ALKOHOLISMUS PRIM. DR. DAVID 1 Seminarinhalt • Historisches • Definition • Diagnose • Verlauf • Biologische Therapie • Psychotherapie • Sozialtherapeutische Maßnahmen • Pav. 26 Therapieprogramm 3 Funktion und Folgen des Alkohols (Feuerlein 1994) Funktion Rauschmittel Altertum/Mittelalter Aufklärung/Industrialisierung Verursacher körperlicher Schäden + + Arzneimittel + - Suchtmittel - + Verursacher sozialer Probleme + + Kontaktförderung + + Sakrales Mittel + + Rauschmittel + + Genussmittel + + Nahrungsmittel + - 4 Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 1 Alkoholismus als Krankheit • Dipsomanie (v. Bühler-Cramer)1819 • Trunksucht (Trotter 1821) • Begriff Alkoholismus erstmals 1852(Huss) • Kontrollverlust (Jellinek 1946) • Phasenmodell (Jellinek 1960) 5 Alkoholismus – Sucht • Wortbedeutung:– germanisch: suhti, – althochdeutsch: suht, suft,– mittelhochdeutsch: suht • Wortwurzel: „siechen“– althochdeutsch: siuchen– mittelhochdeutsch: siuhan 6 Historische Entwicklung des Suchtbegriffes • Bis Ende 19. Jahrhundert: „Sucht” bedeutet Krankheit (Schwindsucht, Wassersucht, Fallsucht, Trunksucht usw.) • 1957-1964: Offizielle Verwendung des Begriffes „Sucht” durch die WHO • 20. Jahrhundert: Einführung der Begriffe „Missbrauch” und „Abhängigkeit” • ICD-10 und DSM-IV: „Schädlicher Gebrauch”und „Abhängigkeitssyndrom” 7 Suchtbegriff • Krankheitsbegriff – Bleichsucht – Wassersucht – Fallsucht • Auch verwendet für störende Verhaltensweisen – Habsucht – Geltungssucht • Und für eingeschränkte Selbstkontrolle– Eifersucht– Rachsucht– Tobsucht 8 Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 2 Sucht - Süchtigkeit (Laubenthal 1964) • Süchtigkeit = starkes, hemmungsarmes Verlangen nach bestimmten (Schein-) Werten, das gewöhnliches Maß überschreitet und (selbst)zerstörerisch wirkt. Entscheidungsfähigkeitbleibt erhalten • Sucht = unter passivem Drang stehendes begierdemäßiges Verlangen. Entscheidungsfähigkeit ist verloren 9 Wissenschaftliche Bewertung und Gesellschaft • Menninger (1938): Alkoholismus ist eine Form des verlangsamten Selbstmords • Szasz (1972) Alkoholismus ist eine schlechte Gewohnheit • Alkoholismus als – Laster – Charakterschwäche – Strafe für Alkoholkonsum – Reaktionsbildung auf Belastungen – 10 Aktuelle Klassifikationen • WHO • ICD 10 • DSM IV • Typologien – Jellinek – Lesch – Cloninger – Babor – Schuckitt 11 Suchtbegriff WHO 1957 • „drug addiction“ = Zustand periodischer oder chronischer Vergiftung, der durch Zufuhr einer bestimmten Substanz hervorgerufen wird • 4 Kriterien – Unbezwingbares Verlangen zur Einnahme und Beschaffung des Mittels Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 3 – Tendenz zur Dosissteigerung – Psychische und physische Abhängigkeit – Folgeschäden für den Konsumenten und die Gesellschaft – 12 ICD 10 F 10 – F 19 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen • Gebrauch einer oder mehrerer psychotroper Substanzen (mit oder ohne ärztliche Verordnung). Die verursachenden Substanzen werden durch die dritte Stelle, die klinischen Erscheinungsbilder durch die vierte Stelle kodiert; • Die Identifikation der psychotropen Stoffe soll auf der Grundlage möglichst vieler Informationsquellen erfolgen – eigenen Angaben des Patienten – die Analyse von Blutproben oder von anderen Körperflüssigkeiten – charakteristische körperliche oder psychische Symptome, klinische Merkmale und Verhalten – sowie andere Befunde, wie die im Besitz des Patienten befindlichen Substanzen oder fremdanamnestische Angaben. Viele Betroffene nehmen mehrere Substanzarten zu sich. 13 F 10.0 Akute Intoxikation Ein Zustandsbild nach Aufnahme einer psychotropen Substanz mit Störungen von Bewusstseinslage, kognitiven Fähigkeiten, Wahrnehmung, Affekt und Verhalten oder anderer psychophysiologischer Funktionen und Reaktionen. Die Störungen stehen in einem direkten Zusammenhang mit den akuten pharmakologischen Wirkungen der Substanz und nehmen bis zur vollständigen Wiederherstellung mit der Zeit ab, ausgenommen in den Fällen, bei denen Gewebeschäden oder andere Komplikationen aufgetreten sind. Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 4 Komplikationen können ein Trauma, Aspiration von Erbrochenem, Delir, Koma, Krampfanfälle und andere medizinische Folgen sein. Die Art dieser Komplikationen hängt von den pharmakologischen Eigenschaften der Substanz und der Aufnahmeart ab. Akuter Rausch bei Alkoholabhängigkeit, Pathologischer Rausch, Rausch o.n.A., Trance und Besessenheitszustände bei Intoxikation mit psychotropen Substanzen, "Horrortrip" (Angstreise) bei halluzinogenen Substanzen 14 Aufnahme von Alkohol Alkohol wird im gesamten Verdauungstrakt aufgenommen. - Dies beginnt in geringem Umfang bereits in der Mundschleimhaut. Der dort aufgenommene Alkohol geht direkt in das Blut über und wird damit über den gesamten Körper einschließlich des Gehirns verteilt. - Der im Darm aufgenommene Alkohol gelangt dagegen zunächst mit dem Blut in die Leber, wo er teilweise abgebaut wird.- Die Alkoholaufnahme wird durch Faktoren, die die Durchblutung steigern, erhöht, beispielsweise Wärme (Irish Coffee, Grog), Zucker (Likör) und Kohlenstoffdioxid (sog. Kohlensäure in Sekt), Fett verlangsamt dagegen die Aufnahme. Dies führt aber nicht zu einer niedrigeren Resorption des Alkohols insgesamt, sondern nur zu einer zeitlichen Streckung. 15 BLUTALKOHOLKONZENTRATION Grafik I BAK auf leerenMagen II BAK nachMahlzeit 16 Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 5 Alkoholgehalt • Brot: bis 0,3 % • Apfelsaft: bis 0,4 % • Sauerkraut: 0,5 % • alkoholfreies Bier: bis 0,5 % • Traubensaft: bis 0,6 % • reife Banane: bis 1 % (durchschnittlich 3 ml) • reifer Kefir: bis ca. 1 % • Bier – Leichtbiere: 1–2,5 % – Vollbiere: ca. 3–5 %, meist um 5 %– Starkbiere: 6–12 % • Weine: 7–14 %, meist um 12 % und mehr bei Rotweinen– Met: ca. 5–15 %– Apfelwein: ca. 5,5–7 % • Liköre: ca. 15–75 %, meist unter 30 % • Spirituosen: ca. 30–96 %, meist ca. 40 % 17 Abbau von Alkohol • In der Leber wird der Alkohol durch das Enzym Alkoholdehydrogenase zu Ethanal (Acetaldehyd, H3CCHO) abgebaut, das weiter zu Essigsäure oxidiert wird. • Die Essigsäure wird über den Citratzyklus und die Atmungskette in allen Zellen des Körpers unter Energiegewinnung zu CO2 veratmet. • Das Zwischenprodukt Ethanal ist auch für den sogenannten Kater mitverantwortlich. Der Abbau des Ethanals wird durch Zucker gehemmt, daher ist der Kater bei süßen alkoholischen Getränken, insbesondere Likör, Bowlen und manchen Sektsorten besonders intensiv. 18 Abbau von Alkohol • Die Abbaurate durch die Alkoholdehydrogenase ist innerhalb gewisser Grenzen konstant. • Sie beträgt mindestens 1 g Alkohol je 10 kg Körpergewicht und Stunde, wobei die Abbauzeiten von Männern und Frauen geringfügig variieren. Eine Flasche Bier (1/2 l, 16 g Alkohol) wird erfahrungsgemäß in 1– 2 Stunden abgebaut. • Bei Männern findet sich eine leicht erhöhte Aktivität der gastrischen Alkoholdehydrogenase im Magen, mit der Folge einer geringfügigen Beschleunigung des Alkoholabbaus. 19 Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 6 Abbau von Alkohol • Alkohole in unsauber destillierten Spirituosen, die so genannten Fuselalkohole, werden ebenfalls durch die Alkoholdehydrogenase abgebaut und verlangsamen den Abbau des Alkohols. • Etwa fünf Prozent des Alkohols werden über Urin, Schweiß und Atemluft abgegeben. • Er darf nicht zur Aufwärmung nach einer Unterkühlung gegeben werden, da es die Symptome nur forciert. Das angebliche Fässchen Rum bei den Bernhardiner-Hunden als Ration für Unterkühlte ist daher vom medizinischen Standpunkt lebensgefährlich 20 Abbau von Alkohol • 2-5% Physikalische Elimination (Atmung, Schweiß, Urin) • 95-98% enzymatisch, zu 90-95% in Leber • 3 Enzyme beteiligt – ADH: Alkoholdehydrogenase 90%, nicht induzierbar – MEOS: mikrosomales ethanoloxydierendes System 10%, induzierbar – Katalase: sehr geringer Umsatz – 21 Wirkung von Alkohol • Psychisch – Betäubung – Stimulation – Stimmungswandel • Physiologisch – Erweiterung peripherer Blutgefäße – Wärmegefühl bei gleichzeitiger Einschränkung der Temperaturregulation 22 Alkoholisierung und Hirnleistung • Die Hirnleistung lässt mit steigender Promillezahl deutlich nach: Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 7 • 0,2 Promille: Die Wahrnehmung für bewegte Lichtquellen verändert sich, die Risikobereitschaft steigt. • 0,3 Promille: Die Raumtiefeneinschätzung, Aufmerksamkeit und auch die Konzentrationsfähigkeit lassen nach. 23 • 0,5 Promille: Anvisierte Objekte wirken in der Wahrnehmung weiter entfernt, die Empfindlichkeit der Augen für rotes Licht lässt nach und die Umstellung auf verschiedene Lichtverhältnisse wird erschwert. Auch die Reaktionszeit lässt nach, es kommt zu Gleichgewichtsstörungen und das Unfallrisiko steigt auf das Doppelte. • 0,8 Promille: Verengtes Blickfeld (Tunnelsehen), die Abschätzung der Raumtiefe verringert sich um die Hälfte. Durch die aufkommende Müdigkeit wird die Reaktionszeit erheblich verlängert, auch die Kritikfähigkeit lässt nach. Das Unfallrisiko steigt bereits auf das Vierfache an. 24 Feststellung der Alkoholisierung 1 • Klinisch – Leichter Rausch < 1 0/00 Euphorisierung, Enthemmung, Aktivität T, obj. T, subj. Leistungsafähigkeit T. Leichte Koordinationsstörungen – Mittelgardiger Rausch 1 - 2,5 0/00 Euphorie oder Gereiztheit, Enthemmung, Benommenheit, psychomot. Unsicherheit, Impulsivität, Triebdurchbrüche, Perseverationen, explosive Reaktionen. Ataxie, Nystagmus, Sprachstörungen - Schwerer Rausch > 2,5 0/00 Bewußtseinsstörung, Desorientiertheit, Verlust des Situationsbezugs, Angst, Erregung. Stand- und Rumpfataxie, Somnolenz bis Koma 25 Feststellung der Alkoholisierung 2 • Alkoholbestimmung in Ausatemluft: 2100:1 • Äthanolbestimmung in – Blut – Harn • Methanolbestimmung Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 8 26 Feststellung der Alkoholisierung 3 Nötige Angaben zur Berechnung 1. Getrunkene Alkoholmenge (z.B. 1 Liter = 1.000 ml) 2. Alkoholgehalt des Getränkes in Volumenprozent (Angabe auf Flasche, z.B. 5 Vol.%) 3. Körpergewicht des Konsumenten (z.B. 70 kg) 4. Geschlecht des Konsumenten für Widmark-Konstante (Mann:0,7 und Frau: 0,6) 5. Spezifisches Gewicht von ALKOHOL: 0,8 g/ml (Konstante) 27 Feststellung der Alkoholisierung 4 • Alkoholmengenformel A = m x Vol%/100 x s x rp A = Aufgenommene Alkoholmenge in Gramm m = Getrunkene Menge in Milliliter s = Spezifisches Gewicht von Alkohol (0,8 g/cm³) rp = Resorptionsdefizit (0,8) Beim Resorptionsdefizit (Aufnahmeverlust) handelt es sich um eine Konstante, die angibt, wie viel Alkohol von der getrunkenen Alkoholmenge im Körper aufgenommen wurde, da Alkohol nach der Aufnahme teilweise wieder ausgeschieden wird durch Atmung, Transpiration und Verdauung. Dieser Verlust beträgt zwischen 10% und 30%, also im Durchschnitt 20%, daher rp=0,8. 28 Feststellung der Alkoholisierung 5 Der Blutalkohol, angegeben in Promille (‰), berechnet sich mit Hilfe der Widmark- Formel wie folgt: Ac = ---------r x G Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 9 Mit c = Blutalkohol in ‰ A = aufgenommene Menge an Alkohol in Gramm (g)r = Verteilungsfaktor im Körper (0,7 für Männer, 0,6 für Frauen) G = Gewicht der betroffenen Person in Kilogramm (kg) Der Verteilungsfaktor r ist ein dimensionsloser Faktor, der ein hypothetisches Gewicht errechnet, auf den sich der aufgenommene Alkohol verteilt. 29 Rauschformen 1 • „einfacher“ Rausch – Promillebezogene psychophysische Trunkenheitszeichen – Enthemmung, euphorische oder depressivdysphorische Zustände • Atypischer Rausch – Inkongruenzen zwischen BAK und psychischmotorischen Ausfällen – Vitale Erregung – Inadäquate Affekte, – Dysphorsich-aggressive Stimmung Wesensfremd anmutende Handlungen – – 30 Rauschformen 2 • Pathologischer Rausch – Existenz teilweise bezweifelt extem selten, meist niedrige BAK – Psychotisch gefärbter Rausch, wahnhafte Züge, Halluzinationen – Kein Realitätsbezug, Desorientiertheit, Situationsverkennung – Anfallsartige vitale Erregung, exzessive Affekte, verwirrte Erregtheit – Charakteristisch: Terminalschlaf, komplette Amnesie 31 Vorgehen bei schweren Rauschzuständen • Anamneseerhebung (Fuselalkohol, Mischintoxikation?) • Somat.-neurologische Untersuchung (Herdbefund, Fraktur, Verletzungen, Kreislaufsituation…) • Gesamtes Labor (v.a. BZ, Leber, Niere, Elektrolyte, CK, BB, Blutgase • Toxikologie (bei Verdacht auf Mischintoxikation: evtl.Magenspülung, evtl. Flumazenil) • Bei neurologischer Symptomatik: CCT, EEG 32 Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 10 F 10.1 Schädlicher Gebrauch Konsum psychotroper Substanzen, der zu Gesundheitsschädigung führt. Diese kann als körperliche Störung auftreten, etwa in Form einer Hepatitis nach Selbstinjektion der Substanz oder als psychische Störung z.B. als depressive Episode durch massiven Alkoholkonsum.Missbrauch psychotroper Substanzen 33 Harmlosigkeitsgrenze Konsum wird als unbedenklich eingestuft bei:Männern bis 24 Gramm reiner Alkohol pro Tag Frauen bis 16 Gramm reiner Alkohol pro Tag vereinfacht ca. 20 Gramm Alkohol Das entspricht ein halber Liter Bier oder ein Viertel Wein 34 20 g reinen Alkohol sind in ca. einem 1/2 Liter Bier oder einem 1/4 Liter Wein oder 3 kleinen Schnäpsen enthalten. Gefährdungsgrenze Konsum wird als gesundheitsgefährdend eingestuft: Bei Männern ab 60 Gramm reiner Alkohol pro Tag das entspricht 3 halbe Liter Bier oder 3 Viertel Wein bei Frauen ab 40 Gramm reiner Alkohol pro Tag das entspricht 2 halbe Liter Bier oder 2 Viertel Wein 35 Problemlage 36 Alkohol und Unfälle • Bei wie vielen tödlichen Verkehrsunfällen spielt Alkohol eine Rolle? 25% • Wie oft wird bei tödlichen Verkehrsunfällen Jugendlicher Alkoholisierung festgestellt? 50% Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 11 • Bei wie vielen Arbeitsunfällen ist Alkohol beteiligt? 32% • Wie viele der in Unfallabteilungen mit Schädel – Hirn - Verletzungen eingelieferten Patienten sind alkoholisiert? 80% 37 Alkohol und Straffälligkeit • Wie viele Alkoholkranke werden straffällig? 30% • Wie oft spielt Alkoholisierung ein Rolle bei Straftaten? – Tötungen 60% – Widerstand gegen die Staatsgewalt 80% – Notzuchtsdelikte 75% – Affekttaten 75% – Gewalt in Familie 60% 38 Alkoholfolgekrankheiten • Alkohol kann alle Organsysteme schädigen • Alkohol kann sowohl akut als auch chronisch Schäden verursachen • Alkoholbedingte Schäden haben bei Abstinenz je nach Ausprägungsgrad eine gewisse Rückbildungstendenz • Der drohende Rückfall ist ein ständiger Begleiter 39 Internistische Folgeschäden • • Lebererkrankungen – Fettleber – Hepatitis – Zirrhose • Pankreaserkrankungen – Pankreatitis • Gastrointestinale Störungen – Gastritis u.a. • Kardiomyopathie • Hämatologische Störungen , Vitamin B6 und B12 – Anämie • Stoffwechselstörungen • Myopathie 40 Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 12 Neurologische Folgeschäden • Wernicke-Enzephalopathie • Alkoholische Kleinhirnatrophie • Polyneuropathie • Tremor • Epileptische Anfälle 41 F 10.2 Abhängigkeitssyndrom • Eine Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Substanzgebrauch entwickeln. Typischerweise besteht ein starker Wunsch, die Substanz einzunehmen, Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren, und anhaltender Substanzgebrauch trotz schädlicher Folgen. Dem Substanzgebrauch wird Vorrang vor anderen Aktivitäten und Verpflichtungen gegeben. Es entwickelt sich eine Toleranzerhöhung und manchmal ein körperliches Entzugssyndrom. Das Abhängigkeitssyndrom kann sich auf einen einzelnen Stoff beziehen (z.B. Tabak, Alkohol oder Diazepam), auf eine Substanzgruppe (z.B. opiatähnliche Substanzen), oder auch auf ein weites Spektrum pharmakologisch unterschiedlicher Substanzen. 42 Biologische Grundlagen 1 • Suchtgedächtnis (Böhmig 1994) – „Belohnungssysteme“ in Hippocampus, limbischem System und Amygdala – Stimulierung der „Lustzentren“ mit vermehrten Opiatrezeptoren – Alkohol wirkt direkt durch Euphorie, indirekt durch Angstminderung • Veränderung der Neurotransmitter – Endorphine – Dopamin – GABA – Serotonin – Exzitatorische Aminosäuren • Neuronale Membranen • G-Proteine 43 Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 13 Biologische Grundlagen 2 • Komplexes Zusammenspiel verschiedener Endorphine und Enkephaline • Zu Entzugsbeginn erniedrigte, im Rausch erhöhte Endorphinspiegel im Liquor • Genetische Unterschiede (Blume 1983) – - Genotyp 1: „geborener Alkoholiker“ hat Defizit an endogenen Opioiden – Genotyp 2: „Gewohnheitstrinker“ entwickelt keine Endorphindefizit – Genotyp 3: unter Alkoholkonsum und Dauerstress entwickelt sich Endorphindefizit • Endorphinsysteme stehen mit Dopaminssystemen in Verbindung 44 Alkoholismus und Genetik • Es gibt verschieden wirksame Polymorphien der Alkoholdehydrogenase und damit verschieden wirksame Abbauwege • Ein alkoholabhängiger Verwandter 1. Grades bedeutet ein siebenfach erhöhtes Erkrankungsrisiko,das Risiko ist bei männlichen Verwandten männlicher Alkoholiker besonders hoch • Adoptions- und Zwillingsstudien belegen genetische Prädispositionen 45 Alkohol und Dopaminsystem • Dopamin reguliert „reward-system“ • Biphasischer Effekt: – Akut ?š – Chronisch ?Ÿ • Alkohol-Craving wird durch die stimulierende Wirkung von Alkohol auf das Dopaminsystem. Bei chronischer Intoxikation erschöpft sich die funktionelle Kapazität dopaminerger Neurone. Wobei dies aber durch die alkoholinduzierte Stimulation des Dopaminsystems zunächst maskiert wird und nur im Entzug deutlich wird. 46 Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 14 Alkohol und GABA-System • Benzodiazepine und Alkohol steigern Bindungsvermögen von GABA an Rezeptoren con Cl-Ionen Hyperpolarisation TEinstrom TErregbarkeit sinkt • Chronische Alkoholintoxikation vermindert zentrale GABAerge Funktion 47 Alkohol und Serotonin-System • Abstinente Alkoholabhängige haben in Liquor und Urin geringere Raten von Serotoninmetaboliten • Inverse Korrelation zwischen 5-HTAA im Liquor und Rückfallshäufigkeit • Post-mortem-Studien zeigen niedrigeren Gehalt von %HT • Niedrige 5HT-Spiegel auch bei nichttrinkenden Kindern Alkoholkranker 48 Alkohol und Glutamat • Wichtigster exzitatorischer Transmitter im Gehirn • Große Rolle bei „kindling effect“ • Fördert Einfluß von Ca-Ionen und damit Erregungsausbreitung 49 Alkohol und Zellmembranen • Alkohol penetriert Zellmembranen, erhöht Membranfluidität • Funktion von Proteinen, die am Aufbau von Rezeptoren und Ionenkanälen beteiligt sind, werden verändert • Zusammenhang mit Ausbildung von Alkoholtoleranz und –abhängigkeit 50 Alkohol und G-Proteine • G-Proteine sind an einer Vielzahl von physiologischen Prozessen beteiligt und für die Kopplung extrazellulärer Signale an intrazelluläre Funktionen von Bedeutung Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 15 • In vitro und im Tierversuch findet sich bei chronischer Alkoholbelastung eine verminderte Empfindlichkeit von Rezeptoren, die zu einer biochemischen Toleranz führt 51 Diagnostik: CAGE-Fragebogen Craving/Anger/Guilt/Early morning • Waren Sie je der Meinung, Sie sollten Ihr Trinken EINSCHRÄNKEN? • Hat man Sie durch Kritik an Ihrem Trinkverhalten VERÄRGERT? • Hatten Sie wegen Ihres Trinkens jemals ungute oder SCHULDGEFÜHLE? • Haben Sie jemals gleich frühmorgens als Erstes etwas getrunken (einen MUNTERMACHER), um Ihre Nerven zu beruhigen oder einen Kater loszuwerden? 52 Alkoholismus-Selbsttests • Münchner Alkoholismus-Test (MALT) – 29 Items – Selbst- und Fremdbeurteilung – Trinkanamnese und psychosoziale Folgen – • Trierer Alkoholismusinventar (TAT) – 77 Items, 7 Skalen – Multidimensional – Prognostischer Wert fraglich – • Kurzfragebogen für Alkoholgefährdete (KFA) – 22 Fragen – Eher differentialdiagnostische Bedeutung – Hohe Spezifität 53 Alkoholismus WHO – ICD 10 Drug addiction definiert als Zustand periodischer oder chronischer Vergiftung durch Zufuhr einer bestimmten Substanz, durch 4 Kriterien gekennzeichnet: Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 16 a. Unbezwingbares Verlangen nach Einnahme und Beschaffung des Mittels b. Tendenz zur Dosissteigerung c. Physische und psychische Abhängigkeit d. Folgeschäden für den Konsumenten und die Gesellschaft In den letzten 3 Jahren 3 oder mehr der folgenden Kriterien: a. Ein starker Wunsch (Zwang), Alkohol zu konsumieren b. Verminderte Kontrollfähigkeit bzgl. Beginn, Beendigung oder Menge des Konsums c. Alkoholgebrauch, um Entzugssymptome zu lindern d. Ein körperliches Entzugssyndrom e. Nachweis einer Toleranz f. Ein eingeengtes Verhaltensmuster im Umgang mit Alkohol g. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen/Vergnügungen h. Fortschreitender Konsum trotz Nachweises eindeutig schädlicher Folgen 54 Typologie des Alkoholismus: • Trinkstil orientiert: Jellinek • Psychiatrisch Symptom- orientiert: Schuckit • Neurobiologisch orientiert: Cloninger • Krankheitsbeginn- orientiert: Babor • Therapie- orientiert: Lesch 55 Typologie nach Jellinek Kontrollverlust, jedoch Fähigkeit zur Abstinenz Kein Kontrollverlust, keine Abstinenz Kontrollverlust mit Phasen von Abstinenz Kein Kontrollverlust Kein Kontrollverlust, undiszipliniertes Trinken mit Fähigkeit zur Abstinenz Psychische Abhängigkeit Psychische Abhängigkeit Zuerst psychische, dann körperliche Abhängigkeit Weder psychische noch körperliche Abhängigkeit Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 17 Abhängigkeit nur psychisch Episodischer Trinker Rauscharmer, kontinuierlicher Alkoholkonsum Süchtiger Trinker Gelegenheitstrinker Problem-Erleichterungs- Konflikttrinker Epsilon- Typ Gamma- Delta-Typ Typ Alpha-Typ Beta-Typ 56 Typologie nach Schuckit Primärer Alkoholismus: Alkoholabhängigkeit VOR dem Auftreten anderer psychiatrischer Störungen Sekundärer Alkoholismus: Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit bei verschiedenen psych.Grunderkrankungen, spez. Antisoziale Persönlichkeitsstörung 57 Typologie nach Cloninger Niedriges „sensation seeking“ Hohes „sensation seeking“ Hohe „harm avoidance“ Niedrige „harm avoidance“ Hohe „reward dependence“ Niedrige „reward dependence“ Eher schwerer Verlauf des Alkoholabusus Eher milder Verlauf des Alkoholabusus Bei beiden Geschlechtern vorkommend Auf das männliche Geschlecht begrenzt Später Beginn (nach dem 25. Lj.) Früher Beginn (vor 25. Lj.) Eher von Umweltfaktoren abhängig Eher von hereditären Faktoren abhängig Typ 1 „Milieu-limited- Type“ Typ 2 „Male- limited- Type“ 58 Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 18 Typologie nach Babor Gute therapeutische Prognose Schlechte therapeutische Prognose Hohe Belastungsfaktoren im familiären und beruflichen Umfeld Geringe Belastungsfaktoren im familiären und beruflichen Umfeld Geringe psychiatrische Komorbidität Hohe psychiatrische Komorbidität Vermehrt körperliche und soziale Konsequenzen oft nach kurzer Zeit Wenig körperliche und soziale Konsequenzen Starke Abhängigkeit, oft multipler Substanzmissbrauch Geringer Grad der Abhängigkeit Vermehrt Risikofaktoren in Familie und Kindheit Wenig Risikofaktoren in der Kindheit Später Beginn Früher Beginn (vor 21.Lj.) Typ A (Apollo) Typ B (Bacchus) 59 Typologie nach Lesch Alkohol als Selbstmedikation bei Fehlen kognitiver Kontrollmechanismen Alkohol als Selbstmedikation bei psychiatrischen Basisstörungen Selbsttherapie bei Angst und Unruhe Bewältigungsversuch bei Konflikten Unauffällige Persönlichkeitsentwicklung, Starke Toleranzbildung Starke Entzugssymptome Alkoholabusus aufgrund frühkindlicher Schädigungen/ Entwicklungsstörungen Alkoholabusus zurBehandlung psychiatrischer Zustandsbilder Alkoholabusus aufgrund von psychologischem Verlangen Alkoholabusus aufgrund von biologischem Verlangen Typ 1 Typ 2 Typ 3 Typ 4 60 Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 19 Typologie nach Lesch Strukturierung, Nootropika, niedrigpotente Neuroleptika Psychopharmaka, adjuvante Psychotherapie Psychotherapie, Verbesserung der Lebensbedingungen. Lebenslange Abstinenz oft nicht erforderlich Selbsthilfegruppen Stützende Psychotherapie, Anticravingsubstanzen Typ 1 Typ 2 Typ 3 Typ 4 61 F 10.3 Alkoholentzugssyndrom • Es handelt sich um eine Gruppe von Symptomen unterschiedlicher Zusammensetzung und Schwere nach absolutem oder relativem Entzug einer psychotropen Substanz, die anhaltend konsumiert worden ist. Beginn und Verlauf des Entzugssyndroms sind zeitlich begrenzt und abhängig von der Substanzart und der Dosis, die unmittelbar vor der Beendigung oder Reduktion des Konsums verwendet worden ist. Das Entzugssyndrom kann durch symptomatische Krampfanfälle kompliziert werden. 62 Entzugssetting • Ambulant – Erstbehandlung – Reiner Alkoholentzug – Stabile oder zwanghafte Persönlichkeit – Keine Begleiterkrankung – Wohnmöglichkeit – Stützendes soziales Netzwerk – Tagesstruktur – • Stationär– Langjährige Abhängigkeit – Kombinierter Entzug – Prämorbide Persönlichkeitsstörung – Entzugsanfälle, schlechter körperlicher Zustand – Keine Wohnmöglichkeit – Kein soziales Netzwerk – Keine Tagesstruktur 63 Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 20 Therapie des Alkoholentzugssyndroms 1 • Benzodiazepine – Kurze HWZ vorzuziehen – Cave Leberzirrhose – Nicht bei Patienten mit polyvalentem Missbrauch, eingeschränkter Lungenfunktion – Bei multimorbiden Patienten Benzos mit „einfachem“ Abbau (keine aktiven Metaboliten) vorzuziehen • Dosierung/d: 2-8mg Alprazolam, 400-1000mg Meprobamat, 20-80mg Nitrazepam,... 64 Therapie des Alkoholentzugssyndroms 2 Clomethiazol – Vorteile • Gute Wirksamkeit bei Entzug und Delir • Gute anitkonvulsive Wirksamkeit • Gute Verträglichkeit • Oral wie parenteral anwendbar • Keine Hepatotoxizität – Nachteile • Erhebliches Suchtpotential • Vermehrte Bronchialsekretion • Atemdepression – Dosierung: 2-4 Kps. alle 2 Std. – 65 Therapie des Alkoholentzugssyndroms 3 • Tiaprid – Vorteile • Gut präventiv wirksam gegen Halluzinationen – Nachteile • Nur bei leichteren Entzugssyndromen wirksam – Dosierung:3-4x200mg • Betablocker • Ca-Antagonisten 66 Therapie des Alkoholentzugssyndroms 4 • Frühzeitige Behandlung mit Clomethiazol oder Benzodiazepinen, um Komplikation wie cerebrale Krampfanfälle oder Delirium tremens zu verhindern. • Eine symptomorientierte, individuelle Therapie ist einem fixen Therapieschema vorzuziehen. Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 21 • Wichtige Voraussetzung für die sog. .Qualifizierte Entzugbehandlung. ist ein gut geschultes und kompetentes Pflegepersonal. 67 Alkoholentzugstherapie 5 ALCOVER-SIRUP • Lösung die 175 mg GHB (als Natrium-Salz) pro ml enthaelt. • Behandlung von Alkoholabhänigkeit, entweder bei akutem Alkoholentzug oder begleitend bei einer Langzeittherapie eingesetzt. • Tagesdosis von 50 mg/kg bis 100mg/Körpergewicht empfohlen. Scheinbar wird der AlcoverSirup primär zur Bekämpfung der Symptome eines Alkoholentzugs eingesetzt, und nicht begleitend zu einer Psychotherapie die die Lösung jener Probleme zum Ziel hat die später zur Alkoholabhängigkeit führten. 68 Alkoholentzugstherapie 6 • Ruhige, klar strukturierte Umgebung • Einfache Anweisungen • Reizabschirmung • Schlafrhythmus herstellen • Flüssigkeit, Elektrolyte • Medizinische Abklärung und Stützung • Ev. Lichttherapie 69 F 10.4 Entzugssyndrom mit Delir Ein Zustandsbild, bei dem das Entzugssyndrom (siehe vierte Stelle .3) durch ein Delir, (siehe Kriterien für F05.-) kompliziert wird. Symptomatische Krampfanfälle können ebenfalls auftreten. Wenn organische Faktoren eine beträchtliche Rolle in der Ätiologie spielen, sollte das Zustandsbild unter F05.8 klassifiziert werden. 70 Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 22 Alkoholentzugsdelir 1 • In seltenen Fällen (ca. 20%) entwickelt sich nach Alkoholentzug fließend ein Delirium tremens. Zusätzlich zu den vegetativen Entgleisungen treten psychotische Symptome auf: paranoide Ideen mit Angstbesetzung,erhöhte Suggestibilität, optische Halluzinationen (lebensechte, häufig kleine bewegliche Dinge). Motorische Symptome: Wälzen, Nesteln, agitierte Unruhe bis zu Erregungsstürmen; neurologische Symptome: fein- und grobschlägiger Tremor, Ataxie, Nystagmus, Dysarthrie, selten Pseudoopisthotonus. Unbehandelt Mortalitätsrate bis 20%. • Differentialdiagnose – Delir nach – Operationen – Traumen – Intoxikationen – Infektionen – Fieber – Medikamenten 71 Alkoholentzugsdelir 2 • Therapie – Clomethiazol (Distraneurin®) 1g alle 2-4h oral • ca. 4-5x/d aufwecken für Bronchialtoilette und zur Verlaufskontrolle – Clonidin (Catapresan®) • per inf. wirkt vorwiegend auf die vegetative Symptomatik, nicht auf Schlafstörungen und psychotisches Erleben (ähnlich Betablockern.) – Flüssigkeitsbilanzierung – low-dose-Heparinisierung – Glukose- und Kaliumersatz Thiamin- sowie Multivitamin-Präparate – 72 F 10.5 Psychotische Störung Eine Gruppe psychotischer Phänomene, die während oder nach dem Substanzgebrauch auftreten, aber nicht durch eine akute Intoxikation erklärt werden können und auch nicht Teil eines Entzugssyndroms sind. Die Störung ist durch Halluzinationen (typischerweise akustische, oft aber auf mehr als einem Sinnesgebiet), Wahrnehmungsstörungen, Wahnideen (häufig paranoide Gedanken oder Verfolgungsideen), psycho motorische Störungen (Erregung oder Stupor) sowie abnorme Affekte gekennzeichnet, die von intensiver Angst bis zur Ekstase Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 23 reichen können. Das Sensorium ist üblicherweise klar, jedoch kann das Bewusstsein bis zu einem gewissen Grad eingeschränkt sein, wobei jedoch keine ausgeprägte Verwirrtheit auftritt. 73 Alkoholhalluzinose • bei chronischem Alkoholismus jedoch relativ selten • überwiegen die Wahrnehmungsstörungen, meistens akustischer („Stimmen-Hören“), bisweilen aber auch optischer Natur. Das Bewusstsein bleibt klar. Die Stimmungslage ist sehr ängstlich und gespannt. Die Trugwahrnehmungen werden meistens als beschimpfend und bedrohlich erlebt, sie lösen Verfolgungsideen aus. Die Patienten sind daher sehr unruhig, zeigen Fluchttendenzen und lassen eine Neigung zu gewalttätigen Durchbrüchen erkennen. • Es besteht kein Tremor. Vegetative Erscheinungen sind wesentlich schwächer ausgeprägt als im Falle des Delirium Tremens. • Die Halluzinose verläuft akut, dauert aber Wochen bis Monate an.Wenn sie länger als ein halbes Jahr anhält, spricht man von einer chronischen Halluzinose. • Etwa 10% verlaufen chronisch 74 Alkoholischer Eifersuchtswahn • Geringe klinische, hohe forenische Relevanz • Schleichende Entwicklung • Potenzstörungen ätiologisch bedeutsam, oft auch Minderwertigkeitsgefühle • Aggression richtet sich zumeist gegen Partner, selten gegen vermeintlichen Rivalen 75 F 10.6 Alkoholbedingtes amnestisches Syndrom Ein Syndrom, das mit einer ausgeprägten andauernden Beeinträchtigung des Kurz- und Langzeitgedächtnisses einhergeht. Das Immediatgedächtnis ist gewöhnlich erhalten, Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 24 und das Kurzzeitgedächtnis ist mehr gestört als das Langzeitgedächtnis. Die Störungen des Zeitgefühls und des Zeitgitters sind meist deutlich, ebenso wie die Lernschwierigkeiten. Konfabulationen können ausgeprägt sein, sind jedoch nicht in jedem Fall vorhanden. Andere kognitive Funktionen sind meist relativ gut erhalten, die amnestischen Störungen sind im Verhältnis zu anderen Beeinträchtigungen besonders ausgeprägt 76 Wernicke-Encephalopathie • Eine Wernicke-Enzephalopathie findet sich bei etwa 15% der verstorbenen Alkoholiker. • Zu Grunde liegt ein Vitamin B1-Mangel • Störungen beim Bewegen der Augen durch Augenmuskellähmungen und Doppeltsehen, horizontaler Blickrichtungsnystagmus, Reflexstörungen, Bewusstseinstörungen, Desorientiertheit, Apathie und Somnolenz, Ataxie. Störungen der Feinmotorik, bulbäre Sprechstörung Schluckstörung Schlafstörung, vegetative Störungen • Schnellstmögliche Vitaminsubstitution durch intravenöse Gabe von Thiamin. Im Verlauf eines Jahres kann eventuell dadurch eine deutliche Leistungsanhebung eintreten. Absolute Alkoholabstinenz. Unbehandelt kann die Erkrankung tödlich verlaufen. 77 Korsakow-Syndrom • Schwerste irreversible Formen der Gehirnschädigung durch Alkohol. • Amnesien: 1. Anterograde: Dabei sind die betroffenen Menschen nicht in der Lage, neue Inhalte kognitiv zu speichern oder lautsprachlich wiederzugeben (Merkfähigkeitsstörungen). 2. Retrograde: Die betroffenen Menschen können erlebte Inhalte aus der eigenen Vergangenheit nicht verarbeiten, erkennen oder wiedergeben. • Konfabulation: Die betroffenen Menschen erzählen Geschichten, die objektiv falsch sind, aber von ihnen selbst als wahr empfunden werden. Zumeist setzen sich diese aus Bruchstücken tatsächlicher Erlebnisse zusammen. • Desorientiertheit: Die betroffenen Menschen wähnen sich in einer früheren Zeit und an einem anderen Ort; oft handeln sie auch dieser falsch empfundenen Realität entsprechend. 78 Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 25 F 10.7 Restzustand oder verzögert auftretende psychotische Störung Eine Störung, bei der alkohol- oder substanzbedingte Veränderungen der kognitiven Fähigkeiten, des Affektes, der Persönlichkeit oder des Verhaltens über einen Zeitraum hinaus bestehen, in dem noch eine direkte Substanzwirkung angenommen werden kann. Der Beginn dieser Störung sollte in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gebrauch der psychotropen Substanz stehen. Beginnt das Zustandsbild nach dem Substanzgebrauch, ist ein sicherer und genauer Nachweis notwendig, dass der Zustand auf Effekte der psychotropen Substanz zurückzuführen ist. Nachhallphänomene (Flashbacks) unterscheiden sich von einem psychotischen Zustandsbild durch ihr episodisches Auftreten, durch ihre meist kurze Dauer und das Wiederholen kürzlich erlebter alkohol- oder substanzbedingter Erlebnisse. 79 F 10.8 und F 10.9 • F 10.8 Sonstige psychische und Verhaltensstörungen • F 10.9 Nicht näher bezeichnete psychische und Verhaltensstörung 80 Das A.E.I.O.U. Konzept der Alkoholismustherapie 81 Das A.E.I.O.U. Konzept der Alkoholismustherapie • A : Alkoholismus und Abhängigkeit • E : Entzug und Entwöhnung • I : Individuation und Integration • O : Orientierung und Organisation • U : Unabhängigkeit 82 A. Alkoholismus und Abhängigkeit: Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 26 Versorgungsnotwendigkeit: TDiagnostik TBehandlungsmotivation Versorgungsstrukturen: TSenkung der Alkoholpermissivität TPraktische Ärzte, Schulärzte Tniederschwellige Angebote TÖffentlichkeitsarbeit 83 E. Entzug und Entwöhnung: Entzug: - Behandlung des Entzugssyndroms - Behandlung der Begleiterkrankungen stationärer Entzug ambulanter Entzug Entwöhnung: - ambulante/stationäre Behandlung der psychosozialen Problematik mit hoher Eigenverantwortung der PatientInnen flexible langfristige Behandlung und Begleitung - 84 E. Entzug: Versorgungsnotwendigkeit: Entzugsmedikation Diagnostik und Behandlung von Entzugskomplikationen und Begleiterkrankungen Versorgungsstrukturen: TPraktische ÄrztInnen FachärztInnen TAllgemein-Krankenhäuser TFachambulanzen TLiaison-Dienste 85 Entzugssetting • Ambulant – Erstbehandlung – Reiner Alkoholentzug – Stabile oder zwanghafte Persönlichkeit – Keine Begleiterkrankung – Wohnmöglichkeit – Stützendes soziales Netzwerk – Tagesstruktur Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 27 • Stationär – Langjährige Abhängigkeit – Kombinierter Entzug – Prämorbide Persönlichkeitsstörung – Entzugsanfälle, schlechter körperlicher Zustand – Keine Wohnmöglichkeit – Kein soziales Netzwerk – Keine Tagesstruktur 86 E. Entwöhnung: Versorgungsnotwendigkeit: • abgestuftes, verlaufsorientiertes Entwöhnungsprogramm • medizinische Abklärung und Verbesserung des körperlichen Zustandes • Abklärung und Verbesserung der sozialen Situation Versorgungsstrukturen: • Fachabteilungen • Fachambulanzen • FachärztInnen in Zusammenarbeit mit psychotherapeutisch und sozialtherapeutisch kompetenten Personen/ Einrichtungen 87 Entwöhnungsverlauf 88 Komorbidität • Frauen: rund 30-60% weisen eine psychiatrische Zusatzdiagnose auf (häufig Angststörungen und depressive Syndrome, seltener Persönlichkeitsst.) • Männer: rund 20-40% psychiatrische Komorbidität (meist depressive Erkrankungen, gefolgt von Angst- und Persönlichkeitsstörungen) • geschlechtsunspezifisch 10% weitere Substanzabhängigkeit • Psychiatrische Symptome während der Zeit häufiger Intoxikation oder im Entzug dürfen nicht mit Komorbidität verwechselt werden 89 Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 28 I. Individuation und Integration: Individuation: psychotherapeutische Begleitung zum Aufsuchen der Person, die der Patient vor der Alkoholkrankheit war oder hätte werden können Integration: Übertragen des in der Therapie Gelernten/ Erfahrenen in die aktuelle Lebenssituation 90 I. Individuation: Versorgungsnotwendigkeit: psychotherapeutische Kompetenz Finanzierung der Psychotherapie Versorgungsstrukturen: Fachambulanzen, Fachkliniken niedergelassene PsychotherapeutInnen einzel – und gruppentherapeutische Angebote 91 I. Integration: Versorgungsnotwendigkeit: psychosoziales Lernfeld Einbeziehung des Umfeldes Versorgungsstrukturen: arbeitsvorbereitende Maßnahmen/ Einrichtungen geschützte, abgestufte Arbeitsrehabilitation betreute Wohnmöglichkeiten familientherapeutische Angebote 92 O. Orientierung und Organisation: Orientierung: Auffinden des neuen Platzes in der Gesellschaft Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 29 Zurechtfinden an diesem neuen Ort mit veränderten Ansprüchen der eigenen Person und der Umgebung Organisation: Neustrukturierung von: -Arbeit – Freizeit -Geld – Kontakten 93 O. Orientierung: Versorgungsnotwendigkeit: differenzierte und abgestufte Arbeitsangebote differenzierte und abgestufte Kontaktangebote Versorgungsstrukturen: teilstationäre (tages-/nachtklinische) Betreuung Selbsthilfegruppen Beratungs-/Betreuungsangebot für Bezugspersonen 94 O. Organisation: Versorgungsnotwendigkeit: abgestufte, differenzierte Arbeits- bzw. Beschäftigungsprogramme “alkoholfreie” Freizeitangebote finanzielle Absicherung Versorgungsstrukturen: geschützte Arbeitsmöglichkeiten Tagesstätten für nicht mehr arbeitsfähige PatientInnen Patientenclubs Selbsthilfeorganisationen 95 U. Unabhängigkeit: Versorgungsnotwendigkeit: langfristige psychotherapeutische Behandlung (mindestens 2 Jahre) niederschwellige Angebote zur Krisenbewältigung Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 30 Psychoedukation zur Rückfallsprophylaxe Anti-Craving-Therapie Versorgungsstrukturen: langfristiges Psychotherapieangebot, von Versicherungsträgern finanziert niederschwelliges, differenziertes ambulantes/stationäres Therapieangebot bei Rückfällen Öffentlichkeitsarbeit zur Reduzierung des sozialen Trinksdrucks 96 U. Unabhängigkeit: • Begleitung in ein selbständiges und selbstbewusstes Leben • Unterstützung bei Krisen • Unterstützung bei Rückfällen 97 Rückfallsprophylaxe • Medikamentös – Aversivtherapie: Disulfiram (Antabus®), Cyanamid (Colme®) – Anticravingsubstanzen: Acamprosat (Campral®), Naltrexon (Revia®) – • Psychotherapeutisch – Psychoedukation: Vorbereitung auf Rückfall, Risikofaktoren, Vermeidungsstrategien – Aufarbeitung – Begleitende Kontrolle: Alkomat, CDT • Soziotherapeutisch – Selbsthilfegruppen – Angehörigenarbeit 98 Subjektive Rückfallsprädikktoren • Allgemeine Grundstimmung – „Gute“ Stimmungslage 38% – „schlechte“ Stimmungslage 37% – Stimmungsverschlechterung 23% – Stimmungsverbesserung 1% – • Belastende Lebensereignisse 64% – Partnerkonflikte 23% – Erkrankungen 13% – Arbeitsprobleme 10% – Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 31 • Positive Lebensereignisse 5% – Neue Arbeit 2% – Neue Partnerschaft 2% – Urlaub 2% 99 Subjektive Rückfallsprädiktoren • Alkoholismsusbezogenes, abstinenzgefährdendes Verhalten 52% - Vernachlässigung von Betreuungsangeboten 28% - Anlegen eines Alkoholvorrats 20% - Annahme einer Einladung zu einer Feier 20% - 100 Prädiktoren für günstigen Therapieverlauf bei Männern • Zusammenleben mit Partner • Heimatstadt mit Einwohnerzahl unter 100.000 • Kein Arbeitsplatzwechsel in den letzten zwei Jahren, aufrechtes Arbeitsverhältnis • Hausbesitzerr • Nicht in Heim lebend oder obdachlos • Kein alkoholbezogener Arbeitsplatzverlust • Keine Suizidversuche • Keine Vorbehandlungen in Suchtklinik 101 Faktoren des Rückfalls 102 Prädiktoren für günstigen Therapieverlauf bei Männern • Zusammenleben mit Partner • Heimatstadt mit Einwohnerzahl unter 100.000 • Kein Arbeitsplatzwechsel in den letzten zwei Jahren, aufrechtes Arbeitsverhältnis • Hausbesittzer • Nicht in Heim lebend oder obdachlos • Kein alkoholbezogener Arbeitsplatzverlust • Keine Suizidversuche • Keine Vorbehandlungen in Suchtklinik 103 Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 32 Prädiktoren für ungünstigen Therapieverlauf bei Männern • Therapieabbruch • Alkoholrückfall während Behandlung • Schlechte oder zweifelhafte klinische Prognosestellung durch Therapeuten • Geringes Engagement von Bezugspersonen 104 Prädiktoren für Therapieverlauf bei Frauen • Günstig – Nicht mehr als ein Suizidversuch – Weniger als 635g reinen Alkohol/Woche – keine bisherigen Behandlungen in Suchtabteilungen • Ungünstig – Therapieabbruch – Niedrige Werte in Beschwerdeliste 105 Co-Alkoholismus • Glauben an die Veränderungsabsichten der Kranken. Glauben an seine Versprechungen. • Wunscherfüllungen für den Abhängigen nur in der Hoffnung,dass er sich ändert. • Laufende Entschuldigungen für das Verhalten des Betroffenen. • Hilfe von Aussenstehenden wird abgelehnt, weil man glaubt, nur man selbst könne ihm helfen. • Kontrollversuche, wie viel der Betroffene trinkt. Suchen nach versteckten Alkoholvorräten etc. • Versuchen dem Alkoholkranken bestimmte Mengen Alkohol zuzuteilen. • Letztlich Frustration, Schuldzuweisungen und Abwendung 106 Alko-Helpline 0664 / 7978115 Unterlagen VO Prof. David SFU April 2007 Word – Version Oesterle 33