Kapitel 4 Lorentz

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Kapitel 4
Lorentz-Tensoren
Nach Möglichkeit versucht man, die Gesetze der Physik so aufzustellen, dass sie in
allen Inertialsystemen die gleiche Form haben, also forminvariant unter Translationen und Rotationen im Raum, unter Translationen der Zeit und unter LorentzTransformationen sind. Wir nennen solche Gesetze forminvariant oder, wenn die
Forminvarianz leicht zu erkennen ist, auch offenkundig oder explizit forminvariant. Ein Beispiel für eine forminvariante aber nicht explizit forminvariante Formulierung sind die Maxwell-Gleichungen für elektrische und magnetische Felder,
denen man nicht sofort ansieht, dass sie auch in einem bewegten Bezugssystem
die gleiche Form haben. Später werden wir eine offenkundig forminvariante Version der Maxwell-Gleichungen kennenlernen. Geeignete mathematische Objekte für
offenkundig forminvariante Formulierungen sind die sogenannten Tensoren. Hierbei handelt es sich um multilineare Abbildungen, die wir beispielsweise durch ein
n-dimensionales Feld von Zahlen darstellen können, wobei die Dimension n der
Stufe des Tensors entspricht. Der einfachste Fall ist ein Tensor der Stufe 0 der
durch eine einzige Zahl, einen Skalar also, repräsentiert wird. Tensoren höherer
Stufen lassen sich durch Vektoren (n = 1) und Matrizen (n = 2) darstellen.
Natürlich repräsentiert nicht jedes n-dimensionale Zahlenfeld einen Tensor.
Die Tensoreigenschaft ergibt sich aus einem im Einzelnen noch zu definierendem
Verhalten bei Koordinatentransformationen. Gehört zu diesen auch die LorentzTransformation sprechen wir von Lorentz-Tensoren. Besonders einfach lässt sich
das Verhalten von Lorentz-Tensoren der Stufe 0 beschreiben: diese sind invariant
unter einer Lorentz-Transformation, ändern ihren Wert also nicht. Ein Beispiel
für solche Tensoren, die wir auch Lorentz-Skalare nennen, ist das Quadrat des
raumzeitlichen Abstands, s2 , im Minkowski-Raum. Sozusagen per definitionem
Lorentzskalare sind die Größen Eigenzeit (τ ), Ruhelänge (`0 ) und Ruhemasse
(m0 ), denn diese beziehen sich ausdrücklich auf ein bestimmtes Bezugssystem, das
Ruhesystem des betrachteten Gegenstands. Wir gehen davon aus, dass auch die
elektrische Ladung ein Lorentz-Skalar ist. Entgegen der Anschauung und anders
als bei der Galilei-Transformation sind die Länge eines Gegenstands oder der
zeitliche Abstand zwischen zwei Ereignissen keine Lorentz-Skalare.
29
F = q(E + v × B)
∇E =
ρ
0
∂B
= 0
∂t
1 ∂E
= µ0 j
∇×B− 2
c ∂t
∇B = 0
ρ, j, E, B
∇×E+
6
?
j µ , Aµ
-
V = quµ Aµ
∂ν ∂ ν Aµ = µ0 j µ
Während Lorentz-Tensoren nullter Stufe meist anschauliche Größen repräsentieren, die in unseren alltäglichen Erfahrungen vorkommen, entziehen sich die
im folgenden Abschnitt vorgestellten Lorentz-Tensoren erster Stufe, die Vierervektoren, unserer Anschauung. Es stellt sich unvermeidlich die Frage, ob die
Einführung dieser abstrakten mathematischen Objekte überhaupt nennenswerte
Vorteile bietet. Die Nachteile zumindest sind gewiss: diese neuen Objekte sind
zunächst unvertraut und unverständlich und die durch sie ausgedrückten Beziehungen auf den ersten Blick nichtssagend. Nach einiger Übung können diese
Nachteile aber mehr als aufgewogen werden, denn die mit Lorentz-Tensoren formulierten Gleichungen sind oft wesentlich kompakter in der Darstellung (und
damit leichter zu merken) und lassen sich leichter ineinander umformen.
Das obenstehende Schema für die Maxwell-Gleichungen und die Lorentz-Kraft
in konventioneller und in explizit kovarianter Schreibweise soll diese Behauptung
beispielhaft belegen. Die folgenden Kapitel versuchen zu beweisen, dass der Weg
von Ladungs- und Stromdichte sowie elektrischen und magnetischen Feldern zur
Lorentz-Kraft und zu den Maxwell-Gleichungen in der explizit kovarianten Form
einfacher und übersichtlicher ist als in der konventionellen Form, so dass sich der
Umweg über die kovarianten Formulierungen auch dann lohnt, wenn wir am Ende
wieder Ausdrücke für das elektrische und magnetische Feld benötigen.
30
4.1
Vierervektoren
Der Prototyp eines Lorentz-Tensors erster Stufe ist der raumzeitliche Vierervektor
im Minkowski-Raum,
(4.1)
x = (ct, x, y, z) = x0 , x1 , x2 , x3 ,
der die zeitliche und die drei räumlichen Koordinaten in einem einzigen Vektor zusammenfasst. Im Folgenden werden wir die einzelnen Komponenten eines
Vierervektors meist durch einen hochgestellten Index kennzeichnen. Zur besseren Unterscheidung verwenden wir lateinische Indizes für die Komponenten eines
Vektors des dreidimensionalen Raumes und griechische Indizes für die Komponenten eines Vierervektors.
Die Lorentz-Transformation für Vierervektoren lässt sich, da sie linear ist,
durch eine 4 × 4-Matrix darstellen, die wir mit Λ bezeichnen. Wir können die
Lorentz-Transformation dann als Vektorgleichung in der Form
x0 = Λ x
(4.2)
und in Komponentenschreibweise in der Form
x0µ =
3
X
Λµν xν
(4.3)
ν=0
schreiben. Statt des Summenzeichens in Gleichung (4.3) verwenden wir, der Literatur folgend, im Weiteren die Einsteinsche Summenkonvention, nach der Produktterme, die gleichlautende griechische oder lateinische Indizes einmal tief- und
einmal hochgestellt enthalten, aufsummiert werden, mit dem gleichlautenden Index als Laufindex. Unter Verwendung dieser Konvention schreiben wir Gleichung
(4.3) dann in der kürzeren Form
x0µ = Λµν xν .
(4.4)
Die Komponenten Λ00 = Λ11 = γ und Λ10 = Λ01 = −γβ gewinnen wir aus Gleichung
(2.8), unter Verwendung der dimensionslosen Relativgeschwindigkeit β = v/c, die
übrigen Komponenten betrachten wir in Abschnitt ??.
Allgemein wird jeder Vektor (a0 , a1 , a2 , a3 ), dessen Lorentz-transformierter
Vektor durch
a0µ = Λµν aν .
(4.5)
gegeben ist, als Lorentz-Tensor erster Stufe oder als Vierervektor bezeichnet.
Beispiele für Vierervektoren, die wir in den folgenden Abschnitten kennenlernen
werden, sind die Vierergeschwindigkeit, der Viererimpuls, die Viererkraft und das
Viererpotential.
31
4.2
Metrischer Tensor
Schon weiter oben hatten wir festgestellt, dass wir im Minkowski-Raum nicht die
euklidische Metrik des dreidimensionalen Raums verwenden können. Stattdessen
hatten wir das raumzeitliche Abstandsquadrat (3.1) definiert, das eine pseudoeuklidische Metrik, die sogenannte Minkowski-Metrik einführt. Diese Metrik lässt
sich kompakt formulieren, wenn man neben Vierervektoren einen Tensor zweiter
Stufe, den sogenannten metrischen Tensor g einführt.
4.2.1
Metrik im Raum
In einem dreidimensionalen Raum mit kartesischen Koordinaten liefert die euklidische Metrik für einen infinitesimalen Abstand ds die Beziehung
ds2 = dx2 + dy 2 + dz 2 .
(4.6)
Dieser Abstand kann auch durch den metrischen Tensor
gik = δik
(4.7)
dargestellt werden, wenn wir die drei Komponenten des Vektors
(x, y, z) = x1 , x2 , x3
(4.8)
mit lateinischen Indizes nummerieren. Wir machen hier Gebrauch von dem
Kronecker-Symbol δik , das durch
1 für i = k
δik =
(4.9)
0
sonst
definiert wird. Unter Verwendung der Einsteinschen Summenkonvention lautet
das Abstandsquadrat dann
ds2 = gik dxi dxk .
(4.10)
In diesem besonders einfachen Fall lässt sich der metrische Tensor durch eine
dreidimensionale Einheitsmatrix darstellen, und es wird nicht klar welchen Vorteil
der Aufwand für den metrischen Tensor bringt. Dies ändert sich, wenn wir von
kartesischen zu krummlinigen Koordinaten übergehen. Der Einfachheit halber
beschränken wir uns zunächst auf die zweidimensionale xy-Ebene, die wir statt
durch die kartesische Koordinaten x und y auch durch die Polarkoordinaten r
und φ beschreiben können, die über die Gleichungen
x = r cos φ und y = r sin φ
32
(4.11)
mit den kartesischen Koordinaten zusammenhängen. Durch partielle Ableitung
von x nach r und φ erhalten wir
dx =
∂x
∂x
dr +
dφ = cos φ dr − r sin φ dφ
∂r
∂φ
(4.12)
für den Zusammenhang zwischen den unabhängig gewählten Differentialen dr
und dφ und der resultierenden infinitesimalen Änderung dx. Auf die gleiche Weise
bekommen wir
dy = sin φ dr + r cos φ dφ .
(4.13)
Quadrieren und Aufsummieren ergibt schließlich
ds2 = dr2 + r2 dφ2 ,
(4.14)
wobei wir die Beziehung sin2 α + cos2 α = 1 verwendet haben. Wenn wir die
Polarkoordinaten durch
(r, φ) = x1 , x2
(4.15)
mit nummerierten Vektorkomponenten gleichsetzen, können wir das Quadrat des
infinitesimalen Abstands wieder wie in Gleichung (4.10) in der Form gik dxi dxk
schreiben. Allerdings lässt sich der metrische Tensor wegen der krummlinigen Koordinaten nicht mehr durch eine Einheitsmatrix darstellen, sondern muss durch
die Matrix
1 0
g=
(4.16)
0 r2
dargestellt werden, wie man durch Einsetzen von (4.15) und (4.16) in Gleichung
(4.10) überprüfen kann.
Ein ähnliches Ergebnis erhält man, wenn man im dreidimensionalen Raum
von den kartesischen Koordinaten x, y und z zu den Kugelkoordinaten r, θ und
φ übergeht, die implizit durch
x = r cos θ cos φ ,
y = r cos θ sin φ und z = r sin θ
(4.17)
definiert sind. Das infinitesimale Abstandsquadrat
ds2 = dr2 + r2 dθ2 + r2 sin2 θ dφ2
(4.18)
(r, θ, φ) = x1 , x2 , x3
(4.19)
können wir mit
und


1 0
0

0
g =  0 r2
2
2
0 0 r sin θ
(4.20)
ds2 = gik dxi dxk
(4.21)
wieder in der Form
schreiben.
33
4.2.2
Metrik in der Raumzeit
Um den raumzeitlichen Abstand (3.1) einfacher zu schreiben, definieren wir durch


1 0
0
0
 0 −1 0
0 

g=
(4.22)
 0 0 −1 0 
0 0
0 −1
den sogenannten Maßtensor oder Minkowski-Tensor g.1 In der Allgemeine Relativitätstheorie, die auch gekrümmte Räume behandelt, die nicht mehr durch
die euklidische Geometrie beschrieben werden können, wird der Tensor g ortsabhängig und hat dann eine kompliziertere Form als in Gleichung (4.22). Wir
verwenden die Bezeichnung metrischer Tensor auch, wenn wir den euklidischen
(auch flach genannten) Raum der Speziellen Relativitätstheorie beschreiben.
Wir benennen die Komponenten des metrischen Tensors durch tiefgestellte
griechische Indizes und können die Definition (4.22) dann mit Hilfe des in Gleichung (4.9) definierten Kronecker-Symbols auch in der Form
gµν = δµν (2δ0ν − 1)
(4.23)
schreiben. Der raumzeitliche Abstand (3.1) läßt sich mit Hilfe des metrischen
Tensors in der Form
s2 = gµν xµ xν
(4.24)
schreiben.
Der metrische Tensor g gehört zu der Gruppe der Lorentz-Tensoren zweiter
Stufe, die allgemein aus 4 × 4 Komponenten a00 , a01 , a02 , . . . a32 , a33 bestehen,
die sich unter einer Lorentz-Transformation gemäß
a0µν = Λµα Λνλ aαλ
(4.25)
transformieren. Den Beweis dafür, dass sich der metrische Tensor tatsächlich entsprechend Gleichung (4.25) transformiert, müssen wir im folgenden Kapitel erst
noch erbringen. Einige zusätzliche Bemerkungen zu Lorentz-Transformationen
zweiter und höherer Stufe finden sich im Anhang.
4.2.3
1-Formen
Um die Schreibweise des raumzeitlichen Abstands und vieler anderer Tensorprodukte zu vereinfachen, definiert man eine zu xµ gehörige 1-Form
xν = gµν xµ
1
(4.26)
Der Minkowski-Tensor wird in der Literatur häufig auch mit dem Symbol η bezeichnet.
Neben den hier verwendeten Vorzeichen, Signatur (+ - - -), sind auch die entgegengesetzten
Vorzeichen, Signatur (- + + +), gebräuchlich.
34
mit deren Hilfe der raumzeitliche Abstand kürzer geschrieben werden kann:
s 2 = xν xν .
(4.27)
Gleichung (4.27) wird auch so verstanden, dass der Tensor erster Stufe, xν , durch
die Produktbildung mit seiner 1-Form xν zu einem Tensor 0. Stufe verjüngt wird.
Grundsätzlich ist eine 1-Form eine Lineare Abbildung, die einen Vektor auf einen
Skalar oder einen Tensor zweiter Stufe auf einen Tensor erster Stufe abbildet.
Statt als 1-Form wird xν , insbesondere in der älteren Literatur, auch als kovarianter Vektor bezeichnet.2 In dieser Sprechweise ist xν ein kontravarianter Vektor.3
Wertet man Gleichung (4.26) komponentenweise aus, wird deutlich, dass sich der
Vierervektor
(4.28)
xν = x0 , x1 , x2 , x3
und seine 1-Form
xν = (x0 , x1 , x2 , x3 ) = x0 , −x1 , −x2 , −x3
(4.29)
in den Vorzeichen der räumlichen Komponenten unterscheiden. Die rein formale
Wirkung des Metrischen Tensors können wir auch als Senken des Indexes bezeichen. Man kann sich jetzt die Frage stellen, ob es einen Tensor gibt, der den Index
hebt, der also eine 1-Form auf den zugehörigen Vierervektor abbildet. Wir versuchen die Antwort durch die Annahme eines zu gµν inversen Tensors zu finden,
für den
g αµ gµν = δνα
(4.30)
gelten muss (für das Kronecker-Symbol spielt die Stellung der Indizes keine Rolle,
wir erhalten stets 1 wenn die Indizes gleich sind und sonst 0). Multiplizieren wir
Gleichung (4.30) auf beiden Seiten mit xν ,
g αµ gµν xν = δνα xν ,
(4.31)
folgt nach Anwendung der Einsteinschen Summenkonvention, also der
Verjüngung des Tensorproduktes, die gesuchte Beziehung
g αµ xµ = xα ,
(4.32)
die zeigt, dass der zu gµν inverse Tensor g αµ tatsächlich den Index einer 1-Form
hebt. Ein Blick auf Gleichung (4.23) oder auf die Matrixdarstellung (4.22) zeigt
uns, dass gµν bis auf die Indexstellung identisch zu g αµ ist. Dies ist allerdings eine
spezielle Eigenschaft des (flachen) Minkowski-Raums. In Räumen mit krummlinigen Koordinaten, wie Polar- oder Kugelkoordinaten, oder im gekrümmten Raum
der Allgemeinen Relativitätstheorie gilt dies nicht.
2
Die Bezeichnung kovariant hat hier eine zweite, vom Begriff forminvariant verschiedene
Bedeutung.
3
Die Bezeichnungen ko- und kontravariant rühren vom Transformationsverhalten der Vektoren her, die sich entgegengesetzt zu den Koordinatenachsen transformieren: Dreht man die
x- und y-Achsen im mathematisch positiven Sinn um die z-Achse, müssen wir einen Vektor
in diesem gedrehten Koordinatensystem in die entgegengesetzte Richtung drehen, damit dieser
dasselbe physikalische Objekt wie vor der Drehung beschreibt.
35
4.3
Zusammenfassung
Lorentz-Tensoren sind mathematische Objekte, deren Verhalten unter einer
Lorentz-Transformationen genau bestimmt ist. Solche Tensoren sind daher gut
geeignet, um physikalische Gesetze in einer offenkundig forminvarianten Weise
zu formulieren. Lorentz-Tensoren der Stufe Null sind Skalare, die unter LorentzTransformationen invariant bleiben. Hierzu gehören der raumzeitliche Abstand,
die Eigenzeit, die Ruhelänge, die Ruhemasse und die Ladung, nicht aber allgemeine zeitliche oder räumliche Abstände. Lorentz-Tensoren erster Stufe bezeichnen wir als Vierervektoren. Hierzu gehört der raumzeitliche Vierervektor
(x0 , x1 , x2 , x3 ) = (ct, x, y, z) des Minkowski-Raumes ebenso, wie die Vierergeschwindigkeit, die Viererkraft, der Viererimpuls und das Viererpotential, die
erst später vorgestellt werden. Mit Hilfe des metrischen Tensors gµν wird im
Minkowski-Raum eine pseudo-euklidische Metrik eingeführt, wobei die Bezeichnung Metrik nicht im mathematischen Sinne zu verstehen ist. Zur Vereinfachung
der Schreibweise wird die zu xµ gehörige 1-Form xµ = gµν xν definiert, wobei
die Einsteinsche Summenkonvention verwendet wird, nach der in Produkttermen
über solche gleichlautende Indizes summiert wird, die einmal hoch- und einmal
tiefgestellt sind. Auf diese Weise lässt sich das Quadrat des raumzeitlichen Abstands in der Form s2 = xµ xµ schreiben.
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