Audimont – Höhenmedizinische Gasherbrum-II

Werbung
MMW-Fortschritte der Medizin Originalien Nr. I/2004 (146. Jg.), S. 33–35
Audimont – Höhenmedizinische
Gasherbrum-II-Expedition
Von K. Mees, B. Olzowy
S
eit den 1940er-Jahren klagen
Bergsteiger immer wieder über
Hör- und Gleichgewichtsstörungen in extremen Höhen [1, 4]. Diese Hörstörungen sind Ausdruck eines
erhöhten perilymphatischen Drucks
und eines drohenden Hirnödems.
Im Juni und Juli 2003 begleiteten
Klaus Mees und Bernhard Olzowy,
beide HNO-Klinik der LMU München, zusammen mit einem Kamerateam des Bayerischen Fernsehens eine
internationale Expedition zum Gasherbrum II (8035 m) im Karakorum.
Die beiden Ärzte führten höhenmedizinische Messungen durch.
Mögliche Ursachen der
Hörstörungen
Hörstörungen in extremen Höhen galten bislang als Folge der kalten und sauerstoffarmen Luft und vor allem der
kompensatorischen Erhöhung der Hämoglobinkonzentration, die durch eine Verminderung des Plasmavolumens
erreicht wird. Hierbei kommt es zu der
gewünschten Konzentration und relativen Vermehrung der Sauerstoffträger,
allerdings auch zu nachteiligen rheologischen Effekten. Der Hämatokrit
steigt, das Blut wird visköser und auch
die Osmolalität nimmt zu. Hämatokritwerte bis 58% oder gar 60% sind in
der Höhe durchaus üblich.
Prof. Dr. med. Klaus Mees, Dr. Bernhard Olzowy, Klinik
und Poliklinik für HNO-Heilkunde (Direktor: Prof. Dr.
A. Berghaus), Klinikum Großhadern der LMU München.
Hypoxämie und Mikrozirkulationsstörungen gelten als klassische Risikofaktoren für das Innenohr und stellen
eine potenzielle Gefährdung des Gehörs dar. Die höhenabhängigen Hörstörungen erklärte man deshalb bislang auch als Folgen der gestiegenen
Blutviskosität und der verschlechterten Mikrozirkulation.
Frühere Untersuchungen
Allerdings haben wir im Vorfeld unserer Höhenmessungen diese Kausalität
nie bestätigen können [3]. Im Rahmen
eines experimentellen Ansatzes hatten
wir im Tierversuch mit Erythrozytenkonzentraten den Hämatokrit auf
60% erhöht, vergleichbar einer Situation bei einem Höhenbergsteiger. Wir
konnten allerdings unter diesen Bedingungen in keinem Fall eine Einschränkung des Hörvermögens nach-
weisen [5]. Zwar fanden wir bei der
Ableitung von otoakustischen Emissionen vereinzelt geringere Signalintensitäten bei niedrigen Reizpegeln.
Zu höheren Reizpegeln hin waren jedoch die Distorsionsproduktemissionen wieder ganz normal.
Auf der Suche nach der Ursache von
höhenassoziierten Hörstörungen begleiteten wir im Herbst 2002 eine
Himalaya-Epedition zum Cho Oyu
(Audimont I) und machten dort unsere Höhenmessungen, damals noch mit
einer relativ schweren Medizintechnik. Wir konnten nachweisen, dass die
Funktion der Sinneszellen im Innenohr mit zunehmender Höhe tatsächlich abnimmt, aber nicht wie bei akuten Hörstörungen oft zu beobachten
im höheren Frequenzbereich, sondern
im tiefen Frequenzbereich, eher wie
bei einer Druckerhöhung in der Endo-
Z U S A M M E N F A S S U N G
Extrembergsteiger berichten immer
wieder über Hör- und Gleichgewichtsstörungen. In einer Himalaya-Expedition (Audimont I) hatten Ärzte herausgefunden, dass diesen Hörstörungen
der zunehmende Hirndruck zugrunde
liegt, der die Funktion der Haarzellen
im Innenohr beeinträchtigt.
Im Sommer 2003 fand eine Forschungsexpedition zu dem 8035 Meter hohen Gasherbrum II im Karakorum statt (Audimont II). Die höhenme-
Die höhenmedizinische Expedition wurde unterstützt
vom Wissenschaftlichen Herausgeberkollegium der
MMW.
MMW-Fortschr. Med. Originalien Nr. I/2004 (146. Jg.), K. Mees, B. Olzowy, Audimont II
dizinischen Messungen bestätigen die
Ergebnisse von Audimont I auch in der
so genannten Todeszone, also oberhalb von 7050 Metern.
Die Ableitung der otoakustischen
Emissionen (OAE) könnte also durchaus zur Frühdiagnostik eines drohenden Höhenhirnödems dienen.
Schlüsselwörter: Hörstörungen – extreme Höhe – Audimont-II-Expedition
Eingereicht 11.2.2004 – akzeptiert 17.2.2004
33
Audimont – Höhenmedizinische Gasherbrum-II-Expedition
lymphe und der menieriformen Hörstörung [2]. Wir vermuteten deshalb
eine kausale Drucksteigerung im Perilymphraum des Innenohres, eine Folge des mit zunehmender Höhe ansteigenden intrakraniellen Druckes, der
zu einer kompensatorischen Verschiebung von Liquor cerebrospinalis in
das Innenohr führt.
Mit einer leichteren Messsonde und
verbesserten Energieversorgung sollten nun die Messungen auch oberhalb
der bisher erreichten Höhe von 7050
Meter durchgeführt werden. Vor allem sollte überprüft werden, ob in dem
als Todeszone bezeichneten Höhenbereich zusätzliche rheologische Faktoren Einfluss auf die Hörfunktion
haben.
Otoakustische Emissionen
Das Hörvermögen wurde mittels otoakustischer Emissionen (OAE) überprüft. OAE sind Schallaussendungen
aus dem Innenohr. Sie stellen ein Begleitphänomen des normalen Hörvorgangs dar, das inzwischen zu diagnostischen Zwecken genutzt wird. Generiert werden sie durch Kontraktionen
der äußeren Haarzellen, die spontan
und vor allem nach externer akustischer Reizung ausgelöst werden. Indem sich die äußeren Haarzellen frequenzspezifisch anpassen, steigern sie
die Empfindlichkeit der Schallperzeption und wirken wie ein Verstärker.
Als Nebeneffekt führen die aktiv mechanischen Schwingungen zu einer
Flüssigkeitsbewegung in Peri- und
Endolymphe. Deren Druckwellen gelangen retrograd zum ovalen Fenster
und versetzen über die Steigbügelfußplatte die Gehörknöchelchenkette,
das Trommelfell und die Luftsäule im
äußeren Gehörgang in Schwingungen.
* Starkey Lab. Inc., Eden Prairie, Minnesota, USA.
Das Messprogramm unserer Untersuchungen wurde
in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Janssen von der
HNO-Klinik Rechts der Isar erstellt und auch die Auswertung unseres großen Datenmaterials erfolgt mit
seiner Mithilfe.
34
Im äußeren Gehörgang können diese
Schallwellen mit einem hochempfindlichen Mikrofon registriert werden.
Messtechnik
Erste Basismessungen bei den Teilnehmern der Gasherbrum-II-Expedition waren bereits vor Abflug in München erfolgt oder wurden im pakistanischen Rawalpindi, das auf vergleichbarer Höhe liegt, durchgeführt. Präexistente Funktionsstörungen des
Mittelohres wurden mittels Otoskopie und Tonschwellenaudiometrie
ausgeschlossen, Schäden des Innenohres bei Auswertung der Ergebnisse berücksichtigt.
Weitere OAE-Messungen folgten auf
unterschiedlichen Höhenstufen:
• Skardu am Ende der Fahrstraße auf
2300 m,
• Basislager auf 5300 m,
• Hochlager I auf 5950 m,
•Hochlager II auf 6900 m und
• Gipfellager auf 7400 m.
Gemessen wurden die Distorsionsprodukt-Emissionen (DPOAE; I/OFunktionen) bei 1000, 1500, 2000,
3000 und 4000 Hz in 5-dB-Schritten in
einem Lautheitsbereich von L2 = 20
bis 60 dB (f2 = 1000 Hz – 4kHz, f2/
f1 = 1,2).
Die Ableitung der DPOAEs erfolgte
überwiegend im Zelt und fast immer
nachmittags und bei relativer Windstille. Störpegeleinflüsse wurden mit
einem Kapselgehörschutz minimiert.
Alle Messungen wurden darüber hinaus stets dreimal durchgeführt, insbesondere um Fehlmessungen im
nachhinein sicher zu erkennen. Zusätzlich wurde immer nach Symptomen der Höhenkrankheit gefragt. Unsere Messungen begann wir bei 13
Teilnehmern, das Gipfellager und den
Gipfel erreichten nur fünf Teilnehmer.
Alle Messungen erfolgten mit der DP
2000 OA-Messsonde*. Laptop und
Sonde hatten wir auch mit auf dem
Gipfel. Entgegen der Wetterprognose
entwickelte sich aber während des
Aufstiegs ein starker Wind mit ca. 80
km/h, der auch die Temperaturen auf
unter –40 °C fallen ließ. Messungen
waren den Teilnehmern unter diesen
Bedingungen nicht zuzumuten.
Ergebnisse
In extremen Höhen treten Hörstörungen nicht zwangsläufig auf, denn der
Hirndruck steigt mit zunehmender
Höhe individuell unterschiedlich
stark an. Er weist darüber hinaus ebenso große und genetisch bedingte
Dispositionsunterschiede auf wie die
akute Bergkrankheit und das Höhenhirnödem.
Das wichtigste und wohl auch entscheidende Kriterium bei der individuellen Reaktion auf die Hypoxie ist
die rasche ventilatorische Akklimatisation mit dem Ziel, eine ausreichend
hohe Sauerstoffsättigung aufrechtzuerhalten und somit auch die Mechanismen zu hemmen, die den Hirndruck ansteigen lassen. Teilnehmer
mit relativ niedrigen Sauerstoffsättigungswerten von 5–10% unter den
durchschnittlichen Werten wiesen
nicht nur die klinische Symptomatik
einer gestörten Akklimatisation auf,
sondern hatten immer auch erniedrigte Innenohrsignale. Diese Beobachtung konnten wir sowohl im Basislager als auch in den einzelnen Hochlagern machen. Besonders deutlich war
diese Symptomatik bei einem Teilnehmer zu sehen, dessen Ruhesättigung
im Basislager bereits auf 65% abfiel, obwohl auf 4800 m ein zusätzlicher Akklimatisationsstopp gemacht
wurde .
Die individuelle körperliche Kondition hatte keinen Einfluss auf die
Messergebnisse. Auch wurden nicht
alle Frequenzen gleichermaßen betroffen. Einschränkungen fanden wir
immer im tieferen Frequenzbereich
bei 1000 und 1500 Hz, weniger häufig
bei 3000 und 4000 Hz. Das 2000-HzBand erwies sich jedoch als überraschend stabil.
Darüber hinaus konnten wir keine
reizpegelabhängigen Signalreduktio-
MMW-Fortschr. Med. Originalien Nr. I/2004 (146. Jg.), K. Mees, B. Olzowy, Audimont II
Audimont – Höhenmedizinische Gasherbrum-II-Expedition
nen feststellen. Wir beobachteten
grundsätzlich bei allen Reizpegeln
Einschränkungen in der Innenohrantwort, am häufigsten in Form einer Parallelverschiebung. Somit ergeben sich
vergleichbare Kurvenverläufe wie
nach einer künstlichen Erhöhung des
Innenohrdrucks [6].
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können
wir noch nicht sicher ausschließen, dass
auch andere Ursachen für die hypoxieinduzierten Hörstörungen von Bedeutung sind. Für die nicht regelmäßig
nachweisbare, aber doch signifikante
Signalreduktion im höheren Frequenzbereich haben wir gegenwärtig noch
keine plausible Erklärung.
Fazit
Die Vielzahl der systematischen Messungen auf den unterschiedlichen Höhenstufen am Gasherbrum II haben
die Ergebnisse von Audimont I bestätigt. Sie haben darüber hinaus auch gezeigt, dass die Reduktion der OAESignale des Innenohrs nicht zwangs-
läufig mit der Höhe zusammenhängt,
sondern ausschließlich mit Beschwerden der akuten Höhenkrankheit. Die
Signalreduktionen korrelieren mit einem gesteigerten Hirn- und Innenohrdruck und somit mit der individuell unterschiedlich stark ausgeprägten Fähigkeit, die Hypoxie möglichst
rasch und effizient zu kompensieren.
Dieses Messverfahren könnte sich als
ein spezifisches Untersuchungsverfahren bei der Frühdiagnostik des oft
tödlich verlaufenden Höhenhirnödems erweisen.
Summary: Audimont – A Medical Research Expedition to Gasherbrum II
High altitude climbers consistently report on hearing
and vestibular disorders. During our first High Altitude
Expedition (Audimont I) we could demonstrate that
impaired function of outer hair cells complies with
an increase of intracranial and perilymphatic
inner ear pressure. Hearing tests throughout our
second Research Expedition to Gasherbrum II in summer 2003 did confirm the results from Audimont I, even above 7050 meters. Thus, measurement
of otoacustic emissions might be helpful in an early
diagnosis of a life-threatening high altitude cerebral
edema.
MMW-Fortschr. Med. Originalien Nr. I/2004 (146. Jg.), K. Mees, B. Olzowy, Audimont II
Keywords: High altitude medicine – hearing disorders – otoacustic emissions – Audimont Research
Expedition
Literatur
1. McFarland, R. A.: Psycho-Physiological studies at
high altitude in the Andes. J. Comp. Psychology 23
(1938), 147–188.
2. Mees, K., Behnisch, A.: Audimont – eine wissenschaftliche Expedition zum Cho Oyu im Himalaya.
Fortschr. Med. Originalien 121 (2003), 1–4.
3. Mees, K., Suckfüll, M.: Kochleo-vestibuläres Risiko beim Höhenbergsteigen. Laryngo-Rhino-Otol. 81
(2002), 465–468.
4. Rosenberg, M. E., Pollard, A. J.: Altitude-dependent changes of directional hearing in mountaineers.
Br. J. Sports Med. 26 (1992), 161–165.
5. Suckfüll, M., Mees, K.: Hemoconcentration as a
possible pathogenic factor of sudden hearing loss.
Eur. Arch. Otorhinolaryngol. 255 (1998), 281–284.
6. Suckfüll, M., Winkler, G., Thein, E., Raab, S.,
Schorn, K., Mees, K.: Changes in serum osmolarity influence the function of outer hair cells. Acta Otolaryngol. 119 (1999), 316–321.
Für die Verfasser:
Prof. Dr. Klaus Mees, UniversitätsHNO-Klinik, Klinikum Großhadern,
D-81377 München, E-Mail:
Klaus [email protected]
35
Herunterladen