Improvisation in der Musik

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Improvisation in der Musik
Prof. Josef Zilch
S
chon der Begriff ist zunächst etwas verwirrend. So heißt die Übersetzung aus dem
lateinischen improvisus = unvermutet, ex
improviso = ohne Vorbereitung, improvidus unter
anderem auch sogar ahnungslos, unbekümmert,
was der wirklichen Bedeutung des Wortes nicht
gerade dienlich ist. Die italienische Übersetzung
ist schon treffender: improvvisare - improvisiert
spielen, improvvisatore – aus dem Stegreif Spieler.
Heute versteht man unter diesem Begriff die
Kunst des Spielens aus dem Stegreif bzw. die
spontane Erfindung im Gegensatz zur schriftlich
ausgearbeiteten Komposition.
xer Form möglich sind. Es kommt hier im wesentlichen auf die Interaktion an, einem bedeutenden
nichtkalkulierbaren Aspekt der Improvisation.
Heute spricht man in der Regel von „Gebundener“ oder „Freier Improvisation“. Die Gebundene muss sich an die musikalischen Gesetzmäßigkeiten und deren stilistischen Vorgaben
halten, die so genannte Freie Improvisation
kennt diese Vorgaben nicht. Bei der “Freien Improvisation“ kennt man auch zwei verschiedene
Ausführungsarten. Bei der einen handelt es sich
um freies Improvisieren innerhalb der Gesetzmäßigkeiten, bei der anderen fallen diese gesetzmäGrundlage der Improvisation ist die genaue ßigen Bindungen völlig weg. Es kann nach Lust
Kenntnis der formalen und stilistischen Gesetz- und Laune „improvisiert“ werden, ohne Bindung
mäßigkeiten.
an Tonarten, Melodievorgaben oder Akkordstrukturen.
In der Entwicklung der Kunstmusik in der europäischen Tradition spielte die Improvisation eine
Erstere ist die so genannte „klassische“ Improbedeutende Rolle. Man weiß inzwischen, dass ge- visation, deren Beherrschung man als die „Hohe
wisse musikalische Formen wie Praeludium, Vari- Schule“ der musikalischen Erfindung bezeichnen
ation, Toccata, um nur einige treffende Beispiele kann.
zu nennen, aus der Improvisation entstanden
sind. Das so genannte Bezifferte Bassspiel basiert
In der europäischen Musik liegt der Improvisaauf der Improvisation, da nur die Bassnoten mit tion meist ein Harmonisches Gerüst mit entspreder akkordorientierten Bezifferung angegeben chender Akkordfolge oder eine oder mehrere Mewaren. Im so genannten Klassischen Solokon- lodien zugrunde. Da die so genannte Klassische
zert hatte der Solist kurz vor Schluss des Satzes Musik durch die „Komposition“ geprägt ist, gein der so genannten Kadenz seine Fähigkeiten in nießt die Improvisation eine besondere Wertschätder Improvisation zu zeigen, wobei er sich meist zung. Hier werden Kontrapunkt, Modulationen,
auf die Themen des Satzes bezog uns diese kunst- motivische, oder thematische Entwicklungen
voll improvisatorisch weiterverarbeitete. (Auf die kunstvoll ad hoc verarbeitet. Diese Kunst hat sich
elementare Bedeutung der Improvisation im Jazz besonders in der Orgelmusik, z. B. im liturgischen
kann hier leider nicht eingegangen werden, da Orgelspiel über die Jahrhunderte entwickelt und
dies eine gesonderte, wissenschaftlich gründliche gefestigt. Auch im Gottesdienst spielt die ImproviBehandlung erfordert.)
sation bei Vor-, Nach- und Zwischenspielen im Zusammenhang mit der Liturgie eine entscheidende
Die Kunst zu improvisieren setzt zunächst die Rolle. Heute sind diese Disziplinen innerhalb des
technische Beherrschung des Instruments voraus. Studiengangs „Kirchenmusik“ nicht nur verpflichEbenso beherrscht werden müssen die musika- tend, sondern gehören zum Hauptfachstudium.
lischen Parameter des jeweiligen Stils und deren
Gesetzmäßigkeiten. Letztendlich kommt es auf die
Das Improvisieren gottesdienstbezogener MuFähigkeit an, damit kreativ umgehen zu können.
sik gehört zu den vorrangigen Aufgaben eines
Kirchenmusikers. Leider spielt die Improvisation in
In der „Komposition“ geht es um Prozesse, die den meisten Studiengängen der Musikhochschuin der Improvisation noch nicht in so hochkomple- len eher eine untergeordnete Rolle.
Jagdkultur – gestern, heute, morgen I Seite 65
Prof. Josef Zilch
Wenn ich von der so genannten „Neuen Musik“ spreche, komme ich automatisch auf die so
genannte „Freie Improvisation“ zurück, bei der
oftmals nur eine graphische Skizze vorliegt, um
Höhen oder Tiefen, komplexe Cluster oder anders
geartete „geballte Ladungen“ oder auch freie,
so genannte atonale Tonfolgen anzuzeigen. Hier
scheint der Begriff „Kunstwerk“ in der Auflösung
begriffen zu sein. Neuzeitliche Komponisten wie
Karlheinz Stockhausen, Bernd Alois Zimmermann,
oder Mauricio Kagel stellen völlig neue Parameter und Ausführungsanleitungen zur Verfügung,
womit sich der traditionelle Begriff Improvisation
völlig verändert hat.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Josef Zilch
emer. Lehrstuhlinhaber an der Hochschule
für Musik und Theater,
Prof. h. c. an der Musashino-Universität in Tokio
Schanzenstr. 11
82544 Neufahrn-Egling
Ich persönlich hatte das Glück, schon in frühester Kindheit mit der Orgel in Verbindung zu
kommen. Daneben spielte ein hervorragender
Klavierunterricht, verbunden mit konsequenter
Harmonielehre wohl die entscheidende Rolle für
meinen beruflichen Werdegang. Wo immer sich
die Möglichkeit bot, an der Orgel oder am Flügel zu „improvisieren“, habe ich diese Gelegenheit dankbar wahrgenommen und stets versucht,
in der Vorstellung des gespeicherten Materials
meinen Horizont zu erweitern. Bei jagdlichen Veranstaltungen oder bei Hubertusmessen nehme
ich Bezug auf die jagdbezogenen musikalischen
Vorgaben (Lieder zur Jagd oder Jagdsignale), die
sich in Fülle anbieten. Dabei versuche ich, diese
Vorgaben in verschiedene Stilrichtungen darzustellen und zu variieren. Auch die „neuere“ Musik
kommt bisweilen nicht zu kurz.
Immer wieder taucht die Frage auf, ob man
„Improvisieren“ lehren, bzw. lernen kann. Dazu
ist festzustellen, dass es gewisse Strukturen gibt,
von denen ausgehend, improvisiert werden kann.
Aber dies hat wohl auch Grenzen. Wichtig sind
Übungen und die Suche nach eigenen Strukturen
und deren Ausarbeitung, um an die eigenen
Begabungsgrenzen zu gelangen. Disziplin und
Selbstkontrolle spielen eine besondere Rolle. Wer
nach Rezepten sucht, irrt vergebens.
Während meiner fast 30-jährigen Lehrtätigkeit
an der Hochschule für Musik und Theater in München war ich immer bestrebt, meine Studenten
in die Kunst des Improvisierens einzuweihen, da
mir bewusst war, dass die Entfaltung einer künstlerischen Persönlichkeit sich auch an der Improvisationskunst orientiert.
Seite 66 I Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern
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