Alarmismus oder Optimismus?

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Alarmismus oder Optimismus?
Überlegungen zu Chancen und Grenzen
interdisziplinärer Migrationsforschung
Rita Garstenauer / Anne Unterwurzacher
Arlt Lecture, St. Pölten, 7. Oktober 2014
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Zentrum für Migrationsforschung
Ins Leben gerufen 2012 als Kooperationsprojekt des NÖ
Landesarchivs mit dem Institut für Geschichte des ländlichen
Raumes.
Desiderate
• Migration ist historisch kein neues Phänomen
• Migration wird als urbanes Phänomen
wahrgenommen, hat aber hohe Relevanz im
ländlichen Raum
Arlt Lecture, St. Pölten, 7. Oktober 2014
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Zentrum für Migrationsforschung
Ins Leben gerufen 2012 als Kooperationsprojekt des NÖ
Landesarchivs mit dem Institut für Geschichte des ländlichen
Raumes.
Leitlinien
• Migration als langfristig wirksames Phänomen
betrachten
• Wissen über Migration/Mobilität in ländlichen
Räumen schaffen
• Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Arlt Lecture, St. Pölten, 7. Oktober 2014
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Was heißt hier ländlicher Raum?
Abgrenzung:

„Ländlicher Raum“ ist keine klar umgrenzte Kategorie.

Dichotome Beschreibungen (urban – ländlich, traditionell – modern) sind nicht
zielführend
Konkrete Beschreibungskriterien:
Relativ geringe Siedlungs- und Infrastrukturdichte

Relevanter Anteil der wirtschaftlichen Aktivitäten beruht auf Aneignung
natürlicher Ressourcen (Landwirtschaft, Bergbau, Tourismus)

Symbolische Aneignung der umgebenden Landschaft

Größere Überschaubarkeit der Sozialen Beziehungen

Größere Nähe zu lokalen EntscheidungsträgerInnen
Arlt Lecture, St. Pölten, 7. Oktober 2014
Welche Konsequenzen
für Migration und Mobilität?

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Alles wird gut - oder gibt es doch Probleme?
•
Starke Konzentration in den Sozialwissenschaften auf problematische
Aspekte; „leisen“ Geschichten der problemlosen Eingliederung
geraten häufig aus dem Blickfeld.
•
Migration ist – historisch betrachtet – eine Variante des Normalen.
•
Migration ist in der Regel mit (materiellem) Aufwand und persönlichen
Risiken verbunden.
•
Langfristige Beobachtung: MigrantInnen gliedern sich über ein paar
Generationen hinweg in die Aufnahmegesellschaft ein.


Welche Geschichte erzählen wir über unsere
Forschungsgegenstände?
Wie stellen wir die historischen / gegenwärtigen Akteure in
unserer Forschung dar?
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Gute Gründe für die Annäherung aus Sicht
der Geschichte
•
Geschichte ist nicht nur Wissenschaft, sondern auch ein breiter,
identitätsstiftender öffentlicher Diskurs.
•
Die Teilhabe von MigrantInnen an der öffentlichen
Geschichtsrepräsentation in Museen, Medien, Jubiläumsfeiern, Denkmälern
usw. steht zur Debatte.
•
Angestrebt wird, Migration als historische Konstante in der Repräsentation
zu verankern, um Toleranz in der länger ansässigen Bevölkerung zu fördern
•
HistorikerInnen stehen vor der Herausforderung, die gegenwärtig in
Österreich lebenden MigrantInnen als GesprächspartnerInnen auf
Augenhöhe einzubeziehen.

Erfahrungsaustausch und Kooperation mit den einschlägigen
Sozialwissenschaften ist angezeigt!
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6
Gute Gründe für die Annäherung aus Sicht
der Soziologie
•
„Ausbreitung des Migrationsblickes und des
ethnischen Blickes“ (Janine Dahinden)
•
Gefahr der Essentialisierung / Naturalisierung von
Differenzen
•
Forderung nach Reflexivität
 These: Interdisziplinäre Zusammenarbeit
zwischen Sozialwissenschaften und Geschichte
erhöht die Reflexivität
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Forschungstraditionen
•
„historical amnesia“ in der Europäischen
Migrationsforschung (Nancy Foner): Aktuelle
Forschung zur 2. Generation heute wird nicht mit
früheren Einwanderungswellen verglichen („social
panic“).
•
US-Forschung: Aktuelle Einwanderungsphänomene
werden mit historischen Vorläufern verglichen.
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Migration historisch betrachtet
•
New York um 1900: Wer gehört zur „white race“?
•
Zillertal – South Dakota – retour, oder: Wie neu ist das
Phänomen Transnationalismus?
•
„Little Germany“: Wie gefährlich sind
Parallelgesellschaften?
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Wer gehört(e) zur „white race“?
„A hundred years ago, New Yorkers would never have
imagined that Jews and Italians would be thought of, in
racial terms, the same way as old-stock, White-AngloSaxon Protestants.“
Nancy Foner: In a New Land: A Comparative View of
Immigration. New York / London 2005, S. 42
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Beispiel: Familie Lackner
„Meinen Vater zog es drei Tagesreisen weit ins Land hinein.
Er kam nach Lead City im Staate Süd-Dakota in eine Gegend
mit vielen Goldgruben. Dieses Land war damals noch
ziemlich unbekannt und unbewohnt. Wenn man dort
einmal eine Frau zu sehen bekam, war dies ein großes
Ereignis. Nun begann für den Franzl eine harte Zeit. Er
mußte Englisch lernen. Gleich kaufte er sich ein
Deutsch-Englisches Wörterbuch. Am Abend nach der Arbeit
lernte er immer lang.“
„ Hier in Lead City waren viel mehr Gefahren für den
Glauben vorhanden, da nur ein ganz kleiner Teil der
Bevölkerung katholisch war. So reifte in den Eltern
allmählich der Entschluß, für immer in die Heimat, in das
katholische Tiroler Landl, zurückzukehren. […]
Doch der Hauptgrund für die Abreise war, wie schon früher
angegeben, das seelische Wohl und die religiöse
Geborgenheit der Kinder. Vom rein irdischen Standpunkt
aus gesehen, wäre es für uns bestimmt gescheiter
gewesen, in Amerika zu bleiben.“
(Ida Winkler: Ich geh‘ auch nach Amerika. Lebens- und
Familiengeschichte der Familie Lackner. Aufgezeichnet im Jahre
1950. Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen,
Universität Wien)
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Parallelgesellschaft
„Little Germany“ in den USA
Quelle: Monika Blaschke: ‚Deutsch-Amerika‘ in Bedrängnis: Krise und Verfall einer
‚Bindestrichkultur‘, in: Klaus Bade (Hg.): Deutsch im Ausland – Fremde in
Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart, München1992170-179, hier
176.
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Konklusion - Probleme
Sozialwissenschaften
•
„Evidence Based Policy“
erfordert empirische StatusQuo-Bestimmungen.



Führt zur methodischen
Dominanz der empirischen
Sozialforschung.
Erweckt den Eindruck, die
Lebenssituation von
MigrantInnen wäre
statisch, unveränderlich
und irreversibel.
„Problemhypnose“
verhindert Wahrnehmung
von günstigen
Migrationsverläufen.
Geschichtswissenschaften
•
Wenig Quellenüberlieferung
oder Wissen um Überlieferung.



Archive vermitteln den
Blick der öffentlichen
Administration.
Gegenwartsnahe
Archivquellen sind häufig
noch gesperrt.
Bei Debatten um
Geschichtsrepräsentation
vermischen sich
wissenschaftlicher und
politischer Anspruch.
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Konklusion – Good Practice
Migration als mehrere Generationen umfassendes
Familienprojekt wahrnehmen.
Status Quo als Übergangsstadium verstehen!
Migration/Eingliederung hat einen Kontext – den Kontext
miterforschen!
MigrantInnen-Communities existieren nicht als abgeschlossene
Einheiten: Kontextinteraktionen mitbeschreiben!
Akteurszentrierter Ansatz: MigrantInnen als kompetente
Handelnde und Entscheidende wahrnehmen und darstellen!
Nicht nur beschränkende Strukturen, sondern auch
ermöglichende Ressourcen in die Forschung einbeziehen!
ZEIT
KONTEXT
AKTEURE
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Konklusion – Grenzen
•
Interdisziplinäre Arbeit erfordert Übersetzung zwischen
den Disziplinensprachen und kostet daher Zeit!
•
Kontext-sensible Forschung macht doppelte Arbeit –
nicht nur die MigrantInnen, auch die
Aufnahmegesellschaft muss beschrieben werden!
•
Für welches Publikum sprechen wir? Der Anschluss an
die Diskurse in den Ausgangsdisziplinen Geschichte und
Soziologie ist nicht leicht.
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Trotzdem… wir forschen weiter!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
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