Intrazelluläre bakterielle Endosymbiosen in Insekten

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Intrazelluläre bakterielle Endosymbiosen
in Insekten
Roy Gross, Evelyn Zientz und Heike Feldhaar
Biozentrum, Universität Würzburg
Insekten gehören sowohl was ihre Artenzahl als auch ihre Biomasse betrifft zu den
erfolgreichsten Tieren auf der Erde. Sie
sind in fast allen terrestrischen Ökosystemen zu finden, bis hin zu lebensfeindlichen Wüsten. Einige Insekten haben sich
selbst an das Wasser als Lebensraum
angepasst. Ein Schlüssel zu ihrem Erfolg
liegt vermutlich in der Tatsache begründet,
dass es Insekten gelungen ist, in vielfältiger Weise Symbiosen mit Tieren,
Pflanzen, Pilzen und Bakterien einzugehen.
Dieser Beitrag gibt einen Einblick in einige
ausgewählte mutualistische Assoziationen
von obligat intrazellulären Bakterien mit
Insekten. In den letzten Jahren sind einige
dieser Lebensgemeinschaften ins Rampenlicht gerückt, da der Vergleich von „gutartigen“ symbiotischen Wechselbeziehungen
mit parasitären Interaktionen, etwa von
pathogenen Bakterien mit Menschen und
Tieren, interessante Einblicke in allgemeine mechanistische Prinzipien der Evolution der Interaktion von Bakterien mit
höheren Wirtsorganismen liefern kann.
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Abb. 1: Dichtgepackte intrazelluläre Bakterien in einer Bakteriozyte im Mitteldarm von Polyrhachis
armata
왘 Es gibt Schätzungen, nach denen bis zu
20 Prozent aller Insekten in obligater Lebensgemeinschaft mit intrazellulären symbiotischen Bakterien leben[1]. Die erste jemals beschriebene symbiotische Interaktion zwischen Bakterien und Tieren war die
Symbiose von Rossameisen mit Bakterien[2, 3]. Oftmals finden sich solche Symbiosen in Insekten, denen es im Laufe der Evolution gelungen ist, sich an besondere Nährstoffquellen anzupassen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass wichtige Nährstoffe wie essenzielle Aminosäuren oder Vitamine fehlen oder nur in sehr geringen Mengen vorhanden sind. Deshalb wird angenommen, dass diese symbiotischen Gemeinschaften mit Bakterien meist der Nahrungsergänzung der Tiere dienen[1]. Besonders gut untersuchte Beispiele hierfür sind
die Symbiosen von Blattläusen mit Bakterien der Gattung Buchnera, von Tsetse-Fliegen mit Wigglesworthia und von Rossameisen
mit Blochmannia, die auch als primäre Endosymbionten (P-Symbionten) bezeichnet
werden[4, 5]. Diese Bakterien gehören zur
Gruppe der γ-Proteobakterien und haben einen gemeinsamen Vorläufer mit Enterobakterien. Sie werden strikt vertikal übertragen und kommen im Gegensatz zu den sekundären Symbionten (S-Symbionten) ausschließlich intrazellulär in spezialisierten
Wirtszellen, den Bakteriozyten, und im reproduktiven Gewebe der Tiere vor. Obwohl
ebenfalls maternal weitergegeben, können
die S-Symbionten auch horizontal übertragen werden und finden sich in unterschiedlichen Geweben der Wirtstiere. Im Gegensatz zu P-Symbionten sind S-Symbionten
häufig in vitro kultivierbar. Diese S-Symbionten und auch parasitäre Bakterien der Gattung Wolbachia, deren Interaktion mit dem
Wirt zu einer Reihe von reproduktiven
Störungen der Tiere führt, die der weiteren
Verbreitung der Bakterien dienlich sind,
werden hier nicht behandelt; es sei auf die
weiterführende Literatur verwiesen[6, 7].
Lange Zeit wurde die Arbeit mit solchen
primären Symbiosen durch die Tatsache erschwert, dass sich die bakteriellen Partner
nicht in vitro kultivieren lassen. Erst kürzlich hat die moderne Genomforschung neue
Wege der Analyse solcher Bakterien ermöglicht, und die Genomsequenzen mehrerer
der oben genannten obligaten P-Symbionten sind mittlerweile ermittelt worden. Dabei haben sich einige erstaunliche Gemeinsamkeiten dieser Bakterien ergeben (Tab. 1).
Besonders auffallend ist der meist extrem geringe GC-Gehalt und die geringe Größe dieser Genome, die sich im Bereich von 450–
800 kBp bewegen und damit etwa vier- bis
sechsmal kleiner sind als die von frei lebenden Enterobakterien wie E. coli[8, 9, 10]. Die
Reduktion der genetischen Information betrifft dabei mit Ausnahme von grundlegenden Funktionen, die an der Transkription
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Tab. 1: Vergleich wichtiger Eigenschaften einiger Bakteriozyten-Endosymbionten von Insekten
Genus
Buchneraa)
Blochmanniab)
Wigglesworthiac)
Carsonella
Wirtsorganismus
Blattläuse
Rossameisen
Tsetse-Fliege
Blattflöhe
Wollläuse
Hauptfutterquelle der Wirtstiere
Phloemsaft
Allesfresser
Blut
Phloemsaft
Phloemsaft
Tremblaya
Alter der Symbiose (Millionen Jahre)
115–230
50–70
50–70
100–250
100–200
Proteobakterielle Gruppe
γ
γ
γ
γ
β
Engster freilebender Verwandter
E. coli
E. coli
E. coli
P. aeruginosa
B. mallei
Genomgröße (kBp)
450–641
705–792
698
nb
nb
GC-Gehalt (mol%)
25–26
27
22
20
57
a) 3 Buchnera–Genome sequenziert (B. aphidicola APS, B. aphidicola SG und B. aphidicola BP)
b) 2 Blochmannia–Genome sequenziert (B. floridanus und B. pennsylvanicus)
c) 1 Wiggleworthia–Genom sequenziert (W. glossinidiae)
nb = nicht bestimmt
und Translation beteiligt sind, fast alle funktionellen Kategorien. Besonders interessant
ist die Tatsache, dass diese Bakterien nicht
mehr zur homologen Rekombination befähigt sind und die Fähigkeit zur Korrektur
von Mutationen in ihrer DNA praktisch verloren haben. Tatsächlich finden sich in diesen Bakterien, die von horizontalem Gentransfer seit Jahrmillionen ausgeschlossen
sind, Hinweise auf eine Erosion des genetischen Materials[11]. Welche Konsequenzen
diese scheinbar degenerativen Vorgänge auf
die Symbiosen selbst haben, ist völlig unklar.
Es ist durchaus denkbar, dass eine weitere
Degeneration der genetischen Information
der Bakterien eines Tages zu einer Gefahr
für den Bestand der Symbiose selbst wird.
Umgekehrt erweist sich die genetische
Vereinfachung dieser Bakterien als äußerst
informativ bezüglich des Verständnisses ihrer biologischen Funktion in der Symbiose,
da gerade für die Symbiose relevante Gene
noch vorhanden sein müssen. Hierbei zeigt
sich eine weitgehende Übereinstimmung
des Nährstoffhaushalts der Wirtstiere mit
den Stoffwechsel-Fähigkeiten der Bakterien[5]. So sind in Buchnera, dem Endosymbionten von Blattläusen, die Stoffwechselwege, die zur Synthese von für das Wirtstier
essenziellen Aminosäuren benötigt werden,
erhalten geblieben. Tatsächlich ist der
Phloemsaft, von dem sich Blattläuse ernähren, stickstoffarm, und essenzielle Aminosäuren sind kaum vorhanden. Eine ganz ähnliche Situation zeigt sich in Wigglesworthia,
dem obligaten Endosymbionten der TsetseFliege, die sich auf Blutmahlzeiten spezialisiert hat. Blut ist besonders arm an bestimmten Vitaminen vor allem der B-Gruppe. Entsprechend sind in Wigglesworthia nicht
die Biosynthesewege für Aminosäuren erhalten, sondern die für Vitamine und Cofaktoren, die wiederum in Buchnera weitestgehend verloren gegangen sind. Allerdings
ist die biologische Bedeutung der Bakteriozyten-Symbiosen nicht immer so eindeutig
wie in den oben beschriebenen Fällen. So
sind die Wirte von Blochmannien, die Rossameisen (Gattung Camponotus und nahe verwandte Gattungen), eigentlich keine Nahrungsspezialisten, obwohl es einige Arten
gibt, die sich von hauptsächlich zuckerhaltigen Ausscheidungen von Pflanzen und anderen Insekten ernähren, oder die zeitweise
mit einseitiger Nahrung auskommen müssen. Ganz ähnlich wie bei Buchnera kodiert
das Blochmannia-Genom für fast alle Stoffwechselwege zur Biosynthese essenzieller
Aminosäuren. Blochmannia werden aber zusätzliche Aufgaben zugeschrieben, da es im
Gegensatz zu den anderen Endosymbionten
über eine Urease und eine Glutaminsynthetase verfügt, was auf eine grundlegende Funktion der Bakterien beim Stickstoffmetabolismus der Wirtstiere hindeutet[4].
Bislang sind bei diesen endosymbiontischen Bakterien kaum Faktoren identifiziert
worden, die mit typischen Virulenzfaktoren
von pathogenen Keimen zu vergleichen
sind. Buchnera und Wigglesworthia können
vermutlich eine Flagelle ausbilden, die der
Translokation von Proteinen in die Wirtszelle dienen könnte[8, 9]. Ein „echter“ Virulenzfaktor ist kürzlich in Sodalis glossinidius,
einem S-Symbionten der Tsetse-Fliege,
nachgewiesen worden. S. glossinidius ist eng
mit Shigella und Salmonella verwandt und benötigt ein TypIII-Sekretionssystem, um in
Insektenzellen einzudringen. Dies könnte
bedeuten, dass Sodalis von einem Vorläufer
abstammt, der einen parasitären Lebensstil
besaß und möglicherweise ein Insektenpathogen war. Es ist deshalb durchaus denkbar, dass die heute gefundenen vertikal
weitergegebenen P-Symbionten sich ursprünglich aus horizontal weitergegebenen
pathogenen Bakterien entwickelt haben[12].
In diesem Zusammenhang ist die Frage
sinnvoll, ob diese Bakteriozyten-Endosymbiosen wirklich mutualistisch, also auch für
die Bakterien von Vorteil sind. Die Bakterien werden in der Symbiose sicher kontinuierlich mit Nährstoffen versorgt. Auch die
Wachstumsbedingungen sind vermutlich
sehr konstant, was sich auch in der Tatsache widerspiegelt, dass die P-Symbionten
praktisch keine genregulatorischen Faktoren mehr besitzen[8, 9, 10]. Doch sind diese
Vorteile möglicherweise teuer erkauft. So haben sie sich in vollem Umfang an ihren Wirt
angepasst und können ohne ihn nicht leben.
Diese Anpassung geht so weit, dass die
Gram-negativen Bakterien praktisch keine
reguläre Zellwand mehr besitzen. Auch die
Replikationskontrolle ist möglicherweise an
den Wirt abgetreten worden, da beispielsweise Blochmannia und Wigglesworthia das
Replikationsinitiationsprotein DnaA nicht
mehr besitzen[9, 10]. Diese Bakterien haben
damit ihre bakterielle „Identität“ fast vollständig aufgegeben. Damit laufen sie Gefahr, beispielsweise durch eine fortschreitende genetische Erosion letztlich ausgelöscht und möglicherweise von in Bereitschaft stehenden S-Symbionten ersetzt zu
werden. Einige Autoren sprechen deshalb
eher von einer Domestizierung der Bakterien durch den Wirt zur Vervollständigung
seiner verfügbaren Nährstoffe als von einer
echten Symbiose[6].
Die weitere Charakterisierung von bakteriellen Symbiosen mit Insekten wird noch
viele Überraschungen erbringen. Beispielsweise ergaben erste Untersuchungen von
Carsonella rudii, dem P-Symbionten von
Blattflöhen, eine sehr ungewöhnliche Genomstruktur: Es sind kaum intergenische
Sequenzen vorhanden, und die meisten Leserahmen werden offenbar durch translationelle Kopplung in Proteine übersetzt.
Diese Genanordnung scheint zudem zu
außergewöhnlich langen mRNAs zu führen,
deren Transkription offenbar fast zufällig
verteilt auf dem Genom initiiert wird[13]. Eine erstaunliche Entdeckung wurde kürzlich
für die primäre Symbiose von Tremblaya, einem β-Proteobakterium, mit Wollläusen gemacht. Dieses intrazellulär in Bakteriozyten
des Wirtes vorliegende Bakterium enthält
selbst ein weiteres intrazytoplasmatisches γBIOspektrum · 1/06 · 12. Jahrgang
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Proteobakterium. Es handelt sich hier also
um die erste beschriebene intrazelluläre
Endosymbiose zweier Bakterien miteinander[14].
Die Erforschung dieser Symbiosen steht
erst am Anfang, und viele der hier dargestellten Ergebnisse wurden von Genomsequenzen abgeleitet und müssen künftig experimentell überprüft werden. Dabei sind
Fragen der gegenseitigen Adaptation des
Stoffwechsels der Symbiosepartner genauso
von Bedeutung wie die Identifizierung von
Faktoren, die der spezifischen Wechselwirkung der Bakterien und ihrer Wirte zugrunde liegen, ebenso wie Fragen nach der Immunreaktion der Wirte und der Adaptation
des Wirtsimmunsystems an die endosymbiotischen Bakterien. Diese Erkenntnisse
können zudem erheblich zur Etablierung
von Insekten als Infektionsmodell für human- und tierpathogene Bakterien beitragen. Tatsächlich konnten Insekten und andere Invertebraten bereits erfolgreich als experimentell leicht zugängliche Alternative
zu Säugetiermodellen genutzt werden, um
„universelle“ Virulenzfaktoren der Bakterien zu identifizieren und Pathomechanismen zu verstehen, die auch in Säugetieren
relevant sind[15].
Literatur
[2] Blochmann, F. (1892): Über das regelmäßige
Vorkommen von bakterienähnlichen Gebilden in den
Geweben und Eiern verschiedener Insekten. Zentbl. Bakt.
11: 234–240.
[3] Sauer, C., Stackebrandt, E., Gadau, J., Hölldobler, B., Gross, R. (2000): Systematic relationships
and cospeciation of bacterial endosymbionts and their
carpenter ant host species: proposal of the new taxon
Candidatus Blochmannia gen. nov. Int. J. Syst. Evol. Microbiol. 50: 1877–1886.
[4] Zientz, E., Dandekar, T., Gross, R. (2004): Metabolic interdependence of obligate intracellular bacteria
and their insect hosts. Microbiol. Mol. Biol. Rev. 68:
745–770.
[5] Wernegreen, J.J. (2002): Genome evolution in
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850–861.
[6] Baumann, P. (2005): Biology of bacteriocyte-associated endosymbionts of plant sap-sucking insects. Annu.
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[7] Brownlie, J.C., O’Neill, S.L. (2005): Wolbachia
genomes: insights into an intracellular lifestyle. Curr. Biol.
15: R507–R509.
[8] Shigenobu, S., Watanabe, H., Hattori, M.,
Sakaki, Y., Ishikawa, H. (2000): Genome sequence of
the endocellular bacterial symbiont of aphids Buchnera
sp. APS. Nature 407: 81–86.
[9] Akman, L., Yamashita, A., Watanabe, H., Oshima, K., Shiba, T., Hattori, M., Aksoy, S. (2002):
Genome sequence of the endocellular obligate symbiont
of tsetse flies, Wigglesworthia glossinidia. Nat. Genet.
32: 402–407.
[10] Gil, R., Silva, F.J., Zientz, E., Delmotte, F.,
[1] Buchner, P.: Endosymbiosis of animals with plant
microorganisms. Wiley Interscience Publishers, New
York, 1965.
Für Antikörper, gehen Sie zu
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Gonzalez-Candelas, F., Latorre, A., Rausell, C.,
Kamerbeek, J., Gadau, J., Hölldobler, B., van
Ham, R.C., Gross, R., Moya, A. (2003): The genome
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Proc. Natl. Acad. Sci. USA 98: 1883–1888.
[13] Baumann, L., Thao, M.L., Hess, J.M., Johnson, M.W., Baumann, P. (2002): The genetic properties of the primary endosymbionts of mealybugs differ
from those of other endosymbionts of plant sap-sucking
insects. Appl. Environ. Microbiol. 68: 3198–3205.
[14] von Dohlen, C.D., Kohler, S., Alsop, S.T., McManus, W.R. (2001): Mealybug beta-proteobacterial
endosymbionts contain gamma-proteobacterial symbionts. Nature 412: 433–436.
[15] Steinert, M., Leippe, M., Roeder, T. (2003):
Surrogate hosts: protozoa and invertebrates as models
for studying pathogen-host interactions. Int. J. Med. Microbiol. 293: 321–332.
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Roy Gross
Universität Würzburg
Lehrstuhl für Mikrobiologie
Biozentrum
Am Hubland
D-97074 Würzburg
Tel.: 0931-8884403
Fax: 0931-8884400
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*Source: Abcam sales (July-September 2005)
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