1.78 Das Konservendosenrennen

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Energiehaltung, Potentielle Energie, Translationsenergie, Rotationsenergie, Trägheitsmoment, Schiefe Ebene, Geschwindigkeit
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1.78
1.78 Das Konservendosenrennen
Zwei Konservendosen gleicher Masse, gleicher Abmessungen und gleicher potentieller
Energie zeigen beim Herabrollen einer schiefen Ebene auf Grund unterschiedlicher Trägheitsmomente unterschiedliches Verhalten.
Abb. 1
Material
• 2 Konservendosen gleicher Masse und gleicher Abmessungen, die eine mit eher flüssigem,
die andere eher mit kompaktem Inhalt, z. B. chinesische Gemüsesuppe und Linseneintopf
mit 4 Rauchwürstchen
• schiefe Ebene, z. B. ein Brett mit Unterlage oder aus Stativstangen zusammengebaute
Schienen
Aufbau und Durchführung
Auf eine leicht geneigte schiefe Ebene (Neigungswinkel α = 10˚ – 20˚) werden zwei Konservendosen nebeneinander gelegt und gleichzeitig losgelassen. Die Dose mit flüssigem
Inhalt erreicht das untere Ende der schiefen Ebene vor der Dose mit festem Inhalt. Beim
Ausrollen holt die Dose mit festem Inhalt ihre „Konkurrentin“ jedoch ein und überholt
diese unter Umständen sogar. Schließlich bleiben beide Dosen liegen. Je steiler die schiefe Ebene ist, umso größer ist die Distanz, die die Dose mit festem Inhalt von der Dose
mit flüssigem Inhalt trennt.
Erklärung
Für beide Dosen gilt nach dem Energieerhaltungssatz, dass ihre anfängliche potentielle
Energie vollständig in kinetische Energie (und Reibungsarbeit) umgewandelt wird, wobei
sich die kinetische Energie in einen translatorischen und einen rotatorischen Bestandteil
aufgliedert. Unter Vernachlässigung der Reibung gilt daher folgende Gleichung:
1
1
– Mv2 + – I ω2 + Mgh = const.
2
2
1
Energiehaltung, Potentielle Energie ...
(M: Gesamtmasse der Dose (Blechdose + Inhalt); v: momentane Geschwindigkeit der
Dose; I: Trägheitsmoment um die Längsachse der als Zylinder aufgefassten Dose; ω: Betrag
der momentanen Winkelgeschwindigkeit der Dose; g: Betrag der Erdbeschleunigung;
h: Höhe, auf der sich die Dose momentan befindet, bezogen auf die Höhe 0 am unteren
Ende der schiefen Ebene)
Aus der Geometrie der schiefen Ebene ergibt sich daraus mit den Bezeichnungen aus
Abbildung 1:
1
1
– Mv2 + – Iω2 + Mg (L – s) sin α = const.
2
2
(a) Dose mit festem Inhalt
v
Mit ω = – und dem Trägheitsmoment eines um die Längsachse rotierenden Vollzylinders
r
r2
I = M ––
2
(r: Radius des Zylinders, für beide Dosen gleich)
gilt schließlich folgende Gleichung:
3
– Mv2 + Mg (L – s) sin α = const.
4
3
Leitet man diese einmal nach der Zeit ab, erhält man nach Division durch – Ms· die
2
Bewegungsgleichung
··s = α = –2 g sin α.
3
Mit den Randbedingungen v0 = v (0) = 0 und s0 = s (0) = 0 ergibt sich daraus durch Integration
2
s· (t) = v (t) = – g sin α · t
3
2
s (t) = – g sin α · t2
3
Für die Zeit Tfest, die die Dose mit festem Inhalt benötigt, um die Strecke L zurückzulegen, sowie für die Geschwindigkeit vfest = v (Tfest), die die Dose am unteren Ende der
schiefen Ebene besitzt, ergeben sich somit folgende Werte:
Tfest = 3 ⋅
v fest =
L
g sin α
2
Lg sin α ⋅ 3
3
(b) Dose mit flüssigem Inhalt
Im Gegensatz zur Dose mit festem Inhalt, bei der die Blechdose und der Inhalt rotieren,
rotiert hier nur die Blechdose, während der flüssige Inhalt die schiefe Ebene lediglich
hinuntergleitet. Dies kommt in der Verwendung eines kleineren Trägheitsmoments zum
Ausdruck, wodurch sich auch die verschiedenen Verhaltensweisen erklären lassen.
2
Energiehaltung, Potentielle Energie ...
v
Mit ω = – und dem Trägheitsmoment eines um die Längsachse rotierenden Hohlzylinr
ders
I = mr2
(m: Masse der leeren Blechdose, im Folgenden aus Gründen der besseren Vergleichbarkeit als Vielfaches der Gesamtmasse der Dose M angegeben: m = kM, k < 1)
gilt schließlich folgende Gleichung:
1
– Mv2 (1 + k) + Mg (L – s) sin α = const.
2
Leitet man diese einmal nach der Zeit ab, erhält man nach Division durch Ms· (1 + k) die
Bewegungsgleichung
1
··s = a = g sin α · ––––
.
1+k
Mit den Randbedingungen v0 = v (0) = 0 und s0 = s (0) = 0 ergibt sich daraus durch Integration
1
s· (t) = v (t) = g sin α · t · ––––
1+k
1
1
s (t) = – g sin α · t2 · ––––
2
1+k
Für die Zeit Tflüssig, die die Dose mit flüssigem Inhalt benötigt, um die Strecke L zurückzulegen, sowie für die Geschwindigkeit vflüssig = v (Tflüssig), die die Dose am unteren
Ende der schiefen Ebene besitzt, ergeben sich somit folgende Werte:
Tflüssig = 2 ⋅
L
⋅ 1+k
g sin α
v flüssig = Lg sin α ⋅ 2 ⋅ 1 + k
1 + k guten Gewissens durch 1 erFür die folgenden Abschätzungen kann der Faktor kllll
1 + k ≈ 1,049). Es gilt
setzt werden (gemessene Werte: M = 958 g, m = 96 g, ⇒ kllll
Tflüssig
Tfest
v flüssig
v fest
=
=
2
3
3
2
= 0 ,816
= 1, 225
Die Theorie ist also qualitativ in Übereinstimmung mit der Beobachtung: Die Dose mit
flüssigem Inhalt benötigt nur den 0,8-ten Teil der Zeit der Dose mit festem Inhalt, um die
schiefe Ebene herabzurollen, erreicht das untere Ende also vorher. Allerdings hat die Dose
mit flüssigem Inhalt an dieser Stelle, an der ein Rollen auf ebener Fläche einsetzt, auch die
1,2-fache Geschwindigkeit der Dose mit festem Inhalt, weshalb man erwarten sollte, dass
die Dose mit flüssigem Inhalt ihre Führungsposition bis zum Ende des „Rennens“ behält,
da dieses Ende ja durch die Reibung mit dem ebenen Untergrund herbeigeführt wird, die
für beide Dosen auf Grund ihrer gleichen Gewichtskräfte gleich sein muss. Offenbar
3
Energiehaltung, Potentielle Energie ...
erfährt die Dose mit flüssigem Inhalt durch die nicht mitrotierende Flüssigkeit eine so
große zusätzliche „innere“ Reibung (der Flüssigkeit an der Innenwand), die mit steigender
Geschwindigkeit zunimmt, dass sie aus demselben Grund, der ihr den Vorsprung einbrachte (der nicht mitrotierende Inhalt), diesen Vorsprung wieder verliert. Die Abhängigkeit der „inneren“ Reibung von der Geschwindigkeit erklärt auch, warum mit wachsendem Neigungswinkel der schiefen Ebene die Dose mit flüssigem Inhalt immer deutlicher
bezüglich der Reichweite „verliert“.
Bemerkungen
Die Berechnungen gelten genau nur für ideale Voll- und Hohlzylinder gleicher Masse
und Abmessungen. Die verwendeten Konservendosen haben je nach Inhalt natürlich
nicht die genau gleichen Eigenschaften, wie die Zylinder. Wie beschrieben wird die Auswirkung der unterschiedlichen Konsistenzen der Inhalte bei geeigneter Wahl aber doch
sichtbar. Es bietet sich an, zwei verschiedene Produkte desselben Herstellers zu kaufen,
so dass für die gleiche äußere Form der Dosen gesorgt ist. In jedem Fall lohnt es sich, die
Konservendosen nachzuwiegen. Extreme Massenunterschiede der Dosen können durch
konzentrisch auf die Deckel- und Bodenfläche aufgeklebte Münzen ausgeglichen werden. Für einen möglichst gleichzeitigen Start der Dosen kann man sich einer Holzleiste
oder einer Stativstange bedienen, die die Dosen zunächst am Herabrollen hindert und
die schnell und in Rollrichtung weggezogen wird.
Ein ähnliches Experiment zur gleichen Thematik ist „Das Dosenrennen“.
Literatur
o. L.
zur Erklärung:
Nolting, W.: Grundkurs: Theoretische Physik, Klassische Mechanik, Verlag Zimmermann-Neufang, Ulmen 1991, S. 230-232
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