Alles nur Klimahysterie? - Potsdam Institute for Climate Impact

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Unter Klimaforschern herrscht ein breiter Konsens, dass der Klimawandel zum großen Teil vom Menschen verursacht wird und die CO2-Emmisionen maßgeblich zur globalen Erwärmung beitragen. Dennoch gelingt es
den „Klimaskeptikern“, die die anthropogenen Einflüsse für nicht erwiesen
halten oder die Gefahren der Klimaveränderung als übertrieben ansehen,
die öffentliche Meinung zunehmend zu verwirren. Stefan Rahmstorf, einer
der weltweit renommiertesten Klimaforscher und Mitautor des vielbeachteten 4. Sachstandsberichts des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate
Change, eine auch als Weltklimarat bezeichnete zwischenstaatliche Sachverständigengruppe), befürchtet, dass Unkenntnis, Verharmlosungen und
mutwillige Verfälschungen durch Lobbyisten die Umsetzung von Vermeidungsstrategien erschweren und kritisiert die fahrlässige Haltung der Medien in der Klimadebatte.
Alles nur Klimahysterie?
Stefan Rahmstorf
Wer bereits längere Zeit als Klimatologe tätig ist, der fühlte sich in den letzten Monaten wie Stanislav Lems wackerer Astronaut Ijon Tychy, der auf einer seiner abenteuerlichen Raumfahrten in eine bizarre Zeitschleife geraten
war. Der Weltklimabericht des IPCC erscheint und warnt vor den Folgen unseres Ausstoßes von Treibhausgasen – das hatten wir schon 1990. Die wissenschaftlichen Fakten rütteln Öffentlichkeit und Politik auf. Die Staatschefs befassen sich mit dem Klimaproblem und beschließen Gegenmaßnahmen. Sie
verpflichten sich, die Treibhausgaskonzentration der Erde auf einem Niveau
zu stabilisieren, das einen gefährlichen Klimawandel verhindert. Das ist die
Rio-Konferenz von 1992 und die Klimarahmenkonvention UNFCCC; unter den
Unterzeichnern ist auch George Bush senior. Heute freuen wir uns, wenn sein
–––––
Das Abschmelzen von Gletschern ist eine der Folgen des globalen Klimawandels.
(picture-alliance)
895
Sohn in Heiligendamm eine wesentlich unverbindlichere Erklärung zum Klimaschutz mitträgt.
Was ist passiert – wieso sind wir in der Klimapolitik kaum vorangekommen in
den vergangenen 15 Jahren? Zur Erklärung brauchen wir nur den Fernseher
einzuschalten (etwa RTL am 11. Juni, ntv am 7. Juli oder ARD am 9. Juli,) und
wir sehen Fred Singer, der uns erklärt, dass der Klimawandel keinerlei Grund
zur Besorgnis ist. Apropos Zeitschleife: War da nicht etwas? Ach ja – Singer
erklärte uns das Gleiche schon vor 15 Jahren, und seither immer wieder. Nur
ein unbedeutendes Detail hat sich geändert: bis vor zwei Jahren behauptete Singer, es gäbe gar keine globale Erwärmung, Satellitendaten würden das
beweisen. Inzwischen ist diese Argumentationslinie allzu unglaubwürdig geworden (Satelliten zeigen die gleiche Erwärmung wie Bodenstationen), und
Singer ist umgeschwenkt – sein neues Buch heißt jetzt „Unstoppable Global
Warming Every 1500 Years“. Jetzt wird es zwar wärmer, aber wir sind nicht
verantwortlich und können nichts dagegen tun. Zuvor bestritt Singer schon
den Zusammenhang zwischen FCKW und dem Ozonloch. Und noch früher
war er auf Seiten der Tabakindustrie an einer Expertise beteiligt, wonach Passivrauchen unschädlich sei. Nach einer Studie der Union of Concerned Scientists [1] arbeitet Singer seit vielen Jahren für durch Exxon und andere Industrieunternehmen finanzierte Organisationen wie das Science and Environmental
Policy Project (SEPP), deren Geschäft derartige Desinformation ist.
Dennoch wird uns Singer von RTL, ntv und von Report München2 als Klimaexperte präsentiert – der Zuschauer soll glauben, Singer sei ein Klimaforscher.
Eine Studie von Sozialwissenschaftlern aus Chicago und Helsinki kam 2003
zum Schluss, dass derartige von der Industrie finanzierte Lobbytätigkeit maßgeblich zur Wende in der US-Klimapolitik in den 1990er-Jahren und zur Abkehr der USA vom Kyoto-Protokoll beigetragen hat.3 Dabei verwundert kaum,
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dass es derartige Lobbyorganisationen gibt. Schwerer zu verstehen ist aber,
dass deutsche Medien immer wieder willfährig die Desinformation verbreiten,
die von diesen Gruppen gestreut wird. In dem RTL-Film Der Klimaschwindel traten neben Singer auch Gerd-Rainer Weber (langjährig tätig für den
Gesamtverband des Deutschen Steinkohlebergbau) sowie etliche weitere
Wissenswelten Schwerpunkt „Klimawandel“ – Klimaskeptiker – Stefan Rahmstorf
Angehörige von Lobbyorganisationen auf, ohne dass dies für die Zuschauer
erkennbar war.
Dementsprechend lernten wir in diesem Film, dass Vulkane viel mehr CO²
ausstoßen als menschliche Aktivitäten (in Wahrheit sind die anthropogenen
Emissionen etwa 50-mal höher als die aus Vulkanen), und dass der Ozean
mehr CO² abgibt als der Mensch (in Wahrheit hat der Ozean etwa 30 Prozent
unserer CO²-Emissionen aufgenommen, auch im Meerwasser steigt die CO²Konzentration seit Jahrzehnten an4). Dieselben Falschaussagen tauchen seit
vielen Jahren regelmäßig in den Medien auf.
Abnehmen durch Ausatmen
Origineller war da schon ein Beitrag von Christian Bartsch in der „FAZ
„(27. März), wonach der Mensch täglich 10 kg CO² ausatme – dadurch werde
mehr CO² frei als durch alle Autos der Welt. Ein guter Tipp zum Abnehmen:
einfach einen Tag lang nichts essen und 10 kg CO² ausatmen! Aber im Ernst:
Selbst wenn die Zahl gestimmt hätte (in Wahrheit ist es nur 1 kg), wäre sie natürlich irrelevant. Mensch und Tiere atmen nur das CO² aus, das zuvor durch
Photosynthese aus der Atmosphäre entnommen wurde und das ohnehin in sie
zurückgekehrt wäre – ob wir die Pflanzen essen oder einfach verrotten lassen
ist egal. Der biologische Kohlenstoffkreislauf ist geschlossen. Deshalb war die
CO²-Konzentration der Atmosphäre jahrtausendelang praktisch konstant und
steigt erst an, seit wir dem System riesige Mengen an zusätzlichem Kohlenstoff aus fossilen Lagerstätten hinzufügen. Sie steigt übrigens nicht einmal
so schnell an, wie es unsere Emissionen erwarten ließen: In der Atmosphäre
finden sich nur noch 57 Prozent des fossilen Kohlenstoffs, den wir hinzugefügt
haben. Der Rest ist, wie oben erwähnt, zum großen Teil im Ozean gelandet.
Die IPCC-Autoren nennt Bartsch „Wissenschaftler“ – in Anführungszeichen.
Und über den IPCC-Bericht schreibt er: „Es ist auch nicht ein einziger Ansatz
zu erkennen, dass die Mitglieder dieser Gruppe die Klimaänderungen der vergangenen Jahrtausende angesehen, geschweige denn nach einem Verständnis gesucht hätten.“ Das von 16 international führenden Paläoklimatologen
verfasste 65-seitige IPCC-Kapitel zu den Klimaveränderungen der Erdge-
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schichte (www.ipcc.ch) hat Bartsch wohl übersehen. Klimaschutz ist für ihn
„die schlimmste Selbstverstümmelung, die Menschen sich ausdenken konnten“, er führt zur „Verarmung der Industrieländer“ und wird „unweigerlich in
eine weltumspannende Klimadiktatur münden“. Überschrieben war der Artikel übrigens „Mehr Licht im Dunkel des Klimawandels“.
Die „Klimaskeptiker“
Die Medienaktivitäten solcher „Klimaskeptiker“ begleiten mich, seit ich vor 20
Jahren von der relativistischen Physik in die Klimaforschung gewechselt bin.
Dabei ist der gebräuchliche Begriff „Klimaskeptiker“ eigentlich unzutreffend.
Wer einmal versucht hat, sachlich mit „Klimaskeptikern“ zu diskutieren, der
weiß, dass sie keineswegs einen gesunden Skeptizismus pflegen, sich also
(wie die meisten Wissenschaftler) nur durch gute Belege von etwas überzeugen lassen. Im Gegenteil: Ähnlich wie Kreationisten haben sie eine festgefahrene Meinung zum Thema, die sich durch kein Sachargument erschüttern
lässt. Sie klammern sich an jeden argumentativen Strohhalm, mit dem sich
das Klimaproblem verleugnen und die Öffentlichkeit verwirren lässt.
Ein Medienprofi solcher Vernebelung zum Klimathema ist seit vielen Jahren
der Journalist Dirk Maxeiner, der auch mal über angebliche Ergebnisse eines
fiktiven Forschungsinstituts berichtet – Hauptsache sie besagen, dass CO² das
Klima kaum beeinflusst5. Kürzlich schrieb er zum Beispiel in der Zeitschrift „Cicero“ (Juni 2007): „Für eine dominierende Rolle des Kohlendioxids im aktuellen
Klimageschehen gibt es keinen direkten Beweis, sondern nur eine indirekte
Herleitung: Man glaubt alle anderen Ursachen für die in den vergangenen 30
Jahren beobachtete Erderwärmung ausschließen zu können. CO² bleibt derzeit
nach Meinung der meisten Klimaforscher als einziger Tatverdächtiger übrig.“
Das ist falsch. Erstens ist die physikalische Wirkung von CO² durch den Treib898
hauseffekt seit dem 19. Jahrhundert belegt und unumstritten – schon eine
einfache Überschlagsrechnung zeigt, dass die beobachtete Erwärmung gerade dem entspricht, was man aus physikalischen Gründen durch den anthropogenen Einfluss auf das Klima erwartet. Maxeiners Argument ist etwa
so, als würde man den Herd unter einem Topf Wasser einschalten, das Was-
Wissenswelten Schwerpunkt „Klimawandel“ – Klimaskeptiker – Stefan Rahmstorf
ser erwärmt sich so schnell, wie es der Heizleistung des Herdes entspricht,
und dann behauptet man, dies nur durch Ausschluss anderer Ursachen auf
den Herd zurückführen zu können. Zweitens kann man aber auch anhand der
räumlichen Muster in den Messdaten die verschiedenen Ursachen von Klimaveränderungen auseinanderhalten – die sogenannte „Fingerabdruck-Methode“, die ausführlich im IPCC-Bericht erläutert wird. (Im Bild des Kochtopfs:
Eine Analyse der Temperaturverteilung im Topf würde zeigen, dass die Wärme
von unten kommt, und nicht etwa von oben, wo die Sonne auf den Topf scheint.)
Damit wurde statistisch hoch signifikant nachgewiesen, dass die Erwärmung
durch anthropogene Faktoren verursacht wurde und nicht etwa durch interne
Klimavariabilität oder natürliche Antriebe wie die Sonne oder Vulkanismus.
Dies ist in vielen Studien übrigens nicht nur für die Temperaturveränderungen
belegt worden, sondern auch für die Luftdruckveränderungen, die Zunahme
der Wärmemenge in den Ozeanen, die Änderung der Niederschlagsverteilung
und andere gemessene Klimatrends.
Wenn ein Journalist einen Artikel einreicht, der das Gegenteil dessen behauptet, was Stand der Wissenschaft ist – hat die Redaktion
dann nicht die Verantwortung, kritisch zu prüfen, ob die Fakten
überhaupt stimmen?
Weiter behauptet Maxeiner: „Der beobachtete globale Erwärmungstrend
der vergangenen Dekaden verläuft bis dato ziemlich gleichmäßig und linear
– und nicht exponentiell. Er bewegt sich damit seit drei Jahrzehnten im unteren Bereich der von Klimamodellen für die Zukunft prognostizierten Werte.“ Der erste Satz ist eine klassische Irreführung, ohne direkt etwas Falsches
zu sagen. Der Leser soll denken: Wenn die CO²-Konzentration exponentiell
ansteigt, dann sollte die Temperatur dies auch tun, also stimmt etwas nicht.
Doch der CO²-Effekt ist logarithmisch (wie Maxeiner weiß, denn er schreibt es
später selbst), sodass ein exponentieller CO²-Anstieg zu einem linearen Temperaturanstieg führt. Der zweite Teil des obigen Zitats ist schlicht falsch: Ein
Vergleich der Messdaten mit den Modellszenarien zeigt, dass der beobachte-
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te Verlauf im oberen Bereich der Szenarien liegt (siehe Abb. 1.). Noch einmal
Maxeiner: „97 Prozent der jährlichen Kohlendioxidemissionen entstammen
der Natur, etwa drei Prozent aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe durch den
Menschen.“ Auch dies ist eine klassische, seit vielen Jahren immer wieder benutzte Irreführung der Laien. Hier wird Umsatz mit Gewinn verglichen, nämlich der natürliche CO²-Umsatz der Biosphäre von ca. 770 Milliarden Tonnen
pro Jahr (der aber keine Netto-Emission darstellt, sondern einen geschlossenen Kreislauf) mit den anthropogenen Emissionen, die dem System netto
jedes Jahr 22 Milliarden Tonnen CO² aus fossilen Quellen hinzufügen.
Die Qualitätskontrolle der Medien versagt
Wenn ein Redakteur derartige, vor Tatsachenverdrehungen und Falschaussagen wimmelnde Artikel abdruckt, dann liegt ein Versagen der redaktionellen
Qualitätssicherung vor. Wenn ein Journalist einen Artikel einreicht, der das
Gegenteil dessen behauptet, was Stand der Wissenschaft ist – hat die Redaktion dann nicht die Verantwortung, kritisch zu prüfen, ob die Fakten überhaupt
stimmen? Laut Pressekodex sind die obersten Gebote der Medien die Wahrhaftigkeit und sorgfältige Recherche. Doch die reale Medienwelt funktioniert
anders. Der für den Abdruck der fehlerhaften Aussagen verantwortliche Cicero-Chefredakteur Wolfram Weimer wurde sogar von Maybrit Illner in ihre
Talkshow eingeladen (5. Juli 2007). Ein Klimatologe war bei dieser Diskussion
zum Klimawandel nicht dabei. Die Medien schätzen Menschen, die provokante
Aussagen machen, auch wenn sie unbelastet von jeder Sachkenntnis sind. Jemanden einzuladen, der sich über viele Jahre wissenschaftlicher Beschäftigung mit einem Thema eine solide Reputation erarbeitet hat, ist dagegen vergleichsweise uninteressant, weil dessen Aussagen nicht kontrovers wären.
Mangels Sachargumenten diffamieren die „Klimaskeptiker“ uns Klimafor900
scher zunehmend schriller als „Klimapropagandisten“ (Maxeiner) oder als
„Klimahysteriker“ (Günter Ederer in „Report“). Der Leiter des Vorstandsbüros
der ZEIT-Stiftung, Philipp-Christian Wachs, verglich uns bei einer Veranstaltung (ZEIT-Forum, 14. Mai 2007) mit „Öko-Blockwarten“. Danach schockierte
er die Zuhörer mit der Behauptung, „dass eine amerikanische Fachzeitschrift
Wissenswelten Schwerpunkt „Klimawandel“ – Klimaskeptiker – Stefan Rahmstorf
Abb. 1. Globale Temperaturentwicklung der letzten Jahrzehnte. Punkte zeigen die Jahreswerte
(Quadrate: NASA-Datensatz, Kreise: Hadley Centre), die dicken Linien den Trend der beiden
Datensätze über 7 Jahre geglättet. Die graue Spanne zeigt zum Vergleich die Projektionen der
Klimamodelle ab dem Jahr 1990 aus dem letzten IPCC-Bericht. (Quelle: nach Rahmstorf, S. et
al., Recent Climate Observations Compared to Projections. Science, 2007. 316: S. 709.).
gegen Zweifler allen Ernstes Verfahren im Stil der Nürnberger Prozesse fordert“. Eine „Fachzeitschrift“: hier sollte dem Wissenschaftsbetrieb eine Intoleranz angekreidet werden, die in der Tat unerträglich wäre – wenn es denn
gestimmt hätte. Die Aussage wurde jedoch im Internetmagazin „Grist“ von
einem Journalisten gemacht (der sie übrigens sehr schnell öffentlich zurückgenommen hat). Nicht zum ersten Mal werden die Übertreibungen der Medien der Wissenschaft angelastet.
Häufig sollen die Ergebnisse der Klimaforschung auch mit der Behauptung
diskreditiert werden, die IPCC-Berichte seien politisch beeinflusst. So schrieb
etwa Wolf Lotter in der Zeitschrift „brand eins“ (März 2007), „der Konsens der
redlich bemühten Wissenschaftler“ werde anschließend „von Politikern und
Lobbyisten in politisch handelbare Ware umgeschrieben“ – erst daraus entstünden dann die dramatischen Meldungen der „Apokalypse-Medien“.
Die Vorstellung, dass die Regierungsvertreter etwa aus China, den USA und
Saudi-Arabien sich den IPCC-Bericht vornehmen und unsere wissenschaftlichen Aussagen aufpeppen und dramatisieren, wird bei jedem, der etwas von
901
Politik versteht oder (wie ich) bei der Sitzung mit den Regierungsvertretern dabei war, große Heiterkeit auslösen. Man kann sich durch Vergleich der von den
Regierungsvertretern verabschiedeten Endfassung mit den ursprünglichen
Entwurfsfassungen der Wissenschaftler (die ebenfalls auf der IPCC-Webseite frei zugänglich sind) leicht überzeugen, wie unsinnig diese Vorstellung ist.
Dass all diese Regierungen mit den unterschiedlichsten Interessenlagen die
Zusammenfassung des IPCC-Berichts Satz für Satz einstimmig verabschiedet
haben, ist nur deshalb möglich, weil an den enthaltenen wissenschaftlichen
Ergebnissen beim besten Willen nicht zu rütteln ist – die Bush-Administration
hätte dem Bericht sonst wohl kaum zugestimmt.
Weiter soll der IPCC-Konsens durch Unterschriftensammlungen oder Umfragen unter Wissenschaftlern infrage gestellt werden – eine von den Kreationisten bekannte Technik. Schon 1995 präsentierte Fred Singer die „Leipziger Erklärung“, die angeblich von 100 Klimatologen unterzeichnet war und
die noch in einer 2005 revidierten Fassung behauptete: „In fact, many climate
specialists now agree that actual observations from weather satellites show
no global warming whatsoever.“ Die Nachprüfung ergab: Fast keiner der Unterzeichner war tatsächlich Klimatologe. Und in letzter Zeit liest man häufig
von einer Umfrage von Dennis Bray und Hans von Storch, wonach nur die
Hälfte der Klimatologen den menschlichen Einfluss auf das Klima für belegt
halten soll. Auch bei dieser Umfrage gab es aber keinerlei Kontrolle, ob die
Teilnehmer überhaupt Klimatologen waren oder ob Einzelne sich mehrfach
zählen ließen. Jeder, der ein Passwort kannte, konnte im Internet den Fragebogen ausfüllen. In den Netzwerken der „Klimaskeptiker“ wurde das Passwort verbreitet und zur massenhaften Teilnahme aufgerufen.6 Die Ergebnisse
sind daher praktisch wertlos und ihre Publikation wurde von mindestens zwei
Fachzeitschriften abgelehnt. Sie wurden stattdessen über die Medien, das In902
ternet und Lobbygruppen wie das Heartland Institute verbreitet.
„Das Klima hat sich schon immer geändert“
Ein Newcomer unter den „Klimaskeptikern“ ist der Zukunftsforscher Matthias
Horx, der in einem Welt-Essay (13. März 2007) das alte Argument vorbringt:
Wissenswelten Schwerpunkt „Klimawandel“ – Klimaskeptiker – Stefan Rahmstorf
„Das Klima hat sich schon immer geändert.“ Das stimmt, aber die Fakten von
Horx stimmen großenteils nicht oder sind irreführend dargestellt. So schreibt
er, vor 500 Millionen Jahren habe die CO²-Konzentration sensationelle 28 Prozent betragen (tatsächlich waren es 0,7 Prozent), und vor 300 000 Jahren sei
die Sauerstoffkonzentration 30 Prozent gewesen (in Wahrheit ist das tausendmal länger her).
Wenn die Polizei einen Brand untersucht und handfeste Beweise
für Brandstiftung vorlegt, könnte man diese auch kaum mit dem
Argument entkräften: Feuer hat es auch schon gegeben, bevor es
Menschen gab.
Dann behauptet er: „Mindestens viermal in der Urgeschichte kam es zu ausgedehnten Wärmeperioden. Vor 400 000 Jahren dauerte die „Global Warming“Phase 30 000 Jahre“. Hier spricht Horx von den vier Warmphasen (Interglazialen), die in den letzten 400 000 Jahren zwischen den Eiszeiten aufgetreten sind.
In einem solchen Interglazial, nämlich dem Holozän, leben wir seit dem Ende
der letzten Eiszeit vor 10 000 Jahren. Horx suggeriert aber, diese „Wärmeperioden“ seien wärmer als das heutige Klima gewesen, und ein „global warming“,
wie die Erde es derzeit erlebt, sei etwas ganz Normales. Die Klimadaten geben
dies allerdings nicht her: sie legen im Gegenteil nahe, dass die globale Durchschnittstemperatur in den vorherigen Interglazialen der im Holozän vergleichbar war. Am besten belegt ist dies für die letzte Warmzeit vor 120 000 Jahren,
das Eem. Damals war es in der Arktis zwar mehrere Grad wärmer als heute
(und der Meeresspiegel wegen der kleineren Eisschilde 4 bis 6 Meter höher),
die globale Mitteltemperatur war aber nach gegenwärtigem Wissensstand
nicht spürbar wärmer. Dies liegt an der Ursache dieser Warmphasen, den Erdbahnzyklen, die die Sonneneinstrahlung zwar umverteilen (im Eem wesentlich
mehr Sommersonne in der Arktis), aber eben nicht global erhöhen.
Im nächsten Satz behauptet Horx: „Auch in den letzten 3,5 Millionen Jahren
taute die Antarktis, wie der Jenaer Geowissenschaftler Lothar Viereck-Götte
anhand von Bohrkernen herausfand, mehrmals auf und wieder zu.“
903
Eine wissenschaftliche Sensation – wenn es denn stimmen würde. ViereckGötte sagt dazu nur lapidar, Horx habe seine „Ergebnisse falsch dargestellt“.
Tatsächlich zeigen seine Daten lediglich, dass an einer Stelle der Antarktis ein
bestimmtes Eisschelf mehrfach vorgestoßen und wieder zurückgegangen ist.
Ein unspektakuläres Stück Routinearbeit der Klimawissenschaften, das Horx
zur Beförderung seiner Thesen zum „Abtauen der Antarktis“ aufbauscht.
Horx rechtfertigte seinen Fehler mir gegenüber damit, er habe diese Information aus den Medien übernommen. Hier stellt sich die Frage: Ist der nach
Pressekodex erforderlichen „sorgfältigen Recherche“ damit Genüge getan,
dass man aus anderen Zeitungsartikeln etwas abschreibt? Oder sollten fünf
Minuten investiert werden, um die Originalquelle zu prüfen? Ohne eine solche
Überprüfung setzen sich Fehler über Jahrzehnte immer weiter fort, wie der
oben genannte Mythos, Vulkane würden mehr CO² ausstoßen als der Mensch.
Die Essenz von Horx’ Artikel ist ja gerade, dass die auf mehr als einem Jahrhundert sorgfältigster Forschung beruhenden Aussagen der Klimatologen
nicht zuverlässig seien. Da verwundert es schon, dass Horx offenbar nicht einige Minuten zu investieren bereit ist, um die Zuverlässigkeit seiner eigenen
Aussagen zu prüfen.
Am Ende bringt Horx sogar das ebenso alte wie falsche Argument, das Klima ließe sich nicht voraussagen, weil wir „nicht einmal Regen und Sonnenschein für Kleindettelhausen in 7 Tagen“ vorhersagen könnten. Ich weiß nicht,
ob Horx selbst nicht zwischen Wetter und Klima unterscheiden kann, oder ob
er einfach nur hofft, dass seine Leser dies nicht können. Egal – um zu einem
Interview mit Maybrit Illner und in diverse Talkshows geladen zu werden, hat
das Sammelsurium von Falschaussagen gereicht.
Dabei hätte Horx sein Argument „das Klima hat sich schon immer verändert“
mühelos auch mit korrekten Fakten illustrieren können. Das Taschenbuch
904
„Der Klimawandel“7 gibt im ersten Kapitel einen Überblick über die natürlichen Klimaveränderungen der Erdgeschichte, und auch der neue IPCCBericht diskutiert sie ausführlich. Nur taugt dieses Argument nicht, um die
Verursachung des aktuellen Klimawandels durch den Menschen infrage zu
stellen. Wenn die Polizei einen Brand untersucht und handfeste Beweise für
Wissenswelten Schwerpunkt „Klimawandel“ – Klimaskeptiker – Stefan Rahmstorf
Brandstiftung vorlegt, könnte man diese auch kaum mit dem Argument entkräften: Feuer hat es auch schon gegeben, bevor es Menschen gab.
Auch um das Ausmaß des CO²-bedingten Klimawandels herunterzuspielen,
eignet sich Horx’ Argument nicht. Die starken Klimaschwankungen der Erdgeschichte belegen vor allem, wie empfindlich das Klimasystem ist. Die Daten
der Klimageschichte werden genutzt (unter anderem in meiner Arbeitsgruppe8), um quantitativ zu bestimmen, wie sensibel das System in der Vergangenheit auf bestimmte Störungen des Strahlungshaushalts reagiert hat – diese „Klimasensitivität“ ist die entscheidende Kenngröße des Klimasystems,
die bestimmt, wie stark die Reaktion auf die von uns verursachte Erhöhung
der Treibhausgaskonzentration ausfallen wird. Dabei gilt natürlich: je stärker
vergangene Klimaschwankungen, desto stärker auch die Reaktion auf unsere
CO²-Emissionen.
Letztlich eignet sich Horx’ Argument auch nicht, um die Folgen des Klimawandels zu verharmlosen. Man denke nur an das Pliozän vor 3 Millionen Jahren, als es das letzte Mal global deutlich wärmer war als derzeit, nämlich
2-3 ºC. Der Meeresspiegel war 15-25 Meter höher, da das wärmere Klima
auch zu kleineren Kontinentaleismassen führte. Es wäre höchst alarmierend,
wenn Horx’ Falschmeldung über die Antarktis gestimmt hätte – der Eisschild,
dessen Masse insgesamt zu einer Erhöhung des globalen Meeresspiegels
um 57 Meter ausreichen würde, wäre dann viel instabiler, als wir Klimatologen bislang annehmen. Zur Entwarnung, wie von Horx intendiert, kann diese
Nachricht wohl kaum dienen.
Falsche Klimakurven in der Schule
Auch unsere Schüler werden zunehmend der Desinformation der „Klimaskeptiker“ ausgesetzt. Der Freiburger Gymnasiallehrer Ernst-Georg Beck betreibt seit Jahren die „Skeptiker“-Webseite biokurs.de, auf der er verfälschte
Klimagrafiken für Unterrichtszwecke verbreitet. Unter anderem zeigt er dort
eine alte Klimakurve aus den 1980er-Jahren für das letzte Jahrtausend, bei
der er den Temperaturverlauf von 1970 bis 2000 selbst hinzugefügt hat – und
zwar völlig flach, die starke Klimaerwärmung der letzten Jahrzehnte wird un-
905
terschlagen. So wird der falsche Eindruck erweckt, es sei im Mittelalter wärmer gewesen als derzeit – eine Variante eines alten „Skeptiker“-Tricks. Außerdem hat Beck die ursprüngliche Temperaturskala der Kurve so verändert,
dass die vergangenen Temperaturschwankungen um mehr als das Dreifache
übertrieben werden.
Mit einer anderen irreführenden Kurve versucht Beck zu zeigen, dass die gegenwärtige Erwärmung in einen natürlichen Zyklus passt – dies erreicht er,
indem er die Zeitachse geschickt unterbricht, einige hundert Jahre unterschlägt und die Skala mittendrin verändert. Ohne diese Manipulationen würde seine Grafik zeigen, dass wir jetzt in einer Kaltphase sein müssten. Ein
Forstingenieur, der Becks Schuldirektor auf die Verfälschungen aufmerksam
machte, wurde daraufhin Opfer einer massiven Mobbing-Kampagne seitens
der „Klimaskeptiker“. Beleidigende Faxe wurden an 14 seiner Arbeitskollegen
gesandt. Professor Gerhard Gerlich (TU Braunschweig), der den Treibhauseffekt einen „fiktiven Mechanismus“ nennt und CO² für „vollkommen irrelevant“
hält, drohte ihm gar mit einem „Disziplinarverfahren“. Mehrere Schulbehörden empfehlen übrigens Becks Webseite für den Unterricht. Ähnliche Desinformation zum Klima bietet auch die Seite schulphysik.de.
Der Fall Reichholf
Mit falschen und irreführenden Klimakurven arbeitet auch Josef Reichholf,
dessen Buch „Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends“ derzeit
in vielen Buchläden ausliegt. Die Kernthese des Buches ist, dass die Klimaentwicklung im letzten Jahrtausend wesentlich unsere Geschichte geprägt
hat. Überraschenderweise erfährt man jedoch praktisch nichts über den wissenschaftlichen Kenntnisstand zu dieser Klimaentwicklung. In der Fachliteratur gibt es inzwischen ein Dutzend Rekonstruktionen des Klimaverlaufs auf
906
der Nordhemisphäre über diese Zeit, die auf den Daten aus Baumringen, Korallen, Eisbohrkernen, Sedimenten und der Gletscherausdehnung beruhen.
Sie alle sind im neuen IPCC-Bericht diskutiert. Bei Reichholf werden diese
Studien nicht erwähnt. Er diskutiert zwar, dass historische Ereignisse wie die
Vorstöße der Mongolen wohl mit bestimmten Klimabedingungen zusammen-
Wissenswelten Schwerpunkt „Klimawandel“ – Klimaskeptiker – Stefan Rahmstorf
hängen müssten – auf eine Überprüfung dieser Hypothese anhand von Klimadaten wartet der Leser jedoch vergeblich. Dafür liefert Reichholf reichlich
Belege für sein Unverständnis elementarer Zusammenhänge im Klimasystem, zum Beispiel wenn er über die Eiszeiten schreibt: „Die Niederschläge
hatten global stark abgenommen, weil so viel Wasser an beiden Polen in Eis
gebunden war.“
Ausführlich wird die Geschichte der Landverluste durch Sturmfluten an der
Nordsee behandelt – aber ohne deren Ursache zu erwähnen, die nacheiszeitliche Landabsenkung um über 1 mm/Jahr9. Nach seinem Credo „warm ist
gut“ führt Reichholf diese Landverluste stattdessen auf das schlechte Wetter
während der „Kleinen Eiszeit“ zurück. Dass einige der verheerendsten Fluten,
zum Beispiel die Julianenflut 1164 und die Marcellusflut 1219, während der
mittelalterlichen Warmphase stattfanden, stört ihn dabei nicht.
Die einzige scheinbare Klimakurve des letzten Jahrtausends findet man auf
Seite 231. Dort steht eine Grafik mit der Überschrift „Sonnenaktivität und
Klima über das letzte Jahrtausend“. Man wundert sich, dass nur eine Kurve
gezeigt ist, und nicht eine Klima- und eine Sonnenkurve verglichen werden.
Die Achsenbeschriftung lautet „Wärme-Index“, und in der Bildunterschrift
liest man, dass die „Klimaerwärmung gerade das angenommene Niveau des
Hochmittelalters erreicht“.
Schaut man bei der angegebenen Quelle nach (wie bei Reichholf üblich ein
populärwissenschaftlicher Artikel, keine Originalquelle), stellt man fest: Es
handelt sich um C14-Daten aus Baumringen, die Rückschlüsse auf die vergangene Sonnenaktivität erlauben. Doch Reichholf hat die Kurve verändert:
Im Original reichen die Daten bis 1955, bei Reichholf ist dieselbe Kurve so gestreckt, dass sie bis zum Jahr 2000 reicht. Dies ist nicht unwichtig: Bekanntlich hat die Sonnenaktivität seit 1955 nicht zugenommen, weshalb sie nicht an
der aktuellen Erwärmung beteiligt sein kann. Bei Reichholf sieht es dagegen
so aus, als habe die Sonnenaktivität bis 2000 deutlich zugenommen.
Zudem wird den Lesern nahegelegt, es handele sich um eine Temperaturkurve. Wie oben erwähnt, zeigen aber alle Temperaturkurven, dass es heute auf der Nordhalbkugel deutlich wärmer ist als im Mittelalter – obwohl die
907
Abb. 2. Temperaturverlauf in Mitteleuropa im Frühjahr/Sommer als Mittelwert der Wetterstationen Basel, Potsdam, Utrecht und Wien, bekannt als Baur’sche Reihe. Die Punkte zeigen
jährliche Werte, die dicke Linie den nicht-linearen Trend (geglättet über 20 Jahre). Der Biologe
Josef Reichholf behauptet dagegen, die Frühjahr/Sommer-Temperaturen in Mitteleuropa
hätten seit 1960 um etwa 1 ºC abgenommen und lägen heute noch unter dem Wert des Jahres
1760. Angeblich beruht seine Kurve auf denselben Wetterstationen.
Sonnenaktivität nicht höher ist. Da Sonnenaktivität und Temperatur im letzten
Jahrtausend gut korrelieren, ist gerade der gegenläufige Trend von beiden in
den letzten Jahrzehnten wichtig. Was von Reichholf suggeriert wird, ist das
Gegenteil dessen, was Stand der Klimaforschung ist. Im Text behauptet Reichholf sogar, dass „der Erwärmungstrend seit der Jahrtausendwende zumindest gestoppt, wenn nicht sogar etwas rückläufig“ sei – wohl kaum eine seriöse Beschreibung der Messdaten (Abb. 1). Die Monate Januar und April 2007
waren übrigens global die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen.
Ähnliches trifft auch auf sein eigenes Fachgebiet zu. Viele Biologen erforschen
detailliert die Auswirkungen des Klimawandels auf Tier- und Pflanzenarten.
Sie kommen überwältigend zu dem Schluss, dass die globale Erwärmung
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in Zukunft zu einer massiven Gefährdung der Artenvielfalt führen wird. Dies
spiegelt sich auch in den durch die Biologen erarbeiteten Übersichtsberichten wie dem Millennium Ecosystem Assessment10 oder dem IPCC-Bericht, an
denen jeweils über tausend Experten jahrelang gearbeitet haben. Reichholf
behauptet nun in den Medien einfach das Gegenteil, ohne jedoch in der Fachli-
Wissenswelten Schwerpunkt „Klimawandel“ – Klimaskeptiker – Stefan Rahmstorf
teratur selbst dazu etwas publiziert zu haben.11 Es gehört zum guten Stil seriöser Wissenschaftler, sich nicht mit Thesen an ein Laienpublikum zu wenden,
die man nicht zuvor in der begutachteten Fachliteratur publiziert und damit
Fachkollegen zur kritischen Diskussion gestellt hat.
Eine weitere falsche Kurve findet sich in einem Reichholf-Aufsatz im Buch
„Die Zukunft der Erde“. Er zeigt dort den Temperaturverlauf in Mitteleuropa
nach den Wetterstationen Basel, Utrecht, Potsdam und Wien – die bekannte „Baur’sche Reihe“. Nach Reichholfs Abbildung liegen die Frühjahr/Sommer-Temperaturen heute niedriger als im Jahr 1760, sie zeigen insgesamt
einen Abkühlungstrend, und zwischen 1960 und 2000 haben sie sogar um 1 ºC
abgenommen. Nicht nur Klimatologen dürfte dies seltsam vorkommen. Trotz
ausführlicher Korrespondenz konnte Reichholf die Entstehung dieser Kurve
nicht nachvollziehbar erklären. Sie beruhe auf einer Tabelle in einem Buch
aus dem Jahr 1982, ergänzt durch neuere Daten vom Hohenpeißenberg. Auf
meine Frage, wieso Reichholf den Hohenpeißenberg benutze und nicht einfach durchgehend die gleichen Stationen zeige, antwortete er mir, dies sei ihm
„zu zeitaufwendig“ gewesen. Der korrekte Verlauf der Baur’schen Reihe ist in
Abb. 2 gezeigt – sie ähnelt in keiner Weise der Reichholf’schen Grafik.
Der Fall Reichholf ist insofern interessant, als er als Professor der TU München den Regeln der „guten wissenschaftlichen Praxis“ verpflichtet ist, die
„Verfälschungen von Daten und Quellen“ verbieten und zur Arbeit lege artis
verpflichten. Ansonsten zeigt der Fall nochmals die schon erwähnte Liebe
der Medien zu provokanten, aber haltlosen Behauptungen statt zu solider Arbeit: Reichholf wurde unter anderem mit Interviews in „Spiegel“ und „Focus“
belohnt.
Werden Fehler korrigiert?
Wenn Falsches publiziert wurde, wird es korrigiert? Dies verlangt nicht nur der
Pressekodex12, sondern auch die intellektuelle Redlichkeit. Im Dezember 2006
regte ich Reichholf gegenüber an, seine falsche Darstellung der Baur’schen
Reihe zu korrigieren. Auch Horx fragte ich im Mai 2007, ob er seine falschen
Aussagen nicht richtigstellen wolle. Beide haben darauf nicht reagiert. Beide
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haben übrigens neue Bücher auf dem Markt, die es durch Medienaufmerksamkeit zu verkaufen gilt.
Auch die „Welt“-Redaktion bat ich um eine Korrektur, nachdem das Blatt am
21. März geschrieben hatte: „Die Sicherheit über den Anteil der Menschheit
an der Erwärmung ist auch im neuesten Klimabericht gar nicht höher ausgewiesen als im letzten von 2001. Reklamiert wird nach wie vor eine 66-prozentige Wahrscheinlichkeit. Auch wenn in sämtlichen Pressekonferenzen und vor
allem den Medien unisono von einer 90-prozentigen Sicherheit die Rede war.“
Man muss nur im IPCC-Bericht nachsehen: dort ist schon in der Zusammenfassung deutlich hervorgehoben, dass wir heute zu 90 Prozent sicher sind und
dass dies ein wichtiger Unterschied zum letzten Bericht ist. Mein Vorschlag,
die falsche Aussage zu korrigieren, löste in der Welt-Redaktion „Befremden“
aus. Sie könne sich doch nicht „von den eigenen Autoren distanzieren“, schrieb
mir die stellvertretende Chefredakteurin Andrea Seibel. Der Autor des betreffenden Beitrags, Uli Kulke, fällt übrigens immer wieder durch falsche Aussagen auf, mit denen der Klimawandel heruntergespielt werden soll.
In der „FAZ“ dagegen korrigierte Wissenschaftsredakteur Christian Schwägerl eine Woche später in einem eigenen Artikel wesentliche Falschaussagen
des oben zitierten Beitrags von Christian Bartsch, auch wenn dies nicht explizit als Korrektur deklariert war. Allerdings durfte Bartsch am 24. Juli nochmals mit weiteren Falschaussagen nachlegen.
Kritisiert man als Wissenschaftler faktische Fehler in den Medien, dann kommt
meist der Vorwurf, man wolle eine Diskussion und abweichende Meinungen
unterdrücken. Kein Wissenschaftler hat etwas gegen kontroverse Diskussionen, sie gehören zum Alltag der Wissenschaft und machen gerade einen guten Teil des Spaßes an der Forschung aus. Der Klimawandel wird von uns auf
Konferenzen und in den Fachzeitschriften seit Jahrzehnten in allen Facetten
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kontrovers diskutiert – gerade aus diesem lebhaften Diskussionsprozess hat
sich ja allmählich der Konsens über wesentliche Punkte herausgebildet. Andere Punkte sind in der Fachwelt nach wie vor umstritten – etwa der Einfluss
der globalen Erwärmung auf die Stärke tropischer Wirbelstürme, das Ausmaß
des künftigen Meeresspiegelanstiegs oder die Stabilität der Kontinentaleis-
Wissenswelten Schwerpunkt „Klimawandel“ – Klimaskeptiker – Stefan Rahmstorf
massen. Doch bringt eine Diskussion nur dann Erkenntnisgewinn, wenn sie
intellektuell redlich und auf Basis korrekter Fakten geführt wird. Dies unterscheidet fundamental die in den Medien geführten Scheinkontroversen von
den Diskussionen unter seriösen Wissenschaftlern.
Fazit
In unseren Medien wird nach wie vor regelmäßig der vom Menschen verursachte Klimawandel in Zweifel gezogen – was auch völlig in Ordnung wäre,
wenn dies mit korrekten und seriösen Argumenten geschähe. Die ehrlichen
Argumente sind den „Klimaskeptikern“ aber längst ausgegangen. Die genannten Beispiele sind nur die Spitze eines Eisbergs und illustrieren, mit
welch abstrusen Falschaussagen und Bauernfängerargumenten stattdessen
gearbeitet wird. Eine Diskussion auf derart niedrigem Niveau selbst in anspruchsvolleren Medien hätte ich zuvor nicht für möglich gehalten.
Wer sich im Bekanntenkreis umhört, der merkt rasch, dass diese künstlich am
Leben erhaltene Scheindebatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Viele Menschen
sind verunsichert und wissen nicht mehr, was sie glauben sollen. Sie meinen,
die Ursachen des Klimawandels seien unter Experten immer noch umstritten.
Diese Fehleinschätzung behindert und verzögert eine effektive Klimaschutzpolitik bis heute. Dabei geht es um viele Menschenleben. Die Hitzewelle in
Europa im Sommer 2003 hat über 30 000 Menschenleben gekostet.13 Und die
Weltgesundheitsorganisation schätzt in einer Studie, dass der Klimawandel
insgesamt derzeit für jährlich rund 150 000 zusätzliche Todesopfer verantwortlich ist, vor allem in Afrika.14 Ohne rasche Gegenmaßnahmen ist dies erst
der Anfang eines mehrfach größeren Klimawandels. Und es geht – den Thesen von Reichholf zum Trotz – um die Frage, wie viele Tier- und Pflanzenarten
wir noch in das 22. Jahrhundert hinüberretten können.
Ich kann hier nur an die Verantwortung von allen appellieren, die sich in den
Medien zu Wort melden, mit redlichen Argumenten und sorgfältig recherchierten Fakten zu arbeiten. Täuschungen, Tatsachenverdrehungen und selbst
ernannte Experten ohne fundierte Sachkenntnis („opinionated ignorance“, wie
es im Englischen so treffend heißt) sind wenig hilfreich.
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Vor allem aber sind die zitierten Falschmeldungen Folge eines erschreckenden Versagens der Qualitätskontrolle in unseren Medien. Dabei wäre Abhilfe
sehr leicht. Im Internetzeitalter ist es einfacher denn je, Fakten nachzuprüfen. Meist genügen wenige Minuten. All die „Skeptiker“-Argumente, die in den
letzten Monaten in den Medien aufgetaucht sind, sind von Wissenschaftlern
auf diversen Internetseiten längst detailliert diskutiert und widerlegt worden.
Einen Überblick über die besten dieser Seiten bietet realclimate.org in der
Rubrik start here. Auch die Qualität von Experten lässt sich anhand von Online-Datenbanken wie dem „Web of Science“ oder „Google Scholar“ leicht ermitteln – man kann sofort nachsehen, wer was in der Fachliteratur publiziert
hat und wie oft es zitiert wurde. Durch Internetquellen wie sourcewatch.org
oder lobbycontrol.de kann man zudem leicht prüfen, ob jemand für Lobbyorganisationen tätig ist.
Wir Wissenschaftler können die Missstände in den Medien nicht beseitigen
– wir können nur unser eigenes Haus in Ordnung halten, fachlich fundierte
Informationen bereitstellen und gelegentlich darauf hinweisen, wenn Unsinn verbreitet wird. Die Qualitätssicherung der Medien muss die Medienwelt
selbst leisten. In Gesprächen mit Journalisten stelle ich aber häufig einen erstaunlichen Zynismus oder tiefe Resignation fest, wenn es um die Frage einer
Verbesserung des Qualitätsniveaus geht.
Doch ohne eine solche Qualitätskontrolle verliert unsere Gesellschaft die Fähigkeit, zwischen Wissenschaft und Scharlatanerie zu unterscheiden – und sie
verliert dabei die Fähigkeit, mit einem komplexen Problem wie dem Klimawandel erfolgreich umzugehen. Wir alle, vor allem aber unsere Kinder und
Enkel, könnten dafür einen hohen Preis bezahlen.
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Anmerkungen:
1 Union of Concerned Scientists, Smoke, Mirrors & Hot Air: How ExxonMobil Uses Big
Tobacco’s Tactics to „Manufacture Uncertainty“ on Climate Change. 2007: Washington. p. 63. http://www.ucsusa.org/news/press_release/ExxonMobil-GlobalWarming-tobacco.html
2 „Kein Wissenschaftler sagt eine Überschwemmung New Yorks voraus, das bleibt allein dem
Politiker Al Gore vorbehalten und den Klimahysterikern in Deutschland,“ so Report München
am 9. Juli. In Wahrheit zeigt eine 2001 publizierte Studie des NASA-Klimainstituts in New
Wissenswelten Schwerpunkt „Klimawandel“ – Klimaskeptiker – Stefan Rahmstorf
York einen dramatischen Anstieg der Sturmflutrisiken für die Stadt aufgrund des steigenden
Meeresspiegels. New York denkt daher längst ernsthaft über drei Sturmflutbarrieren nach.
Die jüngsten Gespräche dazu fanden am 8. Mai im Büro von Bürgermeister Bloomberg statt.
(Quelle: Storm Surge Research Group, Stony Brook University, New York.)
3. McCright, M. and R.E. Dunlap, Defeating Kyoto: The conservative movement’s impact on
U.S. climate change policy. Social Problems, 2003. 50: p. 348-373.
4. Sabine, C.L. et al., The oceanic sink for anthropogenic CO². Science, 2004. 305: p. 367371.
5. Rahmstorf, S., Die Klimaskeptiker, in: Wetterkatastrophen und Klimawandel – Sind wir
noch zu retten?, Münchner Rückversicherung, Hrsg. 2004, pg-verlag: München.
6. Lambert, T. Useless online-survey of climate scientists. 2005 (http://timlambert.
org/2005/05/bray/).
7. Rahmstorf, S. and H.J. Schellnhuber, Der Klimawandel. 2006, München, 144. Seiten
8. Schneider von Deimling, T., et al., Climate sensitivity estimated from ensemble simulations of glacial climate. Climate Dynamics, 2006. 27: p. 149-163.
9. Ekman, M., A consistent map of the postglacial uplift of Fennoscandia. Terra Nova, 1996.
8: p. 158-165.
10. Millennium Assessment Working Group. Millennium Ecosystem Assessment. 2005
(Available from: http://www.millenniumassessment.org/en/index.aspx).
11. Ein Blick in die Standard-Datenbank, die alle Artikel aus mehr als 14 000 Fachzeitschriften erfasst, zeigt: Reichholf hat zuletzt 1991 etwas in der begutachteten Fachliteratur veröffentlicht, als dritter Autor eines Artikels über das Eichhörnchen, der seither
ganze zwei Mal zitiert worden ist.
12 Ziffer 3: Richtigstellung
Veröffentlichte Nachrichten oder Behauptungen, insbesondere personenbezogener Art,
die sich nachträglich als falsch erweisen, hat das Publikationsorgan, das sie gebracht
hat, unverzüglich von sich aus in angemessener Weise richtig zu stellen. (www.presserat.de)
13 Kosatsky, T., The 2003 European heat waves. Euro Surveill, 2005. 10: p. 148-149.
14 World Health Organization, The World Health Report 2002 – Reducing Risks, Promoting
Healthy Life. 2002: p. 230
Stefan Rahmstorf ist Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam und forscht am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.Er zählt zu den Leitautoren des 4. IPCC-Berichts (2007) und
ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat „Globale Umweltveränderungen“ der Bundesregierung (WBGU). Über 50 Fachpublikationen
(davon 14 in denJournals „Science“ und „Nature“). Buchveröffentlichungen: „Der Klimawandel“ (mit Hans-Joachim Schellnhuber,
C.H. Beck 2006) und „Wie bedroht sind die Ozeane?“ (mit Katherine
Richardson, Fischer 2007).
Kontakt [email protected]
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