BIOsp_0106 02.02.2006 15:12 Uhr Seite 23 Überblick 23 Intrazelluläre bakterielle Endosymbiosen in Insekten Roy Gross, Evelyn Zientz und Heike Feldhaar Biozentrum, Universität Würzburg Insekten gehören sowohl was ihre Artenzahl als auch ihre Biomasse betrifft zu den erfolgreichsten Tieren auf der Erde. Sie sind in fast allen terrestrischen Ökosystemen zu finden, bis hin zu lebensfeindlichen Wüsten. Einige Insekten haben sich selbst an das Wasser als Lebensraum angepasst. Ein Schlüssel zu ihrem Erfolg liegt vermutlich in der Tatsache begründet, dass es Insekten gelungen ist, in vielfältiger Weise Symbiosen mit Tieren, Pflanzen, Pilzen und Bakterien einzugehen. Dieser Beitrag gibt einen Einblick in einige ausgewählte mutualistische Assoziationen von obligat intrazellulären Bakterien mit Insekten. In den letzten Jahren sind einige dieser Lebensgemeinschaften ins Rampenlicht gerückt, da der Vergleich von „gutartigen“ symbiotischen Wechselbeziehungen mit parasitären Interaktionen, etwa von pathogenen Bakterien mit Menschen und Tieren, interessante Einblicke in allgemeine mechanistische Prinzipien der Evolution der Interaktion von Bakterien mit höheren Wirtsorganismen liefern kann. BIOspektrum · 1/06 · 12. Jahrgang Abb. 1: Dichtgepackte intrazelluläre Bakterien in einer Bakteriozyte im Mitteldarm von Polyrhachis armata 왘 Es gibt Schätzungen, nach denen bis zu 20 Prozent aller Insekten in obligater Lebensgemeinschaft mit intrazellulären symbiotischen Bakterien leben[1]. Die erste jemals beschriebene symbiotische Interaktion zwischen Bakterien und Tieren war die Symbiose von Rossameisen mit Bakterien[2, 3]. Oftmals finden sich solche Symbiosen in Insekten, denen es im Laufe der Evolution gelungen ist, sich an besondere Nährstoffquellen anzupassen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass wichtige Nährstoffe wie essenzielle Aminosäuren oder Vitamine fehlen oder nur in sehr geringen Mengen vorhanden sind. Deshalb wird angenommen, dass diese symbiotischen Gemeinschaften mit Bakterien meist der Nahrungsergänzung der Tiere dienen[1]. Besonders gut untersuchte Beispiele hierfür sind die Symbiosen von Blattläusen mit Bakterien der Gattung Buchnera, von Tsetse-Fliegen mit Wigglesworthia und von Rossameisen mit Blochmannia, die auch als primäre Endosymbionten (P-Symbionten) bezeichnet werden[4, 5]. Diese Bakterien gehören zur Gruppe der γ-Proteobakterien und haben einen gemeinsamen Vorläufer mit Enterobakterien. Sie werden strikt vertikal übertragen und kommen im Gegensatz zu den sekundären Symbionten (S-Symbionten) ausschließlich intrazellulär in spezialisierten Wirtszellen, den Bakteriozyten, und im reproduktiven Gewebe der Tiere vor. Obwohl ebenfalls maternal weitergegeben, können die S-Symbionten auch horizontal übertragen werden und finden sich in unterschiedlichen Geweben der Wirtstiere. Im Gegensatz zu P-Symbionten sind S-Symbionten häufig in vitro kultivierbar. Diese S-Symbionten und auch parasitäre Bakterien der Gattung Wolbachia, deren Interaktion mit dem Wirt zu einer Reihe von reproduktiven Störungen der Tiere führt, die der weiteren Verbreitung der Bakterien dienlich sind, werden hier nicht behandelt; es sei auf die weiterführende Literatur verwiesen[6, 7]. Lange Zeit wurde die Arbeit mit solchen primären Symbiosen durch die Tatsache erschwert, dass sich die bakteriellen Partner nicht in vitro kultivieren lassen. Erst kürzlich hat die moderne Genomforschung neue Wege der Analyse solcher Bakterien ermöglicht, und die Genomsequenzen mehrerer der oben genannten obligaten P-Symbionten sind mittlerweile ermittelt worden. Dabei haben sich einige erstaunliche Gemeinsamkeiten dieser Bakterien ergeben (Tab. 1). Besonders auffallend ist der meist extrem geringe GC-Gehalt und die geringe Größe dieser Genome, die sich im Bereich von 450– 800 kBp bewegen und damit etwa vier- bis sechsmal kleiner sind als die von frei lebenden Enterobakterien wie E. coli[8, 9, 10]. Die Reduktion der genetischen Information betrifft dabei mit Ausnahme von grundlegenden Funktionen, die an der Transkription BIOsp_0106 02.02.2006 15:12 Uhr Seite 24 Überblick 24 Tab. 1: Vergleich wichtiger Eigenschaften einiger Bakteriozyten-Endosymbionten von Insekten Genus Buchneraa) Blochmanniab) Wigglesworthiac) Carsonella Wirtsorganismus Blattläuse Rossameisen Tsetse-Fliege Blattflöhe Wollläuse Hauptfutterquelle der Wirtstiere Phloemsaft Allesfresser Blut Phloemsaft Phloemsaft Tremblaya Alter der Symbiose (Millionen Jahre) 115–230 50–70 50–70 100–250 100–200 Proteobakterielle Gruppe γ γ γ γ β Engster freilebender Verwandter E. coli E. coli E. coli P. aeruginosa B. mallei Genomgröße (kBp) 450–641 705–792 698 nb nb GC-Gehalt (mol%) 25–26 27 22 20 57 a) 3 Buchnera–Genome sequenziert (B. aphidicola APS, B. aphidicola SG und B. aphidicola BP) b) 2 Blochmannia–Genome sequenziert (B. floridanus und B. pennsylvanicus) c) 1 Wiggleworthia–Genom sequenziert (W. glossinidiae) nb = nicht bestimmt und Translation beteiligt sind, fast alle funktionellen Kategorien. Besonders interessant ist die Tatsache, dass diese Bakterien nicht mehr zur homologen Rekombination befähigt sind und die Fähigkeit zur Korrektur von Mutationen in ihrer DNA praktisch verloren haben. Tatsächlich finden sich in diesen Bakterien, die von horizontalem Gentransfer seit Jahrmillionen ausgeschlossen sind, Hinweise auf eine Erosion des genetischen Materials[11]. Welche Konsequenzen diese scheinbar degenerativen Vorgänge auf die Symbiosen selbst haben, ist völlig unklar. Es ist durchaus denkbar, dass eine weitere Degeneration der genetischen Information der Bakterien eines Tages zu einer Gefahr für den Bestand der Symbiose selbst wird. Umgekehrt erweist sich die genetische Vereinfachung dieser Bakterien als äußerst informativ bezüglich des Verständnisses ihrer biologischen Funktion in der Symbiose, da gerade für die Symbiose relevante Gene noch vorhanden sein müssen. Hierbei zeigt sich eine weitgehende Übereinstimmung des Nährstoffhaushalts der Wirtstiere mit den Stoffwechsel-Fähigkeiten der Bakterien[5]. So sind in Buchnera, dem Endosymbionten von Blattläusen, die Stoffwechselwege, die zur Synthese von für das Wirtstier essenziellen Aminosäuren benötigt werden, erhalten geblieben. Tatsächlich ist der Phloemsaft, von dem sich Blattläuse ernähren, stickstoffarm, und essenzielle Aminosäuren sind kaum vorhanden. Eine ganz ähnliche Situation zeigt sich in Wigglesworthia, dem obligaten Endosymbionten der TsetseFliege, die sich auf Blutmahlzeiten spezialisiert hat. Blut ist besonders arm an bestimmten Vitaminen vor allem der B-Gruppe. Entsprechend sind in Wigglesworthia nicht die Biosynthesewege für Aminosäuren erhalten, sondern die für Vitamine und Cofaktoren, die wiederum in Buchnera weitestgehend verloren gegangen sind. Allerdings ist die biologische Bedeutung der Bakteriozyten-Symbiosen nicht immer so eindeutig wie in den oben beschriebenen Fällen. So sind die Wirte von Blochmannien, die Rossameisen (Gattung Camponotus und nahe verwandte Gattungen), eigentlich keine Nahrungsspezialisten, obwohl es einige Arten gibt, die sich von hauptsächlich zuckerhaltigen Ausscheidungen von Pflanzen und anderen Insekten ernähren, oder die zeitweise mit einseitiger Nahrung auskommen müssen. Ganz ähnlich wie bei Buchnera kodiert das Blochmannia-Genom für fast alle Stoffwechselwege zur Biosynthese essenzieller Aminosäuren. Blochmannia werden aber zusätzliche Aufgaben zugeschrieben, da es im Gegensatz zu den anderen Endosymbionten über eine Urease und eine Glutaminsynthetase verfügt, was auf eine grundlegende Funktion der Bakterien beim Stickstoffmetabolismus der Wirtstiere hindeutet[4]. Bislang sind bei diesen endosymbiontischen Bakterien kaum Faktoren identifiziert worden, die mit typischen Virulenzfaktoren von pathogenen Keimen zu vergleichen sind. Buchnera und Wigglesworthia können vermutlich eine Flagelle ausbilden, die der Translokation von Proteinen in die Wirtszelle dienen könnte[8, 9]. Ein „echter“ Virulenzfaktor ist kürzlich in Sodalis glossinidius, einem S-Symbionten der Tsetse-Fliege, nachgewiesen worden. S. glossinidius ist eng mit Shigella und Salmonella verwandt und benötigt ein TypIII-Sekretionssystem, um in Insektenzellen einzudringen. Dies könnte bedeuten, dass Sodalis von einem Vorläufer abstammt, der einen parasitären Lebensstil besaß und möglicherweise ein Insektenpathogen war. Es ist deshalb durchaus denkbar, dass die heute gefundenen vertikal weitergegebenen P-Symbionten sich ursprünglich aus horizontal weitergegebenen pathogenen Bakterien entwickelt haben[12]. In diesem Zusammenhang ist die Frage sinnvoll, ob diese Bakteriozyten-Endosymbiosen wirklich mutualistisch, also auch für die Bakterien von Vorteil sind. Die Bakterien werden in der Symbiose sicher kontinuierlich mit Nährstoffen versorgt. Auch die Wachstumsbedingungen sind vermutlich sehr konstant, was sich auch in der Tatsache widerspiegelt, dass die P-Symbionten praktisch keine genregulatorischen Faktoren mehr besitzen[8, 9, 10]. Doch sind diese Vorteile möglicherweise teuer erkauft. So haben sie sich in vollem Umfang an ihren Wirt angepasst und können ohne ihn nicht leben. Diese Anpassung geht so weit, dass die Gram-negativen Bakterien praktisch keine reguläre Zellwand mehr besitzen. Auch die Replikationskontrolle ist möglicherweise an den Wirt abgetreten worden, da beispielsweise Blochmannia und Wigglesworthia das Replikationsinitiationsprotein DnaA nicht mehr besitzen[9, 10]. Diese Bakterien haben damit ihre bakterielle „Identität“ fast vollständig aufgegeben. Damit laufen sie Gefahr, beispielsweise durch eine fortschreitende genetische Erosion letztlich ausgelöscht und möglicherweise von in Bereitschaft stehenden S-Symbionten ersetzt zu werden. Einige Autoren sprechen deshalb eher von einer Domestizierung der Bakterien durch den Wirt zur Vervollständigung seiner verfügbaren Nährstoffe als von einer echten Symbiose[6]. Die weitere Charakterisierung von bakteriellen Symbiosen mit Insekten wird noch viele Überraschungen erbringen. Beispielsweise ergaben erste Untersuchungen von Carsonella rudii, dem P-Symbionten von Blattflöhen, eine sehr ungewöhnliche Genomstruktur: Es sind kaum intergenische Sequenzen vorhanden, und die meisten Leserahmen werden offenbar durch translationelle Kopplung in Proteine übersetzt. Diese Genanordnung scheint zudem zu außergewöhnlich langen mRNAs zu führen, deren Transkription offenbar fast zufällig verteilt auf dem Genom initiiert wird[13]. Eine erstaunliche Entdeckung wurde kürzlich für die primäre Symbiose von Tremblaya, einem β-Proteobakterium, mit Wollläusen gemacht. Dieses intrazellulär in Bakteriozyten des Wirtes vorliegende Bakterium enthält selbst ein weiteres intrazytoplasmatisches γBIOspektrum · 1/06 · 12. Jahrgang BIOsp_0106 02.02.2006 15:12 Uhr Seite 25 Überblick 25 Proteobakterium. Es handelt sich hier also um die erste beschriebene intrazelluläre Endosymbiose zweier Bakterien miteinander[14]. Die Erforschung dieser Symbiosen steht erst am Anfang, und viele der hier dargestellten Ergebnisse wurden von Genomsequenzen abgeleitet und müssen künftig experimentell überprüft werden. Dabei sind Fragen der gegenseitigen Adaptation des Stoffwechsels der Symbiosepartner genauso von Bedeutung wie die Identifizierung von Faktoren, die der spezifischen Wechselwirkung der Bakterien und ihrer Wirte zugrunde liegen, ebenso wie Fragen nach der Immunreaktion der Wirte und der Adaptation des Wirtsimmunsystems an die endosymbiotischen Bakterien. Diese Erkenntnisse können zudem erheblich zur Etablierung von Insekten als Infektionsmodell für human- und tierpathogene Bakterien beitragen. Tatsächlich konnten Insekten und andere Invertebraten bereits erfolgreich als experimentell leicht zugängliche Alternative zu Säugetiermodellen genutzt werden, um „universelle“ Virulenzfaktoren der Bakterien zu identifizieren und Pathomechanismen zu verstehen, die auch in Säugetieren relevant sind[15]. Literatur [2] Blochmann, F. (1892): Über das regelmäßige Vorkommen von bakterienähnlichen Gebilden in den Geweben und Eiern verschiedener Insekten. Zentbl. Bakt. 11: 234–240. [3] Sauer, C., Stackebrandt, E., Gadau, J., Hölldobler, B., Gross, R. (2000): Systematic relationships and cospeciation of bacterial endosymbionts and their carpenter ant host species: proposal of the new taxon Candidatus Blochmannia gen. nov. Int. J. Syst. Evol. Microbiol. 50: 1877–1886. [4] Zientz, E., Dandekar, T., Gross, R. 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Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Roy Gross Universität Würzburg Lehrstuhl für Mikrobiologie Biozentrum Am Hubland D-97074 Würzburg Tel.: 0931-8884403 Fax: 0931-8884400 [email protected] www.mikrobio.biozentrum.uni-wuerzburg.de/ gross.html 16 000 Primärantikörper Für nahezu alle Forschungsbereiche AbpromiseSM 96.2% Percentage of antibodies sold* unserer Kunden benutzen unsere Antikörper mit Erfolg 2.7% kann unser technisches Team weiterhelfen 1.1% bieten wir eine Gutschrift oder einen Ersatz an 100% Unterstützung Detaillierte Datenblätter Wöchendlich aktualisiert Veröffentlichungen, Bilder, Diskussionen, Anfragen, Anwendungen, Empfehlungen, Protokolle, Informationen, Resultate. www.abcam.com BIOspektrum · 1/06 · 12. Jahrgang *Source: Abcam sales (July-September 2005)