. In ganzjährig genutzten Gewächshäusern oder Wintergärten können im Winter Encarsia-Schlupfwespen eingesetzt werden. Die Nützlinge sind aber auf eine Temperatur von mindestens 18 Grad Celsius angewiesen. Legestachel werden die Eier in die Blätter abgelegt und die daraus schlüpfenden Larven minieren das Laub. Nach drei Wochen verpuppen sich die Maden in der Pflanze und im Herbst schlüpft dann die zweite Generation. Der Lebenszyklus beginnt von Neuem, die Puppen überwintern in der Pflanze. «Um die Ausbreitung zu unterbrechen, sollte der Lauch bis Ende Februar geerntet werden», sagt Urs Streuli. Zudem können die Larven auch in den geernteten und zum Trocknen aufgehängten Zwiebeln überwintern und bei genügend warmen Temperaturen ausfliegen. Deshalb ist eine genaue Kontrolle während der Ernte wichtig: «Die Maden sind mit ihren vier Millimetern Grösse und durch ihre gelb-braune Färbung gut zu erkennen», erklärt Streuli. Um den Befall zu reduzieren, können bei der Pflanzung von Zwiebelgewächsen im Frühling über die Beete ausgebreitete Insektenschutznetze helfen. «Bei den Zwiebeln sollte man die Netze bis Ende Mai auf dem Beet lassen, beim Lauch von Mitte Juli bis zum ersten Frost.» Rosenkäfer: Gilt als Nützling und ist oft auf Weissdornsträuchern anzutreffen Foto: Urs Streuli Die Eier der Rosenläuse sind leicht zu erkennen: Die schwarz glänzenden Kügelchen können bereits im Winter abgestreift werden, um einen starken Befall im Frühjahr vorzubeugen Frühling oder bei der Neubepflanzung von Balkonkistli und Töpfen sollten die Engerlinge unbedingt entfernt werden. Um jedoch wirklich alle Larven zu erwischen, empfiehlt sich die Ausbringung von Nematoden von Ende April bis Anfang Juni. Nematoden sind kleine Fadenwürmer und suchen im Boden aktiv nach Dickmaulrüsslerlarven. Auch die Engerlinge des Mai- und Junikäfers können durch den Wurzelfrass während des Winters in Wiesen und Rasen sowie an Beeren-, Obst- und Gemüsekulturen grossen Schaden verursachen. Gegen Maikäferlarven könnte im März der Engerlingspilz «Beauveria» ausgebracht werden. «Der Pilz wird auf Gerstenkörnern kultiviert und befällt, wenn er in den Boden eingearbeitet wird, nur Maikäferlarven», erklärt Daniel Schüpbach. Da es jedoch nur noch sehr wenige Maikäfer gibt, sollte man diesen geringen Schaden in Kauf nehmen, ohne die Engerlinge zu bekämpfen. Gegen die Larven des Junikäfers befindet sich eine ähnliche, neue Methode in einem abschliessenden Test- und Genehmigungsverfahren. Vorsicht: Bei «Engerlingen» im Kompost handelt es sich meist um die Larven des Rosenkäfers, die sich auf dem Rücken fortbewegen. Das sind Nützlinge. ■ I N FO B OX Beratungsstellen • Andermatt Biogarten AG, 6146 Grossdietwil, Telefon 062 917 50 00, [email protected], www.biogarten.ch • Gartenberatung und Informationen zum Kursangebot des Landwirtschaftlichen Zentrums Ebenrain, 4450 Sissach, Tel. 061 976 21 34, [email protected], www.ebenrain.ch • Gartenberatung Bioterra, Tel. 032 621 54 93, [email protected], www.bioterra.ch Literatur zum Thema • Kreuter: «Der Biogarten», BLV Verlag, 2007, ISBN 3-8354-0198-3, Fr. 42.90 • Schnitzer: «Gärtnern ohne Gift», Böhlau Verlag, 2006, ISBN 3-205-77537-9, Fr. 34.90 • Don: «Genial gärtnern – Biologisch und naturnah», Verlag Dorling Kindersley, 2004, ISBN 3-8310-0543-7, Fr. 52.20 • Schmutterer/Huber: «Natürliche Schädlingsbekämpfungsmittel», Ulmer Verlag, 2005, ISBN 3-8001-4754-0, Fr. 59.90 • Fortmann: «Das grosse Kosmosbuch der Nützlinge», Kosmos Verlag, 2000, ISBN 3-440-06588-4, Fr. 45.80 • Kreuter: «Biologischer Pflanzenschutz», BLV Verlag, 2004, ISBN 3-405-16056-2, Fr. 15.60 Natürlich | 2-2007 25