Auf dem Weg zum Dauereinsatz

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Foto: ©nickolaus
„Kunstherzen“
oder Ventricular
Assist Devices sind
heute klein, leise
und störungsarm.
Die Systeme werden
bei einer offenen
Operation unter
Anwendung der
Herz-LungenMaschine implantiert.
KREISLAUFUNTERSTÜTZUNGSSYSTEME
Auf dem Weg zum Dauereinsatz
Während die Zahl der Herztransplantationen stetig sinkt, nimmt die Implantation der
„künstlichen Herzen“ dank rasanter technischer Entwicklungen sprunghaft zu.
ie Zahl der Organspenden ist
– ausgehend von einem niedrigen Niveau – weiter deutlich gesunken. Das ist ein Fanal angesichts
von 11 300 Patienten, die derzeit
auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehen. Im Fall der Herztransplantation schaffen Medizin und Ingenieurskunst durch die Entwicklung unterschiedlicher Kreislaufunterstützungssysteme (Ventricular
Assist Devices, VAD) inzwischen
wertvolle Alternativen zur Organtransplantation.
Das Deutsche Herzzentrum Berlin mit der weltweit größten Erfahrung in der Implantation unterschiedlichster Assist-Systeme hat
seit 1988 bis September 2013 etwa
2 211 VADs (davon 164 bei Kindern) implantiert, dagegen „nur
noch“ 1 787 Herztransplantationen
durchgeführt. Dies zeigt nach Angaben von Chefarzt Prof. Dr. med.
Roland Hetzer den Trend: Die
Zahl der Transplantationen wird
weiter sinken, die der VAD-Implantationen sprunghaft ansteigen;
und zwar nicht nur als Folge der
Manipulationen bei der Organvergabe, sondern auch im Hinblick
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Deutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 1–2 | 6. Januar 2014
auf demografische Veränderungen
der Altersstruktur in der Bevölkerung.
„Wegen der Unwahrscheinlichkeit einer Organzuteilung werde bei
terminal herzinsuffizienten Patienten inzwischen die Implantation
von Herzunterstützungssystemen
eher in Betracht gezogen als die
Transplantation, sagte Hetzer beim
8. Internationalen „Mechanical Circulatory Support“-Symposium in
Berlin. Insofern erweitere sich das
Patientenspektrum auf die Hochbetagten, denen mit einem Assist
mehrere Lebensjahre bei guter Qualität geboten werden können.
„Recovery und Weaning“
Es werden verschiedene Arten von
Kunstherzen unterschieden:
● Linksventrikuläre Unterstützungssysteme (LVAD) werden in
den linken Ventrikel eingesetzt.
Diese Art der Unterstützung stellt
die häufigste Form dar.
● Rechtsventrikuläre Unterstützungssysteme (RVAD) werden in
den rechten Ventrikel implantiert.
● Total artificial heart (TAH):
Hierbei wird das Herz des Patienten
vollständig explantiert und durch
eine mechanische Pumpe ersetzt.
Während VADs früher nur zur
Überbrückung angewendet wurden
(Bridge to Transplant), bieten
„Kunstherzen“ heute eine Möglichkeit zur Erholung des erkrankten
Herzmuskels (Recovery und Weaning); sie dienen aber auch als gezielte Langzeit- und Dauerlösung
bei Patienten, die wegen Alters, Tumorerkrankungen oder schweren
Begleiterkrankungen nicht transplantierbar sind („Destination Therapy“). Keineswegs vergessen werden dürfte in diesem Zusammenhang
die akute Notfallversorgung mit Systemen zur extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO, ECLS),
um den Transport von Patienten
bis in ein spezialisiertes Herzzentrum zu gewährleisten, berichtete
Prof. Dr. med. Thomas Krabatsch
(Deutsches Herzzentrum Berlin).
Je größer die Not in der Transplantationsfrage sei, umso mehr haben sich mit wachsender Erfahrung
die Spektren von Assists erweitert
und verändert, so auch bei den Systemen, die die Funktion des linken
und des rechten Herzens komplett
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MEDIZINREPORT
übernehmen. Sie sind indiziert bei
Patienten, deren Rechtsherzfunktion sich im Verlauf einer längeren
Therapie mit einem linksventrikulären Herzunterstützungssystem
(LVAD) verschlechtert, aber auch
bei Patienten mit Rechts- und
Linksherzinsuffizienz. In diesen
Fällen wird der Einsatz von modifizierten biventrikulären Systemen
ohne Explantation des natürlichen
Herzens erwogen.
Schwachstelle Steuerkabel
US-amerikanische Referenten aus
Houston und Minneapolis berichteten von Systemen, die einen maximalen Permanenzbetrieb von fünf
bis acht Jahren aufweisen, aber
auch von Patienten, die zwölf bis 14
Jahre mit zweimaligem Wechsel der
Pumpe gut überstanden hätten. Diese lange Einsatzdauer nähert sich
zunehmend den langen Überlebenszeiten von Patienten mit Herztransplantation von mehr als 20 Jahren.
Die Hauptschwachstelle der
VADs ist überwiegend das aus dem
Körper heraustretende, mechanisch
erheblich beanspruchte Steuerkabel. Heute lässt sich an spezialisierten Herzzentren vielfach das Kabel
allein reparieren, ohne dass es zu einem für den Patienten belastenden
Austausch der gesamten Pumpe
kommen muss. Nachdem die modernen Rotationspumpen immer
kleiner, verschleißfreier, energie-
sparender und lautloser geworden
sind, steht die kabellose Energieübertragung im Zentrum der Forschung und dürfte in absehbarer
Zeit realisierbar sein (Kasten).
Neben der Infektionsgefahr sind
folgende Komplikationen möglich:
Durch die Scherkräfte im Kunstherz kann es zu Thrombenbildung
kommen. Um Schlaganfälle und
Embolien zu vermeiden, ist daher
eine Antikoagulation notwendig.
Zudem beobachtet man bei Patienten mit mechanischer Herzunterstützung eine Blutungsneigung,
verursacht durch Hämolyse oder
ein erworbenes Von-WillebrandSyndrom.
Ungelöst ist die Frage, welchen
Patienten mit dilatativer Kardiomyopathie oder nach schweren
ischämischen Ereignissen nach
monatelanger mechanischer Entlastung des Herzens eine dauerhafte Genesung zuteil wird. Derzeit
versucht man eine Prognose anhand einer Echokardiographie
während eines Pumpen-Stopps abzuleiten. Viele Studiengruppen arbeiten an der Klärung dieser faszinierenden Frage, denen trotz mancher wichtiger Einzelergebnisse
noch keine dauerhafte Lösung beschieden ist.
Nach Angaben von Prof. Dr.
med. Michael Dandel konnte am
Deutschen Herzzentrum Berlin die
weltweit größte Zahl an Patienten
PROT0TYP FÜR MEHR MOBILITÄT
Ein Kunstherz, das voll implantierbar
funktioniert und wartungsfrei über viele Jahre im Körper schlagen kann,
würde einen Durchbruch bedeuten.
Das Aachener Kunstherz ReinHeart,
konzipiert vom Institut für Angewandte
Medizintechnik, dem Helmholtz-Institut
der RWTH Aachen und dem Universitätsklinikum Aachen, ist ein solcher
Prototyp. Seine Pumpeinheit besteht
aus drei Komponenten: Zwei Pumpkammern mit jeweils Ein- und Auslassklappen sind durch flexible Membranen vom dazwischen liegenden Antrieb
getrennt. Die Pumpkammern sind einlassseitig mit den beiden verbliebenen
Vorhöfen des natürlichen Herzens konnektiert und auslassseitig an die Aorta
bzw. Pulmonalarterie angeschlossen.
Der elektromagnetische Antrieb
drückt alternierend jeweils eine Druckplatte gegen die Membran, so dass
das Volumen der jeweiligen Pumpkammer verkleinert und Blut durch die
Auslassklappe ausgeworfen wird. Bei
Rückstellung der Membran füllt sich
die Kammer wieder. Der spezielle getriebelose Direktantrieb, der in Kooperation mit dem Institut für Elektrische
Antriebe entwickelt wird, erhöht die
Dauerfestigkeit und stellt ein Alleinstellungsmerkmal dar.
zyl
vom Assist dauerhaft entwöhnt
werden – nämlich 106 Erwachsene
mit linksventrikulärem und 14 mit
biventrikulärem System, ferner
16 Kinder. Die Erholungsrate bei
chronischer, nicht ischämischer
Herzmuskelschädigung liege heute
bei zehn bis 20 Prozent; bei akuter
Myokarditis, akuter Herzinsuffizienz nach herzchirurgischen Eingriffen oder postpartaler Kardiomyopathie sogar noch höher. Sehr
selten hingegen (bei etwa ein Prozent) sei eine Erholung bei Patienten zu erwarten, die an einer chronisch ischämischen Kardiomyopathie leiden.
Hohe Überlebensraten
Die Fünf- beziehungsweise Zehnjahresüberlebensrate von Patienten,
denen ein Unterstützungssystem
letztlich wieder explantiert werden
konnte, liegt bei 74 respektive
69 Prozent. Patienten, die nicht
vom Assist entwöhnt werden konnten, haben eine schlechtere Prognose. Fünf Jahre nach Implantation
lebt nur noch etwa die Hälfte der
Betroffenen. Dandel sieht die Möglichkeit von „recovery and weaning“ als das „attraktivste Potenzial“
von Assists an. Denn was könne beglückender für einen Patienten auf
der Warteliste sein, ohne Assist und
ohne Herztransplantation auskommen zu können.
Ob durch eine frühzeitigere
VAD-Implantation in mehr Fällen
eine Herzerholung zu erreichen wäre, ist ein Aspekt, der gegenwärtig
vom Deutschen Herzzentrum Berlin gemeinsam mit der Kardiologie
Göttingen und allen herztransplantierenden Kliniken in Deutschland
im Rahmen einer umfangreichen
Studie untersucht wird.
Wesentliche Erkenntnisse zugunsten der mit Assist versorgten
Patienten erhofft man sich zudem
vom 2009 gestarteten „Europäischen Register für Patienten mit
mechanischer Kreislaufunterstützung“ (Euromacs), dem sich deutsche, europäische, aber auch außereuropäische Herzzentren angeschlossen haben. Derzeit sind dort
512 Patientenverläufe registriert
▄
(www.euromacs.org).
Ingrid Franke
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