Ist Qualität statistisch messbar?

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BZB Juli/August 12
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KZVB
Ist Qualität statistisch messbar?
Eine Auseinandersetzung mit fragwürdigen Parametern
Ziel ist eine bessere Vergleichbarkeit (zahn-)medizinischer Leistungen. Der Gesetzgeber verlangt,
dass die Selbstverwaltung hierfür geeignete Maßnahmen entwickelt. Aber auch das Anspruchsdenken der Öffentlichkeit, vor allem der Patienten, hat
sich verändert. Hygieneskandale in Kliniken und
Behandlungsfehler erhöhen den Druck, aktiv zu
werden. Zudem sollen die Patientenrechte gestärkt
und die Transparenz im Gesundheitssystem erhöht
werden. Die Einführung und die Durchsetzung von
gesetzlich vorgegebenen Qualitätssicherungsmaßnahmen im gesamten Gesundheitswesen, also auch
in der vertragszahnärztlichen Versorgung, ist daher
ein unumkehrbarer Trend.
Falsche Qualitätsparameter
Das wichtigste Gremium dafür ist der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA). Dort herrscht derzeit
geradezu eine „Qualitätssicherungseuphorie“.
Erklärtes Ziel ist die Mess- und Vergleichbarkeit
der Qualität ärztlicher und zahnärztlicher Behandlungen.
Doch gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. Ich
möchte deshalb in diesem Beitrag auf die Risiken
hinweisen, die mit falschen Qualitätsparametern
verbunden sind. So besteht beispielsweise die Gefahr, dass sich Teile der (Zahn-)Ärzteschaft und
der Krankenhäuser in die falsche Richtung bewe-
gen, mit dem Resultat
einer nur vermeintlichen Qualitätsverbesserung.
Foto: KZVB
Niemand kann ernsthaft gegen Qualitätssicherung
und qualitätssteigernde Maßnahmen sein. Dabei
spielt es keine Rolle, ob es sich um die Herstellung
eines Produktes oder um eine Dienstleistung handelt. Auch das Gesundheitswesen wird sich den
neuen Herausforderungen der Qualitätssicherung
stellen müssen. Vor allem deshalb, weil es dabei
um die höchsten Güter, nämlich Leben und Gesundheit, geht. Der Gesetzgeber hat bereits die
Weichen dafür gestellt. Der Ball liegt nun bei den
Gremien der Selbstverwaltung. Neben dem bereits installierten Qualitätsmanagement werden
sich die Praxen sektorenübergreifenden, einrichtungsübergreifenden und zusätzlich sektorenspezifischen Qualitätssicherungsmaßnahmen stellen
müssen.
Arzt schuldet keinen
Erfolg
Das Kernproblem ist,
dass der Arzt eine
Dienstleistung erbringt
und keine WerkleisDer Autor ist Jurist und Leiter des
tung. Er schuldet folgKZVB-Geschäftsbereichs „Qualilich auch nach der
tät der vertragszahnärztlichen
Versorgung“.
Rechtsprechung des
B u n desgerichtshofs
keinen Behandlungserfolg, sondern eine Behandlung nach dem medizinischen Standard zum
Zeitpunkt der Behandlung (sogenannter Facharztstandard). Dieser erforderliche medizinische
Standard ist vom Stand der medizinischen Wissenschaft zu unterscheiden, der oft höher ist.
Ein Unterschreiten des medizinischen Standards
stellt grundsätzlich einen zivilrechtlichen Haftungsfall dar, der einen Schadensersatzanspruch des Patienten auslösen kann. Der Facharztstandard gilt
auch in der Vertragszahnheilkunde trotz Wirtschaftlichkeitsgebot und honorarbegrenzender Regelungen. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 2 Satz 3 und § 70
Abs. 2 letzter Halbsatz SGB V. Dort verweist das
Sozialrecht explizit auf diesen zivilrechtlich geforderten Standard.
Hieraus ergibt sich ein elementarer Unterschied
zum Werkvertragsrecht. Der Zahnarzt schuldet eben
keinen Erfolg in dem Sinne, dass der Patient geheilt
ist. Eine endodontische Behandlung kann also unter Umständen eine Extraktion nach sich ziehen, obwohl der Zahn fachgerecht behandelt worden ist,
weil die physiologischen Umstände oder auch andere Faktoren hierfür ursächlich waren. Dies gilt auch
umgekehrt. Die Nichterforderlichkeit einer Extraktion gibt keinen zwingenden Rückschluss auf eine
tatsächlich fachgerechte Behandlung. Ich möchte
an dieser Stelle nur an die komplexen Behandlungen
bei der Bekämpfung von Krankheiten wie HIV oder
Krebs hinweisen, bei der man selbstverständlich von
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Messung von Qualität
Und nun komme ich auf die Entwicklungen in der
Qualitätssicherung zurück. Alle Beteiligten sind bemüht, Qualität statistisch zu erfassen und sichtbar
zu machen (Transparenz). Leider entfernt man sich
dabei immer mehr vom Ziel, eine fachgerechte Behandlung zu erbringen, sondern setzt zunehmend
auf die Veröffentlichung einer medizinischen Ergebnisqualität. Es herrscht die Auffassung, dass
die Qualität medizinischer Leistungen quantitativ
messbar sei, indem man die Ergebnisse und Wirkungen von Heileingriffen quantifiziert und statistisch erfasst. So veröffentlichen Krankenhäuser bevorzugt die Zahl der erfolgreichen Behandlungen.
Es gibt Studien über die Sterblichkeitsraten bei verschiedenen Krankheitsbildern sowohl klinikbezogen als auch regional. Lässt das einen Rückschluss
auf die fachgerechte Behandlung zu? Ein weiteres
Beispiel: Einer Studie zufolge gibt es in Bayern
weniger Allergien als in anderen Bundesländern.
Sind die Ärzte in den Regionen mit höheren Krankheitsraten deshalb automatisch schlechter? Faktoren wie soziale Umstände, Lebensgewohnheiten,
Umwelteinflüsse et cetera werden in diesen Studien
gar nicht berücksichtigt. Dieses Problem kennt man
auch im zahnmedizinischen Bereich. Längst ist bekannt, dass Karies bei Kindern heute vor allem ein
soziales Phänomen ist. Die Ursache: Je höher der
Bildungsstand, desto besser die Ernährung und die
Mundhygiene. Wenn also ein Zahnarzt besonders
viele Füllungen macht, kann man daraus nicht
schließen, dass er die Prophylaxe vernachlässigt.
Auch die Haltbarkeit der Füllungen wird durch das
Verhalten der Patienten entscheidend beeinflusst.
Pay for performance?
Bedenklich wird die Orientierung an der Ergebnisqualität, wenn sie mit Konsequenzen für den Behandler verbunden ist. So fordern einige Gesundheitspolitiker schon die Einführung eines neuen, erfolgsorientierten Vergütungssystems. Hierfür steht
der Begriff „pay for performance“ (P4P). Die Indikatoren für die „performance“ entstammen der Betriebswirtschaft. Benchmarking, Rankings, regelmäßige Qualitätsberichte, Effizienzvergleiche – all
dies sind Methoden, die Manager und Unternehmensberater einsetzen. Sie sollen nun auf die Medizin übertragen werden. Das Fernziel ist, dass die
Vergütung der ärztlichen und zahnärztlichen Tä-
Foto: chefsamba/fotolia.com
der Sterberate nicht zwingend auf ein Unterschreiten des Facharztstandards schließen darf und kann.
Hotels lassen sich von ihren Gästen schon lange bewerten. Für die Qualitätssicherung
in der Medizin ist die Orientierung an der Ergebnisqualität dagegen nur bedingt
geeignet.
tigkeit an die Erfolgsrate geknüpft wird. Nur wenn
ein vorgegebener Schwellenwert von Behandlungserfolgen erfüllt wird, fließt Geld. Gerade die Krankenkassen argumentieren immer wieder, dass sie
keine schlechte Qualität bezahlen wollen.
Dieser Ansatz verkennt jedoch, dass der Arzt lediglich zu einer fachgerechten Behandlung verpflichtet ist. Diese soll selbstredend dem medizinischen
Standard zum Zeitpunkt der Behandlung (Facharztstandard) entsprechen – eine zwingende Verknüpfung mit dem Ergebnis, dass eine fachgerechte Behandlung nicht immer zu einem messbaren Erfolg
führt. Genau deshalb haftet der Arzt auch nicht,
wenn der erhoffte Behandlungserfolg beim Patienten nicht eintritt.
Qualität von Dienstleistungen
Eine lange Tradition hat die Qualitätsmessung im
Dienstleistungsbereich. Hotels führen seit Langem
Erhebungen über die Zufriedenheit der Gäste durch.
Auch bei Hochschulen sind Bewertungen (Rankings) insbesondere im angelsächsischen Kulturkreis üblich. An die Ergebnisse wird die Bereitstellung von Geldmitteln geknüpft. Probleme gibt es
immer wieder, wenn man versucht, die Qualität an
konkreten Resultaten statistisch zu erfassen. Die
Qualität einer Hochschule wird in Deutschland
unter anderem auch durch die Zahl der Publikationen eines Lehrstuhls gemessen – mit zum Teil fragwürdigen Folgen. Da ja die Quantität maßgeblich
ist, findet in der Wissenschaft derzeit vielfach eine
Inflation von Veröffentlichungen statt. Aus einer
Veröffentlichung werden plötzlich mehrere. Dieser
Trend ist auffällig. Die Steigerung der Anzahl der
Publikationen führt aber nicht zwingend zu neu-
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en wissenschaftlichen Erkenntnissen. Richter werden nach der Anzahl ihrer Urteile bewertet. Eine
Verweisung eines Streitfalls an ein anderes Gericht
kann dabei genauso gewichtet werden wie ein seitenlanges Urteil. Richter suchen daher verständlicherweise zunächst einmal nach einem Verweisungsgrund.
Abbildung: Matthias Haas/fotolia.com
Fehlsteuerungen
Die Orientierung an der Ergebnisqualität führt inzident zu Verhaltensänderungen, die wiederum zu
Fehlsteuerungen führen können und damit die tatsächliche Qualität gefährden. Ein Beleg für Fehlanreize war in jüngster Zeit das Entlohnungssystem
im Investmentbanking. Es kam nicht auf Nachhaltigkeit an, sondern auf den kurzfristigen Gewinn.
Dies führte dazu, dass die Banker enorme Risiken
eingingen. Ihre Vergütung war entsprechend hoch.
Die jetzt im Rahmen der Qualitätssicherungsmaßnahmen diskutierten und von vielen Ärzten und
Krankenhäusern bereits betriebenen Veröffentlichungen der Erfolge in Form statistischer Auswertungen der Behandlungsergebnisse könnten sich
letztlich zum Nachteil der Patienten auswirken.
Maßgeblich ist hier nämlich nicht mehr die fachgerechte Behandlung, sondern die Überlegung, ob
die Behandlung zu einem statistisch messbaren Erfolg führen wird. Wenn die Anzahl der nichtextrahierten Zähne maßgeblich für eine qualitativ hoch-
Die KZVB unterstützt die bayerischen Zahnärzte bei der Qualitätssicherung – ganz ohne gesetzlichen Zwang.
wertige endodontische Behandlung ist, könnten
Zahnärzte dazu verleitet werden, riskante Fälle
nicht mehr selbst zu behandeln, sondern an einen
anderen Behandler zu überweisen. Letztlich hat
nämlich der Behandler die besten Resultate, der
die erfolgversprechendsten Fälle behandelt. Wenn
daran auch noch die Vergütung gekoppelt wird,
könnte als Ausweichstrategie eine Risikoselektion
stattfinden. Schwierige Fälle werden dann einfach
weitergeschoben – und zwar in allen Medizinbereichen. Polymorbide Patienten mit einem hohen Letalitätsrisiko würden sich dann schwer tun, einen
Behandler zu finden.
Niemand käme auf die Idee, die Qualität und die
Entlohnung eines Strafrechtverteidigers nur an der
Anzahl seiner erwirkten Freisprüche zu messen. Es
würde sich kein Anwalt mehr finden, der die Rechte
eines überführten Straftäters vertritt. Ein reines
„pay for performance“ ohne Berücksichtigung anderer Parameter ist deshalb grundsätzlich abzulehnen.
Schlussfolgerungen:
· Qualitätssichernde Maßnahmen sind auch aus
der Medizin nicht mehr wegzudenken und grundsätzlich zu begrüßen.
· Bei der Beurteilung von Qualität darf nicht allein
die Ergebnisqualität im Sinne einer Heilung zugrunde gelegt werden, da der Behandlungserfolg
von vielen Faktoren abhängt.
· Statistische Erfassungen und Benchmarking im
Bereich Qualität sind sehr zurückhaltend vorzunehmen, da die Qualität medizinischer Leistungen nur schwer quantitativ und vor allem statistisch zu erfassen ist. Solche Auswertungen führen
insbesondere bei einer Koppelung mit der Honorierung zu Fehlsteuerungen und Ausweichstrategien. Leidtragende sind die Patienten mit hohen
Risiken.
· Ein Arzt schuldet eine fachgerechte Behandlung
und keinen Behandlungserfolg. Die fachgerechte
Behandlung muss im Mittelpunkt der Bewertung von Qualität stehen und nicht zwingend
messbare „Behandlungserfolge“ (Ergebnisindikatoren).
· Die Politik muss erkennen, dass die Veröffentlichung von angeblichen Erfolgsraten dem Berufsbild des Arztes widerspricht. Zwischen Behandler
und Patient besteht kein Werkvertrag. Es gibt
auch keine Verpflichtung zum Behandlungserfolg.
Nikolai Schediwy
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