Hygiene und medizinische Mikrobiologie

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2 Bakterien
Wegen der bakteriellen Besiedlung des unteren Urogenitaltrakts muss bei jeder Urinprobe entweder Mittelstrahlurin oder Katheterurin
verwendet werden!
2.6
2.5.6
Nach den oben erwähnten Kriterien (GramVerhalten, Form) lässt sich die in Tabelle 2-1 gezeigte Übersicht über die humanmedizinisch
wichtigsten Bakterienarten erstellen. Daneben
gibt es noch Vertreter, die sich nur schwierig in
eine dieser Gruppen einordnen lassen. Zu diesen Bakterien gehört Mykoplasma, das, da es
keine Zellwand hat, nicht nach Gram angefärbt
werden kann. Eine zweite Gruppe, vertreten
durch Chlamydia, kann nur innerhalb von
Wirtszellen existieren.
Scheide
Die Zusammensetzung der immer ausgeprägten
Besiedlung der Scheide ist stark vom Lebensalter der Frau abhängig. Nach der Geburt wird
die zunächst sterile Region durch Milchsäurebakterien (= Laktobazillen, Döderlein-Stäbchen) besiedelt. Die Mischflora der Kindheit
wird mit der Pubertät wieder durch die säureproduzierenden Döderlein-Bakterien verdrängt.
Nach Abschluss der Geschlechtsreife etabliert
sich wieder eine Mischflora.
Durch den sauren pH-Wert im Bereich der
Scheide der geschlechtsreifen Frau wird die Besiedlung durch andere Mikroben verhindert, so
dass man in dieser Phase, unter Beachtung der
persönlichen Hygiene, weniger Harnwegsinfektionen als in höherem Lebensalter findet.
2.6.1
Die humanmedizinisch
wichtigsten Bakterienarten
Grampositive Kokken
Neben zahlreichen verschiedenen taxonomisch
zu unterscheidenden Bakterienstämmen führen zahlenmäßig einerseits die Familie der
»Staphylococcaceae«, andererseits die Familien
der »Streptococcaceae« und »Enterococcaceae«
das Vorkommen im klinischen Alltag an. Unter
Tab. 2-1 Übersicht der humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten
Kokken
grampositiv
Staphylococcus
Streptococcus
Enterococcus
Pneumococcus
gramnegativ
Neisseria
쐌 Gonococcus
쐌 Meningococcus
Stäbchen
grampositiv
Corynebacterium
Listeria
Bacillus
Clostridium
Mycobacterium
gramnegativ
Bordetella
Campylobacter
Hämophilus
Helicobacter
Legionella
Salmonella
Shigella
Vibrio
Yersinia
E.coli
Klebsiella
Proteus
Pseudomonas
Schraubenformen
Borrelia
Leptospira
Treponema
2.6 Die humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten
den Bakteriengattungen der Staphylococcaceae sind die Staphylokokken mit der wichtigen Art »Staphylococcus aureus« neben
zahlreichen weiteren Staphylokokken, darunter Staphylococcus epidermidis, von herausragender Bedeutung.
Staphylokokken
Erreger: Staphylokokken sind grampositive
Haufenkokken (s. auch Abb. 2-3). Wir unterscheiden zwischen
der meist pathogenen Staphylokokkenart
Staphylococcus aureus und
den fakultativ pathogenen, koagulasenegativen Staphylokokken (u. a. Staphylococcus
epidermidis).
Epidemiologie: S. epidermidis ist bei Gesunden vor allem im Hautbereich zu finden und
hat nur im Krankenhaus eine medizinische Bedeutung. Der Keim ist in der Lage, implantiertes Kunststoffmaterial zu besetzen, sich dort zu
vermehren und eine lokale Infektion hervorzurufen. Wir alle kennen die Folgen eines zu
lange liegenden Venenverweilkatheters (Braunüle) mit den typischen Entzündungsparametern (s. Kap. 1 »Wichtige Begriffe aus der
medizinischen Mikrobiologie«, S. 3 f.). Weitere
Kunststoffimplantate, die besiedelt werden
können, sind Herzklappen, Gefäßprothesen
oder auch ein Blasendauerkatheter. Die Symptome (Schmerz, Rötung, Schwellung) verschwinden meist von selbst, sobald die Infektionsquelle entfernt wird.
Wesentlich gefährlicher ist der Keim Staphylococcus aureus. Er »nistet« ebenfalls im Hautniveau, ist aber auch im Nasen-Rachen-Bereich zu finden (Rate menschlicher Träger
ca. 30−40 %, aber: Krankenhauspersonal 70−
100 %!). Verschiedene Enzyme (Plasmakoagulase, Hyaluronidase, Hämolysin, Koagulase, Betalaktamase) und Toxine (Leukozidin, Enterotoxin) begründen die Pathogenität und Virulenz.
Für das Zustandekommen einer Infektion
mit Staphylokokken ist aber auch die Disposition des Wirtes ganz entscheidend. Folgende
Patientengruppen sind besonders gefährdet:
chronisch Kranke (vor allem Diabetiker)
Ekzematiker oder Patienten mit anderen
Hauterkrankungen
Patienten mit Verbrennungen
Alkoholiker
Immungeschwächte
Übertragung und Krankheitsbild: Erregerreservoir ist der Mensch selbst. Durch Hautkontakt (Händeschütteln) oder Tröpfchen (Niesen) wird der Keim verbreitet.
Bei Schädigung der Haut (Wunden, Dermatitis) oder Manipulationen (Gelenkpunktion,
Operation allgemein) kann der Keim seine
pathogene Eigenschaft entfalten: Er ist der typische Eitererreger. In Tabelle 2-2 sind die
wichtigsten Infektionen durch S. aureus dokumentiert.
Diese Aufzählung macht zweierlei deutlich:
Zum einen ist S. aureus einer der bedeutendsten Krankenhauskeime und somit verantwortlich für eine Vielzahl von nosokomialen Infektionen (s. Teil II »Krankenhaushygiene«, S. 163 ff.).
Weiterhin neigen die eitrigen Infektionen
zur lokalen Begrenzung (Abszess, Furunkel
[Abb. 2-5, S. 14], Empyem). Dank Koagulase
ist die S.-aureus-Spezies in der Lage, einen
schützenden Fibrinwall (Kapsel) gegen Abwehrmechanismen des menschlichen Kör-
Tab. 2-2 Typische Infektionen durch Staphylococcus
aureus
쐌
쐌
쐌
쐌
쐌
쐌
Abszesse
Furunkel
Mastitis
Empyem
Osteomyelitis
Panaritium
쐌
쐌
쐌
쐌
쐌
Impetigo
Wundinfektion
Pneumonie
Sepsis
Lebensmittelvergiftung
2 Bakterien
pers zu bilden. Die Abwehrzellen können
nicht oder nur sehr schlecht in die infizierte
Region gelangen. Gleiches gilt für die Antibiotikatherapie.
Therapie: Abgekapselte, eitrige Prozesse müssen in der Regel chirurgisch eröffnet werden.
Die eher generalisierten Infektionen (Pneumonie, Sepsis) erfordern eine Antibiotikatherapie. Diese ist in den vergangenen Jahren
zunehmend schwieriger geworden, da Staphylokokken leicht Resistenzen entwickeln können.
Fast jeder S.-aureus-Stamm produziert Betalaktamase, ein Enzym, welches so genannte Betalaktamantibiotika unwirksam machen kann.
Zu dieser Gruppe gehört das Penicillin, weshalb
die Betalaktamase auch Penicillinase genannt
wird. Deshalb wurde eine Reihe penicillinasefester Penicilline (z. B. Oxacillin) entwickelt, die
bei Staphylokokkeninfektionen primär einzusetzen sind.
Seit Mitte der 1990er-Jahre gibt es gehäuft
mehrfach resistente S.-aureus-Stämme (MRSA
= Methicillin-resistente S. aureus bzw. ORSA =
Oxacillin-resistente S. aureus). Sie sind eine
Herausforderung für viele Krankenhäuser, insbesondere für Intensivstationen, da nur noch
wenige Antibiotika wirksam sind. Übertragen
werden die MRSA/ORSA vor allem durch die
Hände des medizinischen Personals: Der Nasenbereich kann unbemerkt chronisch besiedelt
sein – hier reicht eine kurze Berührung mit der
Hand, durch das anschließende Berühren eines
Patienten sind die Erreger übertragen.
Um MRSA in der Klinik in den Griff zu bekommen, ist ein konsequentes Hygienemanagement
nötig (s. auch Kap. 17 Abschnitt »MRSA-Infektionen – Prävention und Bekämpfung«,
S. 249 ff. ). Betroffene Patienten sind zu isolieren, möglichst mit eigener Nasszelle, mehrere
MRSA-Infizierte kann man zusammenlegen
(Kohortenisolierung). Nun erfolgen häufig Abstriche aus dem infizierten Bereich und der
Nase (gegebenenfalls auch Rachen). Nach Resistenzergebnis werden spezielle Antibiotika
eingesetzt. Zur Sanierung einer nasalen MRSABesiedlung wird die Anwendung von Mupirocin-Nasensalbe empfohlen, wobei auch hier
schon Resistenzbildungen bekannt sind. Die intakte Haut sollte mit antiseptisch wirksamen
Seifen gewaschen und die Bettwäsche täglich
gewechselt werden. Sind drei Abstriche an drei
aufeinander folgenden Tagen negativ, kann
man die Isolierung aufheben (s. auch Kap. 17
Abschnitt »MRSA-Infektionen – Prävention und
Bekämpfung«, S. 253).
Abb. 2-5 Furunkel.
Typische Infektion durch
Staphylococcus aureus (aus:
Bork K, Bräuninger W. Hautkrankheiten in der Praxis.
Diagnostik und Therapie.
3. Aufl. Stuttgart, New York:
Schattauer 2005)
2.6 Die humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten
Übersicht Staphylokokken
Erreger: S. aureus (koagulasepositiv) und S. epidermidis (koagulasenegativ)
Epidemiologie: gehören zur physiologischen Flora
Übertragung: meist Tröpfcheninfektion, ferner Wundinfektion, Lebensmittelvergiftung (S. aureus);
wichtiger Erreger von nosokomialen Infektionen
Inkubationszeit und Ansteckung: Stunden bis wenige Tage
Krankheitsbild: lokal begrenzte Eiteransammlung oder generalisiert (Sepsis), Pneumonie,
akute Gastroenteritis
Diagnostik: Abstrich, Bronchialsekret, Stuhl, Blutkultur
Behandlung: chirurgisch, Antibiotika (Achtung: Häufig Resistenzen! MRSA!)
Prophylaxe: Desinfektion
Gesetzliche Bestimmungen, Berufskrankheit: Meldepflicht bei epidemischem Ausbruch
Das Personal der Station sollte ebenfalls untersucht werden. MRSA-Träger unter dem Personal sollten bis zur nachgewiesenen Sanierung
keinen Patienten pflegen und behandeln. Lässt
sich dies nicht vermeiden, sind besondere hygienische Maßnahmen zu ergreifen (z. B. MundNase-Schutz, Einmalkittel, Händedesinfektion).
Nähere Informationen s. S. 249 ff. bzw. unter
www.rki.de.
Zur Eindämmung der Infektionsausbreitung
werden heute meist nach bestimmten Kriterien
ausgewählte Patienten bei Krankenhausaufnahme auf MRSA untersucht, insbesondere
Hochrisikopatienten, die vor einem invasiven
Eingriff stehen. Dafür wurde ein Schnelltest
entwickelt, der innerhalb weniger Stunden ein
Ergebnis liefert.
Einzelne S.-aureus- oder MRSA-Erkrankungen
oder -Besiedlungen sind nicht meldepflichtig.
Gemäß § 6, Abs. 2 IfSG (= Infektionsschutzgesetz) ist jedoch das gehäufte Auftreten von
Infektionen, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet
wird, unverzüglich dem Gesundheitsamt als
Ausbruch zu melden.
Enterotoxin
Einige Stämme von S. aureus produzieren hitzelabile wie auch hitzestabile Enterotoxine. In
kontaminierten Lebensmitteln (Milch, Eiprodukte, Kartoffelsalat, Fleischwaren) kommt es
zur schnellen Vermehrung der Bakterien und so
zur Anhäufung der Toxine. Die Inkubationszeit
ist sehr kurz. Wenige Stunden nach Verzehr dieser Lebensmittel treten Übelkeit, Erbrechen,
Bauchschmerzen und Diarrhö auf. Eine Therapie ist oft nicht nötig (s. auch Abschnitt
»Durchfallerkrankungen«, S. 43 f.).
Streptokokken
Streptokokken sind grampositive, sporenlose,
unbewegliche Kettenkokken. Die Länge der
Ketten ist unterschiedlich und hängt von der
Streptokokkenspezies und dem Nährboden ab.
Wie schon die Staphylokokken, sind die Streptokokken biologisch sehr aktiv. Sie können – je
nach Art – eine Vielzahl von Enzymen und
Toxinen abgeben:
Hämolysin: Je nach Ausprägung dieses Enzyms werden Blutfarbstoff oder Erythrozyten aufgelöst. Das Hämolysin wird auch
2 Bakterien
Streptolysin genannt. Es wirkt als Antigen,
gegen das unser Immunsystem Antikörper
produziert, das so genannte Anti-Streptolysin
(ASL). Es wird bei einer Streptokokkeninfektion im Blut des Patienten nachgewiesen.
Streptokinase: Dieses Enzym kann Fibrin
auflösen. In der Klinik wird es zur Lysetherapie von frischen Blutgerinnseln (Thrombose,
Herzinfarkt) gebraucht.
Hyaluronidase: Dieses Enzym fördert die
Ausbreitung der Infektion im Gewebe.
Erythrogene Toxine: Diese Toxine sind fiebererzeugend und die Ursache für das Scharlach-Exanthem.
Diese Aufzählung ist nicht komplett. Eine wissenschaftlich exakte Liste der Pathogenitätsfaktoren wäre hier zu umfangreich.
Streptokokken sind wichtige Erreger verschiedener akuter Erkrankungen des Menschen. Die
folgende grobe Einteilung ist immer noch üblich:
kommt daher im Gegensatz zu Infektionen mit
Staphylokokken weniger zu abszedierenden
als zu phlegmonösen Entzündungsprozessen (Tab. 2-3).
Infektionen mit so genannten betahämolysierenden Streptokokken der Gruppe A betreffen
vor allem Kinder im Kindergarten- und frühen
Schulalter, aber auch Erwachsene. Die Übertragung erfolgt meist über Tröpfcheninfektion.
Häufig ist eine eitrige Entzündung der Rachenmandeln der Beginn (die Angina).
Zwei Erkrankungen sollen wegen der besonderen Krankheitsbilder hervorgehoben werden:
Scharlach und Erysipel.
Krankheitsbild: Scharlach
Verursacht wird diese klassische Kinderkrankheit durch hämolysierende Streptokokken der
Gruppe A. In Deutschland rechnet man mit etwa 80 000 Scharlachfällen pro Jahr (Inzidenz:
ca.100).
Streptokokken der Gruppe A (S. pyogenes)
Die meisten der für den Menschen gefährlichen
Streptokokkeninfektionen werden durch die
Gruppe A verursacht. Sie neigen zu flächenhaften Entzündungen (Enzym Hyaluronidase!). Es
Tab. 2-3 Typische Streptokokkenerkrankungen der
Gruppe A
쐌
쐌
쐌
쐌
쐌
쐌
쐌
쐌
쐌
쐌
쐌
Angina tonsillaris
Sinusitis
Otitis media
Bronchitis, Pneumonie
Scharlach
Erysipel
Augeninfektion
phlegmonöse Entzündung
Impetigo
akute Glomerulonephritis
rheumatisches Fieber
Abb. 2-6 Scharlach. Himbeer- oder Erdbeerzunge
(aus: Tischendorf FW. Der diagnostische Blick. 7.Aufl.
Stuttgart, New York: Schattauer 2008)
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