Praxis BZB Juli/August 12 31 KZVB Ist Qualität statistisch messbar? Eine Auseinandersetzung mit fragwürdigen Parametern Ziel ist eine bessere Vergleichbarkeit (zahn-)medizinischer Leistungen. Der Gesetzgeber verlangt, dass die Selbstverwaltung hierfür geeignete Maßnahmen entwickelt. Aber auch das Anspruchsdenken der Öffentlichkeit, vor allem der Patienten, hat sich verändert. Hygieneskandale in Kliniken und Behandlungsfehler erhöhen den Druck, aktiv zu werden. Zudem sollen die Patientenrechte gestärkt und die Transparenz im Gesundheitssystem erhöht werden. Die Einführung und die Durchsetzung von gesetzlich vorgegebenen Qualitätssicherungsmaßnahmen im gesamten Gesundheitswesen, also auch in der vertragszahnärztlichen Versorgung, ist daher ein unumkehrbarer Trend. Falsche Qualitätsparameter Das wichtigste Gremium dafür ist der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA). Dort herrscht derzeit geradezu eine „Qualitätssicherungseuphorie“. Erklärtes Ziel ist die Mess- und Vergleichbarkeit der Qualität ärztlicher und zahnärztlicher Behandlungen. Doch gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. Ich möchte deshalb in diesem Beitrag auf die Risiken hinweisen, die mit falschen Qualitätsparametern verbunden sind. So besteht beispielsweise die Gefahr, dass sich Teile der (Zahn-)Ärzteschaft und der Krankenhäuser in die falsche Richtung bewe- gen, mit dem Resultat einer nur vermeintlichen Qualitätsverbesserung. Foto: KZVB Niemand kann ernsthaft gegen Qualitätssicherung und qualitätssteigernde Maßnahmen sein. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um die Herstellung eines Produktes oder um eine Dienstleistung handelt. Auch das Gesundheitswesen wird sich den neuen Herausforderungen der Qualitätssicherung stellen müssen. Vor allem deshalb, weil es dabei um die höchsten Güter, nämlich Leben und Gesundheit, geht. Der Gesetzgeber hat bereits die Weichen dafür gestellt. Der Ball liegt nun bei den Gremien der Selbstverwaltung. Neben dem bereits installierten Qualitätsmanagement werden sich die Praxen sektorenübergreifenden, einrichtungsübergreifenden und zusätzlich sektorenspezifischen Qualitätssicherungsmaßnahmen stellen müssen. Arzt schuldet keinen Erfolg Das Kernproblem ist, dass der Arzt eine Dienstleistung erbringt und keine WerkleisDer Autor ist Jurist und Leiter des tung. Er schuldet folgKZVB-Geschäftsbereichs „Qualilich auch nach der tät der vertragszahnärztlichen Versorgung“. Rechtsprechung des B u n desgerichtshofs keinen Behandlungserfolg, sondern eine Behandlung nach dem medizinischen Standard zum Zeitpunkt der Behandlung (sogenannter Facharztstandard). Dieser erforderliche medizinische Standard ist vom Stand der medizinischen Wissenschaft zu unterscheiden, der oft höher ist. Ein Unterschreiten des medizinischen Standards stellt grundsätzlich einen zivilrechtlichen Haftungsfall dar, der einen Schadensersatzanspruch des Patienten auslösen kann. Der Facharztstandard gilt auch in der Vertragszahnheilkunde trotz Wirtschaftlichkeitsgebot und honorarbegrenzender Regelungen. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 2 Satz 3 und § 70 Abs. 2 letzter Halbsatz SGB V. Dort verweist das Sozialrecht explizit auf diesen zivilrechtlich geforderten Standard. Hieraus ergibt sich ein elementarer Unterschied zum Werkvertragsrecht. Der Zahnarzt schuldet eben keinen Erfolg in dem Sinne, dass der Patient geheilt ist. Eine endodontische Behandlung kann also unter Umständen eine Extraktion nach sich ziehen, obwohl der Zahn fachgerecht behandelt worden ist, weil die physiologischen Umstände oder auch andere Faktoren hierfür ursächlich waren. Dies gilt auch umgekehrt. Die Nichterforderlichkeit einer Extraktion gibt keinen zwingenden Rückschluss auf eine tatsächlich fachgerechte Behandlung. Ich möchte an dieser Stelle nur an die komplexen Behandlungen bei der Bekämpfung von Krankheiten wie HIV oder Krebs hinweisen, bei der man selbstverständlich von 32 BZB Juli/August 12 Praxis KZVB Messung von Qualität Und nun komme ich auf die Entwicklungen in der Qualitätssicherung zurück. Alle Beteiligten sind bemüht, Qualität statistisch zu erfassen und sichtbar zu machen (Transparenz). Leider entfernt man sich dabei immer mehr vom Ziel, eine fachgerechte Behandlung zu erbringen, sondern setzt zunehmend auf die Veröffentlichung einer medizinischen Ergebnisqualität. Es herrscht die Auffassung, dass die Qualität medizinischer Leistungen quantitativ messbar sei, indem man die Ergebnisse und Wirkungen von Heileingriffen quantifiziert und statistisch erfasst. So veröffentlichen Krankenhäuser bevorzugt die Zahl der erfolgreichen Behandlungen. Es gibt Studien über die Sterblichkeitsraten bei verschiedenen Krankheitsbildern sowohl klinikbezogen als auch regional. Lässt das einen Rückschluss auf die fachgerechte Behandlung zu? Ein weiteres Beispiel: Einer Studie zufolge gibt es in Bayern weniger Allergien als in anderen Bundesländern. Sind die Ärzte in den Regionen mit höheren Krankheitsraten deshalb automatisch schlechter? Faktoren wie soziale Umstände, Lebensgewohnheiten, Umwelteinflüsse et cetera werden in diesen Studien gar nicht berücksichtigt. Dieses Problem kennt man auch im zahnmedizinischen Bereich. Längst ist bekannt, dass Karies bei Kindern heute vor allem ein soziales Phänomen ist. Die Ursache: Je höher der Bildungsstand, desto besser die Ernährung und die Mundhygiene. Wenn also ein Zahnarzt besonders viele Füllungen macht, kann man daraus nicht schließen, dass er die Prophylaxe vernachlässigt. Auch die Haltbarkeit der Füllungen wird durch das Verhalten der Patienten entscheidend beeinflusst. Pay for performance? Bedenklich wird die Orientierung an der Ergebnisqualität, wenn sie mit Konsequenzen für den Behandler verbunden ist. So fordern einige Gesundheitspolitiker schon die Einführung eines neuen, erfolgsorientierten Vergütungssystems. Hierfür steht der Begriff „pay for performance“ (P4P). Die Indikatoren für die „performance“ entstammen der Betriebswirtschaft. Benchmarking, Rankings, regelmäßige Qualitätsberichte, Effizienzvergleiche – all dies sind Methoden, die Manager und Unternehmensberater einsetzen. Sie sollen nun auf die Medizin übertragen werden. Das Fernziel ist, dass die Vergütung der ärztlichen und zahnärztlichen Tä- Foto: chefsamba/fotolia.com der Sterberate nicht zwingend auf ein Unterschreiten des Facharztstandards schließen darf und kann. Hotels lassen sich von ihren Gästen schon lange bewerten. Für die Qualitätssicherung in der Medizin ist die Orientierung an der Ergebnisqualität dagegen nur bedingt geeignet. tigkeit an die Erfolgsrate geknüpft wird. Nur wenn ein vorgegebener Schwellenwert von Behandlungserfolgen erfüllt wird, fließt Geld. Gerade die Krankenkassen argumentieren immer wieder, dass sie keine schlechte Qualität bezahlen wollen. Dieser Ansatz verkennt jedoch, dass der Arzt lediglich zu einer fachgerechten Behandlung verpflichtet ist. Diese soll selbstredend dem medizinischen Standard zum Zeitpunkt der Behandlung (Facharztstandard) entsprechen – eine zwingende Verknüpfung mit dem Ergebnis, dass eine fachgerechte Behandlung nicht immer zu einem messbaren Erfolg führt. Genau deshalb haftet der Arzt auch nicht, wenn der erhoffte Behandlungserfolg beim Patienten nicht eintritt. Qualität von Dienstleistungen Eine lange Tradition hat die Qualitätsmessung im Dienstleistungsbereich. Hotels führen seit Langem Erhebungen über die Zufriedenheit der Gäste durch. Auch bei Hochschulen sind Bewertungen (Rankings) insbesondere im angelsächsischen Kulturkreis üblich. An die Ergebnisse wird die Bereitstellung von Geldmitteln geknüpft. Probleme gibt es immer wieder, wenn man versucht, die Qualität an konkreten Resultaten statistisch zu erfassen. Die Qualität einer Hochschule wird in Deutschland unter anderem auch durch die Zahl der Publikationen eines Lehrstuhls gemessen – mit zum Teil fragwürdigen Folgen. Da ja die Quantität maßgeblich ist, findet in der Wissenschaft derzeit vielfach eine Inflation von Veröffentlichungen statt. Aus einer Veröffentlichung werden plötzlich mehrere. Dieser Trend ist auffällig. Die Steigerung der Anzahl der Publikationen führt aber nicht zwingend zu neu- Praxis BZB Juli/August 12 33 KZVB en wissenschaftlichen Erkenntnissen. Richter werden nach der Anzahl ihrer Urteile bewertet. Eine Verweisung eines Streitfalls an ein anderes Gericht kann dabei genauso gewichtet werden wie ein seitenlanges Urteil. Richter suchen daher verständlicherweise zunächst einmal nach einem Verweisungsgrund. Abbildung: Matthias Haas/fotolia.com Fehlsteuerungen Die Orientierung an der Ergebnisqualität führt inzident zu Verhaltensänderungen, die wiederum zu Fehlsteuerungen führen können und damit die tatsächliche Qualität gefährden. Ein Beleg für Fehlanreize war in jüngster Zeit das Entlohnungssystem im Investmentbanking. Es kam nicht auf Nachhaltigkeit an, sondern auf den kurzfristigen Gewinn. Dies führte dazu, dass die Banker enorme Risiken eingingen. Ihre Vergütung war entsprechend hoch. Die jetzt im Rahmen der Qualitätssicherungsmaßnahmen diskutierten und von vielen Ärzten und Krankenhäusern bereits betriebenen Veröffentlichungen der Erfolge in Form statistischer Auswertungen der Behandlungsergebnisse könnten sich letztlich zum Nachteil der Patienten auswirken. Maßgeblich ist hier nämlich nicht mehr die fachgerechte Behandlung, sondern die Überlegung, ob die Behandlung zu einem statistisch messbaren Erfolg führen wird. Wenn die Anzahl der nichtextrahierten Zähne maßgeblich für eine qualitativ hoch- Die KZVB unterstützt die bayerischen Zahnärzte bei der Qualitätssicherung – ganz ohne gesetzlichen Zwang. wertige endodontische Behandlung ist, könnten Zahnärzte dazu verleitet werden, riskante Fälle nicht mehr selbst zu behandeln, sondern an einen anderen Behandler zu überweisen. Letztlich hat nämlich der Behandler die besten Resultate, der die erfolgversprechendsten Fälle behandelt. Wenn daran auch noch die Vergütung gekoppelt wird, könnte als Ausweichstrategie eine Risikoselektion stattfinden. Schwierige Fälle werden dann einfach weitergeschoben – und zwar in allen Medizinbereichen. Polymorbide Patienten mit einem hohen Letalitätsrisiko würden sich dann schwer tun, einen Behandler zu finden. Niemand käme auf die Idee, die Qualität und die Entlohnung eines Strafrechtverteidigers nur an der Anzahl seiner erwirkten Freisprüche zu messen. Es würde sich kein Anwalt mehr finden, der die Rechte eines überführten Straftäters vertritt. Ein reines „pay for performance“ ohne Berücksichtigung anderer Parameter ist deshalb grundsätzlich abzulehnen. Schlussfolgerungen: · Qualitätssichernde Maßnahmen sind auch aus der Medizin nicht mehr wegzudenken und grundsätzlich zu begrüßen. · Bei der Beurteilung von Qualität darf nicht allein die Ergebnisqualität im Sinne einer Heilung zugrunde gelegt werden, da der Behandlungserfolg von vielen Faktoren abhängt. · Statistische Erfassungen und Benchmarking im Bereich Qualität sind sehr zurückhaltend vorzunehmen, da die Qualität medizinischer Leistungen nur schwer quantitativ und vor allem statistisch zu erfassen ist. Solche Auswertungen führen insbesondere bei einer Koppelung mit der Honorierung zu Fehlsteuerungen und Ausweichstrategien. Leidtragende sind die Patienten mit hohen Risiken. · Ein Arzt schuldet eine fachgerechte Behandlung und keinen Behandlungserfolg. Die fachgerechte Behandlung muss im Mittelpunkt der Bewertung von Qualität stehen und nicht zwingend messbare „Behandlungserfolge“ (Ergebnisindikatoren). · Die Politik muss erkennen, dass die Veröffentlichung von angeblichen Erfolgsraten dem Berufsbild des Arztes widerspricht. Zwischen Behandler und Patient besteht kein Werkvertrag. Es gibt auch keine Verpflichtung zum Behandlungserfolg. Nikolai Schediwy