Intuitionistische und Mehrwertige Logik

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Intuitionistische und Mehrwertige Logik
Günther Eder
Institut für Philosphie, Universität Wien
Präliminarien
Ähnlich wie die frühen Untersuchungen zur Modallogik, waren die frühen Untersuchungen zur intuitionistischen Logik lange Zeit syntaktisch orientiert. Verschiedene Leute
haben verschiedene Axiomatisierungen vorgeschlagen, ohne eine klare Vorstellung davon
zu haben, wieso gerade diese Axiomatisierungen ‘richtig’ für den intuitiven Begriff der
intuitionistischen logischen Wahrheit sein sollten. Die erste Axiomatisierung der intuitionistischen Logik stammt von Arend Heyting (1930), einem niederländischen Logiker und
Mathematiker. Das nach ihm benannte System H ist die Menge aller Sätze, die sich aus
dem folgenden System von Axiomen ableiten lassen:
(H1 )
(H2 )
(H3 )
(H4 )
(H5 )
(H6 )
(H7 )
(H8 )
(H9 )
(H10 )
(H11 )
α → (α ∧ α)
(α ∧ β) → (β ∧ α)
(α → β) → ((α ∧ γ) → (β ∧ γ))
((α → β) ∧ (β → γ)) → (α → γ)
α → (β → α)
(α ∧ (α → β)) → β
α → (α ∨ β)
(α ∨ β) → (β ∨ α)
((α → γ) ∧ (β → γ)) → ((α ∨ β) → γ)
¬α → (α → β)
((α → β) ∧ (α → ¬β)) → ¬α)
Die einzige Schlussregel des Systems H ist der Modus Ponens A, A → B ` B.
Eine interessante Frage ist also: Lässt sich das System H auch semantisch charakterisieren, im besten Fall basierend auf irgendeiner semantischen Idee, die hinreichend nah
an den Grundvorstellungen der intutionistischen Logik und Mathematik ist? Heute gibt
es viele verschiedene Semantiken (Kripke-Modelle, Beth-Modelle, Heyting-Algebren, etc.),
mit deren Hilfe wir die Theoreme von H semantisch charakterisiert können, doch keine
dieser Semantiken war in den frühen 30er Jahren verfügbar. Dennoch: viele Logiker der
20er und 30er Jahre hielten es für möglich, die Theoreme von H semantisch zu bestimmen.
1
Die Grundidee war, H durch eine mehrwertige Semantik zu charakterisieren. Diese Idee
ist, gerade von einem (informellen) intuitionistischen Standpunkt aus, eigentlich natürlich:
Das, was Intuitionisten auszeichnet, ist ja die Ablehnung des Gesetzes vom ausgeschlossenen Dritten A ∨ ¬A (und allem was daraus sonst noch folgt).1 Intuitionisten sind der
Meinung, dass—zumindest in der Mathematik—die Dichotomie zwischen ‘wahren’ und
‘falschen’ Sätzen, die eng mit dem Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten verbandelt ist,
nicht sehr sinnvoll ist. Die intuitionistische Kritik an dieser Dichotomie beruht auf der
Ablehung einer klassischen Korrespondenztheorie der Wahrheit (zumindest für die Mathematik). Gemäß Korresponenztheorie wären mathematische Sätze deshalb wahr oder falsch,
weil bestimmte abstrakte Entitäten (Zahlen, Funktionen, Mengen, etc.) in bestimmten
Beziehungen zueinander stehen. So eine Konzeption von mathematischer Wahrheit setzt
also voraus, dass es eine platonistische Hinterwelt abstrakter Objekte gibt, die als ‘Wahrmacher’ für mathematische Aussagen fungieren. Intuitionisten finden diesen Gedanken nicht
sehr attraktiv (unter anderem, weil nicht klar ist, wie Menschen aus Fleisch und Blut
mit dieser Hinterwelt in Kontakt treten können) und basieren ihre Logik deshalb auf der
Unterscheidung zwischen bewiesenen und widerlegten Sätzen. Ein Satz gilt also als ‘intuitionistisch wahr’ wenn er bewiesen ist und als ‘intuitionistisch falsch’ wenn er widerlegt wurde. Eine natürliche Idee besteht dann darin, diese beiden Zustände durch zwei
Wahrheitswerte zu repräsentieren und für den ganzen Rest der (noch) unbewiesenen und
(noch) nicht widerlegten Sätze einen dritten Wahrheitswert einzuführen.
So natürlich die Idee ist: In einem halbseitigen Aufsatz von 1932 hat Gödel gezeigt, dass
H nicht durch irgendeine dreiwertige (oder sonst eine endlich-wertige) Semantik charakterisiert werden kann. (In einem Brief an Gödel schreibt Arend Heyting, auf Gödels Unvollständigkeitssatz anspielend: ‘It is as if you had a malicious pleasure in showing the
purposelessness of others’ investigations.’) Doch bevor wir zum Beweis selbst kommen
(der eigentlich sehr einfach ist), hier noch ein paar Begriffe und Definitionen.
Mehrwertige Logiken
Mehrwertige Logiken / Semantiken spielen in vielen Bereichen der mathematischen und
philosophischen Logik eine wichtige Rolle. In der philosophischen Logik hat man immer
wieder versucht Logiken zu entwickeln, die zulassen, dass einige Sätze (noch) keinen klassischen Wahrheitswert haben. Sätze über die Zukunft (‘Morgen wird eine Seeschlacht stattfinden’) scheinen heute noch keinen definitiven Wahrheitswert zu haben. Dasselbe scheint
für Sätze zu gelten, die nicht-bezeichnende oder vage Ausdrücke enthalten (‘Odysseus war
1
Das wird klarer in Hilbert’s Axiomatisierung der intuitionistischen Logik, der ungefähr zur gleichen
Zeit wie Heyting ebefalls eine Axiomatisierung der intuitionistischen Logik vorgeschlagen hat.
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ein Seefahrer’, ‘Franz hat eine Glatze’). Nichtsdestotrotz scheinen auch solche Sätze gewissen logischen Gesetzen zu folgen. Philosophische Logiker haben deshalb verschiedenste
Systeme entwickelt, um die Logiken solcher Sätze zu erfassen. In der mathematischen
Logik waren mehrwertige Logiken zunächst vor allem für Unabhängigkeitsbeweise wichtig,
d.h. um zu zeigen, dass bestimmte Systeme der Aussagenlogik ‘minimal’ in dem Sinne sind,
dass keines der Axiome aus den übrigen ableitbar ist. Wie wir sehen werden, findet sich
genau diese Anwendung von mehrwertigen Logiken auch in Gödels Beweis von 1932, wo er
zeigt, dass eine bestimmte Formel nicht aus H ableitbar ist. Aber first things first. Wir
definieren eine endlich-wertige Logik folgendermaßen:
Definition 1. Eine n-wertige Logik Ln für eine Sprache mit den Junktoren ∧, ∨, →, und ¬
1
n−2
, . . . , n−1
, 0}, eine Menge
ist gegeben durch eine Menge von Wahrheitswerten Wn = {1, n−1
von Wahrheitsfunktionen F := {F¬ , F∧ , F∨ , F→ } für die Junktoren, und eine Menge von
designierten Werten D ⊆ Wn .
Analog zum zweiwertigen Fall ist dann eine Ln -Interpretation v eine Zuordnung von
Wahrheitswerten in Wn zu den atomaren Sätzen und ein komplexer Satz hat bzgl. einer
bestimmten Interpretation v den Wert w ∈ Wn , falls wir durch wiederholte Anwendungen
der Wahrheitsfunktionen in F auf den Wert w kommen. Ein bestimmter Satz ist als logische Wahrheit bzgl. Ln definiert, wenn er in jeder Ln -Interpretation einen designierten
Wert hat, und ein Satz α folgt logisch aus einer Menge von Sätzen Σ, wenn er in jeder
Interpretation einen desgnierten Wert hat, in der auch alle Sätze in Σ einen designierten
Wert haben. Falls α eine logische Wahrheit bzgl. Ln ist, schreiben wir auch Ln α, und
falls α aus der Satzmenge Σ logisch folgt in Bezug auf die Semantik Ln , dann schreiben
wir auch Σ Ln α.
Eine ganz bestimmte Klasse von endlich-wertigen Logiken, die wir später benötigen werden,
die Klasse der (heute sogenannten) Gödel-Logiken, ist durch folgende Definition festgelegt:
Definition 2. Die Klasse der endlich-wertigen Gödel-Logiken Gn ist festgelegt durch die
Wahrheitswertmenge Wn , D = {1}, und die Wahrheitsfunktionen:
(i) G∧ (x, y) = min(x, y)
(ii) G∨ (x, y) = max(x, y)

1 für x = 0
(iii) G¬ (x) =
0 sonst

1 für x ≤ y
(iv) G→ (x, y) =
y sonst
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Eine ‘intuitive’ Anwendung dieser mehrwertigen Logiken gibt es eigentlich nicht. Der
Grund, warum man sich für Gödel-Logiken interessiert ist vor allem ein technischer: Wie
wir sehen werden, können wir mit Hilfe der Logiken Gn beweisen, dass eine bestimmte
Klasse von Formeln nicht aus H ableitbar ist. (Tatsächlich wird sich aus dem Beweis
weiter unten ergeben, dass es ‘zwischen’ der intuitionistischen und der klassischen Logik
eine unendliche Folge von immer stärkeren, sogenannten ‘intermediären’ Logiken gibt,
d.h. Logiken die zwar stärker als intuitionistische, aber schwächer als klassische Logik sind).
Gödels Beweis für den Fall n=3
Nach diesen vorbereitenden Bemerkungen können wir nun präzise formulieren, was Gödel
in seinem Aufsatz von 1932 (unter anderem) gezeigt hat:
Theorem 1. Es gibt keine endlich-wertige Semantik Ln , sodass gilt: Ln α genau dann
wenn `H α.
Wir sehen uns zu Illustrationszwecken zunächst nur den Beweis für den Fall n = 3 an. Der
Beweis für das allgemeinere Theorem 1 wird sich dann als einfache Verallgemeinerung
aus dem Spezialfall ergeben.
Gödels Beweis für den Fall, dass keine 3-wertige Semantik genau das System H charakterisiert, ist ein Widerspruchsbeweis und hat folgende grobe Struktur:
(P 1) Wir zeigen, dass eine gewisse Formel A bezüglich jeder 3-wertigen Semantik L3
eine logische Wahrheit sein muss, die alle in H beweisbaren Formeln als logische
Wahrheiten enthält.
(P 2) Wir zeigen, dass die Formel A in H nicht beweisbar ist.
Nach (P 1) muss A also eine logische Wahrheit in L3 sein. Weil die 3-wertige Semantik aber
nur Theoreme von H als logische Wahrheiten enthalten soll, muss A auch ein Theorem
von H sein. Nach (P 2) ist das aber nicht der Fall. Also gibt es keine 3-wertige Semantik,
die alle und nur die Theoreme von H enthält.
Wir beweisen den Spezialfall von Theorem 1 für den Fall n = 3 mit Hilfe einer Reihe von
Lemmata. Im ersten Schritt zeigen wir
Lemma 1. Für beliebige Formeln α gilt: `H α → α
Beweis. Übung.
Im nächsten Schritt zeigen wir, dass eine bestimmte Formel jedenfalls eine logische Wahrheit
einer 3-wertigen Logik sein muss, falls diese Logik alle Theoreme von H enthalten soll:
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Lemma 2. Sei L3 eine beliebige 3-wertige Logik, die alle in H beweisbaren Formeln enthält.
Dann gilt für beliebige α1 , α2 , α3 , α4 , dass
F4 := (α1 → α2 ) ∨ (α1 → α3 ) ∨ (α1 → α4 ) ∨ (α2 → α3 ) ∨ (α2 → α4 ) ∨ (α3 → α4 )
eine logische Wahrheit bzgl. L3 ist.
Beweis. Wir nehmen an, dass L3 alle in H beweisbaren Sätze als logische Wahrheiten
enthält. Dann muss auch α → α eine logische Wahrheit in L3 sein, weil nach Lemma
1. α → α in H beweisbar ist. Aber wenn α → α eine logische Wahrheit in L3 ist, dann
muss die Wahrheitsfunktion für das Konditional so definiert sein, dass F→ (x, x) immer
ein designierter Wert ist. Daraus folgt aufgrund der Wahrheitsfunktionalität unserer Semantik, dass α → β immer einen designierten Wert hat, falls die Wahrheitswerte von α
und β übereinstimmen. Weil von den vier Sätzen α1 , α2 , α3 , α4 mindestens zwei denselben
Wahrheitswert haben müssen (wir müssen ja drei Wahrheitswerte auf vier Sätze aufteilen,
‘Schubfachprinzip’), muss also in jeder dreiwertigen Interpretation mindestens ein Disjunkt αi → αj von F4 einen designierten Wahrheitswert haben. Da andererseits in H aus
der Formel αi → αj die Disjunktion F4 beweisbar ist (weil für Formeln α, β in H aus α
immer α ∨ β beweisbar ist), muss auch F4 immer einen designierten Wert haben, wenn
αi → αj einen designierten Wert hat. Weil aber, wie schon gezeigt, in jeder Interpretation mindestens ein Disjunkt von F4 einen designierten Wert hat, muss auch F4 in jeder
Interpretation einen designierten Wert haben. Also muss F4 eine logische Wahrheit von
L3 sein. Im nächsten Schritt zeigen wir, dass F4 aber unabhängig von H (nicht ableitbar) ist.
Lemma 3.
(i) G4 Hi (für 1 ≤ i ≤ 11)
(ii) Modus Ponens erhält den designierten Wert 1.
(iii) 2G4 F4
Beweis. ad (i): H1 und H2 sind, gegeben die semantischen Festlegungen der 4-wertigen
Logik G4 , offensichtlich. Um zu zeigen, dass H3 eine logische Wahrheit in G4 ist, verwenden
wir a, b, c als labels für die jeweiligen Wahrheitswerte von α, β und γ: Falls a ≤ b, dann ist
min(a, c) ≤ min(b, c), also hat H3 den Wert 1, weil sowohl Antezedens als auch Konsequens
den Wert 1 haben. Falls a > b, dann hat das Antezedens von H3 den Wert b und min(a, c) ≥
min(b, c). Falls min(a, c) = min(b, c), dann muss c < b < a, sein und das Konsequens von
H3 hat den Wert 1 und H3 selbst damit ebenfalls. Falls min(a, c) > min(b, c), dann muss
(wegen a > b) c ≥ b sein und das Konsequens von H3 den Wert min(b, c) = b haben. Also
hat das Gesamtkonditional den Wert 1. Durch ähnliche Überlegungen zeigt man dass auch
die restlichen Axiome logische Wahrheiten bezüglich G4 sind (Übung).
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ad (ii): Offensichtlich.
ad (iii): Dass F4 in G4 keine logische Wahrheit ist, sieht man an der Tatsache, dass unter
der Interpretation, die α1 den Wert 1, α2 den Wert 23 , α3 den Wert 13 , und α4 den Wert 0
zuordnet, F4 keinen designierten Wert hat (sondern 23 ). Aus Lemma 3 folgt unmittelbar
Lemma 4. F4 ist nicht in H ableitbar.
Beweis. Da nach Lemma 3 (i) in G4 alle Axiome von H in jeder Interpretation den
designierten Wert 1 haben und nach (ii) Modus Ponens den designierten Wert 1 erhält,
müssen alle in H ableitbaren Sätze ebenfalls in jeder Interpretation den designierten Wert
1 haben. Wenn also F4 in H ableitbar wäre, dann müsste F4 in jeder Interpretation einen
designierten Wert haben, was aber nach Lemma 3 (iii) nicht der Fall ist. Also ist F4 nicht
in H ableitbar. Aus dem bisher gezeigten folgt sofort, dass sich das System H der (Heyting’schen Axiomatisierung der) intuitionistischen Logik nicht durch eine 3-wertige Logik charakterisieren
lässt. Keine 3-wertige Semantik zeichnet alle und nur die Sätze als logisch wahr aus, die
sich aus dem System H ableiten lassen. Jede 3-wertige Logik, die alle in H ableitbaren
Sätze als logische Wahrheiten enthält, enthält immer auch Sätze als logische Wahrheiten
(inbesondere F4 ), die in H nicht ableitbar sind.
Gödels Beweis für den allgemeinen Fall
Um das Resulat vom vorigen Abschnitt auf beliebige endlich-wertige Logiken auszudehnen,
ist nicht viel nötig. Das einzige, was sich ändert ist, dass wir nun die Verallgemeinerung
Fn :=
_
(αi → αj )
1<i,j<n,i<j
der Formel F4 verwenden. Ganz analog zum Beweis von Lemma 2 können wir dann zeigen,
dass Fn+1 eine logische Wahrheit jeder n-wertigen Logik sein muss, die alle Theoreme von
H enthält. Ganz analog zum Beweis von Lemma 3 können wir aber auch zeigen, dass Fn+1
kein Theorem der (n + 1)-wertigen Logik Gn+1 ist, und daher Fn+1 nicht in H ableitbar
sein kann. Jede n-wertige Logik enthält also, wenn sie alle Theoreme von H enthalten
soll, automatisch auch immer logische Wahrheiten, die keine Theoreme von H sind. Wie
in Theorem 1 behauptet, kann also das System H nicht durch eine endlich-wertige Logik
charakterisiert werden.
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