Die Milch ist noch schlechter als ihr Ruf

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Gegendarstellung zum Interview von Frederik
Jötten
mit Prof. Gerhard Rechkemmer
“Anti-Milch-Kampagnen: Milch ist besser als ihr
Ruf”
Spiegel online
Antwort:
Die Milch ist noch schlechter als ihr Ruf
Zur Person
Bodo Melnik ist Dermatologe und Lehrbeauftragter der Universität Osnabrück und
international bekannter Akne-Experte. Er untersucht seit Jahren den Einfluss des
Milchkonsums auf die Entstehung der Akne und weiterer Zivilisationskrankheiten.
Gegenstand seiner Forschungen ist es, die Milch als Signalsystem der Säugetierevolution
näher zu charakterisieren. Die von Prof. Rechkemmer geäußerten Aussagen zur Milch
beruhen auf der verbreiteten Auffassung, dass die Milch ein gewöhnliches
Nahrungsmittel darstellt. Diese Annahme ist jedoch falsch und führt zu folgenschweren
Fehlschlüssen. Melnik betrachtet Milch nicht als Nahrung, sondern als biologisches
Signalsystem zwischen Mutter und Neugeborenem, dass primär die Aufgabe hat,
Wachstum und Programmierung des Neugeborenen während der zeitlich begrenzten
Stillzeit zu fördern. Dazu aktiviert Milch den zentralen Schalter zellulären Wachstums,
das Enzym mTOR (Quelle: Melnik BC et al. Milk is not just food but most likely a genetic
transfection system activating mTORC1 signaling for postnatal growth. Nutr J 2013, 12:
103). Akne, Übergewicht, Diabetes, Krebs und die neurodegenerativen Erkrankungen
werden alle auf überhöhte Aktivität von mTOR zurückgeführt (Quelle: Zoncu R et al.
mTOR: from growth signal integration to cancer, diabetes and ageing. Nat Rev Mol Cell
Biol 2011, 12:21-35) und stehen somit in unmittelbarem Zusammenhang mit
kontinuierlichem Milchkonsum.
Milch induziert die Bildung des Wachstumshormons IGF1
IGF1 ist das stärkste Wachstumshormon des Menschen, das während der Pubertät die
höchsten Blutspiegel erreicht und Akne induziert (Quelle: Melnik BC, Schmitz G. Role of
insulin, insulin-like growth factor-1, hyperglycaemic food and milk consumption in the
pathogenesis of acne vulgaris. Exp Dermatol 2009, 18:833-841). IGF1 ist zwar in Kuhmilch
enthalten, spielt in der Milch aber keine wesentliche Rolle. Viel bedeutsamer ist aber die
Tatsache, dass Milchkonsum die Bildung von IGF1 in der Leber des Milchempfängers
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stimuliert. So weisen Milchkonsumenten um 20% höhere IGF1-Blutspiegel auf als
Menschen ohne Milchkonsum (Quellen: Qin LQ et al. Milk consumption and circulating
insulin-like growth factor-I level: a systematic literature review. Int J Food Sci Nutr 2009,
60 Suppl 7:330-340; Rich-Edwards JW et al. Milk consumption and the prepubertal
somatotropic axis. Nutr J 2007, 6:28). IGF1 aktiviert das Enzym mTOR. Erhöhte
Serumspiegel von IGF1 stehen in gesicherter Verbindung zu Brust- und Prostatakrebs
(Quellen: The Endogeneous Hormones and Breast Cancer Collaborative Group. Insulin-like
growth factor 1 (IGF1), IGF binding protein 3 (IGFBP3), and breast cancer risk: pooled
individual data analysis of 17 prospective studies. Lancet Oncol 2010, 11: 530-542; Chen W
et al. Phenotypes and genotypes of insulin-like growth factor 1, IGF-binding protein-3 and
cancer risk: evidence from 96 studies. Eur J Hum Genet 2009, 17:1668-1675). IGF1 in der
Milch ist somit nicht das Problem, sondern die Fähigkeit der Milch, hohe IGF1-Spiegel
beim Empfänger zu induzieren. Dies ist ein physiologisch sinnvoller Mechanismus zum
Wachstum während der Stillzeit. Dieser Mechanismus ist jedoch nicht als Dauerstimulus
vorgesehen. Hier macht der Homo sapiens seit der neolithischen Revolution (Einführung
der Milchwirtschaft vor ca. 10 000 Jahren) eine folgenschwere Ausnahme, die durch die
flächendeckende Einführung der Kühltechnologie seit Anfang der 1950iger Jahre weiter
verschärft wurde.
Milchkonsum fördert Übergewicht
Prof. Melnik teilt nicht die Einschätzung von Prof. Rechkemmer, dass Milchkonsum in
„geringem Maße vor Übergewicht schützt“. So zeigten Arnberg und Mitarbeiter
(Universität Kopenhagen), dass die tägliche Aufnahme von 1 L Magermilch (35 g
Milcheiweiß) über 12 Wochen den Body Mass Index (BMI) bereits übergewichtiger
Teenager weiter steigerte (Quelle: Arnberg K et al. Skim milk, whey, and casein increase
body weight and whey and casein increase the plasma C-peptide concentration in
overweight adolescents. J Nutr 2012, 142:2083-2090). Wissenschaftler aus Israel
demonstrierten kürzlich, dass Mäuse, die zusätzlich mit Kuhmilch gefüttert wurden,
deutlich stärker an Gewicht zulegten als Milch-frei ernährte Tiere (Quelle: Yamin HB et
al. Long-term commercial cow's milk consumption and its effects on metabolic parameters
associated with obesity in young mice. Mol Nutr Food Res 2014, 58:1061-1068). Die mit
Vollmilch gefütterten Mäuse wiesen erwartungsgemäß eine erhöhte mTOR-Aktivität auf.
Milchkonsum fördert Diabetes
Übergewicht ist ein anerkannter Risikofaktor für die Entstehung des Typ-2 Diabetes und
erhöhten Blutdrucks. Milchkonsum fördert im Gegensatz zu Fleisch verstärkt die
Synthese von Insulin (Quelle: Hoppe C et al. High intakes of milk, but not meat, increase sinsulin and insulin resistance in 8-year-old boys. Eur J Clin Nutr 200, 59:393-398). Jedes
Glas Milch löst nach ca. 20 Minuten einen Insulinpuls aus, der nicht durch die
Kohlenhydrate der Milch, sondern durch deren Insulin-stimulierende Aminosäuren
hervorgerufen wird. Insulin ist wie sein Schwesterhormon IGF1 ein Wachstumshormon.
Durch die Fähigkeit der Milch, die Insulinbildung in der Bauchspeicheldrüse zu
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stimulieren, trägt Milch zur mTOR-Aktivierung und folglich zu Wachstum bei. Dieser
Mechanismus endet natürlicher Weise mit dem Abstillen, besteht aber fort, wenn Milch
weiter konsumiert wird. Molekularbiologische Befunde verdeutlichen, dass eine
ständige Zufuhr Insulin-stimulierender Aminosäuren zum vorzeitigem Tod Insulinbildendender Zellen führt (Quellen: Melnik BC. Leucine signaling in the pathogenesis of
type 2 diabetes and obesity. World J Diabetes 2012, 3:38-53; Krokowski D et al. A selfdefeating anabolic program leads to β-cell apoptosis in endoplasmic reticulum stressinduced diabetes via regulation of amino acid flux. L Biol Chem 2013, 288:17202-17213).
Daher ist es nicht verwunderlich, dass industrieunabhängige Studien wie die Physicians
Healths Study mit 21 660 teilnehmenden Ärzten (Quelle: Song Y et al. Whole milk intake
is associated with prostate cancer-specific mortality among U.S. male physicians. J Nutr
2013, 143:189-196) und die EPIC-InterAct Study in 8 europäischen Ländern mit
insgesamt 340234 Teilnehmern ein erhöhtes Diabetes-Risiko in Zusammenhang mit
Milchkonsum feststellten (Sluijs I et al. The amount and type of dairy product intake and
incident type 2 diabetes: results from the EPIC-InterAct Study. Am J Clin Nutr 2012, 96:382390). In Milch-freien Bevölkerungen wie den Kitava-Inselbewohnern in Papua
Neuguinea, tritt keine Akne auf. Die Insulinspiegel dieser Menschen liegen 50%
niedriger im Vergleich zu Milch konsumierenden Europäern (Quellen: Cordain L et al.
Acne vulgaris: a disease of Western civilization. Arch Dermatol 2002, 138:1584-1590;
Lindeberg S et al. Low serum insulin in traditional Pacific Islanders - the Kitava Study.
Metabolism 1999, 49:1216-1219). Das wohl weltweit am häufigsten verschriebene
Antidiabetikum Metformin wurde jüngst als mTOR-Hemmer und damit als Gegenspieler
der Milch identifiziert (Quelle: Melnik BC, Schmitz G. Metformin: an inhibitor of mTORC1
signaling. J Endocrinol Diabetes Obes 2014, 2:1029).
Milch induziert Demenzerkrankungen
Die Alzheimer-Krankheit tritt bei Diabetikern deutlich häufiger auf als bei Gesunden. In
Analogie zur Akne spielen auch bei der Alzheimer-Erkrankung erbliche Faktoren nur
eine sehr untergeordnete Rolle. Wiederum ist es die überhöhte Aktivität von mTOR, die
für beide Erkrankungen primär verantwortlich gemacht wird (Quellen: Melnik BC,
Zouboulis CC. Potential role of FoxO1 and mTORC1 in the pathogenesis of Western dietinduced acne. Exp Dermatol 2013, 22:311-315; Caccamo A et al. mTOR regulates tau
phosphorylation and degradation: implications for Alzheimer´s disease and other
tauopathies. Aging Cell 2013, 12:370-380). Fehlregulierte Phosphorylierung der TauEiweiße im Gehirn ist auch bei der Parkinson-Krankheit von kritischer Bedeutung.
Kyrozis und Mitarbeiter fanden eine enge Korrelation zwischen Milchkonsum und
Auftreten der Parkinson-Krankheit in Griechenland (Quelle: Kyrozis A et al. Dietary and
lifestyle variables in relation to incidence of Parkinson's disease in Greece. Eur J Epidemiol
2013, 28:67-77). In einer großen chinesischen Metaanalyse berichteten Jiang und
Mitarbeiter jüngst über eine 17%ige Erhöhung des Parkinson-Risikos je 200 g
Milchverzehr pro Tag (Quelle: Jiang W et al. Dairy foods intake and risk of Parkinson´s
3
disease: a dose-response meta-analysis of prospective cohort studies. Eur J Epidemiol 2014,
June 4).
Milch fördert Akne
Mehr als 85% der Teenager in Industriestaaten entwickeln Akne, nicht dagegen die
Milch-frei ernährten Kitava-Inselbewohner. Diese Zahlen sprechen eindeutig gegen die
Vorherrschaft erblicher Akne-Auslöser. Adebamowo und Kollegen von der HarvardUniversität wiesen bei epidemiologischer Auswertung der Nurses Health Study II (47355
Frauen) und der Growing-Up-Today-Study (4273 Jungen, 6094 Mädchen) erstmals auf
den Zusammenhang zwischen Milchkonsum und Akne hin (Quellen: Adebamowo CA et al.
High school dietary dairy intake and teenage acne. J Am Acad Dermatol 2005, 52:207-214;
Adebamowo CA et al. Milk consumption and acne in teenaged boys. J Am Acad Dermatol
2008, 58:787-793; Adebamowo CA et al. Milk consumption and acne in adolescent girls.
Dermatol Online J 2006, 12:1). Die italienische Dermatologin DiLandro und Kollegen
bestätigten in einer multizentrischen klinischen Studie die Korrelation zwischen
Milchkonsum zu Akne (Quelle: Di Landro A et al. Family history, body mass index, selected
dietary factors, menstrual history, and risk of moderate to severe acne in adolescents and
young adults. J Am Acad Dermatol 2012, 67:1129-1135). Kürzlich berichteten Burris und
Mitarbeiter aus New York über eine dosisabhängige Beziehung zwischen Milchkonsum
und Akne (Burris J et al. Relationships of self-reported dietary factors and perceived acne
severity in a cohort of New York young adults. J Acad Nutr Diet 2014, 114:384-392). Das
epidemische Auftreten der Akne und die dosisabhängige Korrelation zwischen
Milchkonsum und Akne widerlegen die Vorstellung, dass Milch nur bei erblich
vorbelasteten Jugendlichen Akne auslöst. Die Akne ist offenbar eine sichtbare
Indikatorerkrankung überhöhter mTOR-Aktivität der Talgdrüsen, die durch Milch
maßgeblich gefördert wird (Quelle: Melnik BC et al. Acne: risk indicator for increased body
mass index and insulin resistance. Acta Derm Venereol 2013, 93:644-649).
Milchkonsum fördert Prostatakrebs
Herr Rechkemmer akzeptiert eine Beziehung zwischen Milchkonsum und Prostatakrebs,
ist jedoch der Meinung, dass die Hinweise bisher nicht „überzeugend klassifiziert“ seien.
Allen und Mitarbeiter (Universität Oxford) zeigten in einer multizentrischen Studie mit
insgesamt 142251 Männern über einen Zeitraum von 8,7 Jahren, dass eine hohe Zufuhr
von Milcheiweiß mit einem erhöhten Risiko von Prostatakrebs einhergeht. So erhöhte
eine tägliche Zufuhr von 35 g Milcheiweiß das Prostatakrebsrisiko um 32% (Quelle:
Allen NE et al. Animal foods, protein, calcium and prostate cancer risk: the European
Prospective Investigation into Cancer and Nutrition. Br J Cancer 2008, 98:15741582). 35 g
Milcheiweiß sind in 1 L Milch enthalten. Eine Aufnahme von 35g Milcheiweiß ist ohne
weiteres bei täglichem Konsum von Milch, Joghurt und Käse erreichbar. Song und
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Mitarbeiter (Universität Los Angeles) zeigten in der Physicians Health Study, an der
21660 Ärzte als Probanden mitwirkten, dass der Konsum von Vollmilch das Risiko an
aggressiv verlaufendem Prostatakrebs zu erkranken, signifikant erhöht (Quelle: Quelle:
Song Y et al. Whole milk intake is associated with prostate cancer-specific mortality among
U.S. male physicians. J Nutr 2013, 143:189-196). Tobias Hagen und Stefanie Waldeck vom
Institut für wirtschafts- und rechtswissenschaftliche Forschung der Universität
Frankfurt fanden mittels ökonometrischer Methoden eine Beziehung zwischen
Milchkonsum und den Mortalitätsraten von Prostata- und Eierstockkrebs in 50 Ländern
(Quelle: Hagen T, Waldeck S. Using panel econometric methods to estimate the effect of
milk consumption on the mortality rate of prostate cancer and ovarian cancer. Working
Paper Series: Business and Law, No. 03, June 2014). Entsprechend ihrer Analysen
prognostizierten die Autoren, dass eine Reduktion des Anteils der Milch von 8% auf 1%
der Kalorienaufnahme die Anzahl der Todesfälle für beide Krebsarten um 1/3 bis 2/3
senken würde. Eine ständige Aktivierung von mTOR spielt bei Entstehung und
Fortschreiten von Prostatakrebs eine zentrale Rolle (Quellen: Hsieh AC et al. The
translational landscape of mTOR signalling steers cancer initiation and metastasis. Nature
2012, 485:55-61; Melnik BC et al. The impact of cow´s milk-mediated mTORC1-signaling in
the initiation and progression of prostate cancer. Nutr Metab (Lond) 2012, 9:74).
Besorgniserregend ist die Island-Studie, die zeigt, dass täglicher Milchkonsum bis zum
20. Lebensjahr das Risiko an aggressiv verlaufendem Prostatakrebs im Alter zu
erkranken um den Faktor 3 steigert (Quelle: Torfadottir JE et al. Milk intake in early life
and risk of advanced prostate cancer. Am J Epidemiol 2012, 175:144-153). Unter diesem
Aspekt ist die Empfehlung von Schulmilch zu verwerfen. Eine überhöhte Stimulation von
mTOR durch Milchkonsum scheint also nicht nur die sichtbare Talgdrüsenerkrankung
Akne negativ zu beeinflussen, sondern auch die Prostata. Hieraus erklärt sich die
gesteigerter Häufigkeit von Akne in jüngeren Jahren bei an Prostatakrebs erkrankten
Männern (Quelle: Sutcliffe S et al. Acne and risk of prostate cancer. Int J Cancer 2007,
121:2688-2692).
Milch schützt nicht vor Osteoporose
Der Empfehlung, Jugendlichen zum Knochenaufbau ausreichend Kalzium zuzuführen, ist
nicht zu widersprechen, jedoch nicht in Form gesteigerten Milchkonsums. Milch liefert
zwar viel Kalzium, führt aber gleichzeitig zu unerwünschter, übersteigerter mTORAktivierung. Die Harvard-Forscher um Walter Willett konnten in einer 18-jährigen
prospektiven Studien mit 72337 Frauen nach der Menopause keinen Osteoporosepräventiven Effekt durch Milch nachweisen (Feskanich D et al. Calcium, vitamin D, milk
consumptiom, and hip fractures: a prospective study among postmenopausal women. Am J
Clin Nutr 2003, 77:504-511). Eine hohe Kalziumzufuhr über 1400 mg pro Tag, die durch
Milch und Käsekonsum schnell erreicht werden kann, erhöht entsprechend einer Studie
des Karolinska-Instituts (61433 Frauen) das Risiko an Herzkreislauferkrankungen zu
versterben (Quelle: Michaelsson K et al. Long term calcium intake and rates of all cause
and cardiovascular mortality: community based prospective longitundinal study. BMJ
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2013, 346:f228). Bemerkenswerter Weise berichteten Feskanich und Kollegen der
Harvard-Universität, dass jedes tägliche Glas Milch bei männlichen Teenagern das Risiko
für Femurbrüche im Seniorenalter um 9% steigert (Quelle: Feskanich D et al. Milk
consumption during teenage years and risk of hip fractures in older adults. JAMA 2014,
168:54-60). Diese Befunde widersprechen der Vorstellung von Herrn Rechkemmer
durch verstärkten Milchkonsum während der Jugend nachhaltig die Knochendichte im
Alter optimieren zu können, das Gegenteil scheint der Fall zu sein.
Künstliche Säuglingsnahrung erhöht das Risiko für Zivilisationskrankheiten
Unkontrollierte, überhöhte Milcheiweißzufuhr in Form künstlicher Säuglingsnahrung
steigert entsprechend der frühen Eiweißhypothese die Wachstumsgeschwindigkeit der
Kinder und fördert Übergewicht der Kinder bis ins Schulalter (Quelle: Weber M et al.
Lower protein content in infant formula reduces BMI and obesity risk at school age: followup of a randomized trial. Am J Clin Nutr 2014, 99:1041-1051). Darüber hinaus geht
beschleunigtes frühkindliches Wachstum mit einem erhöhten Asthma-Risiko einher
(Quelle: Brüske I et al. Body mass index and incidence of asthma in children. Curr Opin
Allergy Clin Immunol 2014, 14:155-160). Die im Milcheiweiß in erhöhter Konzentration
vorkommenden essentiellen Aminosäuren stimulieren in besonderem Maße das Enzym
mTOR (Quelle: Bar-Peled L, Sabatini DM. Regulation of mTORC1 by amino acids. Trends
Cell Biol 2014, 24:400-406). Erhöhte Aktivierung von mTOR durch übermäßige
Eiweißzufuhr im Säuglingsalter vermehrt einerseits die Bildung von Fettzellen
(erhöhtes Risiko für späteres Übergewicht), hemmt anderseits die Entwicklung
regulatorische Immunzellen, was mit einem erhöhten Allergierisiko einhergeht (Melnik
BC. Excessive leucine-mTORC1-signalling of cow milk-based infant formula: the missing
link to understand early childhood obesity. J Obes 2012, 2012:197653; Melnik BC. The
potential mechanistic link between allergy and obesity development and infant formula
feeding. Allergy Asthma Clin Immunol 2014, 10:37).
Schlussfolgerung und Ausblick
Der Versuch milchkritische Stimmen, die sich sachlich und industrieunabhängig mit den
biologischen Wirkungen der Milch beschäftigen, in einer „alternativ-medizinische Ecke
zu isolieren, ist höchst bedauerlich und unwissenschaftlich. Es wird deutlicher, dass
zwischen wissenschaftlich tätigen Medizinern, praktizierenden Therapeuten und
Ernährungswissenschaftlern höchst divergierende Ansichten über Milch bestehen.
Wirtschaftliche Interessenskonflikte sind hier nicht auszuschließen. Die
Ernährungswissenschaft mag zwar die Bestandteile der Milch gut kennen, versteht aber
offensichtlich nicht deren funktionelle Auswirkungen im Körper des Menschen. Dies ist
auch nicht ihre primäre Aufgabe, sondern hier ist die Kompetenz der Medizin und
Physiologie aufgerufen. Eine ständige Überhöhung von mTOR gilt als der gemeinsame
Nenner aller Zivilisationskrankheiten (Quelle: Johnson SC et al. mTOR is a key modulator
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of ageing and age-related disease. Nature 2013, 493:338-345; Xu S et al. mTOR signaling
from cellular senescence to organismal aging. Aging Dis 2014, 5:263-273). Weniger
Milchkonsum vermindert die mTOR-Aktivität und eröffnet damit eine riesige, bisher
ungenutzte Chance zur Prävention ernster und extrem kostenintensiver
Zivilisationskrankheiten. Die Arbeitsgruppe um Kapahi postulierte „weniger TOR ist
mehr“ (Quelle: Kapahi P et al. With TOR, less is more: a key role for the conserved nutrientsensing TOR pathway in aging. Cell Metab 2010, 11:453-465). Der lebenslange Konsum
von Milch stellt evolutionsbiologisch gesehen eine neuartige Verhaltensänderung des
Menschen dar, deren langfristige Folgen noch nicht in voller Dimension abzuschätzen
sind (Quelle: Wiley A. Cow milk consumption, insulin-like growth factor-I, and human
biology: a life history approach. Am J Hum Biol 2012, 24:130-138). Ein differenzierterer
und fürsorglicherer Umgang mit den negativen biologischen Effekten chronischen
Milchkonsums unter Berücksichtigung validierter internationaler Erkenntnissen ist im
Interesse der Volksgesundheit insbesondere von unseren Ernährungswächtern im Max
Rubner Institut zu erwarten.
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