FAM Umbruch 3_12

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Warum man sich mit
GASTROENTEROLOGIE
beschäftigen soll
verfasst von
Prim. Univ.-Prof. Dr. Rainer Schöfl
KH Elisabethinen, Linz
Einleitung
Zugegeben, es gibt gefährlichere Krankheiten wie Herzinfarkt oder Hirnhautentzündung, aber wenige nehmen es hinsichtlich Häufigkeit und Lästigkeit mit
Reflux, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung und Bauchschmerzen auf. Sodbrennen kennt praktisch jeder, ca. 20 %
leiden regelmäßig darunter.
Reizdarmsymptome werden von jedem
fünften regelmäßig erlebt, ohne dass
man deswegen unbedingt den Arzt aufsucht, dies tun nur ca. 5 % der Erwachsenen. Der Rest lebt damit oder hilft sich
mit Hausmitteln.
Einige Symptome sind durchaus häufig,
werden aber gerne verschwiegen, vor
allem anale Probleme wie Hämorrhoiden
oder Inkontinenz sind noch immer tabuisiert. Krebserkrankungen des MagenDarm-Trakts, auch wenn sie zu den häufigsten Arten von Krebs gehören, sind
im Vergleich zu gastrointestinalen Funktionsstörungen relativ selten, aber es ist
nicht ganz leicht, sie anhand von Symptomen aus der großen Menge der harmlosen Störungen zu fischen.
Von gar nicht so wenigen gastrointestinalen Erkrankungen, etwa den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen,
kennen wir die wahre Ursache noch
nicht. Auch liegen physiologische und
pathophysiologische Grundlagen noch
teilweise im Dunkeln, wenn wir an das
„Darmhirn“ und seine Zwiesprache mit
dem Gehirn, die Regelung von Blutzucker
und Sättigungsgefühl aus dem MagenDarm-Trakt oder die Darmflora denken.
Jede Fortbildung konfrontiert uns mit
neuen Tests, der Forderung nach umfassender Durchuntersuchung und komplizierten Abklärungsalgorithmen, die oft
eher der Klinik und dem Spezialfall, aber
nicht der Allgemeinpraxis gerecht werden. Dort sollen wir aber den vielen mit
ihren Problemen helfen, indem wir die
wenigen mit gefährlichen Erkrankungen
identifizieren und für die anderen belastungsarm und kostenbewusst eine
korrekte Diagnose stellen. Dabei kann
man mit einfachen Fragen, den eigenen
Sinnen und ganz wenigen Tests differentialdiagnostisch sehr weit kommen. Wie,
das versucht der folgende Artikel darzustellen.
Sodbrennen
Ca. 20 % der Erwachsenen verspüren zumindest einmal im Monat Sodbrennen
oder saures Aufstoßen. Ob alle unter dem
Begriff Sodbrennen das selbe verstehen,
ist fraglich, deshalb ist eine präzise Beschreibung sinnvoll: Es handelt sich um
brennende Schmerzen hinter der unteren
Hälfte des Brustbeins und in dessen Umgebung bis ins Epigastrium, die gerne
durch reiche Nahrung und manche Getränke ausgelöst werden und nach wenigen Schluck Wasser verschwinden. Begleitendes saures Aufstoßen mit saurem
Geschmack im Rachen und Zungengrundbereich erleichtert die Diagnose.
Eine koronare Ischämie muss, wenn
die Patienten Sodbrennen nicht klar
identifizieren können, zuerst ausgeschlossen werden (belastungsabhängiger Schmerzcharakter; EKG, Troponin-T,
Ergometrie). Eine Endoskopie hilft differentialdiagnostisch nicht weiter, weil
zwei Drittel der Menschen mit gastroösophagealer Refluxkrankheit (gastroesophageal reflux disease – GERD) einen
unauffälligen endoskopischen Befund
aufweisen (non-erosive reflux disease NERD) und nur ein Drittel erosive entzündliche Veränderungen zeigt (erosive
reflux disease – ERD). Aber auch die
Diagnose ERD in der Endoskopie hilft
differentialdiagnostisch nicht weiter, weil
manchmal zwei Krankheiten nebeneinander (GERD und z. B. KHK) vorliegen
können.
Der sinnvolle diagnostische Test ist eine
zweiwöchige Probetherapie mit täglicher, morgendlicher Gabe einer
Standarddosis eines Protonenpumpen-
hemmers (PPI). Die deutliche Besserung
oder das Verschwinden der Symptome
beweist die Diagnose. Eine pH-Metrie ist
selten indiziert, beispielsweise bei ungenügendem Ansprechen der Behandlung
sowie vor und nach laparoskopischer Fundoplicatio zur Qualitätskontrolle. Eine
Manometrie und Videocinematographie
wird zur Abklärung von Schluckstörungen,
nicht-kardialen Thoraxschmerzen und
vor Fundoplicatio, aber nicht zur
Standardabklärung der Refluxkrankheit
benötigt.
Die Diagnose der gastroösophagealen Refluxerkrankung erfolgt
durch Beurteilung des Ansprechens
auf eine zweiwöchige Probetherapie
mit einem Protonenpumpenhemmer
in Standarddosis.
Der Wert der Ösophago-Gastro-Duodenoskopie (ÖGD) liegt im Erkennen
schwerer Formen der Refluxerkrankung
mit Erosionen (ERD), die eine notorische
Neigung zum Rezidiv haben, und des
Barrettösophagus (BE) wegen seines
kleinen, aber relevanten malignen Potentials (0,1-0,5 % pro Jahr). Daher soll
jeder Patient mit anhaltenden oder wiederkehrenden, nennenswerten Refluxsymptomen zumindest einmal im Leben
zur ÖGD zugewiesen werden.
Patienten mit Barrett-Ösophagus sollen
heute in ein endoskopisches Überwachungsprogramm mit ÖGD alle 3-5
Jahre aufgenommen werden.
Wenn der Verdacht besteht, dass Heiserkeit oder Bronchitis durch Reflux hervorgerufen werden (was ohne gleichzeitiges
Vorliegen von Sodbrennen oder saurem
Aufstoßen selten ist), dann muss die
Probetherapie mit dem PPI in doppelter
Standarddosis auf acht Wochen ausgedehnt werden.
Nicht-refluxtypische
Brustschmerzen
werden nach Ausschluss einer KHK unter
dem Begriff „nicht-kardialer Thoraxschmerz“ zusammengefasst. Häufig
liegen Motilitätsprobleme des Ösophagus zugrunde (Ösophagospasmen,
Achalasie ...), daneben auch spondylogene und psychosomatische Ursachen.
Die Abklärung benötigt neben einer ÖGD
u.a. eine Videocinematographie und
Manometrie und gehört in eine spezialisierte Institution. Dasselbe gilt für die
Schluckstörung oder Dysphagie. Hier
sollte eine zügige ÖGD angestrebt werden, um ein eventuelles Malignom rasch
zu erkennen.
Ein ganz spezielles Problem stellt das
„Knödelgefühl“ im Hals oder Globusgefühl dar. Dahinter kann Reflux stecken,
aber auch Larynx- oder Schilddrüsenprobleme und nicht zuletzt Ängste und
Überlastung. Daher ist hier eine interdisziplinäre Abklärung bei Spezialisten
notwendig, wenn eine Probetherapie mit
PPI und SSRI nichts bringen.
Bauchschmerzen
Jeder kennt sie, kann meist ganz gut
zwischen harmlos und bedenklich unterscheiden, aber ein systematischer Zugang ist schwierig, weil er selten den
Unterschieden in Zeit, Charakter und
Intensität des Auftretens und den verschiedenen begleitenden Symptomen
gerecht wird.
Mir erscheint als erster Schritt eine
Unterteilung nach der Zeit in perakut
(Stunden bis Tage), akut (bis 2 Wochen)
und chronisch (länger als 2 Wochen)
hilfreich.
Die Intensität zwischen unangenehm
und vernichtend wird am besten zusam-
men mit der Palpation des Bauches gewertet. Erhöhte Bauchdeckenspannung
und Loslassschmerz als Ausdruck der
peritonealen Reizung bis Entzündung
sind ein Warnhinweis, bei bretthartem
Bauch ein Grund zur sofortigen stationären Abklärung.
Fehlende oder metallische Darmgeräusche weisen auf einen mechanischen
Ileus hin.
Eine besondere Form des Schmerzes
ist die Kolik, der Charakter ist krampfartig, unbehandelt hält sie stundenlang
an und löst sich am besten auf Parasympatholytika wie Buscopan®. Koliken sind
Ausdruck eines überdehnten Hohlorgans
wie Darm, Nierenbecken, Ureter oder
Gallenblase durch Verlegung des Abflusses.
Dann ist es noch sinnvoll, den Begriff der
Alarmsymptome einzuführen: Gewichtsverlust, Blut im Harn oder Stuhl oder
Bluterbrechen, Schluckstörungen oder
anhaltendes Erbrechen und Fieber sollen
eine invasive Abklärung rasch indizieren,
im Fall einer sichtbaren Blutung am selben Tag, sonst innerhalb weniger Tage.
Da kann es sinnvoll sein, sich als Praktischer Arzt aktiv gegen die Trägheit so
mancher intra- und extramuraler Systeme durchzusetzen und auf die zeitgerechte endoskopische Diagnostik zu
drängen.
Akute Bauchschmerzen ohne alarmierende Begleitsymptome können unter
den genannten Vorsichtsmaßnahmen
probeweise symptomatisch behandelt
werden. Wenn sie sich nicht bessern, ist
es Zeit zur weiteren Abklärung. Verschiedene Modalitäten des Auftretens wie die
Kombination mit Durchfall, Blähungen
oder Verstopfung, das rasche oder verzögerte postprandiale Auftreten oder die
Veränderung mit dem Stuhlgang sowie
die Lokalisation lassen uns differentialdiagnostisch eingrenzen.
Bei Schmerzen im Epigastrium denken
wir zuallererst an den Magen. Aber auch
die Galle und das Pankreas können verantwortlich sein. Während Magenschmerzen rasch nach dem Essen verstärkt werden, treten biliopankreatische
oder dünndarmbedingte Schmerzen mit
meist 1-2 Stunden Verzögerung auf. Der
rechte Oberbauch lässt an Galle, Pankreas und Duodenum denken, der Mittelbauch an Pankreas und Dünndarm, der
Colonrahmen an den Dickdarm. Im lin-
ken Oberbauch schmerzen Magen, Pankreasschwanz und Milz, letztere typisch
atemabhängig und bei Infarzierung mit
peritonealem Reiben. Im linken Unterbauch ist die sigmoidale Divertikelerkrankung der erste Gedanke, die Adnexe
der Frau soll man aber nicht vergessen
(Tubaria, Adnexitis, stielgedrehte Zyste),
ebenso wie den Ureter und die Blase,
letztere mehr in der Medianen. Das gilt
natürlich auch für den rechten Unterbauch, nur nimmt dort die Appendizitis
die Rolle der Divertikel ein (Tab. 1).
Auf Ausstrahlungen aus benachbarten
Teilen des Körpers (Koronarien, Aorta,
Die Abklärung von perakuten oder sich
auf symptomatische Therapie nicht bessernden akuten und chronischen Bauchschmerzen beginnt typischerweise mit
einer Blutabnahme und Harnanalyse.
CRP oder BSG, Leukozyten und Hämoglobin geben uns einen ersten Eindruck
vom Entzündungsgeschehen und Blutverlust, bei Verdacht auf biliopankreatische Ursachen benötigen wir zusätzlich
Schmerzen im rechten Oberbauch
• Gallensteine, Cholezystitis oder Cholangitis
• Dyskinesie des Sphinkter Oddi
• Pankreatitis oder Pankreaskarzinom
• Duodenitis oder Duodenalulkus
• Colitis, Colontumor
Schmerzen im rechten Unterbauch
• Appendizitis
• Adnexitis, Ovarialzyste, Tubaria
• rechtsseitige Colitis, Colontumor
• Ureterstein
• Coxarthritis
Schmerzen im Epigastrium
• Reizmagen, Gastritis oder Magenulkus
• Duodenitis oder Duodenalulkus
• Magentumor
• Pankreatitis oder Pankreaskarzinom
• Gallensteine, Cholezystitis oder Cholangitis
Schmerzen im mittleren Unterbauch
• Zystitis
• Uterus
• Divertikulitis
• Appendizitis
Schmerzen im linken Oberbauch
• Reizmagen, Gastritis oder Magenulkus, Magentumor
• Pankreatitis oder Pankreaskarzinom
• Milzinfarkt
• Colitis, Colontumor
• Pyelonephritis oder Stein im Nierenbecken oder Ureter
Schmerzen im Mittelbauch
• Pankreatitis oder Pankreaskarzinom
• Dyskinesie des Sphinkter Oddi (pankreatischer Teil)
• Enteritis
• Colitis, Colontumor (entlang des Colonrahmens)
• mesenteriale Durchblutungsstörungen (arteriell und venös)
• Aortendissektion
Tab. 1
Perikard, Pleura, Niere, Wirbelsäule)
muss man aufpassen, kardiale und pleuritische Schmerzen strahlen manchmal
in den Oberbauch, Niere und Ureter in
die Flanken, die Wirbelsäule überallhin.
Schmerzen im linken Unterbauch
• Divertikulitis
• Proktosigmoiditis, colorektaler Tumor
• Adnexitis, Ovarialzyste, Tubaria
• Ureterstein
• Coxarthritis
Lipase, Amylase, GOT, GPT und alkalische
Phosphatase.
Bei Verdacht auf ischämische Ursache
sind auch die LDH und der Säure-BasenStatus als Nekrosehinweise hilfreich.
Eine Sonographie kann den Verdacht
deutlich fokussieren: ausgeweitete
Gallenwege, eine wandverdickte Gallenblase, ein Tumor, die sichtbare Appendix,
verdickte Darmwandabschnitte, vergrößerter Aortendurchmesser oder
Aszites bringen uns ein gutes Stück
weiter.
Nun kommt bei akuten Beschwerden
meist das KM-CT (bei KI das MRI) zum
Einsatz, bei chronischen Beschwerden
zuerst die Endoskopie von oral (ÖGD)
und/oder von anal (Coloskopie), je
nach Schmerzlokalisation und -modalität. Damit sollte man in aller Regel alle
organischen gefährlichen Krankheiten
erfassen.
Häufig stellt sich in der Allgemeinpraxis
bei chronischen Beschwerden das Problem, Reizdarmsymptom und harmlose
Nahrungsmittelunverträglichkeiten gegen relevante organische Krankheiten
abzugrenzen. Diese sind in der Regel
durch Entzündung und damit Leukozyten
im Stuhl charakterisiert. Ein neuer einfacher Test dafür ist die Bestimmung von
Calprotectin im Stuhl. Ein Wert über 50
µg/g weist auf vermehrte Stuhl-Leukozyten und damit eine nennenswerte
Entzündung im Magen-Darm-Trakt hin.
Allerdings werden damit Entzündungen
von Leber, Galle und Pankreas und natürlich auch Milz und Niere nicht erfasst.
Funktionelle Störungen wie Reizmagen
oder Reizdarm haben typischerweise
normale Calprotectinwerte und können
erstmal beruhigt symptomatisch behandelt werden. Dieser Test, der bereits pra-
xistauglich ähnlich einer Blutzuckerbestimmung angeboten wird, sollte Einzug
in die Allgemeinpraxis halten, um gezielte Zuweisungen zur invasiven Abklärung
zu ermöglichen und überflüssige teure
Tests zu vermeiden.
Die definitive Diagnose eines Reizmagens kann gestellt werden, wenn die
Beschwerden seit mindestens sechs Monaten vorhanden sind, davon mindestens über drei Monate auftraten, eine
deutliche Abhängigkeit von der Nahrungsaufnahme besteht und keine
Alarmsymptome nachweisbar sind. Eine
ÖGD zum Ausschluss eines Malignoms
ist aber ab dem 40. Lebensjahr verpflichtend.
Die definitive Diagnose eines Reizdarms
kann gestellt werden, wenn die Beschwerden seit mindestens sechs Monaten vorhanden sind, davon mindestens
über drei Monate auftraten, eine deutlicher Zusammenhang mit Stuhlveränderungen (Durchfall oder Verstopfung) besteht und keine Alarmsymptome nachweisbar sind. Eine Coloskopie zum Ausschluss eines Malignoms ist aber zumindest ab dem 40. Lebensjahr notwendig.
(Details siehe Rom III Kriterien). Hier ist
als Ergänzung die Calprotectin-Messung
im Suhl zum rechtzeitigen Erkennen einer
chronisch entzündlichen Darmerkrankung (CED: Mb. Crohn, Colitis ulcerosa
u.a.) besonders wertvoll.
Durch die Calprotectinbestimmung im Stuhl können organische
Darmerkrankungen von funktionellen Störungen differenziert
werden. Bei jüngeren Patienten
kann damit eine invasive Durchuntersuchung eingespart werden.
Die Einführung des Tests in der Allgemeinpraxis sollte gefördert
werden.
Nahrungsmittelunverträglichkeiten und
-allergien werden im Kapitel Durchfall
abgehandelt, da die Symptome Schmerz
und Durchfall dabei häufig kombiniert
auftreten.
Übelkeit
Übelkeit und seine Steigerungsform, das
Erbrechen, sind vieldeutige Zeichen. Als
Symptom wenig spezifisch, lässt sich damit
selten eine Diagnose machen. Zum Glück
für den Diagnostiker begleiten sie häufig
Erkrankungen, z.B. solche des Magens,
Darms, der Leber, Gallenblase und des
Pankreas, aber auch der Niere. Ihre Ursache
können Medikamente, Drogen und Toxine,
zerebrale Krankheiten, koronare Ischämie
aber auch Depressionen sein. Wenn Übelkeit alleine auftritt, wird es schwierig. Akute Symptome behandelt man über Tage
symptomatisch, halten sie an und findet
man keine spezifischen Begleitsymptome
wie Durchfall, Ikterus, auf Organe hinweisende Schmerzen, neurologische Ausfälle
oder Medikamente als Erklärung, so bewährt sich folgendes Vorgehen (Tab. 2):
Ursachen und Abklärung
anhaltender Übelkeit
• Schwangerschaft
웁-HCG
• Kardiovaskuläre Ursache
Schellongtest, KHK-Abklärung
• Obstipation,
probeweise Stuhlregulierung
• Medikation überprüfen
probeweise absetzen
• Suchtmittel inkl. Alkohol
Karenz
Labor, abdominelle
Sonographie, ÖGD
• Neurologie inkl. CCT/MRI
• Psychosomatik
Tab. 2
Nach Ausschluss akuter Herz-Kreislaufprobleme (RR, EKG, TroponinT, bei speziellem klinischen (anamnestischen) Verdacht auch Ergometrie, Schellongtest,
24-h-EKG und 24-h-RR) denken wir vor
allem beim älteren Patienten an die Obstipation als Ursache und beginnen eine
Stuhlregulierung, dann überprüfen wir
die Medikation (Opiate, NSAR, Psychopharmaka, Suchtmittel inkl. Alkohol
etc.). Wurden wir bis hierher nicht fündig, wird eine Laboruntersuchung (Leber,
Pankreas, Nierenfunktion, Elektrolyte),
abdominelle Sonographie und ÖGD
durchgeführt. Findet sich auch da keine
Erklärung, folgt eine neurologische Begutachtung mit einem MRI des Gehirns.
Schließlich folgt eine psychologische Exploration und eventuelle Probetherapie
mit Psychotherapie oder SSRI.
Durchfall
Wie schon die anderen Symptome, so ist
auch akuter Durchfall sehr häufig und
meist harmlos und wir beschränken uns
nach der Anamnese (Reise, Umgebungserkrankungen, Haustiere, Nahrung, Medikamente, Allergien) auf eine Stuhlkultur (mehr aus seuchenhygienischen
Gründen, die Sensitivität ist gering),
eventuell eine Virus-PCR (Noro, Rota)
und ausreichende Flüssigkeitsgabe oral
oder intravenös. Bei Antibiotika-Anamnese, im Alter und Unterbringung in Heimen oder im Spital ist auch ein Nachweis
auf CD-Toxin A+B sinnvoll, da es eine
spezifische Therapie gäbe. Bei blutigem
Durchfall oder hohem Fieber ist eine
ungezielte antibiotische Therapie zu erwägen.
Von chronischem Durchfall sprechen wir
ab einer Dauer von vier Wochen und
mehr als drei Stuhlgängen verminderter
Konsistenz pro Tag (der Goldstandard
wäre die Stuhlgewichtsbestimmung, die
wegen mangelnder Praktikabilität und
Akzeptanz aber wissenschaftlichen
Fragen vorbehalten ist). Dann setzen
eingehende Abklärungsalgorithmen ein.
Zu diesem Zeitpunkt ist eine infektiöse
Ursache bereits recht unwahrscheinlich,
da Infekte meist selbstlimitierend verlaufen. Ausnahmen sind Protozoen und
Helminthen als Auslöser (Lamblien,
Amöben, Würmer) und Erkrankungen
von immungeschwächten Personen
(Chemotherapie, Immunsuppression,
kongenitale Immunmangelsyndrome,
AIDS ...).
Osmotische Diarrhoe – Ursachen und Abklärung
KH-Malabsorption (Laktose, Fruktose, Sorbit)
H2-Atemtests
Bakterielle Überwucherung (SIBO = small intestinal
bacterial overgrowth), tropische Sprue
Glukose-H2-Atemtest, Nachweis von Divertikel, blind loops,
Fehlen der Bauhin-Klappe
Zöliakie (einheimische Sprue, Glutenunverträglichkeit;
Allergie vom Spättyp)
EMA (endomysiale Antikörper), TTG (Gewebstransglutaminase) im Serum, evtl. Duodenalbiopsie
Exokrine Pankreasinsuffizienz
Elastase im Stuhl
Kurzdarmsyndrom
Anamnese, MR/CT-Enteroklysma, Citrullin i.S.
Lambliasis
Duodenal-Saftaspirat, -biopsie
Innere Fistel (häufig bei Mb.Crohn,
dann Mischform mit sekretorischer D.)
Enteroklysma
Mb. Whipple, Immundefizienz (angeboren oder erworben),
Dünndarmlymphom
Duodenalbiopsie inkl. PCR und T-Zell-Re-Arrangement
Osmotische Laxantien bewusst („Faktitia“) und unbewusst
Anamnese, Stuhlelektrolyte
Tab. 3
Der sinnvolle erste Schritt in der ätiologischen Abklärung einer chronischen
Durchfallserkrankung ist ein zwölfstündiger Fastentest. Sistiert der Durchfall
vollständig, so handelt es sich um eine
osmotische Diarrhoe, deren Ursachen in
der Tab. 3 angeführt sind. Geht der
Durchfall trotz Fasten weiter, wobei er
sich in der Menge reduzieren kann, so
handelt es sich um eine sekretorische Diarrhoe, deren Ursachen in Tab. 4 aufgelistet sind. Man sieht, dass eine endoskopische Abklärung des Dickdarms nur bei
sekretorischer Diarrhoe notwendig ist,
andererseits Funktionstests nur bei osmotischer Diarrhoe, vor allem aber halbieren sich die Differentialdiagnosen
durch diese einfache Maßnahme des Fastentests sofort. Osmotischer Durchfall
ist meist fieberfrei und schmerzarm,
dafür mit Blähungen und voluminösem,
flockigen Stuhl verbunden. Eine gestörte
Fettverdauung wie bei exokriner Pankreasinsuffizienz produziert fetten Stuhl.
Wenn die Dünndarmwand krank ist,
kommt es zu Malabsorption, damit Gewichtsverlust und Mangelerscheinungen, während die sekretorische Diarrhoe
vor allem Elektrolyt- und Volumsprobleme mit sich bringt.
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED, Mb. Crohn und Colitis ulcerosa, im weiteren Sinn auch Zöliakie und
mikroskopische Colitis inkl. Kollagencolitis), äußern sich typischerweise in einer
sekretorischen Diarrhoe, können aber
auch osmotische Diarrhoeformen zeigen, etwa bei Laktoseintoleranz (bei Mb.
Crohn sehr häufig), Kurzdarm (meist
durch mehrfache Resektionen bei Mb.
Crohn) oder Malabsorption (wie bei Zöliakie). Calprotectin ist bei den erosiventzündlichen Formen erhöht. Die Abklärung erfordert eine Coloskopie mit
Biopsie multipler Darmabschnitte und eine Dünndarmmorphologie durch Kapselendoskopie oder MR- bzw. CT-Enteroklysma (Verfügbarkeit vs. Strahlenbelastung), bei Oberbauchbeschwerden oder
Malabsorption auch eine Gastroskopie
mit Dünndarmbiopsie.
Typisch für den aktiven Mb. Crohn sind
erhöhtes CRP, Thrombozytose und eine
gemischte Anämie (Blutung + Eisenmangel + chronische Entzündung + Vitamin-B12-Mangel), Anti-Sacharomycescerevisiae-Antikörper (ASCA) helfen selten weiter. Da auch makroskopisch un-
Sekretorische Diarrhoe – Ursachen und Abklärung
Infektion
Stuhlkultur (Campylobacter, Salmonellen Shigellen,
Yersinien), Toxinnachweis (Clostridien), Serologie (Amöben,
Salmonellen), Coloskopie mit Biopsie, Verlaufsbeobachtung
Mb. Crohn, Colitis ulcerosa, NSAR-C., ischämische C., mikroskopische C. (Kollagencolitis, lymphozytäre C., eosinophile C.)
Coloskopie mit Biopsien, Verlaufsbeobachtung
Medikamente (Antibiotika, Metformin, Psychopharmaka
u.v.a.) und Toxine (z. B. Alkohol, Strahlen)
Anamnese und Auslassversuch
Hormonelle Ursachen (Histaminunverträglichkeit,
Hyperthyreose, Karzinoid, Gastrinom, VIPom ...)
Anamnese, TSH, 5-Hydroxy-Indolessigsäure, VIP, Gastrin,
Chromogranin A
Allergien vom Soforttyp
IgE, Eosinophilie, Haut-Pricktest, RAST, doppelblinde Provokation
Reizdarm
Anamnese (Rom III - Kriterien)
Gallensäureverlustsyndrom
Probetherapie mit Quantalan®
Abführmittel vom Anthrachinontyp („Faktitia“)
NaOH-Stuhltest
Tab. 4
auffällige Darmabschnitte befallen sein
können, sind die routinemäßigen Biopsien aus allen Darmabschnitten (terminales Ileum, rechtsseitiges und linksseitiges
Colon und Rektum) diagnostisch unverzichtbar, besonders auch für die
mikroskopischen Formen der Colitis wie
der Kollagencolitis.
Die Colitis ulcerosa hat seltener systemische Entzündungszeichen, dafür häufiger blutige Durchfälle und Fälle toxischen Megacolons. Auch hier helfen die
Anti-Neutrophilen-Centromer-Antikörper (ANCA) nur wenig weiter. Auf die
notwendige Überwachung chronischer
Colitiden wegen des Malignomrisikos
wird hier nicht eingegangen.
Auch bei Durchfall hilft die Bestimmung
von Calprotectin im Stuhl weiter, weil
erosive Formen pathologisch testen,
während Stuhlproben von Patienten mit
Reizdarm und Nahrungsmittelunverträglichkeit typischerweise im Normbereich
liegen.
Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind
extrem häufig (ca. 50 % der Bevölkerung), sie können mit Durchfall, Blähungen oder Bauchschmerzen einhergehen.
Die häufigste Form ist die Fruktosemalabsorption, gefolgt von der Laktoseintoleranz und der Histaminintoleranz. Daneben gibt es eine Reihe weniger gut definierter individueller Unverträglichkeiten (Zwiebel, Hülsenfrüchte, Kohl, Brot
...). Dagegen sind Nahrungsmittelallergien mit einer IgE-vermittelten Entzündungsreaktion Minuten nach Exposition
mit ca. 1-2 % der erwachsenen Bevölkerung relativ selten; die häufigsten verantwortlichen Allergene sind Meeresfrüchte und Fische, Nüsse, Sellerie, verschiedene Gewürze, Kuhmilch und Hühnereier. Meist gehen die gastrointestinalen Symptome mit Rhinitis, Konjunktivi-
tis, Urticaria oder Asthma einher. Ohne
diese Begleitsymptome ist die Diagnose
nicht leicht. Gesamt-IgE und Eosinophilie im Differentialblutbild geben erste
Hinweise, Pricktests auf die häufigsten
Allergene dienen dem Screening und
RASTs gegen verdächtige Nahrungsmittelgruppen erbringen dann den Beweis.
Im Zweifelsfall braucht es eine aufwändige, doppelblinde Provokation stationär
und über mehrere Tage.
Ein Sonderfall einer genetisch determinierten Allergie ist die Zöliakie oder einheimische Sprue als Reaktion vom Spättyp, die zur Entstehung und Regeneration Wochen bis Monate benötigt und
von T-Zellen vermittelt wird. Neue serologische Marker (EMA, TTG) gemeinsam
mit der Duodenalbiopsie, klassifiziert
nach Marsh, erlauben eine recht genaue
Diagnose. Namensgleich, aber pathogenetisch ganz anders entstanden ist die
tropische Sprue, eine chronisch destruierende Dünndarmentzündung durch
Überwucherung von Keimen in den
Tropen, die man nur durch monatelangen Aufenthalt und landesübliches
Ernährungsverhalten erwirbt.
Manchmal braucht es auch Zeit für Beobachtung. Die Diagnose Reizdarm wird
mit zunehmender Beobachtungszeit immer wahrscheinlicher. Chronisch entzündliche Darmerkrankungen lassen oft
erst nach Jahren zwischen Mb. Crohn
und Colitis ulcerosa unterscheiden.
Manchmal bezeichnen Patienten aus Unwissen oder Scham als Durchfall, was in
Wirklichkeit eine Schwäche des Analsphinkters ist. Typisch wären ein normales Stuhlgewicht, häufige Defäkationen,
ein schlaffer Sphinkter bei der rektaldigitalen Untersuchung und reduzierter
Spontan- und Kneifdruck in der Analmanometrie.
Blähung
Blähungen entstehen durch übermäßige
Gasproduktion der bakteriellen Flora im
Dünn- oder Dickdarm. Oft begleiten sie
osmotische Diarrhoen wegen des vermehrten Substratangebots an die Darmbakterien, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Überwuchern der Darmbakterien,
verlangsamten Transit und Obstipation.
Eine Objektivierung oder Quantifizierung
durch Tests ist kaum möglich. Meist wird
die Diagnose im Nachhinein durch
erfolgreiche Probetherapie zugrundeliegender Störungen geliefert oder ein
Ernährungs- und Beschwerdetagebuch
lässt den diätetischen Auslöser finden. In
Zukunft wird ein besseres Verständnis
der normalen und pathologischen Darmflora eine differenziertere Diagnose und
in der Folge Therapie erlauben.
Davon abzugrenzen sind Aufstoßen
und Rülpsen durch Magenentleerungsstörungen, kohlensäurehältige Getränke
oder Luftschlucken.
Verstopfung
Definiert als Stuhlgang seltener als einmal in drei Tagen, mit vermehrter Konsistenz und Schmerzen, sowohl durch die
Retention als auch beim Absetzen des
Stuhls, handelt es sich um eine sehr
häufige Störung, die eher im Alter, bei
Frauen und bei pedantischen oder
zwänglichen Persönlichkeiten auftritt.
Ursachen können ein Reizdarmsyndrom,
konstitutionelle Faktoren (Persönlichkeitstyp, Depression), reduzierte Peristaltik (Alter, Bettlägrigkeit, Medikamente,
Elektrolytstörung, Wassermangel ...)
oder Hindernisse der Passage (Tumor,
Deszensus ...) sein.
Zur Diagnose genügt die Anamnese. Die
Objektivierung geschieht nur ausnahms-
weise durch Colontransitzeitbestimmung (röntgendichte Marker zum
Schlucken über Tage, dann Abdomenleer-Röntgen), endoskopischen Ausschluss eines Tumors, Defäkographie zum
Nachweis einer rektosigmoidalen funktionellen Störung, bei Verdacht auf generelle Motilitätsstörungen evtl. auch
durch nuklearmedizinische Magenentleerungszeitmessung und orocoecale
Transitzeitbestimmung im Laktulose-H2Atemtest. Diese Tests sind mit Ausnahme
der Coloskopie aber selten von Nöten.
Anale Beschwerden
Inkontinenz, Nässen, Bluten, Schmerzen,
Prolaps – die Symptome sind zahlreich
und häufig in dieser noch immer tabuisierten Gegend unseres Körpers. Ebenso
ist es mit den Ursachen: Ernährung, Hämorrhoiden durch erhöhten intraabdominellen Druck, Fisteln bei Mb. Crohn, Fissuren durch Obstipation, Deszensus, Prolaps, übertriebene oder vernachlässigte
Hygiene, sexuelle Präferenzen und vieles
mehr können verantwortlich sein. Die Erkrankungen überlappen mit dermatologischen und venerologischen Problemen.
Eine eingehende und sensible, auch intime Anamnese, Inspektion, rektal-digtale
Untersuchung und starre Proktoskopie
sind die Grundlagen der Abklärung.
Bedarfsweise erweitert man dann schon
fokussiert mit Manometrie, Fistulogra-
phie, Endosonographie, Kernspintomographie, Coloskopie und Enteroskopie
oder Ernährungsanamnese. Den gemischten chirurgischen, dermatologischen und gastroenterologischen Aspekten der Krankheiten ist oft nur schwer gerecht zu werden.
Zusammenfassung
Eine Diagnose im Bauchraum zu stellen
gleicht einem mehrdimensionalen Puzzle.
Einerseits Schmerz mit seinen verschiedenen Modalitäten, seiner verschiedenen Intensität und Lokalisation, andererseits verändertes Stuhlverhalten zwischen Durchfall und Obstipation, ebenfalls mit verschiedenen Modalitäten wie osmotisch
oder sekretorisch, mit oder ohne Malabsorption oder systemische Entzündungszeichen und viele anamnestische und physikalische Details mehr sind die Steine, das
Kombinationsvermögen des Arztes aber
braucht es um daraus ein sinnvolles Bild zu
bauen. So wie man sich beim Puzzle nach
Form oder Farbe orientiert, besonders
merkwürdige Farben oder Formen herausnimmt oder einfach nur durchprobiert, so
kann man sich in der Diagnostik der abdominellen Erkrankungen am Schmerz
oder am Stuhlverhalten orientieren, seltene Symptome besonders werten (z. B. Ikterus) oder einfach einmal eine oder mehrere Probebehandlungen durchprobieren.
Systematisches Abarbeiten von Differentialdiagnosen oder intuitive Probethera-
pie sind zwei verschiedene, durch die
Symptomlage aber auch die Arztpersönlichkeit bestimmte Zugänge zur Diagnose. Wenn immer möglich, sollte – zumindest für mich als analytischen Typ –
der systematische Zugang gewählt werden, nur wenn keine Beweisführung
durch einfache Tests möglich ist, geht’s
ans Ausprobieren einer Behandlung der
wahrscheinlichsten Hypothese. Das ist
aber nur akzeptabel, wenn man die Differentialdiagnosen kennt und die Richtlinien befolgt.
Spannend ist das Thema für den Allgemeinmediziner aber allzumal, weil wir
häufigen Erkrankungen mit den einfachen Mitteln der Anamnese und der
physikalischen Untersuchung und recht
wenigen einfachen Tests zu Leibe rücken
und in vielen Fällen mit wenig Aufwand
eine Diagnose stellen können.
Wenn Ihnen der Artikel hilft, so freut es
mich, wenn Sie darin Fehler entdecken
oder etwas anders sehen, schreiben Sie
mir einfach ([email protected]), ich bin Ihnen dankbar, denn so
können wir erfahrungsbasiertes Wissen
weiterentwickeln und uns vom Druck der
evidenzbasierten Medizin etwas befreien. Letztere soll nicht missachtet werden,
ihre Kenntnis ist Goldes wert, aber auch
Hausverstand und Vernunft, persönliche
Erfahrung und Bauchgefühl haben ihren,
in letzter Zeit etwas unterschätzten Wert.
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