Allgemeine und Anorganische Experimentalchemie für Studierende der Physik, Geowissenschaften und des Lehramts Chemie (Beifach) Inhaltsverzeichnis: Chemie für Physiker und Geowissenschaftler 1 Einleitung 1.1 Organisation 1.2 Hörerkreis 1.3 Literatur 2 Definitionen 2.1 Nachbarfächer 2.2 Chemie 3 Chemische Stoffe 3.1 Phasen und Gemische 3.2 Trennmethoden 4 Atombau I 4.1 Aufbau des Atoms 4.2 Aufbau der Elektronenhülle 5 Das Periodensystem der Elemente 5.1 Historisches <E1 Anmerkungen zur Chemiegeschichte> 5.2 Der Aufbau des Periodensystems 6 Die Elemente der Gruppe 18 (Edelgase) 6.1 Allgemeines <E2 Ionisierungsenergie und Elektronenaffinität> <E3 Atomradien> 6.2 Eigenschaften 6.3 Vorkommen, Gewinnung, Verwendung 7 Der Wasserstoff 7.1 Allgemeines <E4 Die Atombindung I> 7.2 Vorkommen, Gewinnung, Eigenschaften, Verwendung <E5 Isotope> 8 Die Chemische Reaktion 8.1 Allgemeines 8.2, Der Molbegriff; Mengen und Konzentrationen 8.3 Thermodynamik 1 8.4 Kinetik 8.5 Stöchiometrie 9 Die Elemente der Gruppe 17 (Halogene) 9.1 Allgemeines 9.2 Verbindungen mit Wasserstoff <E6 Das Chemische Gleichgewicht> <E7 Brönstedt-Säuren und –Basen> <E8 Die Elektronegativität> <E9 Die Wasserstoffbrückenbindung> 9.3 Interhalogen-Verbindungen <E10 Räumliche Orientierung der Bindungen und Hybridisierung> <E11 Das VSEPR-Modell> 9.4 Verbindungen mit Edelgasen 10 Die Elemente der Gruppe 1 (Alkalimetalle) 10.1 Allgemeines <E12 Die Metallische Bindung I> 10.2 Vorkommen, Eigenschaften, Verwendung 10.3 Verbindungen mit Wasserstoff <E13 Die Ionenbindung I> <E14 Oxidationszahlen und Redoxreaktionen> 10.4 Verbindungen mit Halogenen <E15 Die Elektrolyse> <E16 Die Ionenbindung II> 11 Die Elemente der Gruppe 16 (Chalkogene) 11.1 Allgemeines 11.2 Sauerstoff 11.2.1 Das Element <E17 Die Atombindung II> <E18 Die Atombindung III> <E19 Einige Begriffe der Atombindung im Rückblick> 11.2.2 Verbindungen mit Wasserstoff <E20 Der pH-Wert> <E21 Das Redox-Potential> 11.2.3 Verbindungen mit Edelgasen 11.2.4 Verbindungen mit Halogenen 11.2.5 Halogensauerstoffsäuren <E22 Komproportionierung und Disproportionierung> <E23 Anhydride und Säurehalogenide> 11.2.6 Verbindungen mit Alkalimetallen 11.2.7 Hydroxide 11.3 Schwefel, Selen, Tellur 11.3.1 Die Elemente <E24 Die Doppelbindungsregel> 11.3.2 Verbindungen mit Wasserstoff 11.3.3 Verbindungen mit Halogenen 2 11.3.4 Verbindungen mit Alkalimetallen 11.3.5 Verbindungen mit Sauerstoff 11.3.6 Chalkogensauerstoffsäuren und Säurehalogenide <E25 Katalyse I> 12 Die Elemente der Gruppe 2 (Erdalkalimetalle) 12.1 Allgemeines <E26 Die Metallische Bindung II> 12.2 Beryllium <E27 Komplexverbindungen I> 12.3 Magnesium, Calcium, Strontium, Barium, Radium <E28 Löslichkeit und Löslichkeitsprodukt> 13 Die Elemente der Gruppe 15 (Pnikogene) 13.1 Allgemeines 13.2 Stickstoff 13.2.1 Das Element 13.2.2 Verbindungen mit Wasserstoff 13.2.3 Verbindungen mit Halogenen 13.2.4 Verbindungen mit Alkali- und Erdalkalimetallen 13.2.5 Verbindungen mit Sauerstoff 13.2.6 Stickstoff-Sauerstoffsäuren und Säurehalogenide 13.3 Phosphor, Arsen, Antimon, Wismut 13.3.1 Die Elemente 13.3.2 Verbindungen mit Wasserstoff 13.3.3 Verbindungen mit Halogenen 13.3.4 Verbindungen mit Sauerstoff 13.3.5 Element-Sauerstoffsäuren 14 Die Elemente der Gruppe 13 (Erdmetalle) 14.1 Allgemeines 14.2 Bor 14.2.1 Das Element 14.2.2 Verbindungen mit Wasserstoff <E29 Die Atombindung IV> 14.2.3 Verbindungen mit Halogenen <E30 Die Atombindung V> 14.2.4 Verbindungen mit Sauerstoff, Sauerstoffsäuren 14.2.5 Verbindungen mit Stickstoff <E31 Das Isoelektronische Konzept> 14.2.6 Komplexverbindungen <E32 Lewis-Säuren und –Basen> 14.3 Aluminium, Gallium, Indium 14.3.1 Die Elemente 14.3.2 Verbindungen des Aluminiums mit Wasserstoff 14.3.3 Verbindungen des Aluminiums mit Halogenen 14.3.4 Verbindungen des Aluminiums mit Sauerstoff 14.3.5 Verbindungen des Galliums und Indiums 14.4 Thallium <E33 Der Effekt des Inerten Paares> 3 15 Die Elemente der Gruppe 14 (Kohlenstoff-Gruppe) 15.1 Allgemeines 15.2 Der Kohlenstoff 15.2.1 Die Sonderstellung des Kohlenstoffs 15.2.2 Das Element 15.2.3 Berbindungen mit Halogenen 15.2.4 Verbindungen mit Sauerstoff 15.2.5 Verbindungen mit Stickstoff 15.2.6 Carbide 15.3 Silizium, Germanium 15.3.1 Die Elemente 15.3.2 Verbindungen mit Wasserstoff 15.3.3 Verbindungen mit Halogenen 15.3.4 Verbindungen mit Sauerstoff <E34 Glas> 15.3.5 Sauerstoffsäuren und Silikate 15.3.6 Verbindungen mit Kohlenstoff 15.4 Zinn, Blei 15.4.1 Die Elemente 15.4.2 Verbindungen der vierwertigen Elemente 15.4.3 Verbindungen der zweiwertigen Elemente 16 Die Hauptgruppenelemente im Überblick 16.1 Oxidationszahlen 16.2 Azidität 16.3 Bindungsarten 16.4 Stabilitätskriterien 17 Atombau II 17.1 Das Bohr’sche Atommodell 17.2 Die Emissionsspektren des Wasserstoffs 17.3 Die Unschärferelation 17.4 Das wellenmechanische Atommodell 18 Die Elemente der Nebengruppen 18.1 Allgemeines 18.2 Die Elemente des d-Blocks 18.2.1 Das Periodensystem der d-Blockelemente 18.2.2 Die d-Blockelemente in wässriger Lösung <E35 Komplexverbindungen II> 18.2.3 Halogenide der d-Blockelemente 18.2.4 Oxide der d-Blockelemente <E36 Magnetochemie> 18.2.5 Nichtstöchiometrische Verbindungen 18.2.6 Legierungen 18.3 Die Elemente des f-Blocks 18.3.1 Lanthanoide 18.3.2 Actinoide <E37 Kernphysikalische Prozesse> 19 Einführung in die Organische Chemie 4 19.1 Einleitung 19.2 Systematik organischer Verbindungen 19.2.1 Das Kohlenstoffgerüst 19.2.2 Funktionelle Gruppen 19.2.3 Nomenklatur 19.3 Die organisch-chemische Reaktion 19.3.1 Reaktionskoordinaten und Reaktionsverlauf 19.3.2 Klassifizierung von Reaktionen 19.3.2.1 Allgemeines 19.3.2.2 Additionsreaktionen 19.3.2.3 Eliminierungsreaktionen 19.3.2.4 Substitutionsreaktionen 19.3.3 Nachbargruppeneffekte 19.4 Ausgewählte Substanzklassen 19.4.1 Alkane und Cycloalkane 19.4.2 Alkene 19.4.3 Alkine 19.4.4 Arene <E38 Arbeitssicherheit und Toxizität> 19.4.5 Heterozyklen 19.4.6 Alkohole <E39 Siedediagramme> 19.4.7 Ether 19.4.8 Amine und Nitroverbindungen 19.4.9 Aldehyde und Ketone 19.4.10 Carbonsäuren und ihre Derivate 19.5 Spezielle Kapitel der Organischen Chemie 19.5.1 Hochmolekulare Stoffe 19.5.1.1 Polymerisate 19.5.1.2 Polykondensate 19.5.1.3 Polyaddukte 19.5.2 Naturstoffe 19.5.2.1 Fette 19.5.2.2 Kohlehydrate 19.5.2.3 Aminosäuren und Proteine <E40 Symmetrie und Chiralität> 19.5.3 Metallorganische Verbindungen 19.5.3.1 Übersicht 19.5.3.2 Verbindungen der Hauptgruppenelemente 19.5.3.3 Verbindungen der Nebengruppenelemente <E41 Katalyse II> 5 1 Einleitung 1.1 Organisation Die Vorlesung findet im Pflichtteil (3 SWS) jeweils Mo 12-13 Uhr (Hörsaal N5) und Do 10-12 Uhr (Hörsaal N5) statt. Hinzu tritt ergänzend im Umfang von 1 SWS eine Experimentalvorlesung (Di 14-15 Uhr, Hörsaal N5, Termine nach Ankündigung). Der Inhalt des Pflichtteils ist Gegenstand der die Vorlesung abschließenden Prüfung. Sprechstunde: nach der Vorlesung bzw. nach Vereinbarung (Tel. 29 76218, E-mail: [email protected]) 1.2 Hörerkreis Die Vorlesung wendet sich an Studierende der Studiengänge Physik (Diplom), Geowissenschaften (Diplom, B.Sc.) und Biologie (Lehramt ohne Beifach Chemie). Gäste anderer Studienrichtungen sind willkommen. 1.3 Literatur Zur Ergänzung der Vorlesung und zum Selbststudium werden empfohlen: C. E. Mortimer, U. Müller Chemie Georg Thieme, Stuttgart E. Riedel* Anorganische Chemie Walter de Gruyter, Berlin M. Schmidt* Anorganische Chemie (Band 1) BI Hochschultaschenbücher, Mannheim R. Demuth, F. Kober* Grundlagen der Komplexchemie Salle + Sauerländer, Frankfurt a.M. E. Breitmaier, G. Jung* Organische Chemie Georg Thieme, Stuttgart W. Strähle Allgemeine und Anorganische Experimentalchemie http://casgm3.anorg.chemie.uni-tuebingen.de/akkuhn/Abb/grundvorlesung.pdf 6 N. Kuhn Allgemeine und Anorganische Experimentalchemie http://casgm3.anorg.chemie.uni-tuebingen.de/akkuhn/experimentalchemie.pdf *im Leihbestand der UB Tübingen (Außenstelle Morgenstelle) 2 Definitionen 2.1 Nachbarfächer Mathematik: Lehre von den Zahlen Physik: Lehre von den Kräften Biologie: Lehre vom Leben Geologie: Lehre von der Erde 2.2 Chemie Chemie: Lehre von den Stoffen Die Chemie ist die Lehre von der Materie, ihrem Aufbau, ihren Eigenschaften und ihrer Umwandlung. Aus in der Tradition verankerten organisatorischen Gründen unterscheidet man zwischen den Teilgebieten Organische Chemie (Stoffchemie der Kohlenwasserstoffe) Anorganische Chemie (sonstige Stoffchemie) Physikalische Chemie (Anwendung physikalischer Methoden auf chemische Fragestellungen) Theoretische Chemie (Bearbeitung chemischer Fragestellungen mit Rechenmethoden) Biochemie (Chemie des Lebens) Geochemie (Bearbeitung geologischer Fragestellungen mit chemischen Methoden) u.a.m. Die Teilgebiete „Anorganische Chemie“ und „Organische Chemie“ lassen sich in die Bereiche Synthese (Herstellung von Stoffen) Analyse (Charakterisierung von Stoffen) Reaktionen (Chemisches Verhalten von Stoffen) gliedern. 3 Chemische Stoffe 3.1 Phasen und Gemische Jede Materie ist aus chemischen Bestandteilen aufgebaut. Man spricht daher von Chemischen Systemen. Diese können heterogen, d.h. aus Komponenten mit verschiedenen physikalischen und chemischen Eigenschaften aufgebaut sein, oder homogen sein; in diesem Falle haben sie 7 durchgehend identische Eigenscnaften. Homogene Systeme können Lösungen oder Reine Stoffe sein. Reine Stoffe wiederum lassen sich Atomsorten) oder Elemente (Moleküle bzw. Atome nur einer Atomsorte) (Abb. 1). Abb. 1: Chemische Stoffe 3.2 Trennmethoden Heterogene Systeme und Lösungen lassen sich unter Ausnutzung ihrer verschiedenen physikalischen Eigenschaften in die zu Grunde liegenden Reinen Stoffe auftrennen. Hierbei handelt es sich um physikalische Vorgänge, da chemische Bindungen weder gespalten noch geknüpft werden. Die Überführung der Reinen Stoffe hingegen in die zu Grunde liegenden Atome gelingt nur unter Durchführung Chemischer Reaktionen. Die Auftrennung von Heterogenen Systemen oder Lösungen kann jedoch auch den Einsatz chemischer Reaktionen erfordern, wenn sich die Komponenten hinsichtlich ihrer physikalischen Eigenschaften nur geringfügig unterscheiden. Allerdings wird hierbei wenigstens eine der Komponenten in eine andere chemische Verbindung überführt. Tab. 1 gibt Beispiele der Eigenschaftsunterschiede und der verwendeten Methoden Tab. 1: Trennmethoden 4 Atombau I 4.1 Aufbau des Atoms Im vorstehenden Kapitel haben wir erfahren, dass Materie (Chemische Systeme) aus Molekülen aufgebaut ist, die wiederum durch Verknüpfung von Atomen (Chemische Bindung, Atombindung) gebildet werden. Das Knüpfen und Lösen solcher Bindungen bezeichnet man als Chemische Reaktion. Demgegenüber ist die Spaltung und Verschmelzung von Atomen ein physikalischer Vorgang der später besprochen werden soll (vgl. E37). Zum Verständnis der Chemischen Bindung, mithin der Chemischen Reaktion, benötigen wir jedoch eine zunächst stark vereinfachte Kenntnis des Aufbaus der Atome. Atome bestehen aus einem Kern (zusammengesetzt aus Protonen und Neutronen), sowie einer Hülle aus Elektronen. Aus diesen drei Elementarteilchen (Tab. 2) ist die gesamte Materie aufgebaut. Es ist ersichtlich, dass sich die Masse des Atoms im Kern konzentriert, der jedoch ein sehr geringes Volumen aufweist. Die Ausdehnung des Atoms wird von der Elektronenhülle bestimmt. Tab. 2: Bausteine der Atome 8 Die Kernbausteime sind angenähert massengleich, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der elektrischen Ladung. Das Proton (p+) trägt eine positive elektrische Elementarladung, während das Neutron (nto) ungeladen ist. Dem Elektron (e-) kommt die negative elektrische Elementarladung zu. In einem Atom ist die Zahl der Protonen im Kern gleich der Zahl der Elektronen in der Elektronenhülle, so dass sich die elektrischen Ladungen kompensieren und das Atom insgesamt ungeladen, d.h. elektroneutral ist. Die chemischen Eigenschaften eines Atoms werden von der Zahl der Elektronen in der Elektronenhülle und deren Struktur festgelegt. Wir können die Atomsorte somit auch durch Angabe der Zahl der Protonen im Kern charakterisieren; diese Zahl nennt man auch Ordnungszahl (p). Die Neutronen im Kern werden offensichtlich zur Stabilisierung des Kerns benötigt. Tatsächlich unterliegen ja die positiv geladenen Protonen der elektrostatischen Abstoßung, die durch die Gravitation (Massenanziehung) ausgeglichen wird. Hierzu leisten die Neutronen einen unverzichtbaren Beitrag. Die Zahl der Neutronen kann bei gleicher Ordnungszahl variieren. Auf die chemischen Eigenschaften des Atoms nimmt die Zahl der Neutronen kaum Einfluß. Lediglich bei der Atomsorte („Element“) der Ordnungszahl 1 ist wegen der hier nicht auftretenden Abstoßung der Protonen voneinander die Gegenwart von Neutronen im Kern entbehrlich. Einer Konvention und der Historie entsprechend gibt man die Ordnungszahl p sowie die relative Masse (nt+p) in Gestalt von Indices zusätzlich zum Elementsymbol E an. nt+p pE Die Kenntnis der Elementsymbole (Tab. 3) ist wichtige Voraussetzung zur Formulierung von Chemischen Reaktionen. Tab. 3: Die Elemente und ihre Symbole 4.2 Der Aufbau der Elektronenhülle Auf Grund der entgegengerichteten elektrischen Ladung sollten sich Atomkerne und die Elektronen der Hülle anziehen, woraus eine Verschmelzung beider Teile unter Zerstörung des Atoms folgen sollte. Unter bestimmten Bedingungen (Quantenbedingungen), deren Grundlage später (Kap. 17) besprochen werden soll, unterbleibt diese Verschmelzung mit der Folge, dass die Elektronenhülle bestimmten Aufbauprinzipien gehorchen muß. Hierbei lassen sich den Elektronen bestimmte Energiezustände zuordnen, die nur diskrete (d.h. nicht beliebige Energiewerte in Form eines Kontinuums) Werte annehmen können. Diese Energiezu9 stände lassen sich durch die sog. Quantenzahlen beschreiben. Die Quantenzahlen können nur bestimmte Werte annehmen. Eine mathematische Behandlung der Wechselwirkung zwischen Atomkern und Elektronenhülle ergibt zudem, dass die Lage der Elektronen relativ zum Kern nicht exakt, sondern nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit angegeben werden kann (Unschärferelation). In einer bildlichen Vorstellung weist man deshalb den Elektronen, charakterisiert durch ihre Quantenzahlen, die Anwesenheit in mathematisch definierten Raumsegmenten, deren Zentrum der Atomkern bildet, zu. Diese Raumsegmente nennt man Orbitale. Die Energie des Elektrons wird von der Kernanziehung und der interelektronischen Abstoßung gesteuert. Für die Quantenzahlen n (Hauptquantenzahl), l (Nebenquantenzahl) und m (magnetische Quantenzahl) gilt im Einzelnen: n kann alle ganzzahligen positiven Werte beginnend mit 1 annehmen: [n = (1),(2),(3)…∞]; n beschreibt die Ausdehnung des Orbitals und somit, wegen der Abhängigkeit der Anziehung zwischen Kern und Elektron, dessen Energie. Aus historischen Gründen werden in der Chemie an Stelle der Zahlenwerte 1,2,3,4… gelegentlich die Buchstaben K,L,M,N… verwendet. l kann alle ganzzahligen (positiven) Werte im Intervall zwischen 0 und n1 annehmen: [l = 0,1,…,(n-1)] beschreibt die Gestalt des Orbitals, innerhalb der gleichen Hauptquantenzahl sind Elektronen verschiedener Nebenquantenzahl wegen der unterschiedlichen interelektronischen Abstoßung nicht energiegleich. Aus historischen Gründen werden in der Chemie an Stelle der Zahlenwerte 0,1,2,3,4… die Buchstaben s,p,d,f,g… verwendet. m kann alle ganzzahligen Werte im Bereich +l und –l annehmen: [m = +(l),+(l-1),+(l-2),…(0),…-(l-2),-(l-1),-(1)]; m beschreibt die Orientierung des Orbitals im Raum, der durch ein kartesisches Koordinatensystem (x,y,z) definiert wird. Gestalt (l) und Ausrichtung (m) der s-, p- und d-Orbitale sind in Abb. 2 wiedergegeben. Es ist leicht ersichtlich, dass die Superposition aller durch m unterschiedenen Orbitale nl wieder zur Kugelsymmetrie führt. Abb. 2: Gestalt und Orientierung der Orbitale Da die Zugehörigkeit der Elektronen zur Hauptquantenzahl n den primären Beitrag zur Enegie des Elektrons leistet (Schalenstruktur), spricht man auch von der K,L,M…-Schale des Atoms. Die chemischen 10 Eigenschaften eines Atoms (Knüpfen und Lösen von Bindungen) werden durch die Elektronen der äußersten Schale (Valenzelektronen) gesteuert, die am wenigsten fest mit dem Kern verbunden sind. Die Konfiguration der Valenzelektronen wird üblicherweise durch den Term nlx (x = Anzahl der Elektronen in nl) angegeben. Eine vierte Quantenzahl s (Spinquantenzahl) resultiert aus dem Eigendrehimpuls jedes Elektrons. s kann die Werte +1/2 und -1/2 (unabhängig von den sonstigen Quantenzahlen) annehmen; die nur durch die Spinquantenzahlen unterschiedenen Elektronenzustände sind energiegleich (entartet). Für die Besetzung der Orbitale (Energiezustände der Elektronen) gilt das Pauli-Prinzip: In einem Atom dürfen zwei Elektronen nicht in allen vier Quantenzahlen übereinstimmen. Dies bedeutet, das jedes Orbital, charakterisiert durch die Quantenzahlen n, l und m, jeweils zwei Elektronen (unterschieden durch s = +1/2, -1/2) aufnehmen kann. Hieraus und aus dem zuvor genannten zahlenmäßigen Zusammenhang der Quantenzahlen ergibt sich für jede Schale (Hauptquantenzahl) die Art der möglichen Orbitale und somit der maximal möglichen Anzahl der Elektronen: K-Schale (n = 1): l = 0; m = 0; (s-Elektronen) Zahl der Orbitale: 1 maximale Anzahl der Elektronen: 2 L-Schale (n = 2): l = 0, m = 0 (s-Elektronen) l = 1; m = +1,0,-1 (p-Elektronen) Zahl der Orbitale: 4 maximale Anzahl der Elektronen: 8 M-Schale (n = 3): l = 0, m = 0 (s-Elektronen) l = 1; m = +1,0,-1 (p-Elektronen) l = 2; m = +2,+1,0,-1,-2 (d-Elektronen) Zahl der Orbitale: 9 maximale Anzahl der Elektronen: 18 11 N-Schale (n = 4) l = 0, m = 0 (s-Elektronen) l = 1; m = +1,0,-1 (p-Elektronen) l = 2; m = +2,+1,0,-1,-2 (d-Elektronen) l = 3; m = +3,+2,+1,0,-1,-2,-3 (f-Elektronen) Zahl der Orbitale: 16 maximale Anzahl der Elektronen: 32 usw. Orbitale des Typs l > 3 (g,h…-Orbitale) sind für die Chemie nicht relevant. Beim Aufbau der Elektronenhülle eines Atoms gemäß der Schalenstruktur (Hauptquantenzahl) führt die Aufspaltung der Energieniveaus durch die Nebenquantenzahlen zu einer „Störung“ der Termfolge (Abb. 3), deren Kenntnis für den Aufbau des Periodensystems und die Vorhersage der chemischen Eigenschaften eines Atoms von Bedeutung sind. Abb. 3: Energieniveauschema der Orbitale Bei der Besetzung energiegleicher, d.h. nur durch m unterschiedenen Orbitale mit Elektronen gilt die Hund’sche-Regel: Energiegleiche (entartete) Orbitale werden zunächst nur einfach mit Elektronen besetzt. Hierdurch wird die zur Aufnahme zweier Elektronen im gleichen Orbital aufzuwendende Spinpaarungsenergie (elektrostatische Abstoßung der Elektronen) vermieden. Hieraus ergibt sich für die schrittweise Abfolge der Besetzung beispielsweise der L-Schale (n = 2) folgendes Schema (Abb. 4): Abb. 4: Die schrittweise Besetzung der L-Schale (n = 2) mit Elektronen Die energetische Abfolge der Orbitale ergibt sich aus Abb. 5. Abb. 5: Die energetische Abfolge der Orbitale 5. Das Periodensystem der Elemente 5.1 Historisches Wir haben bereits gesehen, dass die Chemischen Eigenschaften eines Atoms wesentlich von der Konfiguration seiner Valenzelektronen nl x 12 bestimmt wird. Genauer gesagt: Atome, die sich bezüglich der Valenzelektronenkonfiguration nur durch die Hauptquantenzahl n unterscheiden, sollten ähnliche Chemische Eigenschaften aufweisen. Dies steht mit der Konstruktion des Periodensystems der Elemente, in dem die Atomsorten nach aufsteigender Ordnungszahl p gegliedert in Zeilen und Spalten aufgeführt werden, in Zusammenhang. Die erstmalige Aufstellung des Periodensystems durch Lothar Meyer und Dimitri Mendelejew (1868) stellt eine der bedeutendsten geistigen Leistungen auf dem Gebiet der Chemie dar und hat deren weitere Entwicklung wesentlich beeinflusst. Der zu Grunde liegende Gedankengang soll deshalb kurz vorgestellt werden. Schon zu einem früheren Zeitpunkt war das ähnliche Chemische Verhalten bestimmter Elemente (Li, Na, K; Cl, Br, I; Cu, Ag, Au) erkannt worden. Zum Zeitpunkt der Arbeiten von Meyer und Mendelejew. konnten die Atommassen bereits hinreichend genau bestimmt werden. Den Autoren erschien es (zeitgleich und voneinander unabhängig) sinnvoll, die Elemente mit aufsteigender Masse dergestalt anzuordnen, dass Atomsorten ähnlicher Eigenschaften jeweils untereinander, also in gemeinsamen Spalten, zu stehen kamen. Abgesehen von einigen zeitbedingten Irrtümern (Masse statt Ordnungszahl als Ordnungsprinzip, Fehlen der noch nicht bekannten Edelgase etc.) entstand so ein zweidimensionales Schema, in dem auch Leerstellen für noch nicht bekannte Elemente aufgeführt waren. Die korrekte Vorhersage der Eigenschaften solcher Elemente bestätigte die Validität des Konzepts; so stimmten die vorhergesagten Eigenschaften des Elements Eka-Silizium mit denen des wenig später entdeckten und „Germanium“ genannten Elements hervorragend überein. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E1 Anmerkungen zur Chemiegeschichte> Chemie ist eine vergleichsweise „junge“ Wissenschaft; dies soll heißen, dass die heute als „wissenschaftlich gültig“ akzeptierten Grundlagen erst innerhalb etwa der letzten 250 Jahre gefunden wurden. Als Ursache hierfür kann die wegen der geringen Größe nicht direkt durch die Sinnesorgane mögliche Beobachtung der Atome und Moleküle gelten. Die Kenntnis der Chemiegeschichte ist nicht notwendige Voraussetzung für das Verständnis dieser Disziplin. Dennoch soll hier ein kurzer Abriß der historischen Entwicklung vorgestellt werden. Formulierung einer Atomtheorie durch Demokrit, wonach die Materie aus kleinsten unteilbaren Teilchen besteht ab ca. 700 n.Chr. Entwicklung der Alchemie durch die Araber und ihre Übertragung unter Einbezug christlich sanktionierter ca. 400 v.Chr. 13 ab ca. 1750 1776 1808 1828 ab 1835 1868 ab 1903 ab 1913 1924 ab 1925 ab 1925 1938 ab 1950 Werte (Aristoteles). Im Mittelpunkt stand die Umwandlung aller Stoffe ineinander (z.B. Herstellung von Gold) unter Zuhilfenahme magischer Kräfte („Stein der Weisen“) Beginn der modernen Wissenschaft Postulat der „zweckfreien“ experimentell gestützten Grundlagenforschung (Boyle) Verbindungen besitzen eine konstante Zusammensetzung (Lavoisier) Formulierung der Atomhypothese (Dalton): Aufbau der Materie aus unteilbaren Teilchen (Atome) Bestimmung der Atommassen (ungenau) Gesetz der konstanten und multiplen Proportionen Darstellung von Harnstoff (eine organische Verbindung) aus dem anorganischen Salz Ammoniumcyanat (Wöhler) Entwicklung der Agrikulturchemie (Liebig) Konstruktion des Periodensystems (Meyer und Mendelejew) Entdeckung der Elementarteilchen (Rutherford) sowie der Radioaktivität (Bequerel, Curie) Postulat des physikalisch relevanten Quantenmechanischen Atommodells (Bohr, Sommerfeld) unter Rückgriff auf die Quantentheorie (Planck, 1900) Postulat der Wellennatur des Elektrons (de Broglie) in Analogie zum Welle/Teilchendualismuns des Lichts (Compton, Einstein) Das Wellenmechanische Atommodell (Schroedinger, Jordan, Heisenberg u.a.) Wissenschaftliche Konzepte der Chemischen Bindung (Pauling) und ihre quantenchemischen Berechnung (Hückel, Heitler, London u.a.) Entdeckung der Kernspaltung (Hahn, Meitner, Strassmann) Entwicklung moderner spektroskopischer Verfahren als Routinemethoden (UV, IR, NMR, Röntgenbeugung, MS) ….. Bereits im Altertum wurden, ohne Kenntnisse der Wissenschaft Chemie, chemische Prozesse in z.T. noch heute verwendeten Verfahren zur Produktion, z.B. von Farbstoffen (Ägypten) oder Metallen (Hethiter), verwendet. Die gezielte Entwicklung von Produkten ist jedoch erst in 14 Kenntnis der wissenschaftlichen Zusammenhänge, also etwa seit 1850, möglich. Seither hat der Aufbau der Chemischen Industrie, speziell in Deutschland (die BASF AG ist derzeit der weltweit größte Chemiekonzern) eine stürmische, durch die Weltkriege nur kurzzeitig unterbrochene Entwicklung genommen. Heute stehen im Zentrum industrieller Tätigkeit neben der Produktion bekannter Grundstoffe die Entwicklung neuer Materialien und Pharmazeutika. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 5.2 Der Aufbau des Periodensystems Der zuvor geschilderten historischen Konzeption stellt das Periodensystem der Elemente nunmehr eine nach steigender Ordnungszahl geordnete Reihung der Atomsorten (Elemente) dar, wobei Atomsorten gleicher Valenzelektronenkonformation nlx jeweils in Spalten (Gruppen) untereinander stehend angeordnet sind und ähnliche chemische Eigenschaften aufweisen. Die Zeilen, den „Schalen“ entsprechend, enthalten Atomsorten gleicher Hauptquantenzahl im Valenzbereich und werden, entsprechend der periodischen Änderung der Eigenschaften ihrer Elemente wegen, auch Perioden genannt (Abb. 6) Abb. 6: Das Periodensystem der Elemente Der Aufbau des Periodensystems spiegelt somit die zuvor besprochene Strukturierung der Elektronenhülle, darstellbar durch die Quantenzahlen, wieder. Es ergibt sich hierdurch 1s1,2 2s1,2 2p1-6 3s1,2 3p1-6 4s1,2 3d1-10 4p1-6 5s1,2 4d1-10 5p1-6 6s1,2 5d1 4f1-14 5d2-10 6p1-6 7s1,2 H, He Li, Be B - Ne Na, Mg Al - Ar K, Ca Sc – Zn Ga – Kr Rb, Sr Y - Cd In – Xe Cs, Ba La Ce – Lu Hf – Hg Tl – Rn (ab Po sind sämtliche Atomsorten instabil, d.h. radioaktiv) Fr, Ra 15 6d1 Ac 1-14 5f Th – Lr (ab U sind keine in der Natur vorkommenden Atomsorten bekannt) 2-6 6d Unq – Uns (Namensgebung umstritten) … Dies entspricht dem in Abb. 5 genannten Schema. Auch die Elemente Tc und Pm sind nur in Form radioaktiver Isotope bekannt. Neben der Kenntnis der Elementsymbole ist die Kenntnis ihrer Stellung im Periodensystem und somit der Valenzelektronenkonfiguration nlx zur Abschätzung ihrer Eigenschaften unerlässlich. Auf die vorhersehbare Änderung der Eigenschaften von Atomsorten innerhalb einer Gruppe (geringfügig) und Periode (ausgeprägt) wird nachfolgend bei der gruppenweise geordneten Besprechung der Elemente eingegangen. Zunächst werden die Hauptgruppenelemente (ns1 bis np6 ) und ihre wichtigen Verbindungen mit den zuvor abgehandelten Elementen anderer Hauptgruppen besprochen. 6. Die Elemente der Gruppe 18 (Edelgase) 6.1 Allgemeines Die Elemente der Gruppe 18 heißen Edelgase, weil man früher irrtümlich glaubte, sie könnten sich prinzipiell nicht mit anderen Elementen verbinden. Das ist nicht der Fall. Dennoch nehmen diese Elemente insofern eine Sonderstellung ein, als sie als einzige Elemente unter Normalbedingungen (1at, 20 °C) atomar vorkommen. Sie vereinigen sich also nicht mit sich selbst zu Edelgasmolekülen. Diese Tatsache lässt sich aus dem Atombau verstehen. Im Grundzustand sind die s-Orbitale und (ab n = 2) auch die p-Orbitale der höchsten Hauptquantenzahl mit 2 (He, 1s2 ) bzw. 8 (Ne–Rn, ns2p 6, n = 2-6) Elektronen vollständig besetzt. Dieser elektronisch gesättigte, auch als Edelgaskonfiguration bezeichnete Zustand reduziert die Bereitschaft der Atome zur Ausbildung von chemischen Bindungen auf ein Minimum. Auch die Entfernung von Elektronen aus der Elektronenhülle bzw. die Hinzufügung unter Bildung positiv (Kationen) oder negativ (Anionen) geladener Ionen erfordert einen hohen Energiebetrag. E → E+ + eE + e → E (Ionisierungspotential) (Elektronenaffinität) xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E2 Ionisierungsenergie und Elektronenaffinität> Die Energie, die erforderlich ist, um einem Atom das im Grundzustand am lockersten gebundene Elektron unter Bildung positiv geladenener Ionen zu enreißen, heißt sein Ionisierungspotential [eV] (genauer: das 1. 16 Ionisierungspotential; das 2., 3. usw. Ionisierungspotential sind dann die sich in jeder Stufe erheblich steigernden Energiebeträge, die zur Entfernung weiterer Elektronen aus den bereits positiv geladenen Ionen erforderlich sind). Das Ionisierungspotential (auch Ionisierungsenergie genannt) ist wegen der Abschirmung der Kernladung durch die inneren Elektronen keine direkte Funktion der Kernladung (sog. Effektive Kernladungszahl), sondern ändert sich mit der Stellung der Elemente im Periodensystem (Abb. 7). Hier ist deutlich zu sehen, dass das 1. Ionisierungspotential bei den Hauptgruppenelementen innerhalb einer Gruppe mit steigender Ordnungszahl abnimmt, innerhalb einer Periode jedoch anwächst. Abb. 7: Ionisierungspotentiale in Abhängigkeit von der Ordnungszahl Die zum Einfügen von Elektronen in die Elektronenhülle unter Bildung negativer Ionen aufzuwendende oder freigesetzte Energie heißt Elektronenaffinität [eV] (analog spricht man von 1., 2. usw. Elektronenaffinität). Auch dieser Energiebetrag steht in Zusammenhang mit der Stellung des Atoms im Periodensystem. Die 1. Elektronenaffinität eines Atoms entspricht der Ionisierungsenergie des zugehörigen Anions. Eine Ausnahme vom erwarteten Verlauf bilden die Elemente Fluor und Sauerstoff; hier erreichen die 1. Elektronenaffinitäten nicht die Maximalwerte innerhalb ihrer Gruppe, da die hohe Ladungsdichte der Elektronenhülle (kleine Atomradien) den Einbau zusätzlicher Elektronen behindert. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E3 Atomradien> Als Atomradius können wir den Abstand des Atomkerns von seinem äußersten Valenzelektron annehmen. Wie später bei der Behandlung des Wellenmechanischen Atommodells (Kap. 17.4) gezeigt wird, ist dieser Wert für ein isoliertes Atom nicht definiert. In der Umgebung gleichartiger Atome können wir die Hälfte des Atomabstandes bestimmen; dies gilt für die Edelgase in der Kristallpackung des festen Zustandes bei tiefen Temperaturen wie auch für mit der gleichen Atomsorte über die später zu besprechenden kovalenten Bindungen („Atombindungen“) verknüpften Atome (hier spricht man auch von Kovalenzradius). Innerhalb einer Gruppe des Periodensystems nehmen die Radien bei steigender Ordnungszahl durch den Aufbau neuer Schalen zu. Innerhalb einer Periode jedoch beobachten wir eine kontinuierliche Abnahme der Atomradien, bedingt durch die stärker werdende elektrostatische Anziehung als Folge der mit der Ordnungszahl wachsenden Kernladung. 17 Im Vergleich mit den Atomradien weisen die zugehörigen Ionen stark veränderte Ionenradien auf; erwartungsgemäß sind die Ionenradien der Kationen kleiner, während für die Anionen ein Zuwachs beobachtet wird. Die experimentelle Bestimmung von Kovalenzradien von mit unterschiedlichen Atomsorten verbundenen Atomen sowie von Ionenradien ist problematisch, da Elektronen nicht direkt sichtbar gemacht werden können. Kovalenzradien und Ionenradien zeigen eine deutliche Bandbreite in Abhängigkeit von der chemischen Umgebung. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 6.2 Eigenschaften Die nachfolgende Tabelle (Tab. 4) informiert über einige Eigenschaften der Edelgase, deren stetige Änderung in dieser Gruppe besonders deutlich wird. Die niedrigen Siede- und Schmelzpunkte und die gleichfalls niedrigen Verdampfungswärmen reflektieren den atomaren Aufbau der Elemente. Der innerhalb der Gruppe beobachtete Anstieg der Werte hängt in erster Linie nicht mit der Masse, sondern mit der steigenden Polarisierbarkeit der Atome zusammen; durch Verschiebung der Elektronenhülle gegenüber dem Kern wird hierbei ein Dipolmoment induziert, das eine interatomare elektrostatische Wechselwirkung auslöst. Tab. 4: Einige Eigenschaften der Edelgase 6.3 Vorkommen, Gewinnung, Verwendung Sämtliche Edelgase kommen auf der Erde als Bestandteil der Luft [Vol%] in geringer Konzentration vor: He 5x10-4 , Ne 2x10-3, Ar 0,9, Kr 10-4 , Xe 10-5. Helium, das im Welall zweithäufigste Element, findet sich zudem in Erdgasquellen (bis zu 9%), woraus es ausschließlich gewonnen wird. Die schwereren Edelgase werden durch fraktionierte Destillation der Luft (vgl. E39) oder durch Aufarbeitung des beim Haber-Bosch-Verfahren (Kap. 13.2.2) anfallenden Restgases (Ar) gewonnen. Seines niedrigen Siedepunktes bzw. seiner niedrigen Dichte wegen findet Helium umfangreiche Verwendung als Tieftemperaturkühlmittel sowie als Füllgas. Argon als billigstes Edelgas wird als Schutzgas (Vermeidung von Oxidation), z.B. beim Elektroschweißen oder als Füllgas für Glühbirnen, verwendet. Alle Edelgase finden Verwendung in der Beleuchtungstechnik zur Füllung von Leuchtröhren („Neonröhren“). 7. Der Wasserstoff 7.1 Allgemeines Während die Edelgase sich durch vollständig besetzte Valenzschalen (1s2 bzw. ns2 np6) und eine hiermit verbundene geringe Bereitschaft zur Ausbildung chemischer Bindungen auszeichnen, sind die repräsentativen 18 Elemente (zur Definition vgl. Kap. 18.1) durch teilweise besetzte Valenzorbitale, die über vollständig besetzten inneren Orbitalen liegen, charakterisiert. Hieraus resultiert für diese Atome eine hohe Bereitschaft zur Abgabe oder Aufnahme von Elektronen, um die Edelgaskonfiguration zu erreichen. Das Wasserstoffatom erfüllt mit seiner Elektronenkonfiguration 1s1 diese Vorgabe. Seiner chemischen Eigenschaften wegen wird es jedoch üblicherweise nicht den später zu besprechenden Elementen der Gruppe 1 (ns1) zugerechnet. Der Unterschied wird deutlich beim Vergleich der Ionisierungsenergien (Abb. 7): im Unterschied zu den sehr viel leichter ionisierbaren Elementen der Gruppe 1 erreicht das Ionisierungspotential des Wasserstoffs (13.2 eV) die Werte der schweren Edelgase. Als Ursache für die sehr feste Bindung des Valenzelektrons an den Kern ist das vollständige Fehlen der abschirmenden Rumpfelektronen zu beachten; im Gegensatz zu den Hydridionen H- ist das zugehörige, Proton genannte Kation H+ unter chemischen Bedingungen nicht existent. Das Element Wasserstoff liegt bei Normalbedingungen als zweiatomiges Molekül H2 vor. Hierin werden die beiden Atomkerne durch zwei gemeinsame Elektronen, ein sogenanntes Elektronenpaar, verbunden; hierdurch erreicht jedes Wasserstoffatom die stabile, der Edelgaskonfiguration des Heliums entsprechende Valenzelektronenzahl 2. Das gemeinsame Elektronenpaar wird in der Chemie als Bindestrich zwischen den Atomen geschrieben. H–H xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E4 Die Atombindung I> Die Verbindung von mehreren Atomen durch gemeinsame Elektronenpaare wird als Atombindung, häufiger auch als Kovalente Bindung bezeichnet. Von den beiden zur Beschreibung grundsätzlich geeigneten Modellen (VB, MO) wollen wir zunächst das Verfahren der Valenzbindung (Valence Bond, VB) betrachten. Die Energie eines Wasserstoffatoms (Aa) ist in erster Näherung durch die elektrostatische Wechselwirkung zwischen dem positiv geladenem Atomkern und dem negativ geladenen Elektron gekennzeichnet. Bei Annäherung eines zweiten Wasserstoffatoms (Bb) kommt es zusätzlich zu einer anziehenden Wechselwirkung zwischen dem Kern A und dem Elektron b sowie dem Kern B und dem Elektron a. Außerdem tritt eine abstoßende Wechselwirkung zwischen den gleichgerichtet geladenen Kernen (AB) und Elektronen (ab) ein. Bei starker Annäherung der Atome dominiert bei Unterschreitung des bindenden Abstandes der Atome die Abstoßung AB. Das Energieminimum kann rechnerisch nur näherungsweise bestimmt werden. 19 Wichtig für die Charakterisierung der Atombindung ist der Begriff der Resonanz. Man kann durch Berechnungen zeigen, dass sich die Gesamtverteilung der Elektronen durch die folgenden 4 Resonanzformen (I-IV) beschreiben lässt: AabB ↔ Ab aB ↔ Aab- B+ ↔ A+ abBI II III IV Zur Erläuterung der aus drucktechnischen Gründen mißverständlichen Gleichung sei erwähnt, daß in I und II die Elektronen a und b jeweils beiden Kernen, in III und IV jedoch nur einem Kern zugehören sollen. Der Begriff Resonanz meint keinen „dynamischen“, d.h. zeitabhängigen Vorgang mit bewegten Elektronen etwa im Sinne einer „Momentaufnahme“; vielmehr tragen alle Resonanzformeln „in der Summe“ (allerdings mit geringerem Gewicht von III und IV) zur Beschreibung der Gesamtsituation bei. In der VB-Vorstellung erfolgt die Wechselwirkung der Elektronenhüllen durch „Überlappung“ der Orbitale der beteiligten Atome (im Falle des H2Moleküls durch Überlappung der beiden 1s-Orbitale). Wie bereits erwähnt werden die im „Überlappungsintegral“, im von beiden Orbitalen gemeinsam gebildeten Raumsegment, befindlichen Elektronen jeweils beiden Atomen in der Elektronenbilanz zugerechnet, was im Falle von H2 zum Erreichen der Edelgaskonfiguration für beide Atome führt. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 7.2 Vorkommen, Gewinnung Eigenschaften, Verwendung Wasserstoff, im Weltall das häufigste Element überhaupt, steht auf der Erde mit 0.9 Gew.-% Häufigkeit erst an neunter Stelle. Praktisch liegt der gesamte Wasserstoff in chemisch gebundener Form vor. Hauptvorkommen ist das Wasser (ca. 1.5 1018 to), die häufigste chemische Verbindung überhaupt. Daneben ist Wasserstoff in allen organischen Verbindungen, insbesondere der Biomaterie und ihren Abbauprodukten (fossile Stoffe) enthalten. Die Darstellung von elementarem Wasserstoff erfolgt durch die später zu besprechende Zerlegung des Wassers (Kap. 11.2.2) oder durch thermische Zersetzung von Kohlenwasserstoffen („Crack-Prozesse“, vgl. Kap. 19.4.1). Die chemische Bindung im H2 -Molekül ist ungewöhnlich stabil; zu ihrer Spaltung, d.h. Zerlegung des Moleküls in die Atome, müssen 100 kcal/mol (zur Definition des Molbegriffs vgl. Kap. 8.2) aufgewendet werden, die umgekehrt beim Zusammentreten von zwei Wasserstoffatomen freigesetzt werden. Die Erzeugung von kurzlebigen Wasserstoff- 20 atomen (mittlere Lebensdauer ca. 0.3 sec) erfolgt durch Durchblasen eines H2 -Stromes durch einen Lichtbogen zwischen Wolframelektroden. Wasserstoff findet in großem Umfang Verwendung in der organischen und anorganischen Synthesechemie sowie als Brennstoff in sog. Brennstoffzellen. Seine sehr zahlreichen Verbindungen mit anderen Elementen werden bei deren Beschreibung besprochen. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E5 Isotope> Wir haben eingangs gesehen, dass der Elementbegriff (ausgedrückt durch die Ordnungszahl) an Atome gleicher Protonen- und Elektronenzahl gekoppelt ist. Tatsächlich ist jedoch in Atomen des gleichen Elements die Gegenwart einer unterschiedlichen Anzahl von Neutronen möglich und weit verbreitet. Solche Atome gleicher Ordnungszahl, jedoch unterschiedlicher Neutronenzahl, unterscheiden sich durch ihre Masse, nicht jedoch durch ihre chemischen Eigenschaften. Man nennt sie Isotope. Im Falle des Wasserstoffs liegt durch die hohe prozentuale Massendifferenz der bekannten Isotope 1 1H 2 1D 3 1T Wasserstoff (99.9 %) Deuterium (0.1 %) -17 Tritium (< 10 %) eine besondere Situation vor, die auch zur historisch bedingten, sonst unüblichen Vergabe eigener Elementsymbole geführt hat. Die hohe Massendifferenz von jeweils 100 % führt zu geringfügigen Unterschieden in den physikalischen Eigenschaften, etwa der Siedepunkte von H2 O und D2O („schweres Wasser“), die ihre Trennung ermöglicht. Deuteriumhaltige Verbindungen finden Verwendung in der Diagnostik und Kerntechnik. Tritium ist radioaktiv und zerfällt mit einer Halbwertszeit von 12.4 a (vgl. E37). xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 8 Die Chemische Reaktion 8.1 Allgemeines Gehen Elemente oder Verbindungen (A,B…) eine Chemische Reaktion unter Bildung von C,D... ein, so formuliert man diesen Vorgang entsprechend aA + bB + … → cC + dD + … (Reaktionsgleichung) 21 A,B,… werden als Edukte, C,D,… als Produkte bezeichnet. a,b,c,d bilden die stöchiometrischen Faktoren. Wichtig für den Ablauf der Reaktion sind die Energiebilanz (Thermodynamik) und die Reaktionsgeschwindigkeit (Kinetik). Die Reaktionsgleichung bildet die Grundlage der Mengenbilanz und –berechnung (Stöchiometrie). 8.2 Der Molbegriff, Mengen und Konzentrationen Im Periodensystem der Elemente finden sich, den Elementen zugeordnet, neben der Ordnungszahl auch Angaben zur Atommasse („Atomgewicht“). Zur Vermeidung der unhandlichen, sehr kleinen absoluten Massen, die sich additiv aus den Massen der Elementarteilchen zusammensetzen (vgl. Tab. 2) werden in der Chemie relative Atommassen, eben das sog. Atomgewicht verwendet. Willkürlich wird hierbei als Normierungsgröße 1/12 der Masse des Kohlenstoffisotops 126C der Zahlenwert 1 zugewiesen. Die relativen Massen der Moleküle und Salze („Formelgewicht“) setzen sich dann additiv aus den relativen Atommassen der Atomsorten zusammen (vgl. Tab. 3). Die dem Atomgewicht eines Elements bzw. dem Formelgewicht einer Verbindung in Gramm entsprechende Masse enthält 6.023 x 1023 Formeleinheiten (Atome Moleküle, Formeläquivalente). So bestehen bei Normalbedingungen 2.016 g Wasserstoff aus 6.023 x 1023 H2-Molekülen. Diese unvorstellbar große Zahl wird Lohschmidt’sche Zahl NL (in der neueren Literatur auch Avogadro-Zahl) genannt. NL Teilchen, entsprechen dem Formelgewicht [g] und bilden 1 Mol einer Chemischen Substanz. Zur üblichen Massenangabe [g] einer Substanz tritt folglich die in Kenntnis der relativen Formelmasse über den Dreisatz leicht zu berechnende Mengenangabe [mol]. Zur Berechnung von Stoffumsätzen gleichfalls wichtig ist die Kenntnis, dass 1 Mol eines (idealen) Gases, entspr. NL Atomen oder Molekülen, bei Normalbedingungen unabhängig von seinem Formelgewicht und seiner Dichte das Volumen von 22400 cm3 (22.4 lit.) einnimmt. Zur Umrechnung von Massen in Volumina von Lösungen (S = gelöste Substanz, LM = Lösungsmittel) wird die Angabe der Dichte benötigt. Konzentrationen a von Lösungen werden in der Chemie üblicherweise in Gew.-%: a[Gew.-%] = {Masse (S)[g]/Masse (S)[g] + Masse (LM)[g]}x100, in Mol.-%: a[Mol-%] = {Menge (S)[mol]/Menge (S)[mol] + Menge (LM)[mol]}x100 als Massenbruch: a = {Masse (S)[g]/Masse (S)[g] + Masse (LM)[g]}, 22 als Molenbruch: a = {Menge (S)[mol]/Menge (S)[mol] + Menge (LM)[mol]} oder als Molare Konzentration: a[Mol/lit. = m(molar)] = Menge (S)[mol]/lit. Lösung angegeben. 8.3 Thermodynamik Die Thermodynamik behandelt den Energieumsatz Chemischer Reaktionen. Unabhängig von der Art der freigesetzten oder aufgenommenen Energie wird er als Wärmeenergie [kcal/mol bzw. kJ/mol] angegeben. Entsprechend einer Konvention werden freigesetzte Energiemengen mit negativem Vorzeichen notiert. Eine anschauliche Vorstellung der Reaktionsenergie (Enthalpie) liefert Abb. 8, die den Ablauf einer Reaktion im Energieprofil skizziert. Ist die freiwerdende Energie kleiner als die zum Reaktionsablauf benötigte Anregungsenergie, ist während der Reaktion ständige Energiezufuhr nötig. Man unterscheidet zwischen exothermen Reaktionen (Wärmefreisetzung, ΔE < 0) und endothermen Reaktionen (Wärmeentzug, ΔE > 0). Physikalisch gesehen handelt es sich bei einer Chemischen Reaktion um einen Prozeß, bei dem „Chemische Energie“ und andere Energieformen ineinander umgewandelt werden. Abb. 8: Energiediagramm chemischer Reaktionen Bei endothermen Reaktionen stellt sich die Frage nach der Triebkraft ihres Ablaufs. Tatsächlich stellt man fest, dass zahlreiche Versuche, Salze, die in hoch geordnetem Zustand als Ionengitter (vgl. Kap. 10.3) vorliegen, in Wasser zu lösen, enotherm, d.h. unter Abkühlen der Lösung verlaufen. Ein Maß für die Ordnung eines Zustandes ist die Entropie (E). Endotherme Reaktionen sind mit einem Abbau der Ordnung verbunden. Wärmetönung (Enthalpie, H) und Entropie sind durch die Freie Enthalpie (G) verbunden: ΔG = ΔH – TxΔS (T = Temp. [K]) Die Differenzbildung Δ markiert G, H und S als sog. Zustandsgrößen. Edukte und Produkte beinhalten intrinsische Werte der Zustandsgrößen, deren Differenz beim Reaktionsablauf gebildet wird. Für freiwillig verlaufende Reaktionen gilt: ΔG < 0. 8.4 Kinetik 23 Die Geschwindigkeit einer Reaktion wird von der Thermodynamik nicht behandelt. Sie lässt sich beschreiben als Änderung der Konzentration eines der bei der Reaktion beteiligten Stoffe in der Zeiteinheit: A + B → C + D -d cA(B)/dt = k x cA x cB Zur Reaktion von A mit B ist ein Zusammenstoß zweier Teilchen erforderlich, dessen Wahrscheinlichkeit von der Konzentration beider Stoffe abhängt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Zusammenstoß zur Reaktion führt, kommt in der für die Reaktion charakteristischen Konstante k zum Ausdruck. Dies bedeutet, dass sich die Reaktionsgeschwindigkeit im Verlauf der Reaktion wegen der Abnahme von cA und cB verlangsamt. Der Wert von k ist u.a. von der Temperatur abhängig. Der komplexe Zusammenhang zwischen der Reaktionsgeschwindigkeit und der Anregungsenergie, der Kinetik und Thermodynamik verbindet, soll hier nicht näher behandelt werden. 8.5 Stöchiometrie Da im Verlauf einer Chemischen Reaktion Atomsorten weder neu gebildet noch vernichtet werden können, müssen in der zuvor aufgestellten Reaktionsgleichung die in den Komponenten A,B… sowie C,D… enthaltenen Atomsorten mittels der Koeffizienten a,b…, c,d… derart ausgeglichen werden, dass auf der Seite der Edukte und Produkte jeweils die gleiche Zahl der Atomsorten zu stehen kommt. Da nach der Reaktionsgleichung a Äquivalente A und b Äquivalente B zu c Äquivalenten C und d Äquivalenten D reagieren, müssen auch NL x a Äquivalente A mit NL x b Äquivalenten B, oder anders ausgedrückt, a Mol A und b Mol B zu der entsprechenden Zahl an Äquivalenten C und D reagieren. Da diese Mengenbegriffe über die Definition des Molbegriffs (1 Mol = eines Stoffes, NL Teilchen, entspricht der Masse des Formeläquivalents in Gramm) mit den Massen verbunden sind, lassen sich hieraus die entsprechenden Massen der Komponenten beliebiger Molzahl leicht errechnen. Zur Beherrschung dieser für die chemische Laborpraxis wichtigen Rechnungen bedarf es einer gewissen Übung. 9 Die Elemente der Gruppe 17 (Halogene) 9.1 Allgemeines 24 Den Elementen der Gruppe 17 ist die Valenzelektronenkonfiguration ns2 p5 gemeinsam. Ihr chemisches Verhalten wird folglich dominiert von dem starken Bestreben, ein Elektron unter Bildung der nächstliegenden stabilen Edelgasschale aufzunehmen. Diese Tendenz macht die Halogene in ihrer elementaren Form zu reaktiven Substanzen. Fluor, Chlor, Brom und Iod kommen deshalb in der Natur nur in Form ihrer Verbindungen vor (NaCl, NaBr, NaI gelöst im Meerwasser, NaCl, KCl, CaF2 und CaIO3 in Salzlagerstätten). Die Darstellung von Fluor und Chlor erfolgt durch Elektrolyse (vgl. E15) von Halogenid-Salzen, Brom und Iod hingegen werden aus den Halogenid-Salzen durch Oxidation mit Chlor erhalten (vgl. E14). 2 NaBr + Cl2 → 2 NaCl + Br2 Das radioaktive Astat soll hier nicht näher besprochen werden. Tabelle 5 informiert über einige Eigenschaften der Elemente, deren Gang dem der Edelgase entspricht. Elementar liegen alle Halogene, wie auch der Wasserstoff, als zweiatomige Moleküle vor, in denen die Atome die Edelgaskonfiguration erreichen. Anders als beim Wasserstoff tragen die Halogenatome hier zusätzlich zum bindenden Elektronenpaar noch jeweils 3 nichtbindende Elektronenpaare, die meist gleichfalls als jeweils nur einem Atom zugeordnete Striche symbolisiert werden. Tab. 5: Einige Eigenschaften der Halogene Eine Betrachtung der Bindungsenergien (Dissoziationsenergien) der Dihalogen-Moleküle ergibt im Vergleich mit dem H2-Molekül deutlich niedrigere Werte. Allgemein nimmt die Bindungsstärke kovalenter Bindungen infolge des geringer werdenden Überlappungsintegrals beim Übergang zu den schwereren Elementen deutlich ab; hinzu kommt bei den Halogenen die beim Wasserstoff nicht gegebene Abstoßung der nichtbindenden Elektronenpaare. Der innerhalb der Gruppe 17 beim Chlor beobachtete Höchstwert kann als Ergebnis der Superposition zweier gegenläufiger Effekte (Überlappungsintegral und bei den leichten Elementen auf Grund des geringeren Atomabstandes stärkere Abstoßung der nichtbindenden Elektronenpaare) interpretiert werden; eine weitere Erklärungsmöglichkeit als Folge einer π -Wechselwirkung wird an anderer Stelle (Kap. 11.2) besprochen. 9.2 Verbindungen mit Wasserstoff Sämtliche Halogene (X = F, Cl, Br, I) reagieren spontan mit Wasserstoff zu den Halogenwasserstoffen H-X, die gleichfalls, unter Erreichen der Edelgaskonfiguration für H und X, als zweiatomige Moleküle vorliegen. 25 H2 + X2 → 2 HX Da Wasserstoff nicht über freie Elektronenpaare verfügt, nimmt die Bildungsenergie gem. der Reaktionsgleichung beim Übergang zu den schwereren Halogenen kontinuierlich ab: ΔH[kcal/mol] = -128 (F), 44 (Cl), 25 (Br), 3 (I). Bei der Umsetzung von Wasserstoff mit Iod beobachtet man, dass die Edukte nicht vollständig umgesetzt werden. Offensichtlich ist der Bildungsreaktion von HI eine Zerfallsreaktion unter Rückbildung der Edukte überlagert. Man spricht vom Chemischen Gleichgewicht. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E6 Das Chemische Gleichgewicht> Grundsätzlich sind alle chemischen Reaktionen Gleichgewichtsreaktionen. Korrekt müsste man schreiben: H2 + I 2 <=> 2 HI Sie lassen sich kinetisch quantitativ beschreiben, wenn der „Hinreaktion“ H2 + I 2 → 2HI ; -dcH2/dt = k→ x cH2 x cI2 die “Rückreaktion” 2 HI → H2 + I 2; -dcHI/dt = k← x cHI x c HI gegenübergestellt wird. Die Reaktion kommt scheinbar zum Stillstand, wenn sich die Konzentrationen der beteiligten Komponenten nicht mehr ändern; in Wirklichkeit laufen beide Reaktionen unverändert, jedoch mit gleicher Geschwindigkeit, nebeneinander ab. Die Bildungs- und Zerfallsgeschwindigkeiten aller Komponenten sind nunmehr gleich, es gilt folglich: -dcH2 = -dcHI = dc H2 = dcHI; → ← k x cH2 x cI2 = k x c HI x cHI; oder → k ── = ← k c HI x cHI ────── = K cH2 x cI2 26 Allgemein gilt für die Reaktion A + B <=> C + D k→ ── = k← c C x cD ────── = K cA x cB Diese Gleichung wird aus historischen Gründen als Massenwirkungsgesetz bezeichnet. Für jede beliebige Reaktion existiert eine individuelle, nur von den Reaktionsbedingungen (z.B. der Temperatur) abhängige Gleichgewichtskonstante K, die bei „vollständig“ ablaufenden Reaktionen >> 1 wird. Entfernen einer Komponente, beispielsweise von C, aus dem Gleichgewicht durch Ausfällen, Entweichen in die Gasphase oder Einbindung in eine Folgereaktion führt zur „Verschiebung“ des Gleichgewichts durch Nachbildung von C. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Die sämtlich gasförmigen Halogenwasserstoffe HCl, HBr und HI sind in Wasser starke Säuren (die wäss. Lösung von HCl wird „Salzsäure“ genannt), während der kurz oberhalb Raumtemperatur siedende Fluorwasserstoff HF als wäss. Lösung („Flusssäure“) nur eine mittelstarke Säure darstellt. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E7 Broenstedt-Säuren und –Basen> Zur Definition des Säure/Base-Begriffs sind mehrere, meist historisch gewachsene Denkansätze sichtbar. Hier soll die für verdünnte wäss. Lösungen gültige nach Broenstedt vorgestellt werden. In wäss. Lösung reagieren Broenstedt-Säuren HX als Protonendonatoren, während Broenstedt-Basen B als Protonenakzeptoren fungieren (man beachte, dass freie Protonen H+ in chemischer Umgebung nicht existent sind): HX + H2 O <=> H3O+ + XB + H2O <=> BH+ + OHX- wird als korrespondierende Base der Säure HX, HB+ als korrespondierende Säure der Base B bezeichnet. In der Säurereaktion 27 agiert H2O als Base (korrespondierende Säure H3 O+), während in der Basereaktion H2O als Säure (korrespondierende Base OH -) fungiert. Säure-Base-Reaktionen nach Broenstedt sind folglich Konkurrenzreaktionen um Protonen, in denen jeweils 2 korrespondierende Säure/ Base-Paare auftreten. Auch diese Reaktionen sind selbstverständlich Gleichgewichtsreaktionen. Durch Anwendung des Massenwirkungsgesetzes lassen sich Gleichgewichtskonstanten KS und KB definieren: CH3O + x cX────── = KS’ ; cH2O = const. cHX x cH2O KS’ x cH2O = KS CBH+ x cOH────── = KB’; cH2O = const cB x cH2O KB’ x cH2O = KB KS und K B sind ein direktes Maß für die Stärke der Säure und Base; eine logarithmische Formulierung der Konstanten ist allgemein üblich: - log KS(B) = pKS(B) d.h.: je stärker negativ die pK-Werte, desto starker die Säuren bzw. Basen. Tabelle 6 gibt einen Überblick über die pKS-Werte wichtiger Säuren. Tab. 6: pKS -Werte einiger Säure/Base-Paare Man kann zeigen, dass die pK-Werte von Säure/Base-Paaren in wäss. Lösung folgender Beziehung gehorchen (vgl. auch Kap. 11.2.1, E20): KS x KB = 10-14; pK S + pKB = 14 Dies bedeutet, dass die korrespondierenden Basen starker Säuren schwache Basen sind, und umgekehrt. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 28 Die relativ geringe Säurestärke von HF gegenüber den anderen Halogenwasserstoffsäuren erklärt sich aus der hohen Bindungsenergie; dies ist nicht auf den ersten Blick einleuchtend, da der tabellierten Bindungsenergie die homolytische Spaltung in Atome zu Grunde liegt, während die Säurestärke eher der heterolytischen Spaltung in Ionen (H+ und X-) zuzuordnen wäre. Eine genauere, hier nicht durchzuführende Betrachtung (Born-Haber’scher Kreisprozeß) macht jedoch den experimentellen Befund verständlich. Dennoch soll nachfolgend auf das Problem der Polarität von Atombindungen eingegangen werden. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E8 Die Elektronegativität> Bei der Erklärung des Begriffes „Resonanz“ am Beispiel des H2Moleküls (Kap. 7.1, E4) haben wir 4 Grenzformeln gefunden, wobei den unpolaren I und II gegenüber den polaren III und IV ein höheres Gewicht bei der Beschreibung des Bindungszustandes zukam, die beiden Paare I/II und III/IV jedoch untereinander gleichgewichtet waren. Beim Übergang zum HF-Molekül tritt eine andere Situation ein (A = H, B = F); nun wird aus Berechnungen ersichtlich, dass der Grenzform IV wesentliches Gewicht zu kommt, wohingegen die Grenzform III zur Beschreibung der Bindungssituation fast bedeutungslos ist. Ein Vergleich der Ionisierungsenergien der Atomsorten H und F (13.2 bzw 17.4 eV) weist dem Fluoratom gegenüber dem Wasserstoffatom die deutlich höhere Fähigkeit, sein äußerstes Elektron festzuhalten, zu. In der kovalenten Bindung H-F hat dies offensichtlich zur Folge, dass das Fluoratom das bindende Elektronenpaar stärker anzieht und somit in Richtung auf seinen Kern verschiebt; dies hat eine Umgewichtung der Resonanzformeln und somit auch eine Verschiebung der elektrischen Ladung („Polarisierung“) zur Folge. Die Fähigkeit einer Atomsorte, in einer kovalenten Einfachbindung das bindende Elektronenpaar anzuziehen, wird Elektronegativität genannt. Der Gang der Elektronegativität und der des Ionisierungspotentials unter Berücksichtigung der Stellung der Elemente im Periodensystem sind vergleichbar. Anders als das physikalisch definierte und messbare Ionisierungpotential ist die Elektronegativität jedoch eine dimensionslose Vergleichsgröße, wobei dem elektronegativsten Element Fluor auf der sog. Pauling-Skala willkürlich, zur Vermeidung negativer Werte bei den elektropositiven Alkalimetallen, der Wert 4.0 zuerkannt wurde (Tab. 7) Tab. 7: Elektronegativität der Elemente 29 Spätere Überlegungen haben den Begriff „Elektronegativität“ durch Erweiterung der Definition auch Berechnungen zugänglich gemacht, worauf hier nicht eingegangen werden soll. Die Ladungsverschiebung bei der Verknüpfung von Atomen verschiedener Sorten und somit Elektronegativitäten bewirkt entlang dieser Bindung die Ausbildung eines elektrischen Dipols. Das Ausmaß der Ladungsverschiebung in Xδ+-Yδ- wird auch als Partielle Ladung bezeichnet. In mehratomigen Molekülen, d.h. solchen mit mehreren Bindungen, addieren sich die Dipolmomente der einzelnen Bindungen vektoriell, d.h. in Abhängigkeit von der Struktur (Symmetrie) des Moleküls. Bei hochsymmetrischen Molekülen kann dann, trotz hoher Polarität einzelner Bindungen, das Dipolmoment entfallen. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Die große Elektronegativitätsdifferenz der Elemente Wasserstoff und Fluor bewirkt ein hohes Dipolmoment des H-F-Moleküls, das Auswirkungen auf die physikalischen und chemischen Eigenschaften hat. Es kann zur Ausbildung einer besonderen Bindungsform führen. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E9 Die Wasserstoffbrückenbindung> Bei der Betrachtung der Edelgase und Dihalogen-Moleküle haben wir die mit der Ordnungszahl steigende Polarisierbarkeit der Systeme als Ursache für die in gleicher Richtung ansteigenden Siede- und Schmelzpunkte erkannt. Es ist verständlich, dass die Phasenübergänge in besonderem Maße auch von den permanenten Dipolmomenten beeinflußt werden, da, insbesondere beim Siedevorgang und Übertritt der Atome bzw. Moleküle als isolierte Teilchen in die Gasphase, die interatomaren (bei den Edelgasen) bzw. intermolekularen Kräfte, die ihren Zusammenhalt in der kondensierten Phase bewirken, gebrochen werden müssen. Beim Fluorwasserstoff (und in ähnlicher Weise auch beim später zu besprechenden Wasser) finden wir selbst in der Gasphase, nahe dem Siedepunkt, noch Aggregate (HF)n , deren intermolekulare Bindungsenergie die üblicher Dipolwechselwirkungen offenbar deutlich übersteigt. Im festen Zustand von HF liegen polymere Ketten hinsichtlich der Länge alternierender HF-Bindungen vor, wobei an den Wasserstoffatomen eine lineare, an den Fluoratomen jedoch eine gewinkelte Anordnung der Bindungen beobachtet wird. Noch extremer scheint die Situation im isolierten, sehr stabilen Anion HF2 - (formal ein Addukt aus HF und F-), das einen linearen, hinsichtlich der beiden Bindungen symmetrischen Aufbau aufweist (Abb. 9). Abb. 9: Die Struktur von HF 30 Offensichtlich bewirkt die Präsenz einer hohen positiven Partiellen Ladung am Wasserstoffatom die Ausbildung spezieller Bindungen mit Atomen hoher negativer Ladungsdichte, die nichtbindende Elektronenpaare tragen. Solche Bindungen, die hinsichtlich ihrer Bindungsenergie zwischen Atombindungen und „normalen“ Dipolwechselwirkungen liegen, werden Wasserstoffbrückenbindungen genannt. Ihre Beschreibung durch das VB-Modell verstößt auf den ersten Blick gegen das Pauli-Prinzip (4 Bindungselektronen im 1s-Orbital des Wasserstoffs), ist jedoch unter Zuhilfenahme der Resonanz möglich. - F H –F ↔ F–H F - Man beachte die unterschiedlichen Symbole für chemische Gleichgewichte (s.o.) und Resonanzgleichgewichte. Wir werden später ein besseres Verfahren zur Beschreibung dieser Bindung kennenlernen (vgl. E18). xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 9.3 Interhalogen-Verbindungen Ähnlich wie mit sich selbst oder mit Wasserstoffatomen können sich Halogenatome auch mit anderen Halogenatomen zu zweiatomigen Molekülen X–Y (X, Y = F, Cl, Br, I) verbinden. Die Darstellung erfolgt, wie auch bei den nachfolgend besprochenen mehratomigen Interhalogenverbindungen, aus den Elementen. Die hier vorliegende polarisierte Bindung führt gegenüber den Molekülen X–X zu einer deutlich erhöhten Reaktivität. X2 X2 X2 X2 + + + + Y2 → 2 XY 3 Y2 → 2 XY3 5 Y2 → 2 XY5 7 Y2 → 2 XY7 Tatsächlich sind auch Interhalogenverbindungen der Zusammensetzung XY3 (ClF3 , BrF3 , IF3, ICl 3), XY 5 (ClF5 , BrF5, IF5 ) und XY7 (IF7) bekannt. In diesen Verbindungen fungiert das jeweils schwerere Atom als Zentralatom, das von n jeweils einfach gebundenen Y-Substituenten umgeben ist. Da diese durch Atombindungen verknüpft sind, überschreiten die Zentralatome X die Edelgaskonfiguration, was zur geringen Stabilität dieser Verbindungen beiträgt. Sämtliche Verbindungen sind wegen der geringen Elektronegativitätsdifferenz der beteiligten Elemente molekular aufgebaut. 31 xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E10 Räumliche Orientierung der Bindungen und Hybridisierung> Wir haben gesehen, dass bei Ausbildung von Atombindungen Atomorbitale (Kap. 4.2, E4) überlappen. Die räumliche Orientierung der Orbitale (Abb. 2) sollte folglich den Bindungswinkel eines dreiatomigen Fragments, hier Y-X-Y, bestimmen. Wie wir, beispielsweise am später zu besprechenden Wassermolekül, noch sehen werden, sind Bindungswinkel von 90°, die wir bei Verwendung von zwei p-Orbitalen von X im obigen Fragment erwarten würden, selten. Tatsächlich werden meist größere Winkel beobachtet. An dieser Stelle sollten wir uns in Erinnerung rufen, dass es sich bei Orbitalen um mathematisch konstruierte Raumsegmente handelt; sie lassen sich nicht im Bedarfsfall „verbiegen“. Hingegen lassen sich Orbitale rechnerisch „mischen“; diesen Vorgang bezeichnet man als Hybridisierung. Bei der Bildung von Hybridorbitalen bleibt die Gesamtzahl der Orbitale erhalten. Es werden im Bereich der Hauptgruppenelemente jeweils Orbitale gleicher Hauptquantenzahl, aber verschiedener Nebenquantenzahl hybridisiert. Abb. 10 zeigt gängige Formen der Hybridisierung und die Ausrichtung der Hybridorbitale im Koordinatensystem. Abb. 10: Gestalt und Ausrichtung der Hybridorbitale spn (n = 1-3) Wichtige Winkel zwischen Orbitalen unter Einbezug von Hybridorbitalen (und somit Bindungswinkel) sind in Tabelle 8 aufgelistet. Die Angabe von Winkeln unter Beteiligung nicht-hybridisierter s-Orbitale ist wegen deren Kugelsymmetrie (fehlende räumliche Vorzugsausrichtung) nicht möglich. Tab. 8: Bindungswinkel zwischen Orbitaltypen In Wirklichkeit zeigen die experimentell gefundenen Bindungswinkel von den in Tab. 8 genannten Werten deutliche Abweichungen. Dies wird durch eine Variation des Mischungsverhältnisse erreicht. Hierauf kann hier nicht näher eingegangen werden. Triebkraft der Hybridisierung ist das Erreichen des energetisch günstigsten Zustandes. Folglich ist die Hybridisierung nicht die Ursache einer Molekülgeometrie, sondern die Anpassung an eine energetische Vorgabe. Ein Molekül ist nicht tetraedrich gebaut, weil das Zentralatom sp3 -hybridisiert ist; vielmehr ist das Zentralatom sp 3 -hybridisiert, weil die Tetraedergeometrie das Energieminimum darstellt. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E11 Das VSEPR-Modell> 32 Sind an ein Zentralatom verschiedene Substituenten gebunden oder sind nichtbindende Elektronenpaare zugegen, so regelt das VSEPR-Konzept die Besetzung der Koordinationsstellen und die Beeinflussung der Winkel. Hierbei wird zunächst die Summe der Bindungspartner und der nicht bindenden Elektronenpaare (hier als Koordinationszahl KZ bezeichnet) ermittelt und hieraus der energetisch günstigste Koordinationspolyeder gebildet. Dieser folgt aus der Verteilung der entsprechenden Zahl von negativen Ladungen auf einer Kugeloberfläche (Prinzip der minimalen Abstoßung) und liefert die Geometrien linear (KZ 2), trigonal planar (KZ 3) tetraedrisch (KZ 4) trigonal-bipyramidal (KZ 5) und oktaedrisch (KZ6), wie in Abb. 11 angegeben. Abb. 11: Gestalt von Molekülen der Koordinationszahlen 2-6 Zur Berücksichtigung der „Verzerrung“ der idealen Polyedergeometrie entsprechend den in Tabelle 8 angegebenen Winkeln ist nun Folgendes zu beachten: Die in den Valenzorbitalen des Zentralatoms befindlichen Elektronenpaare stoßen sich, entsprechend ihrer negativen Ladung, voneinander ab. Diese Abstoßung wird umso größer, je höher die Elektronendichte im betrachteten Orbital in Kernnähe ist. Hieraus ergibt sich für die Abstoßung (manchmal irreführend als „Platzbedarf“ bezeichnet; die Größe der Substituentenatome findet im VSEPR-Konzept keine Berücksichtigung) folgende Hierarchie der bindenden (b) und nichtbindenden (nb) Elektronenpaare: nb/nb > nb/b > b/b Nichtbindende Elektronenpaare sind nur dem Zentralatom zugehörig, während bindende Elektronenpaare ihre „Elektronendichte“ (negative Ladung) auf zwei Atome verteilen. Einen Sonderfall der Polyeder bildet die Trigonale Bipyramide (KZ 5), da hier die Koordinationspartner aus Sicht der Symmetrie unterschiedliche Positionen (2 axiale und drei äquatoriale Positionen) besetzen können. Hier gilt die Dominanz des kleinsten Winkels: ein Nichtbindendes Elektronenpaar besetzt bevorzugt eine äquatoriale Position, da hier nur zwei Nachbarn (in der axialen Position drei Nachbarn) im Winkel von 90° vorliegen. Für KZ > 6 liefert das VSEPR-Konzept keine verlässlichen Vorhersagen. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Übertragen wir nun die gewonnenen Erkenntnisse auf die Stereochemie der Interhalogenverbindungen: 33 Im Verbindungstyp XY5 verwendet das Zentralatom X 5 seiner 7 Valenzelektronen zur Asbildung der 5 Atombindungen, so dass 2 Valenzelektronen als Nichtbindendes Elektronenpaar verbleiben. Hieraus resultiert die KZ 6 (wegen der Präsenz eines Nichtbindenden Elektronenpaars spricht man von „Ψ–Oktaeder“). Die fünf Substituenten Y bilden also mit dem Zentralatom X eine Quadratische Monopyramide, während das Nichtbindende Elektronenpaar die 6. Koordinationsstelle Stelle des Oktaeders besetzt. Wegen der o.gen. Abstoßungshierarchie wird die Quadratische Monopyramide durch die Abstoßung nb/b in Art einer Regenschirmgeometrie verzerrt, d.h. die 4 äquatorialen Substituenten werden in Richtung auf den axialen Substituenten verschoben (Yax -X-Yeq < 90°). Im Verbindungstyp XY3 liegt wegen der Präsenz zweier nichtbindender Elektronenpaare eine Ψ-Trigonale Bipyramide vor, in der die nichtbindenden Elektronenpaare equatoriale Positionen besetzen. Durch die o.gen. Abstoßungshierarche werden die axialen Substituenten in Richtung auf die äquatoriale Position unter Verzerrung der idealen T-Geometrie verschoben (Yax-X-Yax < 180°). YF7 weist wegen der Abwesenheit nichtbindender Elektronenpaare am Zentralatom die Idealgeometrie der Pentagonalen Bipyramide auf. Den elektroneutralen Interhalogen-Molekülen sind zahlreiche ionische Interhalogen-Verbindungen zur Seite zu stellen, die formal und meist auch in der Synthesepraxis aus den Neutralverbindungen durch Abstraktion oder Addition von Y- entstehen. So lässt sich etwa BrF 3 in BrF2+ (Abstraktion von F-) oder BrF 4- (Addition von F-) überführen. BrF3 → BrF2+ + FBrF3 + F → BrF4 Für beide Ionen gilt die Strukturvorhersage des VSEPR-Konzeptes. Das Triiodid-Ion, die bekannteste ionische Interhalogenverbindung, ist in wäss. Lösung aus Iod und Kaliumiodid zugänglich („Iodiodkali“) und linear gebaut (KZ 5, Ψ-Trigonale Bipyramide, Besetzung der äquatorialen Positionen durch die Nichtbindenden Elektronenpaare). Hinsichtlich der Orbitalbeteiligungen an den Chemischen Bindungen lassen sich den Koordinationspolyedern die in Tabelle 8 angegebenen Hybridisierungen zuordnen. So entspräche dem linearen Aufbau des Triiodidions eine sp3 d-Hybridisierung des zentralen Iodatoms. Zur Vermeidung einer Beteiligung der energetisch hochliegenden (d.h. ungünstigen) d-Orbitale kann auch die Resonanzschreibweise I – I I- ↔ I- I – I 34 angewendet werden. Wir werden später (vgl. E18) eine günstigere Beschreibung dieser Bindungssituation finden. 9.4 Verbindungen mit Edelgasen Wir haben gesehen, dass die Edelgase wegen der bereits in ihren Atomen vorliegenden Edelkonfiguration nur eine geringe Neigung zur Ausbildung von Chemischen Bindungen, d.h. zur Betätigung ihrer Valenzelektronen aufweisen. Ein Vergleich der Ionisierungsenergien der Edelgase (Tab. 4) ergibt unter Vernachlässigung von Rn für das Element Xenon das geringste Ionisierungspotential; umgekehrt weist innerhalb der Gruppe 17 das Element Fluor die größte Befähigung, Elektronen aufzunehmen, auf. Tatsächlich ist eine Reihe stabiler Xenonfluoride Xe + F2 → XeF2 Xe + 2 F2 → XeF4 Xe + 4 F2 → XeF6 bekannt, die sämtlich aus den Elementen als hochreaktive, jedoch isolierbare Feststoffe gewonnen werden. XeF2 und XeF4 bilden im festen Zustand Gitter aus isolierten Molekülen, deren Aufbau der Vorhersage des VSEPR-Konzepts genügt (XeF2 : linear, KZ 5, Ψ-trigonal bipyramidal, Besetzung der äquatorialen Positionen mit nichtbindenden Elektronenpaaren; XeF4; quadratisch planar, KZ 6, Ψ-oktaedrisch, nichtbindende Elektronenpaare in trans-Stellung). XeF6 (KZ 7!) ist im festen Zustand nicht aus isolierten Molekülen aufgebaut. XeF2 ist im Handel erhältlich und wird bei Fluorübertragungsreaktionen als Ersatz für das schwer handhabbare Gas Fluor verwendet. 10. Die Elemente der Gruppe 1 (Alkalimetalle) 10.1 Allgemeines Auch in der Gruppe 1 zeigen die Elemente den bei den Edelgasen und Halogenen gefundenen Gang der Eigenschaften (Tab. 9). Tab. 9: Einige Eigenschaften der Alkalimetalle Auf Grund der Valenzelektronenkonfiguration ns1 ihrer Atome weisen diese Elemente die ausgeprägte Eigenschaft aus, unter Abgabe des Valenzelektrons einfach positiv geladene Ionen der Valenzelektronenkonfiguration (n-1)s2p6 zu bilden. Hingegen wird, anders als bei den Halogenen, die Edelgaskonfiguration durch Ausbildung von Atombindungen nicht erreicht. Man spricht von einem Elektronenmangel, der 35 für die Elemente im Grundzustand die Ausbildung einer neuen Bindungsart zur Folge hat. Diese wird als Metallische Bindung bezeichnet. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E12 Die Metallische Bindung I> Wir wollen an dieser Stelle zunächst eine sehr einfache Beschreibung der Metallischen Bindung wählen. Durch Metallische Bindungen aufgebaute Elemente, Metalle eben, bilden im festen Zustand ein dreidimensionales Polymersystem mit geordnetem Aufbau. Man kann sich ein Gitter von Atomrümpfen (Kationen) vorstellen, in dessen Zwischenräumen sich die Valenzelektronen als „Elektronengas“aufhalten. Im Sinne der VB-Theorie kann auch das Phänomen der Resonanz zur Beschreibung dienen. Nachfolgend ist ein eindimensionaler Ausschnitt aus dem dreidimensionalen Netzwerk gezeigt: -M M-M M-M M-M M-M ↔ M-M M-M M-M M-M MBeide Betrachtungsweisen implizieren eine freie Beweglichkeit der Valenzelektronen im gesamten Metallgitter; hierdurch wird für jedes einzelne Atom die Situation des Elektronenmangels verbessert und die besondere Eigenschaft des metallischen Zustandes (vgl. E26) begründet. Die Anordnung der Metallatome entspricht bestimmten Baumustern oder Gittertypen; generell ist die Tendenz eines engen Zusammenrückens der elektroneutralen Atome unter Bildung dichter Packungen zu beobachten (die elektrostatische Abstoßung der Kationen im Konzept der Elektronengas-Vorstellung wird durch die negative Ladung des Elektronengases neutralisiert). Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind Metallstrukturen drei Gittertypen zuzuordnen. Dies sind die: Kubisch dichteste Packung (a) Hexagonal dichteste Packung (b) Kubisch raumzentrierte Packung (c) Die Elementarzellen (kleinste Symmetrieeinheiten) sind in Abb. 12 wiedergegeben. Abb. 12: Elementarzellen der Metallstrukturen Das Bauprinzip der Dichtesten Kugelpackungen a und b lässt sich leichter durch Betrachtung der hierbei vorliegenden Schichten verstehen (Abb. 13): Schiebt man auf einer ebenen Unterlage Kugeln (oder Münzen) gleicher Größe möglichst dicht zusammen, so resultiert eine Anordnung, bei der 36 jede Kugel von 6 Nachbarn in Form eines gleichseitigen Sechsecks umgeben ist; hierbei berühren alle Kugeln des Sechsecks die zentrale Kugel und die zwei Nachbarn des Sechsecks, so dass innerhalb einer Schicht (A) jede Kugel 6 Nachbarn aufweist. Legt man die nächste Schicht (B) in der Aufsicht gegenüber der ersten zur Gewährleistung einer dichtesten Packung „auf Lücke“, so resultieren zwei Arten von Löchern (Tetraederlücken und Oktaederlücken), die jedoch in den Metallgittern frei bleiben. Beim Aufbringen einer dritten Schicht kann diese deckungsgleich zu A (Schichtfolge ABA…) oder gegenüber dieser verschoben (Schichtfolge ABCA…) angeordnet sein; hieraus resultieren die Hexagonal dichteste Kugelpackung (b, ABA) und die Kubisch dichteste Kugelpackung (a, ABCA). Abb. 13: Dichteste Kugelpackungen Die Kubisch raumzentrierte Packung ist aus Schichten eines anderen, nicht-dichtesten Typs aufgebaut: Ihr zu Grunde liegen Schichten einer quadratischen Anordnung der Kugeln, die innerhalb der Schicht nur 4 Nachbarn aufweisen (D). Wird die nächste Schicht (E) „auf Lücke“ gelegt, so ergibt sich bei der Schichtfolge DED… die Kubisch raumzentrierte Struktur. Zum selben Ergebnis gelangt man, wenn man Schichten „auf Deckung“ stapelt (DDD…, sog. „Kubisch primitives Gitter“) und jede der hierbei entstehenden Lücken (Kubische Lücken) mit einer weiteren Kugel besetzt (Abb. 14). Abb. 14: Zweidimensionale Gitter Im dreidimensionalen Gitter weist in a und b jedes Atom 12 nächste Nachbarn („Dichteste Packung“), in c jedoch nur 8 nächste Nachbarn auf. Die Alkalimetalle kristallisieren sämtlich im Gittertyp c. Häufig liegen jedoch innerhalb der Metalle einer Gruppe verschiedene Gittertypen vor, die sich offenbar aus der Valenzelektronenkonfiguration der Atome nicht herleiten lassen. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 10.2 Vorkommen, Eigenschaften, Verwendung Auf Grund ihrer hohen Chemischen Reaktivität, insbesondere gegenüber Luft und Wasser, kommen auch die Elemente der Gruppe 1 nicht elementar als Metalle, sondern in Form ihrer Verbindungen vor. Hauptvorkommen sind die im Meerwasser gelöst, sowie in mineralischen Lagerstätten ohne Wasserzutritt fest vorliegenden Chlorid-Salze (vgl. Kap. 10.4), aus denen sie aufwendig mittels Schmelzflusselektrolyse (vgl. E15) gewonnen werden. 37 + - M + e → M (M = Li,Na,K,Rb,Cs) Alle Alkalimetalle bilden in reiner Form weiche, „silberfarbige“, tief schmelzende Feststoffe, deren Atome der Flamme eine charakteristische Färbung verleihen. Sie werden, wie bereits erwähnt, rasch unter dem Einfluß von Luft (Sauerstoff) und Wasser unter Abgabe des Valenzelektrons in ihre einwertigen Kationen überführt. 4 M + O2 → 2 M2O 2 M + 2 H2 O → 2 MOH + H2 (M = Li,Na,K,Rb,Cs) Natrium wird in großen Mengen als Ausgangsmaterial für Chemische Verbindungen verwendet. Gemische der leichteren Gruppenelemente (Schmp. Na/Ka ca. -10 °C) werden wegen ihrer hohen Wärmekapazität als Kühlflüssigkeit in Hochtemperaturanlagen (z.B. Reaktoren) eingesetzt. 10.3 Verbindungen mit Wasserstoff Alle Alkalimetalle (M) reagieren mit Wasserstoff in exothermer Reaktion zu den entsprechenden Metallhydriden MH: 2 M + H2 → 2 MH Aufgrund der hohen Elektronegativitätsdifferenz der Alkalimetalle und des Wasserstoffs (ΔEN > 1.4) sind in diesen Verbindungen die Atome nicht durch Atombindungen verknüpft; eine Beschreibung der Bindung nach dem VB-Modell würde zu einer Dominanz der Grenzstruktur IV (E4) führen. Vielmehr sind diese Verbindungen aus AlkalimetallKationen K+ und Hydrid-Anionen H-, aufgebaut, die im festen Zustand ein Ionengitter bilden; diese Bindungsart nennt man Ionenbindung. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E13 Die Ionenbindung I> Grundlage der Ionenbindung ist die Coulombenergie Ec, die für ein Ionenpaar Ma+Xb- gem. 2 Ec = abe ─── 4πε or (e = Elektr. Elementarladung, ε o = Dielektrititätskonst. i. Vak., r = Ionenabstand) definiert ist. In einem Ionenkristall summieren sich die anziehenden und abstoßenden Wechselwirkungen der Koordinationssphären (s.u.) Die Gitterenergie ist definiert als Betrag der beim Zusammentreten der Ionen 38 eines Mols der Formeleinheit aus der Gasphase zum Kristall freiwerden Energie. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E14 Oxidationszahlen und Redoxreaktionen> Mit der Bildung der Alkalimetallhydride haben wir einen neuen Reaktionstyp kennengelernt: die Redoxreaktion. Hierbei werden, ausgehend von Atomen, Elektronen unter Bildung von Ionen übertragen. Als Gleichgewicht formuliert, ist die Redoxreaktion also eine Konkurrenzreaktion um Elektronen, die sich, ähnlich wie die Säure/Base-Reaktion, in Teilschritte zerlegen lässt Die Abgabe von Elektronen bezeichnet man als Oxidation, die Aufnahme von Elektronen als Reduktion. M → Ma+ + a ebX + be → X Oxidation Reduktion Da Elektronen in einer chemischen Reaktion weder erzeugt noch vernichtet werden können, ist jede Oxidation eines Reaktionspartners von der Reduktion eines anderen begleitet. Bei der Reaktion wird das Oxidationsmittel X reduziert und das Reduktionsmittel M oxidiert. Da die Summe der Teilreaktionen keine Elektronen aufweisen darf, müssen die stöchiometrischen Faktoren a und b entsprechend angepasst werden. Dies erfolgt durch Multiplikation der Teilreaktionen jeweils mit der Faktor der anderen Teilreaktion: (M → Ma+ + a e- ) x b = b (X + b e → X ) x a = b M → b M a+ + a x b eb aX + axbe → a X als Summenreaktion ergibt sich a+ b M + a X <=> b M + aX b- Die Anzahl der Ionenladungen muß auf beiden Seiten der Gleichung gleich sein. Die Indizes a und b bezeichnet man als Oxidationszahlen oder Oxidationsstufen xon M und X. Sie sind in den Elementen immer gleich Null. Tatsächlich haben wir schon vor der Besprechung der Alkalimetallhydride Redoxreaktionen kennengelernt. Auch bei der Bildung der Halogenwasserstoffe HX (Kap. 9.2) tritt ein Wechsel der Oxidationszahlen ein. Da die Verbindungen HX (X = F,Cl,Br,I) nicht als Salze vorliegen, sondern die Atome durch Atombindungen verknüpft sind, muß die Bestimmung der Oxidationszahlen hier anders erfolgen. Hierzu werden, in 39 einem Gedankenexperiment, die bindenden Elektronen der Atombindung vollständig dem elektronegativeren Bindungspartner, hier dem Halogenatom X, zugerechnet: H – X ≡ H(-X ≡ H+ und XDie Oxidationszahlen, als hochgestellte Indices römischer Zahlen geschrieben, entsprechen nun den Ionenladungen der „fiktiven“ Ionen. +I -I H –X Die Summe der Oxidationszahlen entspricht der elektrischen Ladung des Moleküls bzw. Molekülions. Bei dieser Reaktion wird also der Wasserstoff oxidiert und das Halogen reduziert. Sind zwei Atome gleicher Sorte durch eine Atombindung verknüpft, werden zur Berechnung der Oxidationsstufen die bindenden Elektronen zu gleichen Teilen auf die Atome verteilt. Hierdurch erhalten in jedem Element die Atome die Oxidationsstufe 0. Auch in den Interhalogenverbindungen und Xenonfluoriden lassen sich die Oxidationszahlen der beteiligten Elemente auf diese Weise bestimmen: - BrF4 ≡ Br 3+ - und (4) F , folglich [Br +III -I -I F4 ] Molekülionen werden üblicherweise im [ ] gesetzt unter Hinzufügen der Ionenladung als hochgestellter arabischer Index. Die Aufstellung der Redoxgleichungen von Molekülverbindungen folgt dem o.gen. Schema und bedarf sorgfältiger Übung. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 10.4 Verbindungen mit Halogenen Alkalimetallhalogenide MX sind in allen denkbaren Kombinationen bekannt; sie werden durch direkte Umsetzung der Elemente in einer Redox-Reaktion erhalten: 2 M + X2 → 2MX (M = Li,Na,K,Rb,Cs; X = F,Cl,Br,I) Die auf Grund der hohen Elektronegativitätsdifferenzen sämtlich salzartig aufgebauten Verbindungen lösen sich gut in Wasser. Die Salze dienen als Ausgangsstoffe zur Darstellung der Metalle sowie, im Falle von Na und K, zur Synthese weiterer wichtiger Verbindungen dieser Elemente. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 40 <E15 Die Elektrolyse> Führt man in die Schmelze einer ionogenen Verbindung zwei Elektroden ein, so fließt bei Anlegen einer genügend hohen Gleichspannung ein Strom (Abb. 15). Hierbei wandern die positiv geladenen Kationen zur negativ geladenen Kathode und die negativ geladenen Anionen zur positiv geladenen Anode. Abb. 15: Elektrolyse am Beispiel der Zersetzung von Salzsäure An den Elektroden werden die Ionen unter Aufnahme (Kationen) bzw. Abgabe (Anionen) der ihrer Ladung entsprechenden Elektronen entladen; die an der Anode freigesetzten Elektronen fließen als Gleichstrom durch den Leitungsdraht zur Kathode und schließen so den Stromkreis. Insgesamt laufen hierbei folglich zwei Teilschritte einer Redoxreaktion ab: die Kationen werden an der Kathode reduziert, die Anionen an der Anode oxidiert. Der gesamte Vorgang wird als Elektrolyse bezeichnet. Voraussetzung für den Ablauf einer Elektrolyse ist das Vorliegen beweglicher Ionen. Diese können auch durch Auflösen eines Salzes in einem Lösungsmittel erzeugt werden. Hier ist jedoch darauf zu achten, dass auch das Lösungsmittel mit den geladenen Elektroden reagieren kann. Hier kann nun auch die zuvor erwähnte Darstellung der Alkalimetalle aus ihren Chloridsalzen als konkretes Beispiel einer Elektrolyse besprochen werden. Die technische Darstellung von Natrium aus einer Kochsalzschmelze verläuft wie folgt: Na+ + e- → Na - Cl → Cl + e (2 Cl → Cl2) Kathodische Reduktion - Anodische Oxidation Da bei der zur Elektrolyse von NaCl erforderlichen Spannung (ca. 7 V; vgl. E21) an der Kathode an Stelle der Natriumionen das Wasser entladen wird, kann die Elektrolyse zur Darstellung von Natrium nicht in wäss. Lösung erfolgen. -+ - H2 O + e → H + OH (2 H → H2) Die Alkalimetallhalogenide kristallisieren, wie auch die Alkalimetallhydride, in Ionengittern, deren Systematik hier besprochen werden soll. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 41 xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E16 Die Ionenbindung II> Wir hatten zuvor die Ionenbindung als Wechselwirkung von Ionen im Kristallverband charakterisiert und am Beispiel der Metallbindung den Aufbau einiger Typen von Atomgittern besprochen. Die Kristallgitter von Salzen, deren Kenntnis zum Verständnis der Gitterenergie erforderlich ist, lassen sich hieraus ableiten. Die Mehrzahl der Alkalimetall-Halogenide kristallisiert, wie auch alle Alkalimetallhydride, im NaCl-Typ. Dieser geht von der kubisch dichtesten Kugelpackung der Chloridionen aus und besetzt die Oktaederlücken mit Natriumionen. Analog aufgebaut sind alle Halogenide von Li, Na, K, Rb sowie CsF (Abb. 16). Im NaCl-Typ weisen die Natrium-Ionen, da in Oktaederlücken platziert, 6 nächste Chlorid-Nachbarn auf. Umgekehrt sind auch alle Chlorid-Ionen von jeweils 6 Natrium-Ionen in Form eines Oktaeders umgeben. Abb. 16: Die Elementarzelle des NaCl-Typs Die Caesiumsalze der schwereren Halogenide gehören einem anderen Typ, den CsCl-Typ an. Er entspricht dem kubisch raumzentrierten Atomgitter c, stellt also keine dichteste Kugelpackung dar (Abb. 17). Hierhin gelangt man wenn man aus den Halogenidionen ein kubisch primitives Gitter (vgl. E12) aufbaut und die kubischen Lücken mit Kationen besetzt. Hierbei weisen beide Ionenarten jeweils 8 Gegenionen als nächste Nachbarn auf und befinden sich im Zentrum eines Würfels. Abb. 17: Die Elementarzelle des CsCl-Typs Beide Gittertypen stellen sog. „Invertierbare Gittertypen“ dar, d.h., die Plätze der Ionensorten sind gegeneinander ohne Änderung des Gittertyps vertauschbar. Das ist nicht bei allen Gittertypen der Fall. Man kann zeigen, dass in beiden Gittertypen die Anzahl der Packungsteilchen (in unserem Beispiel die Anionen) der Anzahl der zu besetzenden Oktaeder- bzw. Würfellücken entspricht. Im NaCl-Typ treten außerdem noch Tetraederlücken in der doppelten Zahl der Packungsteilchen auf. Auch weisen grundsätzlich in AB-Gittern die Ionen jeweils die gleiche Anzahl der Gegenionen als Nachbarn auf (sog. Koordinationszahl). Die Ursache der Bildung unterschiedlicher Gittertypen bei den Alkalimetallhalogeniden hängt mit dem Problem der Radienquotienten rKat+/rAnzusammen. Hierbei ist zu beachten, dass im Ionengitter (anders als im Atomgitter) die gleichsinnig geladenen Packungsionen einander abstoßen und durch die gegensinnig geladenen Lückenionen getrennt werden. Als Packungsion wird meist die größere Ionensorte, in der Regel das Anion, 42 aufgefasst. Dies bedeutet, dass die zur Besetzung von Lücken in Ionengitter verwendeten Ionen die Lücke füllen müssen, folglich kaum zu groß, wohl aber zu klein sein können. Da die Natriumionen, anders als die größeren Caesiumionen, die Würfellücke der Anionen im Chloridgitter des CsCl-Typs nicht ausfüllen können, wird hier unter Ausbildung das NaCl-Typs die kleinere Oktaederlücke gebildet. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 11. Die Elemente der Gruppe 16 (Chalkogene) 11.1 Allgemeines Die Elemente E der Gruppe 16 weisen als Atome die Valenzelektronenkonfiguration ns2p4 auf. Sie benötigen zum Erreichen der Edelgaskonfiguration zwei zusätzliche Elektronen, die sie unter Bildung der Dianionen E2- aufnehmen. Ein Vergleich der Eigenschaften (Tab. 10) zeigt die zuvor bei den Elementen der Gruppen 1 und 17 beobachtete Abfolge. Allerdings treten hier insbesondere die Elektronegativität und das Ionisierungspotential von Sauerstoff gegenüber den Gruppennachbarn deutlich abgesetzt auf. Zudem fehlen diesem Element im Valenzbereich die unbesetzten dOrbitale. Dies führt zu deutlich differenzierten Eigenschaften, die eine gesonderte Besprechung des Kopfelements nahe legen. Tab. 10: Einige Eigenschaften der Chalkogene 11.2 Der Sauerstoff 11.2.1 Das Element Der Sauerstoff ist mit einer Massenhäufigkeit von 46% das häufigste Element auf der Erdoberfläche. Hauptvorkommen sind neben oxidhaltigen Gesteinen (Carbonate, Sulfate, Silikate u.a.) insbesondere das Wasser sowie die Luft, worin der Sauerstoff in elementarer Form als O 2Molekül zu ca. 20% vorliegt. Die Gewinnung erfolgt nahezu ausschließlich durch fraktionierte Tieftemperaturdestillation der Luft (LindeVerfahren, vgl. E39). Elementarer Sauerstoff kann in Form zweier verschiedener Modifikationen, als O2 - und O3-Molekül vorliegen. Wir wollen zunächst das wesentlich stabilere O2 -Molekül betrachten. Ähnlich wie beim Wasserstoff und bei den Halogenen kann das Sauerstoff-Atom sein Elektronendefizit durch Ausbildung von Atombindungen mit einem weiteren Sauerstoffatom beheben. Zur Erreichung des Oktetts müssen im O2 -Molekül hierbei vier Elektronen jeweils beiden Atomen zugehören; man bezeichnet dies als Doppelbindung. Auch hierbei werden die Bindungen durch Überlappung von Atomorbitalen gebildet. 43 Tatsächlich ist die Bindungsenergie des O2-Moleküls (117 kcal/mol) deutlich höher als die des F2 -Moleküls (38 kcal/mol). Offensichtlich sind Doppelbindungen stabiler als Einfachbindungen. O2 xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E17 Die Atombindung II> Gemäß der VB-Vorstellung werden zur Aufnahme von 4 bindenden Elektronen 4 Atomorbitale benötigt. Wenn wir willkürlich annehmen, daß zunächst die Bindung des zweiatomigen Moleküls auf der z-Achse des Koordinatensystems platziert ist, können wir eine der Bindungen aus den pz-Orbitalen der Atome bilden. Die zweite Bindung kann durch Überlappung der zweier auf der z-Achse senkrecht stehenden p-Orbitale (z.B. px) gebildet werden. Liegen, wie beim später zu besprechenden N 2Molekül, 6 bindende Elektronen vor, kann auch das 3. Paar der p-Orbitale (py ) zur Bindungsbildung, nun einer dritten Bindung (Dreifachbindung), herangezogen werden (Abb. 18). Abb. 18: Schematische Darstellung von σ - und π -Bindungen Die drei Bindungen der Dreifachbindung unterscheiden sich in der Symmetrie: während die durch die pz-Orbitale gebildete Bindung auf der Bindungsachse orientiert ist, liegt der Überlappungsbereich der px- und pyOrbitale außerhalb der Bindungsachse. Bindungen, deren Überlappungsintegral rotationssymmetrisch zur Bindungsachse orientiert ist nennt man σ -Bindungen. Bindungen, deren Überlappungsintegral nicht rotationssymmetrisch zur Bindungsachse orientiert ist, nennt man π -Bindungen. Einfachbindungen sind immer σ-Bindungen. Doppelbindungen setzen sich aus jeweils einer σ- und π -Bindung zusammen, während Dreifachbindungen eine σ - und zwei π -Bindungen enthalten. Die Anzahl der Bindungen zwischen zwei Atomen wird auch als Bindungsordnung bezeichnet. Aus Abb. 18 wird ersichtlich, dass π -Bindungen ein geringeres Überlappungsorbital aufweisen als σ -Bindungen und somit weniger stabil sind. Deshalb ist eine Doppelbindung weniger stabil als die Summe zweier Einfachbindungen gleicher Atomsorten. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx In der Valenzstrich-Schreibweise liegen im O2-Molekül nur Elektronenpaare, d.h. spingepaarte Elektronen vor. Magnetische Messungen ergeben jedoch das Vorliegen von zwei ungepaarten Elektronen pro Molekül. Zur 44 Erklärung dieses Befunds müssen wir ein neues Bindungskonzept einführen. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E18 Die Atombindung III> Wir sind bislang bei der Ausbildung von Atombindungen von der Überlappung von Atomorbitalen (VB-Methode) ausgegangen. Ein hiervon unabhängiges Modell behandelt die Bindungen durch Ausbildung von Molekülorbitalen (MO-Methode). Dieses Verfahren ist weniger anschaulich, liefert jedoch eine bessere Grundlage zur quantitativen Berechnung von Bindungseigenschaften und erklärt manche zuvor unklar gebliebenen Befunde. Wir wollen die Methode auf rein qualitativer Basis am Beispiel zunächst des H2-Moleküls betrachten: Molekülorbitale werden durch Kombination von Atomorbitalen gebildet. Hierbei entspricht die Anzahl der verwendeten Atomorbitale der der gebildeten Molekülorbitale. Durch Kombination der 1s-Orbitale der Wasserstoff-Atome resultieren folglich zwei Molekülorbitale. Die ±-Zeichen der Orbitale stellen die mathematischen Vorzeichen der Wellenfunktion (Kap. 17), nicht etwa elektrische Ladungen dar. Die Kombination von Atomorbitalen gleicher Symmetrie und gleichen Vorzeichens führt zu bindenden Molekülorbitalen, die ungleichen Vorzeichens zu antibindenden Molekülorbitalen (Abb. 19). Abb. 19: MO-Diagramm am Beispiel des F2-Moleküls Die Bindungsordnung (BO) ergibt sich entsprechend der Beziehung BO = (zb -za)/2 (Zb = Zahl der in bindenden MO’s befindlichen Elektronen, Z a = Zahl der in antibindenden MO’s befindlichen Elektronen) Es ist ersichtlich, dass in der Reihe der denkbaren Teilchen H22+ , H2+, H2, H2-, H22- das neutrale Molekül (BO = 1) die größte Stabilität aufweist, während das zu H22- „isoelektronische“ Molekül He2 (BO = 0) nicht existenzfähig ist (Abb. 20). Abb. 20: MO-Diagramm des H2 -Moleküls Bei der Konstruktion des MO-Schemas für das O2 -Molekül müssen nun alle Atomorbitale der Atome berücksichtigt werden. Hierbei ist zu beachten, dass die im Atom entarteten p-Orbitale nunmehr durch die anisotrope Orientierung der Bindungsachse (z-Achse) zur energetischen Aufspaltung pz ≠px,y und somit der zugehörigen Molekülorbitale führt (Abb. 21). 45 Abb. 21: MO-Diagramm des O2 -Moleküls Bei der Besetzung der Molekülorbitale mit den 16 Elektronen des Moleküls ergibt sich für n = 1 kein bindender Zusstand (BO = 0). Gemäß der Hund’schen Regel werden die beiden energiegleichen, aus px und p y resultierenden Molekülorbitale jeweils einfach besetzt, woraus die Gegenwart von zwei ungepaarten Elektronen pro Molekül resultiert. Die Bindungsordnung 2 ergibt sich durch Anwendung der o.gen. Formel [BO = (10-6)/2 bzw. (8-4)/2 = 2]; im zweiten Ausdruck sind, wie auch in Abb. 21, die 1s-Atomorbitale und die hieraus resultierenden Molekülorbitale nicht berücksichtigt. Auch dreiatomige Moleküle lassen sich unter Zuhilfenahme von MODiagrammen leicht erklären. Abb. 21a zeigt das MO-Diagramm des Triiodid-Ions (analog XeF2 bzw. HF 2-). Abb. 21a: MO-Diagramm des Triiodid-Ions xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Das O2-Molekül ist ein starkes Oxidationsmittel, das in verdünntem Zustand (Luft) jedoch eine hohe Aktivierungsenergie aufweist. Im Gegensatz zu O2 liegen im dreiatomigen Ozonmolekül O3 (Sdp- -112 °C, Schmp. -93 °C) keine ungepaarten Elektronen vor. Das Molekül lässt sich als Valenzstrichformel mit äquidistanten O-O-Bindungen nur unter Anwendung der Resonanz abbilden; für die Bindung resultiert hiermit BO = 1.5 und somit eine deutliche Schwächung gegenüber dem O2-Molekül. Entsprechend dem VSEPR-Konzept liegt eine gewinkelte Struktur vor. O3 xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E19 Einige Begriffe der Atombindung im Rückblick> An dieser Stelle seinen rückblickend nochmals einige Begriffe der Atombindung zusammengefasst: Resonanz meint die Beschreibung einer Elektronenverteilung durch Grenzformeln, die nicht gleiches Gewicht haben müssen. Sie werden durch den Resonanzpfeil ↔ verbunden. Die Superposition ergibt den realen Zustand. In den Resonanzformeln müssen die Atome gleiche Lagen haben (keine Änderung der Bindungslängen- und winkel). Partialladungen geben die Verteilung der Elektrischen Ladung innerhalb einer Bindung in Folge der Elektronegativitätsdifferenz als realphysikalische Größe an. Hieraus resultiert ein Dipolmoment. Formalladungen beschreiben die Formale Ladungsverteilung einer Resonanzstruktur. Zur Ermittlung werden die bindenden Elektronen einer 46 Bindung auf die Bindungspartner zu gleichen Teilen aufgeteilt und sodann die Elektronenbilanzen der Atome durch Vergleich mit dem freien Atom erstellt. Wertigkeit nannte man früher, unter Rückgriff auf die Mengenverhältnisse bei der Ausbildung von Verbindungen (Gesetz der Konstanten Proportionen) den Faktor, in dem sich eine bestimmte Atomsorte mit Wasserstoff (Wertigkeit +1) bzw. Sauerstoff (Wertigkeit -2) verband. Heute wird dieser Begriff zur besseren Differenzierung durch die folgenden ersetzt. Oxidationszahl meint in der Atombindung das Resultat der formalen Spaltung der Bindung gem. der Elektronegativität (in Ionenverbindungen entspricht sie der Ionenladung). Koordinationszahl eines Atoms nennt man die Zahl seiner nächsten Nachbarn (der Begriff wird auch für Ionengitter verwendet). Bindigkeit bezeichnet die Anzahl der Atombindungen eines Atoms; sie kann in einem Resonanzgleichgewicht für die einzelnen Resonanzformeln unterschiedlich ausfallen. Die Verdeutlichung der Begriffe an Beispielen ist sinnvoll. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Ozon bildet sich durch Einwirkung von Energie auf O2-Moleküle O2 → 2 O O + O2 → O3 Dies geschieht in den oberen Schichten der Atmosphäre durch Einwirkung von UV-Strahlung. Die so gebildete Ozonschicht schützt die Erdoberfläche durch Absorption der „harten“ UV-Strahlung aus dem Weltall; in neuerer Zeit wurde ein Abbau der Ozonschicht („Ozonloch“), möglicherweise unter Einwirkung der leicht flüchtigen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW, weit verbreitet als Kühl- und Treibmittel) beobachtet. In der organischen Synthese wird Ozon, in situ erzeugt durch Einwirkung einer elektrischen Entladung auf O2 , in hoher Verdünnung als selektives Oxidationsmittel verwendet. 11.2.2 Verbindungen mit Wasserstoff Sauerstoff bildet mit Wasserstoff zwei stabile Verbindungen H2O H2O2 Wasser Wasserstoffperoxid 47 Wasser kommt in großen Mengen (s.o.) in der Natur in Form von Flüssen, Seen, Meeren, in der Atmosphäre sowie als Bestandteil der belebten Welt (der Mensch besteht zu ca. 60% aus Wasser) vor. Wasser bildet sich aus den Elementen in einer stark exothermen Reaktion (ΔH = -68 kcal/mol): H2 + ½ O2 → H2O Die hohe Bildungswärme wird zum autogenen Schweißen („Daniellscher Hahn“, T ca. 2000 °C) sowie in Verbrennungsmotoren („WaltherMotoren“) verwendet. Zur Einleitung der Reaktion muß die stabile H-HBindung gespalten werden (hohe Aktivierungsenergie); anschließend erfolgt eine Radikalkettenreaktion („Knallgasreaktion“): H2 → 2 H (Startreaktion) H + O2 → OH + O (Kettenreaktion) OH + H2 → H2O + H OH + H → H2O (Kettenabbruch) O + H2 → H2 O Im festen Zustand (Eis) liegen die Wassermoleküle, durch Wasserstoffbrücken verknüpft, in einer große Hohlräume enthaltenden Struktur vor (Abb. 22). Abb. 22: Die Kristallstruktur von Eis Offensichtlich bricht die Struktur beim Schmelzen (0 °C) nur schrittweise zusammen, was die Anomalie des Wassers (größte Dichte bei 4 °C) erklärt; dieser Umstand ist für die Biologie (Zufrieren der Gewässer „von oben“) essentiell. Auch jenseits des Siedepunktes (100 °C) werden in der Gasphase zunächst Oligomere, (H2O)n (n = 3-8) und erst bei höheren Temperaturen isolierte monomere Moleküle beobachtet. In der belebten Natur laufen sämtliche Reaktionen in kondensierter Phase in wäss. Lösungen ab. Das für die sehr guten Lösungseigenschaften des Wassers verantwortliche hohe Dipolmoment resultiert aus der gewinkelten Struktur des Moleküls (H-O-H 104.4 °); die O-H-Bindungen werden entsprechend dem VSEPR-Konzept (vgl. E11) aus Sauerstofforbitalen mit hohem pAnteil gebildet (p-Anteil sp 3 = 75%, Bindungswinkel 109 °; p-Anteil p3 = 100%, Bindungswinkel 90 °; vgl. Tab. 8). 48 xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E20 Der pH-Wert> Wir haben zuvor (vgl. E7) gesehen, dass sich Säure/Base-Reaktionen nach Broenstedt in wäss. Lösung abspielen. Wir wollen nun den Säuregehalt solcher Lösungen quantitativ betrachten. Wasser zeigt selbst in hochreiner Form eine geringe elektrische Leitfähigkeit, die auf das Vorliegen von Ionen gem. nachfolgender Gleichung zurückzuführen ist: + - H2O + H2 O <=> H3O + OH CH3O + x COHKc = ─────── 2 CH2O Da nur ein geringer Bruchteil der Wassermoleküle dissoziiert ist, gilt (Molgew. H2 O = 18, cH2O in H2 O = 55.5 mol/lit.) 2 CH2O x Kc = K w Kw = cH3O+ x cOH - = 10-14 Dieser Ausdruck wird Ionenprodukt des Wassers genannt. Da cH3O+ = cOH- gilt CH3O + = √10-14 = 10-7 mol/lit. + -log cH3O = pH Der pH-Wert von reinem Wasser (Neutralwert) beträgt folglich 7 Für saure Lösungen gilt pH < 7 Für basische (alkalische) Lösungen gilt pH > 7 Außerdem gilt pH + pOH = 14 Die zuvor genannten Säure- und Basekonstanten (E7, Tabelle 6) erlauben nun die Berechnung von pH-Werten wäss. Lösungen. Für starke Säuren (pKS < 0) und Basen (pKb < 0) kann in verdünnter Lösung (c < 10-1 mol/lit.) vollständige Dissoziation angenommen werden. Es gilt dann + cH3O = cHX bzw. - cOH = cb Für schwache Säuren HX gilt 49 + Ks’ = - cH3O x cX ─────── cHX x cH2O Bei den Konzentrationen c handelt es sich um die Gleichgewichtskonzentrationen. In verdünnter wäss. Lösung gelten folgende Vereinfachungen: CH2O = const. (55.5 mol/lit.); Ks = Ks ’ x const. CHX = Gesamtmenge HX CH3O+ = cXHieraus folgt + CH3O = √Ks x cHX ; pH = -log cH3O + Analog gilt für die Berechnung des pH-Werts schwacher Basen - - COH = √Kb x cB; pOH = -logcOH , pH = pOH – 14 Salze schwacher Säuren HX bzw. Basen B verhalten Lösung nicht neutral. Es gilt sich in wäss. X- + H2O <=> HX + OHHB+ + H2O <=> B + H3 O+ Die Anionen schwacher Säuren (korrespondierende Basen) reagieren in wäss. Lösung folglich basich, die Kationen schwacher Basen (korrespondierende Säuren) hingegen sauer. Dieses Verhalten wird als Hydrolyse bezeichnet. Für die Berechnung der pH-Werte gilt (am Beispiel des Salzes einer schwachen Säure HX, K B’ sei die Basekonstante der zu HX korrespondierenden Base): + KS’ = - cH3O x cX ────── CHX x cH2O KS = KS’ x cH2O - ’ KB = cHX x cOH ────── cX- x cH2O KB = KB’ x cH2O cH3O + x cX- x cHX x cOH 50 -14 KS x KB = ───────────── = Kw = 10 CHX x cXpKS + pKB = 14; pKB = 14 – pKS Für den pH-Wert des Salzes gilt unter Berücksichtigung der zuvor genannten Näherungen: cOH- = √KB x cX- ; -log cOH- = pOH; p H = 14 - pOH Ein weiterer wichtiger Begriff im Bereich des pH-Werts ist der des Puffers. Mischt man verdünnte wäss. Lösungen schwacher Säuren mit denen ihrer Salze, d.h. ihrer korrespondierenden Basen, so gilt: HX + H2O <=> X - + H3O+ X + H2O <=> HX + OH Das Gleichgewicht beider Gleichungen liegt infolge des geringen Dissoziationsgrades auf der Seite der Edukte. Externe Säuren oder Basen werden bis zum vollständigen Verbrauch von X- bzw. HX unter Verschiebung der Gleichgewichte neutralisiert; der pH-Wert der Lösung bleibt hierbei weitgehend konstant. Puffer dienen somit der Abschirmung des pH-Wertes wäss. Lösungen gegenüber externen Säuren und Basen; sie sind in der Biochemie von essentieller Bedeutung. Für den pH-Wert eines Puffers am Beispiel einer schwachen Säure gilt unter Berücksichtigung der zuvor genannten Näherungen: - KS = CH3O x cX KS x c HX + ───── ; cH3O = ───── cHX cX- cHX und cX- stellen unter Berücksichtigung der zuvor genannten Näherungen die Gesamtmengen der eingesetzten Säure bzw. ihres Salzes dar. Sind beide Mengen bzw. Konzentrationen gleich, ergibt sich: + cH3O = K S; p H = pKS Dieser Zusammenhang eignet sich zur Bestimmung der pKS-Werte. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 51 Im Wasserstoffperoxid, H2 O2 , sind die Sauerstoffatome durch eine Einfachbindung zusammengehalten; die Sauerstoffatome weisen hier die für Peroxoverbindungen charakteristische Oxidationszahl -I auf. Die gegenüber dem O2-Molekül (BO = 2) leichter zu spaltende O-O-Bindung führt zu einer drastisch erhöhten Reaktivität und macht diese Verbindung zu einer wichtigen Industriechemikalie. In reinem, d.h. unverdünnten Zustand ist es explosiv, im Handel befindlich sind 30%-ige wäss. Lösungen („Perhydrol“). H2O2 wird technisch u.a. durch Hydrolyse von elektrochemisch erzeugter Peroxodischwefelsäure (Kap. 11.3.6) gewonnen. Die Verbindung ist heute Ausgangsmittel aller anorganischer und organischer PeroxoVerbindungen (Verwendung z.B. als Bleichmittel in Waschmitteln). xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E21 Das Redox-Potential> Wir haben Redoxreaktionen (E14) als Konkurrenzreaktionen um Elektronen kennengelernt. Ähnlich wie die Säure/Basestärke von Säuren und Basen lässt sich die Oxidations/Reduktionskraft von Verbindungen in wäss. Lösung als stoffspezifische Konstante verstehen. Die korrekte Ableitung erfordert die thermodynamische Behandlung des chemischen Gleichgewichts und soll hier nicht weiter besprochen werden. Das Elektrochemische Potential [V] einer Teilreaktion, in der die oxidierte Form einer Verbindung bzw. Atomsorte (Ox) im Gleichgewicht mit der reduzierten Form (Red) steht, Ox + n e- <=> Red wird durch die Nernst’sche Gleichung beschrieben: 0.059 cox E’ = E + ─── log ── n cRed o Ox/Red wird als Redoxpaar bezeichnet. In der Gleichung bedeutet Eo das sog. Standardpotential, eine für das Redoxpaar (cOx = cRed) charakteristische Stoffkonstante (s.u.); das reale Potential E wird durch einen Konzentrationsterm beeinflusst. Die vollständige Redoxreaktion setzt sich aus zwei Redoxpaaren zusammen. 1 1 2 Ox + Red <=> Ox + Red 2 Wir wollen den Vorgang am Beispiel der Reaktion 52 2+ Cu 2+ + Zn <=> Cu + Zn näher betrachten. Die Potentiale beider Teilreaktionen (Redoxpaare) 2+ - Cu + 2 e <=> Cu Zn <=> Zn2+ + 2 e lassen sich in Kenntnis der Standardpotentiale Eo (Cu) und Eo (Zn) sowie der Konzentrationen der gelösten Ionen errechnen. Bei heterogenen Reaktionen (die Metalle weisen in Wasser eine geringe, konstante Löslichkeit als Metallatome auf) sind die Werte cRed in den Standardpotentialen enthalten. E = E’ x cRed 0.059 = E° + ──── x log cOx n Taucht man einen Zinkstab in eine Cu2+ -Salzlösung, so beobachtet man die Abscheidung von metallischem Kupfer; zugleich geht Zink in Form von Zn2+ in Lösung. Hingegen wird beim Eintauchen eines Kupferstabes in eine Zn2+ -Salzlösung keine Reaktion beobachtet. Ersichtlich ist Cu2+ das stärkste Oxidationsmittel und Zn das stärkste Reduktionsmittel. Ein Vergleich der Standardpotentiale (Zn/Zn2+ -0.76, Cu/Cu2+ +0.34 V) zeigt, dass negative Standardpotentiale reduzierenden (d.h. „unedlen“) Metallen zuzuordnen sind (die Konvention des Vorzeichens ergibt sich aus dem thermodynamischen Zusammenhang, der hier außer Acht bleiben soll). Taucht man einen Kupferstab in eine Kupfersalzlösung sowie einen Zinkstab in eine Zinksalzlösung, so ergeben sich zwei sog. „Halbelemente“, die eine Potentialdifferenz gem. der Nernst’schen Gleichung aufweisen. Bei Verbindung der Stäbe mit einem Leiter fließt, entsprechend der Potentialdifferenz (Spannung) ein Strom, wobei das unedlere Metall Zink in Lösung geht, dass edlere Metall Kupfer sich aus der Lösung abscheidet (Abb. 23). Abb. 23: Das Daniell-Element Mit dem Transport der Elektronen durch den Leiter muß zugleich, zum Ladungsausgleich, eine gegenläufig gerichtete Wanderung der Anionen in Lösung erfolgen. Eine solche Anordnung bezeichnet man als Galvanisches Element. Die hierdurch erzeugte Spannung errechnet sich aus der Potentialsumme (die 53 Normalpotentiale sind als Reduktionspotentiale aufzufassen) der Halbelemente. Da an einem der Halbelemente ein Oxidationsprozeß abläuft, ist dort das Vorzeichen zu wechseln; tatsächlich ergibt sich die Spannung des Elements also aus der Differenz der Reduktionspotentiale. Für das Fe/ZnElement (Daniell-Element) ergibt sich somit 2+ EZn/Zn ECu/Cu 2+ o =E = 2+ Zn/Zn EoCu/Cu2+ 0.059 2+ + ─── log cZn 2 0.059 + ─── log cCu 2+ 2 Die durch das Element erzeugte Spannung beträgt somit 2+ |ΔE| = ECu/Cu2+ - EoZn/Zn2+ + 0.059 cCu/Cu ─── log ─── 2+ 2 cZn/Zn Bei gleicher Konzentration der Ionen (cCu/Cu2+ = cZn/Zn 2+) ergibt sich |ΔE| = ECu/Cu2+ - EoZn/Zn2+ = 1.1 V Die Normalpotentiale der chemischen Redoxpaare sind in der sog. Elektrochemischen Spannungsreihe (Tab. 11) aufgeführt. Tab. 11: Die Elektrochemische Spannungsreihe (Ausschnitt) Die Werte beziehen sich auf die willkürlich als Referenzelektrode gewählte Standardwasserstoffelektrode (Eo = 0 V), bei der ein Platinblech, eintauchend in eine wäss. Lösung des pH-Wertes 0 (cH3O+ = 1), von Wasserstoff des Drucks 1 bar umspült wird (EH2/H3O+ = EoH2/H3O +, heterogener Reaktionsverlauf). Dem Halbelement liegt folgender Reaktionsverlauf zu Grunde: H2 + 2 H2O <=> 2 H3 O+ + 2 eHieraus lässt sich das Potential (auch Elektromotorische Kraft genannt) des neutralen Wassers (Eo = 0 V, cH3O + = 10 -7 mol/lit.) errechnen: 0.059 54 -7 2 E = 0 + ─── log (10 ) = -0.41 V 2 Dies bedeutet, dass sich alle Metalle mit E o < -0.41 V in Wasser lösen sollten. In der Praxis (z.B. bei Mg, Al) wird dies vielfach durch sog. Passivierung, d.h. durch Bildung einer schützenden Oxidschicht auf der Metalloberfläche, verhindert. Die Standardpotentiale der Redoxpaare, obwohl für elektrochemische Reaktionsführung normiert, geben wichtige Hinweise zum chemischen Verhalten von redoxaktiven Substanzen in chemischen Reaktionen. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 11.2.3 Verbindungen mit Edelgasen Wir hatten gesehen, dass nur das schwerste Edelgas Xenon in der Lage ist, mit dem Halogen höchster Elektronegativität, dem Fluor, stabile Verbindungen zu bilden. Tatsächlich ist bereits Sauerstoff, das Element mit nach Fluor der höchsten Elektronegativität, nicht mehr in der Lage, selbst unter extremen Bedingungen (Druck, Temperatur) mit Xenon zu reagieren. Jedoch läßt sich das Oxid XeO3 durch gezielte Hydrolyse des Fluorids isolieren: XeF6 + 3 H2O → XeO3 + 6 HF Verbindungen des achtwertigen Xenons werden durch +VI Disproportionierung (E22) der Xenate erhalten. Im Gegensatz zu den stabilen Perxenaten+VIII ist das hieraus zugängliche XeO 4 extrem explosiv. XeO3 + H2O → H2XeO4 H2 XeO4 + Ba(OH)2 → BaXeO 4 + 2 H2O 2 BaXe+VIO4 → Ba2Xe+VIIIO6 + Xeo + O2 Ba2 XeO6 + 2 H2SO4 → XeO4 + 2 BaSO4 Perxenate sind sehr starke Oxidationsmittel (Eo = +2.36 V). XeO3 XeO4 2XeO4 4XeO6 XeO3 und XeO 4 sind molekular (KZ Xe = 3, 4) aufgebaut; in den Xenaten und Perxenaten (KZ 4, 6) bewirkt die Erhöhung der Koordinationszahl 55 durch die hiermit verbundene Abschirmung eine Stabilisierung der Komplexanionen. 11.2.4 Verbindungen mit Halogenen Die isolierbaren binären, d.h. nur aus zwei Atomsorten bestehenden Verbindungen des Sauerstoffs mit Fluor, Chlor und Brom sind wegen der geringen Elektronegativitätsdifferenz sämtlich molekular aufgebaut (bei Normalbedingungen gasförmig) und wenig stabil. Gut untersuchte Verbindungen sind OF2 Cl2O ClO2 Cl2O7 In OF2 liegt Sauerstoff der Oxidationszahl +II vor. In allen anderen Verbindungen weisen die Halogene positive Oxidationszahlen auf. ClO2 bildet ein stabiles Radikal; die Dimerisierung unterbleibt wegen der durch die hohe Elektronegativität der beteiligten Atomsorten geringen Orbitalenergie (Ionisierungspotential) des ungepaarten Elektrons. Die zur Entkeimung (Trinkwasser) und als Bleichmittel verwendete Verbindung wird trotz ihrer Brisanz (in reiner Form explosiv), verdünnt mit Sauerstoff, technisch hergestellt 2 NaClO3 + SO 2 + H2 SO4 → 2 ClO2 + 2 NaHSO4 Cl2 O und Cl2 O7 sind Anhydride (E23) der ensprechenden Chlorsauerstoffsäuren (Kap. 11.2.5). Die weniger wichtigen Bromoxide sollen hier nicht besprochen werden. Auf Grund seiner höheren Polarität liegt I2 O5 bei Normalbedingungen als molekular gebauter Feststoff vor und ist von deutlich höherer Stabilität (allerdings gleichfalls ein kräftiges Oxidationsmittel). I2O5 Es wird als Anhydrid durch Entwässern der Iodsäure bei 200 °C gewonnen. 2 HIO3 → I 2O5 + H2 O 11.2.5 Halogensauerstoffsäuren 56 Die instabile Unterfluorige Säure HOF, erst in neuerer Zeit dargestellt, enthält Sauerstoff der Oxidationszahl 0 und soll hier nicht weiter besprochen werden. Chlor, Brom und Iod (E) bilden Sauerstoffsäuren HEOn (n = 1 bis 4; die vollständige Reihe ist nur für E = Cl bekannt), bei denen an das zentrale Halogenatom 1,2,3 oder 4 Sauerstoffatome gebunden sind. Ein Sauerstoffatom trägt dabei noch ein Wasserstoffatom, das leicht an eine Base abgegeben werden kann. Wir wollen diese Substanzklasse am Beispiel der Chlorverbindungen näher betrachten. +I HCl O HCl+III O2 +V HCl O3 +VII HCl O4 Unterchlorige Säure („Hypochlorige S.“) Chlorige Säure Chlorsäure Perchlorsäure Die Bindungen kann man als polare Atombindungen ansehen. Hierbei nehmen die 4 sp3 -Hybridorbitale des zentralen Chloratoms die nichtbindenden Elektronenpaare sowie die zur Ausbildung der σ-Bindungen verwendeten Elektronenpaare auf; dies führt zu einer verzerrt-tetraedrischen Umgebung der Chloratome. Das Resonanzgleichgewicht der π Bindungen liegt wegen der energetisch ungünstigen Lage der d-Orbitale des Chloratoms weitgehend auf der Seite der polaren Grenzstruktur. Cl = O ↔ Cl+- ODie Säurestärke steigt in der o.gen. Reihe an, da die Sauerstoffsubstituenten die OH-Bindung mit steigender Zahl zusätzlich polarisieren. Perchlorsäure ist die derzeit stärkste Broenstedt-Säure (pKS = -10). In wasserfreiem Zustand ist nur die Perchlorsäure bekannt; die anderen Säuren, sämtlich durch Umsetzung ihrer Salze mit Schwefelsäure als wäss. Lösungen erhältlich, zersetzen sich beim Versuch der Isolierung. Das beständige Natriumsalz der Hypochlorigen Säure (Natriumhypochlorit) wird durch Umsetzung von Chlor mit Natronlauge erhalten. Es lässt sich thermisch zu Natriumchlorat (NaClO3 ) disproportionieren. Die technische Synthese von Natriumperchlorat (NaClO4 ) erfolgt elektrochemisch durch anodische Oxidation von Natriumchlorat: Cl2 + 2 NaOH → NaCl + NaOCl + H2 O 3 NaClO → NaClO3 + 2 NaCl ClO3 - + 3 H2O → ClO4 - + 2 H3 O+ + 2 e- 57 Die wasserfreie Perchlorsäure wird durch Umsetzung ihrer Salze mit Schwefelsäure und nachfolgende Destillation im Vakuum (Kp 120 °C) erhalten. NaClO4 + H2SO4 → HClO4 + NaHSO4 Sämtliche Chlorsauerstoffsäuren und ihre Salze sind starke Oxidationsmittel. Wasserfreie Perchlorsäure explodiert mit brennbaren Substanzen. Natriumhypochlorit wird als Bleichmittel verwendet; ein wichtiges technisches Produkt ist das aus Kalkmilch (s.u.) und Cl2 zugängliche Ca(OCl)Cl (Chlorkalk). Natriumchlorat und Natriumperchlorat sind als Oxidationsmittel z.B. in Zündholzköpfen und Feuerwerkskörpern enthalten. Die Sauerstoffsäuren des Broms sollen hier nicht näher besprochen werden. HBrO4 und ihre Salze gehören zu den stärksten Oxidationsmitteln (Radienkontraktion der Elemente Ga-Kr durch zuvor beim Aufbau der Elemente erfolgte Besetzung der 3d-Orbitale). Die entsprechenden Sauerstoffsäuren des Iods, HIO3 und HIO4, sind gleichfalls starke Oxidationsmittel, reagieren jedoch schwächer sauer. Iodsäure lässt sich durch direkte Oxidation von Iod erhalten, Periodsäure wird analog der Perchlorsäure hergestellt. I2 + 6 H2O + 5 Cl2 → 2 HIO3 + 10 HCl + IO3 + 3 H2O → IO4 + 2 H3O + 2 e Die Säuren und ihre Alkalimetallsalze bilden stabile Feststoffe. Bedingt durch den gegenüber Chlor größeren Atomradius von Iod bevorzugt das Zentralelement in der Periodsäure und ihren Salzen die KZ 6 (Oktaeder), die durch Ausbildung von Polymeren erreicht wird. Das gleiche Resultat wird erreicht durch Addition von zwei Äquivalenten Wasser; die hierbei entstandene ortho-Periodsäure H5 IO6 wie auch ihr Anion sind aus monomeren IO6-Oktaedern aufgebaut. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E22 Komproportionierung und Disproportionierung> Bei der Betrachtung der Chlorsauerstoffsäuren haben wir gesehen, dass insbesondere bei thermischer Belastung Elemente oder Verbindungen in Komponenten unterschiedlicher Oxidationszahlen überführt werden; diese liegen dann oberhalb und unterhalb der des Edukts. Eine solche Reaktion bezeichnet man als Disproportionierung. Auch der hierzu inverse Vorgang ist bekannt, wenn bei Redoxreaktionen zwei Komponenten der gleichen Atomsorte, aber verschiedener Oxidationszahl, zu einem Produkt dieser Atomsorte reagieren. Redox58 reaktionen diesen Typs bezeichnet man als Komproportionierung oder Synproportionierung. Die Oxidationszahl des Elements im Produkt muß dann folglich zwischen denen der Edukte liegen. Der Vorteil solcher Reaktionen liegt, vor allem im Bereich der Metallchemie, im Auftreten nur eines Produkts, so dass im Falle vollständig verlaufender Reaktionen keine Trennprobleme anfallen. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E23 Anhydride und Säurehalogenide> Wir haben bereits mehrfach gesehen, dass Verbindungen der Nichtmetalle unter Abspaltung von einem Äquivalent Wasser zu Derivaten, meist Oxiden, reagieren können. Umgekehrt neben viele Nichtmetalloxide Wasser auf unter Bildung von Sauerstoffsäuren. Da hierbei die Oxidationszahl des Zentralelements nicht wechselt, handelt es sich nicht um Redoxreaktionen, auch nicht um Säure/Base-Reaktionen im Sinne der Broenstedt-Definition. Die durch Wasserabspaltung aus den Sauerstoffsäuren erhaltenen Oxide bezeichnet man als deren Anhydride. Verbindungen, in denen die azide OH-Gruppe gegen ein Halogenatom ersetzt ist, bezeichnet man als Säurehalogenide. Sie reagieren mit Wasser unter Abspaltung von Halogenwasserstoff (meist HCl) zu den zugehörigen Säuren. Nachfolgend sind einige Beispiele aufgeführt, die z.T. später ausführlicher besprochen werden (Tab. 12): Tab. 12: Sauerstoffsäuren und ihre Anhydride bzw. Säurechloride Nicht alle Anhydride bzw. Säurechloride reagieren mit Wasser zur genannten Säure (z.B. Kohlensäure, Kieselsäure, Schweflige Säure). Jedoch bilden sich in allen Fällen bei Verwendung von Basen (z.B. NaOH) die Metallsalze der Säuren. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 11.2.6 Verbindungen mit Alkalimetallen Sauerstoff reagiert mit Alkalimetallen spontan zu Metalloxiden der Zusammensetzung M2O, M 2O2 und MO2 . 4 M + O2 → 2 M2O 2 M + O2 → M2O2 M + O2 → MO2 (M = Li, Lithiumoxid) (M = Na, Natriumperoxid) (M = K,Rb,Cs, Metallhyperoxid) 59 Als Ursache für die Bildung unterschiedlicher Produkte wird die für den Aufbau stabiler Gitter (Gitterenergie) vergleichbare Ionengröße angenommen. Die Oxide der schwereren Alkalimetalle sind durch thermische Zersetzung der Carbonate oder Hydroxide (Kap. 11.2.7) zugänglich, M2CO3 → M2O + CO2 2 M(OH) <=> M2O + H2 O zu denen sie mit Wasser als starke Basen reagieren. Die Hydrolyse der Peroxide und Hyperoxide führt zur Bildung von H2 O2; beide Verbindungsklassen sind starke Oxidationsmittel. M2O2 + 2 H2 O → 2 M(OH) + H2O2 2 MO2 + 2 H2 O → 2 M(OH) + H2O2 + O2 Sämtliche Verbindungen bilden Salze, in denen neben den Kationen M+ die Anionen O2- (Oxidationszahl –II), O22- (Oxidationszahl –I) und O2(Oxidationszahl -0.5) vorliegen. Der Aufbau der zweiatomigen Anionen lässt sich aus dem MO-Schema des O2-Moleküls (vgl. Abb. 21) herleiten, wobei im Falle von O2- 1 Elektron (Bindungsordnung 1.5, paramagnetisch), im Falle von O22- 2 Elektronen (Bindungsordnung 1, diamagnetisch) in das tiefstliegende antibindende Molekülorbital eingefügt werden. O22- hat folglich die gleiche Elektronenstruktur wie das F2-Molekül; man sagt es ist hierzu isoelektronisch (vgl. E31). Die Struktur des Salzes Li2O lässt sich aus der zuvor besprochenen Kubisch Dichtesten Kugelpackung der Anionen herleiten; hierin besetzen die Kationen sämtliche Tetraederlücken (KZ 4 für Li, KZ 8 für O). Die aus den Carbonaten in großem Umfang in situ erzeugten Oxide spielen eine wichtige Rolle bei der Glasherstellung (vgl. E34). 11.2.7 Alkalimetallhydroxyde Die zuvor bereits genannten Alkalimetallhydroxide sind sämtlich sehr gut in Wasser löslich (stark exotherme Reaktion!). Sie ziehen im festen Zustand aus der Luft Wasser an (diese Eigenschaft nennt man hygroskopisch) und kommen deshalb nicht in der Natur vor. Die als starke Basen in großem Umfang technisch hergestellten Hydroxide NaOH und KOH erhält man tatsächlich durch Reaktion der Metalle mit Wasser. 2 M + 2 H2 O → 2 M(OH) + H2 60 Hierbei werden die Metalle auf elektrochemischem Wege (Elektrolyse) in situ aus den wäss. Lösungen der Metallchloride erhalten (ChloralkaliElektrolyse), M+ + e- → M (Kathode) Cl → ½ Cl2 (Anode) so dass sich als Nebenprodukte zugleich in großen Mengen Wasserstoff und Chlor bilden. Zur Vermeidung der Reaktion von OH- mit Cl2 - - - 2 OH + Cl2 → Cl + OCl + H2O müssen die Elektrodenräume durch eine Membran getrennt werden (Abb. 24). Abb. 24: Die Chloralkalielektrolyse Auch die Alkalimetallhydroxide kristallisieren als Salze; hierin sind die Hydroxid-Ionen untereinander durch Wasserstoffbrücken-Bindungen verknüpft. 11.3 Schwefel, Selen, Tellur Gegenüber dem häufigen und wichtigen Element Schwefel sind seine schwereren Gruppennachbarn von untergeordneter Bedeutung und zudem dem Schwefel ähnlich; ihre Chemie soll deshalb nur zur Kennzeichnung von Unterschieden erwähnt werden. Schwefel kommt in der Natur in großem Umfang elementar (als S8 ) sowie in Form von Metallsulfaten (CaSO4 ) und Metallsulfiden (FeS) vor. Selen und Tellur treten hierin in sehr geringem Umfang als Verunreinigungen, viel seltener in Form reiner Mineralien, auf. 11.3.1 Die Elemente Im Gegensatz zu seinem leichteren Gruppennachbarn ist beim Schwefel das zweiatomige Molekül S2 nur bei hohen Temperaturen in der Gasphase existent. Bei Normalbedingungen liegt Schwefel in fester Form als ringförmiges S8 -Molekül vor (Abb. 25). Abb. 25: Formen des elementaren Schwefels In der Schmelze (Schmp. 120 °C) und in der Gasphase (Sdp. 445 °C) lassen sich weitere Moleküle Sn nachweisen, von denen einige (n z.B. 6,7,10,12,18) auch in reiner Form strukturanalytisch charakterisiert wurden. Die sämtlich gleichfalls als Ringe vorliegenden Moleküle 61 wandeln sich unter dem Einfluß von Wärme und Licht rasch in S 8Moleküle um. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E24 Die Doppelbindungsregel> Der der trotz gleicher Gruppenzugehörigkeit (nlx ) unterschiedliche Aufbau der Elemente Sauerstoff und Schwefel ist auffällig und bedarf einer Begründung. Wir hatten zuvor gesehen (E17), dass im Bereich der Atombindung Mehrfachbindungen (BO > 1) aus σ - und π -Bindungen zusammengesetzt sind. Hierbei findet die Bindungsstärke im „Überlappungsintegral“ der Atomorbitale ihren Niederschlag. Es ist leicht einzusehen, dass bei steigendem Atomradius die Überlappungsintegrale der π -Bindungen rasch abnehmen und somit die Mehrfachbindungen gegenüber der Summe der Einfachbindungen instabiler werden (Abb. 26). Abb. 26: Schematische Darstellung der Überlappungsintegrale für O2 und S2 Aus diesem Grunde lagern sich Moleküle der schwereren Hauptgruppenelemente (n > 2), in denen die Atome durch Mehrfachbindungen zusammengehalten werden, in Oligomere oder Polymere, die nur Einfachbindungen enthalten, um. Diesen Vorgang nennt man Oligomerisation oder Polymerisation (vgl. hierzu Kap. 19.5.1.1), z.B. 4 S2 → S8 Neben π -Bindungen unter Beteiligung von p-Orbitalen der Atome, sog. (p→p)π-Bindungen sind auch solche, in denen besetzte p-Orbitale (nichtbindende Elektronenpaare) mit unbesetzten d-Orbitalen in Wechselwirkung treten, bekannt. Diese (p→d)π-Bindungen genannten Bindungen treten häufig bindungsverstärkend als Resonanz auf und spielen beispielsweise bei der Stabilisierung der S-S-Bindung in S8 eine wichtige Rolle. -S-S- ↔ -S=SDie relative Schwäche der O-O-Bindung im Peroxid-Fragment O 2 (z.B. in H2O2 ) resultiert aus dem Ausbleiben dieser Bindungsverstärkung durch das Fehlen der 2d-Orbitale. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 62 Kann die S-S-Einfachbindung in elementarem Schwefel durch (p→p)πWechselwirkungen noch effektiv stabilisiert werden, so tritt dieser Effekt bei den schwereren Gruppennachbaren infolge des wachsenden Atomradius zurück. Hier werden bevorzugt Polymere Se∞ und Te∞ gebildet, in denen die (p→p)π-Wechselwirkungen im festen Zustand durch solche zwischen Atomen verschiedener, eng beieinander liegender Ketten, ersetzt werden (Abb. 27). Das Element Polonium liegt bereits als Metall vor. Abb. 27: Formen des elementaren Selens Schwefel wird in großem Umfang in der Anorganischen und Organischen Synthesechemie eingesetzt. Im Vordergrund stehen die Produktion von Schwefelsäure (Kap. 11.3.6), S2 Cl2 (Kap. 11.3.3) und schwefelhaltigen organischen Verbindungen. Der hierzu benötigte Schwefel wir im sog. Frasch-Verfahren aus elementaren Lagern als Schmelze (Abb. 27a) oder aus H2 S im sog. Claus-Prozeß gewonnen. Abb. 27a: Das Frasch-Verfahren 2 H2 S + 3 O2 → 2 SO2 + 2 H2 O 2 H2 S + SO2 → 3 S + 2 H2O 11.3.2 Verbindungen mit Wasserstoff Die dem Wasser analogen Verbindungen H2E (E = S,Se,Te) bilden hierzu analog dreiatomige, gewinkelt gebaute Moleküle (Sulfane, Selane, Tellane), in denen die Chalkogenatome die Oxidationszahl –II aufweisen. H2 E Auf Grund des geringeren Dipolmoments weisen sie wesentlich schwächere intermolekulare Wechselwirkungen (WasserstoffbrückenBindungen) und somit niedrigere Siedepunkte auf; sie bilden sämtlich bei Raumtemperatur giftige, übelriechende Gase. Der steigende Atomradius der Chalkogenatome führt in der Bindungsbildung mit den Wasserstoffatomen zu geringeren Überlappungsintegralen und somit zu schwächeren Bindungen. Hiermit in Zusammenhang steht, analog zur Situation der Halogenwasserstoffe HX (X = F,Cl,Br,I), eine Zunahme der Säurestärke [pK S 10-16 (O), 10-7 (S), 10-4 (Se), 10-3 (Te)] und Abnahme der chemischen Stabilität für H2E beim Übergang zu den schwereren Halogenatomen; H2Te zerfällt bereits bei Raumtemperatur in die Elemente. 63 Die Darstellung der Verbindungen erfolgt am besten durch Umsetzung der aus den Elementen leicht zugänglichen Metallchalkogenide (Kap. 11.3.4) mit Säuren. Na2 E + 2 HCl → H2E + 2 NaCl (E = S,Se,Te) Anders als bei Se und Te bildet H2 S das Anfangsglied einer homologen Reihe H2 Sn (n = 2-20, Polysulfane) als Folge der für S 8 zuvor genannten (p→d)π-Bindungsverstärkung. Auch diese Verbindungen lassen sich durch eine Säure/Base-Reaktion aus ihren Salzen gewinnen. Na2 Sn + 2 HCl → H2Sn + 2 NaCl Hierin weist der Schwefel negative, gebrochene Oxidationszahlen (-I bis 0) auf. H2 S2 ist ähnlich gebaut wie H 2O2 , zeigt jedoch wegen der höheren Stabilität der S-S-Bindung keine oxidierenden Eigenschaften. 11.3.3 Verbindungen mit Halogenen Sämtliche Halogenide der Chalkogene sind infolge der geringen Elektronegativitätsdifferenz molekular aufgebaut. Mit Fluor bildet Schwefel die Verbindungen, SF2 S2F2 SF4 S2F10 SF6 die sämtlich bei Raumtemperatur gasförmig sind und aus isolierten Molekülen bestehen. Ihre Struktur lässt sich nach dem VSEPR-Konzept korrekt vorhersagen. Die wichtigen Verbindungen SF4 und SF6 werden technisch aus den Elementen erhalten; im Labor kann SF4 durch Disproportionierung dargestellt werden. S + 2 F2 → SF4 S + 3 F2 → SF6 3 SCl2 + 4 NaF → SF4 + S2 Cl2 + 4 NaF Das wegen der hohen sterischen Abschirmung des Schwefelzentrums und des ausgeprägten (p→d)π-Bindungsanteils der S-F-Bindungen ungewöhnlich stabile SF6 (keine Reaktion mit 500 °C heißem Wasserdampf 64 oder mit geschmolzenem Natrium) findet wegen der hohen Dielektrizitätskonstante Verwendung als Isoliergas in Hochspannungsanlagen. SF4 ist ein wichtiges Fluorierungsmittel in der organischen Synthesechemie R2 C=O + SF4 → R2CF2 + S(O)F2 Schwefelchloride bilden übelriechende Flüssigheiten. Sie können aus den Elementen erhalten werden n S + Cl2 → SnCl2 und zersetzen sich langsam unter Bildung des stabilen S2Cl 2, das als Vulkanisierungsmittel in der Gummiindustrie umfangreiche Versendung findet. 2 SCl2 → S2Cl2 + Cl2 SnCl2 → S2Cl2 + (n-2) S SCl4 ist nur bei tiefen Temperaturen stabil; hingegen kennt man die stabilen Salze des Kations [SCl3]+. Als einzige binäre Verbindung des Schwefels mit Brom ist das aus den Elementen zugängliche sehr labile S2Br2 beschrieben worden. Stabile binäre Verbindungen des Schwefels mit Iod sind nicht bekannt. Bei Selen und Tellur dominiert die Chemie der stabilen Tetrahalogenide EX4 (E = Se,Te; X = Cl, Br,I), jedoch sind auch E2 Cl2 und TeF6 bekannt. 11.3.4 Verbindungen mit den Alkalimetallen Alle Alkalimetall-Chalkogenide M2 X (M = Alkalimetall, X = S,Se,Te) liegen im festen Zustand in Form von Ionengittern vor. Die aus den Elementen leicht zugänglichen Salze 2 M + X → M 2X reagieren infolge der hohen Basizität der Anionen rasch mit Wasser. M2X + 2 H2 O → 2 M(OH) + H2X Auch Chalkogen-reichere Salze M 2X n sind, insbesondere von Schwefel, bekannt. 11.3.5 Verbindungen mit Sauerstoff 65 Schwefel bildet mit Sauerstoff zwei stabile Oxide, SO2 SO3 die aus den Elementen zugänglich und molekular aufgebaut sind. Die Bildung von SO2 , einem farblosen, stechend riechenden Gas (Sdp. -10 °C), ist Grundlage technischer Prozesse, erfolgt aber auch unerwünscht in großem Umfang bei der Verbrennung schwefelhaltiger fossiler Brennstoffe (z.B. in Kraftwerken, Heizungen und Verbrennungsmotoren). S + 2 O2 → SO2 Auch beim „Rösten“ von sulfidischen Metallerzen werden große Mengen an SO2 freigesetzt. 4 FeS + 7 O2 → 4 SO 2 + 2 Fe2O3 SO2 löst sich gut in Wasser; die Lösungen enthalten jedoch nur in geringen Mengen die instabile „Schweflige Säure“. Die Oxidation von SO2 zu SO3 ist thermodynamisch möglich, bedarf jedoch wegen der kinetischen Hemmung eines Katalysators. 2 SO2 + O2 → 2 SO3; ΔH = -23.5 kcal/mol Einzelheiten zu diesem technisch hochbedeutenden Vorgang sollen im nachfolgenden Kapitel besprochen werden. SO3 bildet im Gaszustand (Sdp. 44 °C) monomere Moleküle; im festen Zustand existieren eine trimere sowie eine polymere Form (Abb. 28). Abb. 28: Oligomere Formen des Schwefeltrioxids Mit Wasser reagiert SO3 in einer stark exothermen Reaktion zu Schwefelsäure. SO3 + H2O → H2 SO4 Die Oxide des Selens und Tellurs sind formal analog zusammengesetzt. SeO2 und die stark oxidierend wirkenden SeO 3 und TeO3 besitzen einen polymeren Aufbau. TeO2 kristallisiert in einem Ionengitter. 66 11.3.6 Chalkogensauerstoffsäuren und Säurechloride Zahlreiche Verbindungen der allgemeinen Zusammensetzung H2 SnOx werden in der Literatur erwähnt (Tab. 13); die meisten sind jedoch nur in verd. wäss. Lösung oder in Form ihrer Metallsalze bekannt. Verbindungen mit ungeraden Oxidationszahlen des Schwefels enthalten eine S-SBindung. Wir wollen uns auf die Besprechung wichtiger Verbindungen beschränken. Tab. 13: Sauerstoffsäuren des Schwefels Schwefelsäure (H2SO4 , Sdp. 338 °C, Schmp. 10 °C) wird in großem Umfang technisch durch Umsetzung von SO3 mit Wasser hergestellt und gehört zu den wichtigsten Industriechemikalien überhaupt. H2 SO4 Wie bereits erwähnt, reagiert SO2 mit Luftsauerstoff nicht spontan zu SO3 , so dass zur Durchführung ein zusätzliches Hilfsmittel, hier V2 O5 , verwendet wird. Hieraus ergibt sich folgender Reaktionsverlauf: 2 S+IVO2 + 2 V+V2O5 +→ 2 S+VI O3 + 4 V+IVO2 +IV +V 4 V O2 + O2 → 2 V 2O5 _____________________________________ 2 SO2 + O2 → 2 SO3 SO3 + H2O → H2 SO4 xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E25 Katalyse I> Wie aus der vorstehenden Gleichung ersichtlich wird, liegt der die Oxidation von SO2 zu SO3 bewirkende Stoff V2 O5 nach Abschluß der Reaktionsfolge unverändert vor. Er kann deshalb „unterstöchiometrisch“, d.h. in geringen Mengen zugesetzt werden. Einen solchen Stoff bezeichnet man als Katalysator. Der Katalysator verändert die Energiebilanz der Gesamtreaktion und somit auch deren Gleichgewichtslage nicht. Er greift jedoch in den Reaktionsablauf, den sog. Reaktionsmechanismus, ein. Hieraus resultiert eine Veränderung der Reaktionskoordinate (Abb. 29) hinsichtlich der energetischen Lage des sog. Übergangszustandes. Abb. 29: Energiediagramm einer katalysierten Reaktion 67 Der direkte Angriff des SO2-Moleküls auf ein O2 -Molekül und dessen Spaltung erfordert eine hohe Anregungsenergie; hingegen lässt sich VO2 unter den Reaktionsbedingungen des Syntheseprozesses leichter mit O2 zur Reaktion bringen (beide Verbindungen enthalten ungepaarte Elektronen). Das hierbei resultierende V2O5 ist ein starkes Oxidationsmittel. Insgesamt können wir also die Katalyse bezüglich der Gesamtreaktion als kinetisch gesteuerten Prozeß auffassen. Da im vorliegenden Falle SO2 , SO3, Wasser und die Vanadinoxide (beide sind in Wasser und in Säuren unlöslich) in getrennten Phasen vorliegen, spricht man von Heterogener Katalyse (vgl. E41). xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx In der Produktionsanlage (Abb. 30) wird zur Oxidation das Gemisch aus SO2 und O 2 einer festen Oberfläche aus V2O5 /VO2 nur kurzzeitig ausgesetzt. Man spricht deshalb vom Kontaktverfahren. Zur Vermeidung von Überhitzung wird SO3, an Stelle in Wasser, in verd. Schwefelsäure eingeleitet. Abb.30: Anlage zur Produktion von Schwefelsäure In früheren Produktionsanlagen wurde als Katalysator an Stelle der Vavadinoxide ein Gemisch aus Nitrosen Gasen (vgl. Kap. 13.2.5) verwendet, das in Wasser löslich ist: 2 S+IVO2 + 2 N+V2O5 +→ 2 S+VI O3 + 4 N+IVO2 +IV +V 4 N O2 + O2 → 2 N 2O5 _____________________________________ 2 SO2 + O2 → 2 SO3 SO3 + H2O → H2 SO4 Wegen der in Bleikammern erfolgenden Produktionsführung (Blei wird durch Schwefelsäure “passiviert”, da PbSO4 in Schwefelsäure unlöslich ist) wird dieses Verfahren Bleikammerverfahren genannt. Hier ergibt sich neben anderen Nachteilen das Problem der Abtrennung des Katalysators vom Produkt, so daß dieses Verfahren heute nicht mehr verwendet wird. Schwefelsäure ist eine starke Säure (pKS = -3) und wirkt in konzentrierter Form stark oxidierend. Da bei der Verdünnung mit Wasser Wärmeenergie freigesetzt wird, zieht sie beim Stehen an der Luft Wasser an (sie ist hygroskopisch) und wird deshalb als Trockenmittel (Wasserentzug) von gegenüber Schwefelsäure resistenten Gasen verwendet. 68 Schwefelsäure wird in großen Mengen in vielen Bereichen der Chemie eingesetzt. Die Hauptmengen werden benötigt zur Gewinnung der sog. „Nassphosphorsäure“ (Kap. 13.3.5) sowie von „Weißpigmenten“ (TiO2). Wegen der hohen Azidität der Schwefelsäure reagieren ihre Salze, die Sulfate (SO42-) in Wasser neutral. Sie kommen in beachtlichen Mengen insbesondere als CaSO4 (Gips) in der Natur vor. Die Hydrogensulfate (HSO4 -) besitzen noch ausgeprägt saure Eigenschaften (pKS = 1.92): - + 2- HSO4 + H 2O → H3 O + SO 4 Peroxodischwefelsäure (H2 S2O8 ) enthält gleichfalls Schwefel der Oxidationszahl +VI sowie eine die Schwefelatome verbrückende O2Gruppe, in der die Sauerstoffatome die Oxidationszahl –I aufweisen. Sie ist, wie auch ihre Salze, ein starkes Oxidationsmittel. H2 S2 O8 Ihre Darstellung erfolgt durch elektrochemische Oxidation von Schwefelsäure. - - 2 HSO 4 → H2S2O8 + 2 e Schweflige Säure (H2SO3 ) ist, wie bereits erwähnt, nur in Form ihrer Salze bekannt, die durch Einleiten von SO2 in wäss. Lösungen von Basen erhalten werden. SO2 + 2 NaOH → Na2SO3 + H2 O Sulfite und Hydrogensulfite (HSO3 -) werden in großem Umfang als Reduktionsmittel sowie zur Extraktion in der Papierherstellung verwendet. Ein wesentlich effizienteres Reduktionsmittel bildet das Natriumsalz der Dithionigen Säure (H2 S2O4 ), das durch kathodische Reduktion von NaHSO3 erhalten wird (man beachte die ungewöhnliche Reaktion eines Anions an der Kathode!). 2 HSO3- + 2 e - → S2O42- + 2 OHDie rasche Reduktionswirkung in wäss. Lösung beruht auf dem Dissoziationsgleichgewicht des diamagnetischen Dianions zum paramagnetischen Monoanion. 69 2- - S2O4 <=> 2 SO 2 SO2- → SO2 + e- Gleichfalls von technischer Bedeutung sind die durch Umsetzung von Sulfiten mit Schwefel leicht zugänglichen Salze der Thioschwefelsäure (H2 S2O5 ). SO32- + S → S2O32Na2 S2 O3 bildet in wäss. Lösung stabile lösliche Komplexe mit Silbersalzen und wird in der Photographie (sw) als „Fixiersalz“ verwendet. Von Bedeutung in der analytischen Chemie ist die Oxidation mit Iod unter Bildung des Tetrathionat-Ions. 2 S2O3 2- 2- + I 2 → S4O6 - + 2I Die bekannten Oxidchloride SOCl 2 (Thionylchlorid, Sdp. 79 °C) und SO2Cl2 (Sulfurylchlorid, Sdp. 69 °C) können als Säurechloride der Schwefelsäure bzw. Schwefligen Säure aufgefasst werden (auch die Fluoride sind bekannt). SO2Cl 2 SOCl2 Sie werden technisch in großem Umfang hergestellt und finden Verwendung in der anorganischen und organischen Synthesechemie, z.B. zum Aufbau von organischen Sulfonsäurechloriden (RSO2Cl). SO2 + Cl2 → SO2 Cl2 SCl2 + SO3 → SOCl2 + SO 2 Beim Übergang zu den schwereren Chalkogenen nimmt die Säurestärke der Chalkogensauerstoffsäuren (H2 SeO4, H 6TeO6 ) ab und ihre oxidierende Wirkung zu. 12 Die Elemente der Gruppe 2 (Erdalkalimetalle) 12.1 Allgemeines Die Elemente der Gruppe 2 weisen die Valenzelektronenkonfiguration ns2 auf; sie liegen in ihren Verbindungen sämtlich in der Oxidationszahl +II vor (Tab. 14). 70 Tab. 14: Eigenschaften und Strukturen der Erdalkalimetalle Durch Ausbildung konventioneller Atombindungen kann die Edelgaskonfiguration nicht erreicht werden. Infolge der Elektronenmangelsituation liegen die Elemente folglich als Metalle vor. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E26 Die Metallische Bindung II> Wir konnten die durch Elektronenmangel erzeugte Metallische Bindung als Spezialfall der Atombindung unter Zuhilfenahme der Resonanz durch ein VB-Modell beschreiben (E12). Die Kenntnis des MO-Modells (E18) gestattet nun ein tieferes Verständnis dieses Phänomens. Das MO-Schema des in der Gasphase nachweisbaren Li 2-Moleküls weist zwei Molekülorbitale auf, von denen das energetisch günstigere, ähnlich wie im H2-Molekül, mit zwei Elektronen besetzt ist (KZ 1, Bindungsordnung 1). Beim Übergang zum Kristallverband (KZ ∞) resultiert nun, aus der unendlichen Anzahl der Atomorbitale, eine Aneinanderreihung energetisch eng beieinander liegender Molekülorbitale. Hierbei wird die Energielücke zwischen bindenden und antibindenden Molekülorbitalen aufgehoben. Man spricht von einer Bandstruktur der Orbitale (Abb. 31). Abb. 31: Schematische Darstellung der metallischen Bindung in Li ∞ In dieser Struktur ist die durch die Quantenbedingungen erzeugte Separierung der Energieniveaus aufgehoben. Da im Falle der Metalle das Band nicht vollständig mit Elektronen besetzt ist, kann durch Einwirkung geringfügiger, nicht den Quantenbedingungen gehorchender Energiebeträge eine Anregung der Elektronen erfolgen; hierdurch werden die Elektronen über den gesamten Kristallverband „beweglich“, was die charakteristischen metallischen Eigenschaften (elektrische und thermische Leitfähigkeit, metallischer Glanz) bewirkt. Die durch Temperaturerhöhung bewirkte Schwingung der Atome im Gitter stört diese Beweglichkeit; hierdurch kommt es bei Metallen zur Abnahme der elektrischen Leitfähigkeit mit steigender Temperatur. Bei Halbleitern und Nichtleitern besteht eine Bandlücke zwischen dem vollständig besetzten Valenzband und dem nichtbesetzten Leitungsband, da die bindenden und antibindenden Molekülorbitale nicht überlappen. Zur Verschiebung von Elektronen aus dem Valenzband in das Leitungsband ist nun die Zufuhr von (thermischer) Energie erforderlich. Für solche Strukturen (Halbleiter) steigt deshalb die elektrische Leitfähigkeit mit steigender Temperatur. Bei Nichtleitern (Isolatoren) liegt die erforderliche Anregungsenergie außerhalb des durch thermische Anregung erreichbaren Bereichs (Abb. 32). 71 Abb. 32: Energiebändermodell xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Ein Vergleich der Ionisierungspotentiale der Elemente der Gruppe 2 weist dem Beryllium eine Sonderstellung zu (IP 9.32 eV). Seine Chemie soll deshalb gesondert besprochen werden. 12.2 Beryllium Das seltene Element Beryllium findet sich in dem Mineral Be3 Al2Si6 O18, das je nach seiner (von geringfügigen Verunreinigungen herrührenden) Farbe als Beryll, Smaragd oder Aquamarin bezeichnet wird. Das Metall wird durch Schmelzflusselektrolyse des Chlorids erhalten. Be2+ + 2 e- → 2 Be Metallisches Beryllium findet Verwendung als Moderatormaterial (Einfang von Neutronen in Kernreaktoren) sowie als Fenstermaterial in Röntgengeräten. In Folge seines hohen Ionisierungspotentiales bildet Beryllium nur mit den Elementen höchster Elektronegativität Salze (BeF2 , BeO). In BeCl2 liegen bereits (stark polarisierte) Atombindungen vor. Im isolierten (monomeren) Molekül erreicht das Metallzentrum bei Ausbildung von zwei Atombindungen die Edelgaskonfiguration nicht. Der hierdurch bewirkte Elektronenmangel wird durch Ausbildung einer polymeren Struktur unter Einbindung von (im monomeren Molekül) nichtbindenden Elektronenpaaren der Halogenatome behoben, so dass die Halogenatome nunmehr eine Brückenfunktion wahrnehmen. In dieser Struktur weisen die Berylliumatome unter Verwendung von 4 sp 3Hybridorbitalen eine verzerrt tetraedrische Koordinationsumgebung von jeweils 4 Chloratomen auf; diese stellen jeweils 3 Elektronen (als Chloridionen gegenüber dem Be2+ -Zentrum 4 Elektronen, sog. 3c4eBindung) zur Bindung bereit, so dass das Metallzentrum nunmehr das angestrebte Elektronenoktett erreicht (ein weiterer Typ der 3c4e-Bindung, der z.B. im I3 —Ion vorliegt, wird in E18 besprochen). BeCl2 In wäss. Lösungen hingegen liegt BeCl2 als Komplexzalz [Be(H2O)4 ]Cl2 gelöst vor. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E27 Komplexverbindungen I> 72 Wir haben beim Aufbau des polymeren BeCl2 gesehen, dass Atome oder Anionen (X) zur Ausbildung von Atombindungen nichtbindende Elektronenpaare verwenden können. In einem formalen Sinne stammt in diesem Falle das bindende Elektronenpaar von nur einem der Bindungspartner. Solche Bindungen nennt man Koordinative Bindungen. Die hierdurch gebildeten Verbindungen bezeichnet man als Komplexverbindungen. Hierbei fungieren die Koordinative Bindungen ausbildenden Anionen oder Moleküle als Liganden, die an das Komplexzentrum koordiniert sind. 2+ [Be(H2O)4] [BeCl4] 2- Da in Komplexverbindungen die Donoratome der Liganden gegenüber dem Zentrum elektronegativer sind, handelt es sich bei der Bildung bzw. dem Zerfall von Komplexen nicht um Redoxreaktionen. Die Stabilität von Komplexen kann durch Anwendung des Massenwirkungsgesetzes und der hieraus resultierenden Komplexbildungskonstanten K beschrieben werden. Am Beispiel der Bildung von [BeCl 4]2- ergibt sich somit: 2+ Be - 2- + 4 Cl <=> [BeCl4 ] 2- CBeCl4 K = ────── CBe2+ x CCl- 4 Stabile Komplexe weisen hohe Komplexbildungskonstanten auf (K >> 1). Die reziproken Werte 1/K bezeichnet man als Komplexzerfallskonstanten. Die als Elektronenpaardonatoren fungierenden Liganden werden in der Säure/Base-Theorie nach Lewis als Basen, die Komplexzentren als Säuren bezeichnet (vgl. E32). Die Ausbildung der Koordinativen Bindung entspricht der Neutralisation. Die Säure/Base-Reaktion nach Broenstedt (E7) stellt mit der Säure H+ und der Base OH- sowie der Bildung von H2O als Neutralisation somit einen Spezialfall der Säure/Base-Reaktion nach Lewis dar. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Im gleichfalls vorliegenden Berylliumhydrid (BeH2 ) entfällt die Möglichkeit der Stabilisierung durch koordinative Bindungen. Der hier vorliegende Bindungstyp (3c2e-Bindung) wird an anderer Stelle besprochen (vgl. E29). 12.3 Magnesium, Calcium, Strontium, Barium 73 Die schwereren Erdalkalimetalle kommen als in Wasser schwerlösliche Fluoride, Sulfate, Carbonate und Silikate, insbes. als Mg(Ca)CO3 (Dolomit) vor; Magnesium und Calcium finden sich zudem in gelöster Form ihrer Chloride in beträchtlichen Mengen im Meerwasser. Die Metalle werden durch Schmelzflusselektrolyse der Chloride gewonnen; insbes. Mg und Ca finden als Legierungsbestandteile und starke Reduktionsmittel umfangreiche Verwendung. Trotz ihrer stark negativen Reduktionspotentiale (vgl. E20) lösen sie sich nicht in Wasser („Passivierung“). Sämtliche Halogenide MX2, die aus den Elementen sowie durch Umsetzung der Oxide mit den entsprechenden Säuren leicht zugänglich sind, sind bekannt. M + X2 → MX2 (M = Mg,Ca, Sr,Ba; X = F,Cl,Br,I) MO + 2 HX → MX2 + H2O Sie sind sämtlich salzartig aufgebaut. CaF2 liegt im Fluorit-Typ (invers zu Li2 O; in der kubisch dichtesten Kugelpackung der Kationen besetzen die Anionen alle Tetraederlücken) vor. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E28 Löslichkeit und Löslichkeitsprodukt> Im Bereich der Chemie wird die Löslichkeit (L) eines Salzes üblicherweise in der Einheit [mol/lit] angegeben. Häufig jedoch findet sich auch die Angabe als Löslichkeitsprodukt (KL). Der Zusammenhang ergibt sich für ein Salz der Zusammensetzung AB (z.B. NaCl) aus dem Massenwirkungsgesetz: AB <=> A+ + BcA+ x cBKL ’ = ───── cAB Die sehr geringe, bei Vorliegen einer gesättigten Lösung (Bodensatz an ungelösten AB) konstante Konzentration an undissoziiert gelöstem AB (cAB) kann in die Gleichgewichtskonstante einbezogen werden: 2 2 KL [mol /lit ] = KL’ x c AB = c A+ x cBFür Salze der Zusammensetzung AB gilt: L [mol/lit] = cA+ = cB- = √KL 74 Tabellierte Werte KL gelten für wäss. Lösungen bei Normalbedingungen (T = 20 °C). Für Salze anderer stöchiometrischer Zusammensetzung (z.B. AB2 , A2B 3) ergibt sich für L fKL ein komplexerer Zusammenhang. Das Löslichkeitsprodukt eines Salzes beschreibt seine Löslichkeit, begründet sie jedoch nicht. Allgemein weisen Salze hoher Gitterenergie geringe Löslichkeiten auf. Jedoch ist zu beachten, dass die eine hohe Gitterergie bewirkenden Faktoren (z.B. hohe Ionenladung, geringer Ionenradius) auch eine hohe Hydratationsenergie zur Folge haben können; dies erschwert die Abschätzung der Löslichkeit. Eine hohe Gitterenergie wird durch Ionen vergleichbarer Größe begünstigt. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Die Erdalkalimetalloxide MO werden durch „Brennen“ der Carbonate gewonnen und liegen sämtlich als Salze des Steinsalz-Typs vor. MCO3 → MO + CO2 Besondere Bedeutung kommt hier, auch in kulturgeschichtlicher Hinsicht, dem gebrannten Kalk (CaO) zu, der sich durch Zugabe von Wasser („Kalklöschen“) in eine Suspension aus Ca(OH)2 („Kalkmilch“) überführen lässt. Geringere Mengen von Wasser führen zum „Kalkbrei“, der, vermischt mit Sand, als „Mörtel“ dient. Im Verlauf eines langen Zeitraums erfolgt unter Einwirkung des CO2 -Gehalts der Luft eine Rückbildung zu CaCO3 unter Verfestigung („Abbinden“). Durch Beimengen von Tonen (Alumosilikate) entsteht Zement, der durch Zugabe von Steinen in Beton überführt wird. Magnesiumoxid („Magnesia“) wird gleichfalls durch Brennen des Carbonats gewonnen, kommt jedoch auch als Mineral in der Natur vor. 13 Die Elemente der Gruppe 15 (Pnikogene) 13.1 Allgemeines Die Elemente der Gruppe 15 weisen die Valenzelektronenkonfiguration ns2 p3 (n = 2-6) auf und ermöglichen hierdurch Oxidationszahlen im Bereich von +V bis –III; geradzahlige Oxidationszahlen werden nur bei Vorliegen von E-E-Bindungen bzw. in stabilen Radikalen realisiert. Nur im N3- -Ion (z.B. in Li3 N2) wird die Edelgaskonfiguration durch Ausbildung von Ionen erreicht, da in anderen Fällen die hochgeladenen Ionen E3- bzw. E 5+ die Gegenionen unter Ausbildung von Atombindungen polarisieren. Einen Überblick über die Eigenschaften der Atomsorten gibt Tab. 15. 75 Tab. 15: Eigenschaften der Gruppe 15-Elemente (Pnikogene) Auch hier geben die deutlich abgesetzten Eigenschaften des Kopfelements Anlaß zu gesonderter Besprechung. 13.2 Der Stickstoff Stickstoff kommt in elementarer Form (N2 ) in großen Mengen in der Luft (ca. 79 Vol.-%), sehr viel seltener mineralisch in Form von Ammoniumund Nitratsalzen vor. 13.2.1 Das Element Elementarer Stickstoff liegt ausschließlich als zweiatomiges Molekül vor. N2 Hierin erreichen beide Atome durch Ausbildung einer Dreifachbindung die Edelgaskonfiguration; auch das MO-Schema (Abb. 33) ergibt die Bindungsordnung 3. Abb. 33: MO-Schema des N2 -Moleküls Die extrem hohe Bindungsenergie (226 kcal/mol) des N2-Moleküls bewirken seine außerordentliche Reaktionsträgheit; selbst bei 3000 °C ist noch keine Dissoziation in die Atome feststellbar. Zur Spaltung der Bindung sind folglich katalytische Methoden erforderlich, die insbesondere im Bereich der Biochemie („Stickstofffixierung“) intensiv untersucht werden. Elementarer Stickstoff wird durch Verflüssigung der Luft und nachfolgende Destillation (Linde-Verfahren) in großen Mengen gewonnen (vgl. E39) und technisch zur Synthese von Ammoniak (somit mittelbar zur Herstellung von Salpetersäure und Nitraten) verwendet. 13.2.2 Verbindungen mit Wasserstoff Mit Wasserstoff bildet Stickstoff drei wichtige binäre Verbindungen. NH3 (Ammoniak) N2 H4 (Hydrazin) HN3 (Stickstoffwasserstoffsäure) Ammoniak bildet bei Raumtemperatur ein farbloses Gas (Sdp. -33°C, Schmp. -78 °C), das sich sehr gut in Wasser löst. Die wäss. Lösung reagiert schwach basisch (pKB = 4.79). 76 + - NH3 + H2O <=> NH4 + OH Wegen der nur in geringem Umfang natürlich vorkommenden Ammoniumsalze (NH4X) ist deren Umsetzung mit starken Basen zur Darstellung von Ammoniak unbedeutend. + - NH4 + OH → NH3 + H2O Die Darstellung erfolgt vielmehr aus den Elementen unter katalytischen Bedingungen. Das sog. Haber-Bosch-Verfahren gehört hinsichtlich seiner Entwicklung und seines Umfangs zu den bedeutendsten Verfahren der Technischen Chemie (Abb. 34). Abb. 34: Anlage zur Produktion von Ammoniak Die Bildungsreaktion aus den Elementen ist exotherm (ΔH = -23 kcal/mol) und thermodynamisch erlaubt (ΔG < 0), verläuft jedoch wegen der hohen, zur Spaltung der sehr stabilen N-N- und H-H-Bindungen erforderlichen Aktivierungsenergie sehr langsam (als reagierende Spezies fungieren die Atome!). Eine Temperatursteigerung bewirkt die Verschiebung des Reaktionsgleichgewichts auf die Seite der Edukte. N2 + 3 H2 → 2 NH3 (ΔH = - 23 kcal/mol) Zur Überwindung der Aktivierungsenergie bei moderaten Bedingungen (500 °C, 300 bar) ist ein Katalysator erforderlich. Hierzu wird Fe3 O4 als Ummantelung des aus Stahl bestehenden Druckreaktors verwendet, das unter den Reaktionsbedingungen von Wasserstoff zu metallischem (Kohlenstoff-freiem) Eisen reduziert wird. Es wird davon ausgegangen, dass durch Anlagerung der Moleküle an die Metalloberfläche die N-Nbzw. H-H-Bindung geschwächt wird und somit die Moleküle leichter in Atome überführt werden können (vgl. Abb. 20 und 32). Zur Vermeidung von unerwünschten Nebenreaktionen (Knallgasreaktion, Oxidation von Ammoniak, Deaktivierung des Katalysators) muß die Bildungsreaktion von Ammoniak in Abwesenheit von Sauerstoff durchgeführt werden. Früher wurden zur Bereitstellung der Edukte abwechselnd Wasserdampf und Luft über glühende Kohle geleitet („Griff in die Luft“): H2 O + C → H2 + CO (Wassergas) N2 /O2 (Luft) + C → N2 + CO (Generatorgas) 77 Die Entfernung des störenden Kohlenmonoxids aus dem Gasgemisch stellte eines der Hauptprobleme des Haber-Bosch-Verfahrens dar. In modernen Anlagen wird Wasserstoff aus der Chloralkali-Elektrolyse und Stickstoff aus dem Linde-Verfahren verwendet. Ammoniak dient neben seiner Verwendung als schwache Base (wäss. Lösung, korrespondierende Säure ist das Ammonium-Ion NH4 +) zur Darstellung von Salpetersäure (Kap. 13.2.6), Nitraten und deren Folgeprodukten. Als sehr schwache Säure (pKS = 23!) bildet Ammoniak als korrespondierende Base das Amidion, dessen Natriumsalz technisch hergestellt und als sehr starke Base in der Organischen Synthese verwendet wird. 2 NH3 + 2 Na → 2 NaNH2 + H2 In wasserfreiem flüssigen Ammoniak lösen sich Alkalimetalle; die hier bei tiefen Temperaturen (< -40 °C) auftretende tiefblaue Farbe wird den solvatisierten Elektronen zugeschrieben. n NH3 + Na → Na+ + [e(NH3) n]Hydrazin (Sdp. 113 °C, Schmp. 2 °C) dient in der Technik als Reduktionsmittel sowie als Synthesebaustein in der Organischen Chemie und wird gleichfalls in technischem Maßstab nach dem RaschigVerfahren gewonnen. - - 2 NH3 + OCl → N2H4 + H2 O + Cl Hydrazin ist etwas schwächer basisch als Ammoniak und bildet zwei Reihen von Salzen (N2H5 +, N2 H62+ ). Stickstoffwasserstoffsäure (Sdp. 37 °C) wird am besten durch Umsetzung ihrer Salze mit verd. Schwefelsäure erhalten. 2 NaN3 + H2 SO4 → 2 HN3 + Na2SO4 Die in reinem Zustand hochexplosive Verbindung ist in wäss. Lösung eine mittelstarke Säure (pKS ca. 5); etherische, in situ erzeugte Lösungen werden in der Organischen Synthese zum Aufbau von Heterozyklen verwendet. Die ionisch gebauten Salze der Alkalimetalle enthalten das stabile, hochsymmetrische Azidion N3 -. N3- 78 Natriumazid wird technisch aus N2 O („Lachgas“, vgl. Kap. 13.2.5) und Natriumamid gewonnen. NaNH2 + N2O → NaN3 + H2O In HN3 weist der Sickstoff formal die Oxidationszahl -1/3 auf. Man beachte jedoch, dass in diesem Molekül Stickstoffatome verschiedener chemischer Umgebung vorliegen und es sich deshalb um einen arithmetischen Mittelwert handelt. 13.2.3 Verbindungen mit Halogenen Stickstoff-Halogen-Verbindungen können formal als Derivate des Ammoniaks (NX3), des Hydrazins (N 2X4 ) und der Stickstoffwasserstoff säure (N3 X) aufgefasst werden. Es ist zu beachten, dass in den Fluorverbindungen Stickstoff in positiver Oxidationszahl vorliegt. In den Verbindungen der schwereren Halogene ist der Stickstoff der jeweils elektronegativere Bindungspartner; die hieraus resultierenden Verbindungen weisen eine geringe Stabilität auf: NCl3 und NBr3 beispielsweise sind explosiv, NI3 ist nicht bekannt. Trifluoramin (Sdp -129 °C, Schmp. -206 °C) wird durch Fluorierung von Ammoniak erhalten. 4 NH3 + 3 F2 → NF3 + 3 NH4F Das stabile, farblose Gas weist ein sehr geringes Dipolmoment (0.23 D) auf, das dem des Ammoniaks (1.47 D) entgegengerichtet ist. Hieraus resultieren für diese Verbindung nur sehr schwach basische Eigenschaften. Offensichtlich bewirkt die hohe Elektronegativität des Fluors nicht nur eine Polarisierung der N-F-Bindungen, sondern darüber hinaus durch die positive Partialladung am Stickstoffatom eine geringe Verfügbarkeit („Nukleophilie“) des nichtbindenden Elektronenpaars. Halogenazide werden durch Umsetzung der Halogene mit Natriumazid gewonnen. NaN3 + X2 → XN3 + NaX (X = F,Cl,Br,I) Sie sind infolge der relativ geringen Elektronegativitätsdifferenz zwischen Stickstoff und den Halogenen molekular aufgebaut und dementsprechend explosiv. 13.2.4 Verbindungen mit Alkali- und Erdalkalimetallen Binäre Verbindungen des Stickstoffs mit Alkali- und Erdalkalimetallen sind wegen der hohen Elektronegativitätsdifferenz der beteiligten 79 Elemente salzartig aufgebaut. Sie lassen sich als Derivate der sehr schwachen Säure NH3 auffassen und sind aus den Elementen zugänglich, z.B.: 6 Li + 3 N2 → 2 Li 3N Li3 N findet als Ionenleiter Verwendung. Auch Derivate des Hydrazins sind bekannt. Sämtliche Salze reagieren als korrespondierende Basen der zugehörigen sehr schwachen Säuren stark basisch. Die gleichfalls diesem Kapitel zuzuordnenden technisch wichtigen Metallazide (z.B. NaN3 , s.o.) sind im Gegensatz zur freien Säure ihres salzartigen Aufbaus wegen (isolierte symmetrische N3 -Anionen) stabil. 13.2.5 Verbindungen mit Sauerstoff Binäre Stickstoffoxide („Stickoxide“) sind in allen geradzahligen positiven Oxidationszahlen des Stickstoffs bekannt. Die in den Oxidationszahlen +II und +IV des Stickstoffs vorliegenden Verbindungen bilden bei Normalbedingungen stabile monomere Radikale, die bei tiefen Temperaturen im festen Zustand dimerisieren (Tab. 16). Abgesehen von N2O sind alle Stickoxide hochgiftig; ihre unerwünschte Bildung stellt ein bedeutendes Umweltproblem dar. Tab. 16: Binäre Oxide des Stickstoffs N2O Distickstoffmonoxid („Lachgas“) bildet sich als farbloses Gas bei der thermischen Zersetzung („Intramolekulare Komproportionierung“) von Ammoniumnitrat (Sdp. -88 °C, Schmp. -91 °C). NH4NO3 → N2O + 2 H2O Die Bindungssituation im linear gebauten Molekül lässt sich durch Resonanzformeln beschreiben. N2 O dient als Edukt bei der Synthese von Natriumazid, zum Aufbau organischer Heterozyklen sowie als Narkotikum. NO Stickstoffmonoxid (Sdp. -152 °C, Schmp. -63 °C) bildet sich bei Hochtemperaturprozessen (T < 2000 °C, z.B. in Verbrennungsmotoren und Kraftwerken) aus den Bestandteilen der Luft als farbloses Gas. Technisch wird es im Zuge der Salpetersäure-Darstellung (vgl. Kap. 80 13.2.6) durch katalytische Verbrennung von Ammoniak gewonnen. Die chemische Bindung lässt sich aus dem MO-Schema von O2 (Abb. 21) qualitativ durch Wegnahme eines Elektrons verstehen (BO 2.5); man beachte jedoch die unterschiedliche Lage der Atomorbitale auf der Energieskala. N2O3 Distickstofftrioxid bildet sich beim Abkühlen gleicher Mengen von NO und NO2. Es liegt im festen Zustand als Salz [NO] +[NO2-] („Nitrosylnitrit“) vor und zerfällt bereits oberhalb -10 °C in Umkehrung der Bildungsgleichung. Als Anhydrid der Salpetrigen Säure reagiert es mit Laugen zu Nitrit-Salzen. NO + NO2 → N2O3 N2O3 + 2 NaOH → 2 NaNO2 + H2O Stickstoffdioxid bildet sich in einer Gleichgewichtsreaktion aus NO und Sauerstoff (bei 600 °C liegt das Gleichgewicht vollständig auf der linken Seite). 2 NO + O2 <=> 2 NO 2 In der Gasphase liegt NO2 als gewinkelt gebautes gelb gefärbtes Molekül vor; der feste Zustand (ab -11 °C) besteht aus planaren braunen N2 O4Molekülen. NO2 ist ein starkes Oxidationsmittel. - - NO2 + e → NO2 Distickstoffpentoxid wird durch Entwässern von Salpetersäure als deren Anhydrid gewonnen. Es liegt im festen Zustand als Salz [NO2]+[NO3](„Nitrylnitrat“) vor und ist gleichfalls ein sehr starkes Oxidationsmittel. 2 HNO3 → N2O5 + H2O Außer den elektroneutralen Stickoxiden existieren noch kationische und anionische Spezies. Nitrosylhydrogensulfat bildet sich bei der Einwirkung von N2 O3 auf Schwefelsäure gem. N2O3 + 2 H2SO4 → 2 [NO]+[HSO 4]- + H2 O Das Kation NO+ enthält eine NO-Dreifachbindung und ist isoelektronisch (vgl. E31) zu N2 und CO. 81 + NO NO2+ Das Nitrylkation ist aus Salpetersäure bzw. deren Säurehalogeniden NO2X in Form stabiler Salze zugänglich. NO2F + BF3 → [NO2] +[BF4]Das stark oxidierende Kation ist, wie auch das hierzu isoelektronische CO2 , linear gebaut. Die Anionen NOx - (x = 2,3) werden als Derivate der Stickstoffsauerstoffsäuren nachfolgend beschrieben. 13.2.6 Stickstoffsauerstoffsäuren und Säurehalogenide Sauerstoffsäuren der allgemeinen Zusammensetzung Hx NOy sind für Stickstoff der Oxidationszahlen +V, +III, +I und –I bekannt. HNO3 HNO2 HNO H3NO Salpetersäure Salpetrige Säure Hyposalpetrige Säure Hydroxylamin Die unbeständige, in fester Form dimere Hyposalpetrige Säure soll hier nicht weiter besprochen werden. Salpetersäure (HNO3) wird technisch in großem Umfang nach dem Ostwald-Verfahren durch katalytische Verbrennung von Ammoniak an einem Platinnetz und nachfolgende Einleitung der resultierenden Stickoxide unter Einwirkung von Sauerstoff in Wasser gewonnen. 4 NH3 + 5 O2 → 4 NO + 6 H2 O 2 NO + O2 → 2 NO2 4 NO2 + O2 + 2 H2 O → 4 HNO3 In Abwesenheit des Katalysators führt die Verbrennung von Ammoniak nur zu N2. Hierzu alternativ wurde früher im Birkeland-Eyde-Verfahren NO aus den Elementen im elektrischen Lichtbogen gewonnen und analog weiterverarbeitet. Salpetersäure bildet bei Normalbedingungen eine farblose Flüssigkeit (Sdp. 84 °C, Schmp. -42 °C), die jedoch in der Praxis durch Gegenwart 82 von NO2 meist gelb gefärbt ist. Die sehr starke Säure (pKS = -1.37) zersetzt sich unter Lichteinwirkung in Umkehrung der Bildungsgleichung. In konzentrierter Form ist Salpetersäure ein starkes Oxidationsmittel (E° = +0.96 V), das auch Edelmetalle wie Silber, nicht aber Gold, löst (Scheidewasser). Man beachte, dass hier, anders als bei unedlen Metallen (z.B. Na), das Säureanion und nicht das im Gleichgewicht vorliegende Hydroniumion H3O+ als Oxidationsmittel fungiert. 3 Ag + 4 HNO3 → 3 AgNO3 + NO + 2 H2O 2 Na + 2 HNO3 → 2 NaNO3 + H2 Im Gemisch mit Salzsäure (Königswasser) vermag Salpetersäure jedoch sogar Gold aufzulösen. Als Oxidationsmittel wirkt hierbei „aktives“ (möglicherweise atomares) Chlor. HNO3 + 3 HCl → NOCl + Cl2 + 2 H2 O Eine Mischung von Salpetersäure und Schwefelsäure wird Nitriersäure genannt, da hierin das organische Verbindungen nitrierende Nitrylkation NO2+ vorliegt. HNO3 + 2 H 2SO 4 → NO2+ + H3O+ + 2 HSO4+ + C6 H6 + NO2 + H2 O → C6H5 NO2 + H3O Die Bedeutung der Salpetersäure liegt in der Herstellung anorganischer Nitrate als Düngemittel sowie in der Produktion organischer Nitroverbindungen als Farbstoffe und Sprengstoffe. Nitrate enthalten als Salze der Salpetersäure das symmetrisch und trigonal planar gebaute Nitration. NO3Fast alle Nitratsalze lösen sich gut in Wasser. Mineralische Vorkommen als NaNO3 („Chilesalpeter“) und KNO3 („Kalisalpeter“) sind nicht häufig und an die Gegenwart wasserundurchlässiger Formationen gebunden. Nitrate wirken erst bei hohen Temperaturen stark oxidierend. 2 KNO3 → 2 KNO2 + O2 Salpetrige Säure (HNO2 ) ist nur in verdünnter wäss. Lösung stabil und dort eine schwache Säure (pKS ca. 5). Ihre Salze, woraus sie durch 83 Ansäuern erhalten wird, sind durch Umsetzung der Hydroxide mit N2O3 bzw. durch Reduktion der Nitrate mit Kohle zugänglich. 2 NaOH + N2O3 → 2 NaNO2 + H2O NaNO3 + C → NaNO2 + CO NaNO2 + HCl → HNO2 + NaCl Salpetrige Säure wirkt in wäss. Lösung schwach oxidierend, z.B. HNO2 + NH 3 → 2 H2 O + N2 Wäss. Lösungen der Salpetrigen Säure werden in der organischen Synthese eingesetzt: + - + + C6 H5NH3 Cl + NaNO2 + H3O → C6 H5N2 + 3 H 2O + NaCl NaNO2 dient zur Konservierung von Lebensmitteln („Pökelsalz“). Hydroxylamin (H2 NOH) reagiert mit Wasser bereits als Base (pKB = 8.2): + H2NOH + H2O → H3NOH + OH - Hydroxylamin ist ein starkes Reduktionsmittel. Der unbeständige Feststoff (Schmp. 33 °C) zerfällt rasch bei Raumtemperatur 4 H2NOH → 2 NH3 + N2O + 3 H2 O Das stabile Sulfatsalz wird in großem Umfang technisch durch katalytische Reduktion (Pd-Katalysator) von NO hergestellt und in der organischen Polymersynthese („Caprolactame“) verwendet 2 NO + 3 H2 + H2SO 4 → [H3NOH]2SO 4 Von den Stickstoffsauerstoffsäuren lassen sich die Säurechloride ableiten, NOCl Nitrosylchlorid NO2Cl Nitrylchlorid (Sdp. -6 °C) (Sdp. -6 °C) die molekular aufgebaut und bei Raumtemperatur gasförmig sind. Sie werden durch Umsetzung der entsprechenden Stickoxide mit Chlor gewonnen und reagieren mit Wasser zu den zugehörigen Säuren. 84 2 NO + Cl2 → 2 NOCl NOCl + H2 O → HNO2 + HCl 2 NO2 + Cl2 → 2 NO2 Cl NO2Cl + H2O → HNO3 + HCl Auch die entsprechenden Säurefluoride und Säurebromide sind bekannt. 13.3 Phosphor, Arsen, Antimon, Wismut Das gegenüber Stickstoff etwa dreimal so häufige Element Phosphor kommt in der Natur nur in gebundener Form vor. Hauptvorkommen ist der Apatit Ca5 (PO4 )3 (F,OH). Die wesentlich selteneren Elemente Arsen, Antimon und Wismut liegen meist als Sulfide E2 S3 vor. 13.3.1 Die Elemente Die in Folge der Doppelbindungsregel (E24) in der Gruppe 16 beobachteten Unterschiede zwischen dem Kopfelement und seinen schwereren Gruppennachbarn zeigen sich auch in der Gruppe 15. Hier ist die Bandbreite der Modifikationen des Phosphors gleichermaßen beeindruckend wie verwirrend (Abb. 35). Abb. 35: Das Element Phosphor In Verbindung mit der Tendenz zur Erfüllung der Oktettregel führt die Präsenz von hier 3 Valenzelektronen zum Aufbau komplexer käfigartiger Strukturen, von denen hier nur drei näher betrachtet werden sollen (Abb. 36). Abb. 36: Die Elementmodifikationen des Phosphors Der weiße Phosphor, P4 , (Sdp. 280 °C, Schmp. 44 °C) bildet reguläre Tetraeder; durch die hieraus resultierenden sehr kleinen Bindungswinkel von 60 ° sind diese Bindungen sehr labil (vgl. hierzu Kap. 19.4.1). P4 ist folglich sehr reaktiv und wird an Luft spontan zu P4 O10 oxidiert (Aufbewahrung unter Wasser). Die Interpretation der Bindungssituation (der Bindungswinkel ist auch durch Hybridisierung nicht erreichbar) beruht auf der Annahme der Überlappung von p-Orbitalen; hierdurch liegt das Maximum der Elektronendichte außerhalb der P-P-Bindungsachse. Im strengen Sinne handelt es sich folglich nicht um σ-Bindungen (vgl. hierzu die Struktur von Cyclopropan, Abb. 91). Das Problem der Bindungswinkel tritt in der Modifikation des violetten Phosphors nicht auf. Die thermodynamisch stabilste Struktur bildet der schwarze Phosphor, der auf Grund seiner Elektronendelokalisation bereits Halbleitereigenschaften besitzt. 85 Die Darstellung von elementarem Phosphor erfolgt durch Reduktion des Apatits [hier als Ca3(PO4)2 formuliert] mit Kohle bei 1400 °C unter Luftausschluß 2 Ca3 (PO4 )2 + 6 SiO2 + 10 C → 6 CaSiO3 + 10 CO + P4 Der hierbei anfallende Weiße Phosphor bildet sich durch Dimerisierung der in der Gasphase vorliegenden P2 -Moleküle (P≡P, zur Stabilität vgl. E24). Weißer Phosphor wird in großem Umfang zur Darstellung von Phosphorsäure (vgl. Kap. 13.3.5) verwendet. Der luftstabile Rote Phosphor ist Bestandteil von Zündhölzern. Das sehr giftige Element Arsen liegt als gleichfalls instabiles As4 (rot) und als dem schwarzen Phosphor vergleichbare graue Modifikation vor, die für Antimon und Wismut die einzige bekannte Form darstellt. Arsen wird in der Halbleitertechnologie verwendet. Antimon und Wismut sind Bestandteile von Legierungen. 13.3.2 Verbindungen mit Wasserstoff P, As, Sb und Bi bilden die dem Ammoniak formal verwandten Hydride EH3 , von denen hier nur das stabile, aber an Luft leicht entzündliche Phosphan PH3 besprochen werden soll. Es bildet sich bei der Hydrolyse von Metallphosphiden bzw.aus den Elementen unter Druck bei 300 °C als farbloses, giftiges Gas (Schmp. -133 °C, Sdp. – 88 °C). Zur Polarität der PH-Bindung vgl. EN (P/H = 2.1/2.2). Na3P + 3 H 2O → PH3 + 3 NaOH P4 + 6 H2 → 4 PH3 Analog den Verhältnissen in der Gruppe 16 nimmt die Azidität von EH3 beim Übergang zu den schweren Gruppenelementen zu (und somit die Basizität ab) wegen der geringeren Stabilität der E-H-Bindung. SbH3 und BiH3 zerfallen bei thermischer Belastung in die Elemente. Im Gegensatz zu Ammoniak weist PH3 fast keine basischen Eigenschaften auf; die korrespondierende Säure PH4 + ist eine starke Säure (pKS = -1.3). 13.3.3 Verbindungen mit Halogenen Die schweren Elemente der Gruppe 15 (E = P,As,Sb,Bi) bilden mit den Halogenen (X = F,Cl,Br,I) folgende Verbindungstypen: EX3 E2 X4 EX5 86 In allen Verbindungen ist das Halogenatom der negative Bindungspartner. Jedoch reicht die Elektronegativitätsdifferenz in keinem Fall zur Bildung von Salzen aus, so dass Moleküle, bzw. im festen Zustand für EX3 bzw. E2 X4, Molekülgitter gebildet werden. Die Verbindungen sind aus den Elementen zugänglich; zur Darstellung der Fluorverbindungen ist jedoch der Halogenaustausch vorteilhaft. 2 E + 3 X2 → 2 EX3 2 E + 2 X2 → E2X4 2 E + 5 X2 → 2 EX5 ECl3 + 3 NaF → EF3 + 3 NaCl Von praktischer Bedeutung sind die Phosphorchloride, die auch technisch hergestellt werden. PCl3 (Schmp. -94 °C. Sdp. 76 °C) dient als Ausgangsprodukt zahlreicher wichtiger Phosphorverbindungen, PCl5 (Subl. ab 150 °C), das im festen Zustand als Salz [PCl4 ]+[PCl6 ]- vorliegt, als Chlorierungsmittel (thermische Freisetzung von Chlor). Sämtliche Chalkogenhalogenide hydrolysieren leicht unter Bildung von HX und der zugehörigen Chalkogensäuerstoffsäure: 2 EX3 + 3 H2O → H3EO 3 + 3 HX 2 EX5 + 4 H2O → H3EO 4 + 5 HX 13.3.4 Verbindungen mit Sauerstoff Im Gegensatz zu den Oxiden des Stickstoffs sind vom Phosphor und seinen schweren Gruppennachbarn nur die Oxide der Oxidationszahlen +III und +V bekannt, da diese Elemente keine stabilen Radikale bilden. E2 O3 (E = P,As,Sb,Bi) E2 O5 (E = P,As,Sb) P2 O3 , P2O5 und As2 O3 sind als käfigförmige Moleküle, die anderen als Polymere aufgebaut (Abb. 37). Abb. 37: Die Molekülstruktur von P4 O6 und P4O10 Das technisch hergestellte „Phosphorpentoxid“ (P4O 10 Sublp. 359 °C ) reagiert mit Wasser zur Phosphorsäure und kann deshalb als ihr Anhydrid aufgefasst werden. Dieser stürmisch und unter großer Wärmeentwicklung verlaufenden Reaktion verdankt die Substanz ihre Verwendung als Trockenmittel. Hierzu analog reagiert P4 O6 mit Wasser zur Phosphorigen Säure (vgl. Kap. 13.3.5). 87 P4 + 3 O2 → P4 O6 + 6 H2O P4 + 5 O2 → P4 O10 + 6 H2 O P4 O6 → 4 H3 PO3 P4 O10 → 4 H3PO4 Während die Oxide des Phosphors und Arsens mit Wasser Säuren bilden also „sauer“ sind, reagiert Sb2O 3 sowohl mit Säuren wie auch mit Basen; es ist folglich amphother. Bi 2O3 reagiert bereits basisch. Sb2O3 + 2 NaOH → 2 NaSbO2 + H2 O Sb2O3 + 6 HCl → 2 SbCl3 + 3 H2O Bi2O3 + 6 HCl → 2 BiCl 3 + 3 H2O Generell nimmt in einer Hauptgruppe die Azidität der Oxide und Hydroxyde mit steigender Ordnungszahl und sinkender Oxidationszahl ab. 13.3.5 Element-Sauerstoffsäuren und Säurehalogenide Sauerstoffsäuren des Phosphors sind in den Oxidationszahlen +I bis +V bekannt. Auch hier sind, analog zur Situation des Nachbarelements Schwefel, die „unpassenden“ (hier geradzahligen) Oxidationszahlen durch Verbindungen mit P-P-Bindung vertreten. In allen Säuren und ihren Anionen ist das Phosphorzentrum verzerrt tetraedrisch von 4 Bindungsnachbarn umgeben. Abb. 38 gibt einen Überblick der bekannten Verbindungen, von denen hier nur die wichtigsten besprochen werden sollen. Abb. 38: Sauerstoffsäuren des Phosphors Die ortho-Phosphorsäure (H3 PO4) bildet farblose, in Wasser sehr gut lösliche Kristalle (Schmp. 42 °C); sie ist eine mittelstarke dreibasige Säure (pKS = 2), die drei Reihen von Salzen bildet und nur noch schwach oxidierend wirkt. H3PO 4 MH2 PO4 Primäre Phoshate M2HPO4 Sekundäre Phosphate M3PO4 Tertiäre Phosphate Die zur Gewinnung von „Nassphosphorsäure“ wird Phosphat-Düngern verwendete durch direkte Umsetzung sog. von 88 Calciumphosphat mit Schwefelsäure erhalten und mit Ammoniak zum Ammoniumhydrogenphosphat umgesetzt. Gleichfalls wichtige Dünger sind das „Superphosphat“, in dem das Calciumhydrogenphosphat im Gemisch mit Gips vorliegt, und das als „Doppelsuperphosphat“ bezeichnete reine Calciumhydrogenphosphat (Calciumphosphat selbst ist nicht wasserlöslich): 2 Ca3 (PO4 )2 + 3 H2SO4 → 3 CaSO4 + 2 H3PO 4 H3PO 4 + 2 NH3 → (NH4)2 HPO4 Ca3 (PO4 )2 + 2 H 2SO4 → Ca(H2 PO4) 2 + CaSO4 Ca3 (PO4 )2 + 4 H 3PO 4 → 3 Ca(H2 PO4) 2 Des weiteren dienen Phosphorsäure und ihre Salze in großem Umfang als Säuerungs- und Konservierungsmittel in Lebensmitteln. Hierzu ist die Darstellung chemisch reiner Phosphorsäure („thermische Phosphorsäure“) durch Oxidation von elementarem Phosphor und nachfolgende Hydrolyse erforderlich: P4 + 5 O2 → P4 O10 P4 O10 + 6 H2 O → 4 H3PO4 Beim Erhitzen spaltet die ortho-Phosphorsäure Wasser ab und geht zunächst in die Diphosphorsäure (H4P2O 7) über, die weiter zu Polyphosphorsäuren kondensieren kann. H4P2 O7 Wichtigstes Derivat der Polyphosphorsäuren ist das Natriumtrimetaphosphat (Na3 P3 O9 ), das wegen seiner Eigenschaft, in Wasser lösliche Schwermetallsalze zu bilden, als „Enthärter“ in Waschmitteln verwendet wird. HPO3 Na3P3 O9 Die monomere meta-Phosphorsäure (HPO3 ) ist nicht stabil. Die Phosphorige Säure („Phosphonsäure“, H3 PO3) enthält neben zwei OH-Gruppen ein direkt an das Phosphorzentrum gebundenes Wasserstoffatom, das nicht azide ist. Hierfür ist offenbar die Tendenz zur Bildung der stabilen P-O-Doppelbindung verantwortlich. Sie bildet deshalb nur zwei Reihen von Salzen. 89 H3PO 3 M2HPO3 MH2 PO3 Phosphorige Säure ist eine mittelstarke Säure (pKS = 2). Die Verbindung wird durch Hydrolyse von PCl3 technisch als hygroskopischer Feststoff (Schmp. 74 °C) hergestellt. Sie wirkt, wie auch ihre Salze, stark reduzierend. 2 PCl3 + 3 H2 O → 2 H3PO3 + 3 HCl Phosphorige Säure findet Verwendung in der Synthese phosphororganischer Verbindungen, die insbesondere in Form ihrer Ester P(OR3)3 von Bedeutung sind. Hypophosphorige Säure („Phosphinsäure“, H3 PO2) bildet sich durch Disproportionierung von Phosphor mit Basen, vergleichbar der Reaktion von Chlor mit NaOH, in Form ihrer Salze. Hieraus lässt sich die Säure (pKS = 2, Schmp. 27 °C) freisetzen. P4 + 3 NaOH → 3 NaH2PO2 + PH3 NaH2PO2 + HCl → H3PO 2 + NaCl Auch Hypophosphorige Säure ist ein starkes Reduktionsmittel. Von den Säurehalogeniden der Phosphorsäure besitzt einzig Phosphorylchlorid („Phosphoroxychlorid“, POCl3) praktische Bedeutung, insbes. in der organischen Synthese. Es wird als farblose Flüssigkeit (Sdp. 105 °C) durch Oxidation von PCl3 hergestellt und reagiert mit Wasser zur ortho-Phosphorsäure. 2 PCl3 + O2 → 2 POCl3 POCl3 + 3 H2O → H3 PO4 + 3 HCl Arsensäure (H3 AsO4 ) und Arsenige Säure (H3 AsO3 ) gleichen den analogen Verbindungen des Phosphors, sind jedoch schwächer sauer und wirken stärker oxidierend. Die Verbindungen des Antimons sind nur in Form ihrer Anionen (Antimonate und Antimonite) bekannt. Bi(OH) 3 ist bereits eine Base. 14 Die Elemente der Gruppe 13 (Erdmetalle) 14.1 Allgemeines 90 Die Elemente der Gruppe 13 weisen die Valenzelektronenkonfiguration ns2 p1 (n = 2-6) auf. In ihrer Chemie dominiert die Oxidationszahl +III. Bedingt durch die relative Stabilität der B-B-Bindung treten beim Bor auch niedrigere Oxidationsstufen auf. Insbesondere beim Thallium bedingt der Effekt des Inerten Paares (vgl. E33) eine hohe Stabilität der Oxidationszahl +I. Einen Überblick über die Eigenschaften der Atomsorten gibt Tab. 17. Tab. 17: Eigenschaften der Gruppe 13-Elemente Die Sonderstellung des Elements Bor zeigt sich in seinem Charakter als Halbmetall und seiner hiermit zusammenhängenden Tendenz zum Aufbau mehrkerniger Strukturen mit Elektronenmangelsituation (sog. „Cluster“). Es soll deshalb gesondert besprochen werden. 14.2 Bor Wegen seines hohen Ionisierungspotentials ist das Element auch mit den elektronegativsten Partnern zur Ausbildung von Salzen des Ions B3+ nicht mehr in der Lage. Bor kommt in der Natur ausschließlich in Form oxidischer Erze vor. Die wichtigsten sind Borax (Na2 B4 O7∙ 10 H2O) und Kernit (Na2 B4O7 ∙ 4 H2 O). 14.2.1 Das Element Elementares Bor wird heute durch Umsetzung von Boroxid mit Magnesium gewonnen; bei der früheren Verwendung von Kohlenstoff („Kohle“) als Reduktionsmittel bilden sich Borcarbide, Bx Cy . B2 O3 + 3 Mg → 2 B + 3 MgO Hochreines Bor wird durch thermische Zersetzung von BI3 gewonnen. 2 BI3 → 2 B + 2 I2 Elementares Bor tritt in mehreren Modifikationen auf, die sämtlich als Baustein den Ikosaeder B12 enthalten. Im α -rhomboedrischen Bor sind B12-Einheiten, in denen „metallische“ Elektronenmangelbindungen vorliegen, partiell über „klassische“ 2c2e-Bindungen verknüpft. Diese wirken als Isolatoren, so dass das Element, aufgebaut aus „Metallinseln“, insgesamt die Natur eines Halbleiters erhält (Abb. 39). Abb. 39: Elementstruktur des α-rhomboedrischen Bors Elementares Bor weist eine hohe Härte auf und wird, neben seiner Verwendung in der Halbleitertechnologie, in Schleifscheiben verwendet. 91 14.2.2 Verbindungen mit Wasserstoff Bor ist, wie auch sein Nachbarelement Beryllium, wegen der zu niedrigen Elektronegativitätsdifferenz nicht in der Lage, mit dem Wasserstoff Ionenbindungen einzugehen. In der einfachsten Borwasserstoffverbindung BH3 liegen folglich polare Atombindungen mit Wasserstoff der Oxidationszahl –I vor. In der monomeren, unter chemischen Bedingungen nicht existrenzfähigen Einheit BH3 verfehlt das Borzentrum das angestrebte Elektronenoktett. Die Stabilisierung erfolgt durch Dimerisierung zu B2 H6, in dem die Boratome über Wasserstoffbrücken („Hydridbrücken“, nicht Wasserstoffbrückenbindungen im Sinne von E9!) im Sinne von 3c2e-Bindungen zusammengehalten werden. Diese Bindungsart soll nachfolgend am Beispiel von B2H6 näher besprochen werden. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E29 Die Atombindung IV> Das Phänomen der 2c3e-Bindung lässt sich über VB- wie auch MOVorstellungen erklären. Während in der VB-Betrachtung zwei monomere BH3 -Fragmente über Resonanz verknüpft werden, lässt sich durch das MO-Verfahren ein Molekülorbitalschema konstruieren, in dem für jede HBH-Brücke ein energetisch abgesenktes Molekülorbital mit zwei Elektronen besetzt wird. Hierdurch resultiert für die gesamte Brücke die Bindungsordnung 1, für jede brückenständige BH-Bindung die Bindungsordnung 0.5. Die BH-Brückenbindungen sind somit schwächer und auch länger als die endständigen BH-Bindungen. Da zum Aufbau der Bindungen sp3-Hybridorbitale des Bors verwendet werden, ist in B2 H6 jedes Boratom verzerrt tetraedrisch von den vier Wasserstoffatomen umgeben (Abb. 40). Abb. 40: Diboran: Struktur und Bindung Die Bindugssituation im elementaren Bor lässt sich durch 3c2e-BBBBindungen beschreiben. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Diboran (B2 H6) bildet ein farbloses, giftiges Gas (Sdp. -92 °C), das aus Bortrifluorid und Alkalihydriden (wegen der guten Löslichkeit in organischen Lösungsmitteln wird Lithiumboranat verwendet) erhältlich ist. Diboran hydrolysiert spontan mit Wasser und wird von Sauerstoff unter Freisetzung großer Wärmemengen verbrannt. Mit Metallhydriden reagiert es im Sinne einer Komplexbildungsreaktion zum Tetrahydroborat-Ion, in dem konventionelle 2c2e-Bindungen vorliegen. 92 3 LiBH4 + 4 BF3 → 3 LiBF4 + 2 B2H6 B2 H6 + 6 H2O → 2 B(OH)3 + 6 H2 B2 H6 + 3 O2 → B2O3 + 3 H2 O (ΔH = -482 kcal/mol) B2 H6 + 2 LiH → 2 Li[BH4] Diboran bildet die Ausgangssubstanz einer Reihe von Polyboranen und Polyboranatanionen, deren stabilstes die Zusammensetzung [B12H12]2sowie die dem elementaren Bor entsprechende Ikosaederstruktur aufweist. Trotz ihrer beträchtlichen Bedeutung sollen sie hier nicht näher besprochen werden. 14.2.3 Verbindungen mit Halogenen Sämtliche Bortrihalogenide BX3 sind bekannt; sie weisen auf Grund ihres molekularen Aufbaus niedrige Schmelz- und Siedepunkte auf. Wir wollen hier nur das technisch wichtige Bortrifluorid (Sdp. -127 °C) besprechen. Die Verbindung wird technisch aus Boroxid und Flussspat gewonnen; sie reagiert, wie auch die anderen Bortrihalogenide, rasch mit Wasser und fungiert als starke Lewis-Säure (vgl. E32) als Elektronenpaar-Akzeptor. B2 O3 + 2 CaF2 → BF3 + 3 CaO BF3 + 3 H2O → B(OH)3 + 3 HF BF3 + NaF → Na[BF4] BF3 + (C2 H5) 2O → (C2H5 )2O-BF 3 xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E30 Die Atombindung V> Im Gegensatz zu BH3 liegen die Trihalogenide des Bors monomer vor. Hier wird die Stabilisierung des Elektronensextetts durch Wechselwirkung der nichtbindenden Elektronenpaare der Fluorsubstituenten mit den leeren p-Orbitalen des Borzentrums erreicht. Dies bezeichnet man als (p→p)π-Wechselwirkung. Hierdurch erreicht das Borzentrum sein Elektronenoktett. F2 B=F Man beachte, dass im Sinne der Resonanz alle drei Fluoratome in diesen Prozeß einbezogen sind und die hierbei auftretenden Formalladungen den Partialladungen entgegengerichtet sind. Durch die Erhöhung der Bindungsordnung (BO > 1) werden die B-F-Bindungen verkürzt und stabilisiert. Dennoch behalten die Bortrihalogenide ihren stark Lewissauren Charakter. 93 Sind am Zentrum leere d-Orbitale verfügbar, sind auch (p→d)πWechselwirkungen möglich. Da d-Orbitale energetisch höher liegen als pOrbitale gleicher Hauptquantenzahl, tritt diese Bindungsverstärkung nur in Gegenwart stark elektronegativer Elemente (z.B. in SF6 ) in Erscheinung. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 14.2.4 Verbindungen mit Sauerstoff; Borsauerstoffsäuren Bortrioxid (B2O3 ) bildet sich durch thermische Wasserabspaltung aus Borsäure als polymer gebauter farbloser Feststoff (Schmp. 450 °C), in dem die Boratome die Koordinationszahl 3 aufweisen. 2 H3BO 3 → B2 O3 + 3 H2O Die Verbindung reagiert mit Laugen zu einer Vielzahl von Komplexsalzen, deren bekanntestes der auch mineralisch vorkommende Borax darstellt (Abb. 41). In diesen Verbindungen kann Bor gegenüber dem Sauerstoff die Koordinationszahlen 3 und 4 einnehmen. Boroxid wird in der Glasindustrie sowie als Ausgangsprodukt zur Darstellung der Bornitride verwendet. Abb. 41: Strukturen von Borsauerstoff-Verbindungen ortho-Borsäure (H3BO3 ) wird technisch durch Umsetzung von Borax mit Schwefelsäure als farbloser Feststoff (Schmp. 171 °C) gewonnen. Die Verbindung wirkt in wäss. Lösung als Hydroxidionen-Akzeptor und ist eine schwache Säure (pKS = 9). Beim Erhitzen geht ortho-Borsäure unter Wasserabspaltung in die meta-Borsäure über. Beide Borsäuren bilden planare, durch Wasserstoffbrücken dominierte Schichtstrukturen (Abb. 41). Na2B4O7∙ 10 H2O + H2SO 4 → 4 H3BO3 + Na2SO 4 + 5 H2 O + H3BO 3 + 2 H2 O <=> H3O + B(OH)4 H3BO 3 → HBO2 + H2 O Technisch wichtig sind die sog. „Perborate“, die durch Umsetzung von Borsäure mit Natriumperoxid erhalten werden und in großem Umfang als Bleichmittel in der Waschmittelindustrie verwendet werden. 2 H3BO 3 + Na2 O2 + H2O → 2 NaBO2∙ H2O2∙ 3 H2 O 14.2.5 Verbindungen mit Stickstoff 94 Bor bildet mit Stickstoff zwei stabile binäre Verbindungen der Zusammensetzung BN, die beide als Polymere vorliegen. Hexagonales Bornitrid (BNh ) wird durch Umsetzung von Boroxid mit Ammoniak bei 800 °C oder, besser, mit Kohlenstoff und Stickstoff bei 1800 °C als weicher, bei höheren Temperaturen gleitfähiger Feststoff (Sdp. 3270 °C) gewonnen; es dient als Hochtemperaturschmiermittel. Bei hohem Druck und hohen Temperaturen (60-90 kbar, 2000 °C) erfolgt die Umwandlung in die kubische Modifikation BNk , die nach dem Diamant die größte Härte aller Stoffe aufweist und folgerichtig als Schleifmittel verwendet wird. B2 O3 + 2 NH3 → 2 BNh + 3 H2O B2 O3 + 3 C + N 2 → 2 BNh + 3 CO BNh → BNk Die Eigenschaften der BN-Modifikationen ergeben sich direkt aus ihren Strukturen (Abb. 42). In der hexagonalen Form sind die planaren Schichten nur durch schwache Wechselwirkungen miteinander verbunden und lassen sich dementsprechend leicht verschieben. Die hohe Festigkeit der polaren σ -Bindungen in der kubischen Form bewirken, verbunden mit der Raumnetzstruktur, die beobachtete große Härte. Beide Strukturen stehen in direktem Zusammenhang mit den Strukturen des elementaren Kohlenstoffs. Abb. 42: Strukturen der BN-Modifikationen xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E31 Das Isoelektronische Konzept> Weisen chemische Systeme die gleiche Anzahl von Elektronen auf, bezeichnet man sie als isoelektronisch. Wir haben bereits mehrere Fälle dieser Verwandtschaft kennengelernt. Instruktive Beispiele sind etwa die Paare N2/NO +, N2 O/N3 - oder SO4 2-/ClO 4-. Zu beachten ist hier das Auftreten unterschiedlicher formaler Ladungen bei Formulierung der analogen Bindungsordnung. Weisen zwei Verbindungspaare nur die gleiche Zahl der Valenzelektronen auf (z.B. O3/SO2 , H2O/H2 S), nennt man sie isovalenzelektronisch. Der Wert des Konzepts liegt in der Erkenntnis vergleichbarer Strukturen. Unter Einbezug des später zu besprechenden Elements Kohlenstoff und der hierauf basierenden organischen Chemie erhält das Konzept eine besondere Bedeutung. So sind CO/N 2, CO/CN- und CO2 /NO2+ gleichfalls isoelektronische Paare. Eindrucksvolle Ergebnisse liefert das Konzept insbesondere beim Strukturvergleich der isoelektronischen Fragmente C2 und BN. Auf die 95 bauliche Verwandtschaft der BN- und C-Modifikationen wurde bereits hingewiesen. Als Beleg für eine der organischen Chemie analoge BN-Chemie mag der „aromatische“ Charakter des Borazins (Abb. 43) dienen. Abb. 43: Isoelektronische CC- und BN-Paare Es ist jedoch zu beachten, dass isoelektronische Paare sich, bei gleicher Formulierung der chemischen Bindung, durch die Verteilung der formalen Ladung unterscheiden. Dies kann, beispielsweise sichtbar beim Vergleich der Strukturen von BNh und Graphit, Unterschiede im Aufbau nach sich ziehen. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 14.2.6 Komplexverbindungen Wie bereits beim Beryllium angemerkt (Kap. 12.2, E27) werden Komplexverbindungen durch Anlagerung von Liganden an ein Koordinationszentrum mittels koordinativer Bindungen gebildet. Solche Verbindungen finden sich im Bereich der Hauptgruppenelemente insbesondere dort, wo hierdurch Elektronenmangel behoben werden kann. Bei Borverbindungen des Typs BX3 ist insbesondere die Bildung der stabilen Komplexanionen gem. BX3 + X- → BX4- (X = F,Cl,Br,I) bekannt. Jedoch können an BX3 auch Neutralmoleküle, deren Zentralatom wenigstens ein nichtbindendes Elektronenpaar trägt, koordinieren. BF3 + (C2 H5) 2O → (C2H5 )2O-BF 3 xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E32 Lewis-Säuren und Basen> Wie bereits angemerkt kann die Stabilität von Komplexverbindungen über die Formulierung der Bildungsreaktion als Gleichgewicht mit der Gleichgewichtskonstante K beschrieben werden. Der Formalismus ist der Beschreibung der Säure/Base-Reaktionen nach Broenstedt (vgl. E7) ähnlich. Tatsächlich bezeichnet man bei Ausbildung der koordinativen Bindung die das bindende Elektronenpaar liefernden Liganden (im oberen Beispiel X- bzw. (C2 H5)2O) auch als Lewis-Basen, die Koordinationspartner (im oberen Beispiel BX3 ) als Lewis-Säuren. Die Ausbildung der Bindung selbst entspricht dann der Neutralisation. So gesehen stellt die Säure/Base-Reaktion nach Broenstedt einen Spezialfall 96 der Säure/Base-reaktion nach Lewis, den in wäss. Lösung, dar. H+ wäre dann die Lewis-Säure, OH- die Lewis-Base. Anders als im Bereich der Broenstedt-Säuren lassen sich nun im Definitionsbereich von Lewis absolute Säurestärken nicht über die Lage des Gleichgewichts definieren und bestimmen. So ist beim Vergleich der Gleichgewichtslagen der Bildung von BX4- in der Reihe der Halogenidionen F- gegenüber BF3 die stärkste Base, gegenüber BI3 jedoch I-. BF3 bildet mit Ethern R 2O die stabilsten Addukte, während „BH3 “ mit Thiothern R2 S stabile Koordinationsverbindungen bildet. Folglich ist der Begriff „Säurestärke“ bei wechselnder Bezugsbase (im BroenstedtKonzept einheitlich H2 O) zu relativieren. Die Ursache hierfür liegt in der Tendenz „harter“, d.h. wenig polarisierbarer Basen, mit „harten“ Säuren stabile Addukte zu bilden. Hingegen bevorzugen „weiche“, d.h. stark polarisierbare Basen „weiche“ Säuren als Reaktionspartner. Die Polarisierbarkeit der Elektronenhülle hängt von der Wechselwirkung zwischen Atomkern und Valenzschale ab; sie nimmt innerhalb der Gruppen stark zu, hingegen innerhalb der Perioden ab. Der Zusammenhang wird als „Konzept der harten und weichen Säuren und Basen“ (HSAB-Konzept) bezeichnet. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 14.3 Aluminium, Gallium, Indium Wegen ihres unedlen Charakters kommen die Elemente in der Natur sämtlich in gebundener Form vor. Aluminium gehört zu den häufigsten Elementen der Erdoberfläche und findet sich, neben dem Mineral Kryolith (Na3AlF6), ausschließlich in oxidischer Form als Korund (Al2 O3 , dotiert mit Fremdmetallen als Rubin und Saphir), Bauxit [AlO(OH)] sowie in Feldspäten („Alumosilikate“). Gallium findet sich als seltener Begleiter des Aluminiums (Radienkontraktion durch Einbau der 3d-Elemente) sowie, wie auch Indium und Thallium, als Begleiter des Zinks in der Zinkblende (ZnS). 14.3.1 Die Elemente Im Gegensatz zu Bor bilden seine schwereren Gruppennachbarn als Elemente Metallstrukturen aus. Aluminium findet als Werkstoff (Leichtmetall) sowie als Reduktionsmittel umfangreiche Verwendung; es ist trotz seines unedlen Charakters wegen der die Oberfläche schützenden Oxidschicht („Passivierung“) resistent, löst sich aber in verdünnten Säuren. Gallium und Indium werden in der Halbleitertechnologie zur Dotierung von Silizium (p-Halbleiter) sowie als 3/5-Halbleiter verwendet. Die Darstellung von Aluminium erfolgt in großem Umfang auf elektrochemischem Wege. Das Metall kann wegen seines stark negativen Normalpotentials (E° = -1.68 V) nicht aus wäss. Lösung abgeschieden werden (vgl. E21). Durch Schmelzflusselektrolyse von gereinigtem 97 Bauxit, dem zur Erniedrigung des Schmelzpunkts und zur Erhöhung der Leitfähigkeit Kryolith zugesetzt wird. Das technisch wichtige Verfahren soll exemplarisch für die Metalldarstellung nachfolgend besprochen werden. a) Reinigung des Bauxits Vor Durchführung der Schmelzflusselektrolyse muß der Bauxit von störenden Verunreinigungen, inbes. Eisen und Silizium, befreit werden. Dies geschieht unter Nutzung des amphoteren Charakters von Al(OH)3 - - Al(OH)3 + OH → Al(OH)4 Hierbei fällt Eisen in Form von Fe(OH)3 aus der Lösung aus. + + Al(OH)3 + 3 H3O + 3 H2 O → [Al(H2 O)6 ] Hierbei fällt Silizium in Form von SiO2 aus der Lösung aus. Anschließend wird das Hydroxid thermisch (1200 °C) entwässert. 2 Al(OH)3 → Al 2O3 + 3 H2O b) Schmelzflusselektrolyse von Al2O3 Wegen des hohen Schmelzpunktes von Al2 O3 (2050 °C) wird die Elektrolyse mit einer Schmelze von 10.5% Al2O3 und 89.5% Na 3[AlF 6] bei 970 °C durchgeführt. Die Elektrodenreaktionen sind komplex und nicht vollständig nachgewiesen; man beachte, dass bei der Reaktion Al2O3 verbraucht und Aluminium, trotz der Einbindung in die wanderungsfähigen Anionen, an der Kathode gebildet wird: Dissoziation des Kryoliths + 3- 2 Na3AlF6 → 6 Na + 2 AlF6 Anode Al2O3 + 2 AlF6 3- → 3/2 O2 + 4 AlF3 + 6 eKathode 6 Na+ + 6 e- → 6 Na 6Na + 2 AlF3 → 2 Al + 6 NaF 2 AlF3 + 6 NaF → 2 Na3AlF6 Gesamtreaktion Al2O3 → 2 Al + 3/2 O2 98 Die Elektrolyse wird bei 6 V und 180000 A durchgeführt; man beachte, dass der eigentliche elektrochemische Reduktionsprozeß die Entladung der Natriumionen ist. Abb. 44 zeigt eine schematische Darstellung des Elektrolyseofens. Abb. 44: Elektrolyseofen zur Darstellung von Aluminium Auch die schwereren Gruppe 15-Metalle werden elektrochemisch gewonnen. 14.3.2 Verbindungen des Aluminiums mit Wasserstoff Aluminiumhydrid wird technisch aus den Elementen bei hohen Temperaturen gewonnen. 2 Al + 3 H2 → 2 AlH3 Die Verbindung ist polymer aufgebaut; die Aluminiumatome weisen hierbei die Koordinationszahl 6 auf. Jedes Aluminiumatom ist hierbei an jeweils 3 Al-H-Al-Dreizentrenbindungen (3c2e) beteiligt. AlH3 ist ein starkes Reduktionsmittel. Es reagiert als Hydridverbindung mit Wasser unter Freisetzung von Wasserstoff. 2 AlH3 + 3 H2O → 2 Al(OH)3 + 3 H2 Von praktischer Bedeutung ist Lithiumalanat wegen seiner guten Löslichkeit in Diethylether. 4 LiH + AlCl3 → Li[AlH4] + 3 LiCl 14.3.3 Verbindungen des Aluminiums mit Halogenen Aluminium bildet die Halogenide der Zusammensetzung AlX3 (X = F,ClBr,I). AlF3 (Ausgangsmaterial zur Herstellung von Kryolith) und AlCl3 (Katalysator in der organischen Synthese) werden in technischem Umfang hergestellt. Al2O3 + 6 HF → 2 AlF3 + 3 H2O 2 Al + 3 X2 → 2 AlX3 (X = Cl,Br,I) Wegen der hohen Elektronegativitätsdifferenz ist AlF3 als Salz aufgebaut; hierin weist Al die KZ 6, F die KZ 2 auf. Im sog. ReO3-Typ (vgl. Abb. 67) besetzen die Al-Atome die Ecken eines Würfels, während die F-Atome 99 auf den Kantenmitten des Würfels sitzen (vgl. Abb. 67). Wegen der hohen Gitterenergie ist AlF3 in Wasser unlöslich. In AlCl3 liegen bereits deutliche Anteile von Atombindungen vor. Im festen Zustand kristallisiert die Substanz in einer Schichtstruktur (KZ 6 für Al); hier bilden die Chloratome eine kubisch dichteste Kugelpackung, deren Oktaederlücken in jeder 2. Schicht zu 2/3 von Aluminiumatomen besetzt sind. In Lösung und in der Schmelze liegen Al2 Cl6-Moleküle vor (Al-Cl-Al-Brücken des 3c4e-Typs). Dieser Aufbau liegt auch den Verbindungen AlBr3 und AlI3 im festen Zustand zu Grunde (Abb. 45). Abb. 45: Die Strukturen von AlCl3 Die schwereren Aluminiumhalogenide bilden, wie die entsprechenden Verbindungen des Bors, Lewis-Säuren und reagieren mit Wasser zu Hexaquo-Komplexen bzw. mit Halogenid-Ionen unter Bildung von Komplexsalzen der KZ 4. Mit Fluorid-Liganden erreicht das Aluminium, wie in AlF3, im Kryolith die KZ 6. AlX3 + 6 H2O → [Al(H2O)6]X3 (X = Cl,Br,I) AlX3 + NaX → Na[AlX4] (X = Cl,Br,I) AlF3 + 3 NaF → Na3[AlF6 ] 14.3.4 Verbindungen des Aluminiums mit Sauerstoff Als einziges binäres Oxid des Aluminiums ist Al2 O3 bekannt, das allerdings in mehreren Kristallmodifikationen auftritt. Sie sind sämtlich aus Ionen aufgebaut. Die wichtigste, auch in der Natur vorkommende, ist der Korund (α -Al2 O3, Schmp. 2050 °C), der technisch durch Erhitzen von Bauxit (s.o.) gewonnen wird und neben der Al-Darstellung wegen seiner großen Härte als Schleifmittel verwendet wird. Im der Struktur bilden die Sauerstoffionen eine hexagonal dichteste Kugelpackung, in der 2/3 der Oktaederlücken von Aluminiumionen besetzt sind. Hierbei werden die Lücken aller Schichten verwendet (Abb. 46). Abb. 46: Die Struktur von Korund Al(OH)3 wird aus sauren Al-Salzlösungen durch Zugabe von Ammoniak gefällt; es ist, wie bereits erwähnt, amphoter und löst sich sowohl in Säuren wie auch in Laugen (s.o.) 14.3.5 Verbindungen des Galliums und Indiums Die Verbindungen der dreiwertigen Elemente sind denen des Aluminiums vergleichbar. Eine Sonderstellung nimmt GaAs als III/V-Halbleiter ein. Die Verbindung ist isoelektronisch zu Germanium und kristallisiert im 100 Zinkblende-Typ (ZnS). Hierin bilden die Schwefelatome eine kubisch dichteste Kugelpackung, in der die Hälfte der Tetraederlücken mit Zinkatomen besetzt ist (KZ 4/4). 14.4 Thallium Die Chemie des seltenen, hochgiftigen Elements weist als Besonderheit die stark oxidierende Wirkung seiner dreiwertigen Verbindungen auf, während zahlreiche Verbindungen des einwertigen Thalliums trotz der nicht erfüllten Oktettregel stabil sind. Salze des einwertigen Thalliums mit „harten“ Anionen (F-, NO 3-, CO3 2-, SO4 2- usw.) entsprechen in ihren Eigenschaften den Kaliumsalzen, während Salze „weicher“ Anionen (Cl-, Br-, I-, S2- usw.) den Silbersalzen vergleichbar sind. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E33 Der Effekt des Inerten Paares> Wir haben bereits gesehen, dass innerhalb einer Hauptgruppe die oxidierende Wirkung der höchsten Oxidationsstufe beim Übergang zu den schweren Gruppenelementen stark zunimmt. Bei den Kationen bildenden Elementen der Gruppen 13 und 14 macht sich dies durch die Stabilität der Ionen Tl+, Pb2+ sowie Bi 3+ besonders bemerkbar. In diesen Ionen tritt die Valenzelektronenkonfiguration ns2 auf; dies bedeutet, dass die s-Elektronen der Valenzschale nicht bei der Ionisierung abgespalten werden und auch nicht zur Ausbildung von Atombindungen herangezogen werden. Dieser Befund erklärt sich aus der Stellung der Elemente im Periodensystem. Grundsätzlich werden s-Elektronen wegen ihres geringeren mittleren Abstandes zum Kern von diesem stärker festgehalten als p-Elektronen der gleichen Hauptquantenzahl. Im Falle der Elemente Ga, Ge, As, In, Sn und Sb tritt verstärkend hinzu, dass der beim Aufbau des Periodensystems direkt vor diesem Block erfolgende Einbau der Elemente 3d bzw. 4d zu einer starken Erhöhung der Kernladung führt, die wegen der schlechten Abschirmung durch die zum Ladungsausgleich eingefügten d-Elektronen in verstärktem Maße wirksam wird. Bei den Elementen Tl, Pb und Bi wird dieser Effekt durch die zuvor erfolgte Besetzung der 14 4f-Zustände (Lantanoide) nochmals verstärkt. Die Auswirkungen zeigen sich auch bei den benachbarten Elementen der Nebengruppen. So ist der (im Vergleich mit Zn und Cd) unerwartet edle Charakter des Quecksilbers und seine hohe Flüchtigkeit auf die Stabilität des im Atom vorliegenden Valenzzustandes 4f145d106s 2 zurückzuführen (Hg° und Tl+ sind isoelektronisch!). xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 15. Die Elemente der Gruppe 14 (Kohlenstoff-Gruppe) 101 15.1 Allgemeines Die Elemente der Gruppe 14 stehen im Zentrum des Periodensystems. Ihre Entfernung von der Edelgaskonfiguration ns 2 p6 macht sie zur Ausbildung einatomiger Ionen, abgesehen von der dem Effekt des inerten Paares (vgl. E33) unterliegenden Sn2+ und Pb2+ , unfähig. Einen Überblick der Elementeigenschaften gibt Tab. 18. Tab. 18: Eigenschaften der Gruppe 14-Elemente Aus Sicht ihrer chemischen Eigenschaften lassen sich die Elemente in 3 Gruppen eingliedern. Der Kohlenstoff, die verwandten Elemente Silizium und Germanium sowie die gleichfalls ähnliche Eigenschaften aufweisenden Elemente Zinn und Blei werden jeweils getrennt besprochen. 15.2 DerKohlenstoff Kohlenstoff findet sich in der Natur in elementarer Form als Graphit und Diamant („Kohle“ ist ein komplexes Gemisch aus Kohlenstoff-reichen Kohlenwasserstoffen), in der Biomaterie sowie, weitaus häufiger in mineralischen Carbonaten, insbesondere Kalk (CaCO3 ) und Dolomit (Ca,MgCO3 ). Beträchtliche Mengen finden sich außerdem als CO2 in der Luft. 15.2.1 Die Sonderstellung des Kohlenstoffs Unter allen Elementen nimmt der Kohlenstoff trotz seiner nur mäßigen Häufigkeit (0.03 Massen-%) wegen der Vielzahl und Bedeutung seiner Verbindungen eine Sonderstellung ein. Dies hat zur Ausgliederung der Verbindungen mit C-C- bzw. C-H-Bindungen aus der Allgemeinen Chemie und Unterteilung in die Kapitel „Organische Chemie“ und „Anorganische Chemie“ geführt; letzteres behandelt alle nichtorganischen, d.h. nicht C-C- bzw. C-H-Bindungen enthaltenden Verbindungen und macht dennoch, nach Anzahl der Verbindungen, kaum mehr als 10% des Gesamtumfanges aus. Die Ursachen für die Sonderstellung des Kohlenstoffes ergeben sich aus seiner Stellung im Periodensystem: a) EN ca. 2.5 führt zur Ausbildung wenig polarer und somit kinetisch stabiler Verbindungen mit der Mehrzahl der Elemente, vor allem mit dem Wasserstoff b) Valenzelektronenkonfiguration 2s2 p2 erlaubt die Bildung neutraler Moleküle des vierbindigen Kohlenstoffs unter Erreichen des Oktetts c) Als Element der 2. Periode („1. Achterperiode“) gilt die Doppelbindungsregel für den Kohlenstoff nicht; er ist folglich zur 102 Ausbildung von stabilen Mehrfachbindungen mit sich selbst sowie mit seinen Nachbarelementen Sauerstoff, Stickstoff und Schwefel befähigt. 15.2.2 Das Element Kohlenstoff tritt in wenigstens drei Elementmodifikationen auf, von denen sich zwei in der Natur finden: Graphit kristallisiert in einer Schichtstruktur (KZ 3) ähnlich dem hexagonalen Bornitrid (Kap. 14.2.5). Innerhalb der Schichten tritt Resonanz ein; sämtliche C-C-Bindungen einer Schicht weisen die gleiche Länge auf. Hierdurch werden die Elektronen der π -Bindungen innerhalb der Schicht frei beweglich, was dem Graphit die Eigenschaften eines Halbleiters verleiht. Die einzelnen Schichten stehen untereinander, anders als in BN, „auf Lücke“; sie werden nur durch schwache Wechselwirkungen zusammengehalten und sind leicht gegeneinander verschiebbar. Graphit dient deshalb als Schmiermittel sowie als Bestandteil von „Bleistiften“. Diamant bildet sich aus Graphit oberhalb 2000 °C bei hohen Drücken. Er bildet eine Raumnetzstruktur (KZ 4), in der jedes Kohlenstoffatom unter Verwendung von sp3-Hybridorbitalen vier Einfachbindungen zu seinen Nachbarn ausbildet. Die hohe Stabilität dieser Bindungen und die hohe Symmetrie der Diamantstruktur verleihen dem Diamanten die größte Härte aller bekannten Substanzen. Diamant wird als Bestückung von Bohrern sowie, in hochreiner Form, als Schmuckstein („Brilliant“) verwendet. Beide Modifikationen werden heute auch synthetisch hergestellt. Fulleren, erst seit ca. 25 Jahren bekannt, bildet sich bei ca. 1000 °C beim Verbrennen von Holz oder Kohle bei Unterschuß von Sauerstoff. Die Substanz besteht aus C60-Molekülen kubischer Symmetrie, wie sie auch in Fußbällen vorliegt. C60 ist die stabilste Form eine mittlerweile durch zahlreiche, auch polymere Vertreter belegten Substanzklasse, die teilweise technische Bedeutung in der Katalyse erlangt hat. Eine Übersicht der Elementmodifikationen gibt Abb. 47. Abb. 47: Die Elementstrukturen des Kohlenstoffs 15.2.3 Verbindungen mit Halogenen Sämtliche Tetrahalogenide CX4 lassen sich aus den Elementen herstellen. Tetrachlorkohlenstoff (Sdp. 76 °C) wird in technischem Maßstab produziert und dient trotz seiner Toxizität als wichtiges Lösungsmittel; es ist nicht brennbar und mischt sich nicht mit Wasser. Tetraiodmethan zersetzt sich beim Erwärmen unter Abspaltung von Iod. C + 2 X2 → CX4 (X = F,Cl,Br,I) 2 CI4 → 2 I2 + I 2C=CI2 103 Fluorkohlenstoff-Verbindungen weisen generell niedrige Siedepunkte auf (CF4 -128 °C); sie dienen heute als Kühlflüssigkeiten in Kühlaggregaten. Verbindungen der Zusammensetzung CX2 („Carbene“) weisen nur eine kurze Lebensdauer auf; sie werden in situ in der organischen Synthese erzeugt und umgesetzt. Sämtliche Kohlenstoff-Halogen-Verbindungen kann man sich als Derivate der zugehörigen Kohlenstoff-Wasserstoffverbindungen denken, in denen die Wasserstoff-Substituenten teilweise oder vollständig gegen Halogenatome ausgetauscht sind. Die große Vielzahl der hierbei resultierenden Verbindungen (z.B. CHCl3 , C6 F6) wird traditionsgemäß der organischen Chemie zugerechnet. 15.2.4 Verbindungen mit Sauerstoff Es existieren zwei binäre Verbindungen des Kohlenstoffs mit Sauerstoff: Kohlendioxid (Sublp. -57 °C) und Kohlenmonoxid (Schmp. -205 °C, Sdp. -192 °C). CO2 CO Kohlendioxid kommt in großen Mengen (ca. 0.03 Vol%) in der Luft vor. Da es die Verbrennung nicht unterhält, dient es als Löschgas. Aus dem gleichen Grund ist es „giftig“, wenn es (z.B. in Folge von Verbrennungsprozessen) in der Luft angereichert und an Stelle von Sauerstoff vorkommt. Es bildet sich bei der Verbrennung von Kohlenstoff sowie von fossilen Brennstoffen (Kohle, Erdöl, Erdgas) sowie bei der Umsetzung von Carbonat-Salzen mit Säuren. C + O2 → CO2 Na2CO 3 + 2 HCl → 2 NaCl + H2O + CO2 Umgekehrt reagiert es Hydrogencarbonat-Salzen. mit Basen zu Carbonat-Salzen bzw. CO2 + NaOH → NaHCO3 CO2 + 2NaOH → Na2 CO3 + H2O Kohlendioxid löst sich physikalisch in Wasser (“Kohlensäure”) und tritt als Bestandteil bzw. Zusatz in Mineralwässern und Limonaden auf. Kohlenmonoxid bildet sich bei der unvollständigen Verbrennung von Kohlenstoff sowie im Gleichgewicht mit Kohlendioxid und Kohlenstoff 104 bei hohen Temperaturen (Boudoir-Gleichgewicht) und ist somit Bestandteil des Synthese- und Generatorgases (vgl. Kap. 13.2.2). 2 C + O2 → 2 CO CO2 + C → 2 CO (Boudoir-Gleichgewicht) Kohlenmonoxid lässt sich durch Wasserabspaltung aus der Ameisensäure (z.B. mit conc. H2SO4 ) gewinnen; es ist folglich das Anhydrid (vgl. E23) der Ameisensäure. Umgekehrt können die Salze der Ameisensäure („Formiate“) durch Einleiten von CO in Laugen hergestellt werden. H2CO 2 → H2 O + CO CO + NaOH → NaHCO2 Das zum N2 -Molekül isoelektronische CO-Molekül ist wenig polar, da partiale und formale Ladung einander entgegengerichtet sind. Das MOSchema (Abb. 48) zeigt einen gegenüber N2 veränderten Aufbau durch die unterschiedlichen Ionisierungspotentiale der Atome. Abb. 48: MO-Schema des Kohlenmonoxids Aus dem MO-Schema ergibt sich die Basizität des σ *-Orbitals, wodurch CO zur Ausbildung von koordinativen Bindungen zu Metallzentren, d.h. zur Bildung von Metallkomplexen („Metallcarbonyle“) befähigt wird (vgl. Kap. 19.5.3.3). M + CO → M←CO In der Biosphäre werden hierdurch biokatalytisch aktive Metallzentren, insbesondere Eisen („Hämoglobin“) blockiert; deshalb ist Kohlenmonoxid ein starkes Gift. Dessen ungeachtet spielt Kohlenmonoxid als Synthesebaustein (C1 ) in der organischen Synthese eine bedeutende Rolle. 15.2.5 Sauerstoffsäuren des Kohlenstoffs und ihre Derivate Von Kohlenstoff existieren zwei Sauerstoffsäuren der Zusammensetzung H2CO 3 (Kohlensäure) und H2CO 2 (Ameisensäure): H2CO 3 H2CO 2 Die Ameisensäure gilt als Stammverbindung der Carbonsäuren, RC(O)OH, und wird üblicherweise samt ihren Derivaten der organischen Chemie zugerechnet. 105 Die Kohlensäure ist weder in reiner Form noch in Lösung beständig; beim Versuch ihrer Darstellung, etwa durch Ansäuern ihrer Salze, zerfällt sie spontan in Wasser und ihr Anhydrid CO2 (vgl. E23), weswegen sie lange Zeit als schwache Säure angesehen wurde. Dieser durch den Zerfall der Säure vorgetäuschte Befund konnte erst kürzlich mit der Isolierung und Charakterisierung der Säure korrigiert werden (pKS ca. 3). Von der Kohlensäure leiten sich zwei Reihen von Salzen ab, die Carbonate (M2 CO3 ) und die Hydrogencarbonate (MHCO3 ). Carbonate reagieren in wäss. Lösung durch Hydrolyse als schwache Basen (pKB = 9) und werden als solche verwendet; Hydrogencarbonate zeigen kaum Hydrolysereaktionen, können aber wegen der durch CO2 -Entwicklung bedingten Verschiebung des Reaktionsgleichgewichts gleichfalls als Basen verwendet werden. CO32- + H2 O <=> HCO3- + OH+ HCO3 + H3O → CO2 + 2 H2 O Wasserunlösliche Carbonate kommen in großem Umfang in der Natur vor (s.o.); als wasserlösliche Verbindungen werden Natriumcarbonat (Na2CO 3∙ 10 H2O, „Soda“) und Ammoniumhydrogencarbonat (NH 4HCO3) technisch hergestellt. Die technische Synthese des Natriumcarbonats (Solvay-Verfahren) liefert ein gutes Beispiel, wie ein nicht direkt realisierbarer Prozeß, hier die Gewinnung von Natriumcarbonat aus Natriumchlorid und Calciumcarbonat, auf Umwegen erzwungen werden kann: CaCO3 → CaO + CO2 2 NaCl + 2 CO 2 + 2 NH3 + 2 H2O → 2 NaHCO3↓+ 2 NH4 Cl 2 NaHCO3 → Na2CO3 + CO2 + H2O 2 NH4Cl + CaO → 2 NH3 + CaCl2 + H2 O CaCO3 + 2 NaCl → CaCl2 + Na2 CO3 Wesentlicher Schritt ist die Ausfällung des in Wasser schwerlöslichen Natriumhydrogencarbonats im Sinne einer Gleichgewichtsverschiebung. Natriumcarbonat wird in großem Umfang in der Glasindustrie sowie als schwache Base verwendet. Ammoniumhydrogencarbonat wird durch Einleiten von Kohlendioxid in wäss. Ammoniaklösungen erhalten. Es zersetzt sich bereits bei 60 °C in seine Edukte (d.h. „rückstandlos“) und wird als Treibmittel („Backpulver“) verwendet. NH3 + CO2 + H2O → NH4HCO3 106 Wichtige, stabile Derivate der Kohlensäure sind das hochgiftige Phosgen (COCl2 , Sdp. 8 °C) sowie der in biochemischen Prozessen als Abbauprodukt gebildete Harnstoff [CO(NH2)2 , Schmp. 133 °C]. COCl2 Phosgen CO(NH2) 2 Harnstoff Beide Verbindungen werden synthetisch hergestellt. Phosgen ist ein wichtiger Ausgangsstoff in der organischen Synthesechemie. Harnstoff wird vornehmlich als Düngemittel verwendet. CO + Cl2 → COCl 2 COCl2 + 4 NH3 → CO(NH2) 2 + 2 NH4Cl CO2 + 2 NH3 → CO(NH2) 2 + H2 O 15.2.6 Verbindungen mit Stickstoff Blausäure (HCN, Sdp. 26 °C), die traditionsgemäß der Anorganischen Chemie zugerechnet wird, ist, wie auch ihr zu CO isoelektronisches Anion (vgl. E31) CN- (Cyanid) hochgiftig. HCN CNBlausäure (pKS = 9.2) wird technisch aus Methan und Ammoniak (2000 °C, Pd-Katalysator) hergestellt und durch Einleiten in KOH in KCN („Zyankali“) überführt. Früher wurde auch NaCN technisch aus NaNH2 gewonnen. 2 CH4 + 2 NH3 + 3 O2 → 2 HCN + 6 H2O HCN + KOH → KCN + H2 O NaNH2 + C → NaCN + H2 Blausäure findet Anwendung in der organischen Synthesechemie. Cyanidsalze werden, wegen der ausgezeichneten Ligandeigenschaften des Anions (vgl. E35), in der Galvanotechnik („Cyanidlaugerei“) eingesetzt. 15.2.7 Carbide Unter Carbiden versteht man binäre Verbindungen des Kohlenstoffs mit Elementen geringerer Elektronegativität (Metalle und Metalloide). Sie lassen sich einteilen in 107 a) kovalente Carbide (z.B. SiC) mit kovalenten Kohlenstoff-ElementBindungen b) salzartige Carbide; hier liegen Kohlenstoffanionen vor (so entwickelt CaC2 als Salz des Acetylens (vgl. Kap. 19.4.3) mit Wasser den zugehörigen Kohlenwasserstoff) c) metallische Carbide; hier sind Kohlenstoffatome in Oktaederlücken eines Metallgitters eingebaut (z.B. TiC) 15.3 Silizium und Germanium Silizium, das zweithäufigste Element der Erdkruste (27.7 Massen%), kommt überwiegend als Siliziumdioxid oder in Form oxidischer Mineralien, die zusätzlich Al, Mg, Ca und Fe enthalten,vor. Das sehr viel seltenere Germanium findet sich in sulfidischen Erzen, hauptsächlich im Germanit (Cu6FeGe 2S8). Trotz der technischen Bedeutung des Germaniums für die Halbleiterindustrie sollen nachfolgend nur die Verbindungen des Siliziums besprochen werden. 15.3.1 Die Elemente Silizium und Germanium existieren beide nur in der Diamantstruktur; die die dem Graphit analoge Struktur ist wegen der Doppelbindungsregel (vgl. E24) instabil. Die gegenüber C größeren Atomradien bewirken eine Schwächung der Element-Element-Bindungen, die beiden Elementen Halbleitereigenschaften verleiht. Silizium wird in großem Umfang durch Reduktion von Quarz (SiO2) mit Koks im Elektrischen Ofen bei 1800 °C erhalten. Hierbei ist ein Überschuß von Kohlenstoff wegen der Bildung von Siliziumcarbid (SiC) zu vermeiden. Das so gewonnene Silizium wird als Legierungsbestandteil verwendet. Zur im Bereich der Halbleitertechnologie erforderlichen Reinigung wird Silizium mit HCl bei 300 °C zu SiHCl3 („Silicochloroform“, Sdp. 32 °C) oxidiert, das nach Destillation bei 1100 °C thermisch in die Edukte gespalten wird. Die weitere Aufreinigung des Siliziums erfolgt durch Zonenschmelzen; hierdurch wird eine sehr hohe Reinheit (10-8 % Verunreinigungen) erreicht. Zur Darstellung von Germanium wird das aus mineralischen Vorkommen gewonnene Dioxid gereinigt und mit Wasserstoff reduziert. SiO2 + 2 C → Si + 2 CO Si + 3 HCl → SiHCl 3 + H2 GeO2 + 2 H2 → Ge + 2 H2O Silizium wird in großen Mengen als Legierungsbestandteil von Metalllegierungen benötigt. Darüber hinaus besteht, wie auch für 108 Germanium, ein ständig steigender Bedarf an Reinstsilizium für Halbleiterproduktionen. 15.3.2 Verbindungen mit Wasserstoff Silizium bildet kettenförmige Silane der allgemeinen Zusammensetzung Sin H2n+2 bzw. Ringe der Zusammensetzung Sin H2n, die formal den Alkanen (vgl. Kap. 19.4.1) entsprechen. Jedoch ist hier der Wasserstoff der negative Bindungspartner. Die Darstellung erfolgt meist durch Umsetzung der entsprechenden Chlorverbindungen mit LiAlH4 . SiCl4 + LiAlH4 → SiH4 + LiAlCl 4 Wie alle Silane ist SiH4 (Sdp. -112 °C) thermolabil und kann in die Elemente gespalten werden. Die Verbindung ist an Luft selbstentzündlich. SiH4 → Si + 2 H2 SiH4 + 2 O2 → SiO2 + 2 H2O 15.3.3 Verbindungen mit Halogenen Silizium (und auch Germanium) bildet mit Halogenen Verbindungen der Zusammensetzung SiX4 (X = F,Cl,Br,I). SiX4 Hierbei handelt es sich sämtlich um molekular aufgebaute Verbindungen, die aus den Elementen zugänglich sind. SiF4 bildet sich auch bei der Einwirkung von Flusssäure auf Glas. Si + 2 X2 → SiX4 (X = F,Cl,Br,I) SiO2 + 4 HF → SiF4 + 2 H2 O SiF4 (Sublp. -90 °C) gilt hinsichtlich der Bildungsenthalpie als thermodynamisch stabilste aller Verbindungen in Folge der hier besonders ausgeprägten (p→d)π-Bindungsverstärkung (vgl. E30). SiCl4 (Sdp. 57 °C) wird als Ausgangsprodukt zahlreicher Synthesen technisch hergestellt. Alle Tetrahalogenide reagieren mit Wasser. SiF4 bildet darüber hinaus Komplexe (vgl. E27), etwa mit Fluoridionen, des Siliziums der KZ 6. SiX4 + 2 H2O → SiO2 + 4 HX SiF4 + 2 NaF → Na2[SiF 6] 109 Analog zu den Siliziumwasserstoff-Verbindungen existieren zahlreiche Halogenverbindungen etwa der Zusammensetzungen Sin X2n+2 (Ketten) und SinX2n (Ringe), die hier nicht besprochen werden können. 15.3.4 Verbindungen mit Sauerstoff Silizium bildet mit Sauerstoff die stabile Verbindung SiO2 , die bei Normalbedingungen im Gegensatz zu CO2 (man beachte die Doppelbindungsregel, vgl. E24) polymer gebaut ist (Schmp. 1725 °C). Hierin sind einzelne SiO4-Tetraeder über gemeinsame Sauerstoffatome eckenverknüpft. Man unterscheidet verschiedene Kristallmodifikationen (Quarz, Tridymit, Cristobalit, Abb. 49), die jedoch alle diesem Bauprinzip folgen. Abb. 49: Die Systematik der Siliziumdioxide Die Umwandlung zwischen Quarz, Tridymit und Cristobali erfolgt langsam, Da Si-O-Bindungen gebrochen werden müssen. Abb. 50 zeigt einen Ausschnitt aus der Struktur des β -Cristobalits. Abb. 50: Die Struktur des β -Christobalits Das chemisch sehr resistente Siliziumdioxid wird von HF (s.o.) sowie von Laugen angegriffen (vgl. die Reinigung von Bauxit, Kap. 14.3.1). SiO2 + 4 NaOH → Na4SiO4 + 2 H2O Bei 1250 °C steht SiO2 in der Gasphase (Vakuum) im Gleichgewicht mit SiO, analog dem Boudoir-Gleichgewicht (Kap. 15.2.4). Beide Oxide liegen in der Gasphase als monomere Moleküle vor. Früher wurde diese Reaktion als „Transportreaktion“ zur Reinigung von Silizium (Abtrennung von Fremdmetallen wie z.B. Al) benutzt. SiO SiO2 Si + SiO2 <=> 2 SiO Auf zwei strukturelle Ausnahmen vom Aufbau der Siliziumdioxide durch Eckenverknüpfung der SiO4 -Tetraeder sei hingewiesen: in der Hochdruckmodifikation Stishovit (TiO2-Typ) besetzen die Siliziumatome Oktaederlücken (KZ 6); im faserförmigen SiO2 sind die Tetraeder kantenverknüpft. 110 15.3.5 Sauerstoffsäuren und Silikate Analog zur Kohlensäure ist auch die Kieselsäure (H4SiO4 ) nur in Form ihrer Metallsalze beständig; die Säure selbst wandelt sich unter Wasserabspaltung in ihr Anhydrid um. Na4SiO4 + 4 HCl → H4SiO4 + 4 NaCl H4SiO4 → SiO2 + 2 H2O Die Kondensation erfolgt in Stufen; jedoch sind auch die hierbei resultierenden Oligo- und Polykieselsäuren nicht beständig (Abb. 51). Abb. 51: Die Kondensation der Kieselsäuren Ihre Metallsalze hingegen bilde stabile Verbindungen, die sich in eine außerordentlich komplexe und umfangreiche Systematik einordnen lassen (Abb. 52). In allen Anionen liegen jedoch eckenverknüpfte SiO4Tetraeder vor. Abb. 52: Strukturtypen der Silikate Im Gegensatz zu den ortho-Silikaten M 4SiO4 („Wasserglas“) sind die Oligo- und Polysilikate nicht wasserlöslich; sie bilden eine wesentliche Komponente beim Aufbau der Erdrinde. Durch formalen Austausch eines oder mehrerer Si4+ -Zentren gegen Al3+ gelangt man zu den gleichfalls wichtigen Alumosilikaten, zu denen beispielsweise die Feldspäte M[AlSi3O8 ], der Zeolith sowie der Kaolinit Al4[Si 4O10](OH)8 gehören. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E34 Glas> Gläser sind ohne Kristallisation erstarrte Schmelzen. Sie sind gegenüber dem kristallinen Zustand thermodynamisch instabil, kinetisch jedoch stabil („metastabil“). Offensichtlich verhindert der komplexe Aufbau von SiO2 und seinen Derivaten auch deren rasche Kristallisation. Gebrauchsglas (Fensterglas) besteht aus 72% SiO2, 0.3% Al 2O3 , 9% CaO, 4% MgO und 14% Na2O. Durch Zusatz von K 2O (Thüringer Glas) lässt sich der Schmelzpunkt erhöhen, borhaltige Gläser erhöhen die chemische Resistenz, Al2 O3 verringert den thermischen Ausdehnungskoeffizienten, PbO erhöht die Lichtbrechung (Kristallglas). Der Zusatz von Übergangsmetalloxiden wie FeO (grün), Fe2 O3 (braun) oder Gold (rot) führt zur Anfärbung. Reines Quarzglas hat die höchste Resistenz gegenüber Temperaturschwankungen, lässt sich aber durch den hohen Erweichungspunkt nur schwer bearbeiten. 111 xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 15.3.6 Verbindungen mit Kohlenstoff Das aus Quarz und Kohle bei 2200 °C zugängliche Siliziumcarbid (SiC, „Carborundum“) besitzt Diamantstruktur und weist eine außerordentliche Härte auf, der es seine Verwendung als Hartstoff (Schleifscheiben u.a.) verdankt. Neben der auf die kubisch dichteste Kugelpackung der C-Atome zurückgehenden Struktur gibt es auch Varianten alternierender kubischer und hexagonaler Stapelanordnungen. SiO2 + 3 C → SiC + 2 CO Ein wichtiges Kapitel der Organosilane (vgl. Kap. 19.5.3.2) bildet die Chemie der Silikone, die als Kunststoffe außerordentliche Bedeutung erlangt haben. Hierbei werden Organochlorsilane durch Wasser hydrolysiert und vernetzt. Die bei den Kieselsäuren beobachtete Kondensation zu SiO2 wird hierbei durch die Präsenz stabiler ROFragmente (R = organischer Rest, meist Methyl) unterbunden. Die als Edukte verwendeten Organochlorsilane werden aus Methylchlorid und Silizium im Müller-Rochow-Verfahren gewonnen. Si + 2 MeCl → Me 2SiCl2 (Me = CH3 ) Me2SiCl 2 + 2 H2 O → Me2 Si(OH)2 + 2 HCl n Me2Si(OH)2 → {-O-Si(Me) 2-}n + n H 2O Durch anteilige Verwendung von Me3SiCl (Kettenabbruch) und MeSiCl3 (Vernetzung) lassen sich die Eigenschaften der Silikone gezielt steuern. 15.4 Zinn und Blei Die eher seltenen Elemente kommen in der Natur konzentriert, beispielsweise als Zinnstein (SnO2), Bleiglanz (PbS) oder Bleispat (PbCO3) vor. Die problemlose Verhüttung mit Kohlenstoff sowie die durch den weichen Habitus einfache Bearbeitung hat die Metalle bereits im Altertum zu umfangreicher Verwendung (Zinn für Gebrauchsgegenstände, Blei für Wasserrohre) gebracht. Als Legierung mit Kupfer (Bronce) ist Zinn Bestandteil der menschlichen Kulturgeschichte. 15.4.1 Die Elemente Während elementares Blei bei Normalbedingungen als kubisch dichteste Kugelpackung vorliegt und die Eigenschaften eines Metalls aufweist, sind von Zinn zwei Modifikationen bekannt. α-Zinn liegt bei tiefen Temperaturen in der Diamantstruktur (Nichtmetall) vor und wandelt sich 112 bei 13 °C in β -Zinn (Metall) um, das in einer für Metalle ungewöhnlichen tetragonalen Struktur kristallisiert. Beide Phasen sind metastabil, jedoch kann die Umwandlung in α -Zinn beim Abkühlen durch die Gegenwart von Katalysatoren stark beschleunigt werden. Da β -Zinn eine wesentlich höhere Dichte aufweist, führt der Vorgang (Zinnpest) zur Zerstörung von Metallgegenständen bei längerer Lagerung unterhalb des Umwandlungspunktes (Orgelpfeifen, Sarkophage u.a.). Die Darstellung der Metalle erfolgt durch Reduktion der (im Falle des Bleis zuvor aus den Erzen gewonnenen) Oxide mit Kohle (im Altertum mit Holzkohle): SnO2 + 2 C → Sn + 2 CO 2 PbS + 3 O2 → 2 PbO + 2 SO2 PbCO3 → PbO + CO2 PbO + C → Pb + CO Die Bleidarstellung ist auch wegen der hiermit verbundenen Gewinnung von als Verunreinigung in PbS gegenwärtigem Silber (als Ag 2S) von Bedeutung. Beide Metalle, insbesondere Blei, sind in Form ihrer Dämpfe und wasserlöslichen Verbindungen toxisch, so dass trotz der auftretenden Passivierung der Oberflächen durch die unlöslichen Oxide der direkte Kontakt zum Menschen vermieden wird und sie somit hinsichtlich ihrer ursprünglichen Verwendung an Bedeutung verloren haben. Zinn wird heute umfangreich in der Elektrotechnik verwendet (Lötzinn), während Blei zur Herstellung von Akkumulatoren (s.u.) dient. Auch als Legierungsbestandteil sind beide Metalle von Bedeutung. Die früher umfangreiche Verwendung von Tetraethylblei als Zusatz („Antiklopfmittel“) in Verbrennungskraftstoffen hat stark an Bedeutung abgenommen. 15.4.2 Verbindungen der vierwertigen Elemente Verbindungen des vierwertigen Zinns sind in vieler Hinsicht denen des Siliziums und Germaniums vergleichbar. So bilden etwa die Tetrahalogenide und -hydride SnX4 (X = H,Cl,Br,I) hinsichtlich ihrer Darstellung, Struktur und chemischen Eigenschaften eine direkte Parallele. Ein merklicher Unterschied ergibt sich aus dermgegenüber Si und Ge größeren Atom- und Ionenradius. In SnO2 (Rutil-Typ, vgl. Kap. 18.2.4) und SnF4 (koordinationspolymerer Aufbau) 113 weist Sn bereits die Koordinationszahl 6 auf. Hiermit in Zusammenhang steht auch das Bestreben, Komplexverbindungen zu bilden. SnX4 + 2 NaX → Na2[SnX6] (X = F,Cl) Verbindungen des vierwertigen Bleis wirken bereits stark oxidierend (vgl. E33); sie kommen nicht in der Natur vor. Bleidioxid wird als dunkelbrauner Feststoff durch Oxidation von Pb2+ -Salzen, bevorzugt durch anodische Oxidation, erhalten; es ist ein starkes Oxidationsmittel. Pb2+ + 2 H2O → PbO2 + 4 H+ + 2 ePbO2 hat deutlich saure Eigenschaften; mit Basen ragiert es zu Hydroxoplumbaten, die durch Entwässern in ortho-Plumbate übergehen. PbO2 + 2 KOH + 2 H2 O → K2[Pb(OH)6] K2[Pb(OH)6 ] → K2 PbO3 + 3 H2O Blei(II,IV)oxid (Pb3O 4, „Mennige“) wird als roter Feststoff durch Luftoxidation von PbO bei 500 °C gewonnen und kann als Blei(II)-Salz der ortho-Blei(IV)säure aufgefasst werden. 6 PbO + O2 → 2 Pb3O4 Auch die Tetrahalogenide PbX4 (X = F,Cl) sind bekannt; sie wirken im Vergleich mit den Verbindungen des Zinns stärker oxidierend. PbBr4 und PbI4 sind nicht stabil; sie zerfallen unter Abgabe des Halogens. PbX4 → PbX2 + X2 15.4.3 Verbindungen der zweiwertigen Elemente Zinn(II)-Verbindungen sind in Folge der Tendenz des Metalls, die Oxidationszahl +IV anzunehmen, mittelstarke Reduktionsmittel. Sie weisen wegen ihres molekularen Aufbaus und der Präsenz eines nichtbindenden Elektronenpaars am Metallzentrum, das in die Hybridisierung einbezogen wird, eine komplizierte Strukturchemie auf. Wichtigste Verbindung ist das technisch aus Zinn und HCl hergestellte Zinn(II)chlorid (Schmp. 247 °C), Sn + 2 HCl → SnCl2 + H 2 das mit Wasser ein stabiles Hydrat bildet (Abb. 53). 114 Abb. 53: Die Strukturchemie der Zinnhalogenide Zinn(II)oxid ist amphoter und reagiert mit Säuren und Basen. SnO + 2 HCl → SnCl 2 + H2 O SnO + NaOH + H2 O → Na[Sn(OH) 3] Verbindungen des zweiwertigen Bleis liegen bereits als ionisch gebaute Salze des Kations Pb2+ (Valenzelektronenkonfiguration 6s2, vgl. E33) vor; sie weisen keine reduzierenden Eigenschaften auf. Abgesehen von Pb(NO3)2 und Pb(CH3CO 2)2 sind alle Pb(II)-Salze in Wasser schwerlöslich (Passivierung der Metalloberfläche bei Einwirkung von HCl bzw. H2 SO4!). Eine wichtige Anwendung des Redoxpaares Pb+II/+IV bildet der Bleiakkumulator, dem trotz seines unwirtschaftlich hohen Gewichts und der Toxizität des Bleis große Bedeutung, insbes. in der Automobiltechnik, zukommt (Abb. 54). Abb. 54: Der Bleiakkumulator Der Bleiakkumulator besteht aus einer Bleielektrode und einer Bleidioxidelektrode. Als Elektrolyt wird 20%-ige Schwefelsäure verwendet. Die Potentialdifferenz zwischen den Elektroden beträgt 2.04 V (vgl. hierzu E15, E21). Bei der Stromentnahme wird H2 SO4 verbraucht und Wasser gebildet, die Schwefelsäure wird verdünnt. Der Ladungszustand der Batterie kann deshalb durch Messung der Dichte der Schwefelsäure kontrolliert werden. Durch Zufuhr von Elektrischer Energie (Laden) lässt sich die Chemische Energie des Akkumulators wieder erhöhen. Der Ladungsvorgang ist eine Elektrolyse. Dabei erfolgt wegen der sog. „Überspannung“ von Wasserstoff an Blei am negativen Pol keine Wasserstoffentwicklung. Bei Verunreinigung des Elektrolyten wird die Überspannung aufgehoben, und der Akku kann nicht mehr aufgeladen werden. Eine Alterung ergibt sich auch durch die Ablagerung des in Schwefelsäure schwerlöslichen Bleisulfats auf den Elektroden. 16 Die Hauptgruppenelemente im Überblick 16.1 Oxidationszahlen Die formal erreichbaren Oxidationszahlen ergeben sich aus der Stellung der Elemente im Periodensystem. Unter Verwendung der „alten“ Bezeichnungseise (1. bis 8. Hauptgruppe) gilt für Elemente der 115 Hauptgruppe a bezüglich der möglichen höchsten (x) und tiefsten (y) Oxidationszahlen: X=a -Y = 8 – a Hierbei werden stabile Oxidationszahlen bevorzugt in Zweierschritten (a, a-2, a-4, …, a-8) gebildet. Dazwischen liegende Oxidationsstufen der Elemente E sind stabil beim Vorliegen einer Bindung E-E. In Ausnahmefällen, bei Beteiligung stark elektronegativer Elemente, werden durch die Absenkung der Orbitalenergien auch stabile Radikale gebildet. Allgemein nehmen die oxidierenden Eigenschaften mit steigender Oxidationsstufe zu. Innerhalb einer Gruppe sinkt die Stabilität der formal höchsten Oxidationsstufe X mit steigender Ordnungszahl, da die steigende Kernladung durch den Einbau zusätzlicher Elektronen in die Elektronenhülle nicht vollständig kompensiert wird. Eine besondere Situation tritt bei den Elementen der 2 1 14 9 x Valenzelektronenkonfiguration 6s 5d 4f 5d 6p (x = 1[Tl], 2 [Pb], 3 [Bi]) ein. Hier bewirkt der „Effekt des Inerten Paares“ eine besondere Stabilisierung des Zustandes …6p0 . 16.2 Azidität Die Broenstedt-Azidität einer Verbindung HXYn hängt ab von der Bindungsstärke Innerhalb einer Hauptgruppe sinkt die Bindungsstärke und steigt die Azidität mit steigender Ordnungszahl von X der Polarität Für ein Element X steigt die Azidität mit steigender Oxidationszahl von X der Stabilität der korrespondierenden Base Korrespondierende Basen (Anionen) werden durch Resonanz („Verteilung“ der negativen Ladung) stabilisiert. Innerhalb einer Gruppe nimmt folglich die Basizität der Oxide und Hydroxide gleicher Oxidationszahl zu. Die Lewis-Azidität einer Verbindung XY n gegenüber der Lewis-Base Z wird gesteuert von der Stabilität der Bindung X-Z. Hierauf nimmt die Polarisierbarkeit von XYn und Z im Sinne des HSAB-Konzepts, neben sterischen Parametern, einen wesentlichen Einfluß. 16.3 Bindungsart Wir können grundsätzlich zwei Arten unterscheiden: a) Die Atombindung (kovalente Bindung) chemischer Bindungen 116 Hier treten Elektronen eines Atoms A mit Atomkernen eines Atoms B durch Überlappung von Orbitalen in Wechselwirkung. Hierbei sind jeweils ein Elektronenpaar (Einfachbindung) oder mehrere Elektronenpaare (Doppelbindung, Dreifachbindung) beiden Atomen zugehörig. In Abhängigkeit von der Elektronegativität der Atome sind solche Bindungen polarisiert. Das Phänomen der Atombindung lässt sich hinsichtlich einzelner Bindungen isoliert (VB) oder unter Berücksichtigung der Bindungssituation des gesamten Moleküls (MO) betrachten. Einen Sonderfall der Atombindung bildet die Metallische Bindung, in der, bewirkt durch den Elektronenmangel bezüglich der Stabilitätskriterien (s.u.) über das Phänomen der Resonanz die bindenden Elektronen auf den gesamten Atomverband ausgedehnt werden. b) Die Ionenbindung Übersteigt die Elektronegativitätsdifferenz der an der Bindung beteiligten Atome einen Grenzwert (ca. 1.5), so wird das bindende Elektronenpaar vollständig dem elektronegativeren Partner zugewiesen. Hierdurch kommt es zur Ausbildung elektrisch geladener Ionen, deren elektrostatische Anziehung die Bindungsenergie bestimmt. Diese hängt als Gitterenergie wesentlich von der Anordnung der Ionen im Verband ab. Aus der Stellung der beteiligten Elemente im Periodensystem und der hiermit in Zusammenhang stehenden Elektronegativität der Elemente lässt sich die Bindungsart (Atombindung, polare Atombindung, Ionenbindung) abschätzen. 16.4 Stabilitätskriterien Die Oktettregel kann als Hilfe zur Vorhersage stabiler Oxidationszahlen (s.o.) und Bindungssituationen dienen. Hiernach streben Elemente der Hauptgruppen die Edelgaskonfiguration 1s2 bzw. ns2 p6 (n = 2-6) an. Für einatomige Ionen (Kationen und Anionen) gilt diese Vorgabe, mit Ausnahme der durch den „Effekt des Inerten Paares“ zu einer Sonderstellung gelangten Ionen Tl+, Pb2 und Bi3+, verbindlich. Die Atombindung gestattet unter bestimmten Vorgaben ein Über- oder Unterschreiten der durch die Oktettregel festgelegten Elektronenzahl. Die Beteiligung von d-Orbitalen (Überschreitung des Oktetts) ist energetisch zulässig, wenn durch die hohe Elektronegativität der beteiligten Elemente die Orbitalenergien der d-Orbitale hinreichend abgesenkt werden; dies ist bei Anwendung der VB-Methode (Hybridisierung) beispielsweise bei den Molekülen bzw. Komplexionen ClF6+, SF6 , PF6 -, SiF62- (sp 3d2 ) und PF5 , ClF5 , ClF3, XeF 2 (sp3 d) der Fall. Man beachte jedoch, dass selbst hier bei Anwendung des MO-Konzeptes (3c4e-Bindung in I 3-) auf die Beteiligung von d-Orbitalen verzichtet werden kann (vgl. E18, Abb. 21a). 117 Beim Überschreiten des Oktetts durch Doppelbindungen tritt durch Resonanz Ladungstrennung unter Vermeidung der Beteiligung von dOrbitalen auf (z.B. in POCl3). Die Elektronenmangel-Situation einer Verbindung XYn kann behoben werden durch intra- und intermolekulare Einbeziehung von nichtbindenden Elektronenpaaren an Y. Im ersteren Fall (z.B. BBr3) kommt es zur Ausbildung von (p→d)π-Wechselwirkungen, im letzteren Fall (Dimerisierung von AlBr3 zu Al2 Br6) zur Ausbildung von 3c4eBindungen. Sind an Y keine nichtbindenden Elektronenpaare verfügbar, erfogt Dimerisierung des monomeren Fragments (Dimerisierung von BH3 zu B2H6 ) unter Ausbildung von 3c2e-Bindungen. Die thermodynamische Stabilität von Atombindungen in Verbindungen XYn wird beeinflusst vom Überlappungsintegral der beteiligten Orbitale, das mit steigender Ordnungszahl innerhalb einer Gruppe abnimmt. Entsprechend dem HSAB-Konzept bilden darüber hinaus beim formalen Zusammentreten der Fragmente Xn+ (Lewis-Säure) und Y- (Lewis-Base) Partner vergleichbarer Polarisierbarkeit („Härte“) stabile Bindungen. Polare Atombindungen erhöhen durch die überlagerte elektrostatische Anziehung (Partialladung) die thermodynamische Stabilität der Verbindung (z.B. HF, H2 O, CO2 ). Jedoch begünstigt die Ausbildung von Ladungszentren den Angriff von Reaktionspartnern und fördert somit die kinetische Reaktivität (z.B. Reaktion CO2 /H2 O). 17 Atombau II 17.1 Das Bohr’sche Atommodell Die zur Beschreibung der Elektronenhülle des Atoms erforderlichen Quantenzahlen hatten wir, um einen einfachen Zugang zur Chemie zu gewinnen, „ad hoc“ definiert (Kap. 4). Zum besseren Verständnis dieser für die Chemie grundlegenden Aufbauprinzipien müssen wir die Wechselwirkung zwischen Atomkern und Elektronenhülle auf der Grundlage der klassischen Physik beschreiben. Wir folgen hierbei zunächst der von Niels Bohr (1913) entwickelten Beschreibung des Wasserstoffatoms (die hierfür grundlegenden Gleichungen sind in Abb. 55 zusammengefaßt). e = el. Elementarladung [C] r = Radius [m] 2 4 -1 -3 ε o = Dielektrizitätskonstante (Vak.) [A s kg m ] m = Masse des Elektrons [kg] v = Bahngeschwindigkeit des Elektrons [m sec-1] Abb. 55: Das Bohr’sche Atommodell 118 Das Modell geht vom Gleichgewicht zwischen der elektrischen Anziehungskraft (Coulomb-Kraft, Gl. 1) der entgegengesetzt geladenen Elementarteilchen p+ und e- (F el) einerseits und der vektoriell entgegengerichteten Zentrifugalkraft (Gl. 2) des auf einer Kreisbahn umlaufenden Elektrons Fz aus (Gl. 3,4). Die Gesamtenergie des Elektrons setzt sich aus der kinetischen Energie (Gl. 5) und der potentiellen Energie (Gl. 6) zusammen (Gl. 7, durch Einsetzen von Gl. 4 resultiert Gl. 8). Die Energie des Elektrons hängt folglich nur vom Bahnradius r ab. Aus Gl. 3 bzw. 4 ergibt sich der direkte Zusammenhang zwischen Radius und Bahngeschwindigkeit des Elektrons. Demnach wären entspr. Gl. 8 alle Energiezustände des Elektrons zulässig. Die klassische Physik (Elektrodynamik) lehrt jedoch, dass das auf der Bahn umlaufende Elektron als schwingender Dipol aufzufassen ist, der permanent Energie abstrahlt und letztendlich in den Kern fällt. Diesem Umstand begegnete N. Bohr durch Formulierung seiner berühmt gewordenen Postulate: a) auf bestimmten Umlaufbahnen (Radien) erfolgt der Umlauf strahlungslos b) für erlaubte Umlaufbahnen ist der Drehimpuls des Elektrons ein ganzzahliges Vielfaches n der Grundeinheit des Drehimpulses (Gl. 9 und 10, durch Einsetzen in Gl. 4 ergibt sich Gl. 11). Hierbei entspricht n der Hauptquantenzahl; im Einelektronensystem des Wasserstoffatoms hängt die Energie des Elektrons nur von der Hauptquantenzahl ab. 17.2 Die Emissionsspektren des Wasserstoffatoms Die Korrektheit der Bohr’schen Postulate lässt sich experimentell belegen. Nach thermischer Anregung des Wasserstoffatoms fallen die „angeregten“ Elektronen unter Energieabgabe (Emission) in ihre Grundzustände zurück (Abb. 56). E = Energie h = Planck’sches Wirkungsquantum ν= Frequenz [sec-1 ] λ= Wellenlänge [cm] c = Lichtgeschwindigkeit [m sec-1 ] R = Rydberg-Konstante n,m = Hauptquantenzahlen (m > n) Abb. 56: Die Emissionsspektren des Wasserstoffs Die hierbei nach Gl. 12 errechneten Energien lassen sich Serien zuordnen, die dem Rückfall der Elektronen aus äußeren Schalen auf innere Niveaus (Hauptquantenzahlen) entsprechen. Die somit experimentell bestimmten 119 Energiedifferenzen der Hauptquantenzahlen stimmen mit den nach dem Bohr’schen Modell berechneten (Gl. 13) überein. 17.3 Die Unschärferelation Die durch Werner Heisenberg (1927) formulierte Unschärferelation besagt, dass es unmöglich ist, gleichzeitig den Impuls und den Aufenthaltsort eines Elektrons zu bestimmen. Das Produkt aus der Unbestimmtheit des Ortes und des Impulses hat die Größenordnung der Planck’schen Konstante (Gl. 14). Dies bedeutet, dass wir die Vorstellung des Bohr’schen Atommodells korrigieren müssen. An die Stelle des sich auf einer kreisförmigen Umlaufbahn bewegenden Elektrons tritt eine Ladungswolke in der Umgebung des Kernes, in der dem Elektron nur eine Aufenthalswahrscheinlichkeit zukommt. Rechnerisch lassen sich mit Hilfe der Wellenmechanik (s.u.) Raumsegmente (Orbitale) bestimmen, in denen dem Elektron eine bestimmte Aufenthaltswahrscheinlichkeit (z.B. 99% = 0.99) zukommt (Abb. 57). Da die Aufenthaltswahrscheinlichkeit über den gesamten Raum gleich 1 ist, kann sich das Elektron mit geringer Wahrscheinlichkeit auch außerhalb des Segments aufhalten. Abb. 57: Die Heisenberg’sche Unschärferelation 17.4 Das Wellenmechanische Atommodell A. H. Compton (1922) konnte experimentell zeigen, dass dem bislang als elektromagnetische Welle (E = h∙ ν ; Max Planck 1900) aufgefassten Licht auch die Eigenschaft von bewegten Teilchen (Photonen) zugewiesen werden kann (E = m∙ c2 ; Albert Einstein 1905). Diesen Welle/TeilchenDualismus übertrug Louis de Broglie (1924) auf das Elektron im Atomaren System. Über den Energiebegriff konnte der Bahngeschwindigkeit v des bewegten Elektrons der Masse m die Wellenlänge λder Wellendarstellung zugeordnet werden (Gl. 15). Aus der Darstellung des Elektrons als Welle lässt sich nun das Bohr’sche Postulat zwingend ableiten. Die Beschreibung des Elektrons als eindimensionale Welle (Abb. 58) macht deutlich, dass eine Zerstörung durch Interferenz nur bei Vorliegen einer „stehenden Welle“ vermieden wird. Hierfür gilt aus der klassischen Schwingungslehre die Rahmenbedingung gem. Gl. 16. Eingesetzt in Gl. 15 ergibt sich die dem Bohr’schen Postulat zu Grunde liegende Gl. 9. Abb. 58: Die Wellennatur des Elektrons Da ein Elektron Welleneigenschaften besitzt, kann man die Elektronenzustände im Atom mit einer Wellenfunktion Ψ(x,y,z) beschreiben. Die Wellenfunktion, mathematisch die Amplitude der 120 Schwingung, hat keine anschauliche Bedeutung. Betrachtet man das Elektron als dreidimensional schwingende Kugelwelle, lässt sich der zeitund ortsabhängige Schwingungsvorgang durch eine Differentialgleichung beschreiben (Abb. 59, Gl. 17, t = Zeit, u = Ausbreitungsgeschwindigkeit). Die hieraus durch Erwin Schrödinger (1926) abgeleitete Gleichung (Gl. 18, V = potentielle Energie) verknüpft die Wellenfunktion mit der Gesamtenergie des Elektrons und ist Grundlage aller Wellenmechanischen Behandlungen des Atombaus und der chemischen Bindung. Diejenigen Wellenfunktionen, die Lösungen der Schrödinger-Gleichung sind, werden Eigenfunktionen genannt. Die den Eigenfunktionen zugehörigen Energiewerte nennt man Eigenwerte. Die Eigenfunktionen beschreiben also die möglichen stationären Schwingungszustände im Wasserstoffatom. Die Schrödinger-Gleichung kann für das Wasserstoffatom exakt gelöst werden. Für Mehrelektronensysteme sind nur Näherungslösungen möglich. Man beachte, dass durch die interelektronische Wechselwirkung im Mehrelektronensystem die im Wasserstoffatom vorliegende Entartung der l-Niveaus (s,p,d,f…) aufgehoben wird. Das Quadrat der Wellenfunktion ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, ein Elektron an einem bestimmten Ort anzutreffen. Hierzu muß, da die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons im gesamten Raum gleich 1 ist, ein Normierungsfaktor N eingefügt werden. Zur Aufspaltung der Wellenfunktion in einen radien- und winkelabhängigen Anteil (R, χ ) werden die kartesischen Koordinaten (x,y,z) in Polarkoordinaten (r,φ,θ ) überführt (Abb. 59, Gl. 19). Abb. 59: Das Elektron als dreidimensionale Kugelwelle Im strengen Sinne sind als Orbitale die Wellenfunktionen ψ selbst anzusehen. Diese lassen sich jedoch graphisch nicht darstellen: man bedenke, dass zur Abbildung der Amplitude einer eindimensionalen Welle zwei Dimensionen und somit zur Darstellung einer dreidimensionalen Welle vier Dimensionen erforderlich sind. Die Quantenzahlen l und m ergeben sich mathematisch beim Übergang von der eindimensional zur dreidimensional schwingenden Welle. Zur graphischen Darstellung der Wellenfunktionen bzw. ihres für die Chemie relevanten normierten Quadrats sind gebräuchlich (vgl. Kap. 4.2, Abb. 60): a) Konturliniendiagramme Hier werden Stellen gleicher Aufenthaltswahrscheinlichkeit, d.h. gleicher Elektronendichte, durch Konturlinien (vergleichbar den Höhenlinien von Landkarten) verbunden 121 b) Polardiagramme Hier wird der winkelabhängige Anteil χder Wellenfunktion auf einer Kugeloberfläche unter Berücksichtigung des math. Vorzeichens der Wellenfunktion aufgetragen c) Quadrate der Winkelfunktion 2 In dieser meist üblichen Darstellung wird χ zur Abbildung der Aufenthaltswahrscheinlichleit wie unter b aufgetragen. Die Vorzeichen entsprechen den Vorzeichen der Wellenfunktion Abb. 60: Orbitaldarstellungen 18. Die Elemente der Nebengruppen 18.1 Allgemeines Als Elemente der Nebengruppen werden diejenigen bezeichnet, die als Atome im Valenzbereich keine abgeschlossene s- bzw. p-Unterschale (ns2, np 6) aufweisen; die hiermit vergleichbaren Elemente der Gruppe 12 (2. Nebengruppe) weisen die Elektronenanordnung ns2 (n-1)d10 auf und werden gelegentlich in der Systematik den Elementen der Hauptgruppen („repräsentative Elemente“) zugeordnet. Sämtliche Elemente der Nebengruppen liegen als Metalle vor. Nur in Form radioaktiver Isotope treten die Elemente der Ordnungszahlen 42 (Tc) und 61 (Pm) sowie sämtliche Actinoiden, d.h. alle auf das Elemente der Ordnungszahl 89 (Ac) folgenden Elemente auf; auch die im Periodensystem davor stehenden Hauptgruppen-Elemente der Ordnungszahlen 84-87 (Po-Fr) bilden keine stabilen Isotope. Als schwerstes natürlich vorkommendes Element gilt das Element der Ordnungszahl 92 (U); die rechts davon stehenden müssen, wie auch Tc und Pm, kerntechnisch hergestellt werden. 18.2 Die Elemente des d-Blocks 18.2.1 Das Periodensystem der d-Blockelemente Die Elemente des d-Blocks weisen die Valenzelektronenkonfiguration ns2 (n-1)d1-10 (n = 4,5) bzw. ns2 (n-1)d1(n-2)f14 (n-1)d2-10 (n = 6) auf. Folglich werden beim Aufbau dieser Übergangselemente, aufbauend auf die vollständig besetzten energetisch darunter liegenden s- und f-Zustände die d-Orbitale schrittweise besetzt (vgl. Abb. 5). Da die beiden sElektronen (4-7s2 ) zur Ausbildung chemischer Bindungen bzw. zur Definition der Oxidationszahlen herangezogen werden, beginnt die Numerierung der Nebengruppen für die Elemente der 2 1 Elektronenkonfiguration ns (n-1)d (n = 4-7; Sc,Y,La,Ac) mit der Ziffer 3, da auch hier in der Bezeichnung der Gruppe die höchstmögliche Oxidationszahl zum Ausdruck kommen soll. Als „Störung“ der 122 symmetrischen Abfolge der Orbitalbesetzung (vgl. Abb. 3 und 5) ist der Einbau der jeweils 14 f-Elemente folgend auf die Elemente der Gruppe 3, ns2 (n-1)d1, anzumerken. Zum Verständnis der Chemie der d-Blockelemente ist die Kenntnis der relativen Abschirmung der Valenzelektronen von der Kernladung durch die Rumpfelektronen wichtig. Hier gilt, dass die Abschirmung von Valenzelektronen in Abhängigkeit von der Nebenquantenzahl im passiven Sinne in der Abfolge s<p<d<f ansteigt, im aktiven Sinne jedoch in der Abfolge s>p>d>f absinkt. Dies bedeutet, dass d-Elektronen, im Vergleich mit s- und p-Elektronen, im Valenzbereich durch die Rumpfelektronen stärker abgeschirmt werden, jedoch ihrerseits andere Elektronen von der Kernladung schwächer abschirmen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass zur Hälfte oder vollständig besetzte Unterschalen, also d5 bzw. d10 , hinsichtlich der Abschirmung näherungsweise die Eigenschaften von sZuständen aufweisen. In Folge dessen tritt bei den d-Blockelementen in Oxidationsstufen mit dn -Konfiguration (n ≠ 0, 10) die Tendenz zur Bildung binärer Verbindungen des Typs AmB n mit Ionenbindung zu Gunsten der Komplexbildung (s.u.) deutlich zurück; Salze werden nur mit Bindungspartnern der elektronegativsten Elemente (B = F,O, selten Cl,S) angetroffen. Für die d-Blockelemente werden, im Vergleich mit den Hauptgruppenelementen, für die möglichen Oxidationszahlen geringere Energieunterschiede vorgefunden, so dass eine größere Anzahl von verschiedenen stabilen Oxidationszahlen beobachtet wird (von Mn beispielsweise sind isolierbare Verbindungen der Oxidationszahlen –I bis +VII bekannt). Die höchsten Oxidationszahlen werden in RuO4 und OsO4 (+VIII) gefunden. Die Stellung eines d-Blockelements im Periodensystem lässt deshalb nur Rückschlüsse auf seine höchstmögliche Oxidationszahl zu, die jedoch nicht immer erreicht wird. Insgesamt gilt, dass die Unterschiede der chemischen Eigenschaften innerhalb einer Periode bei den d-Blockelementen deutlich geringer ausfallen als bei den Hauptgruppenelementen. Innerhalb der Gruppen 410 nimmt, entgegengesetzt dem Trend der Hauptgruppen, die Stabilität der hohen Oxidationszahlen beim Übergang zu den höheren Ordnungszahlen zu (CrO3 ist ein starkes Oxidationsmittel, während WO3 kaum oxidierende Eigenschaften aufweist). Eine der Oktettregel der Hauptgruppenelemente vergleichbare 18-Elektronenregel der dBlockelemente ns2(n-1)d10np6 (auch hier wird eine Edelgaskonfiguration angestrebt) kann nur im Bereich der Metallorganischen Chemie (vgl. Kap. 19.5.3.3) als Orientierung dienen. Der Einbau der f-Elektronen bewirkt für die 5d-Elemente eine beträchtliche Radienkontraktion; sie sind hierin und in ihren Eigenschaften den jeweils leichteren Gruppennachbarn ähnlich. Auch bei den d-Blockelementen werden deshalb, wie für die 123 Hauptgruppenelemente (aus anderen Gründen) üblich, die Kopfelemente bei der hier nicht möglichen Detailbesprechung getrennt behandelt. Entsprechend ihrer chemischen Eigenschaften lassen sich die dBlockelemente in verschiedene Klassen aufteilen: a) Die Elemente der Gruppen 3 und 12 Diese Elemente weisen durch die Stabilität der Oxidationsstufen +III {Sc-Ac, M3+ = (n-1)p6 } bzw. +II {Cu-Hg, M2+ = (n-1)d10} Hauptgruppen-ähnliches Verhalten auf; sie bilden Salze. Sie liegen (abgesehen von Hg+I) ausschließlich in den genannten Oxidationszahlen vor. b) Die Elemente der Gruppen 4-7 Hier zeigen die Elemente in ihren höchsten Oxidationsstufen entsprechend der Gruppennummer 4-7 {ns0(n-1)d0 } gleichfalls Hauptgruppen-analoges Verhalten; jedoch existieren auch stabile Verbindungen niedrigerer Oxidationszahlen {ns2 (n-1)d(2-6)-x}, die durch das Vorliegen teilweise besetzter d-Zustände die charakteristischen Eigenschaften der d-Blockelemente aufweisen. c) Die Elemente der Gruppen 8-10 Hier werden die formal höchsten Oxidationszahlen, abgesehen von RuO4 und OsO4 , nicht mehr erreicht, so dass diese Elemente ausschließlich die charakteristische Chemie der d-Blockelemente {mehrheitlich ns2 (n-1)d2-6 } aufweisen. d) Die Elemente der Gruppe 11 Diese Elemente weisen in der Oxidationsstufe +I die Hauptgruppenanaloge Elektronenkonfiguration {ns 2(n-1)d10 sowie, in den Oxidationsstufen +II und +III, die Elektronenkonfiguration {ns2 (n1)d8,9 } auf. Sie zeigen somit Eigenschaften sowohl der Kategorie a und c). Die angegebenen Valenzelektronenkonfigurationen beziehen sich hier auf die Elektronenanordnung der „fiktiven“ Kationen. Werden die Bindungen zwischen Ligand und Komplexzentrum (s.u.) als Atombindungen („koordinative Bindungen“) aufgefasst, kann formal für die Metallzentren die Elektronenkonfiguration ns2 (n-1)d10np1-6 erreicht werden. Wegen ihrer Komplexität und ihres Umfangs kann die Chemie der dBlockelemente hier nur an Beispielen besprochen werden. 18.2.2 Die d-Blockelemente in wässriger Lösung Wegen der geringen Abschirmungskraft der d-Elektronen sind Kationen der d-Blockelemente im Vergleich mit den Hauptgruppenmetallen 124 stärkere Lewis-Säuren; d.h., sie bilden unter bestimmten Voraussetzungen wäss. Lösungen stabiler Aquo-Komplexe, bevorzugt der Oxidationszahlen +II und +III; hierbei dominiert die Koordinationszahl 6. Viele dieser Komplexionen lassen sich als stabile Salze isolieren: Mn+ + 6 H2O → [M(H2O)6] n+ (n = 2,3) Zum Verständnis dieses Befunds müssen wir die Theorie der Komplexbindung näher betrachten. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E35 Komplexverbindungen II> Wie bereits zuvor angedeutet (vgl. E27) kann die Wechselwirkung zwischen einem (elektronisch ungesättigten) Komplexzentrum und den als Anionen oder Dipole vorliegenden Liganden sowohl elektrostatisch („ionisch“) wie auch kovalent („koordinativ“) beschrieben werden. Wir wollen zunächst, in historischer Abfolge, das von Linus Pauling (1927) auf der Grundlage seines VB-Konzeptes entwickelte kovalente Modell am Beispiel einiger Eisenkomplexe betrachten. Das VB-Modell impliziert den Vorgang der Hybridisierung, d.h. der „Mischung“ von Orbitalen ähnlicher Energie, jedoch verschiedener Symmetrie, des Zentralatoms zu Hybridorbitalen (vgl. E10). Hierfür stehen dem Eisen die Orbitale 3d, 4s und 4p zur Verfügung. Die (schematische) Bildung des Komplexes [Fe(H2 O)6]3+ ist in Abb. 61 gezeigt. Abb. 61: VB-Modell der Komplexe [Fe(H2O)6 ]3+ und [Fe(CN)6] 3Unter Berücksichtigung der Hund’schen Regel und der 2 3 Hybridisierungsgeometrie für das System d sp resultiert ein oktaedrisch gebauter Komplkex, der pro Metallzentrum 5 ungepaarte Elektronen aufweist („High-Spin-Komplex“). Tatsächlich kennt man jedoch auch oktaedrisch gebaute Komplexe des dreiwertigen Eisens, in denen pro Metallzentrum nur 1 ungepaartes Elektron zugegen ist (z.B. [Fe(CN)6]3-, „Low-Spin-Komplex“). Die für beide Komplextypen im Falle des dreiwertigen Eisens gleiche Koordinationsgeometrie ist zufällig. Abb. 62 zeigt als Beispiel die verschiedene Geometrie zweier Komplexe des zweiwertigen Nickels der Koordinationszahl 4, die tetraedrisch ([NiCl4 ]2-, High Spin) bzw. quadratisch planar ([Ni(CN)4 ]2-, Low Spin) vorliegen. Die unterschiedliche Geometrie ergibt sich aus den Hybrisisierungen sp3 (tetraedrisch) und dsp2 (quadratisch planar). Abb. 62: VB-Modell der Komplexe [NiCl4] 2- und [Ni(CN)4] 2125 Die Zuordnung der Komplextypen nach der Beschaffenheit der Liganden und Komplexzentren ist in der Spektrochemischen Reihe vorgenommen (Abb. 63). Abb. 63: Die Spektrochemische Reihe der Liganden und Metallzentren Die VB-Theorie kann den Zusammenhang zwischen den magnetischen Eigenschaften einer Komplexverbindung, der Koordinationsgeometrie sowie der Präsenz von Zentren und Liganden aufzeigen, nicht aber begründen. Das zweite zur Interpretation der Bindungsverhältnisse in Komplexen verwendete Modell wurde ursprünglich als Kristallfeldtheorie (H. Bethe, J.H. van Vleck 1930) für den festen Zustand konzipiert und später für isolierte Komplexverbindungen erweitert (F.E. Ilse, H. Hartmann 1951). Ihm liegen rein elektrostatische Wechselwirkungen zwischen dem positiv geladenen Metallzentrum und den negativ geladenen oder als Dipol vorliegenden Liganden zu Grunde. Folgerichtig werden hierbei ausschließlich die d-Elektronen des Metallzentrums betrachtet. Wir wollen das Konzept zunächst gleichfalls am Beispiel des Komplexes [Fe(H2 O)6]3+ betrachten. Bei Betrachtung der 5 d-Orbitale zeigt sich, dass sie bezüglich der Orientierung im Koordinatensystem zwei verschiedenen Typen angehören: die Orbitalloben von d(x2 -y2 ) und dz2 sind auf den Koordinatenachsen platziert, während die Orbitale d(xy), d(xz) und d(yz) in Richtung der Koordinatenzwischenräume orientiert sind (Abb. 64). Abb. 64: Die Aufspaltung der d-Orbitale im oktaedrischen Ligandenfeld Bei Annäherung der Liganden an das Metallzentrum befinden sich die Sauerstoffatome in Folge der oktaedrischen Koordinationsgeometrie auf den Achsenabschnitten. Zwischen den d-Elektronen (negative el. Ladung) und den Sauerstoffatomen (negativer Teil des Dipols) erfolgt eine Coulomb-Abstoßung, von der die quadratischen Orbitale (e g) in Folge ihrer Ausrichtung stärker betroffen sind als die übrigen; sie werden deshalb energetisch angehoben. Die verbliebenen drei Orbitale (t2g) werden entsprechend dem Schwerpunktsatz gegenüber der kugelförmigen Symmetrie des Kristallfeldes, das die 5-fache Entartung belässt, abgesenkt. Die Besetzung der 5 Orbitale erfolgt nun gem. der Hund’schen Regel, die die Spinpaarungsenergie (SP, elektrostatische Abstoßung der gleichgerichtet geladenen Elektronen in einem Orbital) zu vermeiden sucht. Hierbei sind, in Abhängigkeit von der Energiedifferenz zwischen 126 den t2g- und eg-Orbitalen ΔE (meist 10Dq oder Δo genannt) im Sinne der Erreichung des stabilsten Zustandes zwei Fälle denkbar: a) SP > 4Dq = High Spin b) SP < 4 Dq = Low Spin Die Stellung der Metallzentren und der Liganden in der Spektrochemischen Reihe wird also durch ihre Fähigkeit zur Erzeugung einer hohen oder niedrigen Ligandenfeldaufspaltung gesteuert. Das Aufspaltungsmuster der d-Orbitale ist symmetrieabhängig. Ein Vergleich der zuvor genannten Nickelkomplexe führt folglich zu verschiedenen Energiediagrammen (Abb. 65), aus denen sich jedoch gleichfalls die magnetischen Eigenschaften der Komplexe ergeben. Abb. 65: Symmetrieabhängige Aufspaltung der d-Orbitale im Ligandenfeld xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Kehren wir zur Betrachtung der Hexaquo-Komplexe der 3d-Metalle zurück. Die relative Stabilität von oktaedrisch gebauten Hexaquokomplexen der d-Blockelemente lässt sich an Hand von zwei Kriterien abschätzen. a) Zum formalen Aufbau des Komplexes aus dem Metallatom und Wasser muß zunächst das Metallatom unter Aufwendung der Ionisierungsenergie in das zugehörige Metallion überführt werden. Durch Koordination der Wasserliganden an das Ion wird Bindungsenergie freigesetzt; diese steigt mit steigender Oxidationszahl des Metallzentrums. Es sind folglich zwei gegenläufige Effekte zu beachten, die erfahrungsgemäß die Oxidationszahlen +II und +III bevorzugen. n+ -+ M → M + ne n+ n+ M + 6 H2O → [M(H2O)6] Niedrige Oxidationsstufen in Aquokomplexen sind für die dBlockelemente mit Ausnahme von Ag+ unbekannt. Bei höheren Oxidationsstufen erfolgt entweder Zersetzung unter Oxidation des Wassers (z.B. V5+ ) oder, in Folge der hohen Broenstedt-Azidität solcher Komplexe, die Bildung anionischer Oxo-Komplexe (z.B. CrO42-, MnO4 -). b) H2O-Liganden bewirken eine nur schwache Kristallfeldaufspaltung und bilden somit High-Spin-Komplexe. Hierdurch werden die „symmetrischen“ Elektronenanordnungen d3 (Cr3+ ) und d5 (Mn2+ , Fe3+) stabilisiert (Fe2+ und Cr2+ wirken in Wasser reduzierend). Beim Austausch des H2 O-Liganden gegen einen Liganden stärkeren Ligandenfelds (z.B. NH3 ) ändern sich potentiell die Eigenschaften der 127 Komplexe durch Übergang zum Low-Spin-Typ. Ein anschauliches Beispiel liefert die Oxidation von wäss. Co2+ -Lösungen durch Luftsauerstoff in Gegenwart von Ammoniak [Co(H2O)6]2+ High-Spin, luftstabil 2+ [Co(NH3) 6] Low-Spin, luftempfindlich 4 [Co(NH3) 6]2+ + O2 + 2 H2O → 4 [Co(NH3) 6]3+ + 4 OH Bei der Stabilität von aquo-Komplexen ist zudem die Vorgabe des HSABKonzeptes wirksam. Der „harte“ Ligand H2 O bildet bevorzugt stabile Komplexe mit „harten“ Metallzentren. So sind die Komplexe [M(H2O)6 ]2+ des Cobalts und Nickels bekannt, die der im PSE darunter stehenden „weicheren“ Metallzentren jedoch nicht. Aus der Kenntnis der Koordinationsgeometrie (Oktaeder, Tetraeder etc.), der Stellung der Komplexfragmente in der Spektrochemischen Reihe (High-Spin, Low-Spin) und der Valenzelektronenkonfiguration des Metallzentrums lassen sich unter Berücksichtigung der Stabilisierung vollständig oder zur Hälfte besetzter Zustände (z.B. t2g, eg ) Aussagen zur Stabilität treffen. So lassen sich etwa stabile Verbindungen oktaedrischer Komplexe erwarten für die Elektronenkonfigurationen d3, d 8 (hier ist eine Unterscheidung in High-Spin und Low-Spin nicht möglich), d 5 (HighSpin) und d6 (Low-spin). 18.2.3 Halogenide der d-Blockelemente Allgemein gilt, dass der ionische Charakter der Metall-Halogen-Bindung mit steigender Ordnungszahl des Halogens und steigender Oxidationszahl des Metalls abnimmt. Darüber hinaus wird eine unter Berücksichtigung der Radienquotienten hohe Koordinationszahl des Metallzentrums angestrebt; hinsichtlich der Packung im Kristall sind hierbei die Koordinationszahlen 4 und 6 bevorzugt. Metalle der 5d- und 6d-Periode zeigen außerdem eine ausgeprägte Tendenz zur Bildung intermetallischer Bindungen. Unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten lassen sich die Halogenide der d-Blockelemente in 5 Gruppen einteilen (Abb. 66): Abb. 66: Strukturbeispiele von Halogeniden der d-Blockelemente a) Molekülverbindungen Hierzu gehören Verbindungen der Metalle in der jeweils höchsten Oxidationsstufe (d0, Oxidationszahl >3, Koordinationszahl 4,6,7), in denen „klassische“ 2c2e-Bindungen vorliegen. Es handelt sich in der Regel um leicht flüchtige Verbindungen, deren molekularer Aufbau auch im Festkörper noch erkennbar ist (z.B. ReF7, WCl 6, 128 TiCl4). Durch die Elektronenkonfiguration d0 ist eine Vorhersage der Struktur nach dem VSEPR-Konzept (vgl. E11) möglich. b) Koordinationsoligomere und –polymere Diese Strukturen sind Komplexverbindungen, in denen verbrückene Halogeno-Liganden (3c4e-Bindungen) vorliegen. Sie sind häufig anzutreffen in Verbindungen der Zusammensetzung MX5 (d0 , d1, z.B. VF5 , RuF5) und MX4 (d1, d2 , z.B. NbCl4, CrF4) und MX3 (d1 , z.B. ZrI3). In solchen Koordinationspolymeren mit d 1Konfiguration liegen bei tiefen Temperaturen isolierte alternierende Metall-Metall-Bindungen vor, die bei thermischer Anregung in (delokalisterte) äquidistante Bindungen mit metallischen Eigenschaften übergehen (Peierls-Verzerrung). c) Schichtengitter Verbindungen diesen Typs enthalten ionische, stark polarisierte Bindungen. Sie treten auf bei Halogeniden MX2 (X = Cl,Br,I, z.B. CdCl2) und MX3 (X = Cl,Br,I, z.B. FeCl3 , CrCl3 ) der schwereren Halogene. Hierin bilden die Halogenatome dichteste Kugelpackungen, deren Oktaederlücken in jeder 2. Schicht frei bleiben und in den Zwischenschichten vollständig (MX2) bzw. zu 2/3 (MX3) mit Metallatomen besetzt werden. d) Ionengitter Hier liegen Gitter dichtest gepackter Ionen der auch bei den Hauptgruppen-Metallhalogeniden gefundenen Typen vor. Bevorzugt in diese Gruppe gehören Metallfluoride MF3 (ReO3-Typ, KZ 6/2, z.B. FeF3 , VF3), MF2 (Rutil-Typ, KZ 6/3, z.B. MnF2 , PdF2) sowie Metallhalogenide der Gruppe 11-Elemente (NaCl-Typ, 6/6, z.B. AgCl; Zinkblende-Typ, KZ 4/4, z.B. CuI). Für solche Verbindungen, wie auch für c), gelten im festen Zustand die Vorgaben der Ligandenfeldtheorie (Halogenid-Ionen bewirken ein nur schwaches Feld und erzeugen hierdurch High-Spin-Komplexe). e) Cluster Die Chloride, Bromide und Iodide der niedervalenten 4d- und 5dMetalle bilden bevorzugt Cluster. Hierin sind mehrere Metallatome durch Elektronenmangelbindungen (ähnlich der metallischen Bindung) zu Polyedern verbunden, während die Halogenatome Ecken, Kanten oder Flächen dieser Polyeder in endständiger oder verbrückender Funktion besetzen. Die Stabilität dieser Cluster hängt von der Elektronenzahl in Relation zur Gerüststruktur ab und kann über MO-Modelle erklärt werden. (Vgl. z.B. MoCl 2 = 129 [Mo6 Cl8 ]Cl4 ). Es existieren auch zahlreiche Cluster von Metallen nicht-ganzzahliger Oxidationsstufen (zB. Ta6 Cl15, WCl16). 18.2.4 Oxide der d-Blockelemente Bedingt durch die hohe Ladungsdichte des Oxidions bilden die dBlockelemente fast ausnahmslos (Ausnahmen sind etwa OsO4 und Ti3O) ionisch gebaute Oxide, die in Abhängigkeit von der stöchiometrischen Zusammensetzung und dem Radienquotienten in den teilweise bereits besprochenen Gittertypen kristallisieren. Sie lassen sich entsprechend anordnen (Abb. 67): Abb. 67: Strukturbeispiele von Oxiden der d-Blockelemente a) M 2O Cuprit-Typ, ähnlich β -Cristobalit (KZ 4/2, z.B. Cu2 O, Ag2 O) b) MO Fast ausschließlich NaCl-Typ (KZ 6/6; z.B. FeO, MnO, CdO), ZnO kristallisiert im Wurzit-Typ (ZnS, KZ 4/4) c) M 2O3 Fast ausschließlich Korund-Typ (α -Al2O 3, KZ 6/4; z.B. Fe2 O3 , V2 O3, Cr2 O3) d) MO2 Rutil-Typ (TiO2, für kleine und mittelgroße Kationen, KZ 6/3; z.B. CrO2 , MoO2) oder Fluorit-Typ (CaF2 , für große Kationen, KZ 8/4; z.B. HfO2 ) f) M 3O4 Spinell-Typ (MgAl2O 4 mit Besetzungsvarianten, s.u.; z.B. Fe3 O4 = Fe+IIFe2 +IIIO4). g) MO3 ReO3-Typ (KZ 6/2) Auf die Korund-Struktur wurde an anderer Stelle eingegangen (vgl. Abb. 46). Die komplexe Spinell-Struktur bedarf näherer Erläuterung: Im Mineral Spinell (MgAl2O4 ) bilden die Sauerstoff-Ionen eine kubisch dichteste Kugelpackung, in der 1/8 der Tetraederlücken von Mg-Ionen sowie 1/2 der Oktaederlücken von Al-Ionen besetzt wird; die Abbildung der Elementarzelle (Abb. 68) vermittelt kein anschauliches Bild. Tatsächlich existieren zahlreiche ternäre Verbindungen der Zusammensetzung A+IIB 2+IIIO 4 dieser Bauart. In Fe3 O4 liegt jedoch eine 130 andere Zuordnung der Kationen zu den Lücken vor, die des „Inversen Spinells“. Hier besetzen die Fe2+ -und Fe3+ -Ionen jeweils 1/4 der Oktaederlücken, während die verbliebenen Fe3+ -Ionen 1/8 der Tetraederlücken besetzen. Auf dem Ladungsaustausch und der magnetischen Kopplung der Eisenionen auf Oktaederplätzen beruhen die Halbleitereigenschaften und ferrimagnetischen Eigenschaften (vgl. E36) des Fe3 O4 (Magnetit). Abb. 68: Die Elementarzelle des Spinells (MgAl 2O4 ) Oxide der d-Blockelemente weisen zahlreiche ungewöhnliche optische (TiO2 als Weißpigment), elektrische (metallische Leitfähigkeit vonReO 3) und magnetische Eigenschaften auf. Auf diese wird nachfolgend näher eingegangen. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E36 Magnetochemie> Die Bewegung elektrischer Ladung, beispielsweise der Elektronentransport in einem Leiterdraht, erzeugt ein Magnetfeld. Gleiches gilt für die Bewegung von Elektronen auf Umlaufbahnen im atomaren System. Das Phänomen des Magnetismus kann folglich makroskopisch und atomar behandelt werden. Die Verbindung beider Betrachtungen ist zum Verständnis der magnetischen Eigenschaften der Materie erforderlich. Wir wollen zunächst den atomaren Magnetismus betrachten (Abb. 69). Abb. 69: Der Spin-Only-Wert des magnetischen Moments der Elektronen Im Atomaren System Ein elektrischer Strom (Gleichstrom) erzeugt in einer Spule 2 (Leiterschleife) ein Magnetisches Moment μ mag, [Am ] das dem Produkt aus Stromstärke und Schleifenfläche entspricht (Gl. 1). Im atomaren System besitzt das Elektron einen Bahndrehimpuls sowie einen Eigendrehimpuls, der deutlich überwiegt und hier ausschließlich behandelt werden soll. Er wird in Einheiten der Bohr’schen Magnetonen μ B (Gl. 2), der quantenphysikalischen Elementargröße des magnetischen Moments, in Abhängigkeit von der Drehimpulsquantenzahl S angegeben (Gl. 3). S setzt sich hier additiv aus den Einzelbeiträgen der Elektronen s = ½ zusammen; so erreicht beispielsweise S für 2 bzw. 3 ungepaarte Elektronen die Werte 1 bzw. 3/2. Bei vollständiger Spinpaarung wird S = 0, so dass kein Eigendrehimpuls wirksam wird. Das sog. Gyromagnetische Verhältnis beträgt für Elektronen g = 2. Für ein ungepaartes Elektron errechnet sich der Wert μ s = 1.73μ B (man beachte, dass sich nach Gl. 3 im Mehrelektronensystem die 131 Drehimpulsquantenzahlen S = Σs, nicht aber die magnetischen Momente der Einzelelektronen additiv verhalten (μS ≠Σμs). Aus dem magnetischen Moment μ S eines Atoms oder Ions kann unter Vernachlässigung des Bahndrehimpulses (Spin-Only-Wert) auf die Anzahl der ungepaarten Elektronen n geschlossen werden (Gl. 4). Die makroskopische Beschreibung magnetischer Eigenschaften erfolgt durch Angabe der Wechselwirkung des Magnetfeldes mit Materie (Abb. 70). Das Feld kann durch die magnetische Induktion (magnetische Flussdichte) B [1T = 1 Vs/m2] bzw. durch die magnetische Feldstärke (magnetische Erregung) H [A/m] beschrieben werden. Beide Größen sind durch die magnetische Feldkonstante μ0 = 4π 10-7Vs/Am miteinander verbunden (Gl. 5). Abb. 70: Das Magnetfeld und seine Wechselwirkung mit Materie Bringt man einen Körper in ein Magnetfeld, so tritt im Inneren des Körpers durch Wechselwirkung der Materie mit dem Feld eine Änderung der Induktion Baußen zu Binnen bzw. der Feldstärke Haußen zu Hinnen ein (Gl. 6). Diese Änderung kann positiv (Verstärkung, paramagnetische Stoffe) oder negativ sein (Schwächung, diamagnetische Stoffe). Zur Charakterisierung des Effekts wird die relative Änderung der Magnetfeldstärke, d.h. der Quotient des als „Magnetisierung“ bezeichneten Änderung M und der Feldstärke Haußen angegeben (Gl. 7, analog gilt: Hinnen = Haußen + M); diese Größe χwird als „ magnetische Suszeptibilität“ bezeichnet und in der Chemie üblicherweise auf die Menge 1 Mol bezogen. Die magnetische Suszeptibilität χ dia- und paramagnetischer Stoffe unterscheidet sich durch das Vorzeichen und die Temperaturabhängigkeit (Abb. 71). Für paramagnetische Stoffe gilt das Curie-Gesetz (Gl. 8). Treten im Festkörper sog. „Kooperative Effekte“, d.h. Wechselwirkungen der atomaren Spinsysteme auf, so gilt das Curie-Weiss-Gesetz (Gl. 9). Die Temperaturabhängigkeit der paramagnetischen Suszeptibilität ergibt sich der durch thermische Energie bewirkten Störung der Ausrichtung der magnetischen Momente im Magnetfeld. Abb. 71: Die Magnetische Suszeptibilität und ihre Temperaturabhängigkeit Die Gesamtsuszeptibilität eines paramagnetischen Stoffes setzt sich aus der Summe seiner diamagnetischen und paramagnetischen Suszeptibilität zusammen. Der Zusammenhang von paramagnetischer Suszeptibilität χ para und dem magnetischen Moment μ mag ergibt sich aus Gl. 10 (NA = Avogadro-Konstante, k = Boltzmann-Konstante). 132 Unterhalb der Temperatur TC, die für einen ferromagnetischen bzw. antiferromagnetischen Stoff eine Stoffkonstante bildet, tritt ein Ordnungsphänomen ein, das als kooperative Eigenschaft bezeichnet wird (Abb. 72). Im Falle des Ferromagnetismus (z.B. α-Fe, CrO 2) erfolgt im Bereich kleiner Bezirke (Domänen) durch direkte Wechselwirkung der paramagnetischen Atome eine parallele Orientierung ihrer Magnetisierung, die gegenüber dem ungeordneten Paramagnetismus zu einem signifikanten Anstieg der Suszeptibilität führt. Da die Domänen untereinander ungeordnet sind, wird keine makroskopische Magnetisierung beobachtet. Abb. 72: Kooperative Effekte der Magnetochemie Der Mechanismus der ferromagnetischen Kopplung ist unbekannt. Erfolgt die Kopplung nicht direkt, sondern über ein diamagnetisches Ion (z.B. O2), so erfolgt als Konsequenz der dem Pauli-Prinzip entsprechenden Elektronenverteilung im Anion unterhalb TC eine antiparallele Kopplung der Spinmomente für die benachbarten paramagnetischen Ionen (Superaustausch). Hierdurch wird bei tiefer Temperatur, d.h. starker Kopplung, die Magnetisierung der Einzelmomente vollständig kompensiert. Der Superaustausch ist winkelabhängig und erreicht seine größte Wirkung bei linearer Anordnung M(dz2 )-O(pz)-M’(dz2), z.B. in MnO, NiO. Im Falle des Ferrimagnetismus wird der im Ferromagnetismus beobachtete Effekt unterhalb der Neel-Temperatur TN durch die antiparallele Kopplung eines Teilgitters vermindert. So koppeln in Fe3O4 unterhalb TN die in unterschiedlichen Teilgittern (Oktaeder- und Tetraederplätze) befindlichen Ionen antiparallel, die in gleichen Teilgittern befindlichen jedoch parallel. Hierdurch kompensieren sich die magnetischen Momente der Fe3+-Ionen, während die der Fe2+ -Ionen, sämtlich auf Oktaederplätzen, parallel gekoppelt wirksam bleiben. Bei Temperaturen oberhalb TC bzw. TN bricht die Ordnung innerhalb der Domänen und somit der kooperierende Effekt zusammen; es liegt dann in allen Fällen reiner Paramagnetismus vor. Unter dem Einfluß starker Magnetfelder kann für ferromagnetische und ferrimagnetische Stoffe durch spinparallele Ausrichtung der Domänen eine makroskopische Magnetisierung erzwungen werden, die auch nach Abschaltung des Feldes partiell erhalten bleibt (Permanentmagnete). Der Zusammenhang zwischen Feldstärke H und Magnetisierung M, besser gesagt deren zeitliche Veränderung, wird durch die sog. Hysteresekurve beschrieben. Nach Zurückfahren des Magnetfeldes H auf 0 verbleibt eine Restmagnetisierung MR, die erst bei der Koerzitivfeldstärke –HC gelöscht wird. Technisch wertvolle Permanentmagnete besitzen hohe Werte für MR und HC. 133 18.2.5 Nichtstöchiometrische Verbindungen Die eingangs behandelten Gesetze der konstanten und multiplen Proportionen schreiben für chemische Verbindungen am Beispiel binärer Phasen die feste Zusammensetzung AmB n vor. Bei den d-Blockelementen kann es im Festkörper, bedingt durch dessen Aufbau und die relative Stabilität benachbarter Oxidationsstufen zu Abweichungen von diesen Regeln, zu einer sog. Phasenbreite etwa der Art Am+x Bn kommen. Wir wollen dieses Phänomen an zwei Beispielen betrachten. 1. FeO kristallisiert wie die meisten Metall+II-Oxide der d-Blockelemente im Steinsalztyp. Hierin ist das Metallzentrum von 6 Sauerstoffatomen in Art eines Oktaeders umgeben. Die Anionen erzeugen, wie die Wasserliganden des Komplexes [Fe(H2 O)6]2+ in Lösung, ein nur schwaches Kristallfeld. Zur Vermeidung der aufzubringenden Spinpaarungsenergie wird auch hier die Oxidation des Metallzentrums angestrebt. Anders jedoch als in wäss. Lösung ist hiermit, d.h. beim Übergang zu Fe2 O3 (Korund-Typ) ein Wechsel des Kristallgitters erforderlich. Durch die in geringem Umfang erfolgte Besetzung der Gitterplätze in FeO durch Fe3+ -Ionen müssen, zur Aufrechterhaltung der Elektroneutralität, Gitterplätze der Kationen unbesetzt bleiben. Die vorliegende nichtstöchiometrische Verbindung weist folglich die genannte Phasenbreite Fe0.85-0.95O auf. Eine weitere Anreicherung führt zur Umwandlung des Gittertyps in Richtung auf die Korundstruktur. 2. WO3 (d0 ) kristallisiert isomorph mit ReO3 (d1) in dem nach diesem benannten Gittertyp, der einen großen Hohlraum im Zentrum der Elementarzelle aufweist. Durch Einbau von Natriumatomen in diese Lücken (Übergang zur Perowskit-Struktur des CaTiO3 ) werden luftstabile Verbindungen der Phasenbreite Na0.3-1 WO3 erhalten, welche die Elektrische Leitfähigkeit von Metallen aufweisen. 18.2.6 Legierungen Metalle sind in flüssiger Phase meist unbegrenzt mischbar. In fester Phase trifft dies nicht in jedem Falle zu. Zur Beschreibung des Verhaltens beim Übergang von der Schmelze zum festen Zustand dienen Phasen- oder Schmelzdiagramme, in denen die Temperatur gegen den Molenbruch (bzw. eine andere Konzentrationseinheit des Systems) aufgetragen wird. Hierbei wird die Phasenübergangstemperatur (Schmelzpunkt) in Abhängigkeit von der Zusammensetzung als Kurve eingezeichnet (Abb. 73). Hier soll der einfache Fall von Zweikomponentensystemen unter Vernachlässigung des Drucks betrachtet werden. Abb. 73: Schmelzdiagramme I 134 Der denkbar einfachste Fall einer Geraden (oder Kurve) tritt aus thermodynamischen Gründen nicht auf; hier würde aus einer Schmelze beliebiger Zusammensetzung am Schmelzpunkt eine Phase gleicher Zusammensetzung auskristallisieren. Ebenso irreal ist ein System, in dem die Phasenübergangskurve mit dem Schmelzpunkt einer Komponente zusammentrifft; hier könnte eine Trennung der Komponenten durch einfache Auskristallisation der höher schmelzenden Komponente erfolgen. Grundsätzlich können für die feste Phase vier Fälle unterschieden werden (Abb. 74): Abb. 74: Schmelzdiagramme II 1. Vollständige Mischbarkeit Hier erfolgt die Bildung von sog. Substitutionsmischkristallen über den gesamten Konzentrationsbereich. Günstige Bedingung hierfür sind die isomorphe Kristallisation der Komponenten, die gleiche Valenzelektronenanordnung sowie eine vergleichbare Größe der Atome. Im System Ag/Au können, ausgehend von einer reinen Komponente, deren Atome schrittweise durch die andere Komponente ersetzt werden; hierbei werden in jedem Mischungsverhältnis Kristalle definierter Phase gebildet. Das Phasendiagramm enthält zwei Kurven (Solidusund Liquiduskurve), zwischen denen am Phasenübergangspunkt ein thermodynamisches Gleichgewicht zwischen Feststoff und Schmelze besteht. Eine vollständige Trennung der Komponenten durch Kristallisation ist nicht möglich; zur Anreicherung sind mehrere Kristallisationsschritte erforderlich. Solche Systeme werden auch als Feste Lösung bezeichnet. 2. Keine Mischbarkeit Hier unterbleibt die Bildung von Substitutionsmischkristallen. Am Phasenübergangspunkt kristallisiert eine reine Phase aus; hierdurch wird die zweite Phase in der Schmelze angereichert, deren Schmelzpunkt kontinuierlich absinkt. Am Eutektischen Punkt kristallisiert ein (mikrokristallines) Gemisch der beiden reinen Phasen, das als Eutektikum bezeichnet wird. Die Zusammensetzung des Eutektikums sowie seine Schmelztemperatur, die ein Minimum im System kennzeichnet, sind für das System konstante Größen. 3. Begrenzte Mischbarkeit Hier tritt in den Bereichen kleiner Konzentrationen die Bildung von Substitutionsmischkristallen ein. Es können folglich, ausgehend von einer reinen Komponente, bis zu einem Grenzwert im Austausch Atome der zweiten Komponente in das Kristallgitter eingebaut werden. 135 Im Bereich der mittleren Konzentrationen besteht eine Mischungslücke. In diesem Bereich kristallisieren die beiden festen Lösungen der Grenzkonzentrationen als Eutektikum. Dies ist beispielsweise im System Cu/Ag der Fall. 4. Verbindungsbildung Hier bildet sich aus beiden Komponenten eine Phase definierter Zusammensetzung, deren Schmelzpunkt ein lokales Maximum aufweist. Beim Abkühlen von Schmelzen abweichender Zusammensetzung kristallisiert die definierte Phase (Verbindung) bis zum Erreichen des Eutektischen Punktes. Hier kristallisiert ein Gemisch (Eutektikum) aus Verbindung und reiner Phase. Dieser Fall liegt im System Cu/Au vor; hier sind als definierte Phasen CuAu und Cu3 Au bekannt. Mit Phasendiagrammen wird auch das Schmelzverhalten von Mehrkomponentensystemen chemischer Verbindungen sowie der Phasenübergang von flüssiger zu gasförmiger Phase (vgl. E39) beschrieben. 18.3 Die Elemente des f-Blocks 18.3.1 Lanthanoide Die auf das Lanthan (6s2 5d1) im Periodensystem folgenden 14 Elemente (6s25d1 4f1-14) werden als Lanthanoide (La ist kein Lanthanoid, zeigt aber vergleichbare Eigenschaften!) bezeichnet. Anders als bei den dBlockelementen werden die hier zuletzt eingebauten f-Elektronen meist nicht zur Ausbildung chemischer Bindungen herangezogen. Die Lanthanoide weisen deshalb ein der Gruppe 3 (und somit der Gruppe 13) weitgehend analoges Verhalten auf. Sie bilden salzartig gebaute Verbindungen, in denen sie meist in der Oxidationsstufe +III (4f1-14) vorliegen. Als typisches Strukturmerkmal weisen diese Salze das Metallzentrum in Folge seiner Größe in hohen Koordinationszahlen auf, die das Strukturelement des dreifach überkappten trigonalen Prismas (KZ 9/3), beispielsweise in den Trihalogeniden von La bis Gd (UCl3-Typ, Abb. 75) enthalten. Abb. 75: Die Koordinationszahl 9 in Verbindungen der f-Blockelemente Die auch als „Seltene Erden“ bezeichneten Elemente kommen in der Natur, auf Grund ihrer vergleichbaren Größe und Eigenschaften, vergesellschaftet vor [z.B. im Monazit, (Ln,Th)PO4 ] und sind keineswegs selten; die Häufigkeit ist der von Zn und Pb vergleichbar. Hier überwiegen deutlich die Elemente der geraden Ordnungszahlen. Ihren Namen und, in früheren Zeiten, ihren hohen Preis verdanken die 136 Reinelemente den bei der Trennung durch fraktionierte Kristallisation auftretenden Problemen. Die 14 4f-Elemente lassen sich, entsprechend ihrer Stellung im Periodensystem, in 2 Gruppen vergleichbarer Spinanordnung (4f1-7 und 4f8-14) einteilen, die ein „Unterperiodensystem“ bilden (Abb. 76). Abb. 76: Das Periodensystem der Lanthanoide Von besonderer technischer Bedeutung ist hier das Element Gadolinium (Gd), das in seinen dreiwertigen Verbindungen (High-Spin) pro Ion 7 ungepaarte Elektronen aufweist. Entsprechend der relativen Stabilität unbesetzter, halbbesetzter bzw. vollständig besetzter 4f-Zustände treten die an den Rändern des Unterperiodensystems eingereihten Elemente Eu (4f6) und Yb (4f13) auch in reduzierend wirkenden Verbindungen der Oxidationsstufe +II auf, während sich für Ce (4f1 ) und Tb (4f8 ) oxidierend wirkende Verbindungen der Oxidationsstufe +IV finden. 18.3.2 Actinoide Da die auf das Wismut (Bi) im Periodensystem folgenden Elemente ausschließlich in Form bezüglich des Kernzerfalls instabiler Isotope vorliegen, treten auch die Actinoide nur als „radioaktive“ Elemente auf. Lediglich die natürlich vorkommenden Isotope 232 Th 235 U und 238U weisen zum Fortbestand seit dem „Urknall“ hinreichend große Halbwertszeiten 9 (τ – 1010 a) auf. Jedoch zeigen auch kerntechnisch im 1/2 = 10 Laboratorium erzeugte Radionuklide teilweise erhebliche Halbwertszeiten. Von Bedeutung ist insbesondere das durch seine „harte“ 4 Strahlung hochtoxische 239 Pu (τ 1/2 = 2.3 10 a). Auch Thorium und Uran sind recht häufige Elemente (vergleichbar Sn). Sie kommen in Form oxidischer Mineralien als Monazit (s.o.) und Uranpechblende (UO2) vor. Anders als bei den Lanthanoiden (4f) werden bei den Actinoiden die 5fElektronen an der Bindungsbildung beteiligt. Hierdurch erreichen Thorium und Uran jeweils die höchsten Oxidationsstufen +IV bzw. +VI. Wichtigste Verbindung hier ist das leicht flüchtige UF6 (Schmp. 64 °C), das zur Isotopentrennung mittels Gaszentrifugen verwendet wird. Thorium und Uran werden wegen ihrer hohen Dichte industriell erzeugt und genutzt. Die hauptsächliche Anwendung beider Elemente liegt jedoch in der durch Kernspaltung als Folge von Kettenprozessen bewirkten Energieerzeugung im zivilen und militärischen Sektor. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E37 Kernphysikalische Prozesse> 137 Wir hatten bereits erwähnt, dass Atomkerne ab einer bestimmten Masse freiwillig zerfallen. Dieser von Becquerel (1896) sowie Pierre und Marie Curie (1898) entdeckte Vorgang wird als Radioaktivität bezeichnet. Als stabiles Isotop höchster Masse tritt 209Bi auf. Der radioaktive Zerfall (Abb. 77) kann nach zwei Mechanismen erfolgen: dem α -Zerfall (Abspaltung von 42 He-Kernen) und dem β -Zerfall (Abspaltung von Elektronen aus dem Atomkern unter Umwandlung von Neutronen in Protonen). Hieraus entwickeln sich vielstufige Zerfallsreihen, die bei einem schweren stabilen Isotop enden. Beide Vorgänge sind mit einer Energiefreisetzung in Form kurzwelliger elektromagnetischer Strahlung (γ -Strahlung) verbunden. Abb. 77: Der Radioaktive Zerfall Der Zerfall erfolgt kinetisch nach einer Reaktion 1. Ordnung (ohne Zusammenstoß von Atomen!). Hieraus folgt eine konstante, für das -9 zerfallende Nuklid charakteristische Halbwertszeit τ 1/2, die zwischen 10 sec und 1014 a liegen kann. Zur Abschätzung der Gesundheitsgefährdung ist neben der Halbwertszeit das Ausmaß der Energiefreisetzung wichtig. Neben dem spontanen („freiwilligen“) Zerfall konnen radioaktive Isotope durch Einwirkung von langsamen Neutronen gespalten werden (Otto Hahn und Lise Meitner, 1938). Hierbei werden neben statistisch verteilten, d.h. nicht kontrollierbaren Bruchstücken weitere Neutronen sowie große Energiemengen (ca. 200 MeV pro Spaltung) freigesetzt (Abb. 78). Die unkontrollierte Reaktion führt als Kettenreaktion zur Explosion („Atombombe“). Durch Moderatoren (Graphit) können die freigesetzten „schnellen“ Neutronen jedoch abgebremst und hinsichtlich der Zahl kontrolliert werden, so dass eine gesteuerte Kettenreaktion in Kernreaktoren möglich wird. Zur Spaltung mit langsamen Neutronen sind die Isotope 239 Pu, 235 U und 233 U befähigt. Abb. 78: Kernspaltung und Kettenreaktion Die natürliche Häufigkeit des spaltbaren Isotops 235 U in Uran beträgt 0.7%. In Reaktoren wird „angereichertes Uran“ (ca. 3 % 235U) eingesetzt; „waffenfähiges Uran“ enthält mind. 60 % 235 U, die „Kritische Masse“ für reines 235U beträgt in Kugelform 23 kg). Als Nebenreaktion erfolgt aus 238 U die Bildung des hochgiftigen und leicht spaltbaren Isotops 239 Pu, das in den Spaltprozeß einbezogen werden kann („Brutreaktoren“). Als dritter möglicher Prozeß neben dem Kernzerfall und der Kernspaltung ist die Kernfusion zu nennen. Die Verschmelzung leichter Kerne liefert sehr große Energiemengen, benötigt jedoch eine hohe Anregungsenergie. 138 In Sternen wie der Sonne verläuft die Fusion von Wasserstoffkernen („Wasserstoffbrennen“) bei ca. 107 K. 4 11H → 4 2He + 2 e+ Pro Heliumkern wird hierbei eine Energie von 25 MeV freigesetzt. Die kontrollierte und kontinuierliche Fusion ist uns derzeit nicht möglich. Im militärischen Bereich („Wasserstoffbombe“) wird Lithiumdeuterid mit Neutronen beschossen; die hierfür erforderliche Temperatur wird durch das vorgeschaltete Zünden einer Atombombe erreicht. 6 3Li 2 1H + n → 3 1H + 4 2He 3 4 + 1H → 2 2He 19 Einführung in die Organische Chemie 19.1 Einleitung Auf die Sonderstellung des Elements Kohlenstoff wurde bereits an anderer Stelle (Kap. 15.2.1) hingewiesen. Zur Erinnerung sei sie nochmals begründet. 1. Auf Grund seiner Stellung in der Gruppe 4 erreicht der Kohlenstoff in vierbindiger Bindungssituation sein Oktett. 2. Als Element der 2. Periode (1. Achterperiode) unterliegt der Kohlenstoff nicht den Restriktionen der Doppelbindungsregel. 3. Der geringe Kovalenzradius führt zur Ausbildung thermodynamisch stabiler Bindungen mit Atomen vergleichbarer Größe, insbesondere mit dem Kohlenstoff selbst und dem Wasserstoff. 4. Die mittelgroße Elektronegativität von ca. 2.5 ermöglicht die Ausbildung wenig polarer und somit kinetisch stabiler Bindungen insbesondere mit dem Element Wasserstoff. 5. Das Fehlen verfügbarer leerer d-Orbitale erschwert den nukleophilen Angriff auf den Kohlenstoff und führt zu einer weiteren kinetischen Stabilisierung. 6. Die trotz mäßiger Häufigkeit weite Verbreitung des Elements als CO2 in der Atmosphäre ermöglicht den Aufbau einer variantenreichen Chemie. Hieraus resultiert eine Vielzahl chemischer Verbindungen von essentieller Bedeutung insbesondere für die Biosphäre. Die Eingrenzung der am Aufbau organischer Verbindungen beteiligter Elemente (außer Kohlenstoff und Wasserstoff finden sich in größerem Umfang Stickstoff, Sauerstoff, Schwefel sowie die Halogene als Bindungspartner) macht eine 139 von der Anorganischen Chemie abweichende Gliederung des Stoffes erforderlich. 19.2 Systematik organischer Verbindungen 19.2.1 Das Kohlenstoffgerüst Organische Verbindungen lassen sich in Stoffklassen und Unterklassen, die durch das Kohlenstoffgerüst bestimmt werden, einteilen. Als erstes Sortierungskriterium dient hierbei die Gliederung in azyklische und zyklische Verbindungen (Abb. 79). Abb. 79: Systematik organischer Verbindungen I Die azyklischen Verbindungen lassen sich in bezüglich der C-CBindungen gesättigte und ungesättigte Verbindungen unterteilen. Bei den zyklischen Verbindungen wird zwischen Carbozyklen und Heterozyklen unterschieden. Bei den ungesättigten azyklischen Verbindungen lassen sich solche mit CC-Doppelbindung (Alkene bzw. Olefine) und C-C-Dreifachbindung (Alkine bzw. Acetylene) unterscheiden. Die Alizyklen können gleichfalls C-C-Doppelbindungen (Cycloalkene) bzw. C-C-Dreifachbindungen (Cycloalkine) enthalten. Eine besondere Klasse bilden die polyzyklischen Verbindungen, in denen über ein Brückenkohlenstoffatom zwei Ringfragmente verknüpft sind (Abb. 80). Abb. 80: Systematik organischer Verbindungen II Aromatische Ringsysteme sind durch durchgehend konjugierte Doppelbindungen der Elektronenzahl 2n+2 (Hückel-Regel, vgl. Kap. 19.4.4) gekennzeichnet. Sie können gleichfalls Heteroatome enthalten (Abb. 81). Abb. 81: Systematik organischer Verbindungen III 19.2.2 Funktionelle Gruppen In diesen Verbindungen können einzelne Wasserstoffatome durch sog. Funktionelle Gruppen ausgetauscht werden (Abb. 82). Auch die Funktionellen Gruppen bestimmen durch die an ihnen erfolgenden chemischen Reaktionen sowie durch ihre Beeinflussung benachbarter Bindungen wesentlich die chemischen Eigenschaften organischer Verbindungen. Abb. 82: Funktionelle Gruppen der Organischen Chemie 140 19.2.3 Nomenklatur Viele organische Verbindungen tragen sog. Trivialnamen, teils aus historischen Gründen (z.B. „Benzol“), teils da eine systematische Benennung bei komplexen Verbindungen (z.B. bei Naturstoffen wie „Fructose“) unhandliche Bezeichnungen mit sich brächte. Die IUPAC („International Union for Pure and Applied Chemistry“) hat verbindliche Regeln zur Bennenung organischer Moleküle aufgestellt, die jedoch im Alltagsgebrauch häufig umgangen werden. Dennoch sollen sie hier kurz skizziert werden. Jede Verbindung ist fiktiv aus einem Stamm-Molekül CmH n aufgebaut, das rational benannt wird; Mehrfachbindungen, Funktionelle Gruppen und Heteroatome werden unter Angabe der Position vorangestellt bzw. eingefügt. Für die Stammsysteme gilt: Alkane CmH2m+2 werden, folgend auf die trivial bezeichneten Methan Ethan, Propan, Butan (m = 1-4) mit ihren griechischen Zahlenwerten benannt: C5 H12 = Pentan, C6 H14 = Hexan, C7 H16 = Heptan usw.; zur Unterscheidung von verzweigten Verbindungen werden geradkettige Alkane mit dem Präfix n- versehen, also z.B. n-Hexan. Cyclische Alkane CmH2m werden mit dem Präfix cyclo- versehen, also z.B. Cyclohexan. Ungesättigte Alkane werden mit dem Suffix –en (Alkene) bzw. –in (Alkine) unter Angabe der Stellung versehen: z.B. Cyclohexen, Buta-1,3dien, Pent-2-in, Cyclohexa-1,4-dien usw.; die Numerierung erfolgt nach dem Prinzip der kleinstmöglichen Zahlenwerte. Bei Olefinen muß zwischen der cis- und trans-Anordnung der Substituenten an der Doppelbindung unterschieden werden: z.B. cis-Pent-2-en, trans-Pent-2-en. Für verzweigte Alkane wird die längstmögliche Kette gebildet und als Alkan bezeichnet; die Verzweigungen bildenden Seitenketten werden als Substituenten (Methyl-, Pentyl-, Cyclohexyl- usw.) benannt und in alphabetischer Folge der Stammverbindung vorangestellt: z.B. 2Methylpentan (nicht 4-Methylpentan!), Methylcyclohexan, 2-Ethyl-4methylnonan. In Cycloalkanen muß die relative Orientierung der Substituenten angegeben werden: z.B. syn-1,2-Dimethylcyclohexan, anti1,2-Dimethylcyclohexan. Heterozyklen werden meist mit ihren (historischen) Trivialnamen bezeichnet). Ihre systematische Bezeichnung (vgl. Kap. 19.4.5) sowie die sehr komplexe Namensfindung spirozyklischer Verbindungen sollen hier nicht abgehandelt werden. Die Angabe von Substituenten (Abb. 83 und 84) an der Stammverbindung erfolgt in alphabetischer Folge unter Anwendung des o.gen. Numerierungsschemas: z.B. 3-Chlorhexan, Bromethylen, trans-1,2Dichlorethylen, 3-Chlortoluol (= 3-Chlor-1-methylbenzol) usw. Abb. 83: Benennung von Substituenten in der organischen Nomenklatur I 141 Abb. 84: Bebennung von Substituenten in der organischen Nomenklatur II 19.3 Die organisch-chemische Reaktion 19.3.1 Reaktionskoordinaten und Reaktionsverlauf Die in Kap.8 besprochenen Grundlagen der Physikalischen Chemie (Thermodynamik und Kinetik) sind auch für organisch-chemische Reaktionen verbindlich. Endergonische Reaktionen (ΔG>0) liegen gem. der Gleichung (n= Molzahl, R = Gaskonstante, T = Temperatur [K], K = Gleichgewichtskonstante) ΔG = -n∙ R∙ T∙ lnK bei auf der Seite der Edukte liegenden Gleichgewichtsreaktionen vor; nachfolgend kann eine Gleichgewichtsverschiebung (Entfernen der Primärprodukte bspw. durch Ausfällen oder Folgereaktionen) eintreten (Abb. 85). Abb. 85: Reaktionskoordinaten Die in der organischen Chemie übliche Unterscheidung zwischen thermodynamischer und kinetischer Produktkontrolle bezieht sich auf den Vergleich der Werte von ΔG bzw. ΔG≠ bei Parallelreaktionen: im Falle |ΔG 1| > |ΔG2 | tritt thermodynamische, im Falle |ΔG1# | > |ΔG2# | kinetische Produktkontrolle ein. Dies heißt, dass sich im letzteren Falle das weniger stabile Produkt schneller bildet. Da alle Reaktionen Gleichgewichte bilden, sind bei hinreichend langer Reaktionsdauer alle Reaktionen thermodynamisch kontrolliert. Wegen der in vielen Fällen vergleichsweise geringen Energieunterschiede von Parallelreakionen bezüglich ΔG und ΔG≠ entstehen jedoch häufig Produktgemische, die komplexe, hier nicht zu besprechende Trennverfahren nach sich ziehen. Auf der Reaktionskoordinate unterscheidet die Organische Chemie zwischen („hypothetischen“, d.h. nicht beobachtbaren) Übergangszuständen als Maxima auf der Reaktionskoordinate und Zwischenstufen endlicher, meist geringer Lebensdauer, die in Einzelfällen mit spektroskopischen Methoden nachgewiesen werden können. Die Beschaffenheit der Übergangszustände (ΔG≠) hängt mit dem Reaktionsmechanismus zusammen. Dieser, und somit der Verlauf der Reaktion, kann durch die Wahl der Reaktionsbedingungen (Temperatur, Konzentration, Lösungsmittel u.a.) beeinflusst werden. 19.3.2 Klassifizierung von Reaktionen 19.3.2.1 Allgemeines Die Reaktionen der Organischen Chemie lassen sich nach verschiedenen Kriterien ordnen. Sämtlichen Einteilungen haftet eine gewisse Willkür 142 und somit auch ein begrenzter Nutzen an. Die nahe liegende Sortierung nach Reaktionen am Kohlenwasserstoff-Grundgerüst oder an Funktionellen Gruppen ist wenig hilfreich und in vielen Fällen mehrdeutig (vgl. z.B. die Hydrierung von Nitrilen R-C≡N zu Aminen R-CH2 -NH2 ). Deshalb erfolgt die Einteilung meist auf der Grundlage (allerdings nicht immer gesicherter) Reaktionsmechanismen. Darüber hinaus lässt sich verlässlich zwischen Additionen, Eliminierungen und Substitutionen unterscheiden. 19.3.2.2 Additionsreaktionen Bei Additionsreaktionen werden reaktive Komponenten X-Y (z.B. H2, Cl2 , HCl) an Mehrfachbindungen addiert. Dies können grundsätzlich sowohl C-C- wie auch sonstige Mehrfachbindungen sein. Hier stellt sich häufig die Frage nach der Regioselektivität trans-R1(H)C=C(H)R2 + HCl → R1H2C-CH(Cl)R2 oder 1 2 R (Cl)HC-CH 2R und der Stereoselektivität R(H)C=C(H)R + Cl2 → R(H)ClC-CCl(H)R oder R(H)ClC-CH(Cl)R Für die Konstitution der Produkte sind mechanistische Gegebenheiten, beispielsweise die Frage nach synchroner (gleichzeitige Bildung der Bindungen C-X bzw. C-Y) oder stufenweiser (aufeinander folgende Bildung der Bindungen C-X bzw. C-Y) Addition sowie homolytischer bzw. heterolytischer Spaltung der Bindung X-Y von entscheidender Bedeutung (Abb. 86). Für die Regioselektivität wichtig ist die relative Stabilität von Zwischenstufen: so addieren beispielsweise Säuren HX an die olefinische Doppelbindung unter Bildung des stabileren CarbeniumIons (Regel von Markownikow). Abb. 86: Additionsreaktionen 19.3.2.3 Eliminierungsreaktionen Eliminierungsreaktionen stellen die Umkehrung der Additionsreaktionen dar. Auch hier sind, wie an einem Beispiel (Abb. 87) erläutert, mechanistische und sterische Aspekte zur regio- und Stereoselektivität und somit zur Produktbildung essentiell. Abb. 87: Eliminierungsreaktionen 143 19.3.2.4 Substitutionsreaktionen Man unterscheidet die drei Fälle der radikalischen, nukleophilen und elektrophilen Substitution. Die Bezeichnung bezieht sich auf die Natur des das organische Molekül angreifenden Reaktionspartners. Bei der nukleophilen Substitution attackieren also Lewis-Basen, bei der elektrophilen Substitution Lewis-Säuren (vgl. E32). In beiden Fällen ist die Kenntnis mechanistischer Abläufe zum Verständnis der Reaktion wesentlich (Abb. 88 und 89). a) Die nukleophile Substitution kann nach einem Mechanismus 1. Ordnung (SN 1) oder 2. Ordnung (SN2) verlaufen. Im ersten Fall wird im ersten geschwindigkeitsbestimmenden (also langsamsten) Schritt als Zwischenstufe ein planares Carbenium-Ion gebildet, das im 2. Schritt statistisch von beiden Seiten vom eintretenden Nukleophil attackiert wird. Im zweiten Fall erfolgen Eintritt des attackierenden Nukleophils und Austritt der Abgangsgruppe simultan unter Bildung eines fünfbindigen Übergangszustandes. S N1-reaktionen werden durch Verwendung polarer, d.h. die ionische Zwischenstufe stabilisierende Solventien gefördert. Die Zuordnung ist von Bedeutung in der enantioselektiven Synthese (s.u.). b) Die elektrophile Substitution erfolgt regelmäßig beim Austausch von Wasserstoff-Substituenten in aromatischen Verbindungen (FriedelCrafts-Reaktionen). Hier ist meist die Aktivierung des elektrophilen Reaktionspartners durch einen Lewis-aziden Katalysator erforderlich. Die als Übergangszustände formulierten Wheland-Komplexe sind in Fällen hochnukleophlier Aromaten als Zwischenstufen nachweisbar, in Einzelfällen isolierbar. Abb. 88: Die nukleophile Substitution Die radikalische Substitution soll hier nicht näher behandelt werden. 19.3.3 Nachbargruppeneffekte In Nachbarschaft zum Reaktionszentrum befindliche Funktionelle Gruppen können die chemischen Eigenschaften des Reaktionszentrums beeinflussen. Allgemein wird unterschieden zwischen der Einflussnahme auf σ- und π -Bindungen in Form induktiver (I) und mesomerer (M) Effekte sowie der Richtung der Ladungsverschiebung (+ steht für elektronenschiebende, - für elektronenziehende Effekte). In der „klassischen“ Organischen Chemie sind mit dem Kohlenstoff Substituenten höherer Elektronegativität (N > 2.5) verbunden. Der hierdurch bewirkte –I-Effekt vermag benachbarte Bindungen stark zu polarisieren. So liegt der pKS-Wert von (NC)3C-H durch die hohe Gruppenelektronegativität der Cyanogruppe (ca. 3.3) bei ca. -8 (!). +I144 Effekte treten in der Organischen Chemie meist in Zusammenhang mit Kohlenstoff-Metall-Bindungen (vgl. Kap. 19.5.3) auf. Mesomere Effekte spielen eine bedeutende Rolle bei der Stabilisierung ionischer Zwischenstufen; sie können sich durch Konjugation über mehrere Bindungen erstrecken. Ein anschauliches und wichtiges Beispiel liefert der Einfluß von Substituenten auf die Aktivierung und Steuerung der Elektrophilen Aromatischen Substitution (Abb. 89). Abb. 89 Substituenten mit +M-Effekt (z.B. NH 2) in Benzolderivaten aktivieren den Austausch von Wasserstoffatomen gegen Halogenatome in ortho- und para-Stellung, während Substituenten mit –M-Effekt (z.B. NO2 ) den Austausch (im Vergleich mit Benzol selbst) deaktivieren und in metaStellung dirigieren. Zu den Substituenten mit +M-Effekt können über den Begriff der Hyperkonjugation auch Alkylgruppen gerechnet werden. + H-CH2-C ↔ H CH2=C - Gleichfalls als Nachbargruppeneffekt angesehen werden kann die sterische Abschirmung eines Reaktionszentrums durch eine benachbarte voluminöse Gruppe, die den Angruff eines Reaktanden auf das Reaktionszentrum be- oder verhindert. Dies kann in Zusammenhang mit der Regio- und Stereoselektivität einer Reaktion eine bedeutende Rolle spielen. 19.4 Ausgewählte Substanzklassen Nachfolgend wird ein Einblick Substanzklassen gegeben. in die Chemie ausgewählter 19.4.1 Alkane und Cycloalkane Alkane (CmH2m+2) kommen in der Natur umfangreich als Bestandteile fossiler Brennstoffe (z.B. Erdöl) vor. Sie können hieraus durch Destillation gewonnen werden, jedoch ist die Trennung ab der Einheit C5 problematisch. Einen gezielten Aufbau im Labor ermöglicht beispielsweise die Würtz-Reaktion: 2 R-Br + 2 Na → R-R + 2 NaBr Beim Aufbau der Ketten ist die relative Anordnung der Fragmente zu beachten (Abb. 90). Von den denkbaren Anordnungen ist die gestaffelte Anordnung die energetisch günstigste. Abb. 90: Stereochemie der Alkane 145 Alkane sind chemisch inert und reagieren selbst mit Chlor nur bei photolytischer oder thermischer Anregung. Thermisch (T < 100 °C) lassen sie sich in andere Alkane bzw. (unter Abspaltung von Wasserstoff) Alkene spalten (Crack-Prozeß). 2 CH3CH2 CH2CH3 + Cl2 → 2 ClCH2 CH2CH2 CH3 + 2 HCl 2 CH4 + Cl2 → 2 CH3Cl + 2 HCl (analog CH2 Cl2 , CHCl3 , CCl4 ) 2 CH3CH2 CH2CH3 → CH3CH3 + CH 3CH2 CH2CH2 CH2CH3 CH3CH2 CH2CH3 → CH3CH=CHCH 3 + H2 Ein volkswirtschaftlich wichtiger Vorgang ist die Verbrennung zur Erzeugung von Wärme. 2 CH3CH2 CH2CH3 + 13 O2 → 8 CO2 + 10 H2O Cycloalkane (CmH 2m) verhalten sich im Bereich mittlerer Ringgrößen (m = 5-7) ähnlich. Die relative Instabilität hiervon abweichender Ringgrößen hängt mit dem Problem des Bindungswinkels C-C-C (sp3 entspr. 109 °) zusammen. Die Ringe sind (bis auf C3H6 ) gewellt gebaut; in Cyclohexan ist die Sesselform die stabilste Anordnung. In den kleinen Ringen liegen für die C-C-Bindungen keine „klassischen“ σ-Bindungen vor (Abb. 91). Abb. 91: Stereochemie der Cycloalkane 19.4.2 Alkene Alkene („Olefine“) enthalten wenigstens eine C-C-Doppelbindung, die aus jeweils einer σ- und π-Bindung zusammengesetzt sind (vgl. E17). Bedingt durch die sp2 -Hybridisierung des Kohlenstoffs ligen die beiden C-Atome und die hiermit verbundenen vier weiteren Atome in einer Ebene; Ethylen bildet somit ein planares Molekül, in dem die Wasserstoffatome paarweise zueinender cis- und trans-ständig sind. Ethylene werden technisch durch das bereits erwähnte Crack-Verfahren aus den im Erdöl bzw. Erdgas enthaltenen Alkanen gewonnen. Zur gezielten Synthese eignet sich auch die zuvor besprochene HXAbspaltung (1,2-Eliminierung) aus Alkanen (X = Halogen). Wichtigstes Olefin ist das Ethylen (H2C=CH2, Sdp. -103 °C), das technisch in großem Umfang durch Crack-Prozesse, gezielt am besten durch thermische Dehydrierung von Ethan gewonnen wird. Im Labormaßstab lässt es sich durch Abspaltung von Wasser aus Ethanol erhalten. Eine Übersicht über die technisch bedeutsamen Reaktionen des Ethylens, die zugleich repräsentativ für die Chemie der Monoolefine sind, gibt Abb. 92. 146 Abb. 92: Ausgewählte Reaktionen des Ethylens Bei Di- bzw. Polyolefinen unterscheidet man zwischen solchen mit isolierten (z.B. Hexa-1,5-dien), kumulierten (z.B. Allen = Propa-1,2-dien) und konjugierten (z.B. Buta-1,3-dien) Doppelbindungen. In der Konjugation weisen die Doppelbindungen besondere, aus dem MOSchema der π -Orbitale (Abb. 93) erklärliche Eigenschaften auf, die sich beispielsweise in interessanten Zyklisierungsreaktionen nierderschlagen (Abb. 94). Abb. 93: MO-Schema der π -Orbitale des Buta-1,3-diens Abb. 94: Ausgewählte Reaktionen des Buta-1,3-diens 19.4.3 Alkine Etwa analog zur Situation im Distickstoffmolekül können zwei Kohlenstoffatome auch durch eine Dreifachbindung (Kombination aus einer σ- und zwei π -Bindungen, vgl. E17) verbunden werden. Wegen der hierin vorliegenden sp-Hybridisierung der Kohlenstoffatome bilden die Atome der an die Dreifachbindung gebundenen Atome mit diesen eine lineare Anordnung. Wichtigstes Alkin ist das Acetylen (HC≡CH, Sdp. -83 °C), das wegen der relativ hohen Elektronegativität des sp-Kohlenstoffs (EN = 3.3) bereits deutlich sauer reagiert und Metallsalze („Acetylide“) bildet. Früher wurde Acetylen durch Hydrolyse von Calciumacetylid („Calciumcarbid“) hergestellt. Heute wird es durch katalytische Dehydrierung von Methan im Lichtbogen bei 1400 °C oder durch katalytische Dehydrierung von Ethylen gewonnen. CaC2 + 2 H2O → HC≡CH + Ca(OH) 2 2 CH4 → HC≡CH + 3 H2 H2 C=CH2 → HC≡CH + H2 Acetylen gehört zu den wichtigsten Grundchemikalien der organischen Synthesechemie (Abb. 95). Abb. 95: Ausgewählte Reaktionen des Acetylens Wegen seiner hohen Verbrennungswärme wird es auch zum autogenen Schweißen verwendet. 2 HC≡CH + 5 O2 → 4 CO2 + 2 H2O (ΔH = -622 kcal mol-1 ) 147 19.4.4 Arene Die auch als “Aromaten” bezeichneten Verbindungen gehören sämtlich einer Verbindungsklasse mit cyclisch koniugierten Doppelbindungen an, in denen 4n + 2 (n = 0,1,2,3,…) π-Elektronen über das gesamte Ringsystem delokalisiert sind. Diesem Kriterium genügt neben dem Benzol das Cyclopentadienid-Ion, nicht aber das Cyclobutadien und das Cyclooctateraen(Abb. 96). Abb. 96: Resonanzformeln zyklisch delokalisierter π -Elektronen Die Stabilität ergibt sich, am Beispiel des Benzols, aus dem MO-Schema der π -Elektronen (Abb. 97), während für das antiaromatische Cyclooctatetraen eine nichtplanare Struktur resultiert (Abb. 98). Abb. 97: MO-Schema der π -Elektronen des Benzols Abb. 98: MO-Schema der π -Elektronen des Cyclooctatetraens Wichtigster Vertreter dieser Verbindungsklasse ist das Benzol (Schmp. 6 °C, Sdp. 80 °C). Benzol kann durch katalytische Trimerisierung von Acetylen hergestellt werden, wird heute jedoch meist durch katalytische Dehydrierung von Kohlenwasserstoffen (Methylcyclopentan/Cyclohexan) an Cr2 O3 -Kontakten gewonnen. Die chemischen Eigenschaften des Benzols ergeben sich aus dem bereits besprochenen Reaktionsverlauf der elektrophilen aromatischen Substitution (vgl. Kap. 19.3.2.4), der den Aufbau zahlreicher substituierter Derivate gestattet (Abb. 99). Im Gegensatz zum Toluol ist Benzol wegen der durch Oxidation gebildeten Peroxid-Radikale toxisch. Abb. 99: Übersicht der Reaktionen des Benzols Die Präsenz elektronenziehender Substituenten ermöglicht jedoch auch Reaktionen nach dem Muster der nukleophilen aromatischen Substitution (Abb. 100). So bildet sich durch Umsetzung von 1,2,4,5-Tetrachlorbenzol mit NaOH das hochgiftige 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin („Dioxin“). Abb. 100: Die nukleophile aromatische Substitution Gleichfalls hochtoxisch sind benzannelierte Aromaten („Kondensierte Aromaten“), die im Steinkohlenteer zugegen sind (Abb. 101). Abb. 101: Kondensierte Aromaten xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E38 Arbeitssicherheit und Toxizität> 148 Beim Umgang mit Chemikalien sind rechtlich kodifizierte Sicherheitsvorschriften zu beachten, die beispielsweise in der Anleitung „Sicheres Arbeiten in chemischen Laboratorien“ niedergelegt sind. Diese enthält neben allgemeinen Angaben eine Auflistung der Einstufung von Chemikalien nach ihrem Gefährdungspotential, die laufend aktualisiert wird und unter der Internetadresse http://www.unituebingen.de/Chemie/Chemie/Sicheres_Arbeiten_in_chemischen_Laboratorien.pdf zugänglich ist. Die relative Toxizität ergibt sich aus den MAK- bzw. TRK-Werten der Chemikalien. Die allgemeinen Gefahrensymbole sowie die Risikoangaben und Sicherheitsratschläge (R- und S-Sätze) finden sich zudem auf den Etiketten der im Handel vertriebenen Präparate sowie in den Katalogen der Vertreiber (Abb. 102 und 103). Abb. 102: Gefahrstoffsymbole Abb. 103: MAK- und TRK-Werte Ohne dokumentierte Sicherheitsbelehrung darf in chemischen Laboratorien (also auch in Praktika!) nicht gearbeitet werden. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 19.4.5 Heterozyklen Heterozyklen sind carbozyklische Verbindungen, in denen einzelne CH2oder CH-Fragmente formal gegen Heteroatome (meist N,O,S) oder deren Fragmente (z.B. NH) ausgetauscht sind. Heterozyklen tragen meist Trivialnamen, die allgemein akzeptiert werden Die wichtigsten sind, wie auch die Aromaten, aus fünf- oder sechsgliedrigen Ringsystemen aufgebaut. Auch annelierte bizyklische Systeme sind häufig (Abb. 104). Abb. 104: Heterozyklen (Heteroarene) Jedoch existiert auch eine systematische Nomenklatur, die Ringgröße, Art und Stellung des Heteroatoms sowie den formalen Hydrierungsgrad berücksichtigt (Abb. 105). Abb. 105: Nomenklatur der Heterozyklen Innerhalb dieser Substanzklasse sind die formal aromatischen Verbindungen („Heteroarene“), die hier ausschließlich besprochen werden, von besonderer Bedeutung. Furan (Sdp. 31 °C) wird technisch aus Furfuraldehyd gewonnen; die Synthese kann als Beispiel für die gezielte Aufarbeitung von Naturstoffen, 149 hier unter Ringschluß, dienen (Abb. 106). Das als Lösungsmittel wichtige Tetrahydrofuran, ein zyklischer Ether, wird dort besprochen. Abb. 106: Synthese von Furan Thiophen (Sdp. 80 °C) tritt als Begleiter des Benzols im Steinkohlenteer auf und ist hiervon schwer abzutrennen. Die gezielte Synthese erfolgt durch Umsetzung von Buta-1,3-dien mit Schwefel bei 650 °C. Pyrrol (Sdp. 130 °C), gleichfalls Bestandteil des Steinkohlenteers, wird gezielt durch Umsetzung von Furan mit Ammoniak (Austausch der Heteroatome im Ring unter Ringöffnung) gewonnen. Pyridin (Sdp. 115 °C), ebenfalls Bestandteil des Steinkohlenteers, wird heute technisch durch Reaktion vom Acetylen mit Ammoniak erhalten. Alle genannten Heteroarene zeigen die für Arene typische Elektrophile Aromatische Substitution (Kap. 19.3.2.4), wodurch zahlreiche Derivate zugänglich sind (jedoch sind auch spezielle Zyklisierungsreaktionen gebräuchlich). Die Reaktivität der Verbindungen lässt sich, analog der Interpretation der Elektrophilen Aromatischen Substitution, aus den möglichen Resonanzformeln ableiten. Am Beispiel des Vergleichs von Pyrrol („elektronenreicher Heteroaromat“) und Pyridin („elektronenarmer Heteroaromat“) wird die Verwandtschaft zu Anilin („Aminobenzol“) und Nitrobenzol deutlich (Abb. 107). Man beachte, dass das freie Elektronenpaar am Stickstoffatom im Falle des Pyrrols im pz-Orbital platziert und somit Bestandteil des aromatischen π-Systems ist, während es im Falle des Pyridins dem in der Ringebene liegenden sp 2Hybridorbital zugehört. Hieraus resultiert für das Pyrrol eine beträchtliche π -Basizität, für das Pyridin hingegen eine mittelstarke σ-Basizität. Abb. 107: Delokalisierung der π-Elektronen in Pyrrol und Pyridin Heteroaromaten spielen als Bestandteile vieler Naturstoffe und Pharmaka eine herausragende Rolle in der Biochemie. 19.4.6 Alkohole Alkohole, R-OH, sind geringfügig stärker sauer als Wasser. Zu ihrer Darstellung existieren zahlreiche Methoden (Abb. 108). Abb. 108: Synthese von Alkoholen Die chemischen Reaktionen können eingeteilt werden in solche unter Spaltung der C-O-Bindung und der O-H-Bindung. Die Einwirkung von Säuren erzeugt, je nach Reaktionsbedingungen, verschiedene Produkte (Abb. 109). 150 Abb. 109: Reaktionen von Alkoholen Wichtige Vertreter sind Methanol (Sdp. 65 °C, „Holzgeist“), Ethanol (Sdp. 79 °C, „Weingeist“) und Phenol (Schmp. 43 °C), die früher aus Naturstoffen gewonnen wurden („alkoholische Gärung“). Heute wird Methanol technisch durch Hydrierung von Kohlenmonoxid unter Druck mittels ZnO/Cr2 O3-Katalysator gewonnen, während Ethanol durch katalytische Addition von Wasser an Ethylen erhalten wird. CO + 2 H2 → CH3OH H2 C=CH2 + H2O → CH3CH 2OH xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E39 Siedediagramme> Zur destillativen Trennung von Flüssigkeiten sind die Siedediagramme zu beachten, die den gleichen Gesetzmäßigkeiten der zuvor besprochenen Schmelzdiagramme (vgl. Kap. 18.2.6) unterliegen (Abb. 110). Die den Phasenübergang beschreibenden Gleichgewichtskurven zwischen flüssiger und gasförmiger Phase werden hier als Siede- und Taukurve bezeichnet. In der Gasphase liegt immer vollständige Mischbarkeit vor. Bei der destillativen Trennung handelt es sich, wie hier besprochen, meist um auch in der flüssigen Phase vollständig mischbare Systeme. Beim Übergang von der flüssigen Phase zur Gasphase am Siedepunkt stehen beide Phasen mit unterschiedlicher Zusammensetzung im Gleichgewicht. Die Zahl der Isothermen wird als „Theoretische Bodenzahl“ bezeichnet und gibt die Anzahl der erforderlichen Destillationsvorgänge zur (angenähert) vollständigen Trennung an. Berühren sich Siede- und Taukurve an einem Minimum (Azeotroper Punkt), so ist eine vollständige Trennung der Komponenten durch Destillation nicht möglich. Dies ist beispielsweise beim System Wasser/Ethanol der Fall (ein Gemisch aus 95.6 Massen% Ethanol und 4.4 Massen% Wasser siedet bei 78.20 °C) Abb. 110: Siedediagramme und Destillation Wichtige mehrwertige Alkohole sind Ethylenglykol HO-CH2-CH 2-OH (Sdp. 197 °C, Gefrierschutz), und Glycerin HO-CH 2-CH2 (OH)-CH 2-OH (Sdp. 290 °C, Bestandteil von Fetten, vgl. Kap. 19.5.2.1). 19.4.7 Ether Ether, R-O-R’, werden durch Umsetzung von Alkoholen mit Säuren oder durch Reaktion von Alkoholaten mit Alkylhalogeniden erhalten. 151 2 R-OH → R-O-R + H2O R-ONa + R’Cl → R-O-R’ + NaCl Bekannteste Verbindung dieser Substanzklasse ist der früher als Narkotikum verwendete, mit Wasser nicht mischbare Diethylether (Sdp. 34 °C). In der industriellen Verwendung bedeutsam als Lösungsmittel sind die mit Wasser mischbaren cyclischen Ether Tetrahydrofuran (Sdp. 66 °C) und 1,4-Dioxan (Sdp. 101 °C). Oxiran (Sdp. 14 °C, „Ethylenoxid“) besitzt beträchtliche Bedeutung in der organischen Synthese. Polyfunktionelle Ether bilden sehr stabile gut lösliche Metallkomplexe; durch Zugabe stöchiometrischer Mengen von 18-Krone-6 läßt sich beispielsweise Kaliumchlorid in Benzol auflösen (Abb. 111). Abb. 111: Zyklische Ether Ether bilden beim Stehen an Luft Peroxide, die zu heftigen Explosionen führen können. 19.4.8 Amine und Nitroverbindungen Amine R-NH2 und Nitroverbindungen R-NO2 lassen sich durch Redoxprozesse ineinander überführen. Amine zeigen, wie Ammoniak, basisches Verhalten; man unterscheidet primäre Amine (RNH2 ), sekundäre Amine (R2NH) und tertiäre Amine (R3N). Nitroverbindungen reagieren durch den –I- und –M-Effekt der NO2Gruppe sauer; CH3 NO2 (Nitromethan) weist einen pKS-Wert von 10.2, Dinitromethan gar von 3.6 auf (man beachte die Resonanzstabilisierung der Anionen). Wegen der hochtoxischen Eigenschaften der als Verunreinigung gegenwärtigen Nitrosoverbindungen (R-NO) wie auch der explosiven Eigenschaften mancher Derivate (Trinitrotoluol wird als Sprengstoff verwendet) ist beim Umgang mit Nitroverbindungen Vorsicht geboten. 19.4.9 Aldehyde und Ketone Aldehyde R-C(=O)H und Ketone R-C(=O)R’ enthalten als funktionelle Gruppe die reaktive Carbonylgruppe, deren chemische Eigenschaften durch das Resonanzgleichgewicht verständlich werden. Neben der induktiv verursachten Polarität der Gruppe ist die auf dem Nachbargruppeneffekt beruhende Aktivierung der β-CH-Bindung zu beachten. (Abb. 112). Abb. 112: Resonanz und Tautomerie in Carbonylverbindungen 152 Abb. 113 gibt einen Überblick über die vielfältigen Synthesemöglichkeiten. In Abb. 114 sind wichtige Reaktionen der Substanzklassen zusammengefäßt. Abb. 113: Synthese von Carbonylverbindungen Abb. 114: Reaktionen von Carbonylverbindungen Bekanntestes Keton ist das nicht toxische Aceton CH3 C(=O)CH3 (Sdp. 56 °C), das durch katalytische Oxidation von Propen oder durch Dehydrierung von Isopropanol gewonnen wird. 2 CH3C(H)=CH2 + O2 → 2 CH 3C(=O)CH3 2 CH3CH(OH)CH3 + O2 → 2 CH3C(=O)CH3 + 2 H2O Aceton findet wegen seiner guten Lösungseigenschaften in der Chemie wie im Haushalt (z.B. als Nagellackentferner) weite Verwendung. 19.4.10 Carbonsäuren und ihre Derivate Carbonsäuren R-C(=O)OH unterscheiden sich von den Ketonen durch Austausch eines Organosubstituenten R gegen eine Hydroxygruppe (Abb. 115). Deren +M-Effekt schwächt die Elektrophilie des zentralen Kohlenstoffatoms. Abb. 115: Carbonsäuren und ihre Derivate Die Resonanzstabilisierung des Anions bewirkt die sauren Eigenschaften der Carbonsäuren , die durch Nachbargruppeneffekte stark beeinflusst werden (Abb. 116). Abb. 116: Säurestärke von Carbonsäuren Methoden zur Herstellung der Carbonsäuren sind in Abb. 117 angegeben. Abb. 117 enthält die wichtigsten Reaktionen zur Überführung in ihre Derivate. Abb. 117: Darstellung von Carbonsäuren Abb. 118: Überführung der Carbonsäuren in ihre Derivate Wichtige Carbonsäuren sind die Essigsäure CH3 C(=O)OH (Schmp. 17 °C, Sdp. 118 °C) sowie die Benzoesäure C6H5 C(=O)OH (Schmp. 122 °C, Sdp. 250 °C),die in technischem Maßstab durch katalytische Umsetzung von Methanol und Kohlenmonoxid bzw. durch Oxidation von Toluol gewonnen werden. 153 CH3OH + CO → CH3C(=O)OH 2 C6 H5CH 3 + 3 O2 → 2 C6 H5C(=O)OH + 2 H2O Gleichfalls den Derivaten der Carbonsäuren zugerechnet werden die Nitrile R-C≡N wegen der hier für den zentralen Kohlenstoff gleichfalls vorliegenden Oxidationszahl +III. Sie können durch Wasserabspaltung der zugehörigen Carbonsäureamide oder durch Umsetzung der zugehörigen Alkylhalogenide mit Cyaniden gewonnen werden. R-C(=O)NH2 → R-C≡N + H2O R-Cl + NaCN → R-C≡N + NaCl Nitrile lassen sich bei höheren Temperaturen mit Wasser in die zugehörigen Carbonsäuren überführen und mit Wasserstoff zu primären Aminen reduzieren. R-C≡N + 2 H2 O → R-C(=O)OH + NH3 R-C≡N + 2 H2 → R-CH2-NH 2 Wichtigste Verbindung der Substanzklasse ist das aus Ammoniak und Acetylen zugängliche Acetonitril (Sdp. 82 °C). HC≡CH + NH3 → CH 3-C≡N + H2 19.5 Spezielle Kapitel der Organischen Chemie Abschließend werden ausgewählte Kapitel der Organischen Chemie behandelt. 19.5.1 Hochmolekulare Stoffe Wegen ihrer besonderen Eigenschaften spielen Hochmolekulare Stoffe („Polymere“) in der Natur (z.B. Cellulose, Stärke, Proteine) wie auch in der Technik (Kunststoffe) eine herausragende Rolle. Die in diesem Abschnitt zu besprechenden technischen, d.h. nicht natürlich vorkommenden Stoffe werden durch die Art ihrer Bildung, die Beschaffenheit ihrer funktionellen Gruppen sowie durch die durchschnittliche Molekülmasse charakterisiert. Durchschnittliche Molekülmassen von 50000-100000 sind gebräuchlich. Abb. 119 gibt einen Überblick über funktionelle Gruppen natürlicher und technischer Makromoleküle. Man unterscheidet zwischen Polymerisaten, Polykondensaten und Polyaddukten; die Bildungsweise steht naturgemäß in direktem Zusammenhang mit den funktionellen Gruppen der monomeren Edukte. 154 Abb. 119: Arten hochmolekularer Stoffe 19.5.1.1 Polymerisate Bei der Polymerisation treten Einzelmoleküle mit Mehrfachbindungen (meist C-C-Doppelbindungen) unter wechselseitiger Addition zu Makromolekülen zusammen. Je nach kinetischer Stabilität der Mehrfachbindung ist hierzu eine Anregungsenergie wechselnder Höhe durch Katalyse aufzubringen. Die Eigenschaften des hochmolekularen Stoffes werden durch die Regio- und Stereoselektivität der Addition beeinflusst. Abb. 120 zeigt als Beispiele den Mechanismus der Styrolund Ethylenpolymerisation sowie , für den Fall des Polystyrols, die durch hinsichtlich der Stereoselektivität verschiedene Additionen erhaltenen Konfigurationsisomeren (zur Frage der Chiralität vgl. Kap.???). Abb. 120: Reaktionsverlauf der Polymerisation von Styrol und Ethylen. Die möglichen Konfigurationen von Polystyrol Abb. 121 enthält Beispiele technischer Polymerisate. Abb. 121: Beispiele technisch wichtiger Polymerisate 19.5.1.2 Polykondensate Bei der Polykondensation reagieren funktionelle Gruppen verschiedener Edukte im Sinne einer Substitutionsreaktion unter Eliminierung stabiler Moleküle (meist Wasser oder HCl) und Bildung des Polykondensats. Meist ist hierzu kein Katalysator erforderlich. Abb. 122 zeigt den Reaktionsverlauf am Beispiel der Polycarbonate und Polyamide. Abb. 122: Reaktionsverlauf der Polykondensation zu Polycarbonaten Und Polyamiden Abb. 123 enthält Beispiele technischer Polykondensate. Abb. 123: Beispiele wichtiger Polykondensate 19.5.1.3 Polyaddukte Polyaddukte weisen keinen einheitlichen Bildungsmechanismus auf. Sie unterscheiden sich von den zuvor besprochenen Polykondensaten durch den Fortfall des bei der Kondensation gebildeten Spaltprodukts (z.B. H2O, HCl). Allgemein addieren hier Hydroxy-Gruppen an Doppelbindungen oder, unter Ringöffnung, an gespannte Ringsysteme. Klassische und technisch wichtige Beispiele sind die Epoxidharze und die Polyurethane, deren Bildung in Abb. 124 wiedergegeben ist. 155 Abb. 124: Reaktionsverlauf der Bildung von Polyaddukten (Epoxydharze und Polyurethane) 19.5.2 Naturstoffe 19.5.2.1 Fette Fette sind Mischungen aus Glycerinestern verschiedener Fettsäuren mit 12-20 C-Atomen. Sie dienen im Organismus zur Energieerzeugung, als Depotsubstanzen, zur Wärmeisolierung und zur Umhüllung von Organen (Abb. 125). Abb. 125: Fettsäuren und Fette Durch Basen können die Ester zu Glycerin und den Salzen der Fettsäuren („Seifen“) gespalten werden („Verseifung“). Ungesättigte Fettsäuren erzeugen Fette niedriger Schmelztemperatur (Öle), die durch Hydrierung „gehärtet“ werden können (Margarineherstellung). 19.5.2.2 Kohlehydrate Die auch als „Saccharide“ bezeichneten Substanzen verdanken ihren Namen der häufig anzutreffenden Zusammensetzung C(H2O)n ; aus struktureller Sicht handelt es sich um mehrwertige Alkohole, deren strukturelle Gegebenheiten am Beispiel der Glucose erläutert werden (Abb. 126). Abb. 126: Strukturen der Glucose Meist liegen die Verbindungen als fünf- oder sechsgliedrige Ringe („Halbacetal-Form“) vor. In der offenen wie auch ringförmigen Struktur liegen mehrere „asymmetrische“ Kohlenstoffatome vor, die Chiralität erzeugen (vgl. E40). Die Einteilung der Monosaccharide erfolgt nach der Anzahl der Kohlenstoffatome (Pentose, Hexose u.a.), des Vorliegens von Aldehyd- bzw. Ketonfunktionen in der offenkettigen Form (Aldosen bzw. Ketosen) sowie der Zahl der ringständigen Atome in der Halbacetalform (Pyranose, Furanose). Man unterteilt weiterhin die Saccharide (Abb. 127) in Monosaccharide (s.o.), Disaccharide (z.B. Rohrzucker) und Polysaccharide (z.B. Cellulose, Stärke). Abb. 127: Strukturen der Fructose. Di- und Oligosaccharide Auch Kohlehydrate sind Energiespeicher. Zum Abbau im Organismus müssen in Olisacchariden die Etherbindungen gespalten werden; dies ist 156 beispielsweise im menschlichen Organismus bei der Cellulose nicht möglich. 19.5.2.3 Aminosäuren und Proteine Die dritte Gruppe der als Nährstoffe wichtigen Substanzen, auch als „Eiweißstoffe“ bezeichnet, ist als Polyamid (Polykondensat, Molmasse > 10000) aufzufassen. Bausteine sind natürlich vorkommende α Aminosäuren (Abb. 128), die über sog. Peptidbindungen“ verknüpft sind (Abb. 129). Abb. 128: Natürlich vorkommende neutrale Aminosäuren Abb. 129: Zwitterionische Struktur der Aminosäuren und Peptidbildung Abgesehen von Glycin („α -Aminoessigsäure“) enthalten allse Aminosäuren ein „asymmetrischer Kohlenstoffatom“, d.h. ein Kohlenstoffatom mit 4 verschiedenen Substituenten. Verbindungen dieses Bauelements treten als „Enantiomerenpaar“ auf; die Enantiomeren verhalten sich wie Bild und Spiegelbild, sie können ohne Lösung von Bindungen nicht ineinander überführt werden. Enantiomere haben gleiche physikalische und chemische Eigenschaften ausgenommen ihre Befähigung, die Ebene des polarisierten Lichtes um den Winkel αbzw- -α zu drehen (Abb. 130). Enthält ein Molekül mehrere asymmetrische Kohlenstoffatome, so bilden sich Diastereomerenpaare, deren zugehörige Verbindungen sich nun chemisch uns physikalisch unterscheiden. Dies wird am Beispiel der Weinsäure deutlich (Abb. 131). Abb. 130: Chiralität. Enantiomere und Diastereomere Die Fähigkeit einer Verbindung, Enantiomerenpaare zu bilden, bezeichnet man als Chiralität („Händigkeit“). Sie ist eine Symmetrieeigenschaft der Moleküls, für deren Vorliegen die Präsenz von asymmetrischen Kohlenstoffatomen weder hinreichend noch notwendig ist (Abb. 131). So sind Hexahelicen wegen der sterisch erzwungenen Nicht-Planarität des Moleküls und die 6,6’-Dinitrodiphensäure wegen der gleichfalls sterisch bedingten Hinderung der Rotation um die zentrale C-C-Bindung chiral, während in der meso-Weinsäure sich die Wirkung der beiden Chiralitätszentren durch Bildung eines Inversionszentrums aufhebt. Abb. 131: Strukturen der o,o’-tetrasubstituierten Biphenyle, des Hexahelicens und der Weinsäure xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E40 Symmetrie und Chiralität> 157 Der Begriff der Chiralität ist an die formale Symmetrie gebunden und wird von ihr definiert. Die Symmetrielehre der Moleküle unterscheidet sich in einigen Punkten von der der Festkörper, die in Raumgruppen eingeordnet werden. Auf die Unterschiede soll zum Verständnis kurz eingegangen werden. Das Symmetriesymbol der Raumgruppen enthält neben der Angabe des Bravais-Typs („Zentrierung“) Angaben zur Punktgruppensymmetrie (Drehung, Spiegelung, Inversion, Drehinversion), die in manchen Fällen durch die sog. „Translationssymmetrie“ (Schraubenachsen, Gleitspiegelebenen) ergänzt werden. In der Symmetriebetrachtung der Moleküle entfällt die Zentrierung wie auch die Translationssymmetrie; die verbleibende Punktgruppensymmetrie erzeugt auch hier im Zusammenwirken der einzelnen Operationen einen lagekonstanten Punkt, der nicht mit einer Atomlage besetzt sein muß. Zur Symmetriebeschreibung der Moleküle wird an Stelle der HermannMauguin-Symbolik aus historischen Gründen die Schönflies-Symbolik verwendet. Die Drehinversion der Hermann-Mauguin-Symbolik wird durch die Drehspiegelung der Schönflies-Symbolik ersetzt; beide Operationen sind durch die Drehung entlang der Drehinversions- bzw. Drehspiegelachse um 180 ° (2 bzw. C2) verbunden. Bei der Betrachtung von Molekülen sind Drehachsen mit ganzzahliger Zähligkeit (n = 1-∞) unbeschränkt zulässig, das das Kriterium der Raumerfüllung entfällt. Auf die exakte gruppentheoretische Betrachtung der Symmetrielehre soll hier verzichtet werden. Abb. 132 gibt einen Überblick über die Symmetrieoperationen beider Systeme. Abb. 132: Symmetrieelemente und Operationen Grundsätzlich lassen sich (hier in der Schönflies-Systematik formuliert) alle Symmetrieoperationen in zwei Gruppen einteilen: a) Drehungen Cn (incl. C1 = E) b) Drehspiegelungen Sn (incl. σ= S1 und i = S2) Hieraus resultieren hinsichtlich ihrer Symmetrie drei Klassen von Substanzen: 1. Asymmetrische Substanzen (nur C1) 2. Dissymmetrische Substanzen (nur Cn , n > 1) 3. Symmetrische Substanzen (Sn , n = 1-∞). Asymmetrische und dissymmetrische Substanzen sind chiral und können Enantiomeren- bzw. Diastereomerenpaare bilden. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Die am Aufbau natürlicher Proteine beteiligten Aminosäuren liegen als LEnantiomere vor. 158 Die Struktur der helixartig gebauten Proteine lässt sich durch gestaffelte Strukturhierarchien (Primärstruktur, Sekundärstruktur ..) beschreiben (Abb. 133). Abb. 133: Aufbau und Struktur von Proteinen Die Helices (Abb. 134) sind zueinander diastereoisomer (rechts- und linksgängige Schraube aus L-Enantiomeren der Aminosäuren!). Die rechstgängige Helix ist stabiler und liegt in natürlichen Proteinen vor. Abb. 134: Schematische Darstellung der beiden möglichen Formen einer Helix aus L-Aminosäuren 19.5.3 Metallorganische Verbindungen 19.5.3.1 Übersicht Organische Verbindungen enthlaten, abgesehen von Wasserstoff und dem Kohlenstoff selbst, kovalente Element-Kohlenstoff-Bindungen mit Elementen, die gegenüber dem Kohlenstoff eine höhere Elektronegativität aufweisen und somit den Kohlenstoff als formal positiven Bindungspartner enthalten (Cδ+-E δ-). Verbindungen inverser Polarisierung werden, ungeachtet des elementaren Zustandes von M (Metall, Halbmetall, Nichtmetall) als Metallorganische Verbindungen (Mδ+-Cδ-; M ≠C,H) bezeichnet. Ihrer Polarisierung entsprechend bilden sich bei der Hydrolyse solcher Verbindungen Kohlenwasserstoffe und Element-Hydroxide. Die Verbrennung liefert Elementoxide, Wasser und Kohlendioxid (R = z.B. CH3 , M = Li). CH3-Li + H2 O → CH3 -H + Li-OH 4 CH3-Li + 8 O2 → 4 CO2 + 6 H2 O + 2 Li 2O Wegen der hohen Stabilität der Reaktionsprodukte CO2 und H2O sind alle metallorganischen Verbindungen gegenüber Luft thermodynamisch instabil. Viele zersetzen sich deshalb spontan an Luft, andere können in Folge ihrer kinetischen Stabilität an Luft gehandhabt oder gar unbegrenzt gelagert werden. 19.5.3.2 Metallorganische Verbindungen der Hauptgruppenelemente Fast alle Verbindungen dieser Klasse enthalten Element-KohlenstoffEinfachbindungen (σ-Bindungen). Die als Kunststoffe (Silikone) wichtigen Verbindungen des Siliziums, die kinetisch stabile Si-CBindungen enthalten, wurden bereits besprochen (Kap. 15.3.6). 159 Trotz der vergleichbaren Bindungsenergie der Bindungen Si-C und Al-C weisen die technisch gleichfalls wichtigen Verbindungen des Aluminiums gänzlich anders geartete chemische Eigenschaften auf. Während Tetramethylsilan, Si(CH3 )4, sich mit Wasser nicht mischt, tritt beim Kontakt von Trimethylalan, Al(CH3 )3 , mit Wasser explosionsartige Zersetzung ein. Die Reaktion wird durch den nukleophilen Angriff des Wassermoleküls auf das leere pz-Orbital des Aluminiums (niedrige Aktivierungsenergie) eingeleitet. Beim Silizium ist hierzu die Beteiligung energetisch hochliegender leerer d-Orbitale erforderlich. Bei hinreichend hoher Elektronegativitätsdifferenz der Elemente M und C können auch salzartige Strukturen (z.B. Ionengitter in K+CH 3-) ausgebildet werden. 19.5.3.3 Metallorganische Verbindungen der Nebengruppenelemente Fast alle Verbindungen dieser Klasse sind Komplexverbindungen. Hierin treten die organischen Substrate formal als Liganden, die mit dem Metallzentrum über Kohlenstoffatome verbunden sind, auf. Häufig gehorchen hierbei stabile Verbindungen der 18-Elektronen-Regel. Die organischen „Liganden“ lassen sich verschiedenen Klassen zuordnen: a) Carbanionen (R-) b) Neutrale C-Donorliganden (z.B. CO) c) Olefine und Oligoolefine (z.B. H2C=CH2 , C6H 6) d) Negativ geladene („anionische“) Olefine (z.B. C3H5 -, C5 H5-) Darüber hinaus lässt sich eine Einteilung der Komplexverbindungen an Hand der Bindung C-M vornehmen. Hier unterscheidet man a) M-C σ -Donorbindungen (d.h. aus σ -Orbitalen der Liganden) b) M-C σ -Donor/π -Akzeptorbindungen c) M-C π -Donor/π -Akzeptorbindungen Beispiele für die Liganden sind in Abb. 135 wiedergegeben. Abb. 135: Metallorganische Verbindungen der Nebengruppenelemente Die besondere Bedeutung der Metallorganischen Komplexverbindung beruht auf ihrer Verwendung als homogene Katalysatoren in der organischen Synthesechemie. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx <E41 Katalyse II> Metallkomplexe liegen als Katalysatoren einer organischen Reaktion meist in Lösung, also in gleicher Phase wie die Reaktanden vor („Homogene Katalyse“). In einer solchen Reaktion tritt ein zu aktivierendes Molekül als Komplexligand in den Metallkomplex ein und wird in der Koordinationssphäre in Fole seiner Aktivierung (Schwächung der 160 Element-Element-Bindung im Liganden) und räumlichen Fixierung bevorzugt mit einem Reaktionspartner zur Reaktion gebracht. Danach erfolgt Ablösung des Zielmoleküls unter Wiederherstellung des metallorganischen Ausgangskomplexes. Das Prinzip wird an der Wirkungsweise des sog. „WilkinsonKatalysators“ deutlich. Abb. 136 xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx 161