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:EITSCHRIFTFÓRHISTORISCHE"ILDUNG
C 21234
ISSN 0940 -ÊÊ
4163
Heft 3/2014
Militärgeschichte im Bild: Sam Nujoma, Chef der namibischen Befreiungsbewegung SWAPO, besucht die DDR, August 1989.
DDR-Einsatz im Auftrag der UNO
Israels Luftschläge gegen Irak und Syrien
Schlacht im Golf von Leyte 1944
Der Langemarck-Mythos
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Impressum
Editorial
ZMG 2014-H3 Impressum Editorial
Militärgeschichte
Zeichen: 2.900
Zeitschrift
Bildung
V1für
mthistorische
2014-08-21,
V2 lekt 2014-08Herausgegeben
21, V3 mt 2014-08-22
vom Zentrum für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften
der Bundeswehr
S. 2
durch Oberst Dr. Hans-Hubertus Mack und
Oberst Dr. Sven Lange (V.i.S.d.P.)
Produktionsredakteur der aktuellen
Ausgabe:
Mag. phil. Michael Thomae
Redaktion:
Major Dr. Klaus Storkmann (ks),
korresp. Mitglied
Oberleutnant Ariane Aust M.A. (aau)
Friederike Höhn B.A. (fh)
Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp)
Hauptmann Ines Schöbel M.A. (is)
Mag. phil. Michael Thomae (mt)
Bildredaktion: Dipl.-Phil. Marina Sandig
Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić
Karten: Daniela Heinicke,
Yvonn Mechtel
Layout/Grafik:
Maurice Woynoski / Medienwerkstatt D. Lang
Anschrift der Redaktion:
Redaktion »Militärgeschichte«
Zentrum für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften der Bundeswehr
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E-Mail: ZMSBwRedaktionMilGeschichte@
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© 2014 für alle Beiträge beim
Zentrum für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw)
Bedrohungen der Sicherheit des Landes und ­seiner
Bevölkerung tritt Israel stets entschlossen entgegen.
Diese Entschlossenheit fordert ihren Preis: Gemäß
UN-Angaben kamen etwa im Gazakrieg zwischen
8. Juli und 26. August 2014 insgesamt 2168 Menschen ums Leben (2101 Tote auf palästinensischer,
67 Tote auf israelischer Seite).
Bestimmend für die Bedrohungswahrnehmung
Israels ist u.a. die geopolitische Lage des Landes,
was den israelischen Staat Ende der 1960er Jahre veranlasste, zur Abschreckung Atomwaffen anzuschaffen. Damit die Abschreckung auch funktioniere, dürfe keiner der arabischen Nachbarn in den Besitz von Atomwaffen
gelangen, weswegen Israel sich gezwungen sah, gegen die Atomprogramme
Iraks und Sy­riens mit militärischen Mitteln vorzugehen. Marcel Serr informiert
nicht nur über diese beiden Luftschläge von 1981 und 2008, sondern er betrachtet in seinem Beitrag auch die aktuelle Bedrohung des israelischen
Allein­stellungsmerkmals in der Region durch das iranische Atomprogramm.
Auch wenn angesichts der letzten bewaffneten Auseinandersetzungen ein
dauerhafter Frieden zwischen Israelis und Palästinensern kaum zu erwarten
ist, darf bezweifelt werden, ob eine Befriedung des Nahostkonfliktes ein Regime wie das im Iran veranlassen würde, auf sein Atomprogramm zu verzichten.
Das Jahr 1989/90 erlebten weltweit viele Länder als politische Zäsur, so auch
in Afrika, wo Namibia sich von Verwaltung und Besatzung durch die Republik
Südafrika löste und seine Unabhängigkeit erlangte. Begleitet wurde dieser
Prozess durch eine UN-Friedensmission, an der auch die DDR beteiligt war.
Über die Beziehungen der DDR zu Namibia und den ersten und zugleich letzten Einsatz von DDR-Kräften im Auftrag der UNO berichtet ­Daniel Lange.
Am 10. November 1914 versuchte ein Reservekorps in der Nähe des belgischen Ortes Langemarck die französischen Linien zu durchbrechen. Die
Franzosen wehrten sich erfolgreich, die deutsche Seite erlitt Verluste in Höhe
von 2000 Mann. In der Folge entstand um die Schlacht bei Langemarck ein
regelrechter Mythos, der seinen Höhepunkt während der NS-Herrschaft erlebte. Die Entstehung dieses Mythos und seine Instrumentalisierung erhellt
Tobias Hirschmüller.
Axel Schilling informiert schließlich über die größte Seeschlacht des Zweiten Weltkriegs. Die Schlacht im Golf von Leyte 1944 war zugleich der letzte
Versuch der Kaiserlich Japanischen Marine, sich der enormen Überlegenheit
der US Navy entgegenzustellen.
In eigener Sache: Seit dem Wechsel seines Dienstortes in das Bundesarchiv
nach Freiburg i.Br. können wir stets auf die Unterstützung unseres ehemaligen Redaktionsmitgliedes Major Dr. Klaus Storkmann zählen. Er steht uns
nicht nur mit seiner Expertise in Sachen NVA und Afrika zur Verfügung, sondern versorgt uns auch regelmäßig mit Ideen für spannende Themen. Dafür
möchten wir Herrn Storkmann herzlich danken. Verabschieden möchten wir
uns von Frau Hauptmann Ines Schöbel M.A. Sie beendet ihre Dienstzeit bei
der Bundeswehr. Auch ihr sei herzlich gedankt für die Mitarbeit. Wir wünschen Frau Schöbel alles Gute für die Zukunft.
Eine gewinnbringende Lektüre dieses Heftes wünscht
Druck:
SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden
ISSN 0940-4163
Michael Thomae
Inhalt
Der Langemarck-Mythos
Der Erste Weltkrieg in der nationalsozialistischen Erinnerungskultur
4
Dipl. Soz.-Päd. Tobias Hirschmüller M.A.,
geb. 1981 in Neuburg an der Donau,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der
Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Die Schlacht im
Golf von Leyte 1944
8
Fregattenkapitän Axel Schilling, geb. 1960 in
Stadeln (heute Fürth), Dezernent
in der Unterabteilung Ausbildung im
Marinekommando Rostock
Im Auftrag der UNO
Die Beteiligung der DDR an der
Friedensmission 1989/90 in Namibia
Service
Das historische Stichwort:
Der »Sitzkrieg« 1939/40
22
Neue Medien 24
Lesetipps
26
Die historische Quelle
28
Geschichte kompakt
29
Ausstellungen
30
Militärgeschichte
im Bild
Namibias Weg in die
Unabhängigkeit 14
Daniel Lange M.A., geb. 1980 in Berlin,
Stipendiat der Bundesstiftung zur Aufarbeitung
der SED-Diktatur, Berlin
Sam Nujoma, Chef der South-West Africa
People’s Organisation (SWAPO), trifft zu
einem Arbeitsbesuch in der DDR auf dem
Flughafen Berlin Schönefeld ein. Beziehungen zur SWAPO unterhielt die DDR
seit 1977. 1989/90 sah die DDR durch die
Beteiligung an einer UN-Mission in Namibia schließlich die Möglichkeit, aktiv den
Freiheitsprozess des afrikanischen Partnerlandes mitzugestalten. Erster Präsident des seit 1990 unabängigen Namibia
wurde Sam Nujoma.
Foto:
BArch, Bild 183-1989-0818-034/Klaus Franke
Blaupause für den Iran?
Israels Luftschläge gegen die Atomprogramme
Iraks und Syriens
Marcel Serr M.A., geb.1984 in Ludwigshafen
am Rhein, Wissenschaftlicher Assistent am Deutschen Evangelischen Institut für Altertums­
wissenschaft des Heiligen Landes, Jerusalem
18
Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe:
Oberstudienrat Martin Grosch M.A., Eltville;
Laura Haendel M.A., Berlin;
Dr. Dorothee Hochstetter, ZMSBw;
Linda v. Keyserlingk M.A., MHM Dresden;
Jens Wehner M.A., MHM Dresden.
31
Der Langemarck-Mythos
Der Langemarck-Mythos
Scherl/SZ Photo
Der Erste Weltkrieg in der nationalsozialistischen Erinnerungskultur
5Langemarck-Gedenkfeier im Berliner Lustgarten, 11. November 1934: Generalfeldmarschall August von Mackensen, Heerführer
im Ersten Weltkrieg, salutiert vor den Fahnen alter kaiserlicher Regimenter (rechts im Bild Soldaten der Reichswehr).
»Deutschlands Jugend bewahrt
sich das Vermächtnis der Front
im ­großen Krieg und des
Kampfes der nationalsozialistischen Bewegung. Langemarck
ist zum Symbol dieses Vermächtnisses geworden.«
I
n einer Rede im Frühjahr 1938
­betonte Generalfeldmarschall Hermann Göring die anhaltend wichtige Bedeutung eines eigentlich eher
unwichtigen Gefechts nahe eines belgischen Dorfes zu Beginn des Ersten
Weltkrieges. Noch 14 Jahre später solle
sich die deutsche Jugend ein Beispiel
an den Soldaten nehmen, die für das
Vaterland ihr Leben geopfert hatten.
»Langemarck« war einer der Bausteine
der nationalsozialistischen Instrumentalisierung des Ers­ten Weltkrieges. Wie
aber konnte dieses Gefecht vom 10. No­
vember 1914 eine solche Bedeutung erlangen?
Von der Schlacht und ihrer
­Mythisierung
Für den Krieg mobilisierte die deutsche Armee 1914 nicht nur unzählige
Soldaten, sondern auch historische Persönlichkeiten wie Gebhard von Blücher, Prinz Eugen von Savoyen oder
Otto von Bismarck. Sie fungierten in
der Populärkultur als Leitbilder für die
Soldaten und somit als Siegesgaranten
für die Armee. Neben diesen Bezügen
auf die Vergangenheit entstanden be-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
reits während des Krieges eine Reihe
neuer Mythen, die aus scheinbaren
oder realen Teilerfolgen der Armee
hervorgingen. Hierzu zählten unter
anderem militärische Siege wie Tannenberg oder Schlachten mit hohen
Opferzahlen wie Verdun. Der Langemarck-Mythos nimmt dabei eine Sonderrolle ein, denn hierbei handelte es
sich weder um einen Sieg des deutschen Heeres noch um eine Schlacht
mit militärisch bedeutsamen Verlusten.
Nach der taktischen Niederlage der
Deutschen in der Schlacht an der
Marne im September 1914 begann der
sogenannte Wettlauf zum Meer: Deutsche und britisch-französisch-belgische
Verbände versuchten sich auf ihrem
Vormarsch gegenseitig zu überflügeln.
marer Republik weiter verklärt. Träger
dieser Form der Überlieferung waren
völkische und konservative Verbände
und national geprägte Teile der bürgerlichen Jugend. Die Funktion des
Mythos bestand darin, in der Jugend
die Bereitschaft zu wecken, sich im erneuten Kriegsfall für das Vaterland, für
das größere Ganze zu opfern.
Auch an den Schulen und Hochschulen wurde der Mythos in Form von Feiern mit stark militärischen Konnotatio­
nen verbreitet. Insbesondere Gymna­
siasten und Studenten identifizierten
sich mit der Umschreibung »junge
Regimen­ter«. Mehrere studentische
Verbindungen nahmen schon in ihrem
Namen Bezug auf die Schlacht, wie
beispielsweise 1921 der »LangemarckAusschuss für Hochschule und Heer«.
Im Jahr 1928 beschloss die Deutsche
Studentenschaft, der Dachverband der
allgemeinen Studentenausschüsse der
deutschen Hochschulen, in Langemarck neben dem bisherigen Soldatenfriedhof einen eigenen Friedhof für die
Toten der Schlacht zu errichten. Dieser
»Deutsche Soldatenfriedhof Nr. 123«
wurde 1932 fertiggestellt.
Der Weltkrieg in der
NS-Erinnerungskultur
Adolf Hitler erklärte auf einer Versammlung der NSDAP im November
1922: »Nicht eine Menge Menschen,
sondern stets einzelne kraftvolle Naturen waren es, die für die Geschichte
ihres Volkes bedeutend wurden.« Zu
solchen Persönlichkeiten zählten für
ihn in erster Linie politische und militärische Entscheidungsträger wie
Friedrich der Große, die preußischen
Heeresreformer oder der Reichsgründer Otto von Bismarck, aber auch Vertreter der Geistesgeschichte wie Immanuel Kant und Friedrich Schiller. Hitler
vertrat die Auffassung, es gebe von der
Geschichte gestellte Aufgaben, die nur
solche »Führer« zu lösen in der Lage
seien. In diesem historistisch geprägten
Geschichtsbild des Nationalsozialismus bildete nun der Erste Weltkrieg
eine entscheidende Ausnahme. Auf einer Versammlung der Nationalsozialisten in der bayerischen Landeshauptstadt im Mai 1929 prophezeite Hitler:
»Es wird die Zeit kommen, wo
Deutschland seine Lichtseite zeigen
wird, und wir sind von der stolzen Zuversicht durchdrungen, dass die Welt
diese Lichtseite schätzen wird. Endlich
sind wir nicht mehr das Volk von Genf
und Locarno, das Volk des Dawes-Vertrages, sondern wir sind das Volk von
Verdun und Flandern. Von der Somme
und von Ypern, das Volk der U-Boote,
ein anderes Volk, was die Welt heute
sieht.«
Damit betonte er einerseits den militärisch dominierten Machtstaatsgedanken, andererseits die Vorstellung vom
Weltkrieg als Volksleistung. Galt für
Hitler beispielsweise der preußische
Erfolg im Siebenjährigen Krieg als alleiniges Werk Friedrichs des Großen,
BArch, Bild 102-16342/Georg Pahl
Dabei wurde die Frontlinie immer weiter in Richtung Nordsee verlängert.
Dem gut ausgebildeten und bestens
ausgerüsteten britischen Expeditions­
korps gelang es, in der Ersten Flandernschlacht vom 20. Oktober bis 18. November 1914 die belgische Stadt Ypern
zu halten. Auf deutscher Seite hatten
Regimenter aus Freiwilligenverbänden
mit wesentlich weniger Erfahrung gekämpft, die zudem oft ohne Artillerie­
unterstützung vorgestürmt waren. Im
Rahmen eines deutschen Durchbruchversuches zur Eroberung Yperns fand
nahe des belgischen Ortes Bixschoote
am 10. November 1914 ein relativ unbedeutendes Gefecht statt, das als
»Schlacht von Langemarck« in die Geschichte eingehen sollte.
Den entscheidenden Impuls zur Genese eines Mythos ergab der viel zitierte öffentliche Heeresbericht der
Obersten Heeresleitung vom 11. November 1914 über den Einsatz von Freiwilligenverbänden einen Tag zuvor:
»Westlich Langemarck brachen junge
Regimenter unter dem Gesange
›Deutschland, Deutschland über alles‹
gegen die ersten Linien der feindlichen
Stellungen vor und nahmen sie.« Dabei
handelte es sich um eine aus propagandistischen Gründen idealisierte Darstellung. Der Vorstoß war unter hohen
Verlusten erfolgt und konnte keine
strategische Bedeutung erzielen. Rund
2000 deutsche Soldaten des XXIII. Reservekorps kamen ums Leben. Aus der
Umschreibung »junge Regimenter«
entstand die bis heute weit verbreitete
Legende, die Einheiten hätten vollständig oder zumindest mehrheitlich aus
sich freiwillig gemeldeten Studenten
bestanden, die sich unter den Klängen
des Deutschlandliedes für ihr Vaterland opferten. In der Propaganda des
Weltkrieges wurde dieses angebliche
Opfer der »Jugend von Langemarck«
zum Vorbild für die gesamte deutsche
Jugend stilisiert. In Wahrheit jedoch
handelte es sich um Freiwillige aller
Altersstufen, insbesondere um Männer
der Landwehr.
In der Folge wurden schon während
des Krieges Gedenkstätten errichtet sowie Straßen und Plätze zu Ehren der
Toten von Langemarck benannt. In Gedichten, Liedern und Erzählungen zu
jährlichen Langemarck-Feiern im November mit öffentlichen Zeremonien
wurde das Geschehen auch in der Wei-
5Langemarck-Gedenkfeier im Berliner Lustgarten, 11. November 1934: Studentenabordnungen in Wichs.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
ullstein bild
Der Langemarck-Mythos
nicht wirklich geendet habe, sondern
nur mit anderen Mitteln gegen das
deutsche Volk fortgesetzt werde,
konnte man die Kämpfer der »Bewegung« in die Tradition des Frontsoldaten stellen.
Die Kontinuität der
­Opferbereitschaft
5General Walther von Brauchitsch,
Oberbefehlshaber des Heeres, bei den
­Gedenkfeiern im November 1940 auf
dem Friedhof von Langemarck.
so war für ihn der lange Kampf in den
Schützengräben in erster Linie dem
Charakter und den Tugenden des deutschen Frontkämpfers zu verdanken. So
standen beim Gedenken an Verdun,
den Skagerrak und andere große
Schlachten weniger die Heerführer
und Admirale im Zentrum, sondern
das Kriegserlebnis von Infanteristen
und Matrosen.
Sowohl Hitler als auch Propagandaminister Joseph Goebbels besaßen gegenüber militärischen Entscheidungsträgern wie Helmuth von Moltke (dem
Jüngeren) und Erich von Falkenhayn
eine ablehnende Haltung, da sie sie als
inkompetent erachteten. Die Leis­tun­
gen der 3. Obersten Heersleitung unter
Paul von Hindenburg und Erich Luden­
dorff wurden hingegen grundsätzlich
unterstrichen. Allerdings entwickelte
der propagierte Sieger von Tannenberg
und spätere Reichspräsident von Hindenburg sich nie zu einer Galionsfigur
der NSDAP, und er wurde von ihr
schon gar nicht zu einem zweiten Bismarck stilisiert, wie dies in rechtskonservativen Kreisen weit verbreitet war.
Die Erinnerung an die Feldherrn des
Weltkrieges blieb daher eher ambivalent. Dementsprechend konzentrierte
sich das nationalsozialistische Gedenken an die Schlachten auf die Perspektive und den Beitrag des »einfachen
Solda­ten«. Dies hatte einen weiteren
Vorteil: Da der Krieg aus der nationalsozialistischen Sichtweise, wie der
»Völkische Beobachter« 1921 schrieb,
Da bei Langemarck der Fokus der Heldenverehrung auf den Fontkämpfer
und nicht auf die Armeeführung gerichtet war, liegt die Vermutung nahe,
dass sich die Legende funktional in die
nationalsozialistische Erinnerung an
den Weltkrieg integrieren ließ. Doch
die Ereignisse von Flandern besaßen
für den Parteiredner Hitler in den
1920er Jahren keine große Bedeutung.
Auch Goebbels bezog hierzu nicht öffentlich Stellung. In seinen politischen
Reden verwendete der »Führer« den
Ortsnamen Langemarck kaum, er
sprach nur von den Schlachten in
Flandern. Bei diesen, so gab er in »Mein
Kampf« vor, sei auch er das Deutschlandlied singend nach vorne gestürmt.
Dabei ist jedoch ein entscheidender
Unterschied zur mehrheitlich praktizierten Erinnerungskultur festzustellen. Hitler erklärte in seinem Buch die
Gefallenen von Flandern im Jahr 1914
und damit jene von Langemarck nicht
zu eigentlichen Fronthelden, sondern
stilisierte sie zu Opfern von »verbrecherischen parlamentarischen Tau­ge­
nichtse[n]«. Die sich seit 1918 an der
Macht befindenden Parteien hätten, so
die Behauptung, eine »gültige Friedensausbildung« verhindert. Von der
hohen Verlustzahl an nicht mehr ersetzbaren Männern, und dies ohne
greifbaren Erfolg, distanzierte er sich.
Sein Vorwurf, dass in Flandern 1914 zu
viele Soldaten als »Kanonenfutter dem
Feinde preisgegeben wurden«, erscheint in Anbetracht von Hitlers militärischen Entscheidungen im Zweiten
Weltkrieg nahezu grotesk. Langemarck
war in der nationalsozialistischen Propaganda nicht in erster Linie eine Chiffre für Aufopferung und Heldenmut,
sondern ein bezeichnendes Beispiel für
die negativen Folgen der Macht des
Parlamentarismus. Es handelte sich somit nicht um eine wie sonst so häufig
militärisch bestimmte Form der Erinnerung, sondern um eine, die vor allem
die Inkompetenz und damit Illegitimi-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
tät des demokratischen Systems belegen sollte.
Erst gegen Ende der 1920er Jahre entstand eine genuin nationalsozialistische Erinnerungskultur hinsichtlich
der Schlacht bei Langemarck. Teilweise
waren dabei bis in die frühen 1930er
Jahre die Studentenverbindungen der
NSDAP in die öffentliche universitäre
Festkultur integriert. Ein Katalysator
zur Intensivierung des Gedenkens an
Langemarck bildete die Phase der
Machtfestigung des Regimes in den
Jahren 1933/34. Anlässlich des ersten
Langemarck-Tages unter der Regierung Hitlers verfasste der Gauwart der
NS-Gemeinschaft »Kraft durch Freude«,
Kurt Maßmann, einen Artikel im »Völkischen Beobachter« mit dem Titel »Das
Blut von Langemarck«. Im Unterschied
zu Hitler erklärte Maßmann jetzt: »Der
Tag von Langemarck ist ein Tag des
heiligsten Opfers, das ein Volk überhaupt bringen kann!« Gemeint war die
Jugend. Die Ereignisse wurden nun
zum Sieg uminterpretiert, denn »aus
solchem Sterben wächst tausendfaches
Leben«. Die Freiwilligen aus dem Weltkrieg hissten symbolisch mit der
Hakenkreuz­flagge »das Banner der
deutschen Auferstehung«. Das Rot der
Parteifahne stehe für das Blut der Toten von Langemarck wie des gesamten
Krieges und sei damit »Offenbarung
und Evangelium« zugleich. In der NSPropaganda wurden somit die gefallenen Freiwilligen des Weltkrieges mit
den Mitgliedern der »Bewegung« – gemeint war die NSDAP – gleichgesetzt,
da jene ebenfalls als Freiwillige im
Kampf um Deutschland, d.h. beim Versuch die NS-Herrschaft gewaltsam
durchzusetzen, gefallen seien. Die
»Blutzeugen« der Bewegung, wie Albert Leo Schlageter, Horst Wessel und
Herbert Norkus, wurden in eine Traditionslinie mit den Toten von Langemarck gestellt. So hieß es 1937 im »Völkischen Beobachter«: »So sehen wir
eine innere Linie, die von Langemarck
zur Feldherrnhalle führt und von dort
zum Tage der deutschen Erhebung. Im
neuen Reich hat sich das Opfer der Toten vollendet.«
Im gesamten Reichsgebiet etablierten
sich nationalsozialistische Gedenkfeiern zu Langemarck. Bereits bestehende
Elemente der Erinnerung und des Gedenkens wurden unter der Schirmherrschaft des Regimes fortgeführt. Im Un-
panie der Reichswehr (später der
Wehrmacht), eine Ehren-Hundertschaft der Landespolizei, des Feldjäger­
korps, Ehrenstürme der SS, der SA, des
Luftsportverbandes, des Luftschutz­
bundes, Ehrenabordnungen des Arbeitsdienstes sowie der Arbeitsfront
waren zugegen. Damit erhielt die Erinnerung eine militärische wie auch eine
parteipolitische Konnotation. Der soldatische Aspekt wurde nach dem
Kriegsbeginn 1939 weiter verstärkt. In
der Zeitschrift »Wille und Macht«, die
sich an die Führer der Hitlerjugend
wandte, wurden die Toten von Langemarck nun in eine Kontinuität mit
­König Leonidas und dessen 300 Spartanern in der Schlacht bei den Thermopylen 480 v.Chr. sowie mit Friedrich
dem Großen bei Leuthen im Jahre 1757
gesetzt. Als während des Westfeldzuges die Wehrmacht Flandern erreichte, bilanzierte der »Völkische Beobachter« unter dem Titel »Das andere
Langemarck«: »Die heilige Saat ist aufgegangen und hat ihre Erfüllung gefunden.« Die Langemarck-Feier konnte
somit im November 1940 am Ort des
Geschehens stattfinden. Der Oberbefehlshaber des Heeres, Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch,
kommentierte in seiner Festrede: »Mit
dem 28. Mai, mit dem Tag, an dem die
Reichskriegsflagge in Langemarck gehisst wurde, ist das Vermächtnis der
Jugend von 1914 erfüllt.« Nach dem
Beginn des Feldzuges gegen die Sowjet­
ullstein bild – CARO/Andreas Bastian
terschied zu den Feiern während der
Weimarer Republik wurde versucht,
dem Mythos seinen elitären Charakter
zu nehmen. Der Fokus lag nicht, wie
seit dem Weltkrieg üblich, auf der Vorstellung, dass nur Studenten gefallen
seien, sondern nun zählten deutsche
Jugendliche aus allen gesellschaftli­
chen Schichten zu den Opfern. So übernahm schon 1934 die Hitlerjugend von
der Deutschen Studentenschaft die Patenschaft für das Ehrenmal in Flandern,
und die Langemarck-Spende der Studenten wurde zur Spende der deutschen Jugend umfunktioniert. Der
»Völkische Beobachter« erklärte, dass
es »nicht nur Studenten, nicht nur
Schüler [waren], die damals so marschierten«, sondern auch »Jungbauern,
Arbeiter und Handwerker«. Der Langemarck-Mythos wurde somit zum
Symbol für die »Volksgemeinschaft«.
Diese Form der Erinnerung wurde aber
weiterhin nicht auf der obersten Führungsebene praktiziert, denn Hitler,
wenn er auch 1940 die Soldatenfriedhöfe in Flandern besuchte, erwähnte
Langemarck bis zu seinem Tod 1945
weder in seinen öffentlichen Reden
noch gegenüber seinem unmittelbaren
Umfeld.
Die zentrale Feier fand ab 1934 im
Berliner Lustgarten statt. Hierbei kam
es nicht nur zum Aufmarsch der Hitlerjugend, sondern auch Abordnungen
der ehemaligen Regimenter, die bei
Langemarck fochten, eine Ehrenkom-
union entwickelte sich die nationalsozialistische Erinnerung an Langemarck
zu einer Durchhalteparole, nach der
sich die Opfer der Toten von 1914 im
gegenwärtigen »Schicksalskampf des
deutschen Volkes« erfüllten. Der Mythos wurde auf rudimentäre Elemente
beschnitten, um den aktuellen Ansprüchen der Propaganda gerecht zu werden.
»Langemarck« nach dem
­Zweiten Weltkrieg
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der NS-Herrschaft änderte
sich der Stellenwert des Militärs in der
deutschen Gesellschaft. Die Bedeutung
von kriegerischem Heldentum im kollektiven Gedächtnis der Deutschen relativierte sich. Die aktuellen Diskussio­
nen um Straßenbenennungen belegen,
dass der Wandel im Umgang mit der
Vergangenheit nicht abgeschlossen ist.
Wenngleich Platz- und Straßennamen
im Fall von Langemarck gegenwärtig
noch in einer Vielzahl von deutschen
Städten anzutreffen sind, ist damit
keine Aufforderung mehr zur Opferbereitschaft verbunden. Durch das Verschwinden der Erinnerung an die
Schlachten in Flandern wurde auch der
Mythos zerstört. Verklärende Bezüge
auf die Ereignisse von Langemarck
werden noch im neonazistischen Umfeld wie der NPD gebraucht; sie nehmen aber dort in Analogie zum historischen Nationalsozialismus nur eine
untergeordnete Rolle ein. Auf dem
»Deutschen Soldatenfriedhof 1914 bis
1918 Langemarck« erinnern heute
Steinplatten statt Kreuze an die Gefallenen. Seit 2006 informiert in einem
Anbau eine Filmaufführung über die
Geschichte und die Geografie der
Schlachten in Flandern und des Friedhofes, der nunmehr ein Mahnmal gegen den Krieg darstellt.
 Tobias Hirschmüller
Literaturtipps
5Der Friedhof in Langemarck, errichtet in den 1930er Jahren vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.; die Kreuze sind durch Steinplatten ersetzt worden.
Heute ruhen hier 44 304 deutsche Gefallene.
Reinhard Dithmar (Hrsg.), Langemarck – ein Kriegsmythos
in Dichtung und Unterricht, Ludwigsfeld 2002.
Gerd Krumeich, Langemarck. In: Etienne François und ­Hagen
Schulze (Hrsg.), Deutsche Erinnerungsorte, Bd 3, München
2003, S. 292–309.
Karl Unruh, Langemarck. Legende und Wirklichkeit,
­Koblenz 1986.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
Die Schlacht im
Golf von Leyte 1944
5Träger, Schlachtschiffe und Kreuzer der Task Force 38 der US Navy im Pazifik nach dem Ende der Operationen in den ­Philippinen,
Dezember 1944.
N
ach dem Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 konnten
die Alliierten mit der Besetzung Guadalcanals das rasche Vordringen der japanischen Streitkräfte im
­Pazifik zunächst stoppen. In den langwierigen Kämpfen um die Salomonen
ab August 1942 wurde Japan erstmals
zum Rückzug gezwungen. Dabei
hielten sich die Schiffsverluste beider
Seiten zunächst die Waage, jedoch waren die Verluste an Piloten und Kriegsschiffen für Japan erheblich schwerer
zu ersetzen als für die USA, dessen einzigartige Wirtschaftskraft eine schnell
wachsende Kriegsproduktion erlaubte.
Bis Ende 1943 herrschte im Pazifik
mehr oder weniger ein strategisches
Patt. In dieser Zeit kamen die US-Industrie und die Streitkräfte auf volle
Leistung und lieferten Kriegsmaterial
und ausgebildetes Personal in solchen
Mengen, dass Ende 1943/Anfang 1944
mit den Landungen auf den Gilbertund Marschall-Inseln die Rückeroberung des pazifischen Raumes eingeleitet werden konnte. Es gelang jedoch
nicht, die japanische Flotte vernichtend
zu schlagen. Als »Fleet in being« stellte
sie bei allen Operationen unverändert
eine Bedrohung für die US-amerikanischen Operationen dar.
Der Weg zu den Philippinen
Im Juni 1944, annähernd zeitgleich zur
Landung der Alliierten in der Normandie, wurden die Marianeninseln im
Rahmen der Operation »Forager«
durch Streitkräfte des Befehlsbereichs
Pazifik (Admiral Chester W. Nimitz)
angegriffen. Die Marines landeten auf
Saipan, Tinian und Guam, während
die 5. Flotte der US Navy unter Admiral Raymond A. Spruance die Landung
deckte und die Brückenköpfe der Marines gegen erwartete Angriffe der Kaiserlich Japanischen Marine schützte.
Diese stellte einen großen Verband aus
Trägern und Begleitschiffen zusammen
und plante, unter Ausnutzung der
Flugplätze auf den Inseln und außerhalb der US-amerikanischen Reichweite operierend, mittels Pendelbombardierung die US-amerikanischen
Invasions­kräfte zu zerschlagen. Da
aber die US-Marinefliegerkräfte die
abso­lute Luftüberlegenheit besaßen,
hatten die schlecht ausgebildeten japanischen Marinepiloten in ihren mittlerweile technisch unterlegenen Maschinen
keine Chance: Sie wurden im sogenannten »Truthahnschießen bei den
Marianen« nahezu vollständig aufgerieben. Darüber hinaus verlor die Kai­
ser­liche Marine zwei Angriffs- und
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
­einen leichten Träger sowie einige Zerstörer und Tankschiffe. Admiral ­Spruance
verzichtete jedoch darauf, den geschlagenen japanischen Kräften nachzusetzen, wofür er von mehreren Seiten –
nicht jedoch von Nimitz – Kritik einstecken musste. Sein Auftrag lautete jedoch, die Brückenköpfe auf den
Marianen zu decken. Wieder konnte
das Gros der Kaiserliche Marine, zumindest der Überwasserkräfte, entkommen und als latente Gefahr weiter
die US-amerikanischen Operationen
bedrohen.
Nach dem Angriff auf die Marianen
hatte die Kaiserliche Marine keine re­
levanten Fliegerkräfte mehr, der Verteidigungsring um Japan war durchbrochen und die USA verwandelte die
­besetzte Inselgruppe in riesige Luftstützpunkte. Japan selbst lag nun in
Reichweite der neuen B 29-Verbände.
Parallel dazu kam im Befehlsbereich
Südwest-Pazifik (General Douglas ­
MacArthur) die Rückeroberung
­Papua-Neuguineas und der umliegenden Insel­gruppen zum Abschluss.
Die 7. Flotte (Admiral Thomas C. Kinkaid) unterstützte die zahlreichen
Landungsoperationen mit ihrer eindrucksvollen Beschießungsgruppe
unter Rear Admiral Jesse B. Oldendorf, die aus alten, aber modernisier-
ullstein bild/Roger-Viollet
Leyte 1944
pa/United Archives/TopFoto
ten Schlachtschiffen, Kreuzern und
Zerstörern bestand.
Nach dem getrennten Vormarsch
konnten die Kräfte von Nimitz und
MacArthur vereint werden, um gemeinsam in den inneren Ring der japanischen Verteidigung einzubrechen.
Erklärte Ziele waren dabei die Bündelung der eigenen Kräfte, um erstens Japan weiter zu isolieren und zweitens
dessen Marine endgültig als Machtfaktor auszuschalten. Auf höchster nationaler und alliierter Ebene wurden verschiedene Optionen für den Weg nach
Japan diskutiert und die Philippinen,
Formosa (heute Taiwan) oder das chinesische Festland als nächste Ziele untersucht. Schließlich fiel für Dezember
1944 der Entschluss für eine Landung
auf Mindanao, der südlichen Hauptinsel der Philippinen. MacArthur stellte
die Truppen: Die 7. Flotte sollte die
Landungen decken, die 5. – jetzt in
3. Flotte (Admiral William F. Halsey)
umbenannt – die seeseitige Sicherung
übernehmen. Es unterblieb jedoch, die
beiden Befehlsbereiche unter einen einheitlichen Oberbefehl vor Ort zu stellen. Das sollte Folgen haben.
Japans Militärführung erkannte in
ihrer Lagebeurteilung die US-amerikanischen Absichten und bereitete mit
Sho-1 bis Sho-3 (»Sho« bedeutet »Sieg«)
entsprechende Reaktionspläne vor,
rechnete jedoch frühestens Anfang
1945 mit einem Angriffsbeginn. Doch
unabhängig davon, wo die US-ameri­
kanische Offensive stattfände, Japan
drohte von seinen Öl- und Kautschukquellen in Niederländisch-Ostindien
(Indonesien) abgeschnitten zu werden.
Der Rohstoffnachschub für die Kriegs-
5Admiral William F. Halsey, Befehlshaber der 3. US-Flotte, Dezember 1944.
industrie – durch den US-amerikanischen U-Bootkrieg bereits schwer
getrof­fen – käme damit völlig zum Erliegen.
Die Kaiserliche Marine entschloss
sich daher selbst zu einem offensiven
Vorgehen, statt in den Häfen liegen zu
bleiben und dem Unvermeidlichen entgegenzusehen. Ihr Oberbefehlshaber,
Admiral Toyoda Soemu, sagte dazu
nach dem Krieg: »Wir hatten die Wahl,
die Flotte in den Stützpunkten im Süden zu lassen – mit Treibstoff, aber
ohne Munition und Ersatzteile, oder in
Japan – mit Munition und Ersatzteilen,
aber ohne Treibstoff!«
Obwohl durch seine Pioniere vorgewarnt, zeigte sich MacArthur von dem
schwierigen Boden überrascht; der
Flugbetrieb auf dem zerstörten japanischen Platz konnte tagelang nicht
aufgenommen werden. Gegen sich versteifenden Widerstand rückten die
Truppen in zunehmend schwierigeres
Gelände vor, unterstützt von Fliegerkräften der 16 Geleitträger der 7. Flotte.
Diese leichten, auf Handelsschiffsrümpfen gebauten Einheiten verfügten
über je 25 bis 30 Flugzeuge und waren
spezialisiert auf Nahunterstützung
(»Close Air Support«). Der Seekrieg
aus der Luft blieb Aufgabe der 3. Flotte.
Landung auf Leyte
Sho-1
Aufgrund der raschen Lageentwicklung schlug Halsey vor, die Philippinen unter Vernachlässigung anderer
Ziele schon Mitte Oktober 1944 auf der
zentralen Insel Leyte anzugreifen. Angriffe auf die Hauptinseln durch die
Flieger der 3. Flotte in der Task Force
38 (verteilt auf je acht schwere und
leichte Träger in vier Task Groups) stießen auf nur geringen Widerstand, was
für Halseys Vorgehen sprach. Nach der
Eroberung von Leyte wären die japanischen Streitkräfte auf Luzon im Norden und Mindanao im Süden getrennt.
MacArthur stimmte dem Vorschlag zu;
als Angriffstermin wurde Mitte Oktober angestrebt. Zuvor aber wurde noch
die nicht mehr zu verschiebende Landung auf Peleliu in den Palau-Inseln
durchgeführt. Sie stellte sich im Nachhinein als militärisch sinnlos heraus
und verlief für die USA äußerst verlustreich.
Halsey unternahm nun einen Vorstoß Richtung Formosa und Okinawa
und vernichtete rund 1200 japanische
Flugzeuge und Piloten, die als Verstärkung für die Philippinen geplant waren. So stellte er die absolute Luftüberlegenheit über dem Gebiet um Leyte
­sicher. Ab dem 17. Oktober besetzten
US-Einheiten einige Leyte vorgelagerte
Inseln. Noch konnten sich die Japaner
nicht dazu durchringen, Sho-1 auszulösen. Der Treibstoff war zu knapp, um
einem eventuellen alliierten Ablenkungsangriff entgegnen zu können.
Die Hauptlandungen der USA begannen am 20. Oktober in der Gegend
um Tacloban, wo geplant war, in aller
Kürze einen Flugplatz zu errichten.
Als feststand, dass die Landung im
Golf von Leyte der erwartete große Angriff der US Navy sein würde, löste die
Kaiserliche Marine am 21. Oktober den
Plan Sho-1 aus. Er basierte, wie bei der
japanischen Marine üblich, auf einem
komplexen Zusammenspiel verschiedener see- und landgestützter Verbände. Die Hauptmacht, »Center
Force« unter Vizeadmiral Kurita Takeo,
brach am 22. Oktober von den Treibstofflagern auf Borneo aus auf. Teile
detachierten kurz danach und liefen
als eigenständige Einheit »Southern
Force« (Vizeadmiral Nishimura Shoji)
mit zwei alten Schlachtschiffen, einem
schweren Kreuzer und vier Zerstörern
durch die Sulu-See südlich der Insel
Negros Richtung Surigao-Straße. In einer Zangenbewegung sollte »Center
Force« die Sibuyan-See durchqueren
und über die San-Bernardino-Straße
von Norden ebenfalls auf die SurigaoStraße vorstoßen und die Transportschiffe vor den Brückenköpfen auf
Leyte sowie die gelandeten Truppen
vernichten. Verstärkung für Nishimura
war durch eine zweite, von nordwestlich der Philippinen anlaufende
Gruppe aus zwei schweren und einem
leichten Kreuzer und vier Zerstörern
vorgesehen.
Um Halsey und seine Fliegerkräfte
der 3. Flotte wegzulocken, bekam Vizeadmiral Ozawa Jisaburo den Auftrag,
mit einem Trägerverband von Japan
aus – also von Norden – anzulaufen
und den Lockvogel zu spielen. Aufgrund der Verluste in den Vormonaten
hatte ­ diese »Northern Force« so gut
wie keine Flugzeuge mehr an Bord, der
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
pa/United Archives/TopFoto
Leyte 1944
5Die Yamato, das größte und stärkste je gebaute Schlachtschiff, ca. 1941/42.
.
Verlust der Einheiten wurde bewusst
in Kauf genommen. Man wollte dem
bekannten Wunsch Halseys, unbedingt
Träger zu versenken, ein Ziel bieten
und spekulierte darauf, dass er den
Köder schluckte.
»Center Force« fuhr ohne eigene
Luftstreitkräfte, Sho-1 setzte auf die an
Land stationierten Fliegerkräfte zur
Deckung des Verbands. Diese aber waren bis auf wenige, bewusst zurückgehaltene »spezielle Angriffskräfte« zu
diesem Zeitpunkt schon aufgerieben.
Doch war die Feuerkraft von Sho-1 gewaltig: fünf Schlachtschiffe, darunter
Yamato und Musashi mit 18,1 Zoll (46
cm) Hauptkaliber, zehn schwere, zwei
leichte Kreuzer sowie 15 Zerstörer.
Sho-1 sah vor, dass die Einheiten nach
dem Treffen vor Leyte gemeinsam
außer­halb der Reichweite von Halseys
Flugzeugen über die Sulu-See nach
Borneo zurückkehrten.
Palawan-Passage, 23.10.
Sho-1 stand unter einem schlechten
Stern. US-amerikanische U-Boote klärten den entlang der Nordküste Palawans laufenden Verband frühzeitig
auf. Das Seegebiet ist durch gefährliche
Untiefen und wenig Manövrierraum
gekennzeichnet. Für die sicherere, aber
längere Passage aller Einheiten durch
die Sulu-See fehlte der Treibstoff. Nach
Sichtungsmeldungen an Halsey setzten
die U-Boote Darter und Dace zum Angriff an, versenkten Kuritas Flaggschiff,
den Kreuzer Atago sowie den Kreuzer
Maya und beschädigten den Kreuzer
Takao so schwer, dass er zurückkehren
musste.
Kurita wurde aus dem Meer geborgen und setzte auf Yamato seine Flagge.
Er hatte wichtiges Kommunikationsmaterial und -personal verloren. Der
Verband fuhr dennoch weiter auf das
Ziel Leyte. Die Dace lief kurze Zeit später auf ein Riff und wurde – ohne Ver-
10
luste unter der Besatzung – aufgegeben.
Sibuyan-See, 24.10.
»Center Force« lief ohne die zugesagte
Luftunterstützung in die Sibuyan-See
ein und wurde von Halseys Aufklärern
entdeckt, der in typischer Manier seinen Fliegern befahl: »Strike – repeat:
Strike! Good luck!« Halsey erfüllte auftragskonform einen Zusatz seines Einsatzbefehls: »Sollte sich die Möglichkeit bieten, große Teile der feindlichen
Flotte zu zerstören, dann wird das die
Hauptaufgabe.« Damit war er von der
engen Bindung an die Landungszone
(wie Spruance vor den Marianen) befreit. Dieser Zusatz war ohne Absprache mit MacArthur entstanden. Ein gemeinsamer Oberbefehlshaber vor Ort
hätte dies sicher anders gesehen. Die
verbliebenen japanischen Fliegerkräfte
versuchten von Land aus die US-Trägerverbände anzugreifen, wurden aber
erfolgreich abgewehrt.
Einem einzelnen japanischen Bomber gelang der Durchbruch zur Task
Force 38. Er erzielte einen Treffer auf
dem Träger Princeton, der Feuer fing.
Der Kreuzer Birmingham ging längsseits zur Hilfeleistung, als der Träger
plötzlich explodierte. Auf dem Kreuzer
gab es hohe Verluste durch Splitter;
über 400 Seeleute fielen.
Den ganzen Nachmittag des 24.Oktober über wurde »Center Force« von
insgesamt fünf Wellen US-amerikanischer Flieger angegriffen. Nahezu
alle schweren Einheiten wurden getroffen, der Schwere Kreuzer Myoko
gar so beschädigt, dass er ablaufen
musste. Das Superschlachtschiff Musashi sank, wofür mindestens zwölf
Torpedos und ca. 20 Bombentreffer
notwendig waren. Mit der Musashi gingen 1200 Besatzungsmitglieder unter.
Kurita, durch Dengue-Fieber und den
Verlust seines Flaggschiffs kaum noch
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
in der Lage zu führen, entschloss sich
zum Rückzug und ließ nach Westen
ablaufen.
Halsey erhielt die Meldung, dass der
Gegner abgedreht hatte, und glaubte
den weit übertriebenen Erfolgsmeldungen seiner Piloten. Die Gefahr
durch »Center Force« beurteilte er als
gebannt. Ihm selbst und seinem Stab
war es jedoch ein Rätsel, wo sich die
bisher nicht erkannten japanischen Träger aufhielten, auf deren Vernichtung
er so fixiert war. Bei keinem gemeldeten Verband waren bisher Träger gesichtet worden.
In einem Fernschreiben informierte
er Nimitz über die beabsichtigte Bildung einer »Task Force 34« aus
schweren Einheiten, welche die SanBernardino-Straße, den nördlichen Zugang zum Brückenkopf auf Leyte, gegebenenfalls decken sollte. Wörtlich
hieß es, »Task Force 34 will be formed«.
Halsey erachtete das als Ankündigungssignal; Kinkaid, der im Süden
den Funkverkehr mithörte, aber auch
Nimitz verstanden es als tatsächliches
Ausführungssignal.
Inzwischen hatten Halseys Aufklärer
im Norden Ozawas »Northern Force«,
den Lockvogel, entdeckt. Halsey reagierte exakt so, wie es die japanische
Marineführung erhofft hatte. Eingedenk seiner Zusatzweisung lief er mit
Höchstfahrt Ozawa entgegen. Er informierte Nimitz über die neue Lage und
schloss: »I am proceeding North« – mit
drei Träger-Task Groups seiner Task
Force 38 (eine Task Group war zur
Nachversorgung detachiert worden).
Auch seine Schlachtschiffe und Kreuzer wurden mitgenommen, ohne Nimitz oder Kinkaid darüber zu informieren. Sie gingen nach wie vor davon
aus, dass die San-Bernardino-Straße
gedeckt sei. Wiederum machte sich das
fehlende einheitliche Oberkommando
nachteilig bemerkbar.
Surigao-Straße, 24./25.10.
Zeitgleich zu den Gefechten in der
­ ibuyan-See lief die »Southern Force«
S
mit dem ersten Verband unter Nishimura durch die Sulu-See. Kurzfristig
geriet sie unter Luftangriffe, was zu
leichten Treffern auf dem Schlachtschiff Fuso und dem Zerstörer Shigure
führte. Die Ereignisse in der SibuyanSee zogen die Marineflieger ab, Nishi-
mura lief südlich von Negros und Bohol auf die Surigao-Straße zu.
Oldendorf hatte genügend Zeit,
seine Kräfte zu formieren, und ließ
Nishimura in eine klassische »Crossing-the-T«-Situation fahren. Seine
schweren Einheiten sperrten den nördlichen Ausgang der Straße und konnten mit ihren Breitseiten auf den in
dem engen Fahrwasser in Kiellinie anlaufenden Gegner wirken, der nur
seine vorderen Geschütze einzusetzen
vermochte.
Ständig informierten ihn entlang der
Anmarschroute dislozierte Schnellboote über den Gegner, dessen Zusam-
mensetzung, Kurs und Fahrt. Ihre couragiert vorgetragenen Angriffe blieben
allerdings erfolglos. Nishimura wurde
bei Eintritt in die schmale Straße an
den Flanken von Zerstörern in klassischen Torpedoangriffen in die Zange
genommen und verlor ein Schlachtschiff sowie mehrere Zerstörer, alle übrigen Einheiten wurden beschädigt.
Die US-amerikanischen Kreuzer und
Schlachtschiffe eröffneten auf weite
Kampfentfernung ihr radargesteuertes
Feuer und vernichteten Nishimuras
Verband. Dabei kamen auf US-Seite
auch Schiffe zum Einsatz, die in Pearl
Harbor versenkt oder beschädigt und
Seeschlacht im Golf von Leyte, Oktober 1944
NORTHERN FORCE
(Ozawa)
Kap Engaño
25.–26.Okt.:
Schlacht am
Kap Engaño
SÜDCHINESISCHES
MEER
14. ARMEE
(Yamashita)
PHILIPPINENSEE
LUZON
Lingayen
San Antonio
MANILA
LamonBucht
2. Verband der
SOUTHERN FORCE
(Shima)
24. Okt.:
Schlacht um die
Sibuyan-See
MINDORO
Sibuyan-
SAMAR
See
1. Verband der
CENTER FORCE
(Kurita)
See Ormoc
PANAY
35. ARMEE
(Suzuki)
CEBU
PALAWAN
25.Okt.:
Schlacht um
Samar
Visayan-
NEGROS
Puerto Princesa
Task Force 38/
3. FLOTTE
(Halsey)
o-Straße
ardin
ern
n-B
Sa
Tacloban
20.Okt.
- St
gao
Suri
SULU-SEE
Golf
von
Leyte
LEYTE
BOHOL
Homonhon
18.Okt.
Suluan 17.Okt.
ra ß
6. ARMEE
(Krueger)
Dinagat
18.Okt.
e
7. FLOTTE
(Kinkaid)
24.–25.Okt.:
Schlacht um die
Surigao-Straße
SOUTHERN FORCE
(Nishimura)
MINDANAO
22.10.
Auslaufen aus Brunei
(Nordborneo)
japanisch besetzte Gebiete
Kurslinien Japaner
Kurslinien Alliierte
Seegefechte JOLO
und Schiffsverluste
BORNEO
0
CELEBES-SEE
100
Quelle: The Chronological Atlas of World War Two, New York 1989, S. 197.
200
300
400 km
© ZMSBw
04265-12
wieder einsatzfähig gemacht worden
waren. Die Missouri schoss dabei die
letzte Salve, und zwar auf Fuso; es war
das letzte Mal in der Geschichte des
Seekrieges, dass ein Schlachtschiff auf
ein anderes schoss. Es war auch die
letzte Seeschlacht ohne Unterstützung
durch Fliegerkräfte. Sie wurde allein
von schwimmenden Einheiten ausgetragen.
Lediglich der Zerstörer Shigure entkam leicht beschädigt, alle anderen
Einheiten wurden entweder sofort versenkt oder gingen später infolge der
Schäden verloren bzw. mussten aufgegeben werden. Shigure konnte den
zweiten Verband der »Southern Force«
unter Admiral Shima Kiyohide, der
rund 40 Seemeilen (ca. 65 km) hinter
Nishimura lief, rechtzeitig warnen und
zur Umkehr bewegen. Auf US-Seite
ging lediglich ein Schnellboot verloren,
ein Zerstörer wurde durch »friendly
fire« beschädigt.
Warum sich Shima und Nishimura
nicht zu einer Streitmacht vereinigten,
ist nicht bekannt. Lag es an den unterschiedlichen Befehlssträngen, denen
sie unterstanden, oder aber am strengen Senioritätsprinzip der Kaiserlichen
Marine? Da die Chemie zwischen beiden »nicht stimmte«, wollte Nishimura
sich vermutlich Shima nicht unterordnen. Geändert am Ausgang hätte wohl
auch eine zusammengefasste Flotte
nichts.
Kap Engano, 25.10.
»Engano« bedeutet »Täuschung«, wie
zum Auftrag der »Northern Force«
passend. Halsey wollte endlich Träger
versenken und lenkte seine Einheiten
nach Norden. Am Morgen des 25. Oktobers sollten Flugzeuge den japanischen Gegner stellen, die schweren
Überwassereinheiten sollten nachstoßen und eventuell beschädigte Schiffe
endgültig vernichten. Warnungen aus
seinem Stab, dass nun die Straße von
San Bernardino offen sei, ignorierte
Halsey mit dem Hinweis, die »Center
Force« sei kein ernst zu nehmender
Faktor mehr.
Der fast ohne Jagdschutz fahrende
Verband Ozawas wurde zur leichten
Beute für Halsey; der schwere Träger
Zuikaku, der letzte überlebende Veteran des Angriffs auf Pearl Harbor, sowie drei leichte Träger, drei Kreuzer
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
11
Leyte 1944
ullstein bild/TopFoto
3Philippinen, Sibuyan-
und insgesamt neun Zerstörer wurden
versenkt. Zum totalen Sieg im Norden
kam es jedoch nicht, denn anstatt mit
den schweren Einheiten nachzusetzen,
musste Halsey umdrehen, um dringenden Hilferufen aus dem Süden
nachzukommen. Halsey kommentierte
dies als die »bitterste Entscheidung
meines Lebens«. Was war geschehen?
Das Gefecht vor Samar, 25.10.
Nachdem er eine Weile Richtung Westen geschwenkt war, drehte Kurita auf
Weisung aus Tokio überraschend und
unbemerkt wieder auf Ostkurs. Er
durchquerte die San-Bernardino-Straße
bei Nacht und lief in das Seegebiet vor
Samar nordöstlich von Leyte. Da
Halsey auf Ozawas Bluff hereinfiel,
war dieses Einfallstor nach Leyte ungedeckt. Der nördliche Teil von Sho-1
verlief damit erfolgreich. Lediglich drei
Gruppen (von Süden nach Norden als
»Taffy 1–3« bezeichnet) mit insgesamt
16 Geleitträgern und zugehörigen Sicherungsfahrzeugen standen noch
zwischen den weltweit stärksten Rohrwaffen auf See und den Landungsstränden.
In den folgenden Stunden verteidig­
ten sich die überraschten US-amerikanischen Einheiten verzweifelt gegen
die anrückende japanische Übermacht.
Die für den Landkampf bewaffneten
Flugzeuge sämtlicher Träger flogen
Angriff auf Angriff mit Bomben (nicht
panzerbrechend, da für Landziele gedacht) und Bordwaffen, einige wenige
Torpedoflieger griffen ein. Ein Pilot
meldete sogar, dass er mit seiner Pis­
tole auf ein Schlachtschiff geschossen
habe. Leergeschossene Flugzeuge flogen »Dummy-Angriffe«, um die Kaiserliche Marine zum Ausweichen zu
zwingen. Sie nutzten das kaum aufnahmefähige Flugfeld von Tacloban,
12
See, 24. Oktober 1944:
Der Kreuzer USS Birmingham (rechts) versucht, das durch einen
japanischen Bombentreffer auf dem leichten
Träger USS Princeton
ausgelöste Feuer zu löschen. Die Princeton
sank, die Birmingham
wurde schwer beschädigt.
wo Heeresflieger und Pioniere mit primitivsten Mitteln die Jäger und Bomber betankten und bewaffneten.
Kurita war von seiner erfolgreichen
Annäherung selbst überrascht, gleichzeitig unterliefen ihm Fehler bei der
Feindaufklärung: Er identifizierte Geleitträger als schwere Träger und Zerstörer als Kreuzer. Statt koordiniert in
Formation anzugreifen, befahl er einen
»allgemeinen Angriff«, und jede Einheit machte letztendlich das, was sie
für geeignet hielt. Zum ersten und einzigen Mal wurden jetzt die Riesenkaliber gegen andere Schiffe eingesetzt.
Vermutlich war Kurita durch Krankheit und Anspannung der letzten Tage
nicht mehr in der Lage, klar zu führen.
Ein Torpedoangriff zwang ihn, nach
Norden auszuweichen; er verlor das
Lagebild völlig aus den Augen.
Die US-Zerstörer und Geleitboote liefen nun auf die Japaner zu – David gegen Goliath –, bis in Reichweite ihrer
Fünf-Zoll-Geschütze; sie torpedierten
und nebelten. Die besonders gefährdete nördliche Trägergruppe »Taffy 3«
unter Rear Admiral Clifton »Ziggy«
Sprague manövrierte geschickt durch
Regenschauer und zwang die nur optisch schießenden Japaner zu ständig
neuer Zielauffassung. Einige Schwere
Kreuzer der japanischen Marine wurden durch Beschuss, Torpedos und
Fliegerangriffe so stark beschädigt,
dass sie sanken.
Die japanische Artillerie verschoss
Farbzusätze, um die Aufschlagsbeobachtung zu erleichtern. Dies veranlasste einen Seemann zu der Äußerung:
»Sir, sie schießen auf uns in Techni­
color!« Der Geleitträger Gambier Bay
wurde schwer getroffen, er sank als
einziger Träger im Pazifik durch Rohrwaffen. Insgesamt aber gelangen den
Japanern vergleichsweise wenige Treffer.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
Unterdessen verfolgten Kinkaid im
Süden und Nimitz in Hawaii das Gefecht aus der Ferne. Offene Funksprüche, Hilferufe der »Taffies«, Fragen
nach dem Verbleib von Halseys TF 34,
die den Zugang decken sollte, wie alle
annahmen – keiner hatte ein klares Lagebild. Das Fehlen eines Befehlshabers
vor Ort veranlasste Nimitz schließlich,
einen Funkspruch an Halsey zu senden. »Truthahn tritt Wasser DD Wo, ich
wiederhole, wo ist Task Force 34 DD
Das fragt sich die Welt.« Die Teile vor
und nach den »DD« waren als Funksicherheit gedacht und sollten dem Gegner das Entschlüsseln erschweren.
Halsey jedoch bekam das Ende mit
vorgelegt. Er geriet völlig außer sich
und musste durch seinen Stab beruhigt
und beschworen werden umzudrehen.
Es dauerte noch eine Stunde, bis der
Entschluss dazu fiel. Die Chance, Träger zu versenken, war vorbei; bis er bei
Samar eintraf, würde auch Kurita verschwunden sein, seine große Gelegenheit war verloren. Die Kaiserliche Marine staffelte unterdessen dichter an
»Taffy 3« heran, schoss wirksamer,
aber ihre panzerbrechenden Granaten
durchschlugen meist die dünnen Decks
der Geleitträger ohne zu detonieren.
Der US Navy drohte eine schwere
Niederlage, doch Kurita fasste den bis
heute rätselhaften Entschluss, nach
Norden durch die San-BernardinoStraße wieder abzulaufen. Da er sich
nie Historikern gegenüber geäußert
hat, kann man nur aus Kriegstagebüchern und Erinnerungen seines Stabes
Rückschlüsse ziehen. Die Vernichtung
der »Southern Force« war ihm inzwischen bekannt, er hatte selbst schon
drei Kreuzer verloren. Er befürchtete
verstärkte Luftangriffe und die Sperrung der San-Bernardino-Straße, womit der Rückzug abgeschnitten wäre.
Anders als viele japanische Admirale
lehnte Kurita nachweislich sinnlose
Kämpfe ab.
Halsey kam zu spät, Kurita konnte
mit dem Gros seiner Schiffe entkommen, nur Halseys Flieger erzielten
noch einigen Schaden. Bis zum Kriegs­
ende spielten die Schiffe der japani­
schen Marine keine Rolle mehr.
Kamikaze
Nun spielte die Kaiserliche Marine ihren letzten Trumpf aus: den seit Lan-
gem seitens der Führung geforderten
Einsatz der Kamikaze-Verbände. Benannt nach einem Taifun (»Kamikaze«
heißt wörtlich »Göttlicher Wind«), der
im 13. Jahrhundert zweimal eine mongolische Invasionsflotte zerstört hatte,
sollten diese »Speziellen Angriffsverbände« die US Navy aufhalten. Der
Einsatz war schon früher vorgesehen
gewesen, wurde aber immer wieder
verschoben.
Diese anfangs auschließlich freiwilligen Flieger stürzten sich mit Bomben
beladen in Selbstmordangriffen auf die
»Taffies«. Der Träger St. Lô wurde ihr
ers­tes Opfer, weitere Träger erfuhren
schwere Beschädigungen. Bis zum
Kriegsende fielen durch Kamikaze
mehr US-Seeleute als durch alle anderen Angriffe und Gefechte zuvor, aber
auch dies vermochte nichts mehr am
Ausgang des Krieges zu ändern.
Ende Oktober/Anfang November endete der Seekrieg um Leyte. Das Kaiserliche Heer versuchte über den nordwestlichen Hafen Ormoc die Truppen
zu verstärken. US-Luftangriffe versenkten schließlich fast alle Transporter und eine größere Zahl an Zerstörern, darunter viele, die den Gefechten
der Vortage entkommen waren.
Zusammenfassung
ullstein bild/TopFoto
Die Gefechte um Leyte waren der letzte
Versuch der Kaiserlichen Marine, sich
der erdrückenden Überlegenheit der
US Navy entgegenzustellen. Ganz im
Denken eines Mahan verwurzelt, versuchte der japanische Admiralsstab
eine »Entscheidungsschlacht« herbeiführen, d.h. in einer großen Schlacht
soll der Gegner derart geschwächt werden, dass er um Frieden nachsucht.
Seine Verluste sollen so hoch sein, dass
eine Fortsetzung des Kampfes nicht
mehr möglich ist. Dieses Prinzip ist jedoch, wenn überhaupt, nur bei gleich
starken Gegnern anwendbar. Wegen
der stetig wachsenden Überlegenheit
der US Navy, ihrer guten Ausbildung
und des Fehlens japanischer Fliegerkräfte war dieser Versuch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die materielle US-Überlegenheit war so groß,
dass selbst krasse Fehler ihrer Führung
keine entscheidende Rolle spielten.
Auch ein Durchbruch zu den Brückenköpfen auf Leyte hätte nicht mehr
geholfen, die US-Streitkräfte von den
Philippinen zu vertreiben. Der Angriff
kam schlicht zu spät, da die Transporter bereits entladen und abgelaufen
waren. Die US-amerikanischen Brückenköpfe waren etabliert und gesichert.
Für künftige Operationen einschließlich der Landung in Japan selbst – ge­
plant für Oktober 1945 und März 1946
als Operation »Downfall« – wurde
­MacArthur zum Supreme Commander
Allied Powers (SCAP) ernannt. Unklare Befehlsstränge sollte es nicht wieder gegeben.
Rund 1500 US-amerikanische und
über 10 000 japanische Seeleute und
Flieger fielen in den Seegefechten. Die
Schlacht um Leyte war die größte Seeschlacht des Zweiten Weltkriegs, mit
etwa so vielen Kampfschiffen wie im
Skagerrak 1916, einem Fünftel mehr
Tonnage plus Flugzeugen und U-Booten.
Japan war nun vollständig abgeriegelt, auch die Transporte aus China
wurden leichte Opfer der ungehindert
operierenden US-amerikanischen UBoote und Flugzeuge. Der Import kam
völlig zum Erliegen. Die Industrie
konnte so gut wie nichts mehr produzieren, und wenn, dann minderwertige
Qualität. Mit dem Verlust der Philippinen war die Hoffnung auf eine entscheidende Wende endgültig dahin.
Selbst der inländische Verkehr, der
Transport von Kohle und Erz aus dem
Norden zu den Industrieanlagen im
Süden wurde durch die nun ungehindert vor den Küsten Japans kreuzenden
US-amerikanischen Trägerverbände effektiv unterbunden.
Die Kaiserliche Marine hörte auf, als
kampffähige Einheit zu existieren. Ihre
Fliegerkräfte waren aufgerieben, Nachwuchs wurde hastig und unzureichend
ausgebildet und in Kamikaze-Angriffen verheizt. Die Flotte lag entweder in
der Region um Singapur, ohne in der
Lage zu sein, nötige Reparaturen
durchzuführen, oder in den Häfen Japans. Dort dienten die Schiffe meist als
stationäre Flakbatterien und wurden
ein leichtes Opfer der US-Luftstreitkräfte. Die Yamato wurde im April 1945
schließlich bei einem »Kamikaze«-Einsatz gegen Okinawa ebenfalls aus der
Luft versenkt.
Halsey führte die 3. Flotte im September 1945 zur Kapitulation Japans in
die Bucht von Tokio. Kurita war in seiner letzten Verwendung Kommandeur
der Offizierschule Eta Jima. Hier versuchte er seine jungen Kadetten auf ein
Leben nach dem Krieg vorzubereiten
und verbot ihnen ausdrücklich, sich in
»Kamikaze«-Einsätzen zu opfern.
 Axel Schilling
Literaturtipps
5Marinejäger Mitsubishi A6M Typ Null »Reisen« (alliierter Codename »Zeke«), hier
eine Beutemaschine in US-Markierungen: Gegen Kriegsende kaum mehr konkurrenzfähig, wurde die A6M ab 1944 häufig bei Kamikaze-Angriffen eingesetzt, so
auch in der Schlacht um Leyte.
Thomas J. Cutler, The Battle for Leyte Gulf, 23–26 October
1944, Annapolis, MD 1994.
James D. Hornfischer, The Last Stand of the Tin Can Sailors,
New York, NY 2004.
Anthony P. Tully, Battle of Surigao Strait, Bloomington, IN
2009.
Milan Vego, The Battle for Leyte 1944, Annapolis, MD
2006.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
13
Im Auftrag der UNO
Im Auftrag der UNO
pa/dpa
Die Beteiligung der DDR an der Friedensmission 1989/90 in Namibia
5UN-Stützpunkt in Gibeon im Süden Namibias mit zwei DDR-Polizeibeobachtern
und einem Offizier aus Pakistan, November 1989.
W
ährend sich durch die anhaltenden Massenproteste der
Bevölkerung gegen die
Herrschaft der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) die Lage in
der DDR im Herbst 1989 zuspitzte,
wandten sich vier Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) am 2. Oktober 1989 mit einem sonderbaren Anliegen an den Generalsekretär der SED.
Ob dieser Brief Erich Honecker jemals
erreichte? Die Angehörigen der Wartungs- und Konservierungsbasis 1 in
Peenemünde sahen es auf jeden Fall als
ihre »Pflicht an, uns für einen Einsatz
in Namibia zum Ruhme unseres
Landes, zur Stabilisierung der Lage in
Namibia, natürlich freiwillig zu bewerben«. Und weiter hieß es: »Das soll
auch eine Antwort auf den Verrat der
›DDR-Bürger‹ sein, die meinen, im
›goldenen Westen‹ ein neues Vaterland
zu finden. Wir wollen am Vorabend
des 40. Geburtstages unserer Republik
zeigen, dass es noch Millionen staats-
14
bewusste Bürger gibt, die alles zu tun
bereit sind, damit unsere Republik weiter an Ansehen und Achtung im Völkerbund gewinnt.« Was hatte es damit
auf sich? Und von welchem Einsatz
sprachen sie überhaupt? 25 Jahre nach
dem Zusammenbruch der SED-Herrschaft bietet sich mit der folgenden
Rückschau die Chance, die erste und
einzige Beteiligung der DDR an einer
Friedensmission der Vereinten Nationen (UN) und die damit einhergehenden Überlegungen im Ministerium
für Nationale Verteidigung (MfNV) in
Erinnerung zu rufen.
»Blauhelmmission« im
­Südwesten Afrikas
Ebenso wie zwischen Rostock und
Plauen geriet 1989 auch am anderen
Ende der Welt zwischen Lüderitzbucht, Swakopmund und Windhuk die
bisherige politische Ordnung ins Wanken. Seit April 1989 ebnete die UN-
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Friedensmission zur Unterstützung
eines politischen Übergangsprozesses
(United Nations Transition Assistance
Group, UNTAG) auf Grundlage der
Resolution 435 des UN-Sicherheitsrates von 1978 (UNSCR 435/78) Namibia den Weg in die Unabhängigkeit.
Das ehemalige koloniale Schutzgebiet
des Deutschen Kaiserreiches (1884 bis
1915) stand seit 1920 unter südafrikani­
scher Verwaltung bzw. Besatzung; mit
UN-Hilfe sollten nun demokratische
Wahlen, eine verfassungsgebende Natio­
nalversammlung und die Souveränität
des Landes friedlich herbeigeführt werden. Erstmals verfügte eine »Blauhelmmission« neben ihren regulären militärischen Kräften über ein gleichwertiges
ziviles Kontingent, zu dem eine eigene
UN-Polizei gehörte. Während die Berliner Mauer fiel, erreichte die UNTAG
anlässlich der Wahlen in Namibia vom
7. bis 11. November 1989 mit fast 8000
Mitarbeitern aus 109 Staaten ihren größten personellen Umfang. Darunter befanden sich 1494 Polizeibeobachter,
4493 Mann militärisches Personal sowie
2000 Zivilbedienstete. Die 4493 ­UNTAGSoldaten wurden durch drei Bataillone
aus Finnland, Malaysia und Kenia gestellt. Jugoslawien, Venezuela, Bangladesch und Togo hielten weitere Streitkräfte auf Abruf bereit.
Auch die beiden deutschen Staaten
waren mit eigenen Einheiten beteiligt
und verrichteten in Ombalantu im
Norden Namibias in einem Stützpunkt
der International Civilian Police (CivPol) schon vor Öffnung der innerdeutschen Grenze unter internationalem
UN-Kommando zusammen ihren
Dienst. In Ombalantu waren auch Polizeibeobachter aus Kanada, Irland,
­Indien, Pakistan und Schweden stationiert. Ihr gemeinsamer Auftrag bestand darin, unbefangen und unbewaffnet den Wahlprozess zu begleiten
sowie das Vorgehen der bis zur Unabhängigkeit im Land verbleibenden
polizei­lichen und paramilitärische Einheiten Südafrikas zu überwachen. Warum führte das taumelnde SED-Regime ein solches Vorhaben selbst noch
in den »Wirren der Wende« durch?
Die SED verstand sich in ihrer Afri­
kapolitik als konsequent antikolonialistisch und antirassistisch. Jegliche koloniale deutsche Vergangenheit in
­Namibia verwies Ost-Berlin in die Tradition der Bundesrepublik, wollte die
DDR sich doch in Afrika historisch unbelastet als deutscher sozialistischer
Alternativstaat präsentieren. Enge
Beziehun­gen zur nationalen Befreiungsbewegung Namibias, der Südwestafrikanischen Volksorganisation
(South-West Africa People’s Organisation, SWAPO), pflegte sie schon seit 1977.
Verständlich wird somit die intensive
Subventionierung der SWAPO allein
1989 mit 16 Millionen Mark der DDR,
etwa für den bevorstehenden Wahlkampf oder die Rückführung namibischer Flüchtlinge in ihre Heimat; ein
Indiz dafür, welch hohen Stellenwert
die SED der Unabhängigkeit Namibias
beimaß. Das hatte gute Gründe.
1989 wollte die DDR unbedingt an
der Umsetzung der UN-Resolution 435
mitwirken; auch weil andere Länder
des Warschauer Paktes (Polen, Ungarn,
Rumänien) schon länger, etwa durch
logistische Hilfen, UN-Missionen unterstützt hatten und die DDR im UNSonderausschuss für Friedensmissio­
nen seit geraumer Zeit mit Sitz und
Stimme vertreten war. Für sie ging es
darum, ihren personellen Einfluss in
den Vereinten Nationen zu vergrößern
und sich prinzipiell stärker an solchen
Einsätzen zu beteiligen – auch, um ihre
Pflichtbeiträge als Mitglied der Vereinten Nationen zu senken.
Zugleich flankierte die Mitwirkung
an Namibias Freiheitsprozess Pläne im
Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) im Frühjahr 1989,
die Afrika-Strategie der DDR neu auszurichten, d.h. Epidemien oder Hunger­
katastrophen in Afrika lösungsorientierter anzugehen und nicht nur unter
den längst überholten ideologischen
Gesichtspunkten des Ost-West-Konfliks zu betrachten. Das zusammen mit
dem Institut für Internationale Beziehungen (IIB) in Potsdam erstellte (von
der SED-Führung aber wohl nicht
mehr beschlossene) Konzept ordnete
Namibia bis zum Jahr 2000 eine wichtige Rolle in Subsahara-Afrika zu.
Angesichts des Bürgerkrieges im angrenzenden Angola und der nicht ab-
zusehenden Entwicklung Südafrikas
mit Blick auf den Apartheid-Konflikt
wäre Namibia für die DDR perspektivisch ein wertvoller Regionalpartner
im südwestlichen Afrika gewesen.
Knackpunkt Südafrika
Im April 1989 hatten schwere Kämpfe
im Norden Namibias zwischen südafri­
kanischen Militärs und SWAPO-Milizen mit mehreren Hundert Todesopfern den Beginn der UNTAG-Mission
überschattet. Der UN-Sondergesandte
für Namibia, der Finne Marrti Ahtisaari, verfügte im Nachgang die Aufstockung der zivilen Polizeikräfte innerhalb der UNTAG zunächst von 500
auf 1000 und schließlich bis November
1989 auf 1500 Mann. Dabei bedachte er
auch beide deutschen Staaten, weil
zum einen die deutsche Sprache in Namibia aufgrund der kolonialen Vergangenheit oft gesprochen und noch mehr
verstanden wurde. Zum anderen
wollte Ahtisaari mit deutschen Wahlbeobachtern der einflussreichen, der
SWAPO skeptisch gegenüberstehenden deutschstämmigen Minderheit
entgegenkommen und bei ihr das Vertrauen in den Unabhängigkeitsprozess
stärken. Darüber hinaus verfolgte er
innerhalb der UNTAG das Prinzip der
politischen Balance, nach der sich politisch konträr gegenüberstehende Staaten (u.a. Pakistan und Indien) unter
UN-Flagge auf Augenhöhe bewegen
sollten.
Während die westdeutsche Seite trotz
Debatten über den Umgang mit der
kolonialen deutschen Vergangenheit in
Namibia und den ersten derartigen
Auslandseinsatz der Bundesrepublik
nach dem Zweiten Weltkrieg dem Einsatz zustimme, hemmten zwei wesentliche Faktoren Ahtisaaris Intention,
auch die DDR an der UNTAG zu beteiligen: Einerseits wehrte sich die Republik Südafrika vehement gegen die Beteiligung der DDR, wohl wissend um
ihre enge Liaison mit der SWAPO, dem
schärfsten Gegner der südafrikanischen Besetzung. Erst im August
1989 und nach persönlicher Einflussnahme von UN-Generalsekretär Javier
Pérez de Cuéllar zogen südafrikanische
Diplomaten ihren Widerstand gegen
die ostdeutsche Beteiligung an der UNTAG mit Polizeibeobachtern zurück.
Andererseits hatte Ahtisaari im Mai
1989 die DDR mit seiner Anfrage nach
50 Polizeibeobachtern überrascht.
Mehrmals angeboten hatten das MfAA,
die UNTAG mit Wahlhelfern, humanitärer Hilfe und diplomatischen Beobachtern vor Ort zu unterstützen – was
schließlich auch geschah. Auf die Entsendung einer Polizeieinheit war OstBerlin allerdings nicht vorbereitet. Die
DDR betrat Neuland.
Sofortmaßnahmen und
Zukunfts­pläne
Zügig fand sich im Mai 1989 unter Federführung des DDR-Außenministeriums eine Expertenrunde zusammen –
noch nicht ahnend, dass Südafrikas
Blockadehaltung bis in den Spätsommer 1989 Bestand haben sollte. Hinzu
kamen Vertreter des Innenministeriums (MdI), dem die Deutsche Volkspolizei nachgeordnet war, des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und des
Verteidigungsministeriums. Gesucht
wurden 40 bis 50 Personen aus den vier
Ministerien, darunter zwölf Angehörige des Militärs. Das MfNV begann
bald darauf in der NVA und in der
Volksmarine die Suche nach geeigne­
tem Personal. Währenddessen fand
pa/dpa
Ostdeutsche Namibia-Interessen
5SWAPO-Anhänger in Windhuk begrüßen die Resolution 435 des UN-Sicherheitsrates, die Namibia Autonomie zusichert, September 1989.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
15
5Verabschiedung der 30 DDR-Polizeibeobachter nach Namibia auf dem Flughafen
Berlin-Schönefeld durch den stellvertretenden DDR-Außenminister Bernhard
­Neugebauer, 11. Oktober 1989.
Potsdam stationierten Luftlandeeinheit
der NVA mit Fallschirmspringern, eingegliedert werden. Für längere Missio­
nen war für einen personellen Wechsel
eine zweite Kompanie vorgesehen.
Hinzu wären weitere Kräfte zur Versorgung der Kompanien gekommen,
sodass die Zahl der für UN-Einsätze zu
schulenden Soldaten ab 1991 bei etwa
350 Personen gelegen hätte.
pa/dpa
eine Abstimmung auf höchster Regierungs- und Parteiebene statt. Außenminister Oskar Fischer informierte die
Minister des Innern (Friedrich Dickel),
für Staatssicherheit (Erich Mielke) und
Nationale Verteidigung (Heinz Keßler)
und sicherte sich an den obersten SEDGremien (Politbüro, Zentralkomitee)
vorbei die Rückendeckung von Erich
Honecker, der sich Entscheidungen in
außenpolitischen Fragen durchaus persönlich vorbehielt und die Entsendung
der Polizeibeobachter billigte. Für den
Moment allerdings blieb das bekannte
Signum »Einverstanden E.H.« des Parteichefs ein Muster ohne Wert, weil das
südafrikanische Veto gegen die DDR in
der UNTAG weiter galt.
Parallel dazu kam die Frage auf, wie
sich die DDR zu künftigen UN-Missio­
nen positionieren sollte. Muster für
­diese Pläne war Polen, das seit 1971 an
mehreren UN-Missionen zumindest
im logistischen Bereich beteiligt war.
Dass die Vereinten Nationen ihren
Statu­ten nach mit ihren Missionen eine
»stabile Friedensordnung in der Welt«
gewährleisten wollten, kam der sich als
dialogbereiten Friedensstaat präsentierenden DDR entgegen.
Geplant war, 30 bis 40 Militärbeobachter bis Ende 1990 auf UN-Missio­
nen vorzubereiten und ab Ende 1991
den Vereinten Nationen eine militäri­
sche Einheit anzubieten. Diese sollte
aus einer Kompanie mit drei Zügen zu
je 50 Mann bestehen und in das Luftsturmregiment 40, einer in Lehnin bei
BArch, Bild 183-1989-1011-026/Bernd Settnik
Im Auftrag der UNO
5Ankunft der Polizeibeobachter aus der DDR auf dem Flugplatz in Windhuk am
12. Oktober 1989: Kommandeur Oberstleutnant der Volkspolizei Ulrich Kienzle
­erstattet dem stellvertretenden Chef der UNTAG-Polizei Meldung.
16
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
Polizeieinsatz ohne Polizisten?
Statt der von den Vereinten Nationen
geforderten 50 Polizeibeobachter
konnte in der Kürze der Zeit nur eine
Gruppe mit 30 geeigneten Personen
zusammengestellt werden, hauptsächlich, weil nicht genügend Angehörige
der Volkspolizei mit ausreichend
Kenntnissen der englischen (UN-Kommando-)Sprache verfügbar waren. Damit einher ging die Tatsache, dass die
Angehörigen der Namibia-Einheit in
der Regel gar nicht als klassische Polizisten arbeiteten (im Streifendienst
etwa). Sie waren in ihrem normalen
beruf­lichen Alltag u.a. als Kriminaltechniker, Dolmetscher oder im diplomatischen Dienst tätig. Die zwölf Polizeibeobachter aus der NVA und dem
Verteidigungsministerium arbeiteten
u.a. in dessen Verwaltung für Internatio­
nale Verbindungen, in militärischen
Bildungseinrichtungen und nicht zuletzt in der Ausbildung ausländischer
Militärs. Sie waren daher bislang ebenfalls nicht mit polizeilichen Aufgaben
befasst gewesen. Kurzerhand wurden
sie wie alle anderen DDR-Polizeibeobachter zu Offizieren der Volkspolizei
ernannt, um den Vereinten Nationen
zu signalisieren, dass hier tatsächlich
Deutsche Einheit im
­afrikanischen Busch­
In Namibia erwarteten gänzlich andere
Fragen die Polizeibeobachter der DDR,
aber auch das seit September 1989 in
Namibia weilende bundesdeutsche
UNTAG-Kontingent (gebildet aus 50
Beamten des Bundesgrenzschutzes,
BGS). Zunächst hatten sie eine Fahrprüfung der UN zu bestehen, denn der
im Land geltende Linksverkehr hatte
auf den oft gefährlichen Schotterpisten,
durch umherlaufende Tiere im namibischen Busch oder wegen des verminten Geländes an der Grenze zu Angola
bis Ende September 1989 bereits 13
Tote aus den Reihen der UNTAG gefordert. Extreme klimatische Bedingungen mit bis zu 40 Grad Celsius, instabile Strom- und Wasserversorgung,
provisorische Unterkunft in Schulen,
in Wohnwagen und bei Farmern oder
teils fehlende sanitäre Anlagen beeinträchtigten Leben und Arbeiten der
Polizei­beobachter. Täglich hatten sie
südafrikanische Einheiten zu begleiten, Munition unschädlich zu machen,
Wahlveranstaltungen zu beobachten,
Einschüchterungen Südafrikas gegen
die Bevölkerung zu melden und Patrouillenfahrten durchzuführen. Wichtig war der Kontakt zu den Bürgern,
um der UNTAG und dem Weg Namibias in die Unabhängigkeit besonders
bei den südafrikanisch- und deutschstämmigen Interessengruppen Akzeptanz zu verschaffen, etwa durch Besuche bei Parteien, Kirchen oder
Geschäfts­leuten, aber auch in Gesprächen mit Häuptlingen verschiedener Stammesgruppen. Diese Arbeit
konnte schnell gefährlich werden, weil
die politischen Spannungen im Land
immer wieder hervortraten. Extremisten griffen im August 1989 ein UNTAG-Büro mit Handgranaten an. Anhänger verfeindeter Parteien lieferten
sich im September 1989 in Windhuk
eine teils bewaffnete Straßenschlacht.
Zwischen Mai und November 1989
wurden rund 200 Fälle registriert, die
auf politische Auseinandersetzungen
zurückzuführen waren und bei denen
vereinzelt auch Todesopfer zu beklagen waren.
Problematisch war für die Polizeigruppen beider deutscher Staaten
aufgrund der mangelhaften Infrastruktur der Austausch von Einsatzbefehlen. Stationiert war die DDR-Einheit an
sechs Stützpunkten im Norden Namibias, darunter in drei Orten, die im
Grenzgebiet zu Angola lagen, wo stets
bewaffnete Kämpfe zwischen SWAPO
und südafrikanischer Miliz befürchtet
werden mussten. Der BGS befand sich
auf acht Stützpunkten ebenso im Norden des Landes. Zu zwei dieser entlegenen BGS-Standorte gab es von der
Hauptstadt Windhuk aus keine Funkverbindung. Nachrichten wurden aufwendig durch den Transport mit dem
Auto, in Wochenberichten oder wenn
möglich über Informationsketten ausgetauscht. Die weiten Entfernungen
zwischen den Einsatzorten in Namibia,
das mehr als doppelt so groß wie
Deutschland ist, erschwerten zudem
die Betreuung beider Kontingente
durch ihre jeweiligen diplomatischen
Beobachtermissionen im Land.
Während der Wahlen in Namibia war
in Berlin am 9. November 1989 auch
die Mauer gefallen. Nachrichten dar­
über erreichten die Kontingente in der
Wildnis nur zögerlich, da nicht überall
die Chance bestand, per Weltempfänger den südafrikanischen Rundfunk
oder die Deutsche Welle zu empfangen
oder per Telefon und Fernschreiber Informationen aus der Heimat zu erhalten. Ihre eigene, vorgezogene deutsche
Einheit konnten Angehörige der ostund westdeutschen UNTAG-Einheiten
bereits einige Wochen vorher begehen.
Zusammen leisteten sie ihren UNDienst im Norden Namibias am Stützpunkt Ombalantu. Unter dem Kommando der Vereinten Nationen griff
die in der DDR für Volkspolizisten geltende Geheimhaltungsordnung, die
den Kontakt zu Bürgern nichtsozialistischer Länder verbot, nicht mehr – es
entwickelte sich ein kameradschaftliches Verhältnis zwischen den Vertretern aus DDR und Bundesrepublik und
zu den dort tätigen Kollegen aus Kanada, Irland, Indien, Pakistan und
Schweden. Begegnungen zwischen Ost
und West gab es aber auch an anderen
Einsatzorten, so in Ondangwa und Oshakati im Zuge der vorzubereitenden
SZ Photo/pa/dpa/ap
eine Polizeieinheit zur Verfügung
stand. Am 11. Oktober 1989 flog die
polizeiliche Beobachtereinheit der
DDR nach Namibia. Sieben Tage nach
ihrer Abreise wurde Erich Honecker
entmachtet.
5Verabschiedung Namibias in die Unabhängigkeit am 31. März 1990: Der Sieger der Wahlen und erste Präsident
Sam Nujoma mit Südafrikas Präsident
Frederik de Klerk.
Wahlen. Als sich Namibia im März
1990 seiner Unabhängigkeit näherte
und das zwölfmonatige Mandat der
UNTAG auslief, war auch die erste und
einzige Zusammenarbeit von Bundesrepublik und DDR in einer UN-Mission beendet. Während der BGS am
6. April 1990 seine Heimreise antrat,
hatten die Polizeibeobachter der DDR
ihre CivPol-Unterstützung bereits am
4. März beendet. Die Verhältnisse in ihrer Heimat hatten sich derart rasch
geän­dert, dass freie Wahlen nun am
18. März 1990 erstmals auch in der
DDR durchgeführt wurden. Am
21. März 1990 schließlich fand die
­UNTAG-Mission der Vereinten Nationen mit der Unabhängigkeit Namibias
ihren erfolgreichen Abschluss.
 Daniel Lange
Literaturtipp
Daniel Lange, Auf deutsch-deutscher UN-Patrouille: Die
polizeiliche Beobachtereinheit der DDR in Namibia
(1989/90), Schkeuditz 2011.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
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pa/dpa
Blaupause für den Iran?
Das irakische Atomprogramm
5Ruine des 1981 durch die Israelische Luftwaffe zerstörten Osirak-Reaktors 30 km vor
Bagdad. Aufnahme von 2002.
Blaupause für den Iran?
Israels Luftschläge gegen die
Atomprogramme Iraks und Syriens
D
ie traumatische Erfahrung der
Shoa und das extrem feindliche
Umfeld, in dem der jüdische
Staat sein Überleben sichern muss, sind
bestimmende Faktoren der israelischen
Sicherheitspolitik. Aufgrund dieser
historischen Erfahrungen und geopolitischen Bedingungen ist das Selbstverständnis Israels von der Vorstellung
geprägt, eine isolierte »Insel in einem
Meer arabischer Staaten« zu sein und
»mit wenigen gegen viele« zu stehen.
Aus dieser Bedrohungsperzeption erwuchs das Bedürfnis nach Nuklearwaffen, über die der israelische Staat
wahrscheinlich seit Ende der 1960er
Jahre verfügt. In einem Worst-case­Szenario sollen sie als ultimative Abschreckung gegen arabische Invasionsversuche dienen. Premierminister
­Menachem Begin (1913–1992) prägte
18
Ende der 1970er Jahre die nach ihm benannte Doktrin, wonach Israel keinem
feindlichen Staat der Region gestatten
darf, selbst Nuklearwaffen zu entwickeln und damit Israels Abschreckungsfähigkeiten zu neutralisieren.
Die israelische Sicherheitspolitik richtet sich bis heute an dieser strategischen Maxime aus. Diese bestimmt
auch die Bedrohungswahrnehmung
des iranischen Atomprogramms – einer derzeit existenziellen Sicherheitsgefährdung für den jüdischen Staat.
Seit Jahren erwartet die Weltöffentlichkeit einen israelischen Militärschlag
gegen die Einrichtungen im Iran.
I­sraels Luftwaffe (Israeli Air Force, IAF)
hat mit ihren Operationen gegen das
irakische und syrische Atomprogramm
(1981 und 2007) bereits eindrucksvoll
bewiesen, dass sie dazu fähig ist.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
Ab Mitte der 1970er Jahre arbeitete der
Irak mithilfe Frankreichs in al-Tuwaitha südlich von Bagdad am Bau eines
Leichtwasserreaktors. Der sogenannte
Osirak-Reaktor hätte den Irak in die
Lage versetzt, waffenfähiges Plutonium zu produzieren. Nach Einschätzungen westlicher Geheimdienste war
Bagdad Anfang der 1980er Jahre nur
wenige Jahre vom Bau einer Atombombe entfernt.
Saddam Hussein, der ab 1979 als
­D iktator im Irak uneingeschränkt
herrschte, war ein großer Förderer des
Atomprogramms. Sein Weltbild war
geprägt von einem abstrusen Antisemitismus und Israel-Hass. In Reden
machte Hussein unmissverständlich
klar, dass er den Besitz von Nuklearwaffen anstrebe, um einen Krieg gegen
Israel anzuzetteln. Er glaubte, dass eine
irakische Bombe Israels nukleare und
konventionelle militärische Überlegenheit neutralisieren werde. Der Besitz
von Nuklearwaffen würde einen
Schirm der Abschreckung über der arabischen Welt aufspannen und ein atomares Kräftegleichgewicht zwischen
Israel und dem Irak etablieren. Unter
dem Schutz dieses nuklearen Gleichgewichts könnten die arabischen Staaten
– unter Führung Husseins – ­einen konventionellen Abnutzungskrieg gegen
Israel führen und Jerusalem langsam
in die Knie zwingen, so die Vorstellung
des Despoten.
Israels Regierung unter Menachem
Begin bewertete das irakische Atomprogramm entsprechend als existenzielle Bedrohung und setzte den Auslandsgeheimdienst Mossad darauf an.
Zur Informationsgewinnung rekrutierte der Dienst französische Techniker, die an dem Projekt arbeiteten.
Außer­dem übte der Mossad Druck auf
involvierte Wissenschaftler aus, um sie
dazu zu bewegen, ihre Zusammenarbeit mit dem Irak einzustellen. Doch
Ende der 1970er Jahre wurde klar, dass
diese Bemühungen nicht ausreichen
würden. Daher setzte der Mossad verstärkt auf Sabotageaktionen: Anfang
April 1979 zerstörten als Ökoterroristen getarnte israelische Agenten im
Hafen von Toulon zwei für den Irak bestimmte Reaktorkerne, was das gesamte Atomprogramm um mindestens
sechs Monate zurückwarf.
Operation Opera (1981)
Operation Opera: Flugroute der israelischen Kampfjets
ullstein bild/Sven Simon
von Israel besetztes Gebiet
TÜRKEI
IRAN
ZYPERN
SYRIEN
BA
NO
N
M I T T E L MEER
LI
Osirak
ISRAEL
JORDANIEN
Etzion
SAUDI ARABIEN
Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Osirak_de.png
Kaffeepause. Sie hatten bislang nichts
Auffälliges festgestellt. Für 30 Minuten
blieben die Radarschirme unbeaufsichtigt. Kurz vor Erreichen des Reaktors
stiegen die F-16 auf 2130 m und stießen
anschließend mit über 1000 km/h auf
den Reaktor hinab. Auf einer Höhe von
ca. 1000 m warfen sie ihre 900 kg
schweren Mark-84-Freifallbomben ab.
Da es sich hierbei nicht um Lenkwaffen
handelte, mussten die Piloten die
Bombe im Sturzflug ausklinken, um
sie sicher ins Ziel zu bringen. Die ers­
ten Bomben brachen die Hülle des
Reak­tors, die folgenden zerstörten das
Innere. In zwei Minuten war die Operation vollzogen. Bevor die irakische
Luftabwehr reagieren konnte, stiegen
die F-16 auf eine Höhe von 12 000 m
und jagten wieder nach Hause. Gegen
Sonnenuntergang landeten alle Piloten
wohlbehalten in Israel.
Mission erfüllt?
5Menachem Begin, Ministerpräsident Israels von 1977 bis 1983.
BAGDAD
IRAK
ÄGYPTEN
In Jerusalem begann derweil die Planung für einen Luftangriff gegen Iraks
Atomanlage. Die IAF bereitete sich unter strengster Geheimhaltung auf die
anspruchsvolle Mission vor. Währenddessen sammelten die israelischen Geheimdienste alle notwendigen Informationen für einen Luftangriff auf den
irakischen Reaktor. Dem Mossad gelang es sogar, irakische Techniker zu
gewinnen, die in Frankreich ausgebildet worden waren.
Aufgrund von schlechtem Wetter
musste der Angriff dreimal verschoben
werden. Doch die Zeit lief davon und
die Operation sollte unter allen Umständen noch vor Inbetriebnahme des
Reaktors anlaufen, um nuklearen Fallout zu vermeiden. Am 7. Juni 1981 war
es schließlich soweit: Um 15:55 Uhr
starteten acht Mehrzweckkampfjets
F-16 und sechs Luftüberlegenheitsjäger F-15 vom Luftwaffenstützpunkt
­Etzion und machten sich zu einem
rund 1000 km langen Flug nach Bagdad
auf. In 60 m Höhe jagten die Kampfjets
in enger Formation über Saudi-Arabien hinweg. Irgendwo in der saudischen Wüste klinkten sie ihre zusätzlichen Treibstofftanks aus. Über einen
blinden Fleck in der irakischen Luft­
überwachung drangen sie in den irakischen Luftraum ein und sanken auf
30 m ab. Im Situation Room in Tel Aviv
herrschte angespanntes Schweigen unter den nur ein Dutzend eingeweihten
Militär- und Geheimdienstleuten.
Gegen 17.30 Uhr erreichten die israelischen Kampfjets ihr Ziel. Die irakischen Besatzungen der Luftabwehr
gingen gerade in ihre frühabendliche
Der irakische Atomreaktor war komplett zerstört worden. Israel übermittelte dem Irak und der gesamten Region
mit dem Luftschlag eine wichtige Bot-
© ZMSBw
07332-04
schaft: Jerusalem wird keine weitere
Atommacht im Nahen Osten dulden!
Die Militäroperation führte jedoch
keineswegs dazu, dass Saddam Hussein sein Streben nach Nuklearwaffen
aufgab, im Gegenteil: In den 1980er
Jahren stieg das Budget des Atomprogrammes von 400 Mio. US-Dollar auf
10 Mrd. US-Dollar. Dennoch reduzierte
der Luftschlag die nuklearen Fähigkeiten des Irak erheblich, und zwar aus
folgenden Gründen: Die Zerstörung
des Reaktors richtete die internationale
Aufmerksamkeit stärker auf das Atomprogramm des Irak, was es Bagdad fast
unmöglich machte, auswärtige Unterstützung zu erlangen. Der Schaden am
Reaktor war so massiv, dass ein Wiederaufbau nicht in Frage kam. Ohne
auswärtige Unterstützung war das
Land also gezwungen, das Atomprogramm von der Plutoniumgewinnung
zur Urananreicherung umzustellen.
Die irakische Forschung musste daher
noch einmal bei Null anfangen. Um
dabei der internationalen Beobachtung
zu entgehen, verlegte der Irak das
Atomprogramm in den Untergrund.
Dazu mussten eine Reihe von zer-
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19
pa/dpa
Blaupause für den Iran?
5F-15 »Eagle« des US-Flugzeugbauers McDonnell Douglas, seit 1977 in unterschiedlichen Ausführungen in der Israelischen Luftwaffe in Verwendung. F-15 kamen im
Irak 1981 wie auch in Syrien 2007 zum Einsatz.
streuten und versteckten Einrichtungen errichtet werden, was nicht nur
erhebliche finanzielle Mittel band, sondern auch die Koordination der Wissenschaftler erschwerte.
Die Absicht des irakischen Regimes,
über eigene Atomwaffen zu verfügen,
hatte sich demnach auch durch die begrenzte Militäraktion kaum beeinflussen lassen. Jedoch führte der israelische
Luftschlag zu einer massiven Verzö­
gerung des irakischen Nuklearprogramms. Wäre die irakische Einrichtung nicht zerstört worden, hätte der
Irak bis Anfang der 1990er Jahre sehr
wahrscheinlich über Nuklearwaffen
verfügt. Ob die USA in dieser Situation
gegen die irakische Invasion Kuwaits
1990 interveniert hätten, ist fraglich.
Den USA war dies durchaus bewusst.
So schenkte Dick Cheney, US-Vertei­
digungsminister von 1989 bis 1993,
­Israels Luftwaffenkommandant Generalmajor David Ivry ein Satellitenfoto
der überwucherten Osirak-Ruine aus
dem Jahr 1991 mit der Bildunterschrift:
»For Gen. David Ivry, with thanks and
appreciation for the outstanding job he
did on the Iraqi nuclear program in
1981 – which made our job much easier
in Desert Storm«. Desert Storm war die
Bezeichnung für die alliierte Offensive
gegen den Irak unter Führung der Vereinigten Staaten ab 16. Januar 1991.
Die Entdeckung des syrischen
Atomprogramms
Gegen Ende 2006 entdeckte Israels
Geheim­dienst in einer abgelegenen
­Gegend im Nordosten Syriens den Bau
eines verdächtigen Gebäudes nahe des
20
Euphrat, 30 km von dem Ort Deir azZur entfernt. Ein großes Dach blockierte die Sicht auf den Komplex aus
der Luft. Hier wurde offensichtlich etwas errichtet, das versteckt werden
musste. Israels Geheimdienst vermutete, dass es sich um ein geheimes
Atomprogramm handeln könnte.
Dieser Verdacht erhärtete sich bald.
Im Februar 2007 lief der iranische General Ali Reza Askari zu den USA über.
Askari war Sicherheitsberater unter
Irans Ex-Präsident Mohammad Chatami und langjähriger stellvertretender
Verteidigungsminister. Nach der Wahl
Mahmud Ahmadinedschads zum iranischen Präsidenten 2005 war Askari in
Ungnade gefallen und entschied sich
zur Flucht. Er lieferte den USA wertvolle geheimdienstliche Informationen.
Unter anderem berichtete er von einem
syrischen Nuklearwaffenprogramm,
finanziert vom Iran und durchgeführt
von Nordkorea. Konkret arbeiteten die
Nordkoreaner in der Einrichtung
­namens al-Kibar an einem Gas-Graphit-Reaktor zur Produktion von waffenfähigem Plutonium. Die USA teilten
diese Erkenntnis umgehend mit Israel.
Wie sich herausstellen sollte, hatte
der spätere syrische Präsident Bashar
al-Assad bereits beim Begräbnis seines
Vaters und Amtsvorgängers im Juni
2000 Kontakt mit den Nordkoreanern
aufgenommen, um über den Bau eines
Reaktors zu verhandeln. Die Beziehungen zu Pjöngjang waren traditionell eng – das Regime hatte den Syrern
in der Vergangenheit schon bei der
Entwicklung von Chemiewaffen gehol­
fen. 2002 erreichten Syrien die ersten
Bauteile, Techniker und Wissenschaft-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
ler aus Nordkorea. Die Bauarbeiten
blieben weitgehend unbeobachtet, da
Funk- und Telefonverkehr auf der Baustelle strikt untersagt waren.
Um diese bedenklichen Berichte zu
bestätigen, durchsuchte der Mossad im
März 2007 das Wiener Hotelzimmer
von Ibrahim Othman, dem Direktor
der Syrischen Atomenergie-Kommission. Othman hatte seinen Laptop im
Zimmer zurückgelassen, sodass die
Agenten problemlos den gesamten Inhalt der Festplatte kopieren konnten.
Unter den Daten waren Dutzende
Farbfotos, die das Innere des verdächtigen Gebäudes zeigten. Den Analys­ten
war schnell klar, dass es sich tatsäch­
lich um den Bau eines Nuklearreaktors
handelte. Die Fotos zeigten Nordkorea­
ner bei der Arbeit – darunter auch Chon
Chibu, einen der führenden Experten
des nordkoreanischen Atomprogramms. Der einzige Zweck dieses Plutoniumreaktors war die Herstellung
von Nuklearwaffen, so die Überzeugung des Mossad. Den Fotos war auch
zu entnehmen, dass der Reaktor nur
noch wenige Monate von der Betriebsbereitschaft entfernt war. War der Reak­
tor erst einmal aktiv, würde ein Luftschlag zu nuklearem Fallout führen –
ein nicht hinnehmbares Risiko für die
Zivilbevölkerung. Es galt also schnell
zu handeln.
Operation Obstgarten (2007)
Nachdem sich die israelische Regierung sicher war, dass Syrien kurz vor
Inbetriebnahme eines Kernreaktors
stand, wurde mit Washington das
weite­re Vorgehen besprochen. US-Präsident George W. Bush agierte sehr
vorsichtig: Im Hinterkopf der US-Administration nagte die Erin­nerung an
das PR-Desaster im Zu­sammenhang
mit den vermeintlichen Massenvernichtungswaffen im Irak. Die CIA
stimmte der Interpretation der Kollegen in Jerusalem zwar zu, doch es gab
Skeptiker in den Reihen der Bush-Administration – allen voran US-Außen­
ministerin Condoleezza Rice. Sie
­befürchtete eine unkontrollierbare regionale Eskalation. Die US-Regierung
hatte mit den Konflikten in Irak und
Afghanistan ohnehin genug um die
Ohren. An die Eröffnung einer dritten
Front im Nahen Osten hatte das Weiße
Haus daher wenig Interesse.
pa/dpa
Israels Premierminister Ehud Olmert
machte unmissverständlich klar, dass
er auch unilateral gegen das syrische
Projekt vorgehen werde, sollten sich
die USA nicht zu einer Operation
durchringen können. Als Bush zu verstehen gab, dass er einen israelischen
Alleingang nicht zu blockieren gedenke, begannen die israelischen Streitkräfte die Vorbereitungen für einen begrenzten Luftschlag auf den syrischen
Reaktor. Im Juni drang ein Spezialkommando von »Sayeret Matkal« (hebräisch für »Späher des Generalstabes«),
eine im Schwerpunkt für Terrorismusbekämpfung und nachrichtendienstliche Aufklärung zuständige Sonderheit des israelischen Heeresnachrichtendienstes Aman, in Syrien ein und
sammelte die letzten Informationen für
den Luftschlag.
Am 5. September 2007 fiel in Israels
Sicherheitskabinett schließlich die Entscheidung für einen Luftschlag, die
Operation Orchard (Obstgarten). Noch
in derselben Nacht stiegen zehn F-15
und F-16 vom israelischen Luftwaffenstützpunkt Ramat David in den Himmel auf. Zunächst flog die Gruppe entlang der Mittelmeerküste nach Norden, schwenkte dann nach Osten und
flog entlang der syrisch-türkischen
Grenze. Mit elektronischen Kampfmitteln blendeten sie die syrische Flugabwehr, zerstörten eine Radarstation und
drangen dann in den syrischen Luftraum ein. Gegen 0.45 Uhr meldeten die
Piloten den erfolgreichen Vollzug der
Operation. Die syrische Anlage war
vollständig zerstört worden. Die israelischen Maschinen kehrten ohne Verluste wieder zu ihrem Stützpunkt zurück. Die syrische Flugabwehr hatte
nicht eine einzige Rakete gestartet.
Eine Kernüberlegung der Opera­
tionsplanung war es, die Reaktion von
Damaskus so gering wie möglich zu
halten. Israels Geheimdienst wusste
um die syrischen Raketen, die auf sensible Ziele in Israel gerichtet waren.
Daher hüllte sich Jerusalem nach der
Operation in Schweigen. Aus Syrien
kamen widersprüchliche Nachrichten.
Doch das israelische Kalkül ging auf:
Assad konnte sein Gesicht wahren,
­indem er die gesamte Existenz eines
Atomprogrammes leugnete und damit
auf einen Gegenschlag verzichtete.
Währenddessen rätselte die Welt
monate­lang, was in der September-
5Ehud Olmert, Ministerpräsident Israels
von 2006 bis 2009.
nacht in Syrien tatsächlich geschehen
war.
Um die Operation zu komplettieren,
tötete die Kampfschwimmereinheit
»Shayetet 13« (»Flottille 13«) der israelischen Marine am 1. August 2008 mit
General Mohammed Suleiman den
Spiritus Rector des syrischen Nuklearwaffenprogramms. Nichtsahnend befand sich der langjährige Vertraute der
Assad-Familie beim Abendessen mit
Freunden in seiner Villa am Meer, als
er von gezielten Schüssen israelischer
Scharfschützen tödlich getroffen
wurde.
Aus israelischer Perspektive war die
Operation ein voller Erfolg. Die BeginDoktrin war eindrucksvoll bestätigt
worden und Syrien hat bislang keine
erneuten nuklearen Ambitionen erkennen lassen.
Schlussbetrachtungen
Mit Blick auf den Iran verfolgt Israel
nach wie vor die Begin-Doktrin, da die
Gefahr besteht, dass iranische Nuklear­
waffen in die Hände von Terroristen
fallen. Zudem herrscht in Teheran ein
theokratisches Regime, dem mit dem
Instrument der »Abschreckbarkeit«
schwerlich beizukommen ist. Aus regio­
naler Perspektive ist es überdies wahrscheinlich, dass eine iranische Bombe
ein Wettrüs­ten auslösen und den Nahen Osten massiv destabilisieren
würde.
Es gibt daher gute Gründe, die für
die Zerstörung des iranischen Atom-
programms sprechen. Dennoch: Eine
Militäroperation gegen die iranischen
Einrichtungen ist deutlich anspruchsvoller als die Bedingungen im Irak und
in Syrien. Während in Syrien und im
Irak nur jeweils eine Einrichtung zu
zerstören war, handelt es sich im Iran
um mehrere, über das Land verstreute
Anlagen. Die Gebäude werden beschützt und liegen zum Teil unterirdisch. Darüber hinaus ist die Distanz
größer, sodass Luftbetankungen erforderlich sind. Auch die Tatsache, dass
die iranischen Anlagen schon in Betrieb sind und damit eine große Gefahr
von Kollateralschäden besteht, erschwert ein militärisches Vorgehen.
Schließlich wäre bei einer Militäroperation auch mit Gegenschlägen des
Iran und seines Stellvertreters in der
Levante – der Hisbollah – zu rechnen.
Da die ganze Welt auf das iranische
Atomprogramm schaut, wären im Falle
eines erfolgreichen Angriffes Schweigen und Leugnen für beide Seiten
keine Option. Hinzu kommt, dass ein
erfolgreicher Militärschlag das Atomprogramm zeitlich verzögern würde,
doch die Absicht des iranischen Regimes dadurch nicht oder nur unzureichend beeinflusst werden könnte. Eine
tiefgreifende Änderung der Absichten
ist letztlich nur durch einen Regimewechsel zu erwarten.
Ungeachtet all dieser Schwierigkeiten ist ein Militärschlag gegen das
iranische Programm durchaus möglich
– auch in Form eines israelischen Alleingangs. Dadurch würde der Iran
möglicherweise um Monate zurückgeworfen. Dies wird Israels Sicherheitsproblem zwar nicht lösen, aber für den
Moment entschärfen. Ein Blick in die
Geschichte des jüdischen Staates zeigt,
dass man Sicherheitsbedrohungen in
Jerusalem aufgrund der historischen
Erfahrungen sehr ernst nimmt und entschlossen gegenübertritt.
 Marcel Serr
Literaturtipps
Amos Perlmutter u.a., Two Minutes over Bagdad, 2., erw.
Aufl., London, Portland 2003.
Hal Brands and David Palkki, Saddam, Israel, and the Bomb.
In: International Security, 26 (2011), 1, S. 133–166.
David Makovsky, The Silent Strike. How Israel Bombed a
­Syrian Nuclear Installation and Kept It Secret. In: The New
Yorker, 17. September 2012, S. 34–40.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
21
Service
Das historische Stichwort
Der »Sitzkrieg«
1939/40
22
Scherl/SZ Photo
I
nfolge des deutschen Überfalls auf
Polen am 1. September 1939 trat die
britisch-französische Garantieerklärung vom April 1939 formell in Kraft.
Beide Staaten erklärten daraufhin am
3. September dem Deutschen Reich
den Krieg. Hitler sollte aber mit seiner
Annahme Recht behalten, dass kein
Angriff auf das deutsche militärische
Verteidigungssystem im Westen des
Deutschen Reiches, den Westwall, erfolgen werde. Trotz großer Überlegenheit (rund 30 schwache Divisionen auf
deutscher, knapp 100 Divisionen mit
über 2500 Panzern auf französischer
Seite) und obwohl die dort stationierten deutschen Truppen nur über
einen Munitionsvorrat für drei Kampftage verfügten, entschieden sich die
Westmächte für eine Strategie des Abwartens und Zermürbens. Frankreichs
Oberkommandierender, General Maurice Gamelin, beabsichtigte eine Offensive erst für das Jahr 1941. Der deutschen strategischen Führung wurde so
der nötige Spielraum verschafft, mit
der geballten Kraft fast aller Divisionen
Polen so rasch zu besiegen, dass danach die Westgrenze durch Einheiten
gesichert werden konnte, die in Eiltransporten aus Polen herangeschafft
worden waren.
Für die Deutschen entwickelt sich
hier nun der »Sitzkrieg«, den die Briten
»The Phoney War« (Scheinkrieg)« und
die Franzosen »drôle de guerre« (Seltsamer Krieg) nannten. Maßgeblich für
das Verhalten der deutschen Truppen
war der Befehl Hitlers vom 31. August
1939: »Im Westen kommt es darauf an,
die Verantwortung für die Eröffnung
von Feindseligkeiten eindeutig England und Frankreich zu überlassen.
Geringfügigen Grenzverletzungen ist
zunächst rein örtlich entgegenzutreten.
Die deutsche Westgrenze ist an keiner
Stelle ohne meine ausdrückliche Genehmigung zu überschreiten.«
Auf französischer Seite beschränkte
sich die Polen im »Gamelin-Kasprzycki-Abkommen« (Mai 1939) verspro-
5Ein deutscher Soldat ruft mit einem Megaphon Propagandaparolen zu den französischen Stellungen am Oberrhein hinüber mit dem Ziel, die gegnerische Kampfmoral zu schwächen, 1940.
chene Entlastungsoffensive auf einen
Erkundungsvorstoß kleinerer Einheiten im Höhenzug des Warndt bei
Saarbrücken, die sogenannte SaarOffen­sive (»Opération Sarre« oder
auch »Offensive de la Sarre«). Französische Truppen überschritten am
9. September die deutsche Grenze und
standen am 12. September acht Kilometer tief auf deutschem Gebiet, wobei
sie zwölf deutsche Ortschaften entlang
der geräumten Grenzzone im Saargebiet vor dem Westwall besetzten. Die
Berichte des Oberkommandos der
Wehrmacht (OKW) verzeichneten neben Artilleriebeschuss u.a. des geräumten Flughafens von Saarbrücken für
­diese Tage lediglich »örtliche Vorpos­
tenkämpfe«. Ziel dieser begrenzten Offensive war die Feststellung der Stärke
der Verteidigungsanlagen des Westwalls. Der OKW-Bericht vom 27. September dokumentierte schließlich nur
noch »geringe Gefechtstätigkeit. Der
Feind schanzt auf der ganzen Front«.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
Am 30. September wurde dann der
Rückzug der französischen Truppen
auf französisches Gebiet angeordnet.
Einige französische Generäle ­ waren
damit nicht einverstanden und sahen
eine Gelegenheit ungenutzt verstreichen; nicht zu Unrecht, denn der Westwall, von der deutschen Propaganda
als unüberwindliches Hindernis verklärt, war in Wirklichkeit erst halbfertig, nur dünn gestaffelt und hätte somit
für die alliierten Armeen kaum ein entscheidendes Hindernis dargestellt.
Oberst Charles de Gaulle war einer der
heftigsten Kritiker des französischen
Oberkommandos. Er bezeichnete dessen Strategie als »Maginot-Linienmentalität«, die darin bestehe, darauf zu
warten, dass die anderen etwas tun.
Die letzten Nachhuteinheiten, die in
den eroberten Stellungen noch verblieben waren, wurden bis zum 21. Oktober nach Frankreich zurückgeworfen.
Bis auf einen erfolglosen Angriff der
Royal Air Force auf den Flottenstütz-
Flugblättern versuchten Alliierte und
Deutsche die Kampfmoral des Gegners
zu schwächen. Hauptthema der deutschen Propaganda war der latente französisch-britische Gegensatz. Die Darstellung britischer Soldaten, die sich
mit französischen Frauen amüsieren,
sollte das Misstrauen der Franzosen
gegenüber Großbritannien wecken,
das Frankreich quasi als Handlanger
instrumentalisiere und sich nur mit geringen eigenen Kräften am Aufmarsch
beteilige. In der Tat waren zu Beginn
des Oktobers 1939 erst vier Divisionen
des Britischen Expeditionskorps in
Frankreich eingetroffen, die bis Mai
1940 auf 15 verstärkt wurden. Die
­Royal Air Force entsandte mit 456 Flugzeugen jedoch rund ein Drittel ihres
Gesamtbestands.
Das französische Oberkommando jedenfalls war entschlossen, den Angriff
der Deutschen abzuwarten. Überzeugt,
hinter der Maginot-Linie, einem ausgedehnten System von Bunkern und Geschütztürmen entlang der deutschen
Grenze, vor Angriffen geschützt zu
sein, verlegte es sich auf eine Verteidigungsstrategie und vernachlässigte die
Vorbereitung der Offensivkräfte. Zweifel am Mythos der Unbezwingbarkeit
der Maginot-Linie waren tabu. Man
glaubte vielmehr, dass der Gegner sich
an Festungen und Bunkern ausbluten
würde, was sich jedoch als folgenschwerer Irrtum erwies.
Mit dem deutschen Angriff auf
Frankreich, Belgien, Luxemburg und
Scherl/SZ Photo
punkt Wilhelmshaven sowie auf Cuxhaven am 4. September unterblieben
während des Polenfeldzugs auch nennenswerte alliierte Luftangriffe, denn
Frankreich befürchtete deutsche Vergeltungsschläge auf seine Industriezentren.
Nach diesen ersten Wochen einer gewissen Unruhe und gegenseitigen Erwartung eines gegnerischen Großangriffs normalisierte sich die Lage an
der Westfront allmählich. Die Wachbesatzungen wechselten in regelmäßigen
Abständen: Die ablösenden Soldaten
machten es sich mit Kartenspielen und
Büchern in den Festungswerken der
Maginot-Linie so angenehm wie möglich, die abgelösten Truppenteile verlegten in die dörflichen Quartiere oder
in die nächstgelegenen Kasernen. Der
Krieg hielt nun quasi seinen Winterschlaf. Die von Hitler noch vor dem
Einbruch des Winters geplante Offensive im Westen musste von Mitte November an aufgrund der winterlichen
Großwetterlage, die eine deutsche
Luftüberlegenheit erschwerte, insgesamt 29 mal verschoben werden. Heftige Regenfälle und Winde verboten
den Einsatz der Luftwaffe, die der entscheidende Faktor für die neue Taktik
der Wehrmacht im Zusammenspiel
von Panzerverbänden und Flugzeugen
war.
Schon bald nahm dieser »Sitzkrieg«
auch die Form eines wechselseitigen
Propagandafeldzugs an. Mittels Lautsprecherdurchsagen, Plakaten sowie
5Wehrmachtsoldat auf Patrouillie zwischen Panzerhindernissen des Westwalls an
der deutsch-französischen Grenze, 1940.
die Niederlande am 10. Mai 1940 auf
einer Front zwischen Luxemburg und
Nijmegen und somit unter Umgehung
der Maginot-Linie endete der »Sitzkrieg«. Bis dahin hatte die Wehrmacht
auf dem westlichen Kriegsschauplatz
fast 10 000 Mann, davon rund 6000
Tote und Vermisste, verloren.
Doch warum verhielten sich Großbritannien und Frankreich dermaßen defensiv? Wäre nicht ein entschlossenes
militärisches Vorgehen sinnvoll und
eventuell auch erfolgreich gewesen? In
diesem Zusammenhang muss die gesamte Appeasementpolitik beider Staaten kritisch betrachtet werden. Ein Eingreifen 1936 im Zuge der deutschen
Besetzung des entmilitarisierten Rheinlands oder spätestens im März 1939 bei
der Besetzung der Tschechoslowakei
hätte Hitlers Expansionspolitik möglicherweise verhindern können.
Die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs haben beim Verhalten v.a. Frankreichs eine nicht zu unterschätzende
Rolle gespielt. Sie hatten die Überzeugung entstehen lassen, dass ein künftiger Krieg mit Deutschland wieder ein
Stellungskrieg sein werde, da eine
deutsche Offensive in Frankreich sich
festfahren würde. Dafür spricht, dass
sich die Franzosen hinter der als vermeintlich unüberwindbares Bollwerk
konzipierten Maginot-Linie einigelten,
was der »kriegsunlustigen« Stimmung
in Frankreich entsprach. Hinzu kommt,
dass Deutschlands Verbündete Italien
und Japan sich 1939 als nichtkriegführend bzw. neutral erklärt hatten und
Großbritannien davon ausging, über
ein enormes militärisches Potenzial zu
verfügen, nachdem auch Australien,
Indien, Neuseeland, Südafrika und Kanada in den Krieg eingetreten waren.
Alfred Jodl, im Kriege Chef des Wehrmachtführungsstabes im OKW, sagte
während der Nürnberger Prozesse aus:
»Dass wir nicht bereits im Jahr 1939 gescheitert sind, war nur dem Umstand
zu verdanken, dass während des Polen­
feldzuges die schätzungsweise 110 fran­
zösischen und britischen Divisio­nen
im Westen komplett inaktiv gegen die
deutschen 23 Divisionen gehalten wurden.« Beide Westmächte haben auch
dadurch Polens Interessen ignoriert, ja
Polen der deutschen Wehrmacht leichtfertig ausgeliefert.
Martin Grosch
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
23
Service
!
Neue Medien
Comics & Graphic Novels
Kriegstagebücher
E
in Lehrer, der 1949 aus politischen
Gründen die DDR verlassen muss;
ein berühmter französischer Regisseur;
eine Hausfrau in Kärnten; ein französischer Arzt, der gerne Karikaturen
zeichnet. Was haben diese vier Personen gemeinsam? Sie alle erlebten
den Ersten Weltkrieg als Kinder oder
Jugendliche. Ihre Erinnerungen aus
den Jahren 1914 bis 1918 bilden die
Grundlage für ein deutsch-französisches Vorzeigeprojekt zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges. In kurzen Einzelepisoden gibt
das Comic, das gleichzeitig zur deutschen Version auch in französischer
Sprache erscheint, Einblicke in das
­Leben dieser vier jungen Menschen.
Walter, der spätere Lehrer, meldet
sich 1914 freiwillig, da ist er 17 Jahre
alt. Lucien, der junge Arzt, dient als Sanitäter an der Front; Nessi und der damals erst sechsjährige René erleben
den Krieg in der Heimat. Für René ist
der Krieg anfangs ein großer Spaß. Er
freundet sich mit Soldaten an, wirft gefundene Munition in Rauchfänge von
Lokomotiven und spielt mit seinen
Freunden »Krieg«. Walter hingegen
wird schwer verwundet und bei seiner
Rückkehr in die Schule als Held gefeiert. Doch von Kriegsverherrlichung
will er nichts mehr hören. Lucien erlebt
im Feldlazarett das Leid und den
Schrecken, den vor allem die Artillerie
den Soldaten zufügt. Er möchte unbedingt eine Auszeichnung für seine
Leistungen erhalten. Nessi lebt auf
dem Land und begrüßt den Krieg enthusiastisch. In ihrem Tagebuch bejubelt sie die deutschen Siege. Erst als sie
ihren geliebten Bruder verliert, versteht sie, was wirklich passiert.
Alexander Hogh und Jörg
Mailliet, Tagebuch 14/18.
Vier Geschichten aus
Deutschland und Frankreich. Unter Mitw. und mit
einem Vorw. von Gerd
Krumeich und Nicolas
Beaupré hrsg. von Julie
Cazier und Martin Block,
Köln: Tintentrinker 2014.
ISBN 978-3-9816323-1-6;
117 S., 20,00 Euro
24
Der Comic wurde in gemeinsamer
Arbeit für deutsche wie französische
Jugendliche und Erwachsene entwickelt und zeigt, dass die Erfahrungen,
die diese vier jungen Menschen im Ers­
ten Weltkrieg gemacht haben, jenseits
nationaler Zugehörigkeit sind. Sie
überschreiten die Grenzen, um die vor
hundert Jahren unerbittlich gekämpft
wurde.
fh
Kriegskrimi
L
eutnant Vialatte wird im Januar
1915 in die Champagne gerufen. Er
ist Gendarm und soll den mysteriösen
Mord an einer jungen Frau aufklären,
die beim Ausheben eines Grabens in
unmittelbarer Frontnähe gefunden
wurde. Bald entdecken Soldaten eine
zweite Leiche – diesmal direkt im
Schützengraben – und wenig später
wird eine dritte Frau ermordet. Die Ermittlungen führen den Leutnant in die
vordersten Linien und mitten in das
Maël/Kris, Mutter
Krieg, Bielefeld:
Splitter 2014. ISBN
978-3-86869-757-5;
256 S., 38,90 Euro
Kampfgeschehen. Vialatte muss erkennen, dass der Krieg »keine Poesie, kein
Epos, kein Abenteuer« ist, sondern nur
eine »gewaltige Verschwendung«. Im
Schmutz der Gräben, zwischen Angriff
und Verteidigung ist kriminalistische
Arbeit fast unmöglich. Auf der Suche
nach Zeugen und Beweisen landet er
immer wieder bei einer Truppe von 16
jugendlichen Strafgefangenen aus Paris,
die von einem alten Bekannten des Gendarmen geführt wird. Was wissen die
Soldaten? Was haben sie mit den Morden zu tun? Erst nach dem Krieg findet
Vialatte die Wahrheit heraus. Sie lässt
ihn bis an sein Lebensende nicht los.
»Mutter Krieg« erinnert nicht nur
wegen der Frauenmorde an Alan
Moores monumentales Werk »From
Hell« (1991–1996). Wo Moores Held
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
Frederick Abberline sich im viktorianischen London auf der Suche nach
Jack the Ripper in den Gassen von
Whitechapel verirrt, stößt Vialatte in
den Schützengräben des Ersten Weltkrieges an die Grenzen seines Glaubens und Patriotismus. Beide Comics
erzählen mehr als eine Kriminalgeschichte: Sie sind Gesellschaftsstudien
vom Rande der Menschlichkeit. Nicht
umsonst wurde das Werk der beiden
Autoren Maël und Kris zum offiziellen
Comic des 100. Jahrestags des Ersten
Weltkrieges (»La Mission du centenaire«) in Frankreich ausgewählt. Es
wird derzeit auch verfilmt. Die vier
Einzelbände, die zwischen 2009 und
2012 auf Französisch erschienen sind,
wurden nun in eine deutsche Komplettausgabe zu einem mehr als 250seitigen Album gebunden.
fh
Remarque gezeichnet ...
A
ls »ein besonders betrübendes Zeichen für den Zeitgeist im heutigen
Deutschland« des Jahres 1929 empfand
es ein kriegsgedienter Oberst a.D., dass
sich Erich Maria Remarques Roman
»Im Westen nichts Neues« in nur wenigen Wochen millionenfach verkaufen
konnte. Besagter Oberst kam jedoch
nicht umhin, den literarischen Wert
des Werkes hervorzuheben, obwohl es
»eine ungeheuerliche Beleidigung des
deutschen Heeres im Weltkriege [...]
eine Verunglimpfung des Andenkens
unserer gefallenen Kameraden« sei.
Für andere, etwa für den Schriftsteller
Carl Zuckmayer, war es »so geschrieben, so geschaffen, so gelebt, dass es
mehr wird als Wirklichkeit: Wahrheit,
reine gültige Wahrheit«.
Unerhört war das Buch für viele Deut­
sche auch deswegen, weil Re­marque
auf jedwede Wertung mit Blick auf UrPeter Eickmeyer und
Gaby von Borstel, Im
Westen nichts Neues.
Eine Graphic Novel
nach dem Roman von
Erich Maria Remarque, Bielefeld: Splitter 2014. ISBN 978-386869-679-0; 176 S.,
22,80 Euro
neue
sachen, Ziele und Folgen des Krieges
verzichtete. Seine Darstellung verwies
somit auf die Sinnlosigkeit all des
Schlachtens und all der Opfer. Die Nazis erklärten den Roman 1933 schließlich zum »undeutschen Schrifttum«
und setzten ihn auf die Liste der zu
verbrennenden Bücher.
Dieser Sinnlosigkeit des Krieges, der
Resignation, der Todesangst und all
der Gräuel in den Gräben der Westfront gibt Peter Eickmeyer in seinen
Zeichunungen zur Graphic Novel nach
dem Roman von Remarque im
wahrsten Sinn des Wortes ein Gesicht.
Für die Bearbeitung des Textes zeichnet Gaby von Borstel verantwortlich,
die letztlich die Originalvorlage gekürzt hat. Eickmeyer greift bei seinen
Graphiken auf das kollektive Bildgedächtnis zum Zeitalter der Weltkriege
zurück. Dazu zählen Gemälde von
Künstlern wie Pablo Picasso oder Otto
Dix, Fotos aus den Jahren 1914 bis 1918
oder Dokumentarfilme. Dazu zählt
aber auch die US-Verfilmung des Romans aus dem Jahr 1931, an die so manche Figur in dem Album erinnert.
Diese Graphic Novel eröffnet durch
ihre ausdruckstarken Bilder einen weiteren, spannenden Zugang zum Thema
Erster Weltkrieg und durch die umfangreichen Textauszüge aus dem Original mehr als einen bloßen Einstieg in
den – an sich schon bildgewaltigen –
Roman »Im Westen nichts Neues«.
Selbst wenn man das Buch schon kennt
oder es gar mehrfach gelesen hat: Die
gelungene Text-Bild-Komposition lässt
einen von Neuem den Helden auf seinem Weg bis zum bitteren Ende begleiten.
mt
... und vorgelesen
E
s ist die einfache, präzise und
manchmal erschreckend nüchterne
Sprache, die die Geschichte um das
(Kriegs-)Erleben und Sterben Paul Bäumers und seiner Kameraden auszeichnet. Das »unerhörte« Geschehen, das
sich jeder rationalen Erklärung entzieht, tatsächlich auch hörbar zu machen, dieser Aufgabe haben sich der
Rundfunk Brandenburg-Berlin und
der Hörverlag verschrieben: So konn-
Erich Maria Remarque, Im Westen nichts Neues. Gelesen
von August Diehl, München: Der Hörverlag 2006, 5 CDs,
367 Min. ISBN 978-3-8445-1225-0; 19,99 Euro
ten sie den Bühnen- und mittlerweile
auch international bekannten Filmschauspieler August Diehl für eine
unge­kürzte Lesung des Romans »Im
Westen nichts Neues« gewinnen. Das
Ergebnis wurde auf insgesamt fünf
CDs gebannt.
Die Stimme des Vorlesers passt wegen ihrer Jugendlichkeit in besonderer
Weise zu der Erzählung des 19-jährigen Abiturienten Bäumer, bei dem,
wie bei seinen Kameraden auch, die
anfängliche Begeisterung durch die
Schikanen bei der Ausbildung rasch
verfliegt und bei dem bald schon die
Ernüchterung des Soldaten eintritt. Zurück bleibt die blanke Realität. Die Facetten dieses kurzen, dafür aber umso
intensiveren Lebens des Protagonisten
bringt uns August Diehl gefühlvoll
nahe, etwa wenn er uns an der Angst
und der Panik Bäumers teilhaben lässt
– und dabei doch stets den eingangs
beschriebenen Duktus des Romans
wahrt, ohne in Sentimentalitäten abzugleiten. Man lauscht gebannt dem
Sprecher Diehl – und folgt dem Soldaten Bäumer durch jeden Schützengraben, in jede Schlacht. Die Tragik dieser
Geschichte prägt sich durch die Intensität des Vortrags tief ins Bewusstsein
des Hörers ein.
mt, aau
zuletzt des Öfteren in die Kritik geraten ist, unter anderem weil der Holo­
caust weitgehend ausgeblendet wird,
was jedoch von anderen wiederum als
Anknüpfungspunkt gesehen wird, um
im Unterricht den Holocaust zu thematisieren.
Das Buch gliedert sich in 32 Episoden, die die Geschichte einer Freundschaft zwischen einem jüdischen und
einem nichtjüdischen Jungen zum
Thema haben. Sie werden beide 1925
geboren und wohnen im selben Haus.
Als Erzähler tritt der namenlose nichtjüdische Junge auf, der durch das Zusammensein mit seinem Freund Frie­d­
rich die zunehmende Diskriminierung
der Juden in Deutschland erlebt: von
den anfänglichen Beschimpfungen als
»Judenbengel« in der Weimarer Republik bis zur Zerstörung jüdischer Geschäfte und Wohnungen und zum
­Angriff auf Leib und Leben der jüdi­
schen Nachbarfamilie im Nationalso­
zialismus.
Gelesen wird der Roman von Michael Degen. Der 1932 geborene Schauspieler jüdischer Herkunft hat seine
­eigene Erfahrung als jemand, der die
Zeit versteckt mit seiner Mutter bei
nichtjüdischen Freunden überlebte,
selbst in ein Buch gepackt (»Nicht alle
waren Mörder«, 2004; verfilmt 2006).
Wie die Geschichte nach und nach »aus
der heilen Kinderwelt in ein unfassbares Dunkel« abgleitet, bringt Degen
den Hörern – bis zum Tod Friedrichs
im Bombenhagel in Berlin 1942 – vermutlich nicht zuletzt wegen seiner eigenen Überlebenserfahrung mit großer
Eindringlichkeit nahe. Die Lesung erhielt eine Auszeichnung von der hr2Hörbuchbestenliste.
mt
Drittes Reich
D
as Buch »Damals war es Friedrich«
ist erstmals 1961 erschienen. Es
wurde in 13 Sprachen übersetzt und
erlebte hierzulande bislang mehr als 60
Auflagen. Es ist eines der bekanntesten
deutschen Jugendbücher zum Nationalsozialismus und wird bis heute als
Schullektüre eingesetzt, auch wenn es
Hans Peter Richter, Damals war es Friedrich. Hörbuch,
gelesen von Michael Degen, Murnau: uccello 2007,
3 CDs, 225 Min. ISBN 978-3-937337-16-6; 19,90 Euro
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25
Service
Lesetipp
Deutschland im 20. Jahrhundert
Menschenfresser Krieg
Bürgeraufstände
D
D
P
as 20. Jahrhundert – auch als das
»kurze Jahrhundert« oder »Zeitalter der Extreme« (Eric Hobsbawm) bezeichnet – ist endgültig vorbei. Dies
wird uns vor allem dann bewusst,
wenn Historiker Bilanz ziehen. Als einer der ersten stellt sich der Freiburger
Professor für Neuere und Neueste Geschichte Ulrich Herbert der Herausforderung, die deutsche Geschichte des
20. Jahrhunderts zwischen zwei Buchdeckel zu »packen«. Die erste Hälfte
des Jahrhunderts war von »Kriegen
und Katastrophen« geprägt, die zweite
Hälfte von Teilung, Wohlstand und
Stabilität und am Ende von der Überwindung der Teilung. Auch wenn
­Herbert den Bogen von 1870 bis zur
Agenda 2010 spannt, kann er nicht alle
Ereignisse beleuchten und nach ihrer
Bedeutung gewichten – so räumt er
dem »Dritten Reich« und dem Zweiten
Weltkrieg nicht mehr Seiten ein als der
Zeit zwischen 1945 und 1973. Um eine
Überblicksdarstellung vorzulegen und
keinen Datenspeicher, gilt es Schwerpunkte zu setzen und beschreibende
Kategorien zu finden. Herbert konzentriert sich auf Politik-, Wirtschafts- und
Kulturgeschichte – militärgeschichtliche Themen werden randständig behandelt. Als Signum des Jahrhunderts
identifiziert er den Wandel der Industriegesellschaft und die Konkurrenz
zwischen liberal-demokratischem Kapitalismus, Nationalsozialismus und
Kommunismus. Fazit: Den Leser erwar­
ten keine aufsehenerregenden Thesen,
sondern 1400 Seiten profunde Geschichtswissenschaft, davon 182 Seiten
Anmerkungen und Literatur. Ein Buch,
dessen Wissensfülle zu kostbar ist, um
es in den Schrank zu stellen und Allgemeinwissen vorzutäuschen – man
muss es lesen, um Deutschland im 21.
Jahrhundert zu verstehen.
Dorothee
Hochstetter
Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands
im 20. Jahrhundert,
München 2014. ISBN
978-3-406-66051-1;
1451 S., 39,95 Euro
26
er VfB Leipzig hat gerade gegen
Fürth das Endspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft verloren.
Ferdinand, 17 Jahre alt und Druckerlehrling, jubelt den Spielern trotzdem
zu. Aber sie tragen nicht ihre Trikots,
sondern Uniform, denn im Sommer
1914 ziehen sie mit dem Infanterieregiment 134 nach Frankreich. Es ist Krieg.
Ferdinands Familie ist sozialdemokratisch und unterstützt Karl Liebknecht.
Doch Anni, seine große Liebe, hat nur
noch Augen für Ernst, der in seiner
schicken Leutnantsuniform der Ulanen
durch die Stadt flaniert. Also meldet
sich Ferdinand gemeinsam mit seinem
besten Freund August heimlich als
Freiwilliger.
Elisabeth Zöller, Der Krieg ist
ein Menschenfresser, München 2014. ISBN 978-3-44624510-5; 288 S., 15,90 Euro
Fähnrich Max Quinte hat im Frühjahr
1918 keine Ahnung, warum er gemeinsam mit seinem Feldwebel auf eine
Gruppe von Soldaten schießt. Schnell
merkt er, dass es deutsche Soldaten
sind, darunter auch Ferdinand. Ein
Versehen oder ein von oben in Auftrag
gegebener Mord, um die revolutionä­
ren Umtriebe in der Armee zu unterdrü­
cken? Die Frage lässt ihm keine Ruhe.
Die fiktive Geschichte um Ferdinand
und Max verbindet zwei sehr unterschiedliche junge Männer im Ersten
Weltkrieg. Durch einen Schuss verschränken sich die Welten des Arbeiterjungen und des Bürgersohns. Elisabeth Zöller erzählt vom Alltag im
Krieg, von Schuldgefühlen und dem
Verwehen der patriotischen Stimmung
des Sommers 1914. Dabei achtet sie auf
historische Details und erklärt jüngeren Lesern die wichtigsten Begriffe
in einem umfangreichen Glossar. Der
Roman ergänzt die zahlreichen jüngst
erschienenen Sachbücher zum Ersten
Weltkrieg und gibt spannend und gefühlvoll den vielen unbekannten
Schicksalen eine Stimme.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
fh
feffer war ein Sammelbegriff für
Gewürze, ein wichtiges Mittel zur
Haltbarmachung von Lebensmitteln
und ein Fernhandelsgut. Einkauf,
Transport und Verkauf organisierten
zumeist reiche Kaufleute, die »Pfeffersäcke«, die in den Städten das Bürgerrecht besaßen. Es waren die Bürger,
nicht die Unterschichten, die sich gegen die mittelalterlichen weltlichen
oder geistlichen Stadtherren wehrten,
mehr Rechte forderten und sich Beteiligung an der Herrschaft erstritten. Zwischen 1301 und 1550 kam es in über 100
Städten des Reiches zu etwa 210 Bür­
gerunruhen. Karin Schneider-Ferber
stellt zehn davon beispielhaft vor: Köln
(zweimal), Leipzig, Worms, Erfurt,
Augsburg, Braun­schweig, Ulm, Wismar und Münster. Dabei skizziert sie
auch die Fernhandelsrouten und die
komplizierten, regional unterschiedlichen Herrschaftsverhältnisse.
Die damals strittigen Themen klingen z.T. ziemlich modern: ungerechte
Steuerlasten, Geldverschwendung,
Amtsmissbrauch, Krieg- und Fehdeführung zum Nachteil des Gemeinwesens, willkürliche Rechtsprechung,
mangelnde Kontrolle der Entscheidungsgremien. Ähnlich aktuell muten
die Forderungen an: erhöhte Bürgerbeteiligung in der Politik, mehr Transparenz in Steuer- und Finanzverwaltung
sowie stärkere Kontrolle der Regierung. Damals entwickelten die Bürger
ein großes Arsenal an Konflikt- und
Schlichtungsritualen: den bewaffneten
Auflauf vor dem Rathaus; die Bildung
eines Ausschusses, der die Beschwerden vortrug; die Übergabe der Machtinsignien, wie etwa Siegel oder Stadtkasse.
Es folgte eventuell der bewaffnete Aufstand oder aber eine neue Stadtverfassung. Alles in allem: ein gut lesbares
Buch mit durchaus hohem Aktualitätsbezug.
hp
Karin Schneider-Ferber,
Aufstand der Pfeffersäcke.
Bürgerkämpfe im Mittelalter, Darmstadt 2014.
ISBN 978-3-8062-0012-6;
240 S., 24,95 Euro
Jüdisches Leben
Unbekannte Verschwörer
Antworten zum Ersten Weltkrieg
M
V
B
ehr als 300 000 jüdische Soldaten
zogen im Ersten Weltkrieg für
die k.u.k. Armee in den Krieg. Dies war
möglich, da sie 1867 bürgerliche Rechte
erhielten, was viele Juden den Kaiser
unterstützen ließ, trotz des parteien­
übergreifenden Antisemitismus. Der
Umstand, dass sich im Ersten Weltkrieg
Juden als Feinde gegenüber standen,
warf Fragen zur Loyalität gegenüber
dem Vaterland und zu ihrer Identität
als gemeinsames jüdisches Volk auf.
Das Buch zur gleichnamigen Ausstellung im Jüdischen Museum Wien zeigt
die zahlreichen Facetten jüdischen
­Lebens dieser Zeit in Österreich-Ungarn auf. Das Aufeinandertreffen von
verschiedenen Interpretationen und
Praktiken des jüdischen Glaubens
durch­zieht die Beiträge des Bandes. Sie
Marcus G. Patka
(Hrsg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben
und Sterben im Ersten
Weltkrieg, Jüdisches
Museum Wien, Wien
2014. ISBN 9783222134340; 256 S.,
24,99 Euro
behandeln im Schwerpunkt jüdische
Soldaten, zudem Feldrabbiner, die
Rolle jüdischer Frauen sowie Antisemitismus in den deutschen Streitkräften. Ein weiterer Fokus liegt auf der
Nachkriegszeit, dem Schicksal jüdi­
scher Flüchtlinge sowie dem Engagement unterschiedlichster Gruppen in
der jüdischen Gemeinde.
Zu erwähnen sind außerdem die Biografien im Anhang, die einen Überblick über Lebensentwürfe und politi­
sche Einstellungen von Juden in dieser
Zeit liefern. Der Begleitband mit dem
Titel »Weltuntergang« markiert den
Ersten Weltkrieg als einen Umbruch,
nach welchem sich politische und religiöse Strömungen verhärteten und der
mit dem Zusammenbruch der Donaumonarchie die zunehmende Ausgrenzung der jüdi­schen Bevölkerung bewirkte. Die Auto­rinnen und Autoren
unternehmen einen wichtigen Schritt,
um eine weitere Forschungslücke zum
jüdi­schen Leben in dieser Zeit zu
schließen.
Laura Haendel
or 70 Jahren sollte die Herrschaft
des Nationalsozialismus in
Deutsch­land mit dem Attentat des
20. Juli 1944 auf Adolf Hitler ein Ende
finden. Durch den langanhaltenden
verlustreichen Krieg, den Beginn massiver Verfolgungsmaßnahmen gegen
Juden und die brutale deutsche Besatzungspolitik wandten sich einige ehemalige Befürworter vom NS-System ab
und schlossen sich dem Widerstand
an. Die beiden Autoren verdeutlichen
in ihrem Buch »Stauffenbergs Gefährten« mit Biografien von zehn Personen,
was außerhalb des Zentrums um Claus
Schenk Graf von Stauffenberg geschah.
Denn meist ist der Umfang des Widerstandes den heutigen Zeitgenossen
kaum bekannt. Im teilweise erstaunlichen Netzwerk – von familiären, berufsbezogenen, freundschaftlichen
Verbindungen von Personen aus dem
Adel, der Wehrmacht und Verwaltung
– war der persönliche Anteil am Staatsstreich höchst unterschiedlich. Im
Mittel­punkt des Interesses stehen die
einzelnen Personen mit ihrer individuellen Geschichte, ihren Zweifeln, Irrtümern, aber auch ihrem unerschrocke­
nem Mut, viel, ja alles zu wagen und
nicht nur das eigene Leben zu riskieren, sondern auch das der Angehörigen. Jede Biografie steht für sich – und
doch wird dem Leser schnell deutlich,
dass eine Gesamtheit dieses Buch
prägt: die Gegnerschaft zum NS-Regime und der Wille, etwas tun zu wollen. Mit Interviewbeiträgen von Zeitzeugen wie Richard von Weizsäcker
und Ewald-Heinrich von Kleist gelingt
eine äußerst lesenswerte und fesselnde
Geschichte über Persönlichkeiten, die
mit ihrem Wirken zu einem prägenden
histo­rischen Ereignis beigetragen haben – jede und jeder in individueller
Weise und nach seinen/ihren Möglichkeiten.
aau
Antje Vollmer und LarsBroder Keil, Stauffenbergs
Gefährten. Das Schicksal
der unbekannten Verschwörer, München 2013.
ISBN 978-3446241565;
256 S., 19,90 Euro
estimmt ließen sich die meisten der
101 hier gestellten Fragen mit Wikipedia beantworten. Doch herrscht
zumal beim Laien oftmals Unsicherheit über die Zuverlässigkeit der im
www gebotenen Informatio­nen. Hier
vermag das schmale Bändchen des
hochangesehenen Experten Gerd Krum­
eich allemal abzuhelfen. Kurz und
kompakt werden sowohl allbekannte
Fragen wie die Kriegsschuldfrage oder
jene nach der Zahl der Kriegsopfer abgehandelt. Aber auch vermeintliche
Kuriosa der Zeit oder Mythen werden
angesprochen und vom Autor schlüssig
aufgeklärt, etwa bei der Beantwortung
der Frage 17, ob französische Soldaten
wirklich im Taxi zur Marneschlacht
verbracht worden sind (ja, rund 4000,
soviel sei hier verraten).
Gerd Krumeich,
Die 101 wichtigsten
Fragen – Der Erste
Weltkrieg, München
2014. ISBN 3-40665941-6; 150 S.,
10,95 Euro
Die Fragen sind in insgesamt sieben
Komplexe zusammengefasst: Vorkriegszeit und Julikrise, Das große
Schlachten, Politik im Krieg, Front und
Heimat, Kultur, Technik und Wirtschaft, Kriegsende und Kriegsfolgen.
Der Schwerpunkt der Fragen liegt eindeutig auf der Erlebnis- und Kulturgeschichte des Krieges. Zugleich bringt
Krumeich dem Leser vernachlässigte
militärische Aspekte nahe, indem er
über die Reichweite von Kanonen erzählt oder die Größe eines Regiments
beschreibt. Oftmals regt allein die Art
der Fragestellung zur Lektüre an: »Mit
welcher Nation war Gott?« Und einige
der Fragen mag sich vielleicht auch so
mancher Weltkriegshistoriker so noch
nicht gestellt haben: »Wieso war das
Feuer eine Walze?« Gerd Krumeich liefert kurzweilige Antworten für Laien,
für Kollegen der Zunft jedoch eine
Steilvorlage, wie Geschichte auch anders erzählt werden kann.
mt
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
27
Service
Die historische Quelle
Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, Dresden
Roennes Kassiber aus der Haft 1944
eben den 150 bis 200 Personen, die sich aktiv an der
Vorbereitung und der Durchführung des Attentates
auf Hitler und des Staatsstreichversuches vom 20. Juli
1944 beteiligten, gab es eine große Anzahl von Eingeweihten, die nicht am eigentlichen Umsturz mitwirkten.
Auch Oberst i.G. Alexis Freiherr von Roenne, Chef der
Abteilung »Fremde Heere
West« im Oberkommando
des Heeres, zählte zu diesem Personenkreis.
Nachdem er zu Beginn des
Ostfeldzuges von Massen­
erschießungen und Hinrichtungen an Juden erfahren
hatte und mit wachsender
Enttäuschung die militäri­
schen Fehl­entscheidungen
Hitlers sowie die Tatenlosigkeit der hohen Militärs be­
5Alexis Freiherr von Roenne. obachtet hatte, distanzierte
er sich vom Nationalsozialismus und vom Regime. Roenne war nicht nur in seinem
Umfeld, sondern auch bei den Nationalsozialisten als Regimegegner bekannt. Er hatte zu den zentralen Personen
des militärischen Widerstandes Kontakt und war über
die Umsturzpläne informiert. Aus Gewissensgründen
lehnte er eine aktive Teilnahme an einer gewaltsamen Beseitigung des Regimes ab. Da er sich aber in den Tagen
um den 20. Juli 1944 im Bendlerblock, der
Umsturzzentrale, aufgehalten
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28
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
hatte, wurde er unmittelbar nach dem Attentat verhaftet,
jedoch kurz darauf wieder frei gelassen, um Anfang
­August 1944 erneut festgenommen zu werden. Der Prozess vor dem Volksgerichtshof fand am 19. und 20. September 1944 statt. Roland Freisler, der Präsident des
Volksgerichtshofes, war mit dem Verlauf der Verhandlung nicht einverstanden, weswegen er persönlich die
Prozessführung übernahm. Nur wenige Tage später, am
5. Oktober 1944, wurde Roenne zum Tode verurteilt. Eine
Woche später, am 12. Oktober 1944, wurde er in der Strafanstalt Plötzensee hingerichtet.
Das Militärhistorische Museum hat die Kassiber, die
Roenne in seiner Gefängniszelle an seine Frau schrieb, als
Leihgabe aus Privatbesitz gewinnen können. Ausführlich
beschreibt er darin die für Deutschland aussichtslose militärische Lage im Sommer 1944 und immer wieder
spricht der gläubige Christ von der schweren Schuld, die
das deutsche Volk in diesem Krieg auf sich geladen habe.
Er versucht seiner Frau die Motive und die Ziele der Verschwörer und die Notwendigkeit ihres Handelns zu erklä­
ren. Die Kassiber wurden zum Teil von seinem Anwalt,
der Roenne vor dem Volksgerichtshof zu verteidigen
hatte, zum Teil aber auch von einem Wärter, einem ehemaligen Schulkameraden des Inhaftierten, aus dem Gefängnis herausgeschmuggelt.
In dem hier abgebildeten Kassiber vom 1. Oktober 1944
wagt Roenne zuletzt eine Prognose für die historische Bedeutung des Umsturzversuches, nämlich dass
die Gesinnung der Offiziere vom 20. Juli 1944
möglicherweise einmal als geistige Grundlage
für den Aufbau eines neuen deutschen Heeres
dienen könnte: »Ihre Ziele sind rein gewesen
wie ihr Idealismus. Ihre Gesinnung wird vielleicht einmal wieder geistiger Anknüpfungspunkt für ein deutsches Heer in ferner Zukunft werden, denn sie haben bewiesen, dass
der deutsche Generalstab sein Volk nicht
widerstandslos in’s Verderben führen ließ,
sondern sich unter Einsatz seines Lebens
vor die Räder warf. Das ist stolz u. zukunftsweisend!«
Linda v. Keyserlingk
Die Sonderausstellung im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in
Dresden »Attentat auf Hitler. Stauffenberg und mehr« zeigt noch bis 4. November 2014 die Vielfalt und Komplexität eines Umsturzversuches, der jahrelang vorbereitet worden war und
schließlich auf dramatische Weise scheiterte. Originale
Exponate aus den Nachlässen der Beteiligten ergänzen
die 20 Ausstellungstafeln, die auch als Wanderausstellung angefragt werden können.
5. November 1414
22. September 1964
Beginn des Konzils von Konstanz
Erstflug Lockheed SR-71 »Blackbird«
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts stand die Welt vor dem Anbruch eines neuen Zeitalters. Zwar befand sich Konstantinopel noch nicht in der Hand der Osmanen, die europäische Expansion hatte noch nicht begonnen und Martin Luther noch keine 95 Thesen angeschlagen. Aber die alte Welt
war bereits aus den Fugen geraten. Schon seit 1378 regierte
ein zweiter Papst in Rom, die weströmische Kirche war gespalten. Als 1409 in Pisa sogar noch ein dritter Papst gewählt wurde, beriefen der römisch-deutsche König und
spätere Kaiser Sigismund (1368-1437) und Gegenpapst Johannes XXIII. (1370-1419) ein Konzil nach Konstanz ein. Die
Versammlung des Klerus sollte das Schisma beenden und
wichtige innerkirchliche Reformen vorantreiben. Insbesondere sollte sich die Kirche als Einheit gegen die »ketzerischen« Umtriebe stellen. Denn bereits vor Luther gab es
heftige Kritik und Reformbewegungen innerhalb des Klerus. Schon der englische Theologe John Wyclif (ca. 13301384) hatte für Unruhe gesorgt; nun waren es vor allem die
böhmischen Prediger Jan Hus (ca. 1369-1415) und Hieronymus von Prag (ca. 1379-1416), die eine große Anhängerschaft, die Hussiten, hinter sich versammeln konnten und
eine Erneuerung der Kirche forderten.
Vier Jahre lang tagten und feierten 600 Kleriker und über
70 000 weitere Gäste in der kleinen Stadt am Bodensee. Die
Gegenpäpste Johannes XXIII. und Benedikt XIII. wurden
abgesetzt, der eigentliche Papst Georg XII. trat freiwillig zurück. So konnte im November 1417 vom Konzil ein neuer
Papst gewählt werden: Martin V. Das Große Abendländische Schisma war beendet. Das Konzil erklärte Wyclif
posthum zum Ketzer und verbot seine Schriften. Am 6. Juli
1415 wurde Hus und ein Jahr später auch Hieronymus von
Prag als Ketzer auf dem Scheiterhaufen in Konstanz verbrannt. Daraufhin kam es in Böhmen zu Aufständen der
Hussiten, die sich in der Folge zu den sogenannten Hussitenkriegen (1419–1439) ausweiteten.
Nach außen hatte die Kirche durch die Einigung und das
rigorose Vorgehen gegen die »Ketzerei« Stärke und Geschlossenheit gezeigt, doch die dringenden inneren Reformen waren in Konstanz nicht auf den Weg gebracht worden. Auch die nachfolgenden Konzile lösten keines der innerkirchlichen Probleme. Erst hundert Jahre später, durch
die von Martin Luthers 95 Thesen ausgelöste »Reformation«, war die katholische Kirche dann gezwungen, die bis
dahin immer wieder aufgeschobenen Veränderungsprozesse anzustoßen.
fh
1960 wurde ein hoch und langsam fliegendes Spionageflugzeug U-2 der Central Intelligence Agency (CIA) von sowjetischen Luftabwehrraketen abgeschossen. Damit war eingetreten, was die Experten des US-Auslandsnachrichtendienstes schon länger befürchtet hatten. Um weiter gefahrlos Spionageflüge betreiben zu können, hatte die CIA bereits
Ende der 1950er Jahre bei der amerikanischen Flugzeugbaufirma Lockheed ein schnell fliegendes Aufklärungsflugzeug in Auftrag gegeben.
Entwickelt wurde daraufhin die schnell und hoch fliegende A-12. Die technischen Herausforderungen, die es zu
bewältigen galt, waren beträchtlich. Die geplante dreifache
Schallgeschwindigkeit des Flugzeuges erhöhte die Reibungshitze, die durch den Widerstand der Hülle mit der
Luft entstand, auf gefährliche dreistellige Temperaturen.
Normale Flugzeugbaustoffe begannen dabei zu schmelzen.
Daher musste das bis heute kostspielige Titan als zentraler
Baustoff Verwendung finden. Mehrfache Tarnmaßnahmen
(Stealth) sollten die A-12 zudem vor der Erfassung durch
Radar schützen, darunter ein radarabsorbierender Anstrich.
Gegen Fremdortung wurde sogar radioaktives Cäsium in
den Triebstoff gegeben, um die Radarsignatur des Abgasstrahls zu verringern.
Ab 1967 flogen die A-12 Spionageflüge über Vietnam,
Nordkorea und dem Nahen Osten. Allerdings erwies sich
die zweisitzige Variante namens SR-71 als flexibler, da sie
im Gegensatz zum Einsitzer noch mehr Aufklärungsgeräte
wie Kameras, Radargeräte und Infrarotsensoren mitführen
konnte. Ihr Erstflug fand am 22. September 1964 statt. Ab
1968 wurde die SR-71 für Spionageflüge auch über der Sowjetunion genutzt.
Bei einer Reisegeschwindigkeit von Mach 2,8 (3000 km/h)
und einer Maximalgeschwindigkeit von Mach 3,3 (3550
km/h) waren die in einer Höhe von ca. 25 km fliegenden
amerikanischen Aufklärer für die sowjetische Luftabwehr
zwar zu orten, aber nicht zu bekämpfen.
Keine einzige SR-71 wurde seit Indienststellung abgeschossen oder stürzte über fremdem Territorium ab. In den
1970er Jahren wurden mit dem Flugzeugtyp einige Rekorde erflogen, die zum Teil bis heute Gültigkeit haben. So
flog eine SR-71 mit einer dafür notwendigen Luftbetankung
die Strecke New York–London in knapp zwei Stunden.
Hauptsächlich infolge der verbesserten Technik der Spionagesatelliten wurden die SR-71 Ende der 1990er Jahre außer
Dienst gestellt.
Jens Wehner
pa/DoD
pa/Keystone
Geschichte kompakt
3Dreiköpfiger Pfau
mit Papstkronen
auf dem Kaiserbrunnen in Konstanz, 2014.
3Lockheed SR-71
»Blackbird«.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
29
Ausstellungen
• Berlin
• Koblenz
1914–1918.
Der Erste Weltkrieg
Deutsches Historisches
Museum
Unter den Linden 2
10117 Berlin
Tel.: 0 30 / 20 30 40
www.dhm.de
bis 7. Dezember 2014
täglich
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 8,00 Euro
(unter 18 Jahren frei)
Verdun – 100 Jahre
danach. Eine deutschfranzösische Spurensuche
Landesmuseum
­Koblenz
Festung Ehrenbreitstein
56077 Koblenz
Tel.: 02 61 / 66 75 0
www.diefestungehren
breitstein.de
bis 26. Oktober 2014
täglich
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 6,00 Euro
(Kombiticket Festung
und Seilbahnfahrt hin
und zurück: 11,80 Euro)
ermäßigt: 4,00 Euro
(Kombiticket: 6,90 Euro)
• Dresden
14 – Menschen – Krieg
Militärhistorisches
­Museum der Bundeswehr
Olbrichtplatz 2
01099 Dresden
Tel.: 03 51 / 82 32 85 1
www.mhmbw.de
bis 24. Februar 2015
Montag
10.00 bis 21.00 Uhr
Donnerstag bis Dienstag
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 5,00 Euro
ermäßigt: 3,00 Euro
(für Bundeswehr-Angehörige Eintritt frei)
Attentat auf Hitler.
Stauffenberg und mehr
Militärhistorisches
­Museum der Bundeswehr
bis 4. November 2014
• Essen
1914 – Mitten in Europa
LVR-Industriemuseum
UNESCO-Welterbe
Zollverein, Areal C
­(Kokerei)
Arendahls Wiese
45141 Essen
02 01 / 12 46 81 44 4
www.1914-ausstellung.de
bis 26. Oktober 2014
täglich
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 10,00 Euro
ermäßigt: 7,00 Euro
30
• Münster
Pferd und Krieg
Westfälisches
Pferdemuseum im
Allwetterzoo Münster
Sentruper Str. 311
48161 Münster
Tel.: 02 51 / 48 42 70
www.pferdemuseum.de
bis 26. Oktober 2014
täglich
9.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt (inkl. Allwetterzoo): 16,90 Euro
ermäßigt: 11,90 Euro
• Munster
»Was damals Recht
war…«
– Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der
Wehrmacht
Deutsches Panzer­
museum
Munster
Hans-Krüger-Str. 33
29633 Munster
Tel.: 0 51 92 / 25 55
www.deutsches­panzermuseum.de
bis 30. Nov. 2014
Juni bis September
täglich
10.00 bis 18.00 Uhr
Okt. und Nov.
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt frei (Sonder­
ausstellung)
• Wesel
Playing Lawrence on
the other side.
Die Expedition
Klein und die deutsche
Orientpolitik im Ersten
Weltkrieg
Preußen-Museum
Nordrhein Westfalen
An der Zitadelle 14–20
46483 Wesel
Tel.: 02 82 / 33 99 6 – 30 0
www.rheinland1914.lvr.de
26. Oktober 1914 bis
25. Januar 2015
Dienstag bis Sonntag
11.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt: bitte anfragen
(bei Redaktionsschluss
noch unbekannt)
• Wilhelmshaven
Die Flotte schläft im
Hafen ein.
Kriegsalltag 14/18 in
Matrosen-Tagebüchern
Deutsches Marine­
museum
Südstrand 125
26382 Wilhelmshaven
Tel.: 04 42 1 / 40 08 40
www.marinemuseum.de
bis 31. Oktober 2014
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 9,50 Euro
ermäßigt: 5,00 Euro
Operation Heimkehr.
Bundeswehrsoldaten
über ihr Leben nach
dem Auslandseinsatz
Deutsches Marine­
museum
Dezember 2014
bis 29. März 2014
täglich 10.00 bis 17.00 Uhr
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
Militärgeschichte
Heft 4/2014
Service
Zeitschrift für historische Bildung
 Vorschau
Militär und Raum bilden die Überschrift des
nächsten Heftes. Den Anfang macht dabei
Sebas­tian Rosenboom, der von den Schwierigkeiten erzählt, welche die Fliegertruppe an
der Ostfront von 1914 bis 1918 zu bewältigen
hatte. Sie musste, im Vergleich zu ihren Kameraden an der Westfront, größere Entfernungen überwinden und sah sich mit schlechterer Infrastruktur konfrontiert. Zudem traf
sie auf eine Bevölkerung, deren Sprache sie
kaum verstand und deren Lebensweise und
Mentalität ihr fremd blieb. Da die Aktivitäten
des Gegners in der Luft vergleichsweise gering waren, steht folglich die Meisterung des
Raumes und nicht der Luftkampf im Zentrum der Fliegermemoiren der 1920er und
1930er Jahre.
Afro-Amerikaner hatten einen immensen
sozialen Raum zu überwinden, bevor sie in
ihrer Heimat als Piloten zugelassen wurden.
In beiden Weltkriegen herrschte bei den USamerikanischen Streitkräften zudem Rassentrennung. Stefan Kontra beleuchtet dies am
Beispiel der »Tuskegee Airmen«, einer rein
schwarzen Fliegereinheit in der United States
Army Air Force 1941–1945.
Bevor ein Waffensystem in die Streitkräfte
eingeführt wird, vergehen Jahre, wenn nicht
Jahrzehnte. Von der Idee bis zur Auslieferung gilt es, viele Hindernisse und Bedenken
in den politischen, sozialen und gesellschaftlichen Räumen zu überwinden bzw. zu zerstreuen. Heiner Möllers zeichnet die Geschichte des Jägers 90 bzw. des Eurofighters
nach.
Raum, Zeit, Kräfte und Information sind
die klassischen militärischen Faktoren, die
sich in den letzten 150 Jahren massiv verändert haben. Klaus-Jürgen Bremm geht diesem Aspekt nach und analysiert die Rolle der
Telegrafie in den Einigungskriegen 1864, 1866
und 1870/71.
hp
Militärgeschichte im Bild
Namibias Weg in die
Unabhängigkeit 1989/90
O
ullstein bild/Photo 12
hne Zweifel stehen die Jahre
1989/90 weltweit für eine politische Zäsur. Das gilt für die Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung, das Ende der chilenischen Militärdiktatur, den Tod des
iranischen Revolutionsführers Ajatollah Khomenei oder den endgültigen
Abzug der Sowjetunion aus Afghanistan ebenso wie für den aus deutscher Sicht besonders bedeutenden gesellschaftlichen Umbruch in der DDR
und die Überwindung der politischen
Teilung Europas. In diese Kette historischer Ereignisse reihte sich auch die
Beendigung eines besonders langwierigen Konfliktes im südlichen Afrika
ein: die Loslösung Namibias von südafrikanischer Verwaltung und Besatzung sowie die friedliche Hinführung
des Landes in Unabhängigkeit und
Freiheit durch einen von den Vereinten
Nationen unterstützten politischen
Prozess.
5Die Befreiungsbewegung Namibias
führte ab Mitte der 1960er Jahre einen
bewaffneten Kampf für die Unabhängigkeit des Landes.
Die vielschichtige Namibia-Frage
war stets verwoben mit der wechselvollen Geschichte des Landes zwischen
südlichem Oranjefluss und nördlichem
Owamboland an der Grenze zu ­Angola.
Bis heute als koloniales Schutzgebiet
»Deutsch-Südwestafrika« (1884–1915)
des Deutschen Kaiserreiches eingebrannt in das deutsch-namibische
Gedächt­nis, waren es bis 1989/90 beson­
ders zwei Faktoren, die Namibias Entwicklung maßgeblich beeinflussten:
Die Republik Südafrika setzte ihre
regio­nale Vormachtstellung in »Südwestafrika« durch, indem sie dem ihr
1920 als Verwaltungsmandat übertragenen Territorium nicht zu seiner vorgesehenen Souveränität verhalf, sondern das Gebiet als eine ihr zustehende
Provinz betrachtete. Ab 1962 forcierte
sie nicht nur den infrastrukturellen
und administrativen Ausbau ihrer dortigen kolonialen Besatzung, sondern
betrieb zudem ab 1964, beruhend auf
dem sogenannten Odendaal-Plan, die
Einrichtung von Regionalgebieten auf
ethnischer Basis (»Homelands«) und
somit die faktische Aufspaltung der
namibischen Gesellschaft nach dem
Vorbild der südafrikanischen Rassentrennung (Apartheid).
Zwar entzogen die Vereinten Nationen 1966 Südafrika das Mandat für
­Namibia, was Südafrika jedoch nicht
akzeptierte. Die Bestimmungen der
Apartheid setzte die südafrikanische
Verwaltung als Instrument ihrer Vorherrschaft in Namibia weiter restriktiv
durch. Rassistisch motivierte Verbote
und die politische Willkür gegenüber
den nicht-weißen Bevölkerungsgruppen galten somit in Windhuk wie in
Kapstadt oder Johannesburg.
In Südwestafrika formierten sich in
den 1960er Jahren bewaffnete Kräfte
gegen die südafrikanische (Besatzungs-)Politik. Politisch führte den Widerstand die Südwestafrikanische
Volksorganisation (South-West Africa
People‘s Organisation, kurz SWAPO).
Sie war 1960 unter Sam Nujoma aus
verschiedenen Widerstandsgruppen
gegründet worden und ging ab 1966
besonders von Angola aus auch mit
Waffengewalt gegen die südafrikanische Besatzung vor. Verflochten war
der von der SWAPO vorangetriebene
Kampf um Namibias Unabhängigkeit
somit mit dem seit 1975 (bis 2002) heftig wütenden Bürgerkrieg in Angola,
in den die Sowjetunion und Kuba einerseits, die Vereinig­ten Staaten von
Amerika und vor allem Südafrika andererseits militärisch eingriffen und
der dem Land am Kap der Guten Hoffnung unter der verharmlosenden Bezeichnung »Buschkrieg« in Erinnerung
blieb. Die sich somit auf verschiedenen
Ebenen darstellende Krisensituation
im Südwesten Afrikas war zu einem
Stellvertreterkonflikt zwischen den
Ost- und Westmächten des Kalten
Krieges mutiert, in dem sich als nicht
unwesentlicher Randaspekt auch eine
oft vergessene Facette der deutsch-namibischen Beziehungen entwickelte.
Denn im Zuge der sowjetischen
Marschrichtung in Afrika hatte die von
Ost-Berlin aus regierende So­zialis­
tische Einheitspartei Deutschlands
(SED) die DDR ab 1960 innerhalb des
brisanten Deutschlandkonfliktes und
in Abgrenzung zur Bundesrepublik als
antikolonialen Stützpfeiler der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegung
positioniert, auf den auch die SWAPO
gerne zurückgriff.
1962 besuchte Sam Nujoma erstmals
die DDR, im August 1989 war er der
letzte prominente Repräsentant Afrikas, der dem ostdeutschen Staat kurz
vor seinem Untergang noch einmal einen Besuch abstattete. Ihren Schlusspunkt fand diese intensive namibischostdeutsche Liaison unter der Obhut
der Vereinten Nationen: Seit 1978 hatten sie in langjährigen Verhandlungen
einen Fahrplan entworfen, der Namibia schließlich von April 1989 bis März
1990 unter Aufsicht einer UN-Friedensmission in die Unabhängigkeit führte.
Sowohl die DDR als auch die Bundesrepublik beteiligten sich vor Ort an dieser Mission (siehe hierzu in diesem
Heft S. 14–17).
Daniel Lange
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014
31
ZMSBw
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Sozialwissenschaften der Bundeswehr
z.Hd. Frau Christine Mauersberger
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die sich mit den Interessenten in Verbindung
setzen wird.
»Vom Einsatz her denken!« Bedeutung und Nutzen von Militärgeschichte zu Beginn
des 21. Jahrhunderts. Mit Beiträgen von Donald Abenheim, Eberhard Birk, Bernhard
Chiari, Antje Dierking, Axel F. Gablik, Winfried Heinemann, Hans-Hubertus Mack und
Peter Andreas Popp. Im Auftrag des ZMSBw hrsg. von Dieter H. Kollmer, Potsdam:
ZMSBw 2013, 107 S. (= Potsdamer Schriften zur Militärgeschichte, 22), 9,80 Euro
Loretana de Libero, Rache und Triumph.
ISBN 978-3-941571-26-6
Krieg, Gefühle und Gedenken in der Moderne,
München: Oldenbourg 2014 (= Beiträge zur
Militärgeschichte, 73)
X, 447 S., 39,95 Euro
ISBN 978-3-486-71348-0
Abonnement
Jahresabonnement: 14,00 Euro
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Anfrage)
Kündigungsfrist: 6 Wochen zum
Ende des Bezugszeitraumes.
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331/9714 599 [email protected]
el.: 0978-3-7930-9771-6
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Mail: Christin
www.zmsbw.de
www.mgfa.de
Piraterie in der Geschichte. Mit Beiträgen von Robert Bohn, Martin Hofbauer, Teresa
Modler, Gorch Pieken und Martin Rink. Im Auftrag der Deutschen Kommission für
Militärgeschichte sowie des ZMSBw hrsg. von Martin Hofbauer, Potsdam: ZMSBw 2013, V,
85 S. (= Potsdamer Schriften zur Militärgeschichte, 21), 9,80 Euro
ISBN 978-3-941571-25-9
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