Angst - Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie

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Angst- und
Zwangserkrankungen
Priv.-Doz. Dr. med. Katarina Stengler
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie
Universitätsklinikum Leipzig, AöR
(Direktor: Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl)
Angst
Ist Angst eine Krankheit?
¾ physiologisch
• Schutz
• Schreckreaktion
• Flucht
¾ pathologisch
• unbegründet
• anhaltend
• Leiden und Beeinträchtigung der Lebensqualität
verursachend
12-Monatsprävalenz psychischer Störungen
(Prozentanteil Betroffener an der Bevölkerung, Altersgruppe 18 - 65 Jahre)
Ess-Störungen
Illegale Drogen
Zwangsstörungen
Psychosen
Bipolare Störungen
Agoraphobie
Generalisierte Ängste
Panikstörungen
Soziale Phobien
Alkoholabhängigkeit
Somatoforme Störungen
Spezifische Phobien
Depression
0
1
Datenquelle: Wittchen/Jacobi (2005), S. 365
2
3
4
5
6
7
%
Angststörungen nach ICD10/ DSMIV
• Panikstörung
• Agoraphobie
• Generalisierte Angststörung
• Posttraumatische Belastungsstörung
• Soziale Phobie
• Spezifische Phobie
Pathogenese komplexer
Angsterkrankungen
Therapie
von Angsterkrankungen
Kognitive VT bei Angststörungen
Panikattacken
Generalisierte Angst
Agoraphobie
Soziale Ängste
Teufelskreis-Modell
Verlauf der Angstkurve(n)
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Zwänge
WILLIAM SHAKESPEARE:
Lady Macbeth (1605/06)
Historische Entwicklung
¾
1838 Esquirol: erstmals Beschreibung von
Zwangsphänomenen
¾
1867 Krafft-Ebing: Zwangsvorstellungen „...die sich dem
Kranken auf dem Boden einer depressiven
Verstimmung mit Unwiderstehlichkeit
aufdrängen..“
¾
1868 Griesinger: krankhafte Grübel- und Fragesucht
¾
1877 Westphal: Zwangsvorstellungen „...solche, die bei ...
intakter Intelligenz ...., gegen den Willen des
betreffenden Menschen in den Vordergrund
des Bewußtseins treten, sich nicht
verscheuchen lassen, .....welche der
Befallene als abnorm, ihm fremdartig
anerkennt und denen er mit seinem gesunden
Bewußtsein gegenübersteht...“
Historische Entwicklung
¾ 1894 Freud: analytisches Modell zur „Zwangsneurose“
¾ 1903 Janet: Psychasthenie - Konzept der Zwangserkrankungen
¾ Unvollständigkeitsgefühl
¾ relativer Verlust der Realitätsfunktionen
¾ Erschöpfung
¾ 1912 Jaspers
¾ 1972 E. Bleuler: Ausführliche, z.T. bis heute
gültige Beschreibungen der Psychopathologie
bei Zwangsstörungen
¾ Operationalisierte Kriterien erstmals im DSM-III für
„Obsessive-compulsive disorder (OCD)
¾ ICD 10/ DSM IV
Abgrenzung
¾ Rituale, magisches Denken, zwangsähnliche Phänomene auch
bei gesunden Menschen (Aufrechterhalten einer bestimmter
Ordnung, bestimmte Reihenfolge von Handlungen, unbedingte
Sauberkeit)
¾
Kindesalter: magische Geisteshaltung normal („nicht auf
Spalten der Gehwegplatten treten....“, „Gute – Nacht Ritual..“)
¾ Psychopathologisch relevante Zwänge: Einengung im Denken,
Fühlen, Handeln, sozialen Verhalten
¾ Konsequenzen: Sozialer Rückzug und Isolation, Behinderung
Klassifizierung nach ICD 10
F 42 Zwangsstörung
A.
Entweder Zwangsgedanken (ZG) oder Zwangshandlungen
(ZH) (oder beides) an den meisten Tagen über einen
Zeitraum von mindestens zwei Wochen.
B.
Die Zwangsgedanken (Ideen oder Vorstellungen) und
Zwangshandlungen zeigen sämtliche folgende Merkmale:
1.
2.
3.
4.
Sie werden als eigene Gedanken/ Handlungen von den
Betroffenen angesehen und nicht als von anderen Personen
oder Einflüssen eingegeben
Sie wiederholen sich dauernd und werden als unangenehm
empfunden und mind. ein ZG oder eine ZH werden als
übertrieben und unsinnig erkannt
Die Betroffenen versuchen Widerstand zu leisten, gegen mind.
einen ZG oder ZH ist dies aktuell erfolglos.
Die Ausführung eines ZG oder einer ZH an sich ist nicht
angenehm.
Klassifizierung nach ICD 10
F 42 Zwangsstörung
C.
D.
Die Betroffenen leiden unter den ZG und ZH oder werden in
ihrer sozialen oder individuellen Leistungsfähigkeit behindert,
meist durch den besonderen Zeitaufwand.
Ausschlussvorbehalt: Die Störung ist nicht bedingt durch eine
andere psychische Störung, wie F2 oder F3.
F 42.0 vorwiegend Zwangsgedanken und Grübelzwang
F 42.1 vorwiegend Zwangshandlungen (Rituale)
F 42.2 Zwangsgedanken und -handlungen, gemischt
F 42.8 sonstige Zwangsstörungen
F 42.9 nicht näher bezeichnete Zwangsstörung
Klassifizierung nach DSM IV
Angststörungen
300.3 Zwangsstörung
Kriterien A. – E. – Vergleiche ICD 10
Zusätzlich:
Bestimme, ob:
Mit wenig Einsicht: wenn die Person während der meisten Zeit
der aktuellen Episode nicht erkennt, dass die
Zwangsgedanken und Zwangshandlungen übertrieben oder
unbegründet sind.
Zwangsspektrumstörungen
Tourette-Syndrom
Hypochondrie
Dysmorphophobie
Zwang
Trichotillomanie
Eßstörungen
Unheilverhinderung
Spannungsreduktion
Differentialdiagnose
Depression:
anhaltendes Grübeln über
unangenehme Umstände;
stimmungskongruent z.B.:
Gedanke, wertlos zu sein –
nicht ich-dyston
Generalisierte Angststörung:
von Betreffenden als
übertriebene Sorgen über reale
Lebensumstände betrachtet
Hypochondrie:
ausschließlich Furcht, ernsthaft
erkrankt zu sein/ werden – wenn
keine zusätzlichen Rituale
Spezifische Phobie:
Sorge bezieht sich auf eine einzige
Erkrankung, keine Rituale
Wahnhafte Störung/ Schizophrenie:
Abgrenzung/ Realitätstestung auf
Kontinuum – DD: „wahnhafte
Zwangsstörung“ – mit wenig
Einsicht
Zwanghafte
Persönlichkeitsstörung:
keine ZG/ ZH, sondern durchgängig
↑ Beschäftigtsein mit Ordentlichkeit,
Perfektionismus und Kontrolle
Komorbidität
•
Affektive Störungen: 13% (Rasche-Räuchle, 1995) – 67%
(Rasmussen, 1996)
•
Angststörungen: 4% (Rasche-Räuchle, 1995) – 54% (Crino,
1996)
•
Schizophrenie: 12% (Karno, 1998)
•
Persönlichkeitsstörungen: 15% (Ecker, 1994) – 56%
(Mavissakalian, 1990) – [v.a. vermeidend und dependent
sowie Borderline und histrionisch]
Epidemiologie
•
Lebenszeitprävalenz: 2% - 2,5%
•
Erkrankungsalter: zwei Gipfel –
– juvenile Zwangsstörung vor dem (17.) 18. Lebensjahr
– adulte Zwangsstörung ca. 20.- 25. Lebensjahr
– nach dem 25.Lebensjahr erkranken nur noch 10-15% der Patienten
•
Erkrankungsdauer bei Therapiebeginn: 7-10 (15) Jahre
•
Erkrankungshäufigkeit für Männer und Frauen etwa gleich
(keine signifikanten Unterschiede)
•
keine kulturellen Unterschiede
•
kulturhistorisch interessant: Inhalt der Zwänge in Abhängigkeit
des gesellschaftlichen Kontextes
Ätiologie und Pathogenese
Neurobiologische Erklärungsmodelle
Ätiologie und Pathogenese
Neurobiologische Erklärungsmodelle
1. Neuroanatomisches Modell - funktionelle Bildgebung des Gehirns:
Dysfunktionalität des orbito-frontal-subkortikalen Schaltkreises
(Orbitofrontaler Kortex, Nucleus caudatus, Globus pallidus,
Thalamus) → neuronale Überaktivität im frontoorbitalen Kortex
und verringerte modulatorische Aktivität in den Basalganglien
[Zald & Kim 1996; Saxena et al. 1998]
Ätiologie und Pathogenese
Neurobiologische Erklärungsmodelle
2. Neurochemisches Modell (Serotoninmangel – Hypothese)
- therapeutische Wirksamkeit von SerotoninWiederaufnahmehemmer (SSRI) [Pigott 1999]
- 123-I-β-CIT-SPECT/PET: Serotonin-Transporter-Studien
[Stengler et al. 2004, 2006]
Figure 1: MRI-SPECT co-registration,
resulting sagittal slice at midline
(MultiModality, Hermes, Nuclear
Diagnostics). Ceraspect system
(DSI) – striatum, thalamus,
midbrain, brainstem
Figure 2 (transverse slice): ROI at midbrain
level
Ätiologie und Pathogenese
Psychologische Erklärungsmodelle
1.
Lerntheorien: kognitiv-behaviorale Modelle (z.B. Salkovskis,
1996) → interne Bewertungsprozesse
2.
Psychoanalytische Ansätze
-
-
triebdynamische Beschreibung nach Freud (1908)
→ entwicklungsdynamischer Zusammenhang zwischen
Zwangserkrankung und spezifischen sexuellen und
aggressiven Trieberfahrungen in der analen Phase
neuere Modelle nach Benedetti 1993; Joraschky 1996
Therapie der Zwangserkrankung
• Mittel der ersten Wahl: (kognitive) Verhaltenstherapie
[Kozak & Foa 2001]
• Kombination mit Pharmakotherapie [Hohagen et al. 1998]
–
–
SSRI
SSRI und atypische Neuroleptika
• Ergänzende therapeutische Maßnahmen
–
–
Soziales Kompetenztraining, Entspannungsverfahren
Soziotherapie
• Angehörigenarbeit [Van Noppen et al. 1997; Stengler-Wenzke &
Angermeyer 2002]
Verhaltenstherapie
• Psychoedukation
• Kognitives Modell als
theoretische Grundlage
• Stärkung bzw. Aufbau
sozialer Kompetenzen
entsprechend individueller
Problembereiche
• Verhaltensbeobachtung
– Situationsanalyse
• Funktionalitäten der
Zwänge
• Expositionsübungen:
in der Vorstellung und
real, mit und ohne
Therapeut
• Einbeziehung der
Angehörigen
• Langfristige Perspektive:
Selbsthilfe
Kognitives Modell der Zwangsstörung
(n.Salkovskis 1996)
Rückkopplungsschleifen
Aufdringlicher
Gedanke
Bedeutung/
Bewertung
Gefühle
Neutralisieren
Bsp.: morgendliche Körperhygiene
Körperteile könnten
„nicht richtig sauber“
sein... Bakterien,
Pilze...
...katastrophal,
schlimm,
furchtbar...
Schwitzen, Unruhe,
Wut, Verzweiflung
„Bereiche“ des
Körpers: Waschen,
Desinfizieren....
Pharmakotherapie
1. Selektive Serotonin-Wiederaufnahme- Hemmer
(SSRI)
→ Serotoninmangel-Hypothese:
Fluoxetin, Citalopram, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin
2. Atypische Neuroleptika
→ Störungen im dopaminergen System: insbesondere bei
Zwangsgedanken bzw. bei Therapieresistenz: Kombination
SSRI mit z.B.: Olanzapin
Schwierigkeiten in der Behandlung
von Zwangserkrankungen
¾ Komorbidität
¾ Dauer der Erkrankung
¾ Motivation
¾ Verheimlichung von Symptomen
¾ Symptomwechsel/ -verschiebung
¾ „funktionale Zwänge“
Verlauf und Prognose
¾ Schleichender Beginn
¾ Langzeitperspektive: etwa 50% bedeutsame
Teilremission
¾ Prognostisch wichtig: Erkrankungsbeginn,
Komorbidität
¾ 5-10% chronische Progredienz der Erkrankung
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