3. Der Aufbau und das Arbeiten des Ohres, die Voraussetzungen für unser Hören -I Das Gehör ist unser wichtigstes und heikelstes Sinnesorgan - auch unser aktivstes. Während die Augen zu jeder Zeit geschlossen werden können, bleiben unsere Ohren stets aktiv, auch wenn wir schlafen. Ein gesundes Ohr nimmt die kleinste akustische Veränderung wahr und ermüdet auch nicht. Das Gehör ermöglicht uns die Kommunikation mit dem Umfeld, insbesondere den Dialog mit unseren Mitmenschen. Es macht uns zum sozialen Wesen. Es kommt ihm daher auch eine Schlüsselfunktion zu. Es beeinflusst die Erlebnisfähigkeit und Stimmungslage. Der weit verbreitete sorglose Umgang mit dem Gehör und teilweise auch mit den Hörgeräten beweist aber auch, dass die Bedeutung des „Guten Hörens“ noch immer unterschätzt wird. Die Aufklärungs- und Präventionskampagnen haben hierzu bisher noch relativ wenig bewirkt. Die Bedeutung wird erst erkannt, wenn das Hören eingeschränkt und das Gehör bereits geschädigt ist. 3.1 Aspekte des Hörens Folgende Aspekte sind für die Thematik wichtig und werden hier kurz erläutert: a) Schall b) Hörschwelle und Tonhöhe („Frequenz“) c) Die Fähigkeit zur „auditiven Diskrimination“ d) Die selektive Wahrnehmung e) Das räumliche Hören a) Der Schall Der Schall breitet sich von der Quelle (zum Beispiel von einer Stimme oder von einem Lautsprecher) wellenförmig aus. Die Luft dient dem Schall gleichsam als „Transportmittel“. Man unterscheidet dabei zwischen dem für die Lautstärke maßgeblichen Schalldruck-Pegel (in Dezibel gemessen) und der die Tonhöhe bestimmenden Frequenz (die in der Maßeinheit Hertz gemessen wird). b) Hörschwelle und Tonhöhe (Frequenz) Die „Hörschwellenkurve“ zeigt den Beginn des speziellen Hörens eines Patienten bei den unterschiedlichen Tonhöhen an. Zur Wahrnehmung sehr tiefer und sehr hoher Töne ist ein weitaus höherer Schalldruck erforderlich als für Töne mittlerer Tonhöhen. Die höchste Empfindlichkeit zeigt das menschliche Ohr für Tonhöhen zwischen 500 und 5000 Hertz. Das ist der Hauptsprachbereich des Menschen. 3. Der Aufbau und das Arbeiten des Ohres, die Voraussetzungen für unser Hören -II c) Die Fähigkeit zur subjektiven Hervorhebung (auditive Diskrimination) In der 1. Stufe blendet der Mensch mit Hilfe der subjektiven Hervorhebung (auditive Diskrimination) Töne, welche als weniger wichtig eingestuft werden sollen, weitgehend aus oder er verdrängt sie blenden oder in den Hintergrund. Zugleich wird die Wahrnehmung auf jene Töne und Schallquellen konzentriert, die man wirklich zu hören wünscht. Üblicherweise kann er sich im Geräusch- und Stimmengewirr eines öffentlichen Lokals auf bestimmte Gesprächspartner fixieren. Für den Schlaf gilt dies auch. Hier werden selbst relativ laute normale Geräusche - wie beispielsweise die Lärm-Emissionen eines vorbeifahrenden Zuges - nicht gehört. Umgekehrt lassen uns relativ leise Warngeräusche aus dem Schlaf aufschrecken. d) Die selektive Wahrnehmung Der Mensch wäre überfordert, wenn er ständig jeden einzelnen Ton, der an sein Ohr dringt, isoliert wahrnehmen und analysieren müsste. Daher kann er sich in einer parallelen oder nachlaufenden 2. Stufe (siehe Ziffer 2.c) beispielsweise in lärmiger Umgebung auf spezifische akustische Informationen konzentrieren. Selbstverständlich kann der Mensch auch sofort in die 2. Stufe, das feinere Hören der einzelnen Töne, gehen. e) Das räumliche Hören Eine weitere Fähigkeit des menschlichen Gehörs ist die räumliche Wahrnehmung. Dank der Position der beiden Ohren und dem dazwischen liegenden Abstand ist das gesunde menschliche Gehör in der Lage, Schallwellen zu orten. Wichtig ist aber hierbei der Einsatz von beiden Ohren oder bei einem gesunden Ohr die Zuhilfenahme der Augen. So kann nur mit einem Ohr die Schallquelle nicht zugeordnet werden. Hier muss nach dem Sprechenden geschaut werden. Hinzu kommt die unterschiedliche Intensität der Schallwellen. Die Schallwellen kommen entsprechend des Standortes der Quelle zu unterschiedlichen Zeiten, etwa wenige Mikro-Sekunden, an. Diese beiden Faktoren, die unterschiedliche Lautstärke und der unterschiedliche Winkel der auftreffenden Schallwellen, führen zum räumlichen Hören. Mit Hilfe dieser beiden Fähigkeiten kann sich der Mensch seiner Stimme und seines Gehörs wie eines Echolots bedienen. So kann beispielsweise ein blinder Mensch damit die Größe von Räumen erfassen. 3. Der Aufbau und das Arbeiten des Ohres, die Voraussetzungen für unser Hören -III 3.2 Der Aufbau und das Arbeiten des Ohres (wie kommt der Schall in das Gehirn?) a) Der Aufbau des Ohres Das Ohr besteht im Grundsatz aus drei Teilen, äusseres Ohr, Mittelohr und Innenohr. Das äussere Ohr besteht aus der direkt zugänglichen Ohrmuschel und dem äusseren Gehörgang. Das Trommelfell bildet den Übergang zum Mittelohr mit den Gehörknöchelchen. Das Innenohr setzt sich aus dem ovalen Fenster und der Gehörschnecke zusammen. Das für uns wichtige Gleichgewichtsorgan setzt an das Innenohr an. Abb. 1 Der Aufbau des Ohres und die Wanderung der Töne durch das Ohr 3. Der Aufbau und das Arbeiten des Ohres, die Voraussetzungen für unser Hören -IV b) Vom Schall zur Wahrnehmung Die Abbildung 1 zeigt anschaulich die Wanderung der Töne durch das Ohr. Die zum menschlichen Ohr gelangenden Schallwellen dringen über den Hörkanal zum Trommelfell. Dieses dient als akustischer Druckempfänger. Die von diesen Schalldrücken ausgelösten Bewegungen des Trommelfells wiederum wirken auf die Gehörknöchelchen ein. Sie leiten die Schallschwingungen zum Innenohr weiter. Die Gehörknöchelchen-Kette verstärkt durch ihre Hebelwirkung rund 20fach. Die verstärkten Schwingungen werden an die Basilar-Membran und das Cortische Organ im Innenohr weitergegeben. Dort werden sie von den Haarzellen in bioelektrische Impulse umgewandelt. Die Impulse werden dann von den Fasern des Hörnervs aufgenommen und zum Hörzentrum im Gehirn geleitet. Erst hier findet die Entschlüsselung, Umsetzung und Interpretation der Impulse statt: aus Signalen werden so Informationen. c) Wie kommt der Schall in das Gehirn? Wichtig im Innenohr sind die hinter dem sichtbaren Teil des Ohres, im Felsenbein des Gehirns, sitzende Hörschnecke und darin die in einer Flüssigkeit sich bewegenden Haar-Sinneszellen. Jeweils in vier Reihen angeordnete HaarSinneszellen-Reihen erstrecken sich in der gesamten Hörschnecke. Sie sind für die Aufnahme und Weiterleitung der unterschiedlichen Tonhöhen und Lautstärken zuständig. Die äußere Reihe der Haar-Sinneszellen nimmt die leiseren, die innere Reihe die lauteren Töne auf. Daneben sind die am Anfang der Schnecke liegenden Reihen der Haar-Sinneszellen für die hohen, die am Ende der Schnecke liegenden Reihen für die tiefen Töne zuständig. Zuerst sterben immer die an der Außenseite der Gehörschnecke liegenden äußeren Haarsinneszellen ab. Diese sind für die Aufnahme der leisen Töne zuständig. Deshalb hört man leise Töne schlecht, mit der noch guten Innenseite der Gehörschnecke die lauten Töne gut. Parallel dazu nehmen die am Anfang der Gehörschnecke liegenden Haarsinneszellen die hohen Töne und die am Ende im Innern der Gehörschnecke liegenden Haarsinneszellen die tiefen Töne auf. Dementsprechend werden bei einem stets zuerst eintretenden Absterben der am Anfang der Gehörschnecke liegenden Haarsinneszellen die hohen und leisen Töne nicht mehr gehört. 3. 3.3 Der Aufbau und das Arbeiten des Ohres, die Voraussetzungen für unser Hören -V Die Problematik der Schwerhörigkeit Bei der Schwerhörigkeit gibt es aus heutiger Sicht verschiedene Ursachen: Hörsturz, angeborene oder vererbte Schwerhörigkeit, Missbrauch oder Nebenwirkungen von Medikamenten, Lärmeinwirkungen oder Krankheiten des Innenohres. Meine Praxis hat sich auf die Versorgung der beginnenden Altersschwerhörigkeit spezialisiert. Der Grundstein hierzu wurde im Rahmen der früheren Zusammenarbeit mit Herrn Henning Bruckhoff, Hannover, gelegt. a) Altersschwerhörigkeit ( Presbyacusis) Bei der normalen Altersschwerhörigkeit (Presbyakusis) sind die für die hohen Töne zuständigen Haarsinneszellen am Beginn der Schneckenspindel abgenutzt. Hier sind jedoch nur die äußere und mittlere Reihe beschädigt, die für leise und mittellaute (hohe) Töne zuständig sind. Die innere Reihe dagegen (wie gesagt am Beginn der Schnecke), die für die lauten (hohen) Töne zuständig ist, wird dagegen normal gehört. Oft geschieht es, dass dabei früher als normal laute hohe Töne als überlaut und unangenehm empfunden werden (Recruitment). Dieses Phänomen erklärt auch, warum Innenohrschwerhörige für leise Ereignisse schwerhörig sind und gleichzeitig auf laute Pegel als über verhältnismäßig laut und unangenehm empfinden (eingeengter Dynamikbereich). Als Ausnahme haben junge diskothek-geschädigte Menschen nur eine Schädigung speziell bei der sog. C5-Senke. Nur die am Anfang außen liegenden Haarsinneszellen sind beschädigt, die leisen und hohen Töne werden nicht aufgenommen. b) Psychische Auswirkungen Die psychischen Auswirkungen einer Schwerhörigkeit hängen ab vom Alter, in dem die Schwerhörigkeit auftritt. Ein Kind, das früh versorgt wird, hat keinerlei Schwierigkeiten bei einer entsprechenden Förderung mit einer seelischen Verarbeitung. Einem Erwachsenen in der Mitte des Lebens fällt es dagegen sehr schwer, eine Behandlung zu beginnen. Es braucht Mut, zu erkennen, dass es nicht die anderen sind, die plötzlich leiser oder undeutlicher sprechen, sondern dass das eigene Ohr nicht in Ordnung ist.