Wissenschaftliche Gesellschaft zur Forschung und Weiterbildung im Bereich nahrungsmittelbedingter Intoleranzen Newsletter Q2/2014 Zöliakie - Grundlagen Der Markt für Gluten-freie Lebensmittel in der EU ist in den letzten Jahren regelrecht explodiert. Alternativprodukte für Weizen, Gerste und Roggen-haltige Lebensmittel finden sich in jedem Supermarkt. Doch wie steht es tatsächlich um Personen, die unter einer Unverträglichkeit gegenüber Gluten, dem Klebereiweiß von Getreide leiden? Zöliakie wurde erstmals im Jahre 100 unserer Zeitrechnung vom griechischen Arzt Artaeus beschrieben. Aufbauend auf dessen Arbeiten beschäftigte der britische Arzt Samuel Gee ab 1988 erneut mit dieser Erkrankung und beschrieb die Symptome auch bei betroffen Kindern. Zu dieser Zeit galt Zöliakie noch als reine Kinderkrankheit. Da sich Zöliakie maßgeblich durch gastrointestinale Probleme bemerkbar macht, und auch im Rahmen einer Biopsie Läsionen in Dünndarmbiopsien zu finden sind, wurde die Krankheit ursprünglich als eine reine gastrointestinale Störung betrachtet. Diese Sichtweise wurde erstmals durch Marks in Frage gestellt, der 1966 bei Patienten der Dermatitis Herpetiformis Duhring die selben Darmläsionen beobachtete, die auch in Zöliakie auftraten; allerdings ohne die klassischen gastrointestinalen Störungen [1]. Diese dermatologischen Auffälligkeiten entstehen durch eine lokale Ablagerung von IgA gegen die Gewebstransglutaminase 2 (tTG2) wie gegen die epidermale Transglutaminase [2] Das klassische Bild der schweren Zöliakie ist geprägt durch chronischen Durchfall, Fettstuhl, wie auch Malabsorbtionen und Gedeihstörungen bei Kindern [3]. Die fortwährende Entzündung des Dünndarms führt zu Läsionen, welche zu einer vollständigen Umformung der Dünndarmmucosa führen können (Kryptenhyperplasie – Abb. 1). Abb 1: Unterschiedliche Ausprägungen der Dünndarmschäden in Zöliakie Patienten (20fache Vergrößerung) a-b normale Villi, pathologischer Anstieg der Zahl an Intraepithelialen Lymphozyten (a‐ Hämatoxylin/Eosin, b CD3 Färbung). c‐d geringe bis moderate Atrophie der Villi und pathologischer Anstieg der Zahl an Intraepitheliaen Lymphozyten (c- Hämatoxylin/Eosin, d- CD3 Färbung) e-f völlige Zottenatrophie und pathologischer Anstieg der intraepitheliale Lymphozyten (e- Hämatoxylin/Eosin, f- CD3 Färbung) Teilweise verdaute Glutenfragmente aus Weizen, Gerste, Roggen und weiteren Getreidesorten können die Epithelschicht des Darms überwinden, indem sie erhöhte intestinale Durchlässigkeit hervorrufen [4, 5]. Dieser Zustand eines durchlässigen Darms (leaky gut), gemeinsam mit der ständigen Kontrolle der Antigene durch Enterozyten und dentritische Zellen reguliert den molekularen Transport zwischen dem Darminhalt und der Submucosa. Dieser Vorgang ist wiederum die Grundlage für eine immunologischen Toleranz gegen nicht-körpereigenen Antigene in diesem Kompartiment. Der Austausch von kleinen Molekülen zwischen Darmlumen und Lamina propria wird durch so genannte Tight Junctions reguliert, dynamische Proteinkomplexe, welche Epithelzellen zu einer Schicht verbinden [6]. Durch das Öffnen und Schließen dieser Tight junctions entstehen Passagen von 10-15 Ängström, durch die Moleküle von einer Größe bis zu 3,5 kDa in die Lamina eindringen können[7]. Risikofaktoren für die Entwicklung von Zöliakie Die Homöostase und Aufrechterhaltung der normalen Gewebsfunktion wird durch eine delikate Balance bestimmt, zwischen einer entzündlichen Immunantwort, die eindringende Pathogene entfernt, wie durch eine stringente Immuntoleranz, die Kollateralschäden durch überbordende Entzündung zurückhält. T-Zellen binden an MHC II Komplexe von professionell Antigen-präsentierenden Zellen. Im Fall der Zöliakie sind fast ausschließlich 2 Serotypen dieser MHC II Moleküle präsent: HLADQ2 und DQ8. Die geographische Verteilung dieser Allele ist uneinheitlich; erhöht sind die Frequenzen in Bevölkerungsgruppen in Skandinavien, dem Baskenland und Irland. Besonders hohe DQ8 Frequenzen sind unter süd- wie nordamerikanischen Ureinwohnern zu finden. Nachdem diese MHC II Serotypen auch unter gesunden Individuen weit verbreitet sind, müssen weitere Faktoren, genetische, durch Umwelt, wie Lebensstil bedingte zur Krankheitsentstehung beitragen (Abb.2) Abb.2: Risikofaktoren für die Entstehung von Zöliakie Zöliakie entwickelt sich im Wechselspiel zwischen genetischer Veranlagung, dem Kontakt mit Gluten sowie gewissen Lebensweisen. Einige genetische Risikofaktoren konnten bisher identifiziert werden, darunter Gene, welche die Funktion von antigen-präsentierenden Zellen oder T-Zellen beeinflussen. Zöliakie und Typ-1 Diabetes teilen einen Satz an prädisponierenden Genen, was auf gemeinsame Signalwege hindeutet; verständlich, da beide Autoimmunerkrankungen darstellen[8]. Während also die Details am Pfad zwischen Gesundheit und Erkrankung noch zu klären sind, ist eines völlig klar: Die Entstehung der Erkrankung benötigt die Anwesenheit von Gluten in der Nahrung. Die unterschiedlichen Rollen von Gluten Zum Spektrum der Gluten-bedingte Erkrankungen zählt nicht ausschließlich die Zöliakie. Getreideprotein stellt auch ein bedeutendes Allergen dar: - Nahrungsmittelallergie: Die IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie ist entweder gegen die Albumin oder die Globulinfraktion von Weizen, Gerste, oder Roggen gerichtet. Inhalation kann zu einer Sensibilisierung führen (Bäckerasthma). Auch das Omega-5-Gliadin wurde als wichtiges Antigen in einer in Kindern typischen Nahrungsmittelallergie gegen verzehrten Weizen identifiziert. - Wheat dependent exercise‐induced anaphylaxis Die Weizenabhängige, anstrengungsinduzierte Anaphylaxie ist eine schwere IgEvermittelte Immunreaktion gegen die Gliadin Fraktion von Gluten, die im Zusammenhang von dem Verzehr von Gluten wie körperlich anstrengenden Aktivitäten in den Stunden danach auftreten kann. Charakteristische Symptome reichen von Urtikaria bis hin zur Blutunterdruck und Schock. - Glutenunverträglichkeit: Eine neuartige Form von gastrointestinaler Glutenunverträglichkeit wurde erst kürzlich beschrieben [9]. Betroffene leiden unter diffusen Beschwerden des Verdauungstrakts nach dem Verzehr von Gluten, weisen aber keine typischen Serummarker für Zöliakie auf (Antikörper gegen die Gewebstransglutaminase oder Endomysium). Diese Unverträglichkeit benötigt auch nicht den für Zöliakie voraussetzenden Genotyp DQ2DQ8, womit sie auch nicht als eine Vorstufe der Zöliakie gezählt werden kann. Doch erst kürzlich wurde die grundsätzliche Existenz dieses Krankheitsbildes in Frage gestellt, spannender weise von derselben Arbeitsgruppe, das Syndrom etabliert hatte. Im Rahmen einer Placebo-kontrollierten, cross-over Studie konnten die ursprünglich diffusen gastrointestinalen Symptome nicht adäquat reproduziert worden, auch zeigte sich keine Veränderung durch eine Variation der verabreichten Glutendosis [10]. Offenbar sind die bisher beobachteten Effekte mehr auf die Anwesenheit von FODMAPs (einer gewissen Klasse von Zuckern und verwandten Stoffen), als auf Gluten zurückzuführen. Fortsetzung im Newsletter Q3 2014: Zöliakie – die glutenfreie Diät und Therapieansätze Literaturverweise: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Marks, J., Small bowel changes in dermatitis herpetiformis. Lancet 1966: p. 1280-82. Nicolas, M.E., et al., Dermatitis herpetiformis. Int J Dermatol, 2003. 42(8): p. 588-600. Feighery, C., Coeliac disease. BMJ, 1999. 319(7204): p. 236-239. Arrieta, M., Alterations in intestinal permeability. Gut., 2006. 55: p. 1512-1520. Wapenaar, M., Associations with tight junction genes PARD3 and MAGI2 in Dutch patients point to a common barrier defect in coeliac disease and ulcerative colitis Gut, 2008. 57: p. 463-467. Fasano, A., Zonulin and its regulation of intestinal barrier function: the biological door to inflammation, autoimmunity, and cancer. Physiol Rev, 2011. 91(1): p. 151-75. Tripathi, A., et al., Identification of human zonulin, a physiological modulator of tight junctions, as prehaptoglobin-2. Proc Natl Acad Sci U S A., 2009. 106. Smyth, D.J., et al., Shared and distinct genetic variants in type 1 diabetes and celiac disease. N Engl J Med, 2008. 359(26): p. 2767-77. Biesiekierski, J.R., et al., Gluten causes gastrointestinal symptoms in subjects without celiac disease: a double-blind randomized placebo-controlled trial. Am J Gastroenterol, 2011. 106(3): p. 508-14; quiz 515. Biesiekierski, J.R., et al., No effects of gluten in patients with self-reported non-celiac gluten sensitivity after dietary reduction of fermentable, poorly absorbed, short-chain carbohydrates. Gastroenterology, 2013. 145(2): p. 320-8 e1-3.