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SE MODALLOGIK UND ANDERE
PHILOSOPHISCH RELEVANTE LOGIKEN
WS 2015/16 — ESTHER RAMHARTER &
GÜNTHER EDER
DEFIZITE DER PL ERSTER STUFE
•
Klassische Prädikatenlogik erster Stufe (first-order logic, kurz FOL) hat
einige Defizite, die die Ausdrucksstärke betreffen und sich aus dem
Umstand ergeben, dass es in Sprachen erster Stufe nur quantifizierbare
Individuenvariablen x, y, z … gibt.
•
Folgende Aussagen sind nicht (oder nicht offensichtlich) in die Notation
der FOL übersetzbar:
(1) Es gibt einen Gott und der hat alle positiven Eigenschaften.
(2) Es gibt eine Eigenschaft, die jeder erfolgreiche Fussball-Trainer hat.
(3) Es gibt genauso viele A’s wie B’s.
•
(1) — (3) sind Beispiele von Sätzen, die Quantifikation über
Eigenschaften bzw. Funktionen zu erfordern scheinen.
VOLLSTÄNDIGKEITSSATZ
•
Eine andere Art von „Ausdrucksschwäche“ ergibt sich aus einer Reihe von
Metatheoremen zur FOL, die eng mit dem Vollständigkeitssatz
zusammenhängen.
•
Sei L eine Sprache erster Stufe, S eine Menge von L-Sätzen, α ein einzelner L-Satz
und ⊢ bezeichne die Ableitungsbeziehung des Kalküls des natürlichen
Schließens für die FOL, den wir aus dem GKL kennen. Es gilt der
Vollständigkeitssatz. Wenn S ⊨ α, dann S ⊢ α.
•
Alternativ lässt sich der Vollständigkeitssatz auch so formulieren:
Vollständigkeitssatz*. Wenn S formal konsistent ist, dann ist S erfüllbar.
KOMPAKTHEITSSATZ
•
Ein triviale Folgerung aus dem Vollständigkeitssatz ist der Kompaktheitssatz.
•
Sei L wieder eine Sprache erster Stufe, S eine Menge von L-Sätzen und α ein
einzelner L-Satz. Es gilt der
Kompaktheitssatz. Wenn S ⊨ α, dann gibt es eine endliche Teilmenge S0 von S,
sodass S0 ⊨ α.
•
Alternativ lässt sich der Kompaktheitssatz auch so formulieren:
Kompaktheitssatz*. Wenn jede endliche Teilmenge S0 von S erfüllbar ist, dann
ist S erfüllbar.
ABZÄHLBARE UND
ÜBERABZÄHLBARE MENGEN
•
Um ein weiteres wichtiges Metatheorem der FOL zu formulieren, rufen
wir uns zuerst in Erinnerung, dass man zwischen verschiedenen Größen
von unendlichen Mengen unterscheiden kann:
Definition. Eine Menge A heisst abzählbar unendlich wenn A unendlich
viele Elemente enthält und es eine bijektive („eins-eins“) Abbildung f: A ⟶
ℕ = {0, 1, 2, 3, …} gibt. Eine Menge A heisst überabzählbar unendlich wenn
A unendlich, aber nicht abzählbar unendlich ist.
•
Beispiele für abzählbare Mengen: ℤ, ℚ, die Menge aller endlichen Folgen
in ℕ, die Menge aller Formeln einer Sprache mit endlichem Vokabular.
•
Beispiele für überabzählbare Mengen: ℝ, die Menge aller Teilmengen
𝓟(ℕ) der natürlichen Zahlen ℕ.
LÖWENHEIM-SKOLEM
THEOREME
•
Folgende Theoreme gelten für die FOL:
Satz von Löwenheim-Skolem („abwärts-Version“). Wenn S eine Menge
von L-Sätzen ist und S ein unendliches Modell hat, dann hat S ein
abzählbar unendliches Modell.
Satz von Löwenheim-Skolem („aufwärts-Version“). Wenn S eine Menge
von L-Sätzen ist und S ein unendliches Modell hat, dann hat S ein
überabzählbar unendliches Modell.
•
Allgemeiner gilt: Jede Menge von Sätzen einer Sprache erster Stufe
hat, falls sie überhaupt unendlich Modelle hat, Modelle von jeder
unendlichen Mächtigkeit.
WO IST DAS PROBLEM?
Wieso sind das Kompaktheitstheorem und die Löwenheim-Skolem
Theoreme so problematisch?
•
Wir haben bisher so getan, als wäre klar, was die natürlichen Zahlen
ℕ sind, wie sie strukturiert sind und welche Gesetze von ihnen
gelten. Und bis zu einem gewissen Grad stimmt das auch.
•
Für die Zwecke der Mathematik hätten wir aber gerne ein präzises
System von Axiomen A, das die Struktur der natürlichen Zahlen 𝒩
eindeutig charakterisiert. Ein Kandidat für so ein Axiomensystem ist
das System der Peano-Arithmetik (PA) erster Stufe.
PEANO-ARITHMETIK ERSTER
STUFE
•
Das System PA der Peano-Arithmetik ist formuliert in der Sprache der Arithmetik
LPA, die als einzige nichtlogische Zeichen die Nachfolgerfunktion s, die Additionsund Multiplikationsfunktion ⊕ und ⊗ und eine Konstante 0 enthält. (s(0) soll für 1
stehen, s(s(0)) für 2 etc.)
•
Die Peano-Axiome sind eine unendliche Menge von Sätzen, die grundlegende
Wahrheiten über 𝒩 := ⟨ℕ, s𝒩, +𝒩, ×𝒩, 0𝒩⟩ ausdrücken und sie lauten:
(1) ∀x∀y(x ≠ y ⟶ s(x) ≠ s(y))
(2) ¬∃x(s(x) = 0)
(3) ∀x∀y (x ⊕ s(y) = s(x ⊕ y))
(4) ∀x (x ⊕ 0 = x)
(5) ∀x∀y (x ⊗ s(y) = x ⊗ y + x)
(6) ∀x (x ⊗ 0 = 0)
(7) α(0) ∧ ∀x(α(x) ⟶ α(s(x)) ⟶ ∀xα(x)
•
(7), das Induktionsschema, ist kein einzelnes Axiom sondern ein Axiomenschema
und enthält für jede Formel α(x) der Sprache der Arithmetik LPA ein Axiom.
PEANO-ARITHMETIK ERSTER
STUFE
•
•
Die intendierte Interpretation von PA ist 𝒩. D.h. in der intendierten
Interpretation von PA laufen die Quantoren über die „wirklichen“
natürlichen Zahlen ℕ, die Zeichen ⊕ und ⊗ bezeichnen die
„wirkliche“ Additions- und Multiplikationsfunktion, 0 bezeichnet
die „wirkliche“ 0 und s die „wirkliche“ Nachfolgerfunktion n ↦ n+1.
0
1
1+1
1+1+1
1+1+1+1
…
0
1
2
3
4
…
Man hätte gerne, dass PA exakt (zumindest „bis auf Isomorophie“)
die Struktur 𝒩 und keine andere beschreibt!
PEANO-ARITHMETIK ERSTER
STUFE
Definition. Zwei Modelle 𝒰 = ⟨U, s𝒰,+𝒰, ×𝒰, 0𝒰⟩, 𝒱 = ⟨V, s𝒱,+𝒱, ×𝒱, 0𝒱⟩
von PA heissen isomorph, wenn es eine bijektive Funktion f: U ⟶ V
gibt, sodass gilt: f(0𝒰) = 0𝒱; für alle n ∈ U: f(s𝒰(n)) = s𝒱(f(n)); für alle n,
m ∈ U: f(n +𝒰 m) = f(n) +𝒱 f(m); für alle n,m ∈ U: f(n ×𝒰 m) = f(n) ×𝒱 f(m).
•
Zwei isomorphe Modelle haben also genau dieselbe Struktur. Alle
Beziehungen zwischen Objekten des einen Modelles gelten für die
entsprechenden Objekte des anderen Modells.
•
Der Kompaktheitssatz und der Satz von Löwenheim-Skolem
implizieren aber, dass genau das nicht der Fall ist und dass das
nicht an einem (in FOL) vermeidbaren Defizit von PA liegt!
ÜBERABZÄHLBARE NONSTANDARD MODELLE VON PA
•
Der Satz von Löwenheim-Skolem (in der „aufwärts“-Variante)
impliziert: es gibt Modelle von PA, deren domain eine
überabzählbare Menge ist.
•
Zum Beispiel gibt es Modelle ℳ von PA, mit ℳ = ⟨ℝ, sℳ,+ℳ, ×ℳ,
0ℳ⟩, deren domain die Menge aller reellen Zahlen ℝ ist. Offenbar
kann es keinen Isomorphismus zwischen ℳ und 𝒩 geben.
•
Das Löwenheim-Skolem Theorem sagt uns also, dass wir PA auch
so verstehen können, dass mit den Axiomen von PA Aussagen
über eine vollkommen andere Struktur als die der „echten“
natürlichen Zahlen macht!
ABZÄHLBARE NON-STANDARD
MODELLE VON PA
•
Der Kompaktheitssatz gibt uns eine Möglichkeit an die Hand, wie wir
sogar ein abzählbares, zum Standard-Modell 𝒩 nicht-isomorphes, Modell
von PA konstruieren können.
•
Dazu betrachte man die Menge der Peano-Axiome PA zusammen mit der
unendlichen Satzmenge C = {c ≠ 0, c ≠ s(0), c ≠ s(s(0)), …}, formuliert in
der Sprache LPA ∪ {c} die ein zusätzliches Konstantensymbol c enthält.
•
Weil jede endliche Teilmenge von PA ∪ C erfüllbar ist (wieso?), ist wegen
des Kompaktheitssatzes auch PA ∪ C durch irgendein Modell 𝒩* erfüllt.
•
Da 𝒩* ein Modell von PA ∪ C ist, ist 𝒩* insbesondere auch ein Modell von
PA alleine. D.h. es gibt Modelle der Peano-Axiome PA, wo es zusätzlich zu
den „Standard-Zahlen“ 0, 1, 2, 3, … auch eine „Non-Standard-Zahl“ gibt!
NON-STANDARD MODELLE DER
PEANO ARITHMETIK
•
Damit ist aber noch nicht Schluss! Es reicht nicht aus, zu den „üblichen“
natürlichen Zahlen nur eine „Non-standard Zahl“ c dazuzunehmen!
0
•
…
c
1
2
…
c
c+1 …
Jede Zahl ausser 0 hat aber auch einen Vorgänger, also muss es auch vor c noch
unendlich viele neue Non-standard Zahlen geben
0
•
2
Eines der Peano-Axiome sagt uns nämlich, dass jede Zahl einen Nachfolger hat,
also muss das auch für c, dessen Nachfolger, dessen Nachfolger etc. gelten
0
•
1
1
2
…
… c—1
c
c+1 …
Wir haben nach den wirklichen natürlichen Zahlen also mindestens eine
„Kopie“ der ganzen Zahlen. Wie sich zeigt, reich aber auch das noch nicht aus,
damit wirklich alle Axiome von PA erfüllt sind…
SPRACHE DER SECOND-ORDER
LOGIC
•
Prädikatenlogik zweiter Stufe (second-order logic, SOL) hat die
zauberhafte Macht alle erwähnten Defekte zu beheben!
•
Die Sprache der SOL ist dieselbe wie für FOL, nur dass wir
zusätzlich zu den Individuenvariablen auch quantifizierbare
Relations- und Funktionsvariablen verschiedener Stelligkeit zur
Verfügung haben
Relationsvariablen: X, Y, Z, … X2, Y2, Z2, … X3, Y3, Z3, …
Funktionsvariablen: f, g, h, … f2, g2, h2, … f3, g3, h3, …
SECOND-ORDER LOGIC FOR THE
RESCUE
•
Die Tatsache, dass wir jetzt auch über Eigenschaften quantifizieren
können, erlaubt es und die Sätze von früher sehr einfach zu
formalisieren:
(1) Es gibt einen Gott und der hat alle positiven Eigenschaften.
(1’) ∃x(Gx ∧ ∀X(P(X) ⟶ Xx))
(2) Es gibt eine Eigenschaft, die jeder erfolgreiche Fussball-Trainer hat.
(2’) ∃X(∀x(Ex ⟶ Xx)
(3) Es gibt genauso viele A’s wie B’s.
(3’) ∃f(f ist Funktion von den A’s zu den B’s ∧ f ist bijektiv)
(Die Abkürzungen „f ist Funktion von den A’s zu den B’s“ und „f ist bijektiv“
können selbst in FOL definiert werden.)
SEMANTIK DER SECOND ORDER
LOGIC
•
Auch die Semantik der SOL funktioniert im Prinzip genauso wie die Semantik
der FOL, insbesondere ist der Begriff des Modells / Interpretation genauso
festgelegt wie in der FOL, d.h. als ein Paar ⟨D, I⟩, das aus einer nichtleeren
domain D und einer Interpretationsfunktion für das nicht-logische Vokabular
besteht.
•
Das einzige, was sich ändert, ist
•
dass es eine Zusatzklausel bei der Definition einer Variablenbelegung
gibt, die nun auch Relations- und Funktionsvariablen Werte zuordnen
muss.
•
dass es in den Wahrheitsbedinungen für quantifizierte Sätze eine
Zusatzklausel für Sätze gibt, die Quantifikationen über Relationen oder
Funktionen beinhalten.
SEMANTIK DER SECOND ORDER
LOGIC
Definition. Eine Variablenbelegung ist eine Funktion s, die jeder
•
Individuenvariablen x ein Objekt s(x) ∈ D zuordnet.
•
Relationsvariablen Xn eine Menge s(Xn) ⊆ D zuordnet.
•
n
n
Funktionsvariablen fn eine Funktion f*: D ⟶ D zuordnet.
Definition. Eine Xn-(bzw. x- bzw. fn-) Variante s’ einer Variablenbelegung s ist eine
Variablenbelegung, die genau gleich wie s ist, ausser möglicherweise für die
Variable Xn (bzw. x bzw. fn).
•
Die Wahrheitsbedingungen für quantifizierte Sätze (in einem Modell M, relativ zu
einer Variablenbelegung s) sind dann offensichtlich (und analog für Sätze, in
denen über Funktionen quantifiziert wird):
M, s ⊨ ∀Xnα
gdw.
für alle Xn-Varianten s’ von s gilt: M, s’ ⊨ Xnα
M, s ⊨ ∃Xnα
gdw.
es gibt eine Xn-Variante s’ von s, sodass: M, s’ ⊨ Xnα
SEMANTIK DER SECOND ORDER
LOGIC
•
Wie üblich legen wir dann fest:
Definition. Ein Satz ist logisch wahr genau dann wenn er in allen
Modellen wahr ist (kurz ⊨SOL α).
Definition. Ein Satz α folgt logisch aus einer Menge von Sätzen S
genau dann wenn α in jedem Modell wahr ist, in dem auch alle Sätze
in S wahr sind (kurz S ⊨SOL α).
SECOND-ORDER LOGIC FOR THE
RESCUE
•
•
Wie sich zeigt, hat SOL einige Eigenschaften, die man gerne
haben möchte! Insbesondere gilt:
•
Kompaktheitssatz gilt für SOL nicht mehr!
•
Löwenheim-Skolem Theorem gilt für SOL nicht mehr!
Wir können also aufgrund der neuen Ausdrucksstärke der SOL mit
Hilfe von Theorien S, die in Sprachen zweiter Stufe formuliert sind,
mehr Modelle „ausschließen“!
Definition. Eine Menge von Sätzen S heisst kategorisch, wenn alle
Modelle von S isomorph sind.
SECOND-ORDER LOGIC FOR THE
RESCUE
•
Insbesondere kann man zeigen, dass die Axiome der second-order
Peano-Arithmetik PA2 kategorisch sind!
(1) ∀x∀y(x ≠ y ⟶ S(x) ≠ S(y))
(2) ¬∃x(S(x) = 0)
(3) ∀x∀y (x + S(y) = S(x + y))
(4) ∀x (x + 0 = x)
(5) ∀x∀y (x × S(y) = S(x × y) + x)
(6) ∀x (x × 0 = 0)
(7) ∀X(X0 ∧ ∀x(Xx ⟶ XS(x)) ⟶ ∀xXx)
•
Aus der Kategorizität von PA2 folgt auch, dass für einen beliebigen Satz α,
der in der Sprache von PA2 formuliert ist, gilt: 𝒩 ⊨ α PA2 ⊨SOL α.
•
PA2 ist also so unglaublich gut gewählt, dass alle (und nur die) wahren
Sätze über natürliche Zahlen aus PA2 folgen!
ALLES HAT SEINEN PREIS…
•
Vorteile, die eine Logik in einer bestimmten Hinsicht bringt, werden
oft durch Nachteile in einer anderen Hinsicht erkauft. Das ist hier
nicht anders!
•
Wir nennen eine Folgerungsbeziehung ⊨ (stark) vervollständigbar,
wenn es einen effektiven Kalkül K gibt der (stark) vollständig in
Bezug auf ⊨ ist, d.h. für den gilt: ⊨ α ⊢K α (S ⊨ α S ⊢K α).
•
Wir wissen z.B. dass der klassische Begriff der logische Wahrheit
(bzw. der klassische semantische Folgerungsbegriff)
vervollständigbar ist. Es gibt verschiedenste Kalküle die (stark)
vollständig in Bezug auf diesen logischen Wahrheitsbegriff (bwz.
Folgerungsbegriff) sind.
ALLES HAT SEINEN PREIS…
Theorem. SO-logische Wahrheit (bzw. SO-logische Folgerung) ist nicht schwach (bzw.
stark) vervollständigbar.
•
Was dieses Metatheorem besagt, ist, dass es keinen Kalkül gibt, sodass die
Theoreme dieses Kalküls genau die allgemeingültigen Sätze der SOL sind.
•
Für jeden SO-Kalkül, den wir aus dem Hut zaubern, wird es also immer
allgemeingültige Sätze (bzw. gültige Argumente) geben, die in diesem Kalkül nicht
ableitbar sind!
•
Was das in Bezug auf PA2 bedeutet ist: Wir wissen zwar, dass aus PA2 alle wahren
Sätze der Arithmetik folgen, aber das heisst nicht, dass wir aus PA2 auch alle
wahren Sätze beweisen / ableiten können!
•
Hinter all dem lauern andere, wichtige Meta-theoreme wie Gödels
Unvollständigkeitssatz und verwandte Resultate, aber dazu ein ander mal mehr…
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