Allgemeine und Anorganische Experimentalchemie

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Allgemeine und Anorganische Experimentalchemie
für Studierende der Physik, Geowissenschaften
und des Lehramts Chemie (Beifach)
Inhaltsverzeichnis:
Chemie für Physiker und Geowissenschaftler
1 Einleitung
1.1 Organisation
1.2 Hörerkreis
1.3 Literatur
2 Definitionen
2.1 Nachbarfächer
2.2 Chemie
3 Chemische Stoffe
3.1 Phasen und Gemische
3.2 Trennmethoden
4 Atombau I
4.1 Aufbau des Atoms
4.2 Aufbau der Elektronenhülle
5 Das Periodensystem der Elemente
5.1 Historisches
<E1 Anmerkungen zur Chemiegeschichte>
5.2 Der Aufbau des Periodensystems
6 Die Elemente der Gruppe 18 (Edelgase)
6.1 Allgemeines
<E2 Ionisierungsenergie und Elektronenaffinität>
<E3 Atomradien>
6.2 Eigenschaften
6.3 Vorkommen, Gewinnung, Verwendung
7 Der Wasserstoff
7.1 Allgemeines
<E4 Die Atombindung I>
7.2 Vorkommen, Gewinnung, Eigenschaften, Verwendung
<E5 Isotope>
8 Die Chemische Reaktion
8.1 Allgemeines
8.2, Der Molbegriff; Mengen und Konzentrationen
8.3 Thermodynamik
1
8.4 Kinetik
8.5 Stöchiometrie
9 Die Elemente der Gruppe 17 (Halogene)
9.1 Allgemeines
9.2 Verbindungen mit Wasserstoff
<E6 Das Chemische Gleichgewicht>
<E7 Brönstedt-Säuren und –Basen>
<E8 Die Elektronegativität>
<E9 Die Wasserstoffbrückenbindung>
9.3 Interhalogen-Verbindungen
<E10 Räumliche Orientierung der Bindungen und Hybridisierung>
<E11 Das VSEPR-Modell>
9.4 Verbindungen mit Edelgasen
10 Die Elemente der Gruppe 1 (Alkalimetalle)
10.1 Allgemeines
<E12 Die Metallische Bindung I>
10.2 Vorkommen, Eigenschaften, Verwendung
10.3 Verbindungen mit Wasserstoff
<E13 Die Ionenbindung I>
<E14 Oxidationszahlen und Redoxreaktionen>
10.4 Verbindungen mit Halogenen
<E15 Die Elektrolyse>
<E16 Die Ionenbindung II>
11 Die Elemente der Gruppe 16 (Chalkogene)
11.1 Allgemeines
11.2 Sauerstoff
11.2.1 Das Element
<E17 Die Atombindung II>
<E18 Die Atombindung III>
<E19 Einige Begriffe der Atombindung im Rückblick>
11.2.2 Verbindungen mit Wasserstoff
<E20 Der pH-Wert>
<E21 Das Redox-Potential>
11.2.3 Verbindungen mit Edelgasen
11.2.4 Verbindungen mit Halogenen
11.2.5 Halogensauerstoffsäuren
<E22 Komproportionierung und Disproportionierung>
<E23 Anhydride und Säurehalogenide>
11.2.6 Verbindungen mit Alkalimetallen
11.2.7 Hydroxide
11.3 Schwefel, Selen, Tellur
11.3.1 Die Elemente
<E24 Die Doppelbindungsregel>
11.3.2 Verbindungen mit Wasserstoff
11.3.3 Verbindungen mit Halogenen
2
11.3.4 Verbindungen mit Alkalimetallen
11.3.5 Verbindungen mit Sauerstoff
11.3.6 Chalkogensauerstoffsäuren und Säurehalogenide
<E25 Katalyse I>
12 Die Elemente der Gruppe 2 (Erdalkalimetalle)
12.1 Allgemeines
<E26 Die Metallische Bindung II>
12.2 Beryllium
<E27 Komplexverbindungen I>
12.3 Magnesium, Calcium, Strontium, Barium, Radium
<E28 Löslichkeit und Löslichkeitsprodukt>
13 Die Elemente der Gruppe 15 (Pnikogene)
13.1 Allgemeines
13.2 Stickstoff
13.2.1 Das Element
13.2.2 Verbindungen mit Wasserstoff
13.2.3 Verbindungen mit Halogenen
13.2.4 Verbindungen mit Alkali- und Erdalkalimetallen
13.2.5 Verbindungen mit Sauerstoff
13.2.6 Stickstoff-Sauerstoffsäuren und Säurehalogenide
13.3 Phosphor, Arsen, Antimon, Wismut
13.3.1 Die Elemente
13.3.2 Verbindungen mit Wasserstoff
13.3.3 Verbindungen mit Halogenen
13.3.4 Verbindungen mit Sauerstoff
13.3.5 Element-Sauerstoffsäuren
14 Die Elemente der Gruppe 13 (Erdmetalle)
14.1 Allgemeines
14.2 Bor
14.2.1 Das Element
14.2.2 Verbindungen mit Wasserstoff
<E29 Die Atombindung IV>
14.2.3 Verbindungen mit Halogenen
<E30 Die Atombindung V>
14.2.4 Verbindungen mit Sauerstoff, Sauerstoffsäuren
14.2.5 Verbindungen mit Stickstoff
<E31 Das Isoelektronische Konzept>
14.2.6 Komplexverbindungen
<E32 Lewis-Säuren und –Basen>
14.3 Aluminium, Gallium, Indium
14.3.1 Die Elemente
14.3.2 Verbindungen des Aluminiums mit Wasserstoff
14.3.3 Verbindungen des Aluminiums mit Halogenen
14.3.4 Verbindungen des Aluminiums mit Sauerstoff
14.3.5 Verbindungen des Galliums und Indiums
14.4 Thallium
<E33 Der Effekt des Inerten Paares>
3
15 Die Elemente der Gruppe 14 (Kohlenstoff-Gruppe)
15.1 Allgemeines
15.2 Der Kohlenstoff
15.2.1 Die Sonderstellung des Kohlenstoffs
15.2.2 Das Element
15.2.3 Berbindungen mit Halogenen
15.2.4 Verbindungen mit Sauerstoff
15.2.5 Verbindungen mit Stickstoff
15.2.6 Carbide
15.3 Silizium, Germanium
15.3.1 Die Elemente
15.3.2 Verbindungen mit Wasserstoff
15.3.3 Verbindungen mit Halogenen
15.3.4 Verbindungen mit Sauerstoff
<E34 Glas>
15.3.5 Sauerstoffsäuren und Silikate
15.3.6 Verbindungen mit Kohlenstoff
15.4 Zinn, Blei
15.4.1 Die Elemente
15.4.2 Verbindungen der vierwertigen Elemente
15.4.3 Verbindungen der zweiwertigen Elemente
16 Die Hauptgruppenelemente im Überblick
16.1 Oxidationszahlen
16.2 Azidität
16.3 Bindungsarten
16.4 Stabilitätskriterien
17 Atombau II
17.1 Das Bohr’sche Atommodell
17.2 Die Emissionsspektren des Wasserstoffs
17.3 Die Unschärferelation
17.4 Das wellenmechanische Atommodell
18 Die Elemente der Nebengruppen
18.1 Allgemeines
18.2 Die Elemente des d-Blocks
18.2.1 Das Periodensystem der d-Blockelemente
18.2.2 Die d-Blockelemente in wässriger Lösung
<E35 Komplexverbindungen II>
18.2.3 Halogenide der d-Blockelemente
18.2.4 Oxide der d-Blockelemente
<E36 Magnetochemie>
18.2.5 Nichtstöchiometrische Verbindungen
18.2.6 Legierungen
18.3 Die Elemente des f-Blocks
18.3.1 Lanthanoide
18.3.2 Actinoide
<E37 Kernphysikalische Prozesse>
19 Einführung in die Organische Chemie
4
19.1 Einleitung
19.2 Systematik organischer Verbindungen
19.2.1 Das Kohlenstoffgerüst
19.2.2 Funktionelle Gruppen
19.2.3 Nomenklatur
19.3 Die organisch-chemische Reaktion
19.3.1 Reaktionskoordinaten und Reaktionsverlauf
19.3.2 Klassifizierung von Reaktionen
19.3.2.1 Allgemeines
19.3.2.2 Additionsreaktionen
19.3.2.3 Eliminierungsreaktionen
19.3.2.4 Substitutionsreaktionen
19.3.3 Nachbargruppeneffekte
19.4 Ausgewählte Substanzklassen
19.4.1 Alkane und Cycloalkane
19.4.2 Alkene
19.4.3 Alkine
19.4.4 Arene
<E38 Arbeitssicherheit und Toxizität>
19.4.5 Heterozyklen
19.4.6 Alkohole
<E39 Siedediagramme>
19.4.7 Ether
19.4.8 Amine und Nitroverbindungen
19.4.9 Aldehyde und Ketone
19.4.10 Carbonsäuren und ihre Derivate
19.5 Spezielle Kapitel der Organischen Chemie
19.5.1 Hochmolekulare Stoffe
19.5.1.1 Polymerisate
19.5.1.2 Polykondensate
19.5.1.3 Polyaddukte
19.5.2 Naturstoffe
19.5.2.1 Fette
19.5.2.2 Kohlehydrate
19.5.2.3 Aminosäuren und Proteine
<E40 Symmetrie und Chiralität>
19.5.3 Metallorganische Verbindungen
19.5.3.1 Übersicht
19.5.3.2 Verbindungen der Hauptgruppenelemente
19.5.3.3 Verbindungen der Nebengruppenelemente
<E41 Katalyse II>
5
1 Einleitung
1.1 Organisation
Die Vorlesung findet im Pflichtteil (3 SWS) jeweils Mo 12-13 Uhr
(Hörsaal N5) und Do 10-12 Uhr (Hörsaal N5) statt. Hinzu tritt ergänzend
im Umfang von 1 SWS eine Experimentalvorlesung (Di 14-15 Uhr,
Hörsaal N5, Termine nach Ankündigung). Der Inhalt des Pflichtteils ist
Gegenstand der die Vorlesung abschließenden Prüfung.
Sprechstunde: nach der Vorlesung bzw. nach Vereinbarung
(Tel. 29 76218, E-mail: [email protected])
1.2 Hörerkreis
Die Vorlesung wendet sich an Studierende der Studiengänge Physik
(Diplom), Geowissenschaften (Diplom, B.Sc.) und Biologie (Lehramt
ohne Beifach Chemie). Gäste anderer Studienrichtungen sind willkommen.
1.3 Literatur
Zur Ergänzung der Vorlesung und zum Selbststudium werden empfohlen:
C. E. Mortimer, U. Müller
Chemie
Georg Thieme, Stuttgart
E. Riedel*
Anorganische Chemie
Walter de Gruyter, Berlin
M. Schmidt*
Anorganische Chemie (Band 1)
BI Hochschultaschenbücher, Mannheim
R. Demuth, F. Kober*
Grundlagen der Komplexchemie
Salle + Sauerländer, Frankfurt a.M.
E. Breitmaier, G. Jung*
Organische Chemie
Georg Thieme, Stuttgart
W. Strähle
Allgemeine und Anorganische Experimentalchemie
http://casgm3.anorg.chemie.uni-tuebingen.de/akkuhn/Abb/grundvorlesung.pdf
6
N. Kuhn
Allgemeine und Anorganische Experimentalchemie
http://casgm3.anorg.chemie.uni-tuebingen.de/akkuhn/experimentalchemie.pdf
*im Leihbestand der UB Tübingen (Außenstelle Morgenstelle)
2 Definitionen
2.1 Nachbarfächer
Mathematik:
Lehre von den Zahlen
Physik:
Lehre von den Kräften
Biologie:
Lehre vom Leben
Geologie:
Lehre von der Erde
2.2 Chemie
Chemie:
Lehre von den Stoffen
Die Chemie ist die Lehre von der Materie, ihrem Aufbau, ihren
Eigenschaften und ihrer Umwandlung. Aus in der Tradition
verankerten organisatorischen Gründen unterscheidet man zwischen
den Teilgebieten
Organische Chemie (Stoffchemie der Kohlenwasserstoffe)
Anorganische Chemie (sonstige Stoffchemie)
Physikalische Chemie (Anwendung physikalischer Methoden auf
chemische Fragestellungen)
Theoretische Chemie (Bearbeitung chemischer Fragestellungen mit
Rechenmethoden)
Biochemie (Chemie des Lebens)
Geochemie (Bearbeitung geologischer Fragestellungen mit
chemischen Methoden)
u.a.m.
Die Teilgebiete „Anorganische Chemie“ und „Organische Chemie“
lassen sich in die Bereiche
Synthese (Herstellung von Stoffen)
Analyse (Charakterisierung von Stoffen)
Reaktionen (Chemisches Verhalten von Stoffen)
gliedern.
3 Chemische Stoffe
3.1 Phasen und Gemische
Jede Materie ist aus chemischen Bestandteilen aufgebaut. Man spricht
daher von Chemischen Systemen. Diese können heterogen, d.h. aus
Komponenten mit verschiedenen physikalischen und chemischen Eigenschaften aufgebaut sein, oder homogen sein; in diesem Falle haben sie
7
durchgehend identische Eigenscnaften. Homogene Systeme können
Lösungen oder Reine Stoffe sein. Reine Stoffe wiederum lassen sich
Atomsorten) oder Elemente (Moleküle bzw. Atome nur einer Atomsorte)
(Abb. 1).
Abb. 1: Chemische Stoffe
3.2 Trennmethoden
Heterogene Systeme und Lösungen lassen sich unter Ausnutzung ihrer
verschiedenen physikalischen Eigenschaften in die zu Grunde liegenden
Reinen Stoffe auftrennen. Hierbei handelt es sich um physikalische
Vorgänge, da chemische Bindungen weder gespalten noch geknüpft
werden. Die Überführung der Reinen Stoffe hingegen in die zu Grunde
liegenden Atome gelingt nur unter Durchführung Chemischer Reaktionen.
Die Auftrennung von Heterogenen Systemen oder Lösungen kann jedoch
auch den Einsatz chemischer Reaktionen erfordern, wenn sich die
Komponenten hinsichtlich ihrer physikalischen Eigenschaften nur
geringfügig unterscheiden. Allerdings wird hierbei wenigstens eine der
Komponenten in eine andere chemische Verbindung überführt.
Tab. 1 gibt Beispiele der Eigenschaftsunterschiede und der verwendeten
Methoden
Tab. 1: Trennmethoden
4 Atombau I
4.1 Aufbau des Atoms
Im vorstehenden Kapitel haben wir erfahren, dass Materie (Chemische
Systeme) aus Molekülen aufgebaut ist, die wiederum durch Verknüpfung
von Atomen (Chemische Bindung, Atombindung) gebildet werden. Das
Knüpfen und Lösen solcher Bindungen bezeichnet man als Chemische
Reaktion. Demgegenüber ist die Spaltung und Verschmelzung von
Atomen ein physikalischer Vorgang der später besprochen werden soll
(vgl. E37). Zum Verständnis der Chemischen Bindung, mithin der
Chemischen Reaktion, benötigen wir jedoch eine zunächst stark vereinfachte Kenntnis des Aufbaus der Atome.
Atome bestehen aus einem Kern (zusammengesetzt aus Protonen und
Neutronen), sowie einer Hülle aus Elektronen. Aus diesen drei
Elementarteilchen (Tab. 2) ist die gesamte Materie aufgebaut. Es ist
ersichtlich, dass sich die Masse des Atoms im Kern konzentriert, der
jedoch ein sehr geringes Volumen aufweist. Die Ausdehnung des Atoms
wird von der Elektronenhülle bestimmt.
Tab. 2: Bausteine der Atome
8
Die Kernbausteime sind angenähert massengleich, unterscheiden sich
jedoch hinsichtlich der elektrischen Ladung. Das Proton (p+) trägt eine
positive elektrische Elementarladung, während das Neutron (nto)
ungeladen ist.
Dem Elektron (e-) kommt die negative elektrische Elementarladung zu. In
einem Atom ist die Zahl der Protonen im Kern gleich der Zahl der
Elektronen in der Elektronenhülle, so dass sich die elektrischen Ladungen
kompensieren und das Atom insgesamt ungeladen, d.h. elektroneutral ist.
Die chemischen Eigenschaften eines Atoms werden von der Zahl der
Elektronen in der Elektronenhülle und deren Struktur festgelegt. Wir
können die Atomsorte somit auch durch Angabe der Zahl der Protonen im
Kern charakterisieren; diese Zahl nennt man auch Ordnungszahl (p).
Die Neutronen im Kern werden offensichtlich zur Stabilisierung des
Kerns benötigt. Tatsächlich unterliegen ja die positiv geladenen Protonen
der elektrostatischen Abstoßung, die durch die Gravitation (Massenanziehung) ausgeglichen wird. Hierzu leisten die Neutronen einen unverzichtbaren Beitrag. Die Zahl der Neutronen kann bei gleicher Ordnungszahl variieren. Auf die chemischen Eigenschaften des Atoms nimmt die
Zahl der Neutronen kaum Einfluß. Lediglich bei der Atomsorte
(„Element“) der Ordnungszahl 1 ist wegen der hier nicht auftretenden
Abstoßung der Protonen voneinander die Gegenwart von Neutronen im
Kern entbehrlich.
Einer Konvention und der Historie entsprechend gibt man die Ordnungszahl p sowie die relative Masse (nt+p) in Gestalt von Indices zusätzlich
zum Elementsymbol E an.
nt+p
pE
Die Kenntnis der Elementsymbole (Tab. 3) ist wichtige Voraussetzung
zur Formulierung von Chemischen Reaktionen.
Tab. 3: Die Elemente und ihre Symbole
4.2 Der Aufbau der Elektronenhülle
Auf Grund der entgegengerichteten elektrischen Ladung sollten sich
Atomkerne und die Elektronen der Hülle anziehen, woraus eine Verschmelzung beider Teile unter Zerstörung des Atoms folgen sollte. Unter
bestimmten Bedingungen (Quantenbedingungen), deren Grundlage später
(Kap. 17) besprochen werden soll, unterbleibt diese Verschmelzung mit
der Folge, dass die Elektronenhülle bestimmten Aufbauprinzipien
gehorchen muß. Hierbei lassen sich den Elektronen bestimmte Energiezustände zuordnen, die nur diskrete (d.h. nicht beliebige Energiewerte in
Form eines Kontinuums) Werte annehmen können. Diese Energiezu9
stände lassen sich durch die sog. Quantenzahlen beschreiben. Die
Quantenzahlen können nur bestimmte Werte annehmen.
Eine mathematische Behandlung der Wechselwirkung zwischen Atomkern und Elektronenhülle ergibt zudem, dass die Lage der Elektronen
relativ zum Kern nicht exakt, sondern nur mit einer bestimmten
Wahrscheinlichkeit angegeben werden kann (Unschärferelation). In einer
bildlichen Vorstellung weist man deshalb den Elektronen, charakterisiert
durch ihre Quantenzahlen, die Anwesenheit in mathematisch definierten
Raumsegmenten, deren Zentrum der Atomkern bildet, zu. Diese Raumsegmente nennt man Orbitale. Die Energie des Elektrons wird von der
Kernanziehung und der interelektronischen Abstoßung gesteuert. Für die
Quantenzahlen n (Hauptquantenzahl), l (Nebenquantenzahl) und m
(magnetische Quantenzahl) gilt im Einzelnen:
n kann alle ganzzahligen positiven Werte beginnend mit 1 annehmen:
[n = (1),(2),(3)…∞]; n beschreibt die Ausdehnung des Orbitals und somit,
wegen der Abhängigkeit der Anziehung zwischen Kern und Elektron,
dessen Energie. Aus historischen Gründen werden in der Chemie an Stelle
der Zahlenwerte 1,2,3,4… gelegentlich die Buchstaben K,L,M,N…
verwendet.
l kann alle ganzzahligen (positiven) Werte im Intervall zwischen 0 und n1 annehmen:
[l = 0,1,…,(n-1)] beschreibt die Gestalt des Orbitals, innerhalb der
gleichen
Hauptquantenzahl
sind
Elektronen
verschiedener
Nebenquantenzahl wegen der unterschiedlichen interelektronischen
Abstoßung nicht energiegleich. Aus historischen Gründen werden in der
Chemie an Stelle der Zahlenwerte 0,1,2,3,4… die Buchstaben s,p,d,f,g…
verwendet.
m kann alle ganzzahligen Werte im Bereich +l und –l annehmen:
[m = +(l),+(l-1),+(l-2),…(0),…-(l-2),-(l-1),-(1)]; m beschreibt die
Orientierung des Orbitals im Raum, der durch ein kartesisches
Koordinatensystem (x,y,z) definiert wird.
Gestalt (l) und Ausrichtung (m) der s-, p- und d-Orbitale sind in Abb. 2
wiedergegeben. Es ist leicht ersichtlich, dass die Superposition aller durch
m unterschiedenen Orbitale nl wieder zur Kugelsymmetrie führt.
Abb. 2: Gestalt und Orientierung der Orbitale
Da die Zugehörigkeit der Elektronen zur Hauptquantenzahl n den
primären Beitrag zur Enegie des Elektrons leistet (Schalenstruktur),
spricht man auch von der K,L,M…-Schale des Atoms. Die chemischen
10
Eigenschaften eines Atoms (Knüpfen und Lösen von Bindungen) werden
durch die Elektronen der äußersten Schale (Valenzelektronen) gesteuert,
die am wenigsten fest mit dem Kern verbunden sind. Die Konfiguration
der Valenzelektronen wird üblicherweise durch den Term
nlx (x = Anzahl der Elektronen in nl)
angegeben.
Eine vierte Quantenzahl s (Spinquantenzahl) resultiert aus dem Eigendrehimpuls jedes Elektrons.
s kann die Werte +1/2 und -1/2 (unabhängig von den sonstigen Quantenzahlen) annehmen; die nur durch die Spinquantenzahlen unterschiedenen
Elektronenzustände sind energiegleich (entartet).
Für die Besetzung der Orbitale (Energiezustände der Elektronen) gilt das
Pauli-Prinzip:
In einem Atom dürfen zwei Elektronen nicht in allen vier Quantenzahlen
übereinstimmen.
Dies bedeutet, das jedes Orbital, charakterisiert durch die Quantenzahlen
n, l und m, jeweils zwei Elektronen (unterschieden durch s = +1/2, -1/2)
aufnehmen kann.
Hieraus und aus dem zuvor genannten zahlenmäßigen Zusammenhang der
Quantenzahlen ergibt sich für jede Schale (Hauptquantenzahl) die Art der
möglichen Orbitale und somit der maximal möglichen Anzahl der
Elektronen:
K-Schale (n = 1):
l = 0; m = 0; (s-Elektronen)
Zahl der Orbitale: 1
maximale Anzahl der Elektronen: 2
L-Schale (n = 2):
l = 0, m = 0 (s-Elektronen)
l = 1; m = +1,0,-1 (p-Elektronen)
Zahl der Orbitale: 4
maximale Anzahl der Elektronen: 8
M-Schale (n = 3):
l = 0, m = 0 (s-Elektronen)
l = 1; m = +1,0,-1 (p-Elektronen)
l = 2; m = +2,+1,0,-1,-2 (d-Elektronen)
Zahl der Orbitale: 9
maximale Anzahl der Elektronen: 18
11
N-Schale (n = 4)
l = 0, m = 0 (s-Elektronen)
l = 1; m = +1,0,-1 (p-Elektronen)
l = 2; m = +2,+1,0,-1,-2 (d-Elektronen)
l = 3; m = +3,+2,+1,0,-1,-2,-3 (f-Elektronen)
Zahl der Orbitale: 16
maximale Anzahl der Elektronen: 32
usw.
Orbitale des Typs l > 3 (g,h…-Orbitale) sind für die Chemie nicht
relevant.
Beim Aufbau der Elektronenhülle eines Atoms gemäß der Schalenstruktur
(Hauptquantenzahl) führt die Aufspaltung der Energieniveaus durch die
Nebenquantenzahlen zu einer „Störung“ der Termfolge (Abb. 3), deren
Kenntnis für den Aufbau des Periodensystems und die Vorhersage der
chemischen Eigenschaften eines Atoms von Bedeutung sind.
Abb. 3: Energieniveauschema der Orbitale
Bei der Besetzung energiegleicher, d.h. nur durch m unterschiedenen
Orbitale mit Elektronen gilt die
Hund’sche-Regel:
Energiegleiche (entartete) Orbitale werden zunächst nur einfach mit
Elektronen besetzt.
Hierdurch wird die zur Aufnahme zweier Elektronen im gleichen Orbital
aufzuwendende Spinpaarungsenergie (elektrostatische Abstoßung der
Elektronen) vermieden. Hieraus ergibt sich für die schrittweise Abfolge
der Besetzung beispielsweise der L-Schale (n = 2) folgendes Schema
(Abb. 4):
Abb. 4: Die schrittweise Besetzung der L-Schale (n = 2) mit Elektronen
Die energetische Abfolge der Orbitale ergibt sich aus Abb. 5.
Abb. 5: Die energetische Abfolge der Orbitale
5. Das Periodensystem der Elemente
5.1 Historisches
Wir haben bereits gesehen, dass die Chemischen Eigenschaften eines
Atoms wesentlich von der Konfiguration seiner Valenzelektronen nl x
12
bestimmt wird. Genauer gesagt: Atome, die sich bezüglich der Valenzelektronenkonfiguration nur durch die Hauptquantenzahl n unterscheiden,
sollten ähnliche Chemische Eigenschaften aufweisen. Dies steht mit der
Konstruktion des Periodensystems der Elemente, in dem die Atomsorten
nach aufsteigender Ordnungszahl p gegliedert in Zeilen und Spalten
aufgeführt werden, in Zusammenhang.
Die erstmalige Aufstellung des Periodensystems durch Lothar Meyer und
Dimitri Mendelejew (1868) stellt eine der bedeutendsten geistigen
Leistungen auf dem Gebiet der Chemie dar und hat deren weitere Entwicklung wesentlich beeinflusst. Der zu Grunde liegende Gedankengang
soll deshalb kurz vorgestellt werden.
Schon zu einem früheren Zeitpunkt war das ähnliche Chemische Verhalten bestimmter Elemente (Li, Na, K; Cl, Br, I; Cu, Ag, Au) erkannt
worden. Zum Zeitpunkt der Arbeiten von Meyer und Mendelejew.
konnten die Atommassen bereits hinreichend genau bestimmt werden.
Den Autoren erschien es (zeitgleich und voneinander unabhängig) sinnvoll, die Elemente mit aufsteigender Masse dergestalt anzuordnen, dass
Atomsorten ähnlicher Eigenschaften jeweils untereinander, also in gemeinsamen Spalten, zu stehen kamen. Abgesehen von einigen zeitbedingten Irrtümern (Masse statt Ordnungszahl als Ordnungsprinzip,
Fehlen der noch nicht bekannten Edelgase etc.) entstand so ein zweidimensionales Schema, in dem auch Leerstellen für noch nicht bekannte
Elemente aufgeführt waren. Die korrekte Vorhersage der Eigenschaften
solcher Elemente bestätigte die Validität des Konzepts; so stimmten die
vorhergesagten Eigenschaften des Elements Eka-Silizium mit denen des
wenig später entdeckten und „Germanium“ genannten Elements
hervorragend überein.
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<E1 Anmerkungen zur Chemiegeschichte>
Chemie ist eine vergleichsweise „junge“ Wissenschaft; dies soll heißen,
dass die heute als „wissenschaftlich gültig“ akzeptierten Grundlagen erst
innerhalb etwa der letzten 250 Jahre gefunden wurden. Als Ursache hierfür kann die wegen der geringen Größe nicht direkt durch die Sinnesorgane mögliche Beobachtung der Atome und Moleküle gelten.
Die Kenntnis der Chemiegeschichte ist nicht notwendige Voraussetzung
für das Verständnis dieser Disziplin. Dennoch soll hier ein kurzer Abriß
der historischen Entwicklung vorgestellt werden.
Formulierung einer Atomtheorie durch Demokrit,
wonach die Materie aus kleinsten unteilbaren Teilchen
besteht
ab ca. 700 n.Chr. Entwicklung der Alchemie durch die Araber und ihre
Übertragung unter Einbezug christlich sanktionierter
ca. 400 v.Chr.
13
ab ca. 1750
1776
1808
1828
ab 1835
1868
ab 1903
ab 1913
1924
ab 1925
ab 1925
1938
ab 1950
Werte (Aristoteles). Im Mittelpunkt stand die
Umwandlung aller Stoffe ineinander (z.B. Herstellung
von Gold) unter Zuhilfenahme magischer Kräfte
(„Stein der Weisen“)
Beginn der modernen Wissenschaft
Postulat der „zweckfreien“ experimentell gestützten
Grundlagenforschung (Boyle)
Verbindungen
besitzen
eine
konstante
Zusammensetzung (Lavoisier)
Formulierung der Atomhypothese (Dalton):
Aufbau der Materie aus unteilbaren Teilchen (Atome)
Bestimmung der Atommassen (ungenau)
Gesetz der konstanten und multiplen Proportionen
Darstellung von Harnstoff (eine organische
Verbindung)
aus
dem
anorganischen
Salz
Ammoniumcyanat (Wöhler)
Entwicklung der Agrikulturchemie (Liebig)
Konstruktion des Periodensystems (Meyer und
Mendelejew)
Entdeckung der Elementarteilchen (Rutherford) sowie
der Radioaktivität (Bequerel, Curie)
Postulat
des
physikalisch
relevanten
Quantenmechanischen
Atommodells
(Bohr,
Sommerfeld) unter Rückgriff auf die Quantentheorie
(Planck, 1900)
Postulat der Wellennatur des Elektrons (de Broglie) in
Analogie zum Welle/Teilchendualismuns des Lichts
(Compton, Einstein)
Das Wellenmechanische Atommodell (Schroedinger,
Jordan, Heisenberg u.a.)
Wissenschaftliche Konzepte der Chemischen Bindung
(Pauling) und ihre quantenchemischen Berechnung
(Hückel, Heitler, London u.a.)
Entdeckung der Kernspaltung (Hahn, Meitner,
Strassmann)
Entwicklung moderner spektroskopischer Verfahren
als Routinemethoden (UV, IR, NMR, Röntgenbeugung, MS)
…..
Bereits im Altertum wurden, ohne Kenntnisse der Wissenschaft Chemie,
chemische Prozesse in z.T. noch heute verwendeten Verfahren zur
Produktion, z.B. von Farbstoffen (Ägypten) oder Metallen (Hethiter),
verwendet. Die gezielte Entwicklung von Produkten ist jedoch erst in
14
Kenntnis der wissenschaftlichen Zusammenhänge, also etwa seit 1850,
möglich. Seither hat der Aufbau der Chemischen Industrie, speziell in
Deutschland (die BASF AG ist derzeit der weltweit größte Chemiekonzern) eine stürmische, durch die Weltkriege nur kurzzeitig unterbrochene Entwicklung genommen. Heute stehen im Zentrum industrieller
Tätigkeit neben der Produktion bekannter Grundstoffe die Entwicklung
neuer Materialien und Pharmazeutika.
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5.2 Der Aufbau des Periodensystems
Der zuvor geschilderten historischen Konzeption stellt das Periodensystem der Elemente nunmehr eine nach steigender Ordnungszahl geordnete Reihung der Atomsorten (Elemente) dar, wobei Atomsorten gleicher
Valenzelektronenkonformation nlx jeweils in Spalten (Gruppen) untereinander stehend angeordnet sind und ähnliche chemische Eigenschaften
aufweisen. Die Zeilen, den „Schalen“ entsprechend, enthalten Atomsorten
gleicher Hauptquantenzahl im Valenzbereich und werden, entsprechend
der periodischen Änderung der Eigenschaften ihrer Elemente wegen, auch
Perioden genannt (Abb. 6)
Abb. 6: Das Periodensystem der Elemente
Der Aufbau des Periodensystems spiegelt somit die zuvor besprochene
Strukturierung der Elektronenhülle, darstellbar durch die Quantenzahlen,
wieder. Es ergibt sich hierdurch
1s1,2
2s1,2
2p1-6
3s1,2
3p1-6
4s1,2
3d1-10
4p1-6
5s1,2
4d1-10
5p1-6
6s1,2
5d1
4f1-14
5d2-10
6p1-6
7s1,2
H, He
Li, Be
B - Ne
Na, Mg
Al - Ar
K, Ca
Sc – Zn
Ga – Kr
Rb, Sr
Y - Cd
In – Xe
Cs, Ba
La
Ce – Lu
Hf – Hg
Tl – Rn (ab Po sind sämtliche Atomsorten instabil, d.h.
radioaktiv)
Fr, Ra
15
6d1
Ac
1-14
5f
Th – Lr (ab U sind keine in der Natur vorkommenden Atomsorten
bekannt)
2-6
6d Unq – Uns (Namensgebung umstritten) …
Dies entspricht dem in Abb. 5 genannten Schema.
Auch die Elemente Tc und Pm sind nur in Form radioaktiver Isotope
bekannt.
Neben der Kenntnis der Elementsymbole ist die Kenntnis ihrer Stellung
im Periodensystem und somit der Valenzelektronenkonfiguration nlx zur
Abschätzung ihrer Eigenschaften unerlässlich.
Auf die vorhersehbare Änderung der Eigenschaften von Atomsorten
innerhalb einer Gruppe (geringfügig) und Periode (ausgeprägt) wird nachfolgend bei der gruppenweise geordneten Besprechung der Elemente eingegangen. Zunächst werden die Hauptgruppenelemente (ns1 bis np6 ) und
ihre wichtigen Verbindungen mit den zuvor abgehandelten Elementen
anderer Hauptgruppen besprochen.
6. Die Elemente der Gruppe 18 (Edelgase)
6.1 Allgemeines
Die Elemente der Gruppe 18 heißen Edelgase, weil man früher irrtümlich
glaubte, sie könnten sich prinzipiell nicht mit anderen Elementen verbinden. Das ist nicht der Fall. Dennoch nehmen diese Elemente insofern
eine Sonderstellung ein, als sie als einzige Elemente unter Normalbedingungen (1at, 20 °C) atomar vorkommen. Sie vereinigen sich also
nicht mit sich selbst zu Edelgasmolekülen.
Diese Tatsache lässt sich aus dem Atombau verstehen. Im Grundzustand
sind die s-Orbitale und (ab n = 2) auch die p-Orbitale der höchsten
Hauptquantenzahl mit 2 (He, 1s2 ) bzw. 8 (Ne–Rn, ns2p 6, n = 2-6)
Elektronen vollständig besetzt. Dieser elektronisch gesättigte, auch als
Edelgaskonfiguration bezeichnete Zustand reduziert die Bereitschaft der
Atome zur Ausbildung von chemischen Bindungen auf ein Minimum.
Auch die Entfernung von Elektronen aus der Elektronenhülle bzw. die
Hinzufügung unter Bildung positiv (Kationen) oder negativ (Anionen)
geladener Ionen erfordert einen hohen Energiebetrag.
E → E+ + eE + e → E
(Ionisierungspotential)
(Elektronenaffinität)
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E2 Ionisierungsenergie und Elektronenaffinität>
Die Energie, die erforderlich ist, um einem Atom das im Grundzustand
am lockersten gebundene Elektron unter Bildung positiv geladenener
Ionen zu enreißen, heißt sein Ionisierungspotential [eV] (genauer: das 1.
16
Ionisierungspotential; das 2., 3. usw. Ionisierungspotential sind dann die
sich in jeder Stufe erheblich steigernden Energiebeträge, die zur
Entfernung weiterer Elektronen aus den bereits positiv geladenen Ionen
erforderlich sind). Das Ionisierungspotential (auch Ionisierungsenergie
genannt) ist wegen der Abschirmung der Kernladung durch die inneren
Elektronen keine direkte Funktion der Kernladung (sog. Effektive
Kernladungszahl), sondern ändert sich mit der Stellung der Elemente im
Periodensystem (Abb. 7). Hier ist deutlich zu sehen, dass das 1.
Ionisierungspotential bei den Hauptgruppenelementen innerhalb einer
Gruppe mit steigender Ordnungszahl abnimmt, innerhalb einer Periode
jedoch anwächst.
Abb. 7: Ionisierungspotentiale in Abhängigkeit von der Ordnungszahl
Die zum Einfügen von Elektronen in die Elektronenhülle unter Bildung
negativer Ionen aufzuwendende oder freigesetzte Energie heißt
Elektronenaffinität [eV] (analog spricht man von 1., 2. usw. Elektronenaffinität). Auch dieser Energiebetrag steht in Zusammenhang mit der
Stellung des Atoms im Periodensystem. Die 1. Elektronenaffinität eines
Atoms entspricht der Ionisierungsenergie des zugehörigen Anions.
Eine Ausnahme vom erwarteten Verlauf bilden die Elemente Fluor und
Sauerstoff; hier erreichen die 1. Elektronenaffinitäten nicht die
Maximalwerte innerhalb ihrer Gruppe, da die hohe Ladungsdichte der
Elektronenhülle (kleine Atomradien) den Einbau zusätzlicher Elektronen
behindert.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E3 Atomradien>
Als Atomradius können wir den Abstand des Atomkerns von seinem
äußersten Valenzelektron annehmen. Wie später bei der Behandlung des
Wellenmechanischen Atommodells (Kap. 17.4) gezeigt wird, ist dieser
Wert für ein isoliertes Atom nicht definiert. In der Umgebung gleichartiger Atome können wir die Hälfte des Atomabstandes bestimmen; dies
gilt für die Edelgase in der Kristallpackung des festen Zustandes bei tiefen
Temperaturen wie auch für mit der gleichen Atomsorte über die später zu
besprechenden kovalenten Bindungen („Atombindungen“) verknüpften
Atome (hier spricht man auch von Kovalenzradius).
Innerhalb einer Gruppe des Periodensystems nehmen die Radien bei
steigender Ordnungszahl durch den Aufbau neuer Schalen zu. Innerhalb
einer Periode jedoch beobachten wir eine kontinuierliche Abnahme der
Atomradien, bedingt durch die stärker werdende elektrostatische Anziehung als Folge der mit der Ordnungszahl wachsenden Kernladung.
17
Im Vergleich mit den Atomradien weisen die zugehörigen Ionen stark
veränderte Ionenradien auf; erwartungsgemäß sind die Ionenradien der
Kationen kleiner, während für die Anionen ein Zuwachs beobachtet wird.
Die experimentelle Bestimmung von Kovalenzradien von mit unterschiedlichen Atomsorten verbundenen Atomen sowie von Ionenradien ist
problematisch, da Elektronen nicht direkt sichtbar gemacht werden
können. Kovalenzradien und Ionenradien zeigen eine deutliche Bandbreite
in Abhängigkeit von der chemischen Umgebung.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
6.2 Eigenschaften
Die nachfolgende Tabelle (Tab. 4) informiert über einige Eigenschaften
der Edelgase, deren stetige Änderung in dieser Gruppe besonders deutlich
wird. Die niedrigen Siede- und Schmelzpunkte und die gleichfalls
niedrigen Verdampfungswärmen reflektieren den atomaren Aufbau der
Elemente. Der innerhalb der Gruppe beobachtete Anstieg der Werte hängt
in erster Linie nicht mit der Masse, sondern mit der steigenden Polarisierbarkeit der Atome zusammen; durch Verschiebung der Elektronenhülle
gegenüber dem Kern wird hierbei ein Dipolmoment induziert, das eine
interatomare elektrostatische Wechselwirkung auslöst.
Tab. 4: Einige Eigenschaften der Edelgase
6.3 Vorkommen, Gewinnung, Verwendung
Sämtliche Edelgase kommen auf der Erde als Bestandteil der Luft [Vol%]
in geringer Konzentration vor: He 5x10-4 , Ne 2x10-3, Ar 0,9, Kr 10-4 , Xe
10-5. Helium, das im Welall zweithäufigste Element, findet sich zudem in
Erdgasquellen (bis zu 9%), woraus es ausschließlich gewonnen wird. Die
schwereren Edelgase werden durch fraktionierte Destillation der Luft (vgl.
E39) oder durch Aufarbeitung des beim Haber-Bosch-Verfahren (Kap.
13.2.2) anfallenden Restgases (Ar) gewonnen.
Seines niedrigen Siedepunktes bzw. seiner niedrigen Dichte wegen findet
Helium umfangreiche Verwendung als Tieftemperaturkühlmittel sowie als
Füllgas. Argon als billigstes Edelgas wird als Schutzgas (Vermeidung von
Oxidation), z.B. beim Elektroschweißen oder als Füllgas für Glühbirnen,
verwendet. Alle Edelgase finden Verwendung in der Beleuchtungstechnik
zur Füllung von Leuchtröhren („Neonröhren“).
7. Der Wasserstoff
7.1 Allgemeines
Während die Edelgase sich durch vollständig besetzte Valenzschalen (1s2
bzw. ns2 np6) und eine hiermit verbundene geringe Bereitschaft zur
Ausbildung chemischer Bindungen auszeichnen, sind die repräsentativen
18
Elemente (zur Definition vgl. Kap. 18.1) durch teilweise besetzte
Valenzorbitale, die über vollständig besetzten inneren Orbitalen liegen,
charakterisiert. Hieraus resultiert für diese Atome eine hohe Bereitschaft
zur Abgabe oder Aufnahme von Elektronen, um die Edelgaskonfiguration
zu erreichen.
Das Wasserstoffatom erfüllt mit seiner Elektronenkonfiguration 1s1 diese
Vorgabe. Seiner chemischen Eigenschaften wegen wird es jedoch
üblicherweise nicht den später zu besprechenden Elementen der Gruppe 1
(ns1) zugerechnet. Der Unterschied wird deutlich beim Vergleich der
Ionisierungsenergien (Abb. 7): im Unterschied zu den sehr viel leichter
ionisierbaren Elementen der Gruppe 1 erreicht das Ionisierungspotential
des Wasserstoffs (13.2 eV) die Werte der schweren Edelgase. Als Ursache
für die sehr feste Bindung des Valenzelektrons an den Kern ist das
vollständige Fehlen der abschirmenden Rumpfelektronen zu beachten; im
Gegensatz zu den Hydridionen H- ist das zugehörige, Proton genannte
Kation H+ unter chemischen Bedingungen nicht existent.
Das Element Wasserstoff liegt bei Normalbedingungen als zweiatomiges
Molekül H2 vor. Hierin werden die beiden Atomkerne durch zwei
gemeinsame Elektronen, ein sogenanntes Elektronenpaar, verbunden;
hierdurch erreicht jedes Wasserstoffatom die stabile, der Edelgaskonfiguration des Heliums entsprechende Valenzelektronenzahl 2. Das
gemeinsame Elektronenpaar wird in der Chemie als Bindestrich zwischen
den Atomen geschrieben.
H–H
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E4 Die Atombindung I>
Die Verbindung von mehreren Atomen durch gemeinsame
Elektronenpaare wird als Atombindung, häufiger auch als Kovalente
Bindung bezeichnet. Von den beiden zur Beschreibung grundsätzlich
geeigneten Modellen (VB, MO) wollen wir zunächst das Verfahren der
Valenzbindung (Valence Bond, VB) betrachten.
Die Energie eines Wasserstoffatoms (Aa) ist in erster Näherung durch die
elektrostatische Wechselwirkung zwischen dem positiv geladenem
Atomkern und dem negativ geladenen Elektron gekennzeichnet. Bei
Annäherung eines zweiten Wasserstoffatoms (Bb) kommt es zusätzlich zu
einer anziehenden Wechselwirkung zwischen dem Kern A und dem
Elektron b sowie dem Kern B und dem Elektron a. Außerdem tritt eine
abstoßende Wechselwirkung zwischen den gleichgerichtet geladenen
Kernen (AB) und Elektronen (ab) ein. Bei starker Annäherung der Atome
dominiert bei Unterschreitung des bindenden Abstandes der Atome die
Abstoßung AB. Das Energieminimum kann rechnerisch nur näherungsweise bestimmt werden.
19
Wichtig für die Charakterisierung der Atombindung ist der Begriff der
Resonanz. Man kann durch Berechnungen zeigen, dass sich die
Gesamtverteilung der Elektronen durch die folgenden 4 Resonanzformen
(I-IV) beschreiben lässt:
AabB ↔ Ab aB ↔ Aab- B+ ↔ A+ abBI
II
III
IV
Zur Erläuterung der aus drucktechnischen Gründen mißverständlichen
Gleichung sei erwähnt, daß in I und II die Elektronen a und b jeweils
beiden Kernen, in III und IV jedoch nur einem Kern zugehören sollen.
Der Begriff Resonanz meint keinen „dynamischen“, d.h. zeitabhängigen
Vorgang mit bewegten Elektronen etwa im Sinne einer „Momentaufnahme“; vielmehr tragen alle Resonanzformeln „in der Summe“
(allerdings mit geringerem Gewicht von III und IV) zur Beschreibung der
Gesamtsituation bei.
In der VB-Vorstellung erfolgt die Wechselwirkung der Elektronenhüllen
durch „Überlappung“ der Orbitale der beteiligten Atome (im Falle des H2Moleküls durch Überlappung der beiden 1s-Orbitale). Wie bereits erwähnt
werden die im „Überlappungsintegral“, im von beiden Orbitalen
gemeinsam gebildeten Raumsegment, befindlichen Elektronen jeweils
beiden Atomen in der Elektronenbilanz zugerechnet, was im Falle von H2
zum Erreichen der Edelgaskonfiguration für beide Atome führt.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
7.2 Vorkommen, Gewinnung Eigenschaften, Verwendung
Wasserstoff, im Weltall das häufigste Element überhaupt, steht auf der
Erde mit 0.9 Gew.-% Häufigkeit erst an neunter Stelle. Praktisch liegt der
gesamte Wasserstoff in chemisch gebundener Form vor. Hauptvorkommen ist das Wasser (ca. 1.5 1018 to), die häufigste chemische
Verbindung überhaupt. Daneben ist Wasserstoff in allen organischen
Verbindungen, insbesondere der Biomaterie und ihren Abbauprodukten
(fossile Stoffe) enthalten.
Die Darstellung von elementarem Wasserstoff erfolgt durch die später zu
besprechende Zerlegung des Wassers (Kap. 11.2.2) oder durch thermische
Zersetzung von Kohlenwasserstoffen („Crack-Prozesse“, vgl. Kap.
19.4.1).
Die chemische Bindung im H2 -Molekül ist ungewöhnlich stabil; zu ihrer
Spaltung, d.h. Zerlegung des Moleküls in die Atome, müssen 100
kcal/mol (zur Definition des Molbegriffs vgl. Kap. 8.2) aufgewendet
werden, die umgekehrt beim Zusammentreten von zwei Wasserstoffatomen freigesetzt werden. Die Erzeugung von kurzlebigen Wasserstoff-
20
atomen (mittlere Lebensdauer ca. 0.3 sec) erfolgt durch Durchblasen
eines H2 -Stromes durch einen Lichtbogen zwischen Wolframelektroden.
Wasserstoff findet in großem Umfang Verwendung in der organischen
und anorganischen Synthesechemie sowie als Brennstoff in sog. Brennstoffzellen. Seine sehr zahlreichen Verbindungen mit anderen Elementen
werden bei deren Beschreibung besprochen.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E5 Isotope>
Wir haben eingangs gesehen, dass der Elementbegriff (ausgedrückt durch
die Ordnungszahl) an Atome gleicher Protonen- und Elektronenzahl
gekoppelt ist. Tatsächlich ist jedoch in Atomen des gleichen Elements die
Gegenwart einer unterschiedlichen Anzahl von Neutronen möglich und
weit verbreitet. Solche Atome gleicher Ordnungszahl, jedoch unterschiedlicher Neutronenzahl, unterscheiden sich durch ihre Masse, nicht
jedoch durch ihre chemischen Eigenschaften. Man nennt sie Isotope.
Im Falle des Wasserstoffs liegt durch die hohe prozentuale Massendifferenz der bekannten Isotope
1
1H
2
1D
3
1T
Wasserstoff (99.9 %)
Deuterium (0.1 %)
-17
Tritium (< 10 %)
eine besondere Situation vor, die auch zur historisch bedingten, sonst
unüblichen Vergabe eigener Elementsymbole geführt hat. Die hohe
Massendifferenz von jeweils 100 % führt zu geringfügigen Unterschieden
in den physikalischen Eigenschaften, etwa der Siedepunkte von H2 O und
D2O („schweres Wasser“), die ihre Trennung ermöglicht. Deuteriumhaltige Verbindungen finden Verwendung in der Diagnostik und
Kerntechnik. Tritium ist radioaktiv und zerfällt mit einer Halbwertszeit
von 12.4 a (vgl. E37).
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
8 Die Chemische Reaktion
8.1 Allgemeines
Gehen Elemente oder Verbindungen (A,B…) eine Chemische Reaktion
unter Bildung von C,D... ein, so formuliert man diesen Vorgang
entsprechend
aA + bB + … → cC + dD + … (Reaktionsgleichung)
21
A,B,… werden als Edukte, C,D,… als Produkte bezeichnet. a,b,c,d bilden
die stöchiometrischen Faktoren. Wichtig für den Ablauf der Reaktion sind
die Energiebilanz (Thermodynamik) und die Reaktionsgeschwindigkeit
(Kinetik). Die Reaktionsgleichung bildet die Grundlage der Mengenbilanz
und –berechnung (Stöchiometrie).
8.2 Der Molbegriff, Mengen und Konzentrationen
Im Periodensystem der Elemente finden sich, den Elementen zugeordnet,
neben der Ordnungszahl auch Angaben zur Atommasse („Atomgewicht“).
Zur Vermeidung der unhandlichen, sehr kleinen absoluten Massen, die
sich additiv aus den Massen der Elementarteilchen zusammensetzen (vgl.
Tab. 2) werden in der Chemie relative Atommassen, eben das sog. Atomgewicht verwendet. Willkürlich wird hierbei als Normierungsgröße 1/12
der Masse des Kohlenstoffisotops 126C der Zahlenwert 1 zugewiesen. Die
relativen Massen der Moleküle und Salze („Formelgewicht“) setzen sich
dann additiv aus den relativen Atommassen der Atomsorten zusammen
(vgl. Tab. 3).
Die dem Atomgewicht eines Elements bzw. dem Formelgewicht einer
Verbindung in Gramm entsprechende Masse enthält 6.023 x 1023
Formeleinheiten (Atome Moleküle, Formeläquivalente). So bestehen bei
Normalbedingungen 2.016 g Wasserstoff aus 6.023 x 1023 H2-Molekülen.
Diese unvorstellbar große Zahl wird Lohschmidt’sche Zahl NL (in der
neueren Literatur auch Avogadro-Zahl) genannt.
NL Teilchen, entsprechen dem Formelgewicht [g] und bilden 1 Mol einer
Chemischen Substanz.
Zur üblichen Massenangabe [g] einer Substanz tritt folglich die in Kenntnis der relativen Formelmasse über den Dreisatz leicht zu berechnende
Mengenangabe [mol].
Zur Berechnung von Stoffumsätzen gleichfalls wichtig ist die Kenntnis,
dass 1 Mol eines (idealen) Gases, entspr. NL Atomen oder Molekülen, bei
Normalbedingungen unabhängig von seinem Formelgewicht und seiner
Dichte das Volumen von 22400 cm3 (22.4 lit.) einnimmt.
Zur Umrechnung von Massen in Volumina von Lösungen (S = gelöste
Substanz, LM = Lösungsmittel) wird die Angabe der Dichte benötigt.
Konzentrationen a von Lösungen werden in der Chemie üblicherweise
in Gew.-%:
a[Gew.-%] = {Masse (S)[g]/Masse (S)[g] + Masse (LM)[g]}x100,
in Mol.-%:
a[Mol-%] = {Menge (S)[mol]/Menge (S)[mol] + Menge (LM)[mol]}x100
als Massenbruch:
a = {Masse (S)[g]/Masse (S)[g] + Masse (LM)[g]},
22
als Molenbruch:
a = {Menge (S)[mol]/Menge (S)[mol] + Menge (LM)[mol]}
oder als Molare Konzentration:
a[Mol/lit. = m(molar)] = Menge (S)[mol]/lit. Lösung
angegeben.
8.3 Thermodynamik
Die Thermodynamik behandelt den Energieumsatz Chemischer
Reaktionen. Unabhängig von der Art der freigesetzten oder aufgenommenen Energie wird er als Wärmeenergie [kcal/mol bzw. kJ/mol] angegeben. Entsprechend einer Konvention werden freigesetzte Energiemengen mit negativem Vorzeichen notiert. Eine anschauliche Vorstellung
der Reaktionsenergie (Enthalpie) liefert Abb. 8, die den Ablauf einer
Reaktion im Energieprofil skizziert. Ist die freiwerdende Energie kleiner
als die zum Reaktionsablauf benötigte Anregungsenergie, ist während der
Reaktion ständige Energiezufuhr nötig. Man unterscheidet zwischen
exothermen Reaktionen (Wärmefreisetzung, ΔE < 0) und endothermen
Reaktionen (Wärmeentzug, ΔE > 0). Physikalisch gesehen handelt es sich
bei einer Chemischen Reaktion um einen Prozeß, bei dem „Chemische
Energie“ und andere Energieformen ineinander umgewandelt werden.
Abb. 8: Energiediagramm chemischer Reaktionen
Bei endothermen Reaktionen stellt sich die Frage nach der Triebkraft ihres
Ablaufs. Tatsächlich stellt man fest, dass zahlreiche Versuche, Salze, die
in hoch geordnetem Zustand als Ionengitter (vgl. Kap. 10.3) vorliegen, in
Wasser zu lösen, enotherm, d.h. unter Abkühlen der Lösung verlaufen.
Ein Maß für die Ordnung eines Zustandes ist die Entropie (E). Endotherme Reaktionen sind mit einem Abbau der Ordnung verbunden.
Wärmetönung (Enthalpie, H) und Entropie sind durch die Freie Enthalpie
(G) verbunden:
ΔG = ΔH – TxΔS (T = Temp. [K])
Die Differenzbildung Δ markiert G, H und S als sog. Zustandsgrößen.
Edukte und Produkte beinhalten intrinsische Werte der Zustandsgrößen,
deren Differenz beim Reaktionsablauf gebildet wird.
Für freiwillig verlaufende Reaktionen gilt: ΔG < 0.
8.4 Kinetik
23
Die Geschwindigkeit einer Reaktion wird von der Thermodynamik nicht
behandelt. Sie lässt sich beschreiben als Änderung der Konzentration
eines der bei der Reaktion beteiligten Stoffe in der Zeiteinheit:
A + B → C + D
-d cA(B)/dt = k x cA x cB
Zur Reaktion von A mit B ist ein Zusammenstoß zweier Teilchen
erforderlich, dessen Wahrscheinlichkeit von der Konzentration beider
Stoffe abhängt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Zusammenstoß zur
Reaktion führt, kommt in der für die Reaktion charakteristischen
Konstante k zum Ausdruck. Dies bedeutet, dass sich die Reaktionsgeschwindigkeit im Verlauf der Reaktion wegen der Abnahme von cA und
cB verlangsamt. Der Wert von k ist u.a. von der Temperatur abhängig.
Der komplexe Zusammenhang zwischen der Reaktionsgeschwindigkeit
und der Anregungsenergie, der Kinetik und Thermodynamik verbindet,
soll hier nicht näher behandelt werden.
8.5 Stöchiometrie
Da im Verlauf einer Chemischen Reaktion Atomsorten weder neu
gebildet noch vernichtet werden können, müssen in der zuvor aufgestellten Reaktionsgleichung die in den Komponenten A,B… sowie C,D…
enthaltenen Atomsorten mittels der Koeffizienten a,b…, c,d… derart ausgeglichen werden, dass auf der Seite der Edukte und Produkte jeweils die
gleiche Zahl der Atomsorten zu stehen kommt.
Da nach der Reaktionsgleichung a Äquivalente A und b Äquivalente B zu
c Äquivalenten C und d Äquivalenten D reagieren, müssen auch NL x a
Äquivalente A mit NL x b Äquivalenten B, oder anders ausgedrückt, a
Mol A und b Mol B zu der entsprechenden Zahl an Äquivalenten C und D
reagieren. Da diese Mengenbegriffe über die Definition des Molbegriffs
(1 Mol = eines Stoffes, NL Teilchen, entspricht der Masse des Formeläquivalents in Gramm) mit den Massen verbunden sind, lassen sich
hieraus die entsprechenden Massen der Komponenten beliebiger Molzahl
leicht errechnen.
Zur Beherrschung dieser für die chemische Laborpraxis wichtigen
Rechnungen bedarf es einer gewissen Übung.
9 Die Elemente der Gruppe 17 (Halogene)
9.1 Allgemeines
24
Den Elementen der Gruppe 17 ist die Valenzelektronenkonfiguration
ns2 p5 gemeinsam. Ihr chemisches Verhalten wird folglich dominiert von
dem starken Bestreben, ein Elektron unter Bildung der nächstliegenden
stabilen Edelgasschale aufzunehmen. Diese Tendenz macht die Halogene
in ihrer elementaren Form zu reaktiven Substanzen.
Fluor, Chlor, Brom und Iod kommen deshalb in der Natur nur in Form
ihrer Verbindungen vor (NaCl, NaBr, NaI gelöst im Meerwasser, NaCl,
KCl, CaF2 und CaIO3 in Salzlagerstätten). Die Darstellung von Fluor und
Chlor erfolgt durch Elektrolyse (vgl. E15) von Halogenid-Salzen, Brom
und Iod hingegen werden aus den Halogenid-Salzen durch Oxidation mit
Chlor erhalten (vgl. E14).
2 NaBr + Cl2 → 2 NaCl + Br2
Das radioaktive Astat soll hier nicht näher besprochen werden.
Tabelle 5 informiert über einige Eigenschaften der Elemente, deren Gang
dem der Edelgase entspricht. Elementar liegen alle Halogene, wie auch
der Wasserstoff, als zweiatomige Moleküle vor, in denen die Atome die
Edelgaskonfiguration erreichen. Anders als beim Wasserstoff tragen die
Halogenatome hier zusätzlich zum bindenden Elektronenpaar noch
jeweils 3 nichtbindende Elektronenpaare, die meist gleichfalls als jeweils
nur einem Atom zugeordnete Striche symbolisiert werden.
Tab. 5: Einige Eigenschaften der Halogene
Eine Betrachtung der Bindungsenergien (Dissoziationsenergien) der
Dihalogen-Moleküle ergibt im Vergleich mit dem H2-Molekül deutlich
niedrigere Werte. Allgemein nimmt die Bindungsstärke kovalenter
Bindungen infolge des geringer werdenden Überlappungsintegrals beim
Übergang zu den schwereren Elementen deutlich ab; hinzu kommt bei den
Halogenen die beim Wasserstoff nicht gegebene Abstoßung der nichtbindenden Elektronenpaare. Der innerhalb der Gruppe 17 beim Chlor
beobachtete Höchstwert kann als Ergebnis der Superposition zweier
gegenläufiger Effekte (Überlappungsintegral und bei den leichten
Elementen auf Grund des geringeren Atomabstandes stärkere Abstoßung
der nichtbindenden Elektronenpaare) interpretiert werden; eine weitere
Erklärungsmöglichkeit als Folge einer π
-Wechselwirkung wird an anderer
Stelle (Kap. 11.2) besprochen.
9.2 Verbindungen mit Wasserstoff
Sämtliche Halogene (X = F, Cl, Br, I) reagieren spontan mit Wasserstoff
zu den Halogenwasserstoffen H-X, die gleichfalls, unter Erreichen der
Edelgaskonfiguration für H und X, als zweiatomige Moleküle vorliegen.
25
H2 + X2 → 2 HX
Da Wasserstoff nicht über freie Elektronenpaare verfügt, nimmt die
Bildungsenergie gem. der Reaktionsgleichung beim Übergang zu den
schwereren Halogenen kontinuierlich ab: ΔH[kcal/mol] = -128 (F), 44
(Cl), 25 (Br), 3 (I).
Bei der Umsetzung von Wasserstoff mit Iod beobachtet man, dass die
Edukte nicht vollständig umgesetzt werden. Offensichtlich ist der
Bildungsreaktion von HI eine Zerfallsreaktion unter Rückbildung der
Edukte überlagert. Man spricht vom Chemischen Gleichgewicht.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E6 Das Chemische Gleichgewicht>
Grundsätzlich sind alle chemischen Reaktionen Gleichgewichtsreaktionen. Korrekt müsste man schreiben:
H2 + I 2 <=> 2 HI
Sie lassen sich kinetisch quantitativ beschreiben, wenn der „Hinreaktion“
H2 + I 2 → 2HI ; -dcH2/dt = k→ x cH2 x cI2
die “Rückreaktion”
2 HI → H2 + I 2; -dcHI/dt = k← x cHI x c HI
gegenübergestellt wird. Die Reaktion kommt scheinbar zum Stillstand,
wenn sich die Konzentrationen der beteiligten Komponenten nicht mehr
ändern; in Wirklichkeit laufen beide Reaktionen unverändert, jedoch mit
gleicher Geschwindigkeit, nebeneinander ab. Die Bildungs- und Zerfallsgeschwindigkeiten aller Komponenten sind nunmehr gleich, es gilt folglich:
-dcH2 = -dcHI = dc H2 = dcHI;
→
←
k x cH2 x cI2 = k x c HI x cHI;
oder
→
k
── =
←
k
c HI x cHI
────── = K
cH2 x cI2
26
Allgemein gilt für die Reaktion
A + B <=> C + D
k→
── =
k←
c C x cD
────── = K
cA x cB
Diese Gleichung wird aus historischen Gründen als Massenwirkungsgesetz bezeichnet. Für jede beliebige Reaktion existiert eine individuelle,
nur von den Reaktionsbedingungen (z.B. der Temperatur) abhängige
Gleichgewichtskonstante K, die bei „vollständig“ ablaufenden Reaktionen
>> 1 wird. Entfernen einer Komponente, beispielsweise von C, aus dem
Gleichgewicht durch Ausfällen, Entweichen in die Gasphase oder
Einbindung in eine Folgereaktion führt zur „Verschiebung“ des Gleichgewichts durch Nachbildung von C.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Die sämtlich gasförmigen Halogenwasserstoffe HCl, HBr und HI sind in
Wasser starke Säuren (die wäss. Lösung von HCl wird „Salzsäure“
genannt), während der kurz oberhalb Raumtemperatur siedende Fluorwasserstoff HF als wäss. Lösung („Flusssäure“) nur eine mittelstarke
Säure darstellt.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E7 Broenstedt-Säuren und –Basen>
Zur Definition des Säure/Base-Begriffs sind mehrere, meist historisch
gewachsene Denkansätze sichtbar. Hier soll die für verdünnte wäss.
Lösungen gültige nach Broenstedt vorgestellt werden.
In wäss. Lösung reagieren Broenstedt-Säuren HX als Protonendonatoren,
während Broenstedt-Basen B als Protonenakzeptoren fungieren (man
beachte, dass freie Protonen H+ in chemischer Umgebung nicht existent
sind):
HX + H2 O <=> H3O+ + XB + H2O <=> BH+ + OHX- wird als korrespondierende Base der Säure HX, HB+ als
korrespondierende Säure der Base B bezeichnet. In der Säurereaktion
27
agiert H2O als Base (korrespondierende Säure H3 O+), während in der
Basereaktion H2O als Säure (korrespondierende Base OH -) fungiert.
Säure-Base-Reaktionen nach Broenstedt sind folglich Konkurrenzreaktionen um Protonen, in denen jeweils 2 korrespondierende Säure/
Base-Paare auftreten.
Auch diese Reaktionen sind selbstverständlich Gleichgewichtsreaktionen.
Durch Anwendung des Massenwirkungsgesetzes lassen sich Gleichgewichtskonstanten KS und KB definieren:
CH3O + x cX────── = KS’ ; cH2O = const.
cHX x cH2O
KS’ x cH2O = KS
CBH+ x cOH────── = KB’; cH2O = const
cB x cH2O
KB’ x cH2O = KB
KS und K B sind ein direktes Maß für die Stärke der Säure und Base; eine
logarithmische Formulierung der Konstanten ist allgemein üblich:
- log KS(B) = pKS(B)
d.h.: je stärker negativ die pK-Werte, desto starker die Säuren bzw. Basen.
Tabelle 6 gibt einen Überblick über die pKS-Werte wichtiger Säuren.
Tab. 6: pKS -Werte einiger Säure/Base-Paare
Man kann zeigen, dass die pK-Werte von Säure/Base-Paaren in wäss.
Lösung folgender Beziehung gehorchen (vgl. auch Kap. 11.2.1, E20):
KS x KB = 10-14; pK S + pKB = 14
Dies bedeutet, dass die korrespondierenden Basen starker Säuren
schwache Basen sind, und umgekehrt.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
28
Die relativ geringe Säurestärke von HF gegenüber den anderen Halogenwasserstoffsäuren erklärt sich aus der hohen Bindungsenergie; dies ist
nicht auf den ersten Blick einleuchtend, da der tabellierten Bindungsenergie die homolytische Spaltung in Atome zu Grunde liegt, während die
Säurestärke eher der heterolytischen Spaltung in Ionen (H+ und X-)
zuzuordnen wäre. Eine genauere, hier nicht durchzuführende Betrachtung
(Born-Haber’scher Kreisprozeß) macht jedoch den experimentellen
Befund verständlich.
Dennoch soll nachfolgend auf das Problem der Polarität von Atombindungen eingegangen werden.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E8 Die Elektronegativität>
Bei der Erklärung des Begriffes „Resonanz“ am Beispiel des H2Moleküls (Kap. 7.1, E4) haben wir 4 Grenzformeln gefunden, wobei den
unpolaren I und II gegenüber den polaren III und IV ein höheres Gewicht
bei der Beschreibung des Bindungszustandes zukam, die beiden Paare I/II
und III/IV jedoch untereinander gleichgewichtet waren. Beim Übergang
zum HF-Molekül tritt eine andere Situation ein (A = H, B = F); nun wird
aus Berechnungen ersichtlich, dass der Grenzform IV wesentliches
Gewicht zu kommt, wohingegen die Grenzform III zur Beschreibung der
Bindungssituation fast bedeutungslos ist.
Ein Vergleich der Ionisierungsenergien der Atomsorten H und F (13.2
bzw 17.4 eV) weist dem Fluoratom gegenüber dem Wasserstoffatom die
deutlich höhere Fähigkeit, sein äußerstes Elektron festzuhalten, zu. In der
kovalenten Bindung H-F hat dies offensichtlich zur Folge, dass das
Fluoratom das bindende Elektronenpaar stärker anzieht und somit in
Richtung auf seinen Kern verschiebt; dies hat eine Umgewichtung der
Resonanzformeln und somit auch eine Verschiebung der elektrischen
Ladung („Polarisierung“) zur Folge.
Die Fähigkeit einer Atomsorte, in einer kovalenten Einfachbindung das
bindende Elektronenpaar anzuziehen, wird Elektronegativität genannt.
Der Gang der Elektronegativität und der des Ionisierungspotentials unter
Berücksichtigung der Stellung der Elemente im Periodensystem sind
vergleichbar. Anders als das physikalisch definierte und messbare
Ionisierungpotential ist die Elektronegativität jedoch eine dimensionslose
Vergleichsgröße, wobei dem elektronegativsten Element Fluor auf der
sog. Pauling-Skala willkürlich, zur Vermeidung negativer Werte bei den
elektropositiven Alkalimetallen, der Wert 4.0 zuerkannt wurde (Tab. 7)
Tab. 7: Elektronegativität der Elemente
29
Spätere Überlegungen haben den Begriff „Elektronegativität“ durch
Erweiterung der Definition auch Berechnungen zugänglich gemacht,
worauf hier nicht eingegangen werden soll.
Die Ladungsverschiebung bei der Verknüpfung von Atomen verschiedener Sorten und somit Elektronegativitäten bewirkt entlang dieser
Bindung die Ausbildung eines elektrischen Dipols. Das Ausmaß der
Ladungsverschiebung in Xδ+-Yδ- wird auch als Partielle Ladung
bezeichnet. In mehratomigen Molekülen, d.h. solchen mit mehreren
Bindungen, addieren sich die Dipolmomente der einzelnen Bindungen
vektoriell, d.h. in Abhängigkeit von der Struktur (Symmetrie) des
Moleküls. Bei hochsymmetrischen Molekülen kann dann, trotz hoher
Polarität einzelner Bindungen, das Dipolmoment entfallen.
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Die große Elektronegativitätsdifferenz der Elemente Wasserstoff und
Fluor bewirkt ein hohes Dipolmoment des H-F-Moleküls, das
Auswirkungen auf die physikalischen und chemischen Eigenschaften hat.
Es kann zur Ausbildung einer besonderen Bindungsform führen.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E9 Die Wasserstoffbrückenbindung>
Bei der Betrachtung der Edelgase und Dihalogen-Moleküle haben wir die
mit der Ordnungszahl steigende Polarisierbarkeit der Systeme als Ursache
für die in gleicher Richtung ansteigenden Siede- und Schmelzpunkte
erkannt. Es ist verständlich, dass die Phasenübergänge in besonderem
Maße auch von den permanenten Dipolmomenten beeinflußt werden, da,
insbesondere beim Siedevorgang und Übertritt der Atome bzw. Moleküle
als isolierte Teilchen in die Gasphase, die interatomaren (bei den
Edelgasen) bzw. intermolekularen Kräfte, die ihren Zusammenhalt in der
kondensierten Phase bewirken, gebrochen werden müssen.
Beim Fluorwasserstoff (und in ähnlicher Weise auch beim später zu
besprechenden Wasser) finden wir selbst in der Gasphase, nahe dem
Siedepunkt, noch Aggregate (HF)n , deren intermolekulare Bindungsenergie die üblicher Dipolwechselwirkungen offenbar deutlich übersteigt.
Im festen Zustand von HF liegen polymere Ketten hinsichtlich der Länge
alternierender HF-Bindungen vor, wobei an den Wasserstoffatomen eine
lineare, an den Fluoratomen jedoch eine gewinkelte Anordnung der
Bindungen beobachtet wird. Noch extremer scheint die Situation im
isolierten, sehr stabilen Anion HF2 - (formal ein Addukt aus HF und F-),
das einen linearen, hinsichtlich der beiden Bindungen symmetrischen
Aufbau aufweist (Abb. 9).
Abb. 9: Die Struktur von HF
30
Offensichtlich bewirkt die Präsenz einer hohen positiven Partiellen
Ladung am Wasserstoffatom die Ausbildung spezieller Bindungen mit
Atomen
hoher
negativer
Ladungsdichte,
die
nichtbindende
Elektronenpaare tragen. Solche Bindungen, die hinsichtlich ihrer
Bindungsenergie
zwischen
Atombindungen
und
„normalen“
Dipolwechselwirkungen liegen, werden Wasserstoffbrückenbindungen
genannt. Ihre Beschreibung durch das VB-Modell verstößt auf den ersten
Blick gegen das Pauli-Prinzip (4 Bindungselektronen im 1s-Orbital des
Wasserstoffs), ist jedoch unter Zuhilfenahme der Resonanz möglich.
-
F H –F ↔ F–H F
-
Man beachte die unterschiedlichen Symbole für chemische Gleichgewichte (s.o.) und Resonanzgleichgewichte.
Wir werden später ein besseres Verfahren zur Beschreibung dieser
Bindung kennenlernen (vgl. E18).
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9.3 Interhalogen-Verbindungen
Ähnlich wie mit sich selbst oder mit Wasserstoffatomen können sich
Halogenatome auch mit anderen Halogenatomen zu zweiatomigen
Molekülen X–Y (X, Y = F, Cl, Br, I) verbinden. Die Darstellung erfolgt,
wie auch bei den nachfolgend besprochenen mehratomigen Interhalogenverbindungen, aus den Elementen. Die hier vorliegende polarisierte
Bindung führt gegenüber den Molekülen X–X zu einer deutlich erhöhten
Reaktivität.
X2
X2
X2
X2
+
+
+
+
Y2 → 2 XY
3 Y2 → 2 XY3
5 Y2 → 2 XY5
7 Y2 → 2 XY7
Tatsächlich sind auch Interhalogenverbindungen der Zusammensetzung
XY3 (ClF3 , BrF3 , IF3, ICl 3), XY 5 (ClF5 , BrF5, IF5 ) und XY7 (IF7) bekannt.
In diesen Verbindungen fungiert das jeweils schwerere Atom als
Zentralatom, das von n jeweils einfach gebundenen Y-Substituenten umgeben ist. Da diese durch Atombindungen verknüpft sind, überschreiten
die Zentralatome X die Edelgaskonfiguration, was zur geringen Stabilität
dieser Verbindungen beiträgt. Sämtliche Verbindungen sind wegen der
geringen Elektronegativitätsdifferenz der beteiligten Elemente molekular
aufgebaut.
31
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<E10 Räumliche Orientierung der Bindungen und Hybridisierung>
Wir haben gesehen, dass bei Ausbildung von Atombindungen
Atomorbitale (Kap. 4.2, E4) überlappen. Die räumliche Orientierung der
Orbitale (Abb. 2) sollte folglich den Bindungswinkel eines dreiatomigen
Fragments, hier Y-X-Y, bestimmen. Wie wir, beispielsweise am später zu
besprechenden Wassermolekül, noch sehen werden, sind Bindungswinkel
von 90°, die wir bei Verwendung von zwei p-Orbitalen von X im obigen
Fragment erwarten würden, selten. Tatsächlich werden meist größere
Winkel beobachtet.
An dieser Stelle sollten wir uns in Erinnerung rufen, dass es sich bei
Orbitalen um mathematisch konstruierte Raumsegmente handelt; sie
lassen sich nicht im Bedarfsfall „verbiegen“. Hingegen lassen sich
Orbitale rechnerisch „mischen“; diesen Vorgang bezeichnet man als
Hybridisierung. Bei der Bildung von Hybridorbitalen bleibt die Gesamtzahl der Orbitale erhalten.
Es werden im Bereich der Hauptgruppenelemente jeweils Orbitale
gleicher Hauptquantenzahl, aber verschiedener Nebenquantenzahl
hybridisiert. Abb. 10 zeigt gängige Formen der Hybridisierung und die
Ausrichtung der Hybridorbitale im Koordinatensystem.
Abb. 10: Gestalt und Ausrichtung der Hybridorbitale spn (n = 1-3)
Wichtige Winkel zwischen Orbitalen unter Einbezug von Hybridorbitalen
(und somit Bindungswinkel) sind in Tabelle 8 aufgelistet. Die Angabe von
Winkeln unter Beteiligung nicht-hybridisierter s-Orbitale ist wegen deren
Kugelsymmetrie (fehlende räumliche Vorzugsausrichtung) nicht möglich.
Tab. 8: Bindungswinkel zwischen Orbitaltypen
In Wirklichkeit zeigen die experimentell gefundenen Bindungswinkel von
den in Tab. 8 genannten Werten deutliche Abweichungen. Dies wird
durch eine Variation des Mischungsverhältnisse erreicht. Hierauf kann
hier nicht näher eingegangen werden.
Triebkraft der Hybridisierung ist das Erreichen des energetisch
günstigsten Zustandes. Folglich ist die Hybridisierung nicht die Ursache
einer Molekülgeometrie, sondern die Anpassung an eine energetische
Vorgabe. Ein Molekül ist nicht tetraedrich gebaut, weil das Zentralatom
sp3 -hybridisiert ist; vielmehr ist das Zentralatom sp 3 -hybridisiert, weil die
Tetraedergeometrie das Energieminimum darstellt.
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<E11 Das VSEPR-Modell>
32
Sind an ein Zentralatom verschiedene Substituenten gebunden oder sind
nichtbindende Elektronenpaare zugegen, so regelt das VSEPR-Konzept
die Besetzung der Koordinationsstellen und die Beeinflussung der
Winkel.
Hierbei wird zunächst die Summe der Bindungspartner und der nicht
bindenden Elektronenpaare (hier als Koordinationszahl KZ bezeichnet)
ermittelt und hieraus der energetisch günstigste Koordinationspolyeder
gebildet. Dieser folgt aus der Verteilung der entsprechenden Zahl von
negativen Ladungen auf einer Kugeloberfläche (Prinzip der minimalen
Abstoßung) und liefert die Geometrien linear (KZ 2), trigonal planar (KZ
3) tetraedrisch (KZ 4) trigonal-bipyramidal (KZ 5) und oktaedrisch
(KZ6), wie in Abb. 11 angegeben.
Abb. 11: Gestalt von Molekülen der Koordinationszahlen 2-6
Zur Berücksichtigung der „Verzerrung“ der idealen Polyedergeometrie
entsprechend den in Tabelle 8 angegebenen Winkeln ist nun Folgendes zu
beachten: Die in den Valenzorbitalen des Zentralatoms befindlichen
Elektronenpaare stoßen sich, entsprechend ihrer negativen Ladung, voneinander ab. Diese Abstoßung wird umso größer, je höher die Elektronendichte im betrachteten Orbital in Kernnähe ist. Hieraus ergibt sich für die
Abstoßung (manchmal irreführend als „Platzbedarf“ bezeichnet; die
Größe der Substituentenatome findet im VSEPR-Konzept keine Berücksichtigung) folgende Hierarchie der bindenden (b) und nichtbindenden
(nb) Elektronenpaare:
nb/nb > nb/b > b/b
Nichtbindende Elektronenpaare sind nur dem Zentralatom zugehörig,
während bindende Elektronenpaare ihre „Elektronendichte“ (negative
Ladung) auf zwei Atome verteilen.
Einen Sonderfall der Polyeder bildet die Trigonale Bipyramide (KZ 5), da
hier die Koordinationspartner aus Sicht der Symmetrie unterschiedliche
Positionen (2 axiale und drei äquatoriale Positionen) besetzen können.
Hier gilt die Dominanz des kleinsten Winkels: ein Nichtbindendes
Elektronenpaar besetzt bevorzugt eine äquatoriale Position, da hier nur
zwei Nachbarn (in der axialen Position drei Nachbarn) im Winkel von 90°
vorliegen.
Für KZ > 6 liefert das VSEPR-Konzept keine verlässlichen Vorhersagen.
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Übertragen wir nun die gewonnenen Erkenntnisse auf die Stereochemie
der Interhalogenverbindungen:
33
Im Verbindungstyp XY5 verwendet das Zentralatom X 5 seiner 7 Valenzelektronen zur Asbildung der 5 Atombindungen, so dass 2 Valenzelektronen als Nichtbindendes Elektronenpaar verbleiben. Hieraus resultiert
die KZ 6 (wegen der Präsenz eines Nichtbindenden Elektronenpaars
spricht man von „Ψ–Oktaeder“). Die fünf Substituenten Y bilden also mit
dem Zentralatom X eine Quadratische Monopyramide, während das
Nichtbindende Elektronenpaar die 6. Koordinationsstelle Stelle des
Oktaeders besetzt. Wegen der o.gen. Abstoßungshierarchie wird die
Quadratische Monopyramide durch die Abstoßung nb/b in Art einer
Regenschirmgeometrie verzerrt, d.h. die 4 äquatorialen Substituenten
werden in Richtung auf den axialen Substituenten verschoben (Yax -X-Yeq
< 90°).
Im Verbindungstyp XY3 liegt wegen der Präsenz zweier nichtbindender
Elektronenpaare eine Ψ-Trigonale Bipyramide vor, in der die nichtbindenden Elektronenpaare equatoriale Positionen besetzen. Durch die
o.gen. Abstoßungshierarche werden die axialen Substituenten in Richtung
auf die äquatoriale Position unter Verzerrung der idealen T-Geometrie
verschoben (Yax-X-Yax < 180°).
YF7 weist wegen der Abwesenheit nichtbindender Elektronenpaare am
Zentralatom die Idealgeometrie der Pentagonalen Bipyramide auf.
Den elektroneutralen Interhalogen-Molekülen sind zahlreiche ionische
Interhalogen-Verbindungen zur Seite zu stellen, die formal und meist
auch in der Synthesepraxis aus den Neutralverbindungen durch
Abstraktion oder Addition von Y- entstehen. So lässt sich etwa BrF 3 in
BrF2+ (Abstraktion von F-) oder BrF 4- (Addition von F-) überführen.
BrF3 → BrF2+ + FBrF3 + F → BrF4
Für beide Ionen gilt die Strukturvorhersage des VSEPR-Konzeptes. Das
Triiodid-Ion, die bekannteste ionische Interhalogenverbindung, ist in
wäss. Lösung aus Iod und Kaliumiodid zugänglich („Iodiodkali“) und
linear gebaut (KZ 5, Ψ-Trigonale Bipyramide, Besetzung der äquatorialen
Positionen durch die Nichtbindenden Elektronenpaare).
Hinsichtlich der Orbitalbeteiligungen an den Chemischen Bindungen
lassen sich den Koordinationspolyedern die in Tabelle 8 angegebenen
Hybridisierungen zuordnen. So entspräche dem linearen Aufbau des
Triiodidions eine sp3 d-Hybridisierung des zentralen Iodatoms. Zur Vermeidung einer Beteiligung der energetisch hochliegenden (d.h.
ungünstigen) d-Orbitale kann auch die Resonanzschreibweise
I – I I- ↔ I- I – I
34
angewendet werden. Wir werden später (vgl. E18) eine günstigere
Beschreibung dieser Bindungssituation finden.
9.4 Verbindungen mit Edelgasen
Wir haben gesehen, dass die Edelgase wegen der bereits in ihren Atomen
vorliegenden Edelkonfiguration nur eine geringe Neigung zur Ausbildung
von Chemischen Bindungen, d.h. zur Betätigung ihrer Valenzelektronen
aufweisen. Ein Vergleich der Ionisierungsenergien der Edelgase (Tab. 4)
ergibt unter Vernachlässigung von Rn für das Element Xenon das
geringste Ionisierungspotential; umgekehrt weist innerhalb der Gruppe 17
das Element Fluor die größte Befähigung, Elektronen aufzunehmen, auf.
Tatsächlich ist eine Reihe stabiler Xenonfluoride
Xe + F2 → XeF2
Xe + 2 F2 → XeF4
Xe + 4 F2 → XeF6
bekannt, die sämtlich aus den Elementen als hochreaktive, jedoch
isolierbare Feststoffe gewonnen werden. XeF2 und XeF4 bilden im festen
Zustand Gitter aus isolierten Molekülen, deren Aufbau der Vorhersage
des VSEPR-Konzepts genügt (XeF2 : linear, KZ 5, Ψ-trigonal bipyramidal,
Besetzung
der
äquatorialen
Positionen
mit
nichtbindenden
Elektronenpaaren; XeF4; quadratisch planar, KZ 6, Ψ-oktaedrisch, nichtbindende Elektronenpaare in trans-Stellung). XeF6 (KZ 7!) ist im festen
Zustand nicht aus isolierten Molekülen aufgebaut.
XeF2 ist im Handel erhältlich und wird bei Fluorübertragungsreaktionen
als Ersatz für das schwer handhabbare Gas Fluor verwendet.
10. Die Elemente der Gruppe 1 (Alkalimetalle)
10.1 Allgemeines
Auch in der Gruppe 1 zeigen die Elemente den bei den Edelgasen und
Halogenen gefundenen Gang der Eigenschaften (Tab. 9).
Tab. 9: Einige Eigenschaften der Alkalimetalle
Auf Grund der Valenzelektronenkonfiguration ns1 ihrer Atome weisen
diese Elemente die ausgeprägte Eigenschaft aus, unter Abgabe des
Valenzelektrons einfach positiv geladene Ionen der Valenzelektronenkonfiguration (n-1)s2p6 zu bilden. Hingegen wird, anders als bei den
Halogenen, die Edelgaskonfiguration durch Ausbildung von Atombindungen nicht erreicht. Man spricht von einem Elektronenmangel, der
35
für die Elemente im Grundzustand die Ausbildung einer neuen Bindungsart zur Folge hat. Diese wird als Metallische Bindung bezeichnet.
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<E12 Die Metallische Bindung I>
Wir wollen an dieser Stelle zunächst eine sehr einfache Beschreibung der
Metallischen Bindung wählen. Durch Metallische Bindungen aufgebaute
Elemente, Metalle eben, bilden im festen Zustand ein dreidimensionales
Polymersystem mit geordnetem Aufbau. Man kann sich ein Gitter von
Atomrümpfen (Kationen) vorstellen, in dessen Zwischenräumen sich die
Valenzelektronen als „Elektronengas“aufhalten. Im Sinne der VB-Theorie
kann auch das Phänomen der Resonanz zur Beschreibung dienen. Nachfolgend ist ein eindimensionaler Ausschnitt aus dem dreidimensionalen
Netzwerk gezeigt:
-M M-M M-M M-M M-M ↔ M-M M-M M-M M-M MBeide Betrachtungsweisen implizieren eine freie Beweglichkeit der
Valenzelektronen im gesamten Metallgitter; hierdurch wird für jedes
einzelne Atom die Situation des Elektronenmangels verbessert und die
besondere Eigenschaft des metallischen Zustandes (vgl. E26) begründet.
Die Anordnung der Metallatome entspricht bestimmten Baumustern oder
Gittertypen; generell ist die Tendenz eines engen Zusammenrückens der
elektroneutralen Atome unter Bildung dichter Packungen zu beobachten
(die elektrostatische Abstoßung der Kationen im Konzept der Elektronengas-Vorstellung wird durch die negative Ladung des Elektronengases
neutralisiert).
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind Metallstrukturen drei Gittertypen zuzuordnen. Dies sind die:
Kubisch dichteste Packung (a)
Hexagonal dichteste Packung (b)
Kubisch raumzentrierte Packung (c)
Die Elementarzellen (kleinste Symmetrieeinheiten) sind in Abb. 12
wiedergegeben.
Abb. 12: Elementarzellen der Metallstrukturen
Das Bauprinzip der Dichtesten Kugelpackungen a und b lässt sich leichter
durch Betrachtung der hierbei vorliegenden Schichten verstehen (Abb.
13):
Schiebt man auf einer ebenen Unterlage Kugeln (oder Münzen) gleicher
Größe möglichst dicht zusammen, so resultiert eine Anordnung, bei der
36
jede Kugel von 6 Nachbarn in Form eines gleichseitigen Sechsecks
umgeben ist; hierbei berühren alle Kugeln des Sechsecks die zentrale
Kugel und die zwei Nachbarn des Sechsecks, so dass innerhalb einer
Schicht (A) jede Kugel 6 Nachbarn aufweist. Legt man die nächste
Schicht (B) in der Aufsicht gegenüber der ersten zur Gewährleistung einer
dichtesten Packung „auf Lücke“, so resultieren zwei Arten von Löchern
(Tetraederlücken und Oktaederlücken), die jedoch in den Metallgittern
frei bleiben. Beim Aufbringen einer dritten Schicht kann diese
deckungsgleich zu A (Schichtfolge ABA…) oder gegenüber dieser
verschoben (Schichtfolge ABCA…) angeordnet sein; hieraus resultieren
die Hexagonal dichteste Kugelpackung (b, ABA) und die Kubisch
dichteste Kugelpackung (a, ABCA).
Abb. 13: Dichteste Kugelpackungen
Die Kubisch raumzentrierte Packung ist aus Schichten eines anderen,
nicht-dichtesten Typs aufgebaut:
Ihr zu Grunde liegen Schichten einer quadratischen Anordnung der
Kugeln, die innerhalb der Schicht nur 4 Nachbarn aufweisen (D). Wird
die nächste Schicht (E) „auf Lücke“ gelegt, so ergibt sich bei der Schichtfolge DED… die Kubisch raumzentrierte Struktur. Zum selben Ergebnis
gelangt man, wenn man Schichten „auf Deckung“ stapelt (DDD…, sog.
„Kubisch primitives Gitter“) und jede der hierbei entstehenden Lücken
(Kubische Lücken) mit einer weiteren Kugel besetzt (Abb. 14).
Abb. 14: Zweidimensionale Gitter
Im dreidimensionalen Gitter weist in a und b jedes Atom 12 nächste
Nachbarn („Dichteste Packung“), in c jedoch nur 8 nächste Nachbarn auf.
Die Alkalimetalle kristallisieren sämtlich im Gittertyp c. Häufig liegen
jedoch innerhalb der Metalle einer Gruppe verschiedene Gittertypen vor,
die sich offenbar aus der Valenzelektronenkonfiguration der Atome nicht
herleiten lassen.
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10.2 Vorkommen, Eigenschaften, Verwendung
Auf Grund ihrer hohen Chemischen Reaktivität, insbesondere gegenüber
Luft und Wasser, kommen auch die Elemente der Gruppe 1 nicht
elementar als Metalle, sondern in Form ihrer Verbindungen vor.
Hauptvorkommen sind die im Meerwasser gelöst, sowie in mineralischen
Lagerstätten ohne Wasserzutritt fest vorliegenden Chlorid-Salze (vgl.
Kap. 10.4), aus denen sie aufwendig mittels Schmelzflusselektrolyse (vgl.
E15) gewonnen werden.
37
+
-
M + e → M (M = Li,Na,K,Rb,Cs)
Alle Alkalimetalle bilden in reiner Form weiche, „silberfarbige“, tief
schmelzende Feststoffe, deren Atome der Flamme eine charakteristische
Färbung verleihen. Sie werden, wie bereits erwähnt, rasch unter dem
Einfluß von Luft (Sauerstoff) und Wasser unter Abgabe des Valenzelektrons in ihre einwertigen Kationen überführt.
4 M + O2 → 2 M2O
2 M + 2 H2 O → 2 MOH + H2
(M = Li,Na,K,Rb,Cs)
Natrium wird in großen Mengen als Ausgangsmaterial für Chemische
Verbindungen verwendet. Gemische der leichteren Gruppenelemente
(Schmp. Na/Ka ca. -10 °C) werden wegen ihrer hohen Wärmekapazität
als Kühlflüssigkeit in Hochtemperaturanlagen (z.B. Reaktoren) eingesetzt.
10.3 Verbindungen mit Wasserstoff
Alle Alkalimetalle (M) reagieren mit Wasserstoff in exothermer Reaktion
zu den entsprechenden Metallhydriden MH:
2 M + H2 → 2 MH
Aufgrund der hohen Elektronegativitätsdifferenz der Alkalimetalle und
des Wasserstoffs (ΔEN > 1.4) sind in diesen Verbindungen die Atome
nicht durch Atombindungen verknüpft; eine Beschreibung der Bindung
nach dem VB-Modell würde zu einer Dominanz der Grenzstruktur IV
(E4) führen. Vielmehr sind diese Verbindungen aus AlkalimetallKationen K+ und Hydrid-Anionen H-, aufgebaut, die im festen Zustand ein
Ionengitter bilden; diese Bindungsart nennt man Ionenbindung.
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<E13 Die Ionenbindung I>
Grundlage der Ionenbindung ist die Coulombenergie Ec, die für ein
Ionenpaar Ma+Xb- gem.
2
Ec =
abe
───
4πε
or
(e = Elektr. Elementarladung, ε
o = Dielektrititätskonst. i. Vak., r = Ionenabstand)
definiert ist. In einem Ionenkristall summieren sich die anziehenden und
abstoßenden Wechselwirkungen der Koordinationssphären (s.u.) Die
Gitterenergie ist definiert als Betrag der beim Zusammentreten der Ionen
38
eines Mols der Formeleinheit aus der Gasphase zum Kristall freiwerden
Energie.
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<E14 Oxidationszahlen und Redoxreaktionen>
Mit der Bildung der Alkalimetallhydride haben wir einen neuen
Reaktionstyp kennengelernt: die Redoxreaktion. Hierbei werden, ausgehend von Atomen, Elektronen unter Bildung von Ionen übertragen. Als
Gleichgewicht formuliert, ist die Redoxreaktion also eine Konkurrenzreaktion um Elektronen, die sich, ähnlich wie die Säure/Base-Reaktion, in
Teilschritte zerlegen lässt Die Abgabe von Elektronen bezeichnet man als
Oxidation, die Aufnahme von Elektronen als Reduktion.
M → Ma+ + a ebX + be → X
Oxidation
Reduktion
Da Elektronen in einer chemischen Reaktion weder erzeugt noch
vernichtet werden können, ist jede Oxidation eines Reaktionspartners von
der Reduktion eines anderen begleitet. Bei der Reaktion wird das
Oxidationsmittel X reduziert und das Reduktionsmittel M oxidiert. Da die
Summe der Teilreaktionen keine Elektronen aufweisen darf, müssen die
stöchiometrischen Faktoren a und b entsprechend angepasst werden. Dies
erfolgt durch Multiplikation der Teilreaktionen jeweils mit der Faktor der
anderen Teilreaktion:
(M → Ma+ + a e- ) x b =
b
(X + b e → X ) x a =
b M → b M a+ + a x b eb
aX + axbe → a X
als Summenreaktion ergibt sich
a+
b M + a X <=> b M
+ aX
b-
Die Anzahl der Ionenladungen muß auf beiden Seiten der Gleichung
gleich sein. Die Indizes a und b bezeichnet man als Oxidationszahlen oder
Oxidationsstufen xon M und X. Sie sind in den Elementen immer gleich
Null.
Tatsächlich haben wir schon vor der Besprechung der Alkalimetallhydride
Redoxreaktionen kennengelernt. Auch bei der Bildung der Halogenwasserstoffe HX (Kap. 9.2) tritt ein Wechsel der Oxidationszahlen ein.
Da die Verbindungen HX (X = F,Cl,Br,I) nicht als Salze vorliegen,
sondern die Atome durch Atombindungen verknüpft sind, muß die
Bestimmung der Oxidationszahlen hier anders erfolgen. Hierzu werden, in
39
einem Gedankenexperiment, die bindenden Elektronen der Atombindung
vollständig dem elektronegativeren Bindungspartner, hier dem Halogenatom X, zugerechnet:
H – X ≡ H(-X ≡ H+ und XDie Oxidationszahlen, als hochgestellte Indices römischer Zahlen
geschrieben, entsprechen nun den Ionenladungen der „fiktiven“ Ionen.
+I
-I
H –X
Die Summe der Oxidationszahlen entspricht der elektrischen Ladung des
Moleküls bzw. Molekülions. Bei dieser Reaktion wird also der Wasserstoff oxidiert und das Halogen reduziert.
Sind zwei Atome gleicher Sorte durch eine Atombindung verknüpft,
werden zur Berechnung der Oxidationsstufen die bindenden Elektronen
zu gleichen Teilen auf die Atome verteilt. Hierdurch erhalten in jedem
Element die Atome die Oxidationsstufe 0.
Auch in den Interhalogenverbindungen und Xenonfluoriden lassen sich
die Oxidationszahlen der beteiligten Elemente auf diese Weise
bestimmen:
-
BrF4 ≡ Br
3+
-
und (4) F , folglich [Br
+III
-I -I
F4 ]
Molekülionen werden üblicherweise im [ ] gesetzt unter Hinzufügen der
Ionenladung als hochgestellter arabischer Index.
Die Aufstellung der Redoxgleichungen von Molekülverbindungen folgt
dem o.gen. Schema und bedarf sorgfältiger Übung.
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10.4 Verbindungen mit Halogenen
Alkalimetallhalogenide MX sind in allen denkbaren Kombinationen
bekannt; sie werden durch direkte Umsetzung der Elemente in einer
Redox-Reaktion erhalten:
2 M + X2 → 2MX (M = Li,Na,K,Rb,Cs; X = F,Cl,Br,I)
Die auf Grund der hohen Elektronegativitätsdifferenzen sämtlich salzartig
aufgebauten Verbindungen lösen sich gut in Wasser. Die Salze dienen als
Ausgangsstoffe zur Darstellung der Metalle sowie, im Falle von Na und
K, zur Synthese weiterer wichtiger Verbindungen dieser Elemente.
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40
<E15 Die Elektrolyse>
Führt man in die Schmelze einer ionogenen Verbindung zwei Elektroden
ein, so fließt bei Anlegen einer genügend hohen Gleichspannung ein
Strom (Abb. 15). Hierbei wandern die positiv geladenen Kationen zur
negativ geladenen Kathode und die negativ geladenen Anionen zur positiv
geladenen Anode.
Abb. 15: Elektrolyse am Beispiel der Zersetzung von Salzsäure
An den Elektroden werden die Ionen unter Aufnahme (Kationen) bzw.
Abgabe (Anionen) der ihrer Ladung entsprechenden Elektronen entladen;
die an der Anode freigesetzten Elektronen fließen als Gleichstrom durch
den Leitungsdraht zur Kathode und schließen so den Stromkreis.
Insgesamt laufen hierbei folglich zwei Teilschritte einer Redoxreaktion
ab: die Kationen werden an der Kathode reduziert, die Anionen an der
Anode oxidiert. Der gesamte Vorgang wird als Elektrolyse bezeichnet.
Voraussetzung für den Ablauf einer Elektrolyse ist das Vorliegen
beweglicher Ionen. Diese können auch durch Auflösen eines Salzes in
einem Lösungsmittel erzeugt werden. Hier ist jedoch darauf zu achten,
dass auch das Lösungsmittel mit den geladenen Elektroden reagieren
kann.
Hier kann nun auch die zuvor erwähnte Darstellung der Alkalimetalle aus
ihren Chloridsalzen als konkretes Beispiel einer Elektrolyse besprochen
werden. Die technische Darstellung von Natrium aus einer Kochsalzschmelze verläuft wie folgt:
Na+ + e- → Na
-
Cl → Cl + e
(2 Cl → Cl2)
Kathodische Reduktion
-
Anodische Oxidation
Da bei der zur Elektrolyse von NaCl erforderlichen Spannung (ca. 7 V;
vgl. E21) an der Kathode an Stelle der Natriumionen das Wasser entladen
wird, kann die Elektrolyse zur Darstellung von Natrium nicht in wäss.
Lösung erfolgen.
-+
-
H2 O + e → H + OH
(2 H → H2)
Die Alkalimetallhalogenide kristallisieren, wie auch die Alkalimetallhydride, in Ionengittern, deren Systematik hier besprochen werden soll.
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41
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<E16 Die Ionenbindung II>
Wir hatten zuvor die Ionenbindung als Wechselwirkung von Ionen im
Kristallverband charakterisiert und am Beispiel der Metallbindung den
Aufbau einiger Typen von Atomgittern besprochen. Die Kristallgitter von
Salzen, deren Kenntnis zum Verständnis der Gitterenergie erforderlich ist,
lassen sich hieraus ableiten.
Die Mehrzahl der Alkalimetall-Halogenide kristallisiert, wie auch alle
Alkalimetallhydride, im NaCl-Typ. Dieser geht von der kubisch dichtesten
Kugelpackung der Chloridionen aus und besetzt die Oktaederlücken mit
Natriumionen. Analog aufgebaut sind alle Halogenide von Li, Na, K, Rb
sowie CsF (Abb. 16). Im NaCl-Typ weisen die Natrium-Ionen, da in
Oktaederlücken platziert, 6 nächste Chlorid-Nachbarn auf. Umgekehrt
sind auch alle Chlorid-Ionen von jeweils 6 Natrium-Ionen in Form eines
Oktaeders umgeben.
Abb. 16: Die Elementarzelle des NaCl-Typs
Die Caesiumsalze der schwereren Halogenide gehören einem anderen
Typ, den CsCl-Typ an. Er entspricht dem kubisch raumzentrierten
Atomgitter c, stellt also keine dichteste Kugelpackung dar (Abb. 17).
Hierhin gelangt man wenn man aus den Halogenidionen ein kubisch
primitives Gitter (vgl. E12) aufbaut und die kubischen Lücken mit
Kationen besetzt. Hierbei weisen beide Ionenarten jeweils 8 Gegenionen
als nächste Nachbarn auf und befinden sich im Zentrum eines Würfels.
Abb. 17: Die Elementarzelle des CsCl-Typs
Beide Gittertypen stellen sog. „Invertierbare Gittertypen“ dar, d.h., die
Plätze der Ionensorten sind gegeneinander ohne Änderung des Gittertyps
vertauschbar. Das ist nicht bei allen Gittertypen der Fall.
Man kann zeigen, dass in beiden Gittertypen die Anzahl der Packungsteilchen (in unserem Beispiel die Anionen) der Anzahl der zu besetzenden
Oktaeder- bzw. Würfellücken entspricht. Im NaCl-Typ treten außerdem
noch Tetraederlücken in der doppelten Zahl der Packungsteilchen auf.
Auch weisen grundsätzlich in AB-Gittern die Ionen jeweils die gleiche
Anzahl der Gegenionen als Nachbarn auf (sog. Koordinationszahl).
Die Ursache der Bildung unterschiedlicher Gittertypen bei den Alkalimetallhalogeniden hängt mit dem Problem der Radienquotienten rKat+/rAnzusammen. Hierbei ist zu beachten, dass im Ionengitter (anders als im
Atomgitter) die gleichsinnig geladenen Packungsionen einander abstoßen
und durch die gegensinnig geladenen Lückenionen getrennt werden. Als
Packungsion wird meist die größere Ionensorte, in der Regel das Anion,
42
aufgefasst. Dies bedeutet, dass die zur Besetzung von Lücken in Ionengitter verwendeten Ionen die Lücke füllen müssen, folglich kaum zu groß,
wohl aber zu klein sein können. Da die Natriumionen, anders als die
größeren Caesiumionen, die Würfellücke der Anionen im Chloridgitter
des CsCl-Typs nicht ausfüllen können, wird hier unter Ausbildung das
NaCl-Typs die kleinere Oktaederlücke gebildet.
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11. Die Elemente der Gruppe 16 (Chalkogene)
11.1 Allgemeines
Die Elemente E der Gruppe 16 weisen als Atome die Valenzelektronenkonfiguration ns2p4 auf. Sie benötigen zum Erreichen der Edelgaskonfiguration zwei zusätzliche Elektronen, die sie unter Bildung der
Dianionen E2- aufnehmen.
Ein Vergleich der Eigenschaften (Tab. 10) zeigt die zuvor bei den
Elementen der Gruppen 1 und 17 beobachtete Abfolge. Allerdings treten
hier insbesondere die Elektronegativität und das Ionisierungspotential von
Sauerstoff gegenüber den Gruppennachbarn deutlich abgesetzt auf.
Zudem fehlen diesem Element im Valenzbereich die unbesetzten dOrbitale. Dies führt zu deutlich differenzierten Eigenschaften, die eine
gesonderte Besprechung des Kopfelements nahe legen.
Tab. 10: Einige Eigenschaften der Chalkogene
11.2 Der Sauerstoff
11.2.1 Das Element
Der Sauerstoff ist mit einer Massenhäufigkeit von 46% das häufigste
Element auf der Erdoberfläche. Hauptvorkommen sind neben oxidhaltigen Gesteinen (Carbonate, Sulfate, Silikate u.a.) insbesondere das
Wasser sowie die Luft, worin der Sauerstoff in elementarer Form als O 2Molekül zu ca. 20% vorliegt. Die Gewinnung erfolgt nahezu ausschließlich durch fraktionierte Tieftemperaturdestillation der Luft (LindeVerfahren, vgl. E39).
Elementarer Sauerstoff kann in Form zweier verschiedener Modifikationen, als O2 - und O3-Molekül vorliegen. Wir wollen zunächst das
wesentlich stabilere O2 -Molekül betrachten.
Ähnlich wie beim Wasserstoff und bei den Halogenen kann das Sauerstoff-Atom sein Elektronendefizit durch Ausbildung von Atombindungen
mit einem weiteren Sauerstoffatom beheben. Zur Erreichung des Oktetts
müssen im O2 -Molekül hierbei vier Elektronen jeweils beiden Atomen
zugehören; man bezeichnet dies als Doppelbindung. Auch hierbei werden
die Bindungen durch Überlappung von Atomorbitalen gebildet.
43
Tatsächlich ist die Bindungsenergie des O2-Moleküls (117 kcal/mol)
deutlich höher als die des F2 -Moleküls (38 kcal/mol). Offensichtlich sind
Doppelbindungen stabiler als Einfachbindungen.
O2
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<E17 Die Atombindung II>
Gemäß der VB-Vorstellung werden zur Aufnahme von 4 bindenden
Elektronen 4 Atomorbitale benötigt. Wenn wir willkürlich annehmen, daß
zunächst die Bindung des zweiatomigen Moleküls auf der z-Achse des
Koordinatensystems platziert ist, können wir eine der Bindungen aus den
pz-Orbitalen der Atome bilden. Die zweite Bindung kann durch Überlappung der zweier auf der z-Achse senkrecht stehenden p-Orbitale (z.B.
px) gebildet werden. Liegen, wie beim später zu besprechenden N 2Molekül, 6 bindende Elektronen vor, kann auch das 3. Paar der p-Orbitale
(py ) zur Bindungsbildung, nun einer dritten Bindung (Dreifachbindung),
herangezogen werden (Abb. 18).
Abb. 18: Schematische Darstellung von σ
- und π
-Bindungen
Die drei Bindungen der Dreifachbindung unterscheiden sich in der
Symmetrie: während die durch die pz-Orbitale gebildete Bindung auf der
Bindungsachse orientiert ist, liegt der Überlappungsbereich der px- und pyOrbitale außerhalb der Bindungsachse.
Bindungen, deren Überlappungsintegral rotationssymmetrisch zur
Bindungsachse orientiert ist nennt man σ
-Bindungen.
Bindungen, deren Überlappungsintegral nicht rotationssymmetrisch zur
Bindungsachse orientiert ist, nennt man π
-Bindungen.
Einfachbindungen sind immer σ-Bindungen. Doppelbindungen setzen
sich aus jeweils einer σ- und π
-Bindung zusammen, während Dreifachbindungen eine σ
- und zwei π
-Bindungen enthalten. Die Anzahl der
Bindungen zwischen zwei Atomen wird auch als Bindungsordnung
bezeichnet.
Aus Abb. 18 wird ersichtlich, dass π
-Bindungen ein geringeres Überlappungsorbital aufweisen als σ
-Bindungen und somit weniger stabil sind.
Deshalb ist eine Doppelbindung weniger stabil als die Summe zweier
Einfachbindungen gleicher Atomsorten.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
In der Valenzstrich-Schreibweise liegen im O2-Molekül nur Elektronenpaare, d.h. spingepaarte Elektronen vor. Magnetische Messungen ergeben
jedoch das Vorliegen von zwei ungepaarten Elektronen pro Molekül. Zur
44
Erklärung dieses Befunds müssen wir ein neues Bindungskonzept einführen.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E18 Die Atombindung III>
Wir sind bislang bei der Ausbildung von Atombindungen von der
Überlappung von Atomorbitalen (VB-Methode) ausgegangen. Ein hiervon
unabhängiges Modell behandelt die Bindungen durch Ausbildung von
Molekülorbitalen (MO-Methode). Dieses Verfahren ist weniger anschaulich, liefert jedoch eine bessere Grundlage zur quantitativen Berechnung
von Bindungseigenschaften und erklärt manche zuvor unklar gebliebenen
Befunde. Wir wollen die Methode auf rein qualitativer Basis am Beispiel
zunächst des H2-Moleküls betrachten:
Molekülorbitale werden durch Kombination von Atomorbitalen gebildet.
Hierbei entspricht die Anzahl der verwendeten Atomorbitale der der
gebildeten Molekülorbitale. Durch Kombination der 1s-Orbitale der
Wasserstoff-Atome resultieren folglich zwei Molekülorbitale. Die
±-Zeichen der Orbitale stellen die mathematischen Vorzeichen der
Wellenfunktion (Kap. 17), nicht etwa elektrische Ladungen dar. Die
Kombination von Atomorbitalen gleicher Symmetrie und gleichen
Vorzeichens führt zu bindenden Molekülorbitalen, die ungleichen
Vorzeichens zu antibindenden Molekülorbitalen (Abb. 19).
Abb. 19: MO-Diagramm am Beispiel des F2-Moleküls
Die Bindungsordnung (BO) ergibt sich entsprechend der Beziehung
BO = (zb -za)/2
(Zb = Zahl der in bindenden MO’s befindlichen Elektronen,
Z a = Zahl der in antibindenden MO’s befindlichen Elektronen)
Es ist ersichtlich, dass in der Reihe der denkbaren Teilchen H22+ , H2+, H2,
H2-, H22- das neutrale Molekül (BO = 1) die größte Stabilität aufweist,
während das zu H22- „isoelektronische“ Molekül He2 (BO = 0) nicht
existenzfähig ist (Abb. 20).
Abb. 20: MO-Diagramm des H2 -Moleküls
Bei der Konstruktion des MO-Schemas für das O2 -Molekül müssen nun
alle Atomorbitale der Atome berücksichtigt werden. Hierbei ist zu
beachten, dass die im Atom entarteten p-Orbitale nunmehr durch die
anisotrope Orientierung der Bindungsachse (z-Achse) zur energetischen
Aufspaltung pz ≠px,y und somit der zugehörigen Molekülorbitale führt
(Abb. 21).
45
Abb. 21: MO-Diagramm des O2 -Moleküls
Bei der Besetzung der Molekülorbitale mit den 16 Elektronen des
Moleküls ergibt sich für n = 1 kein bindender Zusstand (BO = 0). Gemäß
der Hund’schen Regel werden die beiden energiegleichen, aus px und p y
resultierenden Molekülorbitale jeweils einfach besetzt, woraus die
Gegenwart von zwei ungepaarten Elektronen pro Molekül resultiert. Die
Bindungsordnung 2 ergibt sich durch Anwendung der o.gen. Formel [BO
= (10-6)/2 bzw. (8-4)/2 = 2]; im zweiten Ausdruck sind, wie auch in Abb.
21, die 1s-Atomorbitale und die hieraus resultierenden Molekülorbitale
nicht berücksichtigt.
Auch dreiatomige Moleküle lassen sich unter Zuhilfenahme von MODiagrammen leicht erklären. Abb. 21a zeigt das MO-Diagramm des
Triiodid-Ions (analog XeF2 bzw. HF 2-).
Abb. 21a: MO-Diagramm des Triiodid-Ions
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Das O2-Molekül ist ein starkes Oxidationsmittel, das in verdünntem
Zustand (Luft) jedoch eine hohe Aktivierungsenergie aufweist.
Im Gegensatz zu O2 liegen im dreiatomigen Ozonmolekül O3 (Sdp- -112
°C, Schmp. -93 °C) keine ungepaarten Elektronen vor. Das Molekül lässt
sich als Valenzstrichformel mit äquidistanten O-O-Bindungen nur unter
Anwendung der Resonanz abbilden; für die Bindung resultiert hiermit BO
= 1.5 und somit eine deutliche Schwächung gegenüber dem O2-Molekül.
Entsprechend dem VSEPR-Konzept liegt eine gewinkelte Struktur vor.
O3
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<E19 Einige Begriffe der Atombindung im Rückblick>
An dieser Stelle seinen rückblickend nochmals einige Begriffe der Atombindung zusammengefasst:
Resonanz meint die Beschreibung einer Elektronenverteilung durch
Grenzformeln, die nicht gleiches Gewicht haben müssen. Sie werden
durch den Resonanzpfeil ↔ verbunden. Die Superposition ergibt den
realen Zustand. In den Resonanzformeln müssen die Atome gleiche Lagen
haben (keine Änderung der Bindungslängen- und winkel).
Partialladungen geben die Verteilung der Elektrischen Ladung innerhalb
einer Bindung in Folge der Elektronegativitätsdifferenz als realphysikalische Größe an. Hieraus resultiert ein Dipolmoment.
Formalladungen beschreiben die Formale Ladungsverteilung einer
Resonanzstruktur. Zur Ermittlung werden die bindenden Elektronen einer
46
Bindung auf die Bindungspartner zu gleichen Teilen aufgeteilt und sodann
die Elektronenbilanzen der Atome durch Vergleich mit dem freien Atom
erstellt.
Wertigkeit nannte man früher, unter Rückgriff auf die Mengenverhältnisse
bei der Ausbildung von Verbindungen (Gesetz der Konstanten
Proportionen) den Faktor, in dem sich eine bestimmte Atomsorte mit
Wasserstoff (Wertigkeit +1) bzw. Sauerstoff (Wertigkeit -2) verband.
Heute wird dieser Begriff zur besseren Differenzierung durch die
folgenden ersetzt.
Oxidationszahl meint in der Atombindung das Resultat der formalen
Spaltung der Bindung gem. der Elektronegativität (in Ionenverbindungen
entspricht sie der Ionenladung).
Koordinationszahl eines Atoms nennt man die Zahl seiner nächsten
Nachbarn (der Begriff wird auch für Ionengitter verwendet).
Bindigkeit bezeichnet die Anzahl der Atombindungen eines Atoms; sie
kann in einem Resonanzgleichgewicht für die einzelnen Resonanzformeln
unterschiedlich ausfallen.
Die Verdeutlichung der Begriffe an Beispielen ist sinnvoll.
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Ozon bildet sich durch Einwirkung von Energie auf O2-Moleküle
O2 → 2 O
O + O2 → O3
Dies geschieht in den oberen Schichten der Atmosphäre durch
Einwirkung von UV-Strahlung. Die so gebildete Ozonschicht schützt die
Erdoberfläche durch Absorption der „harten“ UV-Strahlung aus dem
Weltall; in neuerer Zeit wurde ein Abbau der Ozonschicht („Ozonloch“),
möglicherweise unter Einwirkung der leicht flüchtigen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW, weit verbreitet als Kühl- und Treibmittel)
beobachtet.
In der organischen Synthese wird Ozon, in situ erzeugt durch Einwirkung
einer elektrischen Entladung auf O2 , in hoher Verdünnung als selektives
Oxidationsmittel verwendet.
11.2.2 Verbindungen mit Wasserstoff
Sauerstoff bildet mit Wasserstoff zwei stabile Verbindungen
H2O
H2O2
Wasser
Wasserstoffperoxid
47
Wasser kommt in großen Mengen (s.o.) in der Natur in Form von Flüssen,
Seen, Meeren, in der Atmosphäre sowie als Bestandteil der belebten Welt
(der Mensch besteht zu ca. 60% aus Wasser) vor.
Wasser bildet sich aus den Elementen in einer stark exothermen Reaktion
(ΔH = -68 kcal/mol):
H2 + ½ O2 → H2O
Die hohe Bildungswärme wird zum autogenen Schweißen („Daniellscher
Hahn“, T ca. 2000 °C) sowie in Verbrennungsmotoren („WaltherMotoren“) verwendet. Zur Einleitung der Reaktion muß die stabile H-HBindung gespalten werden (hohe Aktivierungsenergie); anschließend
erfolgt eine Radikalkettenreaktion („Knallgasreaktion“):
H2 → 2 H
(Startreaktion)
H + O2 → OH + O
(Kettenreaktion)
OH + H2 → H2O + H
OH + H → H2O (Kettenabbruch)
O + H2 → H2 O
Im festen Zustand (Eis) liegen die Wassermoleküle, durch
Wasserstoffbrücken verknüpft, in einer große Hohlräume enthaltenden
Struktur vor (Abb. 22).
Abb. 22: Die Kristallstruktur von Eis
Offensichtlich bricht die Struktur beim Schmelzen (0 °C) nur schrittweise
zusammen, was die Anomalie des Wassers (größte Dichte bei 4 °C)
erklärt; dieser Umstand ist für die Biologie (Zufrieren der Gewässer „von
oben“) essentiell. Auch jenseits des Siedepunktes (100 °C) werden in der
Gasphase zunächst Oligomere, (H2O)n (n = 3-8) und erst bei höheren
Temperaturen isolierte monomere Moleküle beobachtet. In der belebten
Natur laufen sämtliche Reaktionen in kondensierter Phase in wäss.
Lösungen ab. Das für die sehr guten Lösungseigenschaften des Wassers
verantwortliche hohe Dipolmoment resultiert aus der gewinkelten Struktur
des Moleküls (H-O-H 104.4 °); die O-H-Bindungen werden entsprechend
dem VSEPR-Konzept (vgl. E11) aus Sauerstofforbitalen mit hohem pAnteil gebildet (p-Anteil sp 3 = 75%, Bindungswinkel 109 °; p-Anteil p3 =
100%, Bindungswinkel 90 °; vgl. Tab. 8).
48
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<E20 Der pH-Wert>
Wir haben zuvor (vgl. E7) gesehen, dass sich Säure/Base-Reaktionen nach
Broenstedt in wäss. Lösung abspielen. Wir wollen nun den Säuregehalt
solcher Lösungen quantitativ betrachten.
Wasser zeigt selbst in hochreiner Form eine geringe elektrische Leitfähigkeit, die auf das Vorliegen von Ionen gem. nachfolgender Gleichung
zurückzuführen ist:
+
-
H2O + H2 O <=> H3O + OH
CH3O + x COHKc =
───────
2
CH2O
Da nur ein geringer Bruchteil der Wassermoleküle dissoziiert ist, gilt
(Molgew. H2 O = 18, cH2O in H2 O = 55.5 mol/lit.)
2
CH2O x Kc = K w
Kw = cH3O+ x cOH - = 10-14
Dieser Ausdruck wird Ionenprodukt des Wassers genannt.
Da cH3O+ = cOH- gilt
CH3O + = √10-14 = 10-7 mol/lit.
+
-log cH3O = pH
Der pH-Wert von reinem Wasser (Neutralwert) beträgt folglich 7
Für saure Lösungen gilt pH < 7
Für basische (alkalische) Lösungen gilt pH > 7
Außerdem gilt
pH + pOH = 14
Die zuvor genannten Säure- und Basekonstanten (E7, Tabelle 6) erlauben
nun die Berechnung von pH-Werten wäss. Lösungen.
Für starke Säuren (pKS < 0) und Basen (pKb < 0) kann in verdünnter
Lösung (c < 10-1 mol/lit.) vollständige Dissoziation angenommen werden.
Es gilt dann
+
cH3O
= cHX bzw.
-
cOH = cb
Für schwache Säuren HX gilt
49
+
Ks’ =
-
cH3O x cX
───────
cHX x cH2O
Bei den Konzentrationen c handelt es sich um die Gleichgewichtskonzentrationen.
In verdünnter wäss. Lösung gelten folgende Vereinfachungen:
CH2O = const. (55.5 mol/lit.); Ks = Ks ’ x const.
CHX = Gesamtmenge HX
CH3O+ = cXHieraus folgt
+
CH3O = √Ks x cHX ; pH = -log cH3O
+
Analog gilt für die Berechnung des pH-Werts schwacher Basen
-
-
COH = √Kb x cB; pOH = -logcOH , pH = pOH – 14
Salze schwacher Säuren HX bzw. Basen B verhalten
Lösung nicht neutral. Es gilt
sich
in
wäss.
X- + H2O <=> HX + OHHB+ + H2O <=> B + H3 O+
Die Anionen schwacher Säuren (korrespondierende Basen) reagieren in
wäss. Lösung folglich basich, die Kationen schwacher Basen (korrespondierende Säuren) hingegen sauer. Dieses Verhalten wird als Hydrolyse
bezeichnet. Für die Berechnung der pH-Werte gilt (am Beispiel des Salzes
einer schwachen Säure HX, K B’ sei die Basekonstante der zu HX
korrespondierenden Base):
+
KS’ =
-
cH3O x cX
──────
CHX x cH2O
KS = KS’ x cH2O
-
’
KB
=
cHX x cOH
──────
cX- x cH2O
KB = KB’ x cH2O
cH3O + x cX- x cHX x cOH 50
-14
KS x KB = ───────────── = Kw = 10
CHX x cXpKS + pKB = 14; pKB = 14 – pKS
Für den pH-Wert des Salzes gilt unter Berücksichtigung der zuvor
genannten Näherungen:
cOH- = √KB x cX- ; -log cOH- = pOH; p H = 14 - pOH
Ein weiterer wichtiger Begriff im Bereich des pH-Werts ist der des
Puffers.
Mischt man verdünnte wäss. Lösungen schwacher Säuren mit denen ihrer
Salze, d.h. ihrer korrespondierenden Basen, so gilt:
HX + H2O <=> X - + H3O+
X + H2O <=> HX + OH
Das Gleichgewicht beider Gleichungen liegt infolge des geringen
Dissoziationsgrades auf der Seite der Edukte. Externe Säuren oder Basen
werden bis zum vollständigen Verbrauch von X- bzw. HX unter
Verschiebung der Gleichgewichte neutralisiert; der pH-Wert der Lösung
bleibt hierbei weitgehend konstant. Puffer dienen somit der Abschirmung
des pH-Wertes wäss. Lösungen gegenüber externen Säuren und Basen; sie
sind in der Biochemie von essentieller Bedeutung.
Für den pH-Wert eines Puffers am Beispiel einer schwachen Säure gilt
unter Berücksichtigung der zuvor genannten Näherungen:
-
KS =
CH3O x cX
KS x c HX
+
───── ; cH3O = ─────
cHX
cX-
cHX und cX- stellen unter Berücksichtigung der zuvor genannten
Näherungen die Gesamtmengen der eingesetzten Säure bzw. ihres Salzes
dar. Sind beide Mengen bzw. Konzentrationen gleich, ergibt sich:
+
cH3O = K S; p H = pKS
Dieser Zusammenhang eignet sich zur Bestimmung der pKS-Werte.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
51
Im Wasserstoffperoxid, H2 O2 , sind die Sauerstoffatome durch eine
Einfachbindung zusammengehalten; die Sauerstoffatome weisen hier die
für Peroxoverbindungen charakteristische Oxidationszahl -I auf. Die
gegenüber dem O2-Molekül (BO = 2) leichter zu spaltende O-O-Bindung
führt zu einer drastisch erhöhten Reaktivität und macht diese Verbindung
zu einer wichtigen Industriechemikalie. In reinem, d.h. unverdünnten
Zustand ist es explosiv, im Handel befindlich sind 30%-ige wäss.
Lösungen („Perhydrol“).
H2O2 wird technisch u.a. durch Hydrolyse von elektrochemisch erzeugter
Peroxodischwefelsäure (Kap. 11.3.6) gewonnen. Die Verbindung ist heute
Ausgangsmittel aller anorganischer und organischer PeroxoVerbindungen (Verwendung z.B. als Bleichmittel in Waschmitteln).
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<E21 Das Redox-Potential>
Wir haben Redoxreaktionen (E14) als Konkurrenzreaktionen um
Elektronen kennengelernt. Ähnlich wie die Säure/Basestärke von Säuren
und Basen lässt sich die Oxidations/Reduktionskraft von Verbindungen in
wäss. Lösung als stoffspezifische Konstante verstehen. Die korrekte
Ableitung erfordert die thermodynamische Behandlung des chemischen
Gleichgewichts und soll hier nicht weiter besprochen werden.
Das Elektrochemische Potential [V] einer Teilreaktion, in der die oxidierte
Form einer Verbindung bzw. Atomsorte (Ox) im Gleichgewicht mit der
reduzierten Form (Red) steht,
Ox + n e- <=> Red
wird durch die Nernst’sche Gleichung beschrieben:
0.059
cox
E’ = E + ─── log
──
n
cRed
o
Ox/Red wird als Redoxpaar bezeichnet. In der Gleichung bedeutet Eo das
sog. Standardpotential, eine für das Redoxpaar (cOx = cRed)
charakteristische Stoffkonstante (s.u.); das reale Potential E wird durch
einen Konzentrationsterm beeinflusst. Die vollständige Redoxreaktion
setzt sich aus zwei Redoxpaaren zusammen.
1
1
2
Ox + Red <=> Ox + Red
2
Wir wollen den Vorgang am Beispiel der Reaktion
52
2+
Cu
2+
+ Zn <=> Cu + Zn
näher betrachten. Die Potentiale beider Teilreaktionen (Redoxpaare)
2+
-
Cu + 2 e <=> Cu
Zn <=> Zn2+ + 2 e lassen sich in Kenntnis der Standardpotentiale Eo (Cu) und Eo (Zn) sowie der
Konzentrationen der gelösten Ionen errechnen. Bei heterogenen
Reaktionen (die Metalle weisen in Wasser eine geringe, konstante
Löslichkeit als Metallatome auf) sind die Werte cRed in den Standardpotentialen enthalten.
E = E’ x cRed
0.059
= E° + ──── x log cOx
n
Taucht man einen Zinkstab in eine Cu2+ -Salzlösung, so beobachtet man
die Abscheidung von metallischem Kupfer; zugleich geht Zink in Form
von Zn2+ in Lösung. Hingegen wird beim Eintauchen eines Kupferstabes
in eine Zn2+ -Salzlösung keine Reaktion beobachtet. Ersichtlich ist Cu2+
das stärkste Oxidationsmittel und Zn das stärkste Reduktionsmittel. Ein
Vergleich der Standardpotentiale (Zn/Zn2+ -0.76, Cu/Cu2+ +0.34 V) zeigt,
dass negative Standardpotentiale reduzierenden (d.h. „unedlen“) Metallen
zuzuordnen sind (die Konvention des Vorzeichens ergibt sich aus dem
thermodynamischen Zusammenhang, der hier außer Acht bleiben soll).
Taucht man einen Kupferstab in eine Kupfersalzlösung sowie einen
Zinkstab in eine Zinksalzlösung, so ergeben sich zwei sog.
„Halbelemente“, die eine Potentialdifferenz gem. der Nernst’schen
Gleichung aufweisen. Bei Verbindung der Stäbe mit einem Leiter fließt,
entsprechend der Potentialdifferenz (Spannung) ein Strom, wobei das
unedlere Metall Zink in Lösung geht, dass edlere Metall Kupfer sich aus
der Lösung abscheidet (Abb. 23).
Abb. 23: Das Daniell-Element
Mit dem Transport der Elektronen durch den Leiter muß zugleich, zum
Ladungsausgleich, eine gegenläufig gerichtete Wanderung der Anionen in
Lösung erfolgen.
Eine solche Anordnung bezeichnet man als Galvanisches Element. Die
hierdurch erzeugte Spannung errechnet sich aus der Potentialsumme (die
53
Normalpotentiale sind als Reduktionspotentiale aufzufassen) der Halbelemente. Da an einem der Halbelemente ein Oxidationsprozeß abläuft, ist
dort das Vorzeichen zu wechseln; tatsächlich ergibt sich die Spannung des
Elements also aus der Differenz der Reduktionspotentiale. Für das Fe/ZnElement (Daniell-Element) ergibt sich somit
2+
EZn/Zn
ECu/Cu
2+
o
=E
=
2+
Zn/Zn
EoCu/Cu2+
0.059
2+
+ ─── log cZn
2
0.059
+ ─── log cCu 2+
2
Die durch das Element erzeugte Spannung beträgt somit
2+
|ΔE| = ECu/Cu2+ - EoZn/Zn2+ +
0.059
cCu/Cu
─── log ───
2+
2
cZn/Zn
Bei gleicher Konzentration der Ionen (cCu/Cu2+ = cZn/Zn 2+) ergibt sich
|ΔE| = ECu/Cu2+ - EoZn/Zn2+ =
1.1 V
Die Normalpotentiale der chemischen Redoxpaare sind in der sog. Elektrochemischen Spannungsreihe (Tab. 11) aufgeführt.
Tab. 11: Die Elektrochemische Spannungsreihe (Ausschnitt)
Die Werte beziehen sich auf die willkürlich als Referenzelektrode
gewählte Standardwasserstoffelektrode (Eo = 0 V), bei der ein Platinblech,
eintauchend in eine wäss. Lösung des pH-Wertes 0 (cH3O+ = 1), von
Wasserstoff des Drucks 1 bar umspült wird (EH2/H3O+ = EoH2/H3O +,
heterogener Reaktionsverlauf). Dem Halbelement liegt folgender
Reaktionsverlauf zu Grunde:
H2 + 2 H2O <=> 2 H3 O+ + 2 eHieraus lässt sich das Potential (auch Elektromotorische Kraft genannt)
des neutralen Wassers (Eo = 0 V, cH3O + = 10 -7 mol/lit.) errechnen:
0.059
54
-7 2
E = 0 + ─── log (10 ) = -0.41 V
2
Dies bedeutet, dass sich alle Metalle mit E o < -0.41 V in Wasser lösen
sollten. In der Praxis (z.B. bei Mg, Al) wird dies vielfach durch sog.
Passivierung, d.h. durch Bildung einer schützenden Oxidschicht auf der
Metalloberfläche, verhindert.
Die Standardpotentiale der Redoxpaare, obwohl für elektrochemische
Reaktionsführung normiert, geben wichtige Hinweise zum chemischen
Verhalten von redoxaktiven Substanzen in chemischen Reaktionen.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
11.2.3 Verbindungen mit Edelgasen
Wir hatten gesehen, dass nur das schwerste Edelgas Xenon in der Lage
ist, mit dem Halogen höchster Elektronegativität, dem Fluor, stabile
Verbindungen zu bilden.
Tatsächlich ist bereits Sauerstoff, das Element mit nach Fluor der
höchsten Elektronegativität, nicht mehr in der Lage, selbst unter extremen
Bedingungen (Druck, Temperatur) mit Xenon zu reagieren. Jedoch läßt
sich das Oxid XeO3 durch gezielte Hydrolyse des Fluorids isolieren:
XeF6 + 3 H2O → XeO3 + 6 HF
Verbindungen
des
achtwertigen
Xenons
werden
durch
+VI
Disproportionierung (E22) der Xenate erhalten. Im Gegensatz zu den
stabilen Perxenaten+VIII ist das hieraus zugängliche XeO 4 extrem explosiv.
XeO3 + H2O → H2XeO4
H2 XeO4 + Ba(OH)2 → BaXeO 4 + 2 H2O
2 BaXe+VIO4 → Ba2Xe+VIIIO6 + Xeo + O2
Ba2 XeO6 + 2 H2SO4 → XeO4 + 2 BaSO4
Perxenate sind sehr starke Oxidationsmittel (Eo = +2.36 V).
XeO3
XeO4
2XeO4
4XeO6
XeO3 und XeO 4 sind molekular (KZ Xe = 3, 4) aufgebaut; in den Xenaten
und Perxenaten (KZ 4, 6) bewirkt die Erhöhung der Koordinationszahl
55
durch die hiermit verbundene Abschirmung eine Stabilisierung der
Komplexanionen.
11.2.4 Verbindungen mit Halogenen
Die isolierbaren binären, d.h. nur aus zwei Atomsorten bestehenden
Verbindungen des Sauerstoffs mit Fluor, Chlor und Brom sind wegen der
geringen Elektronegativitätsdifferenz sämtlich molekular aufgebaut (bei
Normalbedingungen gasförmig) und wenig stabil. Gut untersuchte
Verbindungen sind
OF2
Cl2O
ClO2
Cl2O7
In OF2 liegt Sauerstoff der Oxidationszahl +II vor. In allen anderen
Verbindungen weisen die Halogene positive Oxidationszahlen auf.
ClO2 bildet ein stabiles Radikal; die Dimerisierung unterbleibt wegen der
durch die hohe Elektronegativität der beteiligten Atomsorten geringen
Orbitalenergie (Ionisierungspotential) des ungepaarten Elektrons. Die zur
Entkeimung (Trinkwasser) und als Bleichmittel verwendete Verbindung
wird trotz ihrer Brisanz (in reiner Form explosiv), verdünnt mit
Sauerstoff, technisch hergestellt
2 NaClO3 + SO 2 + H2 SO4 → 2 ClO2 + 2 NaHSO4
Cl2 O und Cl2 O7 sind Anhydride (E23) der ensprechenden
Chlorsauerstoffsäuren (Kap. 11.2.5). Die weniger wichtigen Bromoxide
sollen hier nicht besprochen werden.
Auf Grund seiner höheren Polarität liegt I2 O5 bei Normalbedingungen als
molekular gebauter Feststoff vor und ist von deutlich höherer Stabilität
(allerdings gleichfalls ein kräftiges Oxidationsmittel).
I2O5
Es wird als Anhydrid durch Entwässern der Iodsäure bei 200 °C
gewonnen.
2 HIO3 → I 2O5 + H2 O
11.2.5 Halogensauerstoffsäuren
56
Die instabile Unterfluorige Säure HOF, erst in neuerer Zeit dargestellt,
enthält Sauerstoff der Oxidationszahl 0 und soll hier nicht weiter
besprochen werden.
Chlor, Brom und Iod (E) bilden Sauerstoffsäuren HEOn (n = 1 bis 4; die
vollständige Reihe ist nur für E = Cl bekannt), bei denen an das zentrale
Halogenatom 1,2,3 oder 4 Sauerstoffatome gebunden sind. Ein
Sauerstoffatom trägt dabei noch ein Wasserstoffatom, das leicht an eine
Base abgegeben werden kann. Wir wollen diese Substanzklasse am
Beispiel der Chlorverbindungen näher betrachten.
+I
HCl O
HCl+III O2
+V
HCl O3
+VII
HCl O4
Unterchlorige Säure („Hypochlorige S.“)
Chlorige Säure
Chlorsäure
Perchlorsäure
Die Bindungen kann man als polare Atombindungen ansehen. Hierbei
nehmen die 4 sp3 -Hybridorbitale des zentralen Chloratoms die nichtbindenden Elektronenpaare sowie die zur Ausbildung der σ-Bindungen
verwendeten Elektronenpaare auf; dies führt zu einer verzerrt-tetraedrischen Umgebung der Chloratome. Das Resonanzgleichgewicht der π
Bindungen liegt wegen der energetisch ungünstigen Lage der d-Orbitale
des Chloratoms weitgehend auf der Seite der polaren Grenzstruktur.
Cl = O ↔ Cl+- ODie Säurestärke steigt in der o.gen. Reihe an, da die Sauerstoffsubstituenten die OH-Bindung mit steigender Zahl zusätzlich polarisieren.
Perchlorsäure ist die derzeit stärkste Broenstedt-Säure (pKS = -10).
In wasserfreiem Zustand ist nur die Perchlorsäure bekannt; die anderen
Säuren, sämtlich durch Umsetzung ihrer Salze mit Schwefelsäure als
wäss. Lösungen erhältlich, zersetzen sich beim Versuch der Isolierung.
Das beständige Natriumsalz der Hypochlorigen Säure (Natriumhypochlorit) wird durch Umsetzung von Chlor mit Natronlauge erhalten. Es
lässt sich thermisch zu Natriumchlorat (NaClO3 ) disproportionieren. Die
technische Synthese von Natriumperchlorat (NaClO4 ) erfolgt elektrochemisch durch anodische Oxidation von Natriumchlorat:
Cl2 + 2 NaOH → NaCl + NaOCl + H2 O
3 NaClO → NaClO3 + 2 NaCl
ClO3 - + 3 H2O → ClO4 - + 2 H3 O+ + 2 e-
57
Die wasserfreie Perchlorsäure wird durch Umsetzung ihrer Salze mit
Schwefelsäure und nachfolgende Destillation im Vakuum (Kp 120 °C)
erhalten.
NaClO4 + H2SO4 → HClO4 + NaHSO4
Sämtliche Chlorsauerstoffsäuren und ihre Salze sind starke Oxidationsmittel. Wasserfreie Perchlorsäure explodiert mit brennbaren Substanzen.
Natriumhypochlorit wird als Bleichmittel verwendet; ein wichtiges
technisches Produkt ist das aus Kalkmilch (s.u.) und Cl2 zugängliche
Ca(OCl)Cl (Chlorkalk). Natriumchlorat und Natriumperchlorat sind als
Oxidationsmittel z.B. in Zündholzköpfen und Feuerwerkskörpern
enthalten.
Die Sauerstoffsäuren des Broms sollen hier nicht näher besprochen
werden. HBrO4 und ihre Salze gehören zu den stärksten Oxidationsmitteln
(Radienkontraktion der Elemente Ga-Kr durch zuvor beim Aufbau der
Elemente erfolgte Besetzung der 3d-Orbitale).
Die entsprechenden Sauerstoffsäuren des Iods, HIO3 und HIO4, sind
gleichfalls starke Oxidationsmittel, reagieren jedoch schwächer sauer.
Iodsäure lässt sich durch direkte Oxidation von Iod erhalten, Periodsäure
wird analog der Perchlorsäure hergestellt.
I2 + 6 H2O + 5 Cl2 → 2 HIO3 + 10 HCl
+
IO3 + 3 H2O → IO4 + 2 H3O + 2 e
Die Säuren und ihre Alkalimetallsalze bilden stabile Feststoffe. Bedingt
durch den gegenüber Chlor größeren Atomradius von Iod bevorzugt das
Zentralelement in der Periodsäure und ihren Salzen die KZ 6 (Oktaeder),
die durch Ausbildung von Polymeren erreicht wird. Das gleiche Resultat
wird erreicht durch Addition von zwei Äquivalenten Wasser; die hierbei
entstandene ortho-Periodsäure H5 IO6 wie auch ihr Anion sind aus
monomeren IO6-Oktaedern aufgebaut.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E22 Komproportionierung und Disproportionierung>
Bei der Betrachtung der Chlorsauerstoffsäuren haben wir gesehen, dass
insbesondere bei thermischer Belastung Elemente oder Verbindungen in
Komponenten unterschiedlicher Oxidationszahlen überführt werden; diese
liegen dann oberhalb und unterhalb der des Edukts. Eine solche Reaktion
bezeichnet man als Disproportionierung.
Auch der hierzu inverse Vorgang ist bekannt, wenn bei Redoxreaktionen
zwei Komponenten der gleichen Atomsorte, aber verschiedener
Oxidationszahl, zu einem Produkt dieser Atomsorte reagieren. Redox58
reaktionen diesen Typs bezeichnet man als Komproportionierung oder
Synproportionierung. Die Oxidationszahl des Elements im Produkt muß
dann folglich zwischen denen der Edukte liegen. Der Vorteil solcher
Reaktionen liegt, vor allem im Bereich der Metallchemie, im Auftreten
nur eines Produkts, so dass im Falle vollständig verlaufender Reaktionen
keine Trennprobleme anfallen.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E23 Anhydride und Säurehalogenide>
Wir haben bereits mehrfach gesehen, dass Verbindungen der Nichtmetalle
unter Abspaltung von einem Äquivalent Wasser zu Derivaten, meist
Oxiden, reagieren können. Umgekehrt neben viele Nichtmetalloxide
Wasser auf unter Bildung von Sauerstoffsäuren. Da hierbei die
Oxidationszahl des Zentralelements nicht wechselt, handelt es sich nicht
um Redoxreaktionen, auch nicht um Säure/Base-Reaktionen im Sinne der
Broenstedt-Definition. Die durch Wasserabspaltung aus den Sauerstoffsäuren erhaltenen Oxide bezeichnet man als deren Anhydride.
Verbindungen, in denen die azide OH-Gruppe gegen ein Halogenatom
ersetzt ist, bezeichnet man als Säurehalogenide. Sie reagieren mit Wasser
unter Abspaltung von Halogenwasserstoff (meist HCl) zu den
zugehörigen Säuren.
Nachfolgend sind einige Beispiele aufgeführt, die z.T. später ausführlicher
besprochen werden (Tab. 12):
Tab. 12: Sauerstoffsäuren und ihre Anhydride bzw. Säurechloride
Nicht alle Anhydride bzw. Säurechloride reagieren mit Wasser zur
genannten Säure (z.B. Kohlensäure, Kieselsäure, Schweflige Säure).
Jedoch bilden sich in allen Fällen bei Verwendung von Basen (z.B.
NaOH) die Metallsalze der Säuren.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
11.2.6 Verbindungen mit Alkalimetallen
Sauerstoff reagiert mit Alkalimetallen spontan zu Metalloxiden der
Zusammensetzung M2O, M 2O2 und MO2 .
4 M + O2 → 2 M2O
2 M + O2 → M2O2
M + O2 → MO2
(M = Li, Lithiumoxid)
(M = Na, Natriumperoxid)
(M = K,Rb,Cs, Metallhyperoxid)
59
Als Ursache für die Bildung unterschiedlicher Produkte wird die für den
Aufbau stabiler Gitter (Gitterenergie) vergleichbare Ionengröße angenommen.
Die Oxide der schwereren Alkalimetalle sind durch thermische
Zersetzung der Carbonate oder Hydroxide (Kap. 11.2.7) zugänglich,
M2CO3 → M2O + CO2
2 M(OH) <=> M2O + H2 O
zu denen sie mit Wasser als starke Basen reagieren. Die Hydrolyse der
Peroxide und Hyperoxide führt zur Bildung von H2 O2; beide
Verbindungsklassen sind starke Oxidationsmittel.
M2O2 + 2 H2 O → 2 M(OH) + H2O2
2 MO2 + 2 H2 O → 2 M(OH) + H2O2 + O2
Sämtliche Verbindungen bilden Salze, in denen neben den Kationen M+
die Anionen O2- (Oxidationszahl –II), O22- (Oxidationszahl –I) und O2(Oxidationszahl -0.5) vorliegen. Der Aufbau der zweiatomigen Anionen
lässt sich aus dem MO-Schema des O2-Moleküls (vgl. Abb. 21) herleiten,
wobei im Falle von O2- 1 Elektron (Bindungsordnung 1.5,
paramagnetisch), im Falle von O22- 2 Elektronen (Bindungsordnung 1,
diamagnetisch) in das tiefstliegende antibindende Molekülorbital
eingefügt werden. O22- hat folglich die gleiche Elektronenstruktur wie das
F2-Molekül; man sagt es ist hierzu isoelektronisch (vgl. E31).
Die Struktur des Salzes Li2O lässt sich aus der zuvor besprochenen
Kubisch Dichtesten Kugelpackung der Anionen herleiten; hierin besetzen
die Kationen sämtliche Tetraederlücken (KZ 4 für Li, KZ 8 für O).
Die aus den Carbonaten in großem Umfang in situ erzeugten Oxide
spielen eine wichtige Rolle bei der Glasherstellung (vgl. E34).
11.2.7 Alkalimetallhydroxyde
Die zuvor bereits genannten Alkalimetallhydroxide sind sämtlich sehr gut
in Wasser löslich (stark exotherme Reaktion!). Sie ziehen im festen
Zustand aus der Luft Wasser an (diese Eigenschaft nennt man
hygroskopisch) und kommen deshalb nicht in der Natur vor. Die als starke
Basen in großem Umfang technisch hergestellten Hydroxide NaOH und
KOH erhält man tatsächlich durch Reaktion der Metalle mit Wasser.
2 M + 2 H2 O → 2 M(OH) + H2
60
Hierbei werden die Metalle auf elektrochemischem Wege (Elektrolyse) in
situ aus den wäss. Lösungen der Metallchloride erhalten (ChloralkaliElektrolyse),
M+ + e- → M (Kathode)
Cl → ½ Cl2 (Anode)
so dass sich als Nebenprodukte zugleich in großen Mengen Wasserstoff
und Chlor bilden. Zur Vermeidung der Reaktion von OH- mit Cl2
-
-
-
2 OH + Cl2 → Cl + OCl + H2O
müssen die Elektrodenräume durch eine Membran getrennt werden (Abb.
24).
Abb. 24: Die Chloralkalielektrolyse
Auch die Alkalimetallhydroxide kristallisieren als Salze; hierin sind die
Hydroxid-Ionen untereinander durch Wasserstoffbrücken-Bindungen
verknüpft.
11.3 Schwefel, Selen, Tellur
Gegenüber dem häufigen und wichtigen Element Schwefel sind seine
schwereren Gruppennachbarn von untergeordneter Bedeutung und zudem
dem Schwefel ähnlich; ihre Chemie soll deshalb nur zur Kennzeichnung
von Unterschieden erwähnt werden.
Schwefel kommt in der Natur in großem Umfang elementar (als S8 ) sowie
in Form von Metallsulfaten (CaSO4 ) und Metallsulfiden (FeS) vor. Selen
und Tellur treten hierin in sehr geringem Umfang als Verunreinigungen,
viel seltener in Form reiner Mineralien, auf.
11.3.1 Die Elemente
Im Gegensatz zu seinem leichteren Gruppennachbarn ist beim Schwefel
das zweiatomige Molekül S2 nur bei hohen Temperaturen in der Gasphase
existent. Bei Normalbedingungen liegt Schwefel in fester Form als
ringförmiges S8 -Molekül vor (Abb. 25).
Abb. 25: Formen des elementaren Schwefels
In der Schmelze (Schmp. 120 °C) und in der Gasphase (Sdp. 445 °C)
lassen sich weitere Moleküle Sn nachweisen, von denen einige (n z.B.
6,7,10,12,18) auch in reiner Form strukturanalytisch charakterisiert
wurden. Die sämtlich gleichfalls als Ringe vorliegenden Moleküle
61
wandeln sich unter dem Einfluß von Wärme und Licht rasch in S 8Moleküle um.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E24 Die Doppelbindungsregel>
Der der trotz gleicher Gruppenzugehörigkeit (nlx ) unterschiedliche
Aufbau der Elemente Sauerstoff und Schwefel ist auffällig und bedarf
einer Begründung.
Wir hatten zuvor gesehen (E17), dass im Bereich der Atombindung
Mehrfachbindungen (BO > 1) aus σ
- und π
-Bindungen zusammengesetzt
sind. Hierbei findet die Bindungsstärke im „Überlappungsintegral“ der
Atomorbitale ihren Niederschlag.
Es ist leicht einzusehen, dass bei steigendem Atomradius die Überlappungsintegrale der π
-Bindungen rasch abnehmen und somit die Mehrfachbindungen gegenüber der Summe der Einfachbindungen instabiler
werden (Abb. 26).
Abb. 26: Schematische Darstellung der Überlappungsintegrale
für O2 und S2
Aus diesem Grunde lagern sich Moleküle der schwereren Hauptgruppenelemente (n > 2), in denen die Atome durch Mehrfachbindungen
zusammengehalten werden, in Oligomere oder Polymere, die nur Einfachbindungen enthalten, um. Diesen Vorgang nennt man Oligomerisation
oder Polymerisation (vgl. hierzu Kap. 19.5.1.1), z.B.
4 S2 → S8
Neben π
-Bindungen unter Beteiligung von p-Orbitalen der Atome, sog.
(p→p)π-Bindungen sind auch solche, in denen besetzte p-Orbitale (nichtbindende Elektronenpaare) mit unbesetzten d-Orbitalen in Wechselwirkung treten, bekannt. Diese (p→d)π-Bindungen genannten Bindungen
treten häufig bindungsverstärkend als Resonanz auf und spielen beispielsweise bei der Stabilisierung der S-S-Bindung in S8 eine wichtige Rolle.
-S-S- ↔ -S=SDie relative Schwäche der O-O-Bindung im Peroxid-Fragment O 2 (z.B. in
H2O2 ) resultiert aus dem Ausbleiben dieser Bindungsverstärkung durch
das Fehlen der 2d-Orbitale.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
62
Kann die S-S-Einfachbindung in elementarem Schwefel durch (p→p)πWechselwirkungen noch effektiv stabilisiert werden, so tritt dieser Effekt
bei den schwereren Gruppennachbaren infolge des wachsenden Atomradius zurück. Hier werden bevorzugt Polymere Se∞ und Te∞ gebildet, in
denen die (p→p)π-Wechselwirkungen im festen Zustand durch solche
zwischen Atomen verschiedener, eng beieinander liegender Ketten, ersetzt
werden (Abb. 27). Das Element Polonium liegt bereits als Metall vor.
Abb. 27: Formen des elementaren Selens
Schwefel wird in großem Umfang in der Anorganischen und Organischen
Synthesechemie eingesetzt. Im Vordergrund stehen die Produktion von
Schwefelsäure (Kap. 11.3.6), S2 Cl2 (Kap. 11.3.3) und schwefelhaltigen
organischen Verbindungen. Der hierzu benötigte Schwefel wir im sog.
Frasch-Verfahren aus elementaren Lagern als Schmelze (Abb. 27a) oder
aus H2 S im sog. Claus-Prozeß gewonnen.
Abb. 27a: Das Frasch-Verfahren
2 H2 S + 3 O2 → 2 SO2 + 2 H2 O
2 H2 S + SO2 → 3 S + 2 H2O
11.3.2 Verbindungen mit Wasserstoff
Die dem Wasser analogen Verbindungen H2E (E = S,Se,Te) bilden hierzu
analog dreiatomige, gewinkelt gebaute Moleküle (Sulfane, Selane,
Tellane), in denen die Chalkogenatome die Oxidationszahl –II aufweisen.
H2 E
Auf Grund des geringeren Dipolmoments weisen sie wesentlich
schwächere intermolekulare Wechselwirkungen (WasserstoffbrückenBindungen) und somit niedrigere Siedepunkte auf; sie bilden sämtlich bei
Raumtemperatur giftige, übelriechende Gase.
Der steigende Atomradius der Chalkogenatome führt in der Bindungsbildung mit den Wasserstoffatomen zu geringeren Überlappungsintegralen und somit zu schwächeren Bindungen. Hiermit in Zusammenhang steht, analog zur Situation der Halogenwasserstoffe HX (X =
F,Cl,Br,I), eine Zunahme der Säurestärke [pK S 10-16 (O), 10-7 (S), 10-4
(Se), 10-3 (Te)] und Abnahme der chemischen Stabilität für H2E beim
Übergang zu den schwereren Halogenatomen; H2Te zerfällt bereits bei
Raumtemperatur in die Elemente.
63
Die Darstellung der Verbindungen erfolgt am besten durch Umsetzung
der aus den Elementen leicht zugänglichen Metallchalkogenide (Kap.
11.3.4) mit Säuren.
Na2 E + 2 HCl → H2E + 2 NaCl (E = S,Se,Te)
Anders als bei Se und Te bildet H2 S das Anfangsglied einer homologen
Reihe H2 Sn (n = 2-20, Polysulfane) als Folge der für S 8 zuvor genannten
(p→d)π-Bindungsverstärkung. Auch diese Verbindungen lassen sich
durch eine Säure/Base-Reaktion aus ihren Salzen gewinnen.
Na2 Sn + 2 HCl → H2Sn + 2 NaCl
Hierin weist der Schwefel negative, gebrochene Oxidationszahlen (-I bis
0) auf. H2 S2 ist ähnlich gebaut wie H 2O2 , zeigt jedoch wegen der höheren
Stabilität der S-S-Bindung keine oxidierenden Eigenschaften.
11.3.3 Verbindungen mit Halogenen
Sämtliche Halogenide der Chalkogene sind infolge der geringen
Elektronegativitätsdifferenz molekular aufgebaut.
Mit Fluor bildet Schwefel die Verbindungen,
SF2
S2F2
SF4
S2F10
SF6
die sämtlich bei Raumtemperatur gasförmig sind und aus isolierten
Molekülen bestehen. Ihre Struktur lässt sich nach dem VSEPR-Konzept
korrekt vorhersagen.
Die wichtigen Verbindungen SF4 und SF6 werden technisch aus den
Elementen erhalten; im Labor kann SF4 durch Disproportionierung
dargestellt werden.
S + 2 F2 → SF4
S + 3 F2 → SF6
3 SCl2 + 4 NaF → SF4 + S2 Cl2 + 4 NaF
Das wegen der hohen sterischen Abschirmung des Schwefelzentrums und
des ausgeprägten (p→d)π-Bindungsanteils der S-F-Bindungen ungewöhnlich stabile SF6 (keine Reaktion mit 500 °C heißem Wasserdampf
64
oder mit geschmolzenem Natrium) findet wegen der hohen Dielektrizitätskonstante Verwendung als Isoliergas in Hochspannungsanlagen. SF4 ist ein wichtiges Fluorierungsmittel in der organischen
Synthesechemie
R2 C=O + SF4 → R2CF2 + S(O)F2
Schwefelchloride bilden übelriechende Flüssigheiten. Sie können aus den
Elementen erhalten werden
n S + Cl2 → SnCl2
und zersetzen sich langsam unter Bildung des stabilen S2Cl 2, das als
Vulkanisierungsmittel in der Gummiindustrie umfangreiche Versendung
findet.
2 SCl2 → S2Cl2 + Cl2
SnCl2 → S2Cl2 + (n-2) S
SCl4 ist nur bei tiefen Temperaturen stabil; hingegen kennt man die
stabilen Salze des Kations [SCl3]+.
Als einzige binäre Verbindung des Schwefels mit Brom ist das aus den
Elementen zugängliche sehr labile S2Br2 beschrieben worden. Stabile
binäre Verbindungen des Schwefels mit Iod sind nicht bekannt.
Bei Selen und Tellur dominiert die Chemie der stabilen Tetrahalogenide
EX4 (E = Se,Te; X = Cl, Br,I), jedoch sind auch E2 Cl2 und TeF6 bekannt.
11.3.4 Verbindungen mit den Alkalimetallen
Alle Alkalimetall-Chalkogenide M2 X (M = Alkalimetall, X = S,Se,Te)
liegen im festen Zustand in Form von Ionengittern vor. Die aus den
Elementen leicht zugänglichen Salze
2 M + X → M 2X
reagieren infolge der hohen Basizität der Anionen rasch mit Wasser.
M2X + 2 H2 O → 2 M(OH) + H2X
Auch Chalkogen-reichere Salze M 2X n sind, insbesondere von Schwefel,
bekannt.
11.3.5 Verbindungen mit Sauerstoff
65
Schwefel bildet mit Sauerstoff zwei stabile Oxide,
SO2
SO3
die aus den Elementen zugänglich und molekular aufgebaut sind. Die
Bildung von SO2 , einem farblosen, stechend riechenden Gas (Sdp. -10
°C), ist Grundlage technischer Prozesse, erfolgt aber auch unerwünscht in
großem Umfang bei der Verbrennung schwefelhaltiger fossiler
Brennstoffe (z.B. in Kraftwerken, Heizungen und Verbrennungsmotoren).
S + 2 O2 → SO2
Auch beim „Rösten“ von sulfidischen Metallerzen werden große Mengen
an SO2 freigesetzt.
4 FeS + 7 O2 → 4 SO 2 + 2 Fe2O3
SO2 löst sich gut in Wasser; die Lösungen enthalten jedoch nur in
geringen Mengen die instabile „Schweflige Säure“.
Die Oxidation von SO2 zu SO3 ist thermodynamisch möglich, bedarf
jedoch wegen der kinetischen Hemmung eines Katalysators.
2 SO2 + O2 → 2 SO3; ΔH = -23.5 kcal/mol
Einzelheiten zu diesem technisch hochbedeutenden Vorgang sollen im
nachfolgenden Kapitel besprochen werden.
SO3 bildet im Gaszustand (Sdp. 44 °C) monomere Moleküle; im festen
Zustand existieren eine trimere sowie eine polymere Form (Abb. 28).
Abb. 28: Oligomere Formen des Schwefeltrioxids
Mit Wasser reagiert SO3 in einer stark exothermen Reaktion zu Schwefelsäure.
SO3 + H2O → H2 SO4
Die Oxide des Selens und Tellurs sind formal analog zusammengesetzt.
SeO2 und die stark oxidierend wirkenden SeO 3 und TeO3 besitzen einen
polymeren Aufbau. TeO2 kristallisiert in einem Ionengitter.
66
11.3.6 Chalkogensauerstoffsäuren und Säurechloride
Zahlreiche Verbindungen der allgemeinen Zusammensetzung H2 SnOx
werden in der Literatur erwähnt (Tab. 13); die meisten sind jedoch nur in
verd. wäss. Lösung oder in Form ihrer Metallsalze bekannt. Verbindungen
mit ungeraden Oxidationszahlen des Schwefels enthalten eine S-SBindung. Wir wollen uns auf die Besprechung wichtiger Verbindungen
beschränken.
Tab. 13: Sauerstoffsäuren des Schwefels
Schwefelsäure (H2SO4 , Sdp. 338 °C, Schmp. 10 °C) wird in großem
Umfang technisch durch Umsetzung von SO3 mit Wasser hergestellt und
gehört zu den wichtigsten Industriechemikalien überhaupt.
H2 SO4
Wie bereits erwähnt, reagiert SO2 mit Luftsauerstoff nicht spontan zu SO3 ,
so dass zur Durchführung ein zusätzliches Hilfsmittel, hier V2 O5 ,
verwendet wird. Hieraus ergibt sich folgender Reaktionsverlauf:
2 S+IVO2 + 2 V+V2O5 +→ 2 S+VI O3 + 4 V+IVO2
+IV
+V
4 V O2 + O2 → 2 V 2O5
_____________________________________
2 SO2 + O2 → 2 SO3
SO3 + H2O → H2 SO4
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E25 Katalyse I>
Wie aus der vorstehenden Gleichung ersichtlich wird, liegt der die
Oxidation von SO2 zu SO3 bewirkende Stoff V2 O5 nach Abschluß der
Reaktionsfolge unverändert vor. Er kann deshalb „unterstöchiometrisch“,
d.h. in geringen Mengen zugesetzt werden. Einen solchen Stoff
bezeichnet man als Katalysator.
Der Katalysator verändert die Energiebilanz der Gesamtreaktion und
somit auch deren Gleichgewichtslage nicht. Er greift jedoch in den
Reaktionsablauf, den sog. Reaktionsmechanismus, ein. Hieraus resultiert
eine Veränderung der Reaktionskoordinate (Abb. 29) hinsichtlich der
energetischen Lage des sog. Übergangszustandes.
Abb. 29: Energiediagramm einer katalysierten Reaktion
67
Der direkte Angriff des SO2-Moleküls auf ein O2 -Molekül und dessen
Spaltung erfordert eine hohe Anregungsenergie; hingegen lässt sich VO2
unter den Reaktionsbedingungen des Syntheseprozesses leichter mit O2
zur Reaktion bringen (beide Verbindungen enthalten ungepaarte
Elektronen). Das hierbei resultierende V2O5 ist ein starkes Oxidationsmittel.
Insgesamt können wir also die Katalyse bezüglich der Gesamtreaktion als
kinetisch gesteuerten Prozeß auffassen. Da im vorliegenden Falle SO2 ,
SO3, Wasser und die Vanadinoxide (beide sind in Wasser und in Säuren
unlöslich) in getrennten Phasen vorliegen, spricht man von Heterogener
Katalyse (vgl. E41).
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
In der Produktionsanlage (Abb. 30) wird zur Oxidation das Gemisch aus
SO2 und O 2 einer festen Oberfläche aus V2O5 /VO2 nur kurzzeitig ausgesetzt. Man spricht deshalb vom Kontaktverfahren. Zur Vermeidung von
Überhitzung wird SO3, an Stelle in Wasser, in verd. Schwefelsäure
eingeleitet.
Abb.30: Anlage zur Produktion von Schwefelsäure
In früheren Produktionsanlagen wurde als Katalysator an Stelle der
Vavadinoxide ein Gemisch aus Nitrosen Gasen (vgl. Kap. 13.2.5)
verwendet, das in Wasser löslich ist:
2 S+IVO2 + 2 N+V2O5 +→ 2 S+VI O3 + 4 N+IVO2
+IV
+V
4 N O2 + O2 → 2 N 2O5
_____________________________________
2 SO2 + O2 → 2 SO3
SO3 + H2O → H2 SO4
Wegen der in Bleikammern erfolgenden Produktionsführung (Blei wird
durch Schwefelsäure “passiviert”, da PbSO4 in Schwefelsäure unlöslich
ist) wird dieses Verfahren Bleikammerverfahren genannt.
Hier ergibt sich neben anderen Nachteilen das Problem der Abtrennung
des Katalysators vom Produkt, so daß dieses Verfahren heute nicht mehr
verwendet wird.
Schwefelsäure ist eine starke Säure (pKS = -3) und wirkt in konzentrierter
Form stark oxidierend. Da bei der Verdünnung mit Wasser Wärmeenergie
freigesetzt wird, zieht sie beim Stehen an der Luft Wasser an (sie ist
hygroskopisch) und wird deshalb als Trockenmittel (Wasserentzug) von
gegenüber Schwefelsäure resistenten Gasen verwendet.
68
Schwefelsäure wird in großen Mengen in vielen Bereichen der Chemie
eingesetzt. Die Hauptmengen werden benötigt zur Gewinnung der sog.
„Nassphosphorsäure“ (Kap. 13.3.5) sowie von „Weißpigmenten“ (TiO2).
Wegen der hohen Azidität der Schwefelsäure reagieren ihre Salze, die
Sulfate (SO42-) in Wasser neutral. Sie kommen in beachtlichen Mengen
insbesondere als CaSO4 (Gips) in der Natur vor. Die Hydrogensulfate
(HSO4 -) besitzen noch ausgeprägt saure Eigenschaften (pKS = 1.92):
-
+
2-
HSO4 + H 2O → H3 O + SO 4
Peroxodischwefelsäure (H2 S2O8 ) enthält gleichfalls Schwefel der
Oxidationszahl +VI sowie eine die Schwefelatome verbrückende O2Gruppe, in der die Sauerstoffatome die Oxidationszahl –I aufweisen. Sie
ist, wie auch ihre Salze, ein starkes Oxidationsmittel.
H2 S2 O8
Ihre Darstellung erfolgt durch elektrochemische Oxidation von Schwefelsäure.
-
-
2 HSO 4 → H2S2O8 + 2 e
Schweflige Säure (H2SO3 ) ist, wie bereits erwähnt, nur in Form ihrer Salze
bekannt, die durch Einleiten von SO2 in wäss. Lösungen von Basen
erhalten werden.
SO2 + 2 NaOH → Na2SO3 + H2 O
Sulfite und Hydrogensulfite (HSO3 -) werden in großem Umfang als
Reduktionsmittel sowie zur Extraktion in der Papierherstellung
verwendet.
Ein wesentlich effizienteres Reduktionsmittel bildet das Natriumsalz der
Dithionigen Säure (H2 S2O4 ), das durch kathodische Reduktion von
NaHSO3 erhalten wird (man beachte die ungewöhnliche Reaktion eines
Anions an der Kathode!).
2 HSO3- + 2 e - → S2O42- + 2 OHDie rasche Reduktionswirkung in wäss. Lösung beruht auf dem
Dissoziationsgleichgewicht des diamagnetischen Dianions zum
paramagnetischen Monoanion.
69
2-
-
S2O4 <=> 2 SO 2
SO2- → SO2 + e-
Gleichfalls von technischer Bedeutung sind die durch Umsetzung von
Sulfiten mit Schwefel leicht zugänglichen Salze der Thioschwefelsäure
(H2 S2O5 ).
SO32- + S → S2O32Na2 S2 O3 bildet in wäss. Lösung stabile lösliche Komplexe mit
Silbersalzen und wird in der Photographie (sw) als „Fixiersalz“
verwendet. Von Bedeutung in der analytischen Chemie ist die Oxidation
mit Iod unter Bildung des Tetrathionat-Ions.
2 S2O3
2-
2-
+ I 2 → S4O6
-
+ 2I
Die bekannten Oxidchloride SOCl 2 (Thionylchlorid, Sdp. 79 °C) und
SO2Cl2 (Sulfurylchlorid, Sdp. 69 °C) können als Säurechloride der
Schwefelsäure bzw. Schwefligen Säure aufgefasst werden (auch die
Fluoride sind bekannt).
SO2Cl 2
SOCl2
Sie werden technisch in großem Umfang hergestellt und finden
Verwendung in der anorganischen und organischen Synthesechemie, z.B.
zum Aufbau von organischen Sulfonsäurechloriden (RSO2Cl).
SO2 + Cl2 → SO2 Cl2
SCl2 + SO3 → SOCl2 + SO 2
Beim Übergang zu den schwereren Chalkogenen nimmt die Säurestärke
der Chalkogensauerstoffsäuren (H2 SeO4, H 6TeO6 ) ab und ihre oxidierende
Wirkung zu.
12 Die Elemente der Gruppe 2 (Erdalkalimetalle)
12.1 Allgemeines
Die Elemente der Gruppe 2 weisen die Valenzelektronenkonfiguration ns2
auf; sie liegen in ihren Verbindungen sämtlich in der Oxidationszahl +II
vor (Tab. 14).
70
Tab. 14: Eigenschaften und Strukturen der Erdalkalimetalle
Durch Ausbildung konventioneller Atombindungen kann die Edelgaskonfiguration nicht erreicht werden. Infolge der Elektronenmangelsituation liegen die Elemente folglich als Metalle vor.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E26 Die Metallische Bindung II>
Wir konnten die durch Elektronenmangel erzeugte Metallische Bindung
als Spezialfall der Atombindung unter Zuhilfenahme der Resonanz durch
ein VB-Modell beschreiben (E12). Die Kenntnis des MO-Modells (E18)
gestattet nun ein tieferes Verständnis dieses Phänomens.
Das MO-Schema des in der Gasphase nachweisbaren Li 2-Moleküls weist
zwei Molekülorbitale auf, von denen das energetisch günstigere, ähnlich
wie im H2-Molekül, mit zwei Elektronen besetzt ist (KZ 1,
Bindungsordnung 1). Beim Übergang zum Kristallverband (KZ ∞)
resultiert nun, aus der unendlichen Anzahl der Atomorbitale, eine
Aneinanderreihung
energetisch
eng
beieinander
liegender
Molekülorbitale. Hierbei wird die Energielücke zwischen bindenden und
antibindenden Molekülorbitalen aufgehoben. Man spricht von einer
Bandstruktur der Orbitale (Abb. 31).
Abb. 31: Schematische Darstellung der metallischen Bindung in Li ∞
In dieser Struktur ist die durch die Quantenbedingungen erzeugte
Separierung der Energieniveaus aufgehoben. Da im Falle der Metalle das
Band nicht vollständig mit Elektronen besetzt ist, kann durch Einwirkung
geringfügiger, nicht den Quantenbedingungen gehorchender Energiebeträge eine Anregung der Elektronen erfolgen; hierdurch werden die
Elektronen über den gesamten Kristallverband „beweglich“, was die
charakteristischen metallischen Eigenschaften (elektrische und thermische
Leitfähigkeit, metallischer Glanz) bewirkt. Die durch Temperaturerhöhung bewirkte Schwingung der Atome im Gitter stört diese Beweglichkeit; hierdurch kommt es bei Metallen zur Abnahme der elektrischen
Leitfähigkeit mit steigender Temperatur.
Bei Halbleitern und Nichtleitern besteht eine Bandlücke zwischen dem
vollständig besetzten Valenzband und dem nichtbesetzten Leitungsband,
da die bindenden und antibindenden Molekülorbitale nicht überlappen.
Zur Verschiebung von Elektronen aus dem Valenzband in das
Leitungsband ist nun die Zufuhr von (thermischer) Energie erforderlich.
Für solche Strukturen (Halbleiter) steigt deshalb die elektrische
Leitfähigkeit mit steigender Temperatur. Bei Nichtleitern (Isolatoren)
liegt die erforderliche Anregungsenergie außerhalb des durch thermische
Anregung erreichbaren Bereichs (Abb. 32).
71
Abb. 32: Energiebändermodell
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Ein Vergleich der Ionisierungspotentiale der Elemente der Gruppe 2 weist
dem Beryllium eine Sonderstellung zu (IP 9.32 eV). Seine Chemie soll
deshalb gesondert besprochen werden.
12.2 Beryllium
Das seltene Element Beryllium findet sich in dem Mineral Be3 Al2Si6 O18,
das je nach seiner (von geringfügigen Verunreinigungen herrührenden)
Farbe als Beryll, Smaragd oder Aquamarin bezeichnet wird. Das Metall
wird durch Schmelzflusselektrolyse des Chlorids erhalten.
Be2+ + 2 e- → 2 Be
Metallisches Beryllium findet Verwendung als Moderatormaterial
(Einfang von Neutronen in Kernreaktoren) sowie als Fenstermaterial in
Röntgengeräten.
In Folge seines hohen Ionisierungspotentiales bildet Beryllium nur mit
den Elementen höchster Elektronegativität Salze (BeF2 , BeO).
In BeCl2 liegen bereits (stark polarisierte) Atombindungen vor. Im
isolierten (monomeren) Molekül erreicht das Metallzentrum bei
Ausbildung von zwei Atombindungen die Edelgaskonfiguration nicht.
Der hierdurch bewirkte Elektronenmangel wird durch Ausbildung einer
polymeren Struktur unter Einbindung von (im monomeren Molekül)
nichtbindenden Elektronenpaaren der Halogenatome behoben, so dass die
Halogenatome nunmehr eine Brückenfunktion wahrnehmen. In dieser
Struktur weisen die Berylliumatome unter Verwendung von 4 sp 3Hybridorbitalen eine verzerrt tetraedrische Koordinationsumgebung von
jeweils 4 Chloratomen auf; diese stellen jeweils 3 Elektronen (als
Chloridionen gegenüber dem Be2+ -Zentrum 4 Elektronen, sog. 3c4eBindung) zur Bindung bereit, so dass das Metallzentrum nunmehr das
angestrebte Elektronenoktett erreicht (ein weiterer Typ der 3c4e-Bindung,
der z.B. im I3 —Ion vorliegt, wird in E18 besprochen).
BeCl2
In wäss. Lösungen hingegen liegt BeCl2 als Komplexzalz [Be(H2O)4 ]Cl2
gelöst vor.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E27 Komplexverbindungen I>
72
Wir haben beim Aufbau des polymeren BeCl2 gesehen, dass Atome oder
Anionen (X) zur Ausbildung von Atombindungen nichtbindende
Elektronenpaare verwenden können. In einem formalen Sinne stammt in
diesem Falle das bindende Elektronenpaar von nur einem der Bindungspartner. Solche Bindungen nennt man Koordinative Bindungen. Die
hierdurch gebildeten Verbindungen bezeichnet man als Komplexverbindungen. Hierbei fungieren die Koordinative Bindungen ausbildenden Anionen oder Moleküle als Liganden, die an das Komplexzentrum koordiniert sind.
2+
[Be(H2O)4]
[BeCl4] 2-
Da in Komplexverbindungen die Donoratome der Liganden gegenüber
dem Zentrum elektronegativer sind, handelt es sich bei der Bildung bzw.
dem Zerfall von Komplexen nicht um Redoxreaktionen. Die Stabilität von
Komplexen kann durch Anwendung des Massenwirkungsgesetzes und der
hieraus resultierenden Komplexbildungskonstanten K beschrieben werden.
Am Beispiel der Bildung von [BeCl 4]2- ergibt sich somit:
2+
Be
-
2-
+ 4 Cl <=> [BeCl4 ]
2-
CBeCl4
K = ──────
CBe2+ x CCl- 4
Stabile Komplexe weisen hohe Komplexbildungskonstanten auf (K >> 1).
Die reziproken Werte 1/K bezeichnet man als Komplexzerfallskonstanten.
Die als Elektronenpaardonatoren fungierenden Liganden werden in der
Säure/Base-Theorie nach Lewis als Basen, die Komplexzentren als Säuren
bezeichnet (vgl. E32). Die Ausbildung der Koordinativen Bindung
entspricht der Neutralisation. Die Säure/Base-Reaktion nach Broenstedt
(E7) stellt mit der Säure H+ und der Base OH- sowie der Bildung von H2O
als Neutralisation somit einen Spezialfall der Säure/Base-Reaktion nach
Lewis dar.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Im gleichfalls vorliegenden Berylliumhydrid (BeH2 ) entfällt die Möglichkeit der Stabilisierung durch koordinative Bindungen. Der hier vorliegende Bindungstyp (3c2e-Bindung) wird an anderer Stelle besprochen
(vgl. E29).
12.3 Magnesium, Calcium, Strontium, Barium
73
Die schwereren Erdalkalimetalle kommen als in Wasser schwerlösliche
Fluoride, Sulfate, Carbonate und Silikate, insbes. als Mg(Ca)CO3
(Dolomit) vor; Magnesium und Calcium finden sich zudem in gelöster
Form ihrer Chloride in beträchtlichen Mengen im Meerwasser. Die
Metalle werden durch Schmelzflusselektrolyse der Chloride gewonnen;
insbes. Mg und Ca finden als Legierungsbestandteile und starke
Reduktionsmittel umfangreiche Verwendung. Trotz ihrer stark negativen
Reduktionspotentiale (vgl. E20) lösen sie sich nicht in Wasser
(„Passivierung“).
Sämtliche Halogenide MX2, die aus den Elementen sowie durch
Umsetzung der Oxide mit den entsprechenden Säuren leicht zugänglich
sind, sind bekannt.
M + X2 → MX2 (M = Mg,Ca, Sr,Ba; X = F,Cl,Br,I)
MO + 2 HX → MX2 + H2O
Sie sind sämtlich salzartig aufgebaut. CaF2 liegt im Fluorit-Typ (invers zu
Li2 O; in der kubisch dichtesten Kugelpackung der Kationen besetzen die
Anionen alle Tetraederlücken) vor.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E28 Löslichkeit und Löslichkeitsprodukt>
Im Bereich der Chemie wird die Löslichkeit (L) eines Salzes
üblicherweise in der Einheit [mol/lit] angegeben. Häufig jedoch findet
sich auch die Angabe als Löslichkeitsprodukt (KL). Der Zusammenhang
ergibt sich für ein Salz der Zusammensetzung AB (z.B. NaCl) aus dem
Massenwirkungsgesetz:
AB <=> A+ + BcA+ x cBKL ’ =
─────
cAB
Die sehr geringe, bei Vorliegen einer gesättigten Lösung (Bodensatz an
ungelösten AB) konstante Konzentration an undissoziiert gelöstem AB
(cAB) kann in die Gleichgewichtskonstante einbezogen werden:
2
2
KL [mol /lit ] = KL’ x c AB = c A+ x cBFür Salze der Zusammensetzung AB gilt:
L [mol/lit] =
cA+ = cB- = √KL
74
Tabellierte Werte KL gelten für wäss. Lösungen bei Normalbedingungen
(T = 20 °C). Für Salze anderer stöchiometrischer Zusammensetzung (z.B.
AB2 , A2B 3) ergibt sich für L fKL ein komplexerer Zusammenhang.
Das Löslichkeitsprodukt eines Salzes beschreibt seine Löslichkeit,
begründet sie jedoch nicht. Allgemein weisen Salze hoher Gitterenergie
geringe Löslichkeiten auf. Jedoch ist zu beachten, dass die eine hohe
Gitterergie bewirkenden Faktoren (z.B. hohe Ionenladung, geringer
Ionenradius) auch eine hohe Hydratationsenergie zur Folge haben können;
dies erschwert die Abschätzung der Löslichkeit. Eine hohe Gitterenergie
wird durch Ionen vergleichbarer Größe begünstigt.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Die Erdalkalimetalloxide MO werden durch „Brennen“ der Carbonate
gewonnen und liegen sämtlich als Salze des Steinsalz-Typs vor.
MCO3 → MO + CO2
Besondere Bedeutung kommt hier, auch in kulturgeschichtlicher Hinsicht,
dem gebrannten Kalk (CaO) zu, der sich durch Zugabe von Wasser
(„Kalklöschen“) in eine Suspension aus Ca(OH)2 („Kalkmilch“)
überführen lässt. Geringere Mengen von Wasser führen zum „Kalkbrei“,
der, vermischt mit Sand, als „Mörtel“ dient. Im Verlauf eines langen
Zeitraums erfolgt unter Einwirkung des CO2 -Gehalts der Luft eine
Rückbildung zu CaCO3 unter Verfestigung („Abbinden“). Durch
Beimengen von Tonen (Alumosilikate) entsteht Zement, der durch
Zugabe von Steinen in Beton überführt wird.
Magnesiumoxid („Magnesia“) wird gleichfalls durch Brennen des
Carbonats gewonnen, kommt jedoch auch als Mineral in der Natur vor.
13 Die Elemente der Gruppe 15 (Pnikogene)
13.1 Allgemeines
Die Elemente der Gruppe 15 weisen die Valenzelektronenkonfiguration
ns2 p3 (n = 2-6) auf und ermöglichen hierdurch Oxidationszahlen im
Bereich von +V bis –III; geradzahlige Oxidationszahlen werden nur bei
Vorliegen von E-E-Bindungen bzw. in stabilen Radikalen realisiert. Nur
im N3- -Ion (z.B. in Li3 N2) wird die Edelgaskonfiguration durch
Ausbildung von Ionen erreicht, da in anderen Fällen die hochgeladenen
Ionen E3- bzw. E 5+ die Gegenionen unter Ausbildung von Atombindungen
polarisieren. Einen Überblick über die Eigenschaften der Atomsorten gibt
Tab. 15.
75
Tab. 15: Eigenschaften der Gruppe 15-Elemente (Pnikogene)
Auch hier geben die deutlich abgesetzten Eigenschaften des Kopfelements
Anlaß zu gesonderter Besprechung.
13.2 Der Stickstoff
Stickstoff kommt in elementarer Form (N2 ) in großen Mengen in der Luft
(ca. 79 Vol.-%), sehr viel seltener mineralisch in Form von Ammoniumund Nitratsalzen vor.
13.2.1 Das Element
Elementarer Stickstoff liegt ausschließlich als zweiatomiges Molekül vor.
N2
Hierin erreichen beide Atome durch Ausbildung einer Dreifachbindung
die Edelgaskonfiguration; auch das MO-Schema (Abb. 33) ergibt die
Bindungsordnung 3.
Abb. 33: MO-Schema des N2 -Moleküls
Die extrem hohe Bindungsenergie (226 kcal/mol) des N2-Moleküls
bewirken seine außerordentliche Reaktionsträgheit; selbst bei 3000 °C ist
noch keine Dissoziation in die Atome feststellbar. Zur Spaltung der
Bindung sind folglich katalytische Methoden erforderlich, die
insbesondere im Bereich der Biochemie („Stickstofffixierung“) intensiv
untersucht werden.
Elementarer Stickstoff wird durch Verflüssigung der Luft und nachfolgende Destillation (Linde-Verfahren) in großen Mengen gewonnen
(vgl. E39) und technisch zur Synthese von Ammoniak (somit mittelbar
zur Herstellung von Salpetersäure und Nitraten) verwendet.
13.2.2 Verbindungen mit Wasserstoff
Mit Wasserstoff bildet Stickstoff drei wichtige binäre Verbindungen.
NH3 (Ammoniak)
N2 H4 (Hydrazin)
HN3 (Stickstoffwasserstoffsäure)
Ammoniak bildet bei Raumtemperatur ein farbloses Gas (Sdp. -33°C,
Schmp. -78 °C), das sich sehr gut in Wasser löst. Die wäss. Lösung
reagiert schwach basisch (pKB = 4.79).
76
+
-
NH3 + H2O <=> NH4 + OH
Wegen der nur in geringem Umfang natürlich vorkommenden
Ammoniumsalze (NH4X) ist deren Umsetzung mit starken Basen zur
Darstellung von Ammoniak unbedeutend.
+
-
NH4 + OH → NH3 + H2O
Die Darstellung erfolgt vielmehr aus den Elementen unter katalytischen
Bedingungen. Das sog. Haber-Bosch-Verfahren gehört hinsichtlich seiner
Entwicklung und seines Umfangs zu den bedeutendsten Verfahren der
Technischen Chemie (Abb. 34).
Abb. 34: Anlage zur Produktion von Ammoniak
Die Bildungsreaktion aus den Elementen ist exotherm (ΔH = -23
kcal/mol) und thermodynamisch erlaubt (ΔG < 0), verläuft jedoch wegen
der hohen, zur Spaltung der sehr stabilen N-N- und H-H-Bindungen
erforderlichen Aktivierungsenergie sehr langsam (als reagierende Spezies
fungieren die Atome!). Eine Temperatursteigerung bewirkt die
Verschiebung des Reaktionsgleichgewichts auf die Seite der Edukte.
N2 + 3 H2 → 2 NH3 (ΔH = - 23 kcal/mol)
Zur Überwindung der Aktivierungsenergie bei moderaten Bedingungen
(500 °C, 300 bar) ist ein Katalysator erforderlich. Hierzu wird Fe3 O4 als
Ummantelung des aus Stahl bestehenden Druckreaktors verwendet, das
unter den Reaktionsbedingungen von Wasserstoff zu metallischem
(Kohlenstoff-freiem) Eisen reduziert wird. Es wird davon ausgegangen,
dass durch Anlagerung der Moleküle an die Metalloberfläche die N-Nbzw. H-H-Bindung geschwächt wird und somit die Moleküle leichter in
Atome überführt werden können (vgl. Abb. 20 und 32).
Zur Vermeidung von unerwünschten Nebenreaktionen (Knallgasreaktion,
Oxidation von Ammoniak, Deaktivierung des Katalysators) muß die
Bildungsreaktion von Ammoniak in Abwesenheit von Sauerstoff durchgeführt werden. Früher wurden zur Bereitstellung der Edukte
abwechselnd Wasserdampf und Luft über glühende Kohle geleitet („Griff
in die Luft“):
H2 O + C → H2 + CO (Wassergas)
N2 /O2 (Luft) + C → N2 + CO (Generatorgas)
77
Die Entfernung des störenden Kohlenmonoxids aus dem Gasgemisch
stellte eines der Hauptprobleme des Haber-Bosch-Verfahrens dar. In
modernen Anlagen wird Wasserstoff aus der Chloralkali-Elektrolyse und
Stickstoff aus dem Linde-Verfahren verwendet.
Ammoniak dient neben seiner Verwendung als schwache Base (wäss.
Lösung, korrespondierende Säure ist das Ammonium-Ion NH4 +) zur
Darstellung von Salpetersäure (Kap. 13.2.6), Nitraten und deren
Folgeprodukten. Als sehr schwache Säure (pKS = 23!) bildet Ammoniak
als korrespondierende Base das Amidion, dessen Natriumsalz technisch
hergestellt und als sehr starke Base in der Organischen Synthese
verwendet wird.
2 NH3 + 2 Na → 2 NaNH2 + H2
In wasserfreiem flüssigen Ammoniak lösen sich Alkalimetalle; die hier
bei tiefen Temperaturen (< -40 °C) auftretende tiefblaue Farbe wird den
solvatisierten Elektronen zugeschrieben.
n NH3 + Na → Na+ + [e(NH3) n]Hydrazin (Sdp. 113 °C, Schmp. 2 °C) dient in der Technik als
Reduktionsmittel sowie als Synthesebaustein in der Organischen Chemie
und wird gleichfalls in technischem Maßstab nach dem RaschigVerfahren gewonnen.
-
-
2 NH3 + OCl → N2H4 + H2 O + Cl
Hydrazin ist etwas schwächer basisch als Ammoniak und bildet zwei
Reihen von Salzen (N2H5 +, N2 H62+ ).
Stickstoffwasserstoffsäure (Sdp. 37 °C) wird am besten durch Umsetzung
ihrer Salze mit verd. Schwefelsäure erhalten.
2 NaN3 + H2 SO4 → 2 HN3 + Na2SO4
Die in reinem Zustand hochexplosive Verbindung ist in wäss. Lösung eine
mittelstarke Säure (pKS ca. 5); etherische, in situ erzeugte Lösungen
werden in der Organischen Synthese zum Aufbau von Heterozyklen
verwendet. Die ionisch gebauten Salze der Alkalimetalle enthalten das
stabile, hochsymmetrische Azidion N3 -.
N3-
78
Natriumazid wird technisch aus N2 O („Lachgas“, vgl. Kap. 13.2.5) und
Natriumamid gewonnen.
NaNH2 + N2O → NaN3 + H2O
In HN3 weist der Sickstoff formal die Oxidationszahl -1/3 auf. Man
beachte jedoch, dass in diesem Molekül Stickstoffatome verschiedener
chemischer Umgebung vorliegen und es sich deshalb um einen
arithmetischen Mittelwert handelt.
13.2.3 Verbindungen mit Halogenen
Stickstoff-Halogen-Verbindungen können formal als Derivate des
Ammoniaks (NX3), des Hydrazins (N 2X4 ) und der Stickstoffwasserstoff
säure (N3 X) aufgefasst werden. Es ist zu beachten, dass in den
Fluorverbindungen Stickstoff in positiver Oxidationszahl vorliegt. In den
Verbindungen der schwereren Halogene ist der Stickstoff der jeweils
elektronegativere
Bindungspartner;
die
hieraus
resultierenden
Verbindungen weisen eine geringe Stabilität auf: NCl3 und NBr3
beispielsweise sind explosiv, NI3 ist nicht bekannt.
Trifluoramin (Sdp -129 °C, Schmp. -206 °C) wird durch Fluorierung von
Ammoniak erhalten.
4 NH3 + 3 F2 →
NF3 + 3 NH4F
Das stabile, farblose Gas weist ein sehr geringes Dipolmoment (0.23 D)
auf, das dem des Ammoniaks (1.47 D) entgegengerichtet ist. Hieraus
resultieren für diese Verbindung nur sehr schwach basische
Eigenschaften. Offensichtlich bewirkt die hohe Elektronegativität des
Fluors nicht nur eine Polarisierung der N-F-Bindungen, sondern darüber
hinaus durch die positive Partialladung am Stickstoffatom eine geringe
Verfügbarkeit („Nukleophilie“) des nichtbindenden Elektronenpaars.
Halogenazide werden durch Umsetzung der Halogene mit Natriumazid
gewonnen.
NaN3 + X2 → XN3 + NaX (X = F,Cl,Br,I)
Sie sind infolge der relativ geringen Elektronegativitätsdifferenz zwischen
Stickstoff und den Halogenen molekular aufgebaut und dementsprechend
explosiv.
13.2.4 Verbindungen mit Alkali- und Erdalkalimetallen
Binäre Verbindungen des Stickstoffs mit Alkali- und Erdalkalimetallen
sind wegen der hohen Elektronegativitätsdifferenz der beteiligten
79
Elemente salzartig aufgebaut. Sie lassen sich als Derivate der sehr
schwachen Säure NH3 auffassen und sind aus den Elementen zugänglich,
z.B.:
6 Li + 3 N2 → 2 Li 3N
Li3 N findet als Ionenleiter Verwendung. Auch Derivate des Hydrazins
sind bekannt. Sämtliche Salze reagieren als korrespondierende Basen der
zugehörigen sehr schwachen Säuren stark basisch.
Die gleichfalls diesem Kapitel zuzuordnenden technisch wichtigen
Metallazide (z.B. NaN3 , s.o.) sind im Gegensatz zur freien Säure ihres
salzartigen Aufbaus wegen (isolierte symmetrische N3 -Anionen) stabil.
13.2.5 Verbindungen mit Sauerstoff
Binäre Stickstoffoxide („Stickoxide“) sind in allen geradzahligen
positiven Oxidationszahlen des Stickstoffs bekannt. Die in den
Oxidationszahlen +II und +IV des Stickstoffs vorliegenden Verbindungen
bilden bei Normalbedingungen stabile monomere Radikale, die bei tiefen
Temperaturen im festen Zustand dimerisieren (Tab. 16). Abgesehen von
N2O sind alle Stickoxide hochgiftig; ihre unerwünschte Bildung stellt ein
bedeutendes Umweltproblem dar.
Tab. 16: Binäre Oxide des Stickstoffs
N2O
Distickstoffmonoxid („Lachgas“) bildet sich als farbloses Gas bei der
thermischen Zersetzung („Intramolekulare Komproportionierung“) von
Ammoniumnitrat (Sdp. -88 °C, Schmp. -91 °C).
NH4NO3 → N2O + 2 H2O
Die Bindungssituation im linear gebauten Molekül lässt sich durch
Resonanzformeln beschreiben. N2 O dient als Edukt bei der Synthese von
Natriumazid, zum Aufbau organischer Heterozyklen sowie als
Narkotikum.
NO
Stickstoffmonoxid (Sdp. -152 °C, Schmp. -63 °C) bildet sich bei
Hochtemperaturprozessen (T < 2000 °C, z.B. in Verbrennungsmotoren
und Kraftwerken) aus den Bestandteilen der Luft als farbloses Gas.
Technisch wird es im Zuge der Salpetersäure-Darstellung (vgl. Kap.
80
13.2.6) durch katalytische Verbrennung von Ammoniak gewonnen. Die
chemische Bindung lässt sich aus dem MO-Schema von O2 (Abb. 21)
qualitativ durch Wegnahme eines Elektrons verstehen (BO 2.5); man
beachte jedoch die unterschiedliche Lage der Atomorbitale auf der
Energieskala.
N2O3
Distickstofftrioxid bildet sich beim Abkühlen gleicher Mengen von NO
und NO2. Es liegt im festen Zustand als Salz [NO] +[NO2-]
(„Nitrosylnitrit“) vor und zerfällt bereits oberhalb -10 °C in Umkehrung
der Bildungsgleichung. Als Anhydrid der Salpetrigen Säure reagiert es mit
Laugen zu Nitrit-Salzen.
NO + NO2 → N2O3
N2O3 + 2 NaOH → 2 NaNO2 + H2O
Stickstoffdioxid bildet sich in einer Gleichgewichtsreaktion aus NO und
Sauerstoff (bei 600 °C liegt das Gleichgewicht vollständig auf der linken
Seite).
2 NO + O2 <=> 2 NO 2
In der Gasphase liegt NO2 als gewinkelt gebautes gelb gefärbtes Molekül
vor; der feste Zustand (ab -11 °C) besteht aus planaren braunen N2 O4Molekülen. NO2 ist ein starkes Oxidationsmittel.
-
-
NO2 + e → NO2
Distickstoffpentoxid wird durch Entwässern von Salpetersäure als deren
Anhydrid gewonnen. Es liegt im festen Zustand als Salz [NO2]+[NO3](„Nitrylnitrat“) vor und ist gleichfalls ein sehr starkes Oxidationsmittel.
2 HNO3 → N2O5 + H2O
Außer den elektroneutralen Stickoxiden existieren noch kationische und
anionische Spezies. Nitrosylhydrogensulfat bildet sich bei der Einwirkung
von N2 O3 auf Schwefelsäure gem.
N2O3 + 2 H2SO4 → 2 [NO]+[HSO 4]- + H2 O
Das Kation NO+ enthält eine NO-Dreifachbindung und ist isoelektronisch
(vgl. E31) zu N2 und CO.
81
+
NO
NO2+
Das Nitrylkation ist aus Salpetersäure bzw. deren Säurehalogeniden
NO2X in Form stabiler Salze zugänglich.
NO2F + BF3 → [NO2] +[BF4]Das stark oxidierende Kation ist, wie auch das hierzu isoelektronische
CO2 , linear gebaut.
Die Anionen NOx - (x = 2,3) werden als Derivate der
Stickstoffsauerstoffsäuren nachfolgend beschrieben.
13.2.6 Stickstoffsauerstoffsäuren und Säurehalogenide
Sauerstoffsäuren der allgemeinen Zusammensetzung Hx NOy sind für
Stickstoff der Oxidationszahlen +V, +III, +I und –I bekannt.
HNO3
HNO2
HNO
H3NO
Salpetersäure
Salpetrige Säure
Hyposalpetrige Säure
Hydroxylamin
Die unbeständige, in fester Form dimere Hyposalpetrige Säure soll hier
nicht weiter besprochen werden.
Salpetersäure (HNO3) wird technisch in großem Umfang nach dem
Ostwald-Verfahren durch katalytische Verbrennung von Ammoniak an
einem Platinnetz und nachfolgende Einleitung der resultierenden
Stickoxide unter Einwirkung von Sauerstoff in Wasser gewonnen.
4 NH3 + 5 O2 → 4 NO + 6 H2 O
2 NO + O2 → 2 NO2
4 NO2 + O2 + 2 H2 O → 4 HNO3
In Abwesenheit des Katalysators führt die Verbrennung von Ammoniak
nur zu N2.
Hierzu alternativ wurde früher im Birkeland-Eyde-Verfahren NO aus den
Elementen im elektrischen Lichtbogen gewonnen und analog
weiterverarbeitet.
Salpetersäure bildet bei Normalbedingungen eine farblose Flüssigkeit
(Sdp. 84 °C, Schmp. -42 °C), die jedoch in der Praxis durch Gegenwart
82
von NO2 meist gelb gefärbt ist. Die sehr starke Säure (pKS = -1.37)
zersetzt sich unter Lichteinwirkung in Umkehrung der Bildungsgleichung.
In konzentrierter Form ist Salpetersäure ein starkes Oxidationsmittel (E° =
+0.96 V), das auch Edelmetalle wie Silber, nicht aber Gold, löst
(Scheidewasser). Man beachte, dass hier, anders als bei unedlen Metallen
(z.B. Na), das Säureanion und nicht das im Gleichgewicht vorliegende
Hydroniumion H3O+ als Oxidationsmittel fungiert.
3 Ag + 4 HNO3 → 3 AgNO3 + NO + 2 H2O
2 Na + 2 HNO3 → 2 NaNO3 + H2
Im Gemisch mit Salzsäure (Königswasser) vermag Salpetersäure jedoch
sogar Gold aufzulösen. Als Oxidationsmittel wirkt hierbei „aktives“
(möglicherweise atomares) Chlor.
HNO3 + 3 HCl → NOCl + Cl2 + 2 H2 O
Eine Mischung von Salpetersäure und Schwefelsäure wird Nitriersäure
genannt, da hierin das organische Verbindungen nitrierende Nitrylkation
NO2+ vorliegt.
HNO3 + 2 H 2SO 4 → NO2+ + H3O+ + 2 HSO4+
+
C6 H6 + NO2 + H2 O → C6H5 NO2 + H3O
Die Bedeutung der Salpetersäure liegt in der Herstellung anorganischer
Nitrate als Düngemittel sowie in der Produktion organischer
Nitroverbindungen als Farbstoffe und Sprengstoffe.
Nitrate enthalten als Salze der Salpetersäure das symmetrisch und trigonal
planar gebaute Nitration.
NO3Fast alle Nitratsalze lösen sich gut in Wasser. Mineralische Vorkommen
als NaNO3 („Chilesalpeter“) und KNO3 („Kalisalpeter“) sind nicht häufig
und an die Gegenwart wasserundurchlässiger Formationen gebunden.
Nitrate wirken erst bei hohen Temperaturen stark oxidierend.
2 KNO3 → 2 KNO2 + O2
Salpetrige Säure (HNO2 ) ist nur in verdünnter wäss. Lösung stabil und
dort eine schwache Säure (pKS ca. 5). Ihre Salze, woraus sie durch
83
Ansäuern erhalten wird, sind durch Umsetzung der Hydroxide mit N2O3
bzw. durch Reduktion der Nitrate mit Kohle zugänglich.
2 NaOH + N2O3 → 2 NaNO2 + H2O
NaNO3 + C → NaNO2 + CO
NaNO2 + HCl → HNO2 + NaCl
Salpetrige Säure wirkt in wäss. Lösung schwach oxidierend, z.B.
HNO2 + NH 3 → 2 H2 O + N2
Wäss. Lösungen der Salpetrigen Säure werden in der organischen
Synthese eingesetzt:
+
-
+
+
C6 H5NH3 Cl + NaNO2 + H3O → C6 H5N2 + 3 H 2O + NaCl
NaNO2 dient zur Konservierung von Lebensmitteln („Pökelsalz“).
Hydroxylamin (H2 NOH) reagiert mit Wasser bereits als Base (pKB = 8.2):
+
H2NOH + H2O → H3NOH + OH
-
Hydroxylamin ist ein starkes Reduktionsmittel. Der unbeständige
Feststoff (Schmp. 33 °C) zerfällt rasch bei Raumtemperatur
4 H2NOH → 2 NH3 + N2O + 3 H2 O
Das stabile Sulfatsalz wird in großem Umfang technisch durch
katalytische Reduktion (Pd-Katalysator) von NO hergestellt und in der
organischen Polymersynthese („Caprolactame“) verwendet
2 NO + 3 H2 + H2SO 4 → [H3NOH]2SO 4
Von den Stickstoffsauerstoffsäuren lassen sich die Säurechloride ableiten,
NOCl Nitrosylchlorid
NO2Cl Nitrylchlorid
(Sdp. -6 °C)
(Sdp. -6 °C)
die molekular aufgebaut und bei Raumtemperatur gasförmig sind. Sie
werden durch Umsetzung der entsprechenden Stickoxide mit Chlor
gewonnen und reagieren mit Wasser zu den zugehörigen Säuren.
84
2 NO + Cl2 → 2 NOCl
NOCl + H2 O → HNO2 + HCl
2 NO2 + Cl2 → 2 NO2 Cl
NO2Cl + H2O → HNO3 + HCl
Auch die entsprechenden Säurefluoride und Säurebromide sind bekannt.
13.3 Phosphor, Arsen, Antimon, Wismut
Das gegenüber Stickstoff etwa dreimal so häufige Element Phosphor
kommt in der Natur nur in gebundener Form vor. Hauptvorkommen ist
der Apatit Ca5 (PO4 )3 (F,OH). Die wesentlich selteneren Elemente Arsen,
Antimon und Wismut liegen meist als Sulfide E2 S3 vor.
13.3.1 Die Elemente
Die in Folge der Doppelbindungsregel (E24) in der Gruppe 16
beobachteten Unterschiede zwischen dem Kopfelement und seinen
schwereren Gruppennachbarn zeigen sich auch in der Gruppe 15. Hier ist
die Bandbreite der Modifikationen des Phosphors gleichermaßen
beeindruckend wie verwirrend (Abb. 35).
Abb. 35: Das Element Phosphor
In Verbindung mit der Tendenz zur Erfüllung der Oktettregel führt die
Präsenz von hier 3 Valenzelektronen zum Aufbau komplexer käfigartiger
Strukturen, von denen hier nur drei näher betrachtet werden sollen (Abb.
36).
Abb. 36: Die Elementmodifikationen des Phosphors
Der weiße Phosphor, P4 , (Sdp. 280 °C, Schmp. 44 °C) bildet reguläre
Tetraeder; durch die hieraus resultierenden sehr kleinen Bindungswinkel
von 60 ° sind diese Bindungen sehr labil (vgl. hierzu Kap. 19.4.1). P4 ist
folglich sehr reaktiv und wird an Luft spontan zu P4 O10 oxidiert
(Aufbewahrung unter Wasser). Die Interpretation der Bindungssituation
(der Bindungswinkel ist auch durch Hybridisierung nicht erreichbar)
beruht auf der Annahme der Überlappung von p-Orbitalen; hierdurch liegt
das Maximum der Elektronendichte außerhalb der P-P-Bindungsachse. Im
strengen Sinne handelt es sich folglich nicht um σ-Bindungen (vgl. hierzu
die Struktur von Cyclopropan, Abb. 91).
Das Problem der Bindungswinkel tritt in der Modifikation des violetten
Phosphors nicht auf. Die thermodynamisch stabilste Struktur bildet der
schwarze Phosphor, der auf Grund seiner Elektronendelokalisation bereits
Halbleitereigenschaften besitzt.
85
Die Darstellung von elementarem Phosphor erfolgt durch Reduktion des
Apatits [hier als Ca3(PO4)2 formuliert] mit Kohle bei 1400 °C unter
Luftausschluß
2 Ca3 (PO4 )2 + 6 SiO2 + 10 C → 6 CaSiO3 + 10 CO + P4
Der hierbei anfallende Weiße Phosphor bildet sich durch Dimerisierung
der in der Gasphase vorliegenden P2 -Moleküle (P≡P, zur Stabilität vgl.
E24).
Weißer Phosphor wird in großem Umfang zur Darstellung von
Phosphorsäure (vgl. Kap. 13.3.5) verwendet. Der luftstabile Rote
Phosphor ist Bestandteil von Zündhölzern.
Das sehr giftige Element Arsen liegt als gleichfalls instabiles As4 (rot) und
als dem schwarzen Phosphor vergleichbare graue Modifikation vor, die
für Antimon und Wismut die einzige bekannte Form darstellt. Arsen wird
in der Halbleitertechnologie verwendet. Antimon und Wismut sind
Bestandteile von Legierungen.
13.3.2 Verbindungen mit Wasserstoff
P, As, Sb und Bi bilden die dem Ammoniak formal verwandten Hydride
EH3 , von denen hier nur das stabile, aber an Luft leicht entzündliche
Phosphan PH3 besprochen werden soll. Es bildet sich bei der Hydrolyse
von Metallphosphiden bzw.aus den Elementen unter Druck bei 300 °C als
farbloses, giftiges Gas (Schmp. -133 °C, Sdp. – 88 °C). Zur Polarität der
PH-Bindung vgl. EN (P/H = 2.1/2.2).
Na3P + 3 H 2O → PH3 + 3 NaOH
P4 + 6 H2 → 4 PH3
Analog den Verhältnissen in der Gruppe 16 nimmt die Azidität von EH3
beim Übergang zu den schweren Gruppenelementen zu (und somit die
Basizität ab) wegen der geringeren Stabilität der E-H-Bindung. SbH3 und
BiH3 zerfallen bei thermischer Belastung in die Elemente.
Im Gegensatz zu Ammoniak weist PH3 fast keine basischen Eigenschaften
auf; die korrespondierende Säure PH4 + ist eine starke Säure (pKS = -1.3).
13.3.3 Verbindungen mit Halogenen
Die schweren Elemente der Gruppe 15 (E = P,As,Sb,Bi) bilden mit den
Halogenen (X = F,Cl,Br,I) folgende Verbindungstypen:
EX3
E2 X4
EX5
86
In allen Verbindungen ist das Halogenatom der negative Bindungspartner.
Jedoch reicht die Elektronegativitätsdifferenz in keinem Fall zur Bildung
von Salzen aus, so dass Moleküle, bzw. im festen Zustand für EX3 bzw.
E2 X4, Molekülgitter gebildet werden. Die Verbindungen sind aus den
Elementen zugänglich; zur Darstellung der Fluorverbindungen ist jedoch
der Halogenaustausch vorteilhaft.
2 E + 3 X2 → 2 EX3
2 E + 2 X2 → E2X4
2 E + 5 X2 → 2 EX5
ECl3 + 3 NaF → EF3 + 3 NaCl
Von praktischer Bedeutung sind die Phosphorchloride, die auch technisch
hergestellt werden. PCl3 (Schmp. -94 °C. Sdp. 76 °C) dient als
Ausgangsprodukt zahlreicher wichtiger Phosphorverbindungen, PCl5
(Subl. ab 150 °C), das im festen Zustand als Salz [PCl4 ]+[PCl6 ]- vorliegt,
als Chlorierungsmittel (thermische Freisetzung von Chlor).
Sämtliche Chalkogenhalogenide hydrolysieren leicht unter Bildung von
HX und der zugehörigen Chalkogensäuerstoffsäure:
2 EX3 + 3 H2O → H3EO 3 + 3 HX
2 EX5 + 4 H2O → H3EO 4 + 5 HX
13.3.4 Verbindungen mit Sauerstoff
Im Gegensatz zu den Oxiden des Stickstoffs sind vom Phosphor und
seinen schweren Gruppennachbarn nur die Oxide der Oxidationszahlen
+III und +V bekannt, da diese Elemente keine stabilen Radikale bilden.
E2 O3 (E = P,As,Sb,Bi)
E2 O5 (E = P,As,Sb)
P2 O3 , P2O5 und As2 O3 sind als käfigförmige Moleküle, die anderen als
Polymere aufgebaut (Abb. 37).
Abb. 37: Die Molekülstruktur von P4 O6 und P4O10
Das technisch hergestellte „Phosphorpentoxid“ (P4O 10 Sublp. 359 °C )
reagiert mit Wasser zur Phosphorsäure und kann deshalb als ihr Anhydrid
aufgefasst werden. Dieser stürmisch und unter großer Wärmeentwicklung
verlaufenden Reaktion verdankt die Substanz ihre Verwendung als
Trockenmittel. Hierzu analog reagiert P4 O6 mit Wasser zur Phosphorigen
Säure (vgl. Kap. 13.3.5).
87
P4 + 3 O2 →
P4 O6 + 6 H2O
P4 + 5 O2 →
P4 O10 + 6 H2 O
P4 O6
→ 4 H3 PO3
P4 O10
→ 4 H3PO4
Während die Oxide des Phosphors und Arsens mit Wasser Säuren bilden
also „sauer“ sind, reagiert Sb2O 3 sowohl mit Säuren wie auch mit Basen;
es ist folglich amphother. Bi 2O3 reagiert bereits basisch.
Sb2O3 + 2 NaOH → 2 NaSbO2 + H2 O
Sb2O3 + 6 HCl → 2 SbCl3 + 3 H2O
Bi2O3 + 6 HCl → 2 BiCl 3 + 3 H2O
Generell nimmt in einer Hauptgruppe die Azidität der Oxide und
Hydroxyde mit steigender Ordnungszahl und sinkender Oxidationszahl
ab.
13.3.5 Element-Sauerstoffsäuren und Säurehalogenide
Sauerstoffsäuren des Phosphors sind in den Oxidationszahlen +I bis +V
bekannt. Auch hier sind, analog zur Situation des Nachbarelements
Schwefel, die „unpassenden“ (hier geradzahligen) Oxidationszahlen durch
Verbindungen mit P-P-Bindung vertreten. In allen Säuren und ihren
Anionen ist das Phosphorzentrum verzerrt tetraedrisch von 4
Bindungsnachbarn umgeben. Abb. 38 gibt einen Überblick der bekannten
Verbindungen, von denen hier nur die wichtigsten besprochen werden
sollen.
Abb. 38: Sauerstoffsäuren des Phosphors
Die ortho-Phosphorsäure (H3 PO4) bildet farblose, in Wasser sehr gut
lösliche Kristalle (Schmp. 42 °C); sie ist eine mittelstarke dreibasige
Säure (pKS = 2), die drei Reihen von Salzen bildet und nur noch schwach
oxidierend wirkt.
H3PO 4
MH2 PO4 Primäre Phoshate
M2HPO4 Sekundäre Phosphate
M3PO4
Tertiäre Phosphate
Die zur Gewinnung von
„Nassphosphorsäure“
wird
Phosphat-Düngern verwendete
durch
direkte
Umsetzung
sog.
von
88
Calciumphosphat mit Schwefelsäure erhalten und mit Ammoniak zum
Ammoniumhydrogenphosphat umgesetzt. Gleichfalls wichtige Dünger
sind das „Superphosphat“, in dem das Calciumhydrogenphosphat im
Gemisch mit Gips vorliegt, und das als „Doppelsuperphosphat“
bezeichnete reine Calciumhydrogenphosphat (Calciumphosphat selbst ist
nicht wasserlöslich):
2 Ca3 (PO4 )2 + 3 H2SO4 → 3 CaSO4 + 2 H3PO 4
H3PO 4 + 2 NH3 → (NH4)2 HPO4
Ca3 (PO4 )2 + 2 H 2SO4 → Ca(H2 PO4) 2 + CaSO4
Ca3 (PO4 )2 + 4 H 3PO 4 → 3 Ca(H2 PO4) 2
Des weiteren dienen Phosphorsäure und ihre Salze in großem Umfang als
Säuerungs- und Konservierungsmittel in Lebensmitteln. Hierzu ist die
Darstellung chemisch reiner Phosphorsäure („thermische Phosphorsäure“)
durch Oxidation von elementarem Phosphor und nachfolgende Hydrolyse
erforderlich:
P4 + 5 O2 → P4 O10
P4 O10 + 6 H2 O → 4 H3PO4
Beim Erhitzen spaltet die ortho-Phosphorsäure Wasser ab und geht
zunächst in die Diphosphorsäure (H4P2O 7) über, die weiter zu
Polyphosphorsäuren kondensieren kann.
H4P2 O7
Wichtigstes
Derivat
der
Polyphosphorsäuren
ist
das
Natriumtrimetaphosphat (Na3 P3 O9 ), das wegen seiner Eigenschaft, in
Wasser lösliche Schwermetallsalze zu bilden, als „Enthärter“ in
Waschmitteln verwendet wird.
HPO3
Na3P3 O9
Die monomere meta-Phosphorsäure (HPO3 ) ist nicht stabil.
Die Phosphorige Säure („Phosphonsäure“, H3 PO3) enthält neben zwei
OH-Gruppen ein direkt an das Phosphorzentrum gebundenes
Wasserstoffatom, das nicht azide ist. Hierfür ist offenbar die Tendenz zur
Bildung der stabilen P-O-Doppelbindung verantwortlich. Sie bildet
deshalb nur zwei Reihen von Salzen.
89
H3PO 3
M2HPO3
MH2 PO3
Phosphorige Säure ist eine mittelstarke Säure (pKS = 2). Die Verbindung
wird durch Hydrolyse von PCl3 technisch als hygroskopischer Feststoff
(Schmp. 74 °C) hergestellt. Sie wirkt, wie auch ihre Salze, stark
reduzierend.
2 PCl3 + 3 H2 O → 2 H3PO3 + 3 HCl
Phosphorige
Säure
findet
Verwendung
in
der
Synthese
phosphororganischer Verbindungen, die insbesondere in Form ihrer Ester
P(OR3)3 von Bedeutung sind.
Hypophosphorige Säure („Phosphinsäure“, H3 PO2) bildet sich durch
Disproportionierung von Phosphor mit Basen, vergleichbar der Reaktion
von Chlor mit NaOH, in Form ihrer Salze. Hieraus lässt sich die Säure
(pKS = 2, Schmp. 27 °C) freisetzen.
P4 + 3 NaOH → 3 NaH2PO2 + PH3
NaH2PO2 + HCl → H3PO 2 + NaCl
Auch Hypophosphorige Säure ist ein starkes Reduktionsmittel.
Von den Säurehalogeniden der Phosphorsäure besitzt einzig
Phosphorylchlorid („Phosphoroxychlorid“, POCl3) praktische Bedeutung,
insbes. in der organischen Synthese. Es wird als farblose Flüssigkeit (Sdp.
105 °C) durch Oxidation von PCl3 hergestellt und reagiert mit Wasser zur
ortho-Phosphorsäure.
2 PCl3 + O2 → 2 POCl3
POCl3 + 3 H2O → H3 PO4 + 3 HCl
Arsensäure (H3 AsO4 ) und Arsenige Säure (H3 AsO3 ) gleichen den
analogen Verbindungen des Phosphors, sind jedoch schwächer sauer und
wirken stärker oxidierend. Die Verbindungen des Antimons sind nur in
Form ihrer Anionen (Antimonate und Antimonite) bekannt. Bi(OH) 3 ist
bereits eine Base.
14 Die Elemente der Gruppe 13 (Erdmetalle)
14.1 Allgemeines
90
Die Elemente der Gruppe 13 weisen die Valenzelektronenkonfiguration
ns2 p1 (n = 2-6) auf. In ihrer Chemie dominiert die Oxidationszahl +III.
Bedingt durch die relative Stabilität der B-B-Bindung treten beim Bor
auch niedrigere Oxidationsstufen auf. Insbesondere beim Thallium
bedingt der Effekt des Inerten Paares (vgl. E33) eine hohe Stabilität der
Oxidationszahl +I. Einen Überblick über die Eigenschaften der
Atomsorten gibt Tab. 17.
Tab. 17: Eigenschaften der Gruppe 13-Elemente
Die Sonderstellung des Elements Bor zeigt sich in seinem Charakter als
Halbmetall und seiner hiermit zusammenhängenden Tendenz zum Aufbau
mehrkerniger Strukturen mit Elektronenmangelsituation (sog. „Cluster“).
Es soll deshalb gesondert besprochen werden.
14.2 Bor
Wegen seines hohen Ionisierungspotentials ist das Element auch mit den
elektronegativsten Partnern zur Ausbildung von Salzen des Ions B3+ nicht
mehr in der Lage.
Bor kommt in der Natur ausschließlich in Form oxidischer Erze vor. Die
wichtigsten sind Borax (Na2 B4 O7∙
10 H2O) und Kernit (Na2 B4O7 ∙
4 H2 O).
14.2.1 Das Element
Elementares Bor wird heute durch Umsetzung von Boroxid mit
Magnesium gewonnen; bei der früheren Verwendung von Kohlenstoff
(„Kohle“) als Reduktionsmittel bilden sich Borcarbide, Bx Cy .
B2 O3 + 3 Mg → 2 B + 3 MgO
Hochreines Bor wird durch thermische Zersetzung von BI3 gewonnen.
2 BI3 → 2 B + 2 I2
Elementares Bor tritt in mehreren Modifikationen auf, die sämtlich als
Baustein den Ikosaeder B12 enthalten. Im α
-rhomboedrischen Bor sind
B12-Einheiten, in denen „metallische“ Elektronenmangelbindungen
vorliegen, partiell über „klassische“ 2c2e-Bindungen verknüpft. Diese
wirken als Isolatoren, so dass das Element, aufgebaut aus „Metallinseln“,
insgesamt die Natur eines Halbleiters erhält (Abb. 39).
Abb. 39: Elementstruktur des α-rhomboedrischen Bors
Elementares Bor weist eine hohe Härte auf und wird, neben seiner
Verwendung in der Halbleitertechnologie, in Schleifscheiben verwendet.
91
14.2.2 Verbindungen mit Wasserstoff
Bor ist, wie auch sein Nachbarelement Beryllium, wegen der zu niedrigen
Elektronegativitätsdifferenz nicht in der Lage, mit dem Wasserstoff
Ionenbindungen einzugehen. In der einfachsten Borwasserstoffverbindung
BH3 liegen folglich polare Atombindungen mit Wasserstoff der
Oxidationszahl –I vor. In der monomeren, unter chemischen Bedingungen
nicht existrenzfähigen Einheit BH3 verfehlt das Borzentrum das
angestrebte Elektronenoktett. Die Stabilisierung erfolgt durch
Dimerisierung zu B2 H6, in dem die Boratome über Wasserstoffbrücken
(„Hydridbrücken“, nicht Wasserstoffbrückenbindungen im Sinne von E9!)
im Sinne von 3c2e-Bindungen zusammengehalten werden. Diese
Bindungsart soll nachfolgend am Beispiel von B2H6 näher besprochen
werden.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E29 Die Atombindung IV>
Das Phänomen der 2c3e-Bindung lässt sich über VB- wie auch MOVorstellungen erklären. Während in der VB-Betrachtung zwei monomere
BH3 -Fragmente über Resonanz verknüpft werden, lässt sich durch das
MO-Verfahren ein Molekülorbitalschema konstruieren, in dem für jede
HBH-Brücke ein energetisch abgesenktes Molekülorbital mit zwei
Elektronen besetzt wird. Hierdurch resultiert für die gesamte Brücke die
Bindungsordnung 1, für jede brückenständige BH-Bindung die
Bindungsordnung 0.5. Die BH-Brückenbindungen sind somit schwächer
und auch länger als die endständigen BH-Bindungen.
Da zum Aufbau der Bindungen sp3-Hybridorbitale des Bors verwendet
werden, ist in B2 H6 jedes Boratom verzerrt tetraedrisch von den vier
Wasserstoffatomen umgeben (Abb. 40).
Abb. 40: Diboran: Struktur und Bindung
Die Bindugssituation im elementaren Bor lässt sich durch 3c2e-BBBBindungen beschreiben.
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Diboran (B2 H6) bildet ein farbloses, giftiges Gas (Sdp. -92 °C), das aus
Bortrifluorid und Alkalihydriden (wegen der guten Löslichkeit in
organischen Lösungsmitteln wird Lithiumboranat verwendet) erhältlich
ist. Diboran hydrolysiert spontan mit Wasser und wird von Sauerstoff
unter Freisetzung großer Wärmemengen verbrannt. Mit Metallhydriden
reagiert es im Sinne einer Komplexbildungsreaktion zum
Tetrahydroborat-Ion, in dem konventionelle 2c2e-Bindungen vorliegen.
92
3 LiBH4 + 4 BF3 → 3 LiBF4 + 2 B2H6
B2 H6 + 6 H2O → 2 B(OH)3 + 6 H2
B2 H6 + 3 O2 → B2O3 + 3 H2 O (ΔH = -482 kcal/mol)
B2 H6 + 2 LiH → 2 Li[BH4]
Diboran bildet die Ausgangssubstanz einer Reihe von Polyboranen und
Polyboranatanionen, deren stabilstes die Zusammensetzung [B12H12]2sowie die dem elementaren Bor entsprechende Ikosaederstruktur aufweist.
Trotz ihrer beträchtlichen Bedeutung sollen sie hier nicht näher
besprochen werden.
14.2.3 Verbindungen mit Halogenen
Sämtliche Bortrihalogenide BX3 sind bekannt; sie weisen auf Grund ihres
molekularen Aufbaus niedrige Schmelz- und Siedepunkte auf. Wir wollen
hier nur das technisch wichtige Bortrifluorid (Sdp. -127 °C) besprechen.
Die Verbindung wird technisch aus Boroxid und Flussspat gewonnen; sie
reagiert, wie auch die anderen Bortrihalogenide, rasch mit Wasser und
fungiert als starke Lewis-Säure (vgl. E32) als Elektronenpaar-Akzeptor.
B2 O3 + 2 CaF2 → BF3 + 3 CaO
BF3 + 3 H2O → B(OH)3 + 3 HF
BF3 + NaF → Na[BF4]
BF3 + (C2 H5) 2O → (C2H5 )2O-BF 3
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E30 Die Atombindung V>
Im Gegensatz zu BH3 liegen die Trihalogenide des Bors monomer vor.
Hier wird die Stabilisierung des Elektronensextetts durch
Wechselwirkung
der
nichtbindenden
Elektronenpaare
der
Fluorsubstituenten mit den leeren p-Orbitalen des Borzentrums erreicht.
Dies bezeichnet man als (p→p)π-Wechselwirkung. Hierdurch erreicht das
Borzentrum sein Elektronenoktett.
F2 B=F
Man beachte, dass im Sinne der Resonanz alle drei Fluoratome in diesen
Prozeß einbezogen sind und die hierbei auftretenden Formalladungen den
Partialladungen entgegengerichtet sind. Durch die Erhöhung der
Bindungsordnung (BO > 1) werden die B-F-Bindungen verkürzt und
stabilisiert. Dennoch behalten die Bortrihalogenide ihren stark Lewissauren Charakter.
93
Sind am Zentrum leere d-Orbitale verfügbar, sind auch (p→d)πWechselwirkungen möglich. Da d-Orbitale energetisch höher liegen als pOrbitale gleicher Hauptquantenzahl, tritt diese Bindungsverstärkung nur
in Gegenwart stark elektronegativer Elemente (z.B. in SF6 ) in
Erscheinung.
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14.2.4 Verbindungen mit Sauerstoff; Borsauerstoffsäuren
Bortrioxid (B2O3 ) bildet sich durch thermische Wasserabspaltung aus
Borsäure als polymer gebauter farbloser Feststoff (Schmp. 450 °C), in
dem die Boratome die Koordinationszahl 3 aufweisen.
2 H3BO 3 → B2 O3 + 3 H2O
Die Verbindung reagiert mit Laugen zu einer Vielzahl von
Komplexsalzen, deren bekanntestes der auch mineralisch vorkommende
Borax darstellt (Abb. 41). In diesen Verbindungen kann Bor gegenüber
dem Sauerstoff die Koordinationszahlen 3 und 4 einnehmen. Boroxid
wird in der Glasindustrie sowie als Ausgangsprodukt zur Darstellung der
Bornitride verwendet.
Abb. 41: Strukturen von Borsauerstoff-Verbindungen
ortho-Borsäure (H3BO3 ) wird technisch durch Umsetzung von Borax mit
Schwefelsäure als farbloser Feststoff (Schmp. 171 °C) gewonnen. Die
Verbindung wirkt in wäss. Lösung als Hydroxidionen-Akzeptor und ist
eine schwache Säure (pKS = 9). Beim Erhitzen geht ortho-Borsäure unter
Wasserabspaltung in die meta-Borsäure über. Beide Borsäuren bilden
planare, durch Wasserstoffbrücken dominierte Schichtstrukturen (Abb.
41).
Na2B4O7∙
10 H2O + H2SO 4 → 4 H3BO3 + Na2SO 4 + 5 H2 O
+
H3BO 3 + 2 H2 O <=> H3O + B(OH)4
H3BO 3 → HBO2 + H2 O
Technisch wichtig sind die sog. „Perborate“, die durch Umsetzung von
Borsäure mit Natriumperoxid erhalten werden und in großem Umfang als
Bleichmittel in der Waschmittelindustrie verwendet werden.
2 H3BO 3 + Na2 O2 + H2O → 2 NaBO2∙
H2O2∙
3 H2 O
14.2.5 Verbindungen mit Stickstoff
94
Bor bildet mit Stickstoff zwei stabile binäre Verbindungen der
Zusammensetzung BN, die beide als Polymere vorliegen.
Hexagonales Bornitrid (BNh ) wird durch Umsetzung von Boroxid mit
Ammoniak bei 800 °C oder, besser, mit Kohlenstoff und Stickstoff bei
1800 °C als weicher, bei höheren Temperaturen gleitfähiger Feststoff
(Sdp. 3270 °C) gewonnen; es dient als Hochtemperaturschmiermittel. Bei
hohem Druck und hohen Temperaturen (60-90 kbar, 2000 °C) erfolgt die
Umwandlung in die kubische Modifikation BNk , die nach dem Diamant
die größte Härte aller Stoffe aufweist und folgerichtig als Schleifmittel
verwendet wird.
B2 O3 + 2 NH3 → 2 BNh + 3 H2O
B2 O3 + 3 C + N 2 → 2 BNh + 3 CO
BNh → BNk
Die Eigenschaften der BN-Modifikationen ergeben sich direkt aus ihren
Strukturen (Abb. 42). In der hexagonalen Form sind die planaren
Schichten nur durch schwache Wechselwirkungen miteinander verbunden
und lassen sich dementsprechend leicht verschieben. Die hohe Festigkeit
der polaren σ
-Bindungen in der kubischen Form bewirken, verbunden mit
der Raumnetzstruktur, die beobachtete große Härte. Beide Strukturen
stehen in direktem Zusammenhang mit den Strukturen des elementaren
Kohlenstoffs.
Abb. 42: Strukturen der BN-Modifikationen
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E31 Das Isoelektronische Konzept>
Weisen chemische Systeme die gleiche Anzahl von Elektronen auf,
bezeichnet man sie als isoelektronisch. Wir haben bereits mehrere Fälle
dieser Verwandtschaft kennengelernt. Instruktive Beispiele sind etwa die
Paare N2/NO +, N2 O/N3 - oder SO4 2-/ClO 4-. Zu beachten ist hier das
Auftreten unterschiedlicher formaler Ladungen bei Formulierung der
analogen Bindungsordnung. Weisen zwei Verbindungspaare nur die
gleiche Zahl der Valenzelektronen auf (z.B. O3/SO2 , H2O/H2 S), nennt man
sie isovalenzelektronisch. Der Wert des Konzepts liegt in der Erkenntnis
vergleichbarer Strukturen.
Unter Einbezug des später zu besprechenden Elements Kohlenstoff und
der hierauf basierenden organischen Chemie erhält das Konzept eine
besondere Bedeutung. So sind CO/N 2, CO/CN- und CO2 /NO2+ gleichfalls
isoelektronische Paare.
Eindrucksvolle Ergebnisse liefert das Konzept insbesondere beim
Strukturvergleich der isoelektronischen Fragmente C2 und BN. Auf die
95
bauliche Verwandtschaft der BN- und C-Modifikationen wurde bereits
hingewiesen.
Als Beleg für eine der organischen Chemie analoge BN-Chemie mag der
„aromatische“ Charakter des Borazins (Abb. 43) dienen.
Abb. 43: Isoelektronische CC- und BN-Paare
Es ist jedoch zu beachten, dass isoelektronische Paare sich, bei gleicher
Formulierung der chemischen Bindung, durch die Verteilung der formalen
Ladung unterscheiden. Dies kann, beispielsweise sichtbar beim Vergleich
der Strukturen von BNh und Graphit, Unterschiede im Aufbau nach sich
ziehen.
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14.2.6 Komplexverbindungen
Wie bereits beim Beryllium angemerkt (Kap. 12.2, E27) werden
Komplexverbindungen durch Anlagerung von Liganden an ein
Koordinationszentrum mittels koordinativer Bindungen gebildet. Solche
Verbindungen finden sich im Bereich der Hauptgruppenelemente
insbesondere dort, wo hierdurch Elektronenmangel behoben werden kann.
Bei Borverbindungen des Typs BX3 ist insbesondere die Bildung der
stabilen Komplexanionen gem.
BX3 + X- → BX4- (X = F,Cl,Br,I)
bekannt. Jedoch können an BX3 auch Neutralmoleküle, deren Zentralatom
wenigstens ein nichtbindendes Elektronenpaar trägt, koordinieren.
BF3 + (C2 H5) 2O → (C2H5 )2O-BF 3
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<E32 Lewis-Säuren und Basen>
Wie bereits angemerkt kann die Stabilität von Komplexverbindungen über
die Formulierung der Bildungsreaktion als Gleichgewicht mit der
Gleichgewichtskonstante K beschrieben werden. Der Formalismus ist der
Beschreibung der Säure/Base-Reaktionen nach Broenstedt (vgl. E7)
ähnlich. Tatsächlich bezeichnet man bei Ausbildung der koordinativen
Bindung die das bindende Elektronenpaar liefernden Liganden (im oberen
Beispiel X- bzw. (C2 H5)2O) auch als Lewis-Basen, die
Koordinationspartner (im oberen Beispiel BX3 ) als Lewis-Säuren. Die
Ausbildung der Bindung selbst entspricht dann der Neutralisation. So
gesehen stellt die Säure/Base-Reaktion nach Broenstedt einen Spezialfall
96
der Säure/Base-reaktion nach Lewis, den in wäss. Lösung, dar. H+ wäre
dann die Lewis-Säure, OH- die Lewis-Base.
Anders als im Bereich der Broenstedt-Säuren lassen sich nun im
Definitionsbereich von Lewis absolute Säurestärken nicht über die Lage
des Gleichgewichts definieren und bestimmen. So ist beim Vergleich der
Gleichgewichtslagen der Bildung von BX4- in der Reihe der
Halogenidionen F- gegenüber BF3 die stärkste Base, gegenüber BI3 jedoch
I-. BF3 bildet mit Ethern R 2O die stabilsten Addukte, während „BH3 “ mit
Thiothern R2 S stabile Koordinationsverbindungen bildet. Folglich ist der
Begriff „Säurestärke“ bei wechselnder Bezugsbase (im BroenstedtKonzept einheitlich H2 O) zu relativieren.
Die Ursache hierfür liegt in der Tendenz „harter“, d.h. wenig
polarisierbarer Basen, mit „harten“ Säuren stabile Addukte zu bilden.
Hingegen bevorzugen „weiche“, d.h. stark polarisierbare Basen „weiche“
Säuren als Reaktionspartner. Die Polarisierbarkeit der Elektronenhülle
hängt von der Wechselwirkung zwischen Atomkern und Valenzschale ab;
sie nimmt innerhalb der Gruppen stark zu, hingegen innerhalb der
Perioden ab. Der Zusammenhang wird als „Konzept der harten und
weichen Säuren und Basen“ (HSAB-Konzept) bezeichnet.
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14.3 Aluminium, Gallium, Indium
Wegen ihres unedlen Charakters kommen die Elemente in der Natur
sämtlich in gebundener Form vor. Aluminium gehört zu den häufigsten
Elementen der Erdoberfläche und findet sich, neben dem Mineral Kryolith
(Na3AlF6), ausschließlich in oxidischer Form als Korund (Al2 O3 , dotiert
mit Fremdmetallen als Rubin und Saphir), Bauxit [AlO(OH)] sowie in
Feldspäten („Alumosilikate“). Gallium findet sich als seltener Begleiter
des Aluminiums (Radienkontraktion durch Einbau der 3d-Elemente)
sowie, wie auch Indium und Thallium, als Begleiter des Zinks in der
Zinkblende (ZnS).
14.3.1 Die Elemente
Im Gegensatz zu Bor bilden seine schwereren Gruppennachbarn als
Elemente Metallstrukturen aus. Aluminium findet als Werkstoff
(Leichtmetall) sowie als Reduktionsmittel umfangreiche Verwendung; es
ist trotz seines unedlen Charakters wegen der die Oberfläche schützenden
Oxidschicht („Passivierung“) resistent, löst sich aber in verdünnten
Säuren. Gallium und Indium werden in der Halbleitertechnologie zur
Dotierung von Silizium (p-Halbleiter) sowie als 3/5-Halbleiter verwendet.
Die Darstellung von Aluminium erfolgt in großem Umfang auf
elektrochemischem Wege. Das Metall kann wegen seines stark negativen
Normalpotentials (E° = -1.68 V) nicht aus wäss. Lösung abgeschieden
werden (vgl. E21). Durch Schmelzflusselektrolyse von gereinigtem
97
Bauxit, dem zur Erniedrigung des Schmelzpunkts und zur Erhöhung der
Leitfähigkeit Kryolith zugesetzt wird. Das technisch wichtige Verfahren
soll exemplarisch für die Metalldarstellung nachfolgend besprochen
werden.
a) Reinigung des Bauxits
Vor Durchführung der Schmelzflusselektrolyse muß der Bauxit von
störenden Verunreinigungen, inbes. Eisen und Silizium, befreit werden.
Dies geschieht unter Nutzung des amphoteren Charakters von Al(OH)3
-
-
Al(OH)3 + OH → Al(OH)4
Hierbei fällt Eisen in Form von Fe(OH)3 aus der Lösung aus.
+
+
Al(OH)3 + 3 H3O + 3 H2 O → [Al(H2 O)6 ]
Hierbei fällt Silizium in Form von SiO2 aus der Lösung aus.
Anschließend wird das Hydroxid thermisch (1200 °C) entwässert.
2 Al(OH)3 → Al 2O3 + 3 H2O
b) Schmelzflusselektrolyse von Al2O3
Wegen des hohen Schmelzpunktes von Al2 O3 (2050 °C) wird die
Elektrolyse mit einer Schmelze von 10.5% Al2O3 und 89.5% Na 3[AlF 6]
bei 970 °C durchgeführt. Die Elektrodenreaktionen sind komplex und
nicht vollständig nachgewiesen; man beachte, dass bei der Reaktion Al2O3
verbraucht und Aluminium, trotz der Einbindung in die
wanderungsfähigen Anionen, an der Kathode gebildet wird:
Dissoziation des Kryoliths
+
3-
2 Na3AlF6 → 6 Na + 2 AlF6
Anode
Al2O3 + 2 AlF6 3- → 3/2 O2 + 4 AlF3 + 6 eKathode
6 Na+ + 6 e- → 6 Na
6Na + 2 AlF3 → 2 Al + 6 NaF
2 AlF3 + 6 NaF → 2 Na3AlF6
Gesamtreaktion
Al2O3 → 2 Al + 3/2 O2
98
Die Elektrolyse wird bei 6 V und 180000 A durchgeführt; man beachte,
dass der eigentliche elektrochemische Reduktionsprozeß die Entladung
der Natriumionen ist. Abb. 44 zeigt eine schematische Darstellung des
Elektrolyseofens.
Abb. 44: Elektrolyseofen zur Darstellung von Aluminium
Auch die schwereren Gruppe 15-Metalle werden elektrochemisch
gewonnen.
14.3.2 Verbindungen des Aluminiums mit Wasserstoff
Aluminiumhydrid wird technisch aus den Elementen bei hohen
Temperaturen gewonnen.
2 Al + 3 H2 → 2 AlH3
Die Verbindung ist polymer aufgebaut; die Aluminiumatome weisen
hierbei die Koordinationszahl 6 auf. Jedes Aluminiumatom ist hierbei an
jeweils 3 Al-H-Al-Dreizentrenbindungen (3c2e) beteiligt.
AlH3 ist ein starkes Reduktionsmittel. Es reagiert als Hydridverbindung
mit Wasser unter Freisetzung von Wasserstoff.
2 AlH3 + 3 H2O → 2 Al(OH)3 + 3 H2
Von praktischer Bedeutung ist Lithiumalanat wegen seiner guten
Löslichkeit in Diethylether.
4 LiH + AlCl3 → Li[AlH4] + 3 LiCl
14.3.3 Verbindungen des Aluminiums mit Halogenen
Aluminium bildet die Halogenide der Zusammensetzung AlX3 (X =
F,ClBr,I). AlF3 (Ausgangsmaterial zur Herstellung von Kryolith) und
AlCl3 (Katalysator in der organischen Synthese) werden in technischem
Umfang hergestellt.
Al2O3 + 6 HF → 2 AlF3 + 3 H2O
2 Al + 3 X2 → 2 AlX3 (X = Cl,Br,I)
Wegen der hohen Elektronegativitätsdifferenz ist AlF3 als Salz aufgebaut;
hierin weist Al die KZ 6, F die KZ 2 auf. Im sog. ReO3-Typ (vgl. Abb. 67)
besetzen die Al-Atome die Ecken eines Würfels, während die F-Atome
99
auf den Kantenmitten des Würfels sitzen (vgl. Abb. 67). Wegen der hohen
Gitterenergie ist AlF3 in Wasser unlöslich.
In AlCl3 liegen bereits deutliche Anteile von Atombindungen vor. Im
festen Zustand kristallisiert die Substanz in einer Schichtstruktur (KZ 6
für Al); hier bilden die Chloratome eine kubisch dichteste Kugelpackung,
deren Oktaederlücken in jeder 2. Schicht zu 2/3 von Aluminiumatomen
besetzt sind. In Lösung und in der Schmelze liegen Al2 Cl6-Moleküle vor
(Al-Cl-Al-Brücken des 3c4e-Typs). Dieser Aufbau liegt auch den
Verbindungen AlBr3 und AlI3 im festen Zustand zu Grunde (Abb. 45).
Abb. 45: Die Strukturen von AlCl3
Die schwereren Aluminiumhalogenide bilden, wie die entsprechenden
Verbindungen des Bors, Lewis-Säuren und reagieren mit Wasser zu
Hexaquo-Komplexen bzw. mit Halogenid-Ionen unter Bildung von
Komplexsalzen der KZ 4. Mit Fluorid-Liganden erreicht das Aluminium,
wie in AlF3, im Kryolith die KZ 6.
AlX3 + 6 H2O → [Al(H2O)6]X3 (X = Cl,Br,I)
AlX3 + NaX → Na[AlX4] (X = Cl,Br,I)
AlF3 + 3 NaF → Na3[AlF6 ]
14.3.4 Verbindungen des Aluminiums mit Sauerstoff
Als einziges binäres Oxid des Aluminiums ist Al2 O3 bekannt, das
allerdings in mehreren Kristallmodifikationen auftritt. Sie sind sämtlich
aus Ionen aufgebaut. Die wichtigste, auch in der Natur vorkommende, ist
der Korund (α
-Al2 O3, Schmp. 2050 °C), der technisch durch Erhitzen von
Bauxit (s.o.) gewonnen wird und neben der Al-Darstellung wegen seiner
großen Härte als Schleifmittel verwendet wird. Im der Struktur bilden die
Sauerstoffionen eine hexagonal dichteste Kugelpackung, in der 2/3 der
Oktaederlücken von Aluminiumionen besetzt sind. Hierbei werden die
Lücken aller Schichten verwendet (Abb. 46).
Abb. 46: Die Struktur von Korund
Al(OH)3 wird aus sauren Al-Salzlösungen durch Zugabe von Ammoniak
gefällt; es ist, wie bereits erwähnt, amphoter und löst sich sowohl in
Säuren wie auch in Laugen (s.o.)
14.3.5 Verbindungen des Galliums und Indiums
Die Verbindungen der dreiwertigen Elemente sind denen des Aluminiums
vergleichbar. Eine Sonderstellung nimmt GaAs als III/V-Halbleiter ein.
Die Verbindung ist isoelektronisch zu Germanium und kristallisiert im
100
Zinkblende-Typ (ZnS). Hierin bilden die Schwefelatome eine kubisch
dichteste Kugelpackung, in der die Hälfte der Tetraederlücken mit
Zinkatomen besetzt ist (KZ 4/4).
14.4 Thallium
Die Chemie des seltenen, hochgiftigen Elements weist als Besonderheit
die stark oxidierende Wirkung seiner dreiwertigen Verbindungen auf,
während zahlreiche Verbindungen des einwertigen Thalliums trotz der
nicht erfüllten Oktettregel stabil sind. Salze des einwertigen Thalliums mit
„harten“ Anionen (F-, NO 3-, CO3 2-, SO4 2- usw.) entsprechen in ihren
Eigenschaften den Kaliumsalzen, während Salze „weicher“ Anionen (Cl-,
Br-, I-, S2- usw.) den Silbersalzen vergleichbar sind.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E33 Der Effekt des Inerten Paares>
Wir haben bereits gesehen, dass innerhalb einer Hauptgruppe die
oxidierende Wirkung der höchsten Oxidationsstufe beim Übergang zu den
schweren Gruppenelementen stark zunimmt. Bei den Kationen bildenden
Elementen der Gruppen 13 und 14 macht sich dies durch die Stabilität der
Ionen Tl+, Pb2+ sowie Bi 3+ besonders bemerkbar.
In diesen Ionen tritt die Valenzelektronenkonfiguration ns2 auf; dies
bedeutet, dass die s-Elektronen der Valenzschale nicht bei der Ionisierung
abgespalten werden und auch nicht zur Ausbildung von Atombindungen
herangezogen werden.
Dieser Befund erklärt sich aus der Stellung der Elemente im
Periodensystem. Grundsätzlich werden s-Elektronen wegen ihres
geringeren mittleren Abstandes zum Kern von diesem stärker festgehalten
als p-Elektronen der gleichen Hauptquantenzahl. Im Falle der Elemente
Ga, Ge, As, In, Sn und Sb tritt verstärkend hinzu, dass der beim Aufbau
des Periodensystems direkt vor diesem Block erfolgende Einbau der
Elemente 3d bzw. 4d zu einer starken Erhöhung der Kernladung führt, die
wegen der schlechten Abschirmung durch die zum Ladungsausgleich
eingefügten d-Elektronen in verstärktem Maße wirksam wird.
Bei den Elementen Tl, Pb und Bi wird dieser Effekt durch die zuvor
erfolgte Besetzung der 14 4f-Zustände (Lantanoide) nochmals verstärkt.
Die Auswirkungen zeigen sich auch bei den benachbarten Elementen der
Nebengruppen. So ist der (im Vergleich mit Zn und Cd) unerwartet edle
Charakter des Quecksilbers und seine hohe Flüchtigkeit auf die Stabilität
des im Atom vorliegenden Valenzzustandes 4f145d106s 2 zurückzuführen
(Hg° und Tl+ sind isoelektronisch!).
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15. Die Elemente der Gruppe 14 (Kohlenstoff-Gruppe)
101
15.1 Allgemeines
Die Elemente der Gruppe 14 stehen im Zentrum des
Periodensystems. Ihre Entfernung von der Edelgaskonfiguration ns 2 p6
macht sie zur Ausbildung einatomiger Ionen, abgesehen von der dem
Effekt des inerten Paares (vgl. E33) unterliegenden Sn2+ und Pb2+ ,
unfähig. Einen Überblick der Elementeigenschaften gibt Tab. 18.
Tab. 18: Eigenschaften der Gruppe 14-Elemente
Aus Sicht ihrer chemischen Eigenschaften lassen sich die Elemente in 3
Gruppen eingliedern. Der Kohlenstoff, die verwandten Elemente Silizium
und Germanium sowie die gleichfalls ähnliche Eigenschaften
aufweisenden Elemente Zinn und Blei werden jeweils getrennt
besprochen.
15.2 DerKohlenstoff
Kohlenstoff findet sich in der Natur in elementarer Form als
Graphit und Diamant („Kohle“ ist ein komplexes Gemisch aus
Kohlenstoff-reichen Kohlenwasserstoffen), in der Biomaterie sowie,
weitaus häufiger in mineralischen Carbonaten, insbesondere Kalk
(CaCO3 ) und Dolomit (Ca,MgCO3 ). Beträchtliche Mengen finden sich
außerdem als CO2 in der Luft.
15.2.1 Die Sonderstellung des Kohlenstoffs
Unter allen Elementen nimmt der Kohlenstoff trotz seiner nur
mäßigen Häufigkeit (0.03 Massen-%) wegen der Vielzahl und Bedeutung
seiner Verbindungen eine Sonderstellung ein. Dies hat zur Ausgliederung
der Verbindungen mit C-C- bzw. C-H-Bindungen aus der Allgemeinen
Chemie und Unterteilung in die Kapitel „Organische Chemie“ und
„Anorganische Chemie“ geführt; letzteres behandelt alle nichtorganischen, d.h. nicht C-C- bzw. C-H-Bindungen enthaltenden
Verbindungen und macht dennoch, nach Anzahl der Verbindungen, kaum
mehr als 10% des Gesamtumfanges aus.
Die Ursachen für die Sonderstellung des Kohlenstoffes ergeben sich aus
seiner Stellung im Periodensystem:
a) EN ca. 2.5 führt zur Ausbildung wenig polarer und somit kinetisch
stabiler Verbindungen mit der Mehrzahl der Elemente, vor allem mit
dem Wasserstoff
b) Valenzelektronenkonfiguration 2s2 p2 erlaubt die Bildung neutraler
Moleküle des vierbindigen Kohlenstoffs unter Erreichen des Oktetts
c) Als Element der 2. Periode („1. Achterperiode“) gilt die
Doppelbindungsregel für den Kohlenstoff nicht; er ist folglich zur
102
Ausbildung von stabilen Mehrfachbindungen mit sich selbst sowie mit
seinen Nachbarelementen Sauerstoff, Stickstoff und Schwefel befähigt.
15.2.2 Das Element
Kohlenstoff tritt in wenigstens drei Elementmodifikationen auf, von
denen sich zwei in der Natur finden:
Graphit kristallisiert in einer Schichtstruktur (KZ 3) ähnlich dem
hexagonalen Bornitrid (Kap. 14.2.5). Innerhalb der Schichten tritt
Resonanz ein; sämtliche C-C-Bindungen einer Schicht weisen die gleiche
Länge auf. Hierdurch werden die Elektronen der π
-Bindungen innerhalb
der Schicht frei beweglich, was dem Graphit die Eigenschaften eines
Halbleiters verleiht. Die einzelnen Schichten stehen untereinander, anders
als in BN, „auf Lücke“; sie werden nur durch schwache
Wechselwirkungen zusammengehalten und sind leicht gegeneinander
verschiebbar. Graphit dient deshalb als Schmiermittel sowie als
Bestandteil von „Bleistiften“.
Diamant bildet sich aus Graphit oberhalb 2000 °C bei hohen Drücken. Er
bildet eine Raumnetzstruktur (KZ 4), in der jedes Kohlenstoffatom unter
Verwendung von sp3-Hybridorbitalen vier Einfachbindungen zu seinen
Nachbarn ausbildet. Die hohe Stabilität dieser Bindungen und die hohe
Symmetrie der Diamantstruktur verleihen dem Diamanten die größte
Härte aller bekannten Substanzen. Diamant wird als Bestückung von
Bohrern sowie, in hochreiner Form, als Schmuckstein („Brilliant“)
verwendet.
Beide Modifikationen werden heute auch synthetisch hergestellt.
Fulleren, erst seit ca. 25 Jahren bekannt, bildet sich bei ca. 1000 °C beim
Verbrennen von Holz oder Kohle bei Unterschuß von Sauerstoff. Die
Substanz besteht aus C60-Molekülen kubischer Symmetrie, wie sie auch in
Fußbällen vorliegt. C60 ist die stabilste Form eine mittlerweile durch
zahlreiche, auch polymere Vertreter belegten Substanzklasse, die teilweise
technische Bedeutung in der Katalyse erlangt hat.
Eine Übersicht der Elementmodifikationen gibt Abb. 47.
Abb. 47: Die Elementstrukturen des Kohlenstoffs
15.2.3 Verbindungen mit Halogenen
Sämtliche Tetrahalogenide CX4 lassen sich aus den Elementen
herstellen. Tetrachlorkohlenstoff (Sdp. 76 °C) wird in technischem
Maßstab produziert und dient trotz seiner Toxizität als wichtiges
Lösungsmittel; es ist nicht brennbar und mischt sich nicht mit Wasser.
Tetraiodmethan zersetzt sich beim Erwärmen unter Abspaltung von Iod.
C + 2 X2 → CX4 (X = F,Cl,Br,I)
2 CI4 → 2 I2 + I 2C=CI2
103
Fluorkohlenstoff-Verbindungen weisen generell niedrige Siedepunkte auf
(CF4 -128 °C); sie dienen heute als Kühlflüssigkeiten in Kühlaggregaten.
Verbindungen der Zusammensetzung CX2 („Carbene“) weisen nur eine
kurze Lebensdauer auf; sie werden in situ in der organischen Synthese
erzeugt und umgesetzt.
Sämtliche Kohlenstoff-Halogen-Verbindungen kann man sich als Derivate
der zugehörigen Kohlenstoff-Wasserstoffverbindungen denken, in denen
die Wasserstoff-Substituenten teilweise oder vollständig gegen
Halogenatome ausgetauscht sind. Die große Vielzahl der hierbei
resultierenden Verbindungen (z.B. CHCl3 , C6 F6) wird traditionsgemäß der
organischen Chemie zugerechnet.
15.2.4 Verbindungen mit Sauerstoff
Es existieren zwei binäre Verbindungen des Kohlenstoffs mit Sauerstoff:
Kohlendioxid (Sublp. -57 °C) und Kohlenmonoxid (Schmp. -205 °C, Sdp.
-192 °C).
CO2
CO
Kohlendioxid kommt in großen Mengen (ca. 0.03 Vol%) in der Luft vor.
Da es die Verbrennung nicht unterhält, dient es als Löschgas. Aus dem
gleichen Grund ist es „giftig“, wenn es (z.B. in Folge von
Verbrennungsprozessen) in der Luft angereichert und an Stelle von
Sauerstoff vorkommt. Es bildet sich bei der Verbrennung von Kohlenstoff
sowie von fossilen Brennstoffen (Kohle, Erdöl, Erdgas) sowie bei der
Umsetzung von Carbonat-Salzen mit Säuren.
C + O2 → CO2
Na2CO 3 + 2 HCl → 2 NaCl + H2O + CO2
Umgekehrt reagiert es
Hydrogencarbonat-Salzen.
mit
Basen
zu
Carbonat-Salzen
bzw.
CO2 + NaOH → NaHCO3
CO2 + 2NaOH → Na2 CO3 + H2O
Kohlendioxid löst sich physikalisch in Wasser (“Kohlensäure”) und tritt
als Bestandteil bzw. Zusatz in Mineralwässern und Limonaden auf.
Kohlenmonoxid bildet sich bei der unvollständigen Verbrennung von
Kohlenstoff sowie im Gleichgewicht mit Kohlendioxid und Kohlenstoff
104
bei hohen Temperaturen (Boudoir-Gleichgewicht) und ist somit
Bestandteil des Synthese- und Generatorgases (vgl. Kap. 13.2.2).
2 C + O2 → 2 CO
CO2 + C → 2 CO (Boudoir-Gleichgewicht)
Kohlenmonoxid lässt sich durch Wasserabspaltung aus der Ameisensäure
(z.B. mit conc. H2SO4 ) gewinnen; es ist folglich das Anhydrid (vgl. E23)
der Ameisensäure. Umgekehrt können die Salze der Ameisensäure
(„Formiate“) durch Einleiten von CO in Laugen hergestellt werden.
H2CO 2 → H2 O + CO
CO + NaOH → NaHCO2
Das zum N2 -Molekül isoelektronische CO-Molekül ist wenig polar, da
partiale und formale Ladung einander entgegengerichtet sind. Das MOSchema (Abb. 48) zeigt einen gegenüber N2 veränderten Aufbau durch die
unterschiedlichen Ionisierungspotentiale der Atome.
Abb. 48: MO-Schema des Kohlenmonoxids
Aus dem MO-Schema ergibt sich die Basizität des σ
*-Orbitals, wodurch
CO zur Ausbildung von koordinativen Bindungen zu Metallzentren, d.h.
zur Bildung von Metallkomplexen („Metallcarbonyle“) befähigt wird (vgl.
Kap. 19.5.3.3).
M + CO →
M←CO
In der Biosphäre werden hierdurch biokatalytisch aktive Metallzentren,
insbesondere Eisen („Hämoglobin“) blockiert; deshalb ist Kohlenmonoxid
ein starkes Gift. Dessen ungeachtet spielt Kohlenmonoxid als
Synthesebaustein (C1 ) in der organischen Synthese eine bedeutende Rolle.
15.2.5 Sauerstoffsäuren des Kohlenstoffs und ihre Derivate
Von Kohlenstoff existieren zwei Sauerstoffsäuren der Zusammensetzung
H2CO 3 (Kohlensäure) und H2CO 2 (Ameisensäure):
H2CO 3
H2CO 2
Die Ameisensäure gilt als Stammverbindung der Carbonsäuren, RC(O)OH, und wird üblicherweise samt ihren Derivaten der organischen
Chemie zugerechnet.
105
Die Kohlensäure ist weder in reiner Form noch in Lösung beständig; beim
Versuch ihrer Darstellung, etwa durch Ansäuern ihrer Salze, zerfällt sie
spontan in Wasser und ihr Anhydrid CO2 (vgl. E23), weswegen sie lange
Zeit als schwache Säure angesehen wurde. Dieser durch den Zerfall der
Säure vorgetäuschte Befund konnte erst kürzlich mit der Isolierung und
Charakterisierung der Säure korrigiert werden (pKS ca. 3).
Von der Kohlensäure leiten sich zwei Reihen von Salzen ab, die
Carbonate (M2 CO3 ) und die Hydrogencarbonate (MHCO3 ). Carbonate
reagieren in wäss. Lösung durch Hydrolyse als schwache Basen (pKB = 9)
und werden als solche verwendet; Hydrogencarbonate zeigen kaum
Hydrolysereaktionen, können aber wegen der durch CO2 -Entwicklung
bedingten Verschiebung des Reaktionsgleichgewichts gleichfalls als
Basen verwendet werden.
CO32- + H2 O <=> HCO3- + OH+
HCO3 + H3O → CO2 + 2 H2 O
Wasserunlösliche Carbonate kommen in großem Umfang in der Natur vor
(s.o.); als wasserlösliche Verbindungen werden Natriumcarbonat
(Na2CO 3∙
10 H2O, „Soda“) und Ammoniumhydrogencarbonat (NH 4HCO3)
technisch hergestellt.
Die technische Synthese des Natriumcarbonats (Solvay-Verfahren) liefert
ein gutes Beispiel, wie ein nicht direkt realisierbarer Prozeß, hier die
Gewinnung
von
Natriumcarbonat
aus
Natriumchlorid
und
Calciumcarbonat, auf Umwegen erzwungen werden kann:
CaCO3 → CaO + CO2
2 NaCl + 2 CO 2 + 2 NH3 + 2 H2O → 2 NaHCO3↓+ 2 NH4 Cl
2 NaHCO3 → Na2CO3 + CO2 + H2O
2 NH4Cl + CaO → 2 NH3 + CaCl2 + H2 O
CaCO3 + 2 NaCl → CaCl2 + Na2 CO3
Wesentlicher Schritt ist die Ausfällung des in Wasser schwerlöslichen
Natriumhydrogencarbonats im Sinne einer Gleichgewichtsverschiebung.
Natriumcarbonat wird in großem Umfang in der Glasindustrie sowie als
schwache Base verwendet.
Ammoniumhydrogencarbonat wird durch Einleiten von Kohlendioxid in
wäss. Ammoniaklösungen erhalten. Es zersetzt sich bereits bei 60 °C in
seine Edukte (d.h. „rückstandlos“) und wird als Treibmittel
(„Backpulver“) verwendet.
NH3 + CO2 + H2O → NH4HCO3
106
Wichtige, stabile Derivate der Kohlensäure sind das hochgiftige Phosgen
(COCl2 , Sdp. 8 °C) sowie der in biochemischen Prozessen als
Abbauprodukt gebildete Harnstoff [CO(NH2)2 , Schmp. 133 °C].
COCl2 Phosgen
CO(NH2) 2 Harnstoff
Beide Verbindungen werden synthetisch hergestellt. Phosgen ist ein
wichtiger Ausgangsstoff in der organischen Synthesechemie. Harnstoff
wird vornehmlich als Düngemittel verwendet.
CO + Cl2 → COCl 2
COCl2 + 4 NH3 → CO(NH2) 2 + 2 NH4Cl
CO2 + 2 NH3 → CO(NH2) 2 + H2 O
15.2.6 Verbindungen mit Stickstoff
Blausäure (HCN, Sdp. 26 °C), die traditionsgemäß der Anorganischen
Chemie zugerechnet wird, ist, wie auch ihr zu CO isoelektronisches Anion
(vgl. E31) CN- (Cyanid) hochgiftig.
HCN
CNBlausäure (pKS = 9.2) wird technisch aus Methan und Ammoniak (2000
°C, Pd-Katalysator) hergestellt und durch Einleiten in KOH in KCN
(„Zyankali“) überführt. Früher wurde auch NaCN technisch aus NaNH2
gewonnen.
2 CH4 + 2 NH3 + 3 O2 → 2 HCN + 6 H2O
HCN + KOH → KCN + H2 O
NaNH2 + C → NaCN + H2
Blausäure findet Anwendung in der organischen Synthesechemie.
Cyanidsalze werden, wegen der ausgezeichneten Ligandeigenschaften des
Anions (vgl. E35), in der Galvanotechnik („Cyanidlaugerei“) eingesetzt.
15.2.7 Carbide
Unter Carbiden versteht man binäre Verbindungen des Kohlenstoffs mit
Elementen geringerer Elektronegativität (Metalle und Metalloide). Sie
lassen sich einteilen in
107
a) kovalente Carbide (z.B. SiC) mit kovalenten Kohlenstoff-ElementBindungen
b) salzartige Carbide; hier liegen Kohlenstoffanionen vor (so entwickelt
CaC2 als Salz des Acetylens (vgl. Kap. 19.4.3) mit Wasser den
zugehörigen Kohlenwasserstoff)
c) metallische Carbide; hier sind Kohlenstoffatome in Oktaederlücken
eines Metallgitters eingebaut (z.B. TiC)
15.3 Silizium und Germanium
Silizium, das zweithäufigste Element der Erdkruste (27.7 Massen%),
kommt überwiegend als Siliziumdioxid oder in Form oxidischer
Mineralien, die zusätzlich Al, Mg, Ca und Fe enthalten,vor. Das sehr viel
seltenere Germanium findet sich in sulfidischen Erzen, hauptsächlich im
Germanit (Cu6FeGe 2S8). Trotz der technischen Bedeutung des
Germaniums für die Halbleiterindustrie sollen nachfolgend nur die
Verbindungen des Siliziums besprochen werden.
15.3.1 Die Elemente
Silizium und Germanium existieren beide nur in der Diamantstruktur; die
die dem Graphit analoge Struktur ist wegen der Doppelbindungsregel
(vgl. E24) instabil. Die gegenüber C größeren Atomradien bewirken eine
Schwächung der Element-Element-Bindungen, die beiden Elementen
Halbleitereigenschaften verleiht.
Silizium wird in großem Umfang durch Reduktion von Quarz (SiO2) mit
Koks im Elektrischen Ofen bei 1800 °C erhalten. Hierbei ist ein
Überschuß von Kohlenstoff wegen der Bildung von Siliziumcarbid (SiC)
zu vermeiden. Das so gewonnene Silizium wird als Legierungsbestandteil
verwendet.
Zur im Bereich der Halbleitertechnologie erforderlichen Reinigung wird
Silizium mit HCl bei 300 °C zu SiHCl3 („Silicochloroform“, Sdp. 32 °C)
oxidiert, das nach Destillation bei 1100 °C thermisch in die Edukte
gespalten wird. Die weitere Aufreinigung des Siliziums erfolgt durch
Zonenschmelzen; hierdurch wird eine sehr hohe Reinheit (10-8 %
Verunreinigungen) erreicht.
Zur Darstellung von Germanium wird das aus mineralischen Vorkommen
gewonnene Dioxid gereinigt und mit Wasserstoff reduziert.
SiO2 + 2 C → Si + 2 CO
Si + 3 HCl → SiHCl 3 + H2
GeO2 + 2 H2 → Ge + 2 H2O
Silizium wird in großen Mengen als Legierungsbestandteil von
Metalllegierungen benötigt. Darüber hinaus besteht, wie auch für
108
Germanium, ein ständig steigender Bedarf an Reinstsilizium für
Halbleiterproduktionen.
15.3.2 Verbindungen mit Wasserstoff
Silizium bildet kettenförmige Silane der allgemeinen Zusammensetzung
Sin H2n+2 bzw. Ringe der Zusammensetzung Sin H2n, die formal den
Alkanen (vgl. Kap. 19.4.1) entsprechen. Jedoch ist hier der Wasserstoff
der negative Bindungspartner. Die Darstellung erfolgt meist durch
Umsetzung der entsprechenden Chlorverbindungen mit LiAlH4 .
SiCl4 + LiAlH4 → SiH4 + LiAlCl 4
Wie alle Silane ist SiH4 (Sdp. -112 °C) thermolabil und kann in die
Elemente gespalten werden. Die Verbindung ist an Luft selbstentzündlich.
SiH4 → Si + 2 H2
SiH4 + 2 O2 → SiO2 + 2 H2O
15.3.3 Verbindungen mit Halogenen
Silizium (und auch Germanium) bildet mit Halogenen Verbindungen der
Zusammensetzung SiX4 (X = F,Cl,Br,I).
SiX4
Hierbei handelt es sich sämtlich um molekular aufgebaute Verbindungen,
die aus den Elementen zugänglich sind. SiF4 bildet sich auch bei der
Einwirkung von Flusssäure auf Glas.
Si + 2 X2 → SiX4 (X = F,Cl,Br,I)
SiO2 + 4 HF → SiF4 + 2 H2 O
SiF4 (Sublp. -90 °C) gilt hinsichtlich der Bildungsenthalpie als
thermodynamisch stabilste aller Verbindungen in Folge der hier besonders
ausgeprägten (p→d)π-Bindungsverstärkung (vgl. E30). SiCl4 (Sdp. 57 °C)
wird als Ausgangsprodukt zahlreicher Synthesen technisch hergestellt.
Alle Tetrahalogenide reagieren mit Wasser. SiF4 bildet darüber hinaus
Komplexe (vgl. E27), etwa mit Fluoridionen, des Siliziums der KZ 6.
SiX4 + 2 H2O → SiO2 + 4 HX
SiF4 + 2 NaF → Na2[SiF 6]
109
Analog zu den Siliziumwasserstoff-Verbindungen existieren zahlreiche
Halogenverbindungen etwa der Zusammensetzungen Sin X2n+2 (Ketten)
und SinX2n (Ringe), die hier nicht besprochen werden können.
15.3.4 Verbindungen mit Sauerstoff
Silizium bildet mit Sauerstoff die stabile Verbindung SiO2 , die bei
Normalbedingungen im Gegensatz zu CO2 (man beachte die
Doppelbindungsregel, vgl. E24) polymer gebaut ist (Schmp. 1725 °C).
Hierin sind einzelne SiO4-Tetraeder über gemeinsame Sauerstoffatome
eckenverknüpft. Man unterscheidet verschiedene Kristallmodifikationen
(Quarz, Tridymit, Cristobalit, Abb. 49), die jedoch alle diesem Bauprinzip
folgen.
Abb. 49: Die Systematik der Siliziumdioxide
Die Umwandlung zwischen Quarz, Tridymit und Cristobali erfolgt
langsam, Da Si-O-Bindungen gebrochen werden müssen. Abb. 50 zeigt
einen Ausschnitt aus der Struktur des β
-Cristobalits.
Abb. 50: Die Struktur des β
-Christobalits
Das chemisch sehr resistente Siliziumdioxid wird von HF (s.o.) sowie von
Laugen angegriffen (vgl. die Reinigung von Bauxit, Kap. 14.3.1).
SiO2 + 4 NaOH → Na4SiO4 + 2 H2O
Bei 1250 °C steht SiO2 in der Gasphase (Vakuum) im Gleichgewicht mit
SiO, analog dem Boudoir-Gleichgewicht (Kap. 15.2.4). Beide Oxide
liegen in der Gasphase als monomere Moleküle vor. Früher wurde diese
Reaktion als „Transportreaktion“ zur Reinigung von Silizium
(Abtrennung von Fremdmetallen wie z.B. Al) benutzt.
SiO
SiO2
Si + SiO2 <=> 2 SiO
Auf zwei strukturelle Ausnahmen vom Aufbau der Siliziumdioxide durch
Eckenverknüpfung der SiO4 -Tetraeder sei hingewiesen: in der
Hochdruckmodifikation Stishovit (TiO2-Typ) besetzen die Siliziumatome
Oktaederlücken (KZ 6); im faserförmigen SiO2 sind die Tetraeder
kantenverknüpft.
110
15.3.5 Sauerstoffsäuren und Silikate
Analog zur Kohlensäure ist auch die Kieselsäure (H4SiO4 ) nur in Form
ihrer Metallsalze beständig; die Säure selbst wandelt sich unter
Wasserabspaltung in ihr Anhydrid um.
Na4SiO4 + 4 HCl → H4SiO4 + 4 NaCl
H4SiO4 → SiO2 + 2 H2O
Die Kondensation erfolgt in Stufen; jedoch sind auch die hierbei
resultierenden Oligo- und Polykieselsäuren nicht beständig (Abb. 51).
Abb. 51: Die Kondensation der Kieselsäuren
Ihre Metallsalze hingegen bilde stabile Verbindungen, die sich in eine
außerordentlich komplexe und umfangreiche Systematik einordnen lassen
(Abb. 52). In allen Anionen liegen jedoch eckenverknüpfte SiO4Tetraeder vor.
Abb. 52: Strukturtypen der Silikate
Im Gegensatz zu den ortho-Silikaten M 4SiO4 („Wasserglas“) sind die
Oligo- und Polysilikate nicht wasserlöslich; sie bilden eine wesentliche
Komponente beim Aufbau der Erdrinde.
Durch formalen Austausch eines oder mehrerer Si4+ -Zentren gegen Al3+
gelangt man zu den gleichfalls wichtigen Alumosilikaten, zu denen
beispielsweise die Feldspäte M[AlSi3O8 ], der Zeolith sowie der Kaolinit
Al4[Si 4O10](OH)8 gehören.
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<E34 Glas>
Gläser sind ohne Kristallisation erstarrte Schmelzen. Sie sind gegenüber
dem kristallinen Zustand thermodynamisch instabil, kinetisch jedoch
stabil („metastabil“). Offensichtlich verhindert der komplexe Aufbau von
SiO2 und seinen Derivaten auch deren rasche Kristallisation.
Gebrauchsglas (Fensterglas) besteht aus 72% SiO2, 0.3% Al 2O3 , 9% CaO,
4% MgO und 14% Na2O. Durch Zusatz von K 2O (Thüringer Glas) lässt
sich der Schmelzpunkt erhöhen, borhaltige Gläser erhöhen die chemische
Resistenz, Al2 O3 verringert den thermischen Ausdehnungskoeffizienten,
PbO erhöht die Lichtbrechung (Kristallglas). Der Zusatz von
Übergangsmetalloxiden wie FeO (grün), Fe2 O3 (braun) oder Gold (rot)
führt zur Anfärbung. Reines Quarzglas hat die höchste Resistenz
gegenüber Temperaturschwankungen, lässt sich aber durch den hohen
Erweichungspunkt nur schwer bearbeiten.
111
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15.3.6 Verbindungen mit Kohlenstoff
Das aus Quarz und Kohle bei 2200 °C zugängliche Siliziumcarbid (SiC,
„Carborundum“) besitzt Diamantstruktur und weist eine außerordentliche
Härte auf, der es seine Verwendung als Hartstoff (Schleifscheiben u.a.)
verdankt. Neben der auf die kubisch dichteste Kugelpackung der C-Atome
zurückgehenden Struktur gibt es auch Varianten alternierender kubischer
und hexagonaler Stapelanordnungen.
SiO2 + 3 C → SiC + 2 CO
Ein wichtiges Kapitel der Organosilane (vgl. Kap. 19.5.3.2) bildet die
Chemie der Silikone, die als Kunststoffe außerordentliche Bedeutung
erlangt haben. Hierbei werden Organochlorsilane durch Wasser
hydrolysiert und vernetzt. Die bei den Kieselsäuren beobachtete
Kondensation zu SiO2 wird hierbei durch die Präsenz stabiler ROFragmente (R = organischer Rest, meist Methyl) unterbunden. Die als
Edukte verwendeten Organochlorsilane werden aus Methylchlorid und
Silizium im Müller-Rochow-Verfahren gewonnen.
Si + 2 MeCl → Me 2SiCl2 (Me = CH3 )
Me2SiCl 2 + 2 H2 O → Me2 Si(OH)2 + 2 HCl
n Me2Si(OH)2 → {-O-Si(Me) 2-}n + n H 2O
Durch anteilige Verwendung von Me3SiCl (Kettenabbruch) und MeSiCl3
(Vernetzung) lassen sich die Eigenschaften der Silikone gezielt steuern.
15.4 Zinn und Blei
Die eher seltenen Elemente kommen in der Natur konzentriert,
beispielsweise als Zinnstein (SnO2), Bleiglanz (PbS) oder Bleispat
(PbCO3) vor. Die problemlose Verhüttung mit Kohlenstoff sowie die
durch den weichen Habitus einfache Bearbeitung hat die Metalle bereits
im
Altertum
zu
umfangreicher
Verwendung
(Zinn
für
Gebrauchsgegenstände, Blei für Wasserrohre) gebracht. Als Legierung
mit Kupfer (Bronce) ist Zinn Bestandteil der menschlichen
Kulturgeschichte.
15.4.1 Die Elemente
Während elementares Blei bei Normalbedingungen als kubisch dichteste
Kugelpackung vorliegt und die Eigenschaften eines Metalls aufweist, sind
von Zinn zwei Modifikationen bekannt. α-Zinn liegt bei tiefen
Temperaturen in der Diamantstruktur (Nichtmetall) vor und wandelt sich
112
bei 13 °C in β
-Zinn (Metall) um, das in einer für Metalle ungewöhnlichen
tetragonalen Struktur kristallisiert. Beide Phasen sind metastabil, jedoch
kann die Umwandlung in α
-Zinn beim Abkühlen durch die Gegenwart
von Katalysatoren stark beschleunigt werden. Da β
-Zinn eine wesentlich
höhere Dichte aufweist, führt der Vorgang (Zinnpest) zur Zerstörung von
Metallgegenständen
bei
längerer
Lagerung
unterhalb
des
Umwandlungspunktes (Orgelpfeifen, Sarkophage u.a.).
Die Darstellung der Metalle erfolgt durch Reduktion der (im Falle des
Bleis zuvor aus den Erzen gewonnenen) Oxide mit Kohle (im Altertum
mit Holzkohle):
SnO2 + 2 C → Sn + 2 CO
2 PbS + 3 O2 → 2 PbO + 2 SO2
PbCO3 → PbO + CO2
PbO + C → Pb + CO
Die Bleidarstellung ist auch wegen der hiermit verbundenen Gewinnung
von als Verunreinigung in PbS gegenwärtigem Silber (als Ag 2S) von
Bedeutung.
Beide Metalle, insbesondere Blei, sind in Form ihrer Dämpfe und
wasserlöslichen Verbindungen toxisch, so dass trotz der auftretenden
Passivierung der Oberflächen durch die unlöslichen Oxide der direkte
Kontakt zum Menschen vermieden wird und sie somit hinsichtlich ihrer
ursprünglichen Verwendung an Bedeutung verloren haben. Zinn wird
heute umfangreich in der Elektrotechnik verwendet (Lötzinn), während
Blei zur Herstellung von Akkumulatoren (s.u.) dient. Auch als
Legierungsbestandteil sind beide Metalle von Bedeutung. Die früher
umfangreiche
Verwendung
von
Tetraethylblei
als
Zusatz
(„Antiklopfmittel“) in Verbrennungskraftstoffen hat stark an Bedeutung
abgenommen.
15.4.2 Verbindungen der vierwertigen Elemente
Verbindungen des vierwertigen Zinns sind in vieler Hinsicht denen des
Siliziums und Germaniums vergleichbar. So bilden etwa die
Tetrahalogenide und -hydride
SnX4 (X = H,Cl,Br,I)
hinsichtlich ihrer Darstellung, Struktur und chemischen Eigenschaften
eine direkte Parallele. Ein merklicher Unterschied ergibt sich aus
dermgegenüber Si und Ge größeren Atom- und Ionenradius. In SnO2
(Rutil-Typ, vgl. Kap. 18.2.4) und SnF4 (koordinationspolymerer Aufbau)
113
weist Sn bereits die Koordinationszahl 6 auf. Hiermit in Zusammenhang
steht auch das Bestreben, Komplexverbindungen zu bilden.
SnX4 + 2 NaX → Na2[SnX6] (X = F,Cl)
Verbindungen des vierwertigen Bleis wirken bereits stark oxidierend (vgl.
E33); sie kommen nicht in der Natur vor. Bleidioxid wird als
dunkelbrauner Feststoff durch Oxidation von Pb2+ -Salzen, bevorzugt
durch anodische Oxidation, erhalten; es ist ein starkes Oxidationsmittel.
Pb2+ + 2 H2O → PbO2 + 4 H+ + 2 ePbO2 hat deutlich saure Eigenschaften; mit Basen ragiert es zu
Hydroxoplumbaten, die durch Entwässern in ortho-Plumbate übergehen.
PbO2 + 2 KOH + 2 H2 O → K2[Pb(OH)6]
K2[Pb(OH)6 ] → K2 PbO3 + 3 H2O
Blei(II,IV)oxid (Pb3O 4, „Mennige“) wird als roter Feststoff durch
Luftoxidation von PbO bei 500 °C gewonnen und kann als Blei(II)-Salz
der ortho-Blei(IV)säure aufgefasst werden.
6 PbO + O2 → 2 Pb3O4
Auch die Tetrahalogenide PbX4 (X = F,Cl) sind bekannt; sie wirken im
Vergleich mit den Verbindungen des Zinns stärker oxidierend. PbBr4 und
PbI4 sind nicht stabil; sie zerfallen unter Abgabe des Halogens.
PbX4 → PbX2 + X2
15.4.3 Verbindungen der zweiwertigen Elemente
Zinn(II)-Verbindungen sind in Folge der Tendenz des Metalls, die
Oxidationszahl +IV anzunehmen, mittelstarke Reduktionsmittel. Sie
weisen wegen ihres molekularen Aufbaus und der Präsenz eines
nichtbindenden Elektronenpaars am Metallzentrum, das in die
Hybridisierung einbezogen wird, eine komplizierte Strukturchemie auf.
Wichtigste Verbindung ist das technisch aus Zinn und HCl hergestellte
Zinn(II)chlorid (Schmp. 247 °C),
Sn + 2 HCl → SnCl2 + H 2
das mit Wasser ein stabiles Hydrat bildet (Abb. 53).
114
Abb. 53: Die Strukturchemie der Zinnhalogenide
Zinn(II)oxid ist amphoter und reagiert mit Säuren und Basen.
SnO + 2 HCl → SnCl 2 + H2 O
SnO + NaOH + H2 O → Na[Sn(OH) 3]
Verbindungen des zweiwertigen Bleis liegen bereits als ionisch gebaute
Salze des Kations Pb2+ (Valenzelektronenkonfiguration 6s2, vgl. E33) vor;
sie weisen keine reduzierenden Eigenschaften auf.
Abgesehen von Pb(NO3)2 und Pb(CH3CO 2)2 sind alle Pb(II)-Salze in
Wasser schwerlöslich (Passivierung der Metalloberfläche bei Einwirkung
von HCl bzw. H2 SO4!).
Eine wichtige Anwendung des Redoxpaares Pb+II/+IV bildet der
Bleiakkumulator, dem trotz seines unwirtschaftlich hohen Gewichts und
der Toxizität des Bleis große Bedeutung, insbes. in der Automobiltechnik,
zukommt (Abb. 54).
Abb. 54: Der Bleiakkumulator
Der Bleiakkumulator besteht aus einer Bleielektrode und einer
Bleidioxidelektrode. Als Elektrolyt wird 20%-ige Schwefelsäure
verwendet. Die Potentialdifferenz zwischen den Elektroden beträgt 2.04 V
(vgl. hierzu E15, E21).
Bei der Stromentnahme wird H2 SO4 verbraucht und Wasser gebildet, die
Schwefelsäure wird verdünnt. Der Ladungszustand der Batterie kann
deshalb durch Messung der Dichte der Schwefelsäure kontrolliert werden.
Durch Zufuhr von Elektrischer Energie (Laden) lässt sich die Chemische
Energie des Akkumulators wieder erhöhen. Der Ladungsvorgang ist eine
Elektrolyse. Dabei erfolgt wegen der sog. „Überspannung“ von
Wasserstoff an Blei am negativen Pol keine Wasserstoffentwicklung.
Bei Verunreinigung des Elektrolyten wird die Überspannung aufgehoben,
und der Akku kann nicht mehr aufgeladen werden. Eine Alterung ergibt
sich auch durch die Ablagerung des in Schwefelsäure schwerlöslichen
Bleisulfats auf den Elektroden.
16 Die Hauptgruppenelemente im Überblick
16.1 Oxidationszahlen
Die formal erreichbaren Oxidationszahlen ergeben sich aus der
Stellung der Elemente im Periodensystem. Unter Verwendung der „alten“
Bezeichnungseise (1. bis 8. Hauptgruppe) gilt für Elemente der
115
Hauptgruppe a bezüglich der möglichen höchsten (x) und tiefsten (y)
Oxidationszahlen:
X=a
-Y = 8 – a
Hierbei werden stabile Oxidationszahlen bevorzugt in Zweierschritten (a,
a-2, a-4, …, a-8) gebildet. Dazwischen liegende Oxidationsstufen der
Elemente E sind stabil beim Vorliegen einer Bindung E-E. In
Ausnahmefällen, bei Beteiligung stark elektronegativer Elemente, werden
durch die Absenkung der Orbitalenergien auch stabile Radikale gebildet.
Allgemein nehmen die oxidierenden Eigenschaften mit steigender
Oxidationsstufe zu. Innerhalb einer Gruppe sinkt die Stabilität der formal
höchsten Oxidationsstufe X mit steigender Ordnungszahl, da die steigende
Kernladung durch den Einbau zusätzlicher Elektronen in die
Elektronenhülle nicht vollständig kompensiert wird.
Eine
besondere
Situation
tritt
bei
den
Elementen
der
2
1 14
9
x
Valenzelektronenkonfiguration 6s 5d 4f 5d 6p (x = 1[Tl], 2 [Pb], 3 [Bi])
ein. Hier bewirkt der „Effekt des Inerten Paares“ eine besondere
Stabilisierung des Zustandes …6p0 .
16.2 Azidität
Die Broenstedt-Azidität einer Verbindung HXYn hängt ab von
der Bindungsstärke
Innerhalb einer Hauptgruppe sinkt die Bindungsstärke und steigt die
Azidität mit steigender Ordnungszahl von X
der Polarität
Für ein Element X steigt die Azidität mit steigender Oxidationszahl
von X
der Stabilität der korrespondierenden Base
Korrespondierende Basen (Anionen) werden durch Resonanz
(„Verteilung“ der negativen Ladung) stabilisiert.
Innerhalb einer Gruppe nimmt folglich die Basizität der Oxide und
Hydroxide gleicher Oxidationszahl zu.
Die Lewis-Azidität einer Verbindung XY n gegenüber der Lewis-Base Z
wird gesteuert von der Stabilität der Bindung X-Z. Hierauf nimmt die
Polarisierbarkeit von XYn und Z im Sinne des HSAB-Konzepts, neben
sterischen Parametern, einen wesentlichen Einfluß.
16.3 Bindungsart
Wir können grundsätzlich zwei Arten
unterscheiden:
a) Die Atombindung (kovalente Bindung)
chemischer
Bindungen
116
Hier treten Elektronen eines Atoms A mit Atomkernen eines Atoms B
durch Überlappung von Orbitalen in Wechselwirkung. Hierbei sind
jeweils
ein
Elektronenpaar
(Einfachbindung) oder
mehrere
Elektronenpaare (Doppelbindung, Dreifachbindung) beiden Atomen
zugehörig. In Abhängigkeit von der Elektronegativität der Atome sind
solche Bindungen polarisiert. Das Phänomen der Atombindung lässt sich
hinsichtlich einzelner Bindungen isoliert (VB) oder unter
Berücksichtigung der Bindungssituation des gesamten Moleküls (MO)
betrachten. Einen Sonderfall der Atombindung bildet die Metallische
Bindung, in der, bewirkt durch den Elektronenmangel bezüglich der
Stabilitätskriterien (s.u.) über das Phänomen der Resonanz die bindenden
Elektronen auf den gesamten Atomverband ausgedehnt werden.
b) Die Ionenbindung
Übersteigt die Elektronegativitätsdifferenz der an der Bindung beteiligten
Atome einen Grenzwert (ca. 1.5), so wird das bindende Elektronenpaar
vollständig dem elektronegativeren Partner zugewiesen. Hierdurch kommt
es zur Ausbildung elektrisch geladener Ionen, deren elektrostatische
Anziehung die Bindungsenergie bestimmt. Diese hängt als Gitterenergie
wesentlich von der Anordnung der Ionen im Verband ab.
Aus der Stellung der beteiligten Elemente im Periodensystem und der
hiermit in Zusammenhang stehenden Elektronegativität der Elemente lässt
sich die Bindungsart (Atombindung, polare Atombindung, Ionenbindung)
abschätzen.
16.4 Stabilitätskriterien
Die Oktettregel kann als Hilfe zur Vorhersage stabiler Oxidationszahlen
(s.o.) und Bindungssituationen dienen. Hiernach streben Elemente der
Hauptgruppen die Edelgaskonfiguration 1s2 bzw. ns2 p6 (n = 2-6) an.
Für einatomige Ionen (Kationen und Anionen) gilt diese Vorgabe, mit
Ausnahme der durch den „Effekt des Inerten Paares“ zu einer
Sonderstellung gelangten Ionen Tl+, Pb2 und Bi3+, verbindlich.
Die Atombindung gestattet unter bestimmten Vorgaben ein Über- oder
Unterschreiten der durch die Oktettregel festgelegten Elektronenzahl.
Die Beteiligung von d-Orbitalen (Überschreitung des Oktetts) ist
energetisch zulässig, wenn durch die hohe Elektronegativität der
beteiligten Elemente die Orbitalenergien der d-Orbitale hinreichend
abgesenkt werden; dies ist bei Anwendung der VB-Methode
(Hybridisierung) beispielsweise bei den Molekülen bzw. Komplexionen
ClF6+, SF6 , PF6 -, SiF62- (sp 3d2 ) und PF5 , ClF5 , ClF3, XeF 2 (sp3 d) der Fall.
Man beachte jedoch, dass selbst hier bei Anwendung des MO-Konzeptes
(3c4e-Bindung in I 3-) auf die Beteiligung von d-Orbitalen verzichtet
werden kann (vgl. E18, Abb. 21a).
117
Beim Überschreiten des Oktetts durch Doppelbindungen tritt durch
Resonanz Ladungstrennung unter Vermeidung der Beteiligung von dOrbitalen auf (z.B. in POCl3).
Die Elektronenmangel-Situation einer Verbindung XYn kann behoben
werden durch intra- und intermolekulare Einbeziehung von
nichtbindenden Elektronenpaaren an Y. Im ersteren Fall (z.B. BBr3)
kommt es zur Ausbildung von (p→d)π-Wechselwirkungen, im letzteren
Fall (Dimerisierung von AlBr3 zu Al2 Br6) zur Ausbildung von 3c4eBindungen. Sind an Y keine nichtbindenden Elektronenpaare verfügbar,
erfogt Dimerisierung des monomeren Fragments (Dimerisierung von BH3
zu B2H6 ) unter Ausbildung von 3c2e-Bindungen.
Die thermodynamische Stabilität von Atombindungen in Verbindungen
XYn wird beeinflusst vom Überlappungsintegral der beteiligten Orbitale,
das mit steigender Ordnungszahl innerhalb einer Gruppe abnimmt.
Entsprechend dem HSAB-Konzept bilden darüber hinaus beim formalen
Zusammentreten der Fragmente Xn+ (Lewis-Säure) und Y- (Lewis-Base)
Partner vergleichbarer Polarisierbarkeit („Härte“) stabile Bindungen.
Polare Atombindungen erhöhen durch die überlagerte elektrostatische
Anziehung (Partialladung) die thermodynamische Stabilität der
Verbindung (z.B. HF, H2 O, CO2 ). Jedoch begünstigt die Ausbildung von
Ladungszentren den Angriff von Reaktionspartnern und fördert somit die
kinetische Reaktivität (z.B. Reaktion CO2 /H2 O).
17 Atombau II
17.1 Das Bohr’sche Atommodell
Die zur Beschreibung der Elektronenhülle des Atoms erforderlichen
Quantenzahlen hatten wir, um einen einfachen Zugang zur Chemie zu
gewinnen, „ad hoc“ definiert (Kap. 4). Zum besseren Verständnis dieser
für die Chemie grundlegenden Aufbauprinzipien müssen wir die
Wechselwirkung zwischen Atomkern und Elektronenhülle auf der
Grundlage der klassischen Physik beschreiben. Wir folgen hierbei
zunächst der von Niels Bohr (1913) entwickelten Beschreibung des
Wasserstoffatoms (die hierfür grundlegenden Gleichungen sind in Abb.
55 zusammengefaßt).
e = el. Elementarladung [C]
r = Radius [m]
2 4
-1 -3
ε
o = Dielektrizitätskonstante (Vak.) [A s kg m ]
m = Masse des Elektrons [kg]
v = Bahngeschwindigkeit des Elektrons [m sec-1]
Abb. 55: Das Bohr’sche Atommodell
118
Das Modell geht vom Gleichgewicht zwischen der elektrischen
Anziehungskraft (Coulomb-Kraft, Gl. 1) der entgegengesetzt geladenen
Elementarteilchen p+ und e- (F el) einerseits und der vektoriell
entgegengerichteten Zentrifugalkraft (Gl. 2) des auf einer Kreisbahn
umlaufenden Elektrons Fz aus (Gl. 3,4).
Die Gesamtenergie des Elektrons setzt sich aus der kinetischen Energie
(Gl. 5) und der potentiellen Energie (Gl. 6) zusammen (Gl. 7, durch
Einsetzen von Gl. 4 resultiert Gl. 8). Die Energie des Elektrons hängt
folglich nur vom Bahnradius r ab.
Aus Gl. 3 bzw. 4 ergibt sich der direkte Zusammenhang zwischen Radius
und Bahngeschwindigkeit des Elektrons. Demnach wären entspr. Gl. 8
alle Energiezustände des Elektrons zulässig.
Die klassische Physik (Elektrodynamik) lehrt jedoch, dass das auf der
Bahn umlaufende Elektron als schwingender Dipol aufzufassen ist, der
permanent Energie abstrahlt und letztendlich in den Kern fällt. Diesem
Umstand begegnete N. Bohr durch Formulierung seiner berühmt
gewordenen Postulate:
a) auf bestimmten Umlaufbahnen (Radien) erfolgt der Umlauf
strahlungslos
b) für erlaubte Umlaufbahnen ist der Drehimpuls des Elektrons ein
ganzzahliges Vielfaches n der Grundeinheit des Drehimpulses (Gl. 9 und
10, durch Einsetzen in Gl. 4 ergibt sich Gl. 11). Hierbei entspricht n der
Hauptquantenzahl; im Einelektronensystem des Wasserstoffatoms hängt
die Energie des Elektrons nur von der Hauptquantenzahl ab.
17.2 Die Emissionsspektren des Wasserstoffatoms
Die Korrektheit der Bohr’schen Postulate lässt sich experimentell belegen.
Nach thermischer Anregung des Wasserstoffatoms fallen die „angeregten“
Elektronen unter Energieabgabe (Emission) in ihre Grundzustände zurück
(Abb. 56).
E = Energie
h = Planck’sches Wirkungsquantum
ν= Frequenz [sec-1 ]
λ= Wellenlänge [cm]
c = Lichtgeschwindigkeit [m sec-1 ]
R = Rydberg-Konstante
n,m = Hauptquantenzahlen (m > n)
Abb. 56: Die Emissionsspektren des Wasserstoffs
Die hierbei nach Gl. 12 errechneten Energien lassen sich Serien zuordnen,
die dem Rückfall der Elektronen aus äußeren Schalen auf innere Niveaus
(Hauptquantenzahlen) entsprechen. Die somit experimentell bestimmten
119
Energiedifferenzen der Hauptquantenzahlen stimmen mit den nach dem
Bohr’schen Modell berechneten (Gl. 13) überein.
17.3 Die Unschärferelation
Die durch Werner Heisenberg (1927) formulierte Unschärferelation
besagt, dass es unmöglich ist, gleichzeitig den Impuls und den
Aufenthaltsort eines Elektrons zu bestimmen. Das Produkt aus der
Unbestimmtheit des Ortes und des Impulses hat die Größenordnung der
Planck’schen Konstante (Gl. 14).
Dies bedeutet, dass wir die Vorstellung des Bohr’schen Atommodells
korrigieren müssen. An die Stelle des sich auf einer kreisförmigen
Umlaufbahn bewegenden Elektrons tritt eine Ladungswolke in der
Umgebung des Kernes, in der dem Elektron nur eine
Aufenthalswahrscheinlichkeit zukommt. Rechnerisch lassen sich mit Hilfe
der Wellenmechanik (s.u.) Raumsegmente (Orbitale) bestimmen, in denen
dem Elektron eine bestimmte Aufenthaltswahrscheinlichkeit (z.B. 99% =
0.99) zukommt (Abb. 57). Da die Aufenthaltswahrscheinlichkeit über den
gesamten Raum gleich 1 ist, kann sich das Elektron mit geringer
Wahrscheinlichkeit auch außerhalb des Segments aufhalten.
Abb. 57: Die Heisenberg’sche Unschärferelation
17.4 Das Wellenmechanische Atommodell
A. H. Compton (1922) konnte experimentell zeigen, dass dem bislang als
elektromagnetische Welle (E = h∙
ν
; Max Planck 1900) aufgefassten Licht
auch die Eigenschaft von bewegten Teilchen (Photonen) zugewiesen
werden kann (E = m∙
c2 ; Albert Einstein 1905). Diesen Welle/TeilchenDualismus übertrug Louis de Broglie (1924) auf das Elektron im
Atomaren
System.
Über
den
Energiebegriff
konnte
der
Bahngeschwindigkeit v des bewegten Elektrons der Masse m die
Wellenlänge λder Wellendarstellung zugeordnet werden (Gl. 15).
Aus der Darstellung des Elektrons als Welle lässt sich nun das
Bohr’sche Postulat zwingend ableiten. Die Beschreibung des Elektrons als
eindimensionale Welle (Abb. 58) macht deutlich, dass eine Zerstörung
durch Interferenz nur bei Vorliegen einer „stehenden Welle“ vermieden
wird. Hierfür gilt aus der klassischen Schwingungslehre die
Rahmenbedingung gem. Gl. 16. Eingesetzt in Gl. 15 ergibt sich die dem
Bohr’schen Postulat zu Grunde liegende Gl. 9.
Abb. 58: Die Wellennatur des Elektrons
Da ein Elektron Welleneigenschaften besitzt, kann man die
Elektronenzustände im Atom mit einer Wellenfunktion Ψ(x,y,z)
beschreiben. Die Wellenfunktion, mathematisch die Amplitude der
120
Schwingung, hat keine anschauliche Bedeutung. Betrachtet man das
Elektron als dreidimensional schwingende Kugelwelle, lässt sich der zeitund ortsabhängige Schwingungsvorgang durch eine Differentialgleichung
beschreiben (Abb. 59, Gl. 17, t = Zeit, u = Ausbreitungsgeschwindigkeit).
Die hieraus durch Erwin Schrödinger (1926) abgeleitete Gleichung (Gl.
18, V = potentielle Energie) verknüpft die Wellenfunktion mit der
Gesamtenergie
des
Elektrons
und
ist
Grundlage
aller
Wellenmechanischen Behandlungen des Atombaus und der chemischen
Bindung.
Diejenigen Wellenfunktionen, die Lösungen der Schrödinger-Gleichung
sind, werden Eigenfunktionen genannt. Die den Eigenfunktionen
zugehörigen Energiewerte nennt man Eigenwerte. Die Eigenfunktionen
beschreiben also die möglichen stationären Schwingungszustände im
Wasserstoffatom.
Die Schrödinger-Gleichung kann für das Wasserstoffatom exakt gelöst
werden. Für Mehrelektronensysteme sind nur Näherungslösungen
möglich. Man beachte, dass durch die interelektronische Wechselwirkung
im Mehrelektronensystem die im Wasserstoffatom vorliegende Entartung
der l-Niveaus (s,p,d,f…) aufgehoben wird.
Das Quadrat der Wellenfunktion ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit,
ein Elektron an einem bestimmten Ort anzutreffen. Hierzu muß, da die
Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons im gesamten Raum gleich 1
ist, ein Normierungsfaktor N eingefügt werden. Zur Aufspaltung der
Wellenfunktion in einen radien- und winkelabhängigen Anteil (R, χ
)
werden die kartesischen Koordinaten (x,y,z) in Polarkoordinaten (r,φ,θ
)
überführt (Abb. 59, Gl. 19).
Abb. 59: Das Elektron als dreidimensionale Kugelwelle
Im strengen Sinne sind als Orbitale die Wellenfunktionen ψ selbst
anzusehen. Diese lassen sich jedoch graphisch nicht darstellen: man
bedenke, dass zur Abbildung der Amplitude einer eindimensionalen Welle
zwei Dimensionen und somit zur Darstellung einer dreidimensionalen
Welle vier Dimensionen erforderlich sind. Die Quantenzahlen l und m
ergeben sich mathematisch beim Übergang von der eindimensional zur
dreidimensional schwingenden Welle.
Zur graphischen Darstellung der Wellenfunktionen bzw. ihres für die
Chemie relevanten normierten Quadrats sind gebräuchlich (vgl. Kap. 4.2,
Abb. 60):
a) Konturliniendiagramme
Hier werden Stellen gleicher Aufenthaltswahrscheinlichkeit, d.h.
gleicher Elektronendichte, durch Konturlinien (vergleichbar den
Höhenlinien von Landkarten) verbunden
121
b) Polardiagramme
Hier wird der winkelabhängige Anteil χder Wellenfunktion auf einer
Kugeloberfläche unter Berücksichtigung des math. Vorzeichens der
Wellenfunktion aufgetragen
c) Quadrate der Winkelfunktion
2
In dieser meist üblichen Darstellung wird χ
zur Abbildung der
Aufenthaltswahrscheinlichleit wie unter b aufgetragen. Die Vorzeichen
entsprechen den Vorzeichen der Wellenfunktion
Abb. 60: Orbitaldarstellungen
18. Die Elemente der Nebengruppen
18.1 Allgemeines
Als Elemente der Nebengruppen werden diejenigen bezeichnet, die
als Atome im Valenzbereich keine abgeschlossene s- bzw. p-Unterschale
(ns2, np 6) aufweisen; die hiermit vergleichbaren Elemente der Gruppe 12
(2. Nebengruppe) weisen die Elektronenanordnung ns2 (n-1)d10 auf und
werden gelegentlich in der Systematik den Elementen der Hauptgruppen
(„repräsentative Elemente“) zugeordnet.
Sämtliche Elemente der Nebengruppen liegen als Metalle vor. Nur in
Form radioaktiver Isotope treten die Elemente der Ordnungszahlen 42
(Tc) und 61 (Pm) sowie sämtliche Actinoiden, d.h. alle auf das Elemente
der Ordnungszahl 89 (Ac) folgenden Elemente auf; auch die im
Periodensystem
davor
stehenden
Hauptgruppen-Elemente
der
Ordnungszahlen 84-87 (Po-Fr) bilden keine stabilen Isotope. Als
schwerstes natürlich vorkommendes Element gilt das Element der
Ordnungszahl 92 (U); die rechts davon stehenden müssen, wie auch Tc
und Pm, kerntechnisch hergestellt werden.
18.2 Die Elemente des d-Blocks
18.2.1 Das Periodensystem der d-Blockelemente
Die Elemente des d-Blocks weisen die Valenzelektronenkonfiguration
ns2 (n-1)d1-10 (n = 4,5) bzw. ns2 (n-1)d1(n-2)f14 (n-1)d2-10 (n = 6) auf.
Folglich werden beim Aufbau dieser Übergangselemente, aufbauend auf
die vollständig besetzten energetisch darunter liegenden s- und f-Zustände
die d-Orbitale schrittweise besetzt (vgl. Abb. 5). Da die beiden sElektronen (4-7s2 ) zur Ausbildung chemischer Bindungen bzw. zur
Definition der Oxidationszahlen herangezogen werden, beginnt die
Numerierung
der
Nebengruppen
für
die
Elemente
der
2
1
Elektronenkonfiguration ns (n-1)d (n = 4-7; Sc,Y,La,Ac) mit der Ziffer 3,
da auch hier in der Bezeichnung der Gruppe die höchstmögliche
Oxidationszahl zum Ausdruck kommen soll. Als „Störung“ der
122
symmetrischen Abfolge der Orbitalbesetzung (vgl. Abb. 3 und 5) ist der
Einbau der jeweils 14 f-Elemente folgend auf die Elemente der Gruppe 3,
ns2 (n-1)d1, anzumerken.
Zum Verständnis der Chemie der d-Blockelemente ist die Kenntnis der
relativen Abschirmung der Valenzelektronen von der Kernladung durch
die Rumpfelektronen wichtig. Hier gilt, dass die Abschirmung von
Valenzelektronen in Abhängigkeit von der Nebenquantenzahl im passiven
Sinne in der Abfolge s<p<d<f ansteigt, im aktiven Sinne jedoch in der
Abfolge s>p>d>f absinkt. Dies bedeutet, dass d-Elektronen, im Vergleich
mit s- und p-Elektronen, im Valenzbereich durch die Rumpfelektronen
stärker abgeschirmt werden, jedoch ihrerseits andere Elektronen von der
Kernladung schwächer abschirmen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass
zur Hälfte oder vollständig besetzte Unterschalen, also d5 bzw. d10 ,
hinsichtlich der Abschirmung näherungsweise die Eigenschaften von sZuständen aufweisen. In Folge dessen tritt bei den d-Blockelementen in
Oxidationsstufen mit dn -Konfiguration (n ≠ 0, 10) die Tendenz zur
Bildung binärer Verbindungen des Typs AmB n mit Ionenbindung zu
Gunsten der Komplexbildung (s.u.) deutlich zurück; Salze werden nur mit
Bindungspartnern der elektronegativsten Elemente (B = F,O, selten Cl,S)
angetroffen.
Für die d-Blockelemente werden, im Vergleich mit den
Hauptgruppenelementen, für die möglichen Oxidationszahlen geringere
Energieunterschiede vorgefunden, so dass eine größere Anzahl von
verschiedenen stabilen Oxidationszahlen beobachtet wird (von Mn
beispielsweise sind isolierbare Verbindungen der Oxidationszahlen –I bis
+VII bekannt). Die höchsten Oxidationszahlen werden in RuO4 und OsO4
(+VIII) gefunden. Die Stellung eines d-Blockelements im Periodensystem
lässt deshalb nur Rückschlüsse auf seine höchstmögliche Oxidationszahl
zu, die jedoch nicht immer erreicht wird.
Insgesamt gilt, dass die Unterschiede der chemischen Eigenschaften
innerhalb einer Periode bei den d-Blockelementen deutlich geringer
ausfallen als bei den Hauptgruppenelementen. Innerhalb der Gruppen 410 nimmt, entgegengesetzt dem Trend der Hauptgruppen, die Stabilität
der hohen Oxidationszahlen beim Übergang zu den höheren
Ordnungszahlen zu (CrO3 ist ein starkes Oxidationsmittel, während WO3
kaum oxidierende Eigenschaften aufweist). Eine der Oktettregel der
Hauptgruppenelemente vergleichbare 18-Elektronenregel der dBlockelemente ns2(n-1)d10np6 (auch hier wird eine Edelgaskonfiguration
angestrebt) kann nur im Bereich der Metallorganischen Chemie (vgl. Kap.
19.5.3.3) als Orientierung dienen.
Der Einbau der f-Elektronen bewirkt für die 5d-Elemente eine
beträchtliche Radienkontraktion; sie sind hierin und in ihren
Eigenschaften den jeweils leichteren Gruppennachbarn ähnlich. Auch bei
den
d-Blockelementen
werden
deshalb,
wie
für
die
123
Hauptgruppenelemente (aus anderen Gründen) üblich, die Kopfelemente
bei der hier nicht möglichen Detailbesprechung getrennt behandelt.
Entsprechend ihrer chemischen Eigenschaften lassen sich die dBlockelemente in verschiedene Klassen aufteilen:
a) Die Elemente der Gruppen 3 und 12
Diese Elemente weisen durch die Stabilität der Oxidationsstufen +III
{Sc-Ac, M3+ = (n-1)p6 } bzw. +II {Cu-Hg, M2+ = (n-1)d10}
Hauptgruppen-ähnliches Verhalten auf; sie bilden Salze. Sie liegen
(abgesehen von Hg+I) ausschließlich in den genannten
Oxidationszahlen vor.
b) Die Elemente der Gruppen 4-7
Hier zeigen die Elemente in ihren höchsten Oxidationsstufen
entsprechend der Gruppennummer 4-7 {ns0(n-1)d0 } gleichfalls
Hauptgruppen-analoges Verhalten; jedoch existieren auch stabile
Verbindungen niedrigerer Oxidationszahlen {ns2 (n-1)d(2-6)-x}, die
durch das Vorliegen teilweise besetzter d-Zustände die
charakteristischen Eigenschaften der d-Blockelemente aufweisen.
c) Die Elemente der Gruppen 8-10
Hier werden die formal höchsten Oxidationszahlen, abgesehen von
RuO4 und OsO4 , nicht mehr erreicht, so dass diese Elemente
ausschließlich die charakteristische Chemie der d-Blockelemente
{mehrheitlich ns2 (n-1)d2-6 } aufweisen.
d) Die Elemente der Gruppe 11
Diese Elemente weisen in der Oxidationsstufe +I die Hauptgruppenanaloge Elektronenkonfiguration {ns 2(n-1)d10 sowie, in den
Oxidationsstufen +II und +III, die Elektronenkonfiguration {ns2 (n1)d8,9 } auf. Sie zeigen somit Eigenschaften sowohl der Kategorie a und
c).
Die angegebenen Valenzelektronenkonfigurationen beziehen sich hier auf
die Elektronenanordnung der „fiktiven“ Kationen. Werden die Bindungen
zwischen Ligand und Komplexzentrum (s.u.) als Atombindungen
(„koordinative Bindungen“) aufgefasst, kann formal für die Metallzentren
die Elektronenkonfiguration ns2 (n-1)d10np1-6 erreicht werden.
Wegen ihrer Komplexität und ihres Umfangs kann die Chemie der dBlockelemente hier nur an Beispielen besprochen werden.
18.2.2 Die d-Blockelemente in wässriger Lösung
Wegen der geringen Abschirmungskraft der d-Elektronen sind Kationen
der d-Blockelemente im Vergleich mit den Hauptgruppenmetallen
124
stärkere Lewis-Säuren; d.h., sie bilden unter bestimmten Voraussetzungen
wäss. Lösungen stabiler Aquo-Komplexe, bevorzugt der Oxidationszahlen
+II und +III; hierbei dominiert die Koordinationszahl 6. Viele dieser
Komplexionen lassen sich als stabile Salze isolieren:
Mn+ + 6 H2O → [M(H2O)6] n+ (n = 2,3)
Zum Verständnis dieses Befunds müssen wir die Theorie der
Komplexbindung näher betrachten.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E35 Komplexverbindungen II>
Wie bereits zuvor angedeutet (vgl. E27) kann die Wechselwirkung
zwischen einem (elektronisch ungesättigten) Komplexzentrum und den als
Anionen oder Dipole vorliegenden Liganden sowohl elektrostatisch
(„ionisch“) wie auch kovalent („koordinativ“) beschrieben werden. Wir
wollen zunächst, in historischer Abfolge, das von Linus Pauling (1927)
auf der Grundlage seines VB-Konzeptes entwickelte kovalente Modell am
Beispiel einiger Eisenkomplexe betrachten.
Das VB-Modell impliziert den Vorgang der Hybridisierung, d.h. der
„Mischung“ von Orbitalen ähnlicher Energie, jedoch verschiedener
Symmetrie, des Zentralatoms zu Hybridorbitalen (vgl. E10). Hierfür
stehen dem Eisen die Orbitale 3d, 4s und 4p zur Verfügung. Die
(schematische) Bildung des Komplexes [Fe(H2 O)6]3+ ist in Abb. 61
gezeigt.
Abb. 61: VB-Modell der Komplexe [Fe(H2O)6 ]3+ und [Fe(CN)6] 3Unter
Berücksichtigung
der
Hund’schen
Regel
und
der
2 3
Hybridisierungsgeometrie für das System d sp resultiert ein oktaedrisch
gebauter Komplkex, der pro Metallzentrum 5 ungepaarte Elektronen
aufweist („High-Spin-Komplex“).
Tatsächlich kennt man jedoch auch oktaedrisch gebaute Komplexe des
dreiwertigen Eisens, in denen pro Metallzentrum nur 1 ungepaartes
Elektron zugegen ist (z.B. [Fe(CN)6]3-, „Low-Spin-Komplex“).
Die für beide Komplextypen im Falle des dreiwertigen Eisens gleiche
Koordinationsgeometrie ist zufällig. Abb. 62 zeigt als Beispiel die
verschiedene Geometrie zweier Komplexe des zweiwertigen Nickels der
Koordinationszahl 4, die tetraedrisch ([NiCl4 ]2-, High Spin) bzw.
quadratisch planar ([Ni(CN)4 ]2-, Low Spin) vorliegen. Die
unterschiedliche Geometrie ergibt sich aus den Hybrisisierungen sp3
(tetraedrisch) und dsp2 (quadratisch planar).
Abb. 62: VB-Modell der Komplexe [NiCl4] 2- und [Ni(CN)4] 2125
Die Zuordnung der Komplextypen nach der Beschaffenheit der Liganden
und Komplexzentren ist in der Spektrochemischen Reihe vorgenommen
(Abb. 63).
Abb. 63: Die Spektrochemische Reihe der Liganden und Metallzentren
Die VB-Theorie kann den Zusammenhang zwischen den magnetischen
Eigenschaften einer Komplexverbindung, der Koordinationsgeometrie
sowie der Präsenz von Zentren und Liganden aufzeigen, nicht aber
begründen.
Das zweite zur Interpretation der Bindungsverhältnisse in Komplexen
verwendete Modell wurde ursprünglich als Kristallfeldtheorie (H. Bethe,
J.H. van Vleck 1930) für den festen Zustand konzipiert und später für
isolierte Komplexverbindungen erweitert (F.E. Ilse, H. Hartmann 1951).
Ihm liegen rein elektrostatische Wechselwirkungen zwischen dem positiv
geladenen Metallzentrum und den negativ geladenen oder als Dipol
vorliegenden Liganden zu Grunde. Folgerichtig werden hierbei
ausschließlich die d-Elektronen des Metallzentrums betrachtet. Wir
wollen das Konzept zunächst gleichfalls am Beispiel des Komplexes
[Fe(H2 O)6]3+ betrachten.
Bei Betrachtung der 5 d-Orbitale zeigt sich, dass sie bezüglich der
Orientierung im Koordinatensystem zwei verschiedenen Typen
angehören: die Orbitalloben von d(x2 -y2 ) und dz2 sind auf den
Koordinatenachsen platziert, während die Orbitale d(xy), d(xz) und d(yz)
in Richtung der Koordinatenzwischenräume orientiert sind (Abb. 64).
Abb. 64: Die Aufspaltung der d-Orbitale im oktaedrischen Ligandenfeld
Bei Annäherung der Liganden an das Metallzentrum befinden sich die
Sauerstoffatome in Folge der oktaedrischen Koordinationsgeometrie auf
den Achsenabschnitten. Zwischen den d-Elektronen (negative el. Ladung)
und den Sauerstoffatomen (negativer Teil des Dipols) erfolgt eine
Coulomb-Abstoßung, von der die quadratischen Orbitale (e g) in Folge
ihrer Ausrichtung stärker betroffen sind als die übrigen; sie werden
deshalb energetisch angehoben. Die verbliebenen drei Orbitale (t2g)
werden entsprechend dem Schwerpunktsatz gegenüber der kugelförmigen
Symmetrie des Kristallfeldes, das die 5-fache Entartung belässt,
abgesenkt.
Die Besetzung der 5 Orbitale erfolgt nun gem. der Hund’schen Regel, die
die Spinpaarungsenergie (SP, elektrostatische Abstoßung der
gleichgerichtet geladenen Elektronen in einem Orbital) zu vermeiden
sucht. Hierbei sind, in Abhängigkeit von der Energiedifferenz zwischen
126
den t2g- und eg-Orbitalen ΔE (meist 10Dq oder Δo genannt) im Sinne der
Erreichung des stabilsten Zustandes zwei Fälle denkbar:
a) SP > 4Dq = High Spin
b) SP < 4 Dq = Low Spin
Die Stellung der Metallzentren und der Liganden in der
Spektrochemischen Reihe wird also durch ihre Fähigkeit zur Erzeugung
einer hohen oder niedrigen Ligandenfeldaufspaltung gesteuert.
Das Aufspaltungsmuster der d-Orbitale ist symmetrieabhängig. Ein
Vergleich der zuvor genannten Nickelkomplexe führt folglich zu
verschiedenen Energiediagrammen (Abb. 65), aus denen sich jedoch
gleichfalls die magnetischen Eigenschaften der Komplexe ergeben.
Abb. 65: Symmetrieabhängige Aufspaltung der d-Orbitale
im Ligandenfeld
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Kehren wir zur Betrachtung der Hexaquo-Komplexe der 3d-Metalle
zurück.
Die
relative
Stabilität von
oktaedrisch
gebauten
Hexaquokomplexen der d-Blockelemente lässt sich an Hand von zwei
Kriterien abschätzen.
a) Zum formalen Aufbau des Komplexes aus dem Metallatom und
Wasser muß zunächst das Metallatom unter Aufwendung der
Ionisierungsenergie in das zugehörige Metallion überführt werden.
Durch Koordination der Wasserliganden an das Ion wird
Bindungsenergie freigesetzt; diese steigt mit steigender Oxidationszahl
des Metallzentrums. Es sind folglich zwei gegenläufige Effekte zu
beachten, die erfahrungsgemäß die Oxidationszahlen +II und +III
bevorzugen.
n+
-+
M → M + ne
n+
n+
M + 6 H2O → [M(H2O)6]
Niedrige Oxidationsstufen in Aquokomplexen sind für die dBlockelemente mit Ausnahme von Ag+ unbekannt. Bei höheren
Oxidationsstufen erfolgt entweder Zersetzung unter Oxidation des
Wassers (z.B. V5+ ) oder, in Folge der hohen Broenstedt-Azidität solcher
Komplexe, die Bildung anionischer Oxo-Komplexe (z.B. CrO42-, MnO4 -).
b) H2O-Liganden bewirken eine nur schwache Kristallfeldaufspaltung
und bilden somit High-Spin-Komplexe. Hierdurch werden die
„symmetrischen“ Elektronenanordnungen d3 (Cr3+ ) und d5 (Mn2+ , Fe3+)
stabilisiert (Fe2+ und Cr2+ wirken in Wasser reduzierend). Beim
Austausch des H2 O-Liganden gegen einen Liganden stärkeren
Ligandenfelds (z.B. NH3 ) ändern sich potentiell die Eigenschaften der
127
Komplexe durch Übergang zum Low-Spin-Typ. Ein anschauliches
Beispiel liefert die Oxidation von wäss. Co2+ -Lösungen durch
Luftsauerstoff in Gegenwart von Ammoniak
[Co(H2O)6]2+ High-Spin, luftstabil
2+
[Co(NH3) 6] Low-Spin, luftempfindlich
4 [Co(NH3) 6]2+ + O2 + 2 H2O → 4 [Co(NH3) 6]3+ + 4 OH Bei der Stabilität von aquo-Komplexen ist zudem die Vorgabe des HSABKonzeptes wirksam. Der „harte“ Ligand H2 O bildet bevorzugt stabile
Komplexe mit „harten“ Metallzentren. So sind die Komplexe [M(H2O)6 ]2+
des Cobalts und Nickels bekannt, die der im PSE darunter stehenden
„weicheren“ Metallzentren jedoch nicht.
Aus der Kenntnis der Koordinationsgeometrie (Oktaeder, Tetraeder etc.),
der Stellung der Komplexfragmente in der Spektrochemischen Reihe
(High-Spin, Low-Spin) und der Valenzelektronenkonfiguration des
Metallzentrums lassen sich unter Berücksichtigung der Stabilisierung
vollständig oder zur Hälfte besetzter Zustände (z.B. t2g, eg ) Aussagen zur
Stabilität treffen. So lassen sich etwa stabile Verbindungen oktaedrischer
Komplexe erwarten für die Elektronenkonfigurationen d3, d 8 (hier ist eine
Unterscheidung in High-Spin und Low-Spin nicht möglich), d 5 (HighSpin) und d6 (Low-spin).
18.2.3 Halogenide der d-Blockelemente
Allgemein gilt, dass der ionische Charakter der Metall-Halogen-Bindung
mit steigender Ordnungszahl des Halogens und steigender Oxidationszahl
des Metalls abnimmt. Darüber hinaus wird eine unter Berücksichtigung
der Radienquotienten hohe Koordinationszahl des Metallzentrums
angestrebt; hinsichtlich der Packung im Kristall sind hierbei die
Koordinationszahlen 4 und 6 bevorzugt. Metalle der 5d- und 6d-Periode
zeigen außerdem eine ausgeprägte Tendenz zur Bildung intermetallischer
Bindungen. Unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten lassen sich die
Halogenide der d-Blockelemente in 5 Gruppen einteilen (Abb. 66):
Abb. 66: Strukturbeispiele von Halogeniden der d-Blockelemente
a)
Molekülverbindungen
Hierzu gehören Verbindungen der Metalle in der jeweils höchsten
Oxidationsstufe (d0, Oxidationszahl >3, Koordinationszahl 4,6,7),
in denen „klassische“ 2c2e-Bindungen vorliegen. Es handelt sich in
der Regel um leicht flüchtige Verbindungen, deren molekularer
Aufbau auch im Festkörper noch erkennbar ist (z.B. ReF7, WCl 6,
128
TiCl4). Durch die Elektronenkonfiguration d0 ist eine Vorhersage
der Struktur nach dem VSEPR-Konzept (vgl. E11) möglich.
b)
Koordinationsoligomere und –polymere
Diese Strukturen sind Komplexverbindungen, in denen
verbrückene Halogeno-Liganden (3c4e-Bindungen) vorliegen. Sie
sind häufig anzutreffen in Verbindungen der Zusammensetzung
MX5 (d0 , d1, z.B. VF5 , RuF5) und MX4 (d1, d2 , z.B. NbCl4, CrF4)
und MX3 (d1 , z.B. ZrI3). In solchen Koordinationspolymeren mit d 1Konfiguration liegen bei tiefen Temperaturen isolierte alternierende
Metall-Metall-Bindungen vor, die bei thermischer Anregung in
(delokalisterte) äquidistante Bindungen mit metallischen
Eigenschaften übergehen (Peierls-Verzerrung).
c)
Schichtengitter
Verbindungen diesen Typs enthalten ionische, stark polarisierte
Bindungen. Sie treten auf bei Halogeniden MX2 (X = Cl,Br,I, z.B.
CdCl2) und MX3 (X = Cl,Br,I, z.B. FeCl3 , CrCl3 ) der schwereren
Halogene.
Hierin
bilden
die
Halogenatome dichteste
Kugelpackungen, deren Oktaederlücken in jeder 2. Schicht frei
bleiben und in den Zwischenschichten vollständig (MX2) bzw. zu
2/3 (MX3) mit Metallatomen besetzt werden.
d)
Ionengitter
Hier liegen Gitter dichtest gepackter Ionen der auch bei den
Hauptgruppen-Metallhalogeniden
gefundenen
Typen
vor.
Bevorzugt in diese Gruppe gehören Metallfluoride MF3 (ReO3-Typ,
KZ 6/2, z.B. FeF3 , VF3), MF2 (Rutil-Typ, KZ 6/3, z.B. MnF2 , PdF2)
sowie Metallhalogenide der Gruppe 11-Elemente (NaCl-Typ, 6/6,
z.B. AgCl; Zinkblende-Typ, KZ 4/4, z.B. CuI). Für solche
Verbindungen, wie auch für c), gelten im festen Zustand die
Vorgaben der Ligandenfeldtheorie (Halogenid-Ionen bewirken ein
nur schwaches Feld und erzeugen hierdurch High-Spin-Komplexe).
e)
Cluster
Die Chloride, Bromide und Iodide der niedervalenten 4d- und 5dMetalle bilden bevorzugt Cluster. Hierin sind mehrere Metallatome
durch Elektronenmangelbindungen (ähnlich der metallischen
Bindung) zu Polyedern verbunden, während die Halogenatome
Ecken, Kanten oder Flächen dieser Polyeder in endständiger oder
verbrückender Funktion besetzen. Die Stabilität dieser Cluster
hängt von der Elektronenzahl in Relation zur Gerüststruktur ab und
kann über MO-Modelle erklärt werden. (Vgl. z.B. MoCl 2 =
129
[Mo6 Cl8 ]Cl4 ). Es existieren auch zahlreiche Cluster von Metallen
nicht-ganzzahliger Oxidationsstufen (zB. Ta6 Cl15, WCl16).
18.2.4 Oxide der d-Blockelemente
Bedingt durch die hohe Ladungsdichte des Oxidions bilden die dBlockelemente fast ausnahmslos (Ausnahmen sind etwa OsO4 und Ti3O)
ionisch gebaute Oxide, die in Abhängigkeit von der stöchiometrischen
Zusammensetzung und dem Radienquotienten in den teilweise bereits
besprochenen Gittertypen kristallisieren. Sie lassen sich entsprechend
anordnen (Abb. 67):
Abb. 67: Strukturbeispiele von Oxiden der d-Blockelemente
a)
M 2O
Cuprit-Typ, ähnlich β
-Cristobalit (KZ 4/2, z.B. Cu2 O, Ag2 O)
b)
MO
Fast ausschließlich NaCl-Typ (KZ 6/6; z.B. FeO, MnO, CdO), ZnO
kristallisiert im Wurzit-Typ (ZnS, KZ 4/4)
c)
M 2O3
Fast ausschließlich Korund-Typ (α
-Al2O 3, KZ 6/4; z.B. Fe2 O3 ,
V2 O3, Cr2 O3)
d)
MO2
Rutil-Typ (TiO2, für kleine und mittelgroße Kationen, KZ 6/3; z.B.
CrO2 , MoO2) oder Fluorit-Typ (CaF2 , für große Kationen, KZ 8/4;
z.B. HfO2 )
f)
M 3O4
Spinell-Typ (MgAl2O 4 mit Besetzungsvarianten, s.u.; z.B. Fe3 O4 =
Fe+IIFe2 +IIIO4).
g)
MO3
ReO3-Typ (KZ 6/2)
Auf die Korund-Struktur wurde an anderer Stelle eingegangen (vgl. Abb.
46). Die komplexe Spinell-Struktur bedarf näherer Erläuterung:
Im Mineral Spinell (MgAl2O4 ) bilden die Sauerstoff-Ionen eine kubisch
dichteste Kugelpackung, in der 1/8 der Tetraederlücken von Mg-Ionen
sowie 1/2 der Oktaederlücken von Al-Ionen besetzt wird; die Abbildung
der Elementarzelle (Abb. 68) vermittelt kein anschauliches Bild.
Tatsächlich existieren zahlreiche ternäre Verbindungen der
Zusammensetzung A+IIB 2+IIIO 4 dieser Bauart. In Fe3 O4 liegt jedoch eine
130
andere Zuordnung der Kationen zu den Lücken vor, die des „Inversen
Spinells“. Hier besetzen die Fe2+ -und Fe3+ -Ionen jeweils 1/4 der
Oktaederlücken, während die verbliebenen Fe3+ -Ionen 1/8 der
Tetraederlücken besetzen. Auf dem Ladungsaustausch und der
magnetischen Kopplung der Eisenionen auf Oktaederplätzen beruhen die
Halbleitereigenschaften und ferrimagnetischen Eigenschaften (vgl. E36)
des Fe3 O4 (Magnetit).
Abb. 68: Die Elementarzelle des Spinells (MgAl 2O4 )
Oxide der d-Blockelemente weisen zahlreiche ungewöhnliche optische
(TiO2 als Weißpigment), elektrische (metallische Leitfähigkeit vonReO 3)
und magnetische Eigenschaften auf. Auf diese wird nachfolgend näher
eingegangen.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E36 Magnetochemie>
Die
Bewegung
elektrischer
Ladung,
beispielsweise
der
Elektronentransport in einem Leiterdraht, erzeugt ein Magnetfeld.
Gleiches gilt für die Bewegung von Elektronen auf Umlaufbahnen im
atomaren System. Das Phänomen des Magnetismus kann folglich
makroskopisch und atomar behandelt werden. Die Verbindung beider
Betrachtungen ist zum Verständnis der magnetischen Eigenschaften der
Materie erforderlich. Wir wollen zunächst den atomaren Magnetismus
betrachten (Abb. 69).
Abb. 69: Der Spin-Only-Wert des magnetischen Moments der Elektronen
Im Atomaren System
Ein elektrischer Strom (Gleichstrom) erzeugt in einer Spule
2
(Leiterschleife) ein Magnetisches Moment μ
mag, [Am ] das dem Produkt
aus Stromstärke und Schleifenfläche entspricht (Gl. 1). Im atomaren
System besitzt das Elektron einen Bahndrehimpuls sowie einen
Eigendrehimpuls, der deutlich überwiegt und hier ausschließlich
behandelt werden soll. Er wird in Einheiten der Bohr’schen Magnetonen
μ
B (Gl. 2), der quantenphysikalischen Elementargröße des magnetischen
Moments, in Abhängigkeit von der Drehimpulsquantenzahl S angegeben
(Gl. 3). S setzt sich hier additiv aus den Einzelbeiträgen der Elektronen s
= ½ zusammen; so erreicht beispielsweise S für 2 bzw. 3 ungepaarte
Elektronen die Werte 1 bzw. 3/2. Bei vollständiger Spinpaarung wird S =
0, so dass kein Eigendrehimpuls wirksam wird. Das sog.
Gyromagnetische Verhältnis beträgt für Elektronen g = 2. Für ein
ungepaartes Elektron errechnet sich der Wert μ
s = 1.73μ
B (man beachte,
dass
sich
nach
Gl.
3
im
Mehrelektronensystem
die
131
Drehimpulsquantenzahlen S = Σs, nicht aber die magnetischen Momente
der Einzelelektronen additiv verhalten (μS ≠Σμs). Aus dem magnetischen
Moment μ
S eines Atoms oder Ions kann unter Vernachlässigung des
Bahndrehimpulses (Spin-Only-Wert) auf die Anzahl der ungepaarten
Elektronen n geschlossen werden (Gl. 4).
Die makroskopische Beschreibung magnetischer Eigenschaften erfolgt
durch Angabe der Wechselwirkung des Magnetfeldes mit Materie (Abb.
70). Das Feld kann durch die magnetische Induktion (magnetische
Flussdichte) B [1T = 1 Vs/m2] bzw. durch die magnetische Feldstärke
(magnetische Erregung) H [A/m] beschrieben werden. Beide Größen sind
durch die magnetische Feldkonstante μ0 = 4π
10-7Vs/Am miteinander
verbunden (Gl. 5).
Abb. 70: Das Magnetfeld und seine Wechselwirkung mit Materie
Bringt man einen Körper in ein Magnetfeld, so tritt im Inneren des
Körpers durch Wechselwirkung der Materie mit dem Feld eine Änderung
der Induktion Baußen zu Binnen bzw. der Feldstärke Haußen zu Hinnen ein (Gl.
6). Diese Änderung kann positiv (Verstärkung, paramagnetische Stoffe)
oder negativ sein (Schwächung, diamagnetische Stoffe). Zur
Charakterisierung des Effekts wird die relative Änderung der
Magnetfeldstärke, d.h. der Quotient des als „Magnetisierung“
bezeichneten Änderung M und der Feldstärke Haußen angegeben (Gl. 7,
analog gilt: Hinnen = Haußen + M); diese Größe χwird als „
magnetische
Suszeptibilität“ bezeichnet und in der Chemie üblicherweise auf die
Menge 1 Mol bezogen.
Die magnetische Suszeptibilität χ dia- und paramagnetischer Stoffe
unterscheidet sich durch das Vorzeichen und die Temperaturabhängigkeit
(Abb. 71). Für paramagnetische Stoffe gilt das Curie-Gesetz (Gl. 8).
Treten im Festkörper sog. „Kooperative Effekte“, d.h. Wechselwirkungen
der atomaren Spinsysteme auf, so gilt das Curie-Weiss-Gesetz (Gl. 9). Die
Temperaturabhängigkeit der paramagnetischen Suszeptibilität ergibt sich
der durch thermische Energie bewirkten Störung der Ausrichtung der
magnetischen Momente im Magnetfeld.
Abb. 71: Die Magnetische Suszeptibilität
und ihre Temperaturabhängigkeit
Die Gesamtsuszeptibilität eines paramagnetischen Stoffes setzt sich aus
der Summe seiner diamagnetischen und paramagnetischen Suszeptibilität
zusammen. Der Zusammenhang von paramagnetischer Suszeptibilität χ
para
und dem magnetischen Moment μ
mag ergibt sich aus Gl. 10 (NA =
Avogadro-Konstante, k = Boltzmann-Konstante).
132
Unterhalb der Temperatur TC, die für einen ferromagnetischen bzw.
antiferromagnetischen Stoff eine Stoffkonstante bildet, tritt ein
Ordnungsphänomen ein, das als kooperative Eigenschaft bezeichnet wird
(Abb. 72). Im Falle des Ferromagnetismus (z.B. α-Fe, CrO 2) erfolgt im
Bereich kleiner Bezirke (Domänen) durch direkte Wechselwirkung der
paramagnetischen
Atome
eine
parallele
Orientierung
ihrer
Magnetisierung, die gegenüber dem ungeordneten Paramagnetismus zu
einem signifikanten Anstieg der Suszeptibilität führt. Da die Domänen
untereinander ungeordnet sind, wird keine makroskopische
Magnetisierung beobachtet.
Abb. 72: Kooperative Effekte der Magnetochemie
Der Mechanismus der ferromagnetischen Kopplung ist unbekannt. Erfolgt
die Kopplung nicht direkt, sondern über ein diamagnetisches Ion (z.B. O2), so erfolgt als Konsequenz der dem Pauli-Prinzip entsprechenden
Elektronenverteilung im Anion unterhalb TC eine antiparallele Kopplung
der Spinmomente für die benachbarten paramagnetischen Ionen
(Superaustausch). Hierdurch wird bei tiefer Temperatur, d.h. starker
Kopplung, die Magnetisierung der Einzelmomente vollständig
kompensiert. Der Superaustausch ist winkelabhängig und erreicht seine
größte Wirkung bei linearer Anordnung M(dz2 )-O(pz)-M’(dz2), z.B. in
MnO, NiO.
Im Falle des Ferrimagnetismus wird der im Ferromagnetismus
beobachtete Effekt unterhalb der Neel-Temperatur TN durch die
antiparallele Kopplung eines Teilgitters vermindert. So koppeln in Fe3O4
unterhalb TN die in unterschiedlichen Teilgittern (Oktaeder- und
Tetraederplätze) befindlichen Ionen antiparallel, die in gleichen
Teilgittern befindlichen jedoch parallel. Hierdurch kompensieren sich die
magnetischen Momente der Fe3+-Ionen, während die der Fe2+ -Ionen,
sämtlich auf Oktaederplätzen, parallel gekoppelt wirksam bleiben.
Bei Temperaturen oberhalb TC bzw. TN bricht die Ordnung innerhalb der
Domänen und somit der kooperierende Effekt zusammen; es liegt dann in
allen Fällen reiner Paramagnetismus vor.
Unter dem Einfluß starker Magnetfelder kann für ferromagnetische und
ferrimagnetische Stoffe durch spinparallele Ausrichtung der Domänen
eine makroskopische Magnetisierung erzwungen werden, die auch nach
Abschaltung des Feldes partiell erhalten bleibt (Permanentmagnete). Der
Zusammenhang zwischen Feldstärke H und Magnetisierung M, besser
gesagt deren zeitliche Veränderung, wird durch die sog. Hysteresekurve
beschrieben. Nach Zurückfahren des Magnetfeldes H auf 0 verbleibt eine
Restmagnetisierung MR, die erst bei der Koerzitivfeldstärke –HC gelöscht
wird. Technisch wertvolle Permanentmagnete besitzen hohe Werte für MR
und HC.
133
18.2.5 Nichtstöchiometrische Verbindungen
Die eingangs behandelten Gesetze der konstanten und multiplen
Proportionen schreiben für chemische Verbindungen am Beispiel binärer
Phasen die feste Zusammensetzung AmB n vor. Bei den d-Blockelementen
kann es im Festkörper, bedingt durch dessen Aufbau und die relative
Stabilität benachbarter Oxidationsstufen zu Abweichungen von diesen
Regeln, zu einer sog. Phasenbreite etwa der Art Am+x Bn kommen. Wir
wollen dieses Phänomen an zwei Beispielen betrachten.
1. FeO kristallisiert wie die meisten Metall+II-Oxide der d-Blockelemente
im Steinsalztyp. Hierin ist das Metallzentrum von 6 Sauerstoffatomen in
Art eines Oktaeders umgeben. Die Anionen erzeugen, wie die
Wasserliganden des Komplexes [Fe(H2 O)6]2+ in Lösung, ein nur
schwaches Kristallfeld. Zur Vermeidung der aufzubringenden
Spinpaarungsenergie wird auch hier die Oxidation des Metallzentrums
angestrebt. Anders jedoch als in wäss. Lösung ist hiermit, d.h. beim
Übergang zu Fe2 O3 (Korund-Typ) ein Wechsel des Kristallgitters
erforderlich. Durch die in geringem Umfang erfolgte Besetzung der
Gitterplätze in FeO durch Fe3+ -Ionen müssen, zur Aufrechterhaltung der
Elektroneutralität, Gitterplätze der Kationen unbesetzt bleiben. Die
vorliegende nichtstöchiometrische Verbindung weist folglich die genannte
Phasenbreite Fe0.85-0.95O auf. Eine weitere Anreicherung führt zur
Umwandlung des Gittertyps in Richtung auf die Korundstruktur.
2. WO3 (d0 ) kristallisiert isomorph mit ReO3 (d1) in dem nach diesem
benannten Gittertyp, der einen großen Hohlraum im Zentrum der
Elementarzelle aufweist. Durch Einbau von Natriumatomen in diese
Lücken (Übergang zur Perowskit-Struktur des CaTiO3 ) werden luftstabile
Verbindungen der Phasenbreite Na0.3-1 WO3 erhalten, welche die
Elektrische Leitfähigkeit von Metallen aufweisen.
18.2.6 Legierungen
Metalle sind in flüssiger Phase meist unbegrenzt mischbar. In fester Phase
trifft dies nicht in jedem Falle zu. Zur Beschreibung des Verhaltens beim
Übergang von der Schmelze zum festen Zustand dienen Phasen- oder
Schmelzdiagramme, in denen die Temperatur gegen den Molenbruch
(bzw. eine andere Konzentrationseinheit des Systems) aufgetragen wird.
Hierbei wird die Phasenübergangstemperatur (Schmelzpunkt) in
Abhängigkeit von der Zusammensetzung als Kurve eingezeichnet (Abb.
73). Hier soll der einfache Fall von Zweikomponentensystemen unter
Vernachlässigung des Drucks betrachtet werden.
Abb. 73: Schmelzdiagramme I
134
Der denkbar einfachste Fall einer Geraden (oder Kurve) tritt aus
thermodynamischen Gründen nicht auf; hier würde aus einer Schmelze
beliebiger Zusammensetzung am Schmelzpunkt eine Phase gleicher
Zusammensetzung auskristallisieren. Ebenso irreal ist ein System, in dem
die Phasenübergangskurve mit dem Schmelzpunkt einer Komponente
zusammentrifft; hier könnte eine Trennung der Komponenten durch
einfache Auskristallisation der höher schmelzenden Komponente
erfolgen.
Grundsätzlich können für die feste Phase vier Fälle unterschieden werden
(Abb. 74):
Abb. 74: Schmelzdiagramme II
1. Vollständige Mischbarkeit
Hier erfolgt die Bildung von sog. Substitutionsmischkristallen über den
gesamten Konzentrationsbereich. Günstige Bedingung hierfür sind die
isomorphe Kristallisation der Komponenten, die gleiche
Valenzelektronenanordnung sowie eine vergleichbare Größe der
Atome. Im System Ag/Au können, ausgehend von einer reinen
Komponente, deren Atome schrittweise durch die andere Komponente
ersetzt werden; hierbei werden in jedem Mischungsverhältnis Kristalle
definierter Phase gebildet. Das Phasendiagramm enthält zwei Kurven
(Solidusund
Liquiduskurve),
zwischen
denen
am
Phasenübergangspunkt ein thermodynamisches Gleichgewicht
zwischen Feststoff und Schmelze besteht. Eine vollständige Trennung
der Komponenten durch Kristallisation ist nicht möglich; zur
Anreicherung sind mehrere Kristallisationsschritte erforderlich. Solche
Systeme werden auch als Feste Lösung bezeichnet.
2. Keine Mischbarkeit
Hier unterbleibt die Bildung von Substitutionsmischkristallen. Am
Phasenübergangspunkt kristallisiert eine reine Phase aus; hierdurch
wird die zweite Phase in der Schmelze angereichert, deren
Schmelzpunkt kontinuierlich absinkt. Am Eutektischen Punkt
kristallisiert ein (mikrokristallines) Gemisch der beiden reinen Phasen,
das als Eutektikum bezeichnet wird. Die Zusammensetzung des
Eutektikums sowie seine Schmelztemperatur, die ein Minimum im
System kennzeichnet, sind für das System konstante Größen.
3. Begrenzte Mischbarkeit
Hier tritt in den Bereichen kleiner Konzentrationen die Bildung von
Substitutionsmischkristallen ein. Es können folglich, ausgehend von
einer reinen Komponente, bis zu einem Grenzwert im Austausch
Atome der zweiten Komponente in das Kristallgitter eingebaut werden.
135
Im Bereich der mittleren Konzentrationen besteht eine
Mischungslücke. In diesem Bereich kristallisieren die beiden festen
Lösungen der Grenzkonzentrationen als Eutektikum. Dies ist
beispielsweise im System Cu/Ag der Fall.
4. Verbindungsbildung
Hier bildet sich aus beiden Komponenten eine Phase definierter
Zusammensetzung, deren Schmelzpunkt ein lokales Maximum
aufweist. Beim Abkühlen von Schmelzen abweichender
Zusammensetzung kristallisiert die definierte Phase (Verbindung) bis
zum Erreichen des Eutektischen Punktes. Hier kristallisiert ein
Gemisch (Eutektikum) aus Verbindung und reiner Phase. Dieser Fall
liegt im System Cu/Au vor; hier sind als definierte Phasen CuAu und
Cu3 Au bekannt.
Mit Phasendiagrammen wird auch das Schmelzverhalten von
Mehrkomponentensystemen chemischer Verbindungen sowie der
Phasenübergang von flüssiger zu gasförmiger Phase (vgl. E39)
beschrieben.
18.3 Die Elemente des f-Blocks
18.3.1 Lanthanoide
Die auf das Lanthan (6s2 5d1) im Periodensystem folgenden 14 Elemente
(6s25d1 4f1-14) werden als Lanthanoide (La ist kein Lanthanoid, zeigt aber
vergleichbare Eigenschaften!) bezeichnet. Anders als bei den dBlockelementen werden die hier zuletzt eingebauten f-Elektronen meist
nicht zur Ausbildung chemischer Bindungen herangezogen. Die
Lanthanoide weisen deshalb ein der Gruppe 3 (und somit der Gruppe 13)
weitgehend analoges Verhalten auf. Sie bilden salzartig gebaute
Verbindungen, in denen sie meist in der Oxidationsstufe +III (4f1-14)
vorliegen. Als typisches Strukturmerkmal weisen diese Salze das
Metallzentrum in Folge seiner Größe in hohen Koordinationszahlen auf,
die das Strukturelement des dreifach überkappten trigonalen Prismas (KZ
9/3), beispielsweise in den Trihalogeniden von La bis Gd (UCl3-Typ,
Abb. 75) enthalten.
Abb. 75: Die Koordinationszahl 9 in Verbindungen der f-Blockelemente
Die auch als „Seltene Erden“ bezeichneten Elemente kommen in der
Natur, auf Grund ihrer vergleichbaren Größe und Eigenschaften,
vergesellschaftet vor [z.B. im Monazit, (Ln,Th)PO4 ] und sind keineswegs
selten; die Häufigkeit ist der von Zn und Pb vergleichbar. Hier
überwiegen deutlich die Elemente der geraden Ordnungszahlen. Ihren
Namen und, in früheren Zeiten, ihren hohen Preis verdanken die
136
Reinelemente den bei der Trennung durch fraktionierte Kristallisation
auftretenden Problemen.
Die 14 4f-Elemente lassen sich, entsprechend ihrer Stellung im
Periodensystem, in 2 Gruppen vergleichbarer Spinanordnung (4f1-7 und
4f8-14) einteilen, die ein „Unterperiodensystem“ bilden (Abb. 76).
Abb. 76: Das Periodensystem der Lanthanoide
Von besonderer technischer Bedeutung ist hier das Element Gadolinium
(Gd), das in seinen dreiwertigen Verbindungen (High-Spin) pro Ion 7
ungepaarte Elektronen aufweist.
Entsprechend der relativen Stabilität unbesetzter, halbbesetzter bzw.
vollständig besetzter 4f-Zustände treten die an den Rändern des
Unterperiodensystems eingereihten Elemente Eu (4f6) und Yb (4f13) auch
in reduzierend wirkenden Verbindungen der Oxidationsstufe +II auf,
während sich für Ce (4f1 ) und Tb (4f8 ) oxidierend wirkende Verbindungen
der Oxidationsstufe +IV finden.
18.3.2 Actinoide
Da die auf das Wismut (Bi) im Periodensystem folgenden Elemente
ausschließlich in Form bezüglich des Kernzerfalls instabiler Isotope
vorliegen, treten auch die Actinoide nur als „radioaktive“ Elemente auf.
Lediglich die natürlich vorkommenden Isotope 232 Th 235 U und 238U weisen
zum Fortbestand seit dem „Urknall“ hinreichend große Halbwertszeiten
9
(τ
– 1010 a) auf. Jedoch zeigen auch kerntechnisch im
1/2 = 10
Laboratorium
erzeugte
Radionuklide
teilweise
erhebliche
Halbwertszeiten. Von Bedeutung ist insbesondere das durch seine „harte“
4
Strahlung hochtoxische 239 Pu (τ
1/2 = 2.3 10 a).
Auch Thorium und Uran sind recht häufige Elemente (vergleichbar Sn).
Sie kommen in Form oxidischer Mineralien als Monazit (s.o.) und
Uranpechblende (UO2) vor.
Anders als bei den Lanthanoiden (4f) werden bei den Actinoiden die 5fElektronen an der Bindungsbildung beteiligt. Hierdurch erreichen
Thorium und Uran jeweils die höchsten Oxidationsstufen +IV bzw. +VI.
Wichtigste Verbindung hier ist das leicht flüchtige UF6 (Schmp. 64 °C),
das zur Isotopentrennung mittels Gaszentrifugen verwendet wird.
Thorium und Uran werden wegen ihrer hohen Dichte industriell erzeugt
und genutzt. Die hauptsächliche Anwendung beider Elemente liegt jedoch
in der durch Kernspaltung als Folge von Kettenprozessen bewirkten
Energieerzeugung im zivilen und militärischen Sektor.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E37 Kernphysikalische Prozesse>
137
Wir hatten bereits erwähnt, dass Atomkerne ab einer bestimmten Masse
freiwillig zerfallen. Dieser von Becquerel (1896) sowie Pierre und Marie
Curie (1898) entdeckte Vorgang wird als Radioaktivität bezeichnet. Als
stabiles Isotop höchster Masse tritt 209Bi auf.
Der radioaktive Zerfall (Abb. 77) kann nach zwei Mechanismen erfolgen:
dem α
-Zerfall (Abspaltung von 42 He-Kernen) und dem β
-Zerfall
(Abspaltung von Elektronen aus dem Atomkern unter Umwandlung von
Neutronen in Protonen). Hieraus entwickeln sich vielstufige
Zerfallsreihen, die bei einem schweren stabilen Isotop enden. Beide
Vorgänge sind mit einer Energiefreisetzung in Form kurzwelliger
elektromagnetischer Strahlung (γ
-Strahlung) verbunden.
Abb. 77: Der Radioaktive Zerfall
Der Zerfall erfolgt kinetisch nach einer Reaktion 1. Ordnung (ohne
Zusammenstoß von Atomen!). Hieraus folgt eine konstante, für das
-9
zerfallende Nuklid charakteristische Halbwertszeit τ
1/2, die zwischen 10
sec und 1014 a liegen kann.
Zur Abschätzung der Gesundheitsgefährdung ist neben der Halbwertszeit
das Ausmaß der Energiefreisetzung wichtig.
Neben dem spontanen („freiwilligen“) Zerfall konnen radioaktive Isotope
durch Einwirkung von langsamen Neutronen gespalten werden (Otto
Hahn und Lise Meitner, 1938). Hierbei werden neben statistisch
verteilten, d.h. nicht kontrollierbaren Bruchstücken weitere Neutronen
sowie große Energiemengen (ca. 200 MeV pro Spaltung) freigesetzt (Abb.
78). Die unkontrollierte Reaktion führt als Kettenreaktion zur Explosion
(„Atombombe“). Durch Moderatoren (Graphit) können die freigesetzten
„schnellen“ Neutronen jedoch abgebremst und hinsichtlich der Zahl
kontrolliert werden, so dass eine gesteuerte Kettenreaktion in
Kernreaktoren möglich wird. Zur Spaltung mit langsamen Neutronen sind
die Isotope 239 Pu, 235 U und 233 U befähigt.
Abb. 78: Kernspaltung und Kettenreaktion
Die natürliche Häufigkeit des spaltbaren Isotops 235 U in Uran beträgt
0.7%. In Reaktoren wird „angereichertes Uran“ (ca. 3 % 235U) eingesetzt;
„waffenfähiges Uran“ enthält mind. 60 % 235 U, die „Kritische Masse“ für
reines 235U beträgt in Kugelform 23 kg). Als Nebenreaktion erfolgt aus
238
U die Bildung des hochgiftigen und leicht spaltbaren Isotops 239 Pu, das
in den Spaltprozeß einbezogen werden kann („Brutreaktoren“).
Als dritter möglicher Prozeß neben dem Kernzerfall und der Kernspaltung
ist die Kernfusion zu nennen. Die Verschmelzung leichter Kerne liefert
sehr große Energiemengen, benötigt jedoch eine hohe Anregungsenergie.
138
In Sternen wie der Sonne verläuft die Fusion von Wasserstoffkernen
(„Wasserstoffbrennen“) bei ca. 107 K.
4 11H →
4
2He
+ 2 e+
Pro Heliumkern wird hierbei eine Energie von 25 MeV freigesetzt. Die
kontrollierte und kontinuierliche Fusion ist uns derzeit nicht möglich. Im
militärischen Bereich („Wasserstoffbombe“) wird Lithiumdeuterid mit
Neutronen beschossen; die hierfür erforderliche Temperatur wird durch
das vorgeschaltete Zünden einer Atombombe erreicht.
6
3Li
2
1H
+ n → 3 1H + 4 2He
3
4
+ 1H → 2 2He
19 Einführung in die Organische Chemie
19.1 Einleitung
Auf die Sonderstellung des Elements Kohlenstoff wurde bereits an
anderer Stelle (Kap. 15.2.1) hingewiesen. Zur Erinnerung sei sie nochmals
begründet.
1. Auf Grund seiner Stellung in der Gruppe 4 erreicht der Kohlenstoff in
vierbindiger Bindungssituation sein Oktett.
2. Als Element der 2. Periode (1. Achterperiode) unterliegt der
Kohlenstoff nicht den Restriktionen der Doppelbindungsregel.
3. Der geringe Kovalenzradius führt zur Ausbildung thermodynamisch
stabiler Bindungen mit Atomen vergleichbarer Größe, insbesondere
mit dem Kohlenstoff selbst und dem Wasserstoff.
4. Die mittelgroße Elektronegativität von ca. 2.5 ermöglicht die
Ausbildung wenig polarer und somit kinetisch stabiler Bindungen
insbesondere mit dem Element Wasserstoff.
5. Das Fehlen verfügbarer leerer d-Orbitale erschwert den nukleophilen
Angriff auf den Kohlenstoff und führt zu einer weiteren kinetischen
Stabilisierung.
6. Die trotz mäßiger Häufigkeit weite Verbreitung des Elements als CO2
in der Atmosphäre ermöglicht den Aufbau einer variantenreichen
Chemie.
Hieraus resultiert eine Vielzahl chemischer Verbindungen von essentieller
Bedeutung insbesondere für die Biosphäre. Die Eingrenzung der am
Aufbau organischer Verbindungen beteiligter Elemente (außer
Kohlenstoff und Wasserstoff finden sich in größerem Umfang Stickstoff,
Sauerstoff, Schwefel sowie die Halogene als Bindungspartner) macht eine
139
von der Anorganischen Chemie abweichende Gliederung des Stoffes
erforderlich.
19.2 Systematik organischer Verbindungen
19.2.1 Das Kohlenstoffgerüst
Organische Verbindungen lassen sich in Stoffklassen und Unterklassen,
die durch das Kohlenstoffgerüst bestimmt werden, einteilen. Als erstes
Sortierungskriterium dient hierbei die Gliederung in azyklische und
zyklische Verbindungen (Abb. 79).
Abb. 79: Systematik organischer Verbindungen I
Die azyklischen Verbindungen lassen sich in bezüglich der C-CBindungen gesättigte und ungesättigte Verbindungen unterteilen. Bei den
zyklischen Verbindungen wird zwischen Carbozyklen und Heterozyklen
unterschieden.
Bei den ungesättigten azyklischen Verbindungen lassen sich solche mit CC-Doppelbindung (Alkene bzw. Olefine) und C-C-Dreifachbindung
(Alkine bzw. Acetylene) unterscheiden. Die Alizyklen können gleichfalls
C-C-Doppelbindungen (Cycloalkene) bzw. C-C-Dreifachbindungen
(Cycloalkine) enthalten. Eine besondere Klasse bilden die polyzyklischen
Verbindungen, in denen über ein Brückenkohlenstoffatom zwei
Ringfragmente verknüpft sind (Abb. 80).
Abb. 80: Systematik organischer Verbindungen II
Aromatische Ringsysteme sind durch durchgehend konjugierte
Doppelbindungen der Elektronenzahl 2n+2 (Hückel-Regel, vgl. Kap.
19.4.4) gekennzeichnet. Sie können gleichfalls Heteroatome enthalten
(Abb. 81).
Abb. 81: Systematik organischer Verbindungen III
19.2.2 Funktionelle Gruppen
In diesen Verbindungen können einzelne Wasserstoffatome durch sog.
Funktionelle Gruppen ausgetauscht werden (Abb. 82). Auch die
Funktionellen Gruppen bestimmen durch die an ihnen erfolgenden
chemischen Reaktionen sowie durch ihre Beeinflussung benachbarter
Bindungen wesentlich die chemischen Eigenschaften organischer
Verbindungen.
Abb. 82: Funktionelle Gruppen der Organischen Chemie
140
19.2.3 Nomenklatur
Viele organische Verbindungen tragen sog. Trivialnamen, teils aus
historischen Gründen (z.B. „Benzol“), teils da eine systematische
Benennung bei komplexen Verbindungen (z.B. bei Naturstoffen wie
„Fructose“) unhandliche Bezeichnungen mit sich brächte.
Die IUPAC („International Union for Pure and Applied Chemistry“) hat
verbindliche Regeln zur Bennenung organischer Moleküle aufgestellt, die
jedoch im Alltagsgebrauch häufig umgangen werden. Dennoch sollen sie
hier kurz skizziert werden.
Jede Verbindung ist fiktiv aus einem Stamm-Molekül CmH n aufgebaut,
das rational benannt wird; Mehrfachbindungen, Funktionelle Gruppen und
Heteroatome werden unter Angabe der Position vorangestellt bzw.
eingefügt. Für die Stammsysteme gilt:
Alkane CmH2m+2 werden, folgend auf die trivial bezeichneten Methan
Ethan, Propan, Butan (m = 1-4) mit ihren griechischen Zahlenwerten
benannt: C5 H12 = Pentan, C6 H14 = Hexan, C7 H16 = Heptan usw.; zur
Unterscheidung von verzweigten Verbindungen werden geradkettige
Alkane mit dem Präfix n- versehen, also z.B. n-Hexan.
Cyclische Alkane CmH2m werden mit dem Präfix cyclo- versehen, also
z.B. Cyclohexan.
Ungesättigte Alkane werden mit dem Suffix –en (Alkene) bzw. –in
(Alkine) unter Angabe der Stellung versehen: z.B. Cyclohexen, Buta-1,3dien, Pent-2-in, Cyclohexa-1,4-dien usw.; die Numerierung erfolgt nach
dem Prinzip der kleinstmöglichen Zahlenwerte. Bei Olefinen muß
zwischen der cis- und trans-Anordnung der Substituenten an der
Doppelbindung unterschieden werden: z.B. cis-Pent-2-en, trans-Pent-2-en.
Für verzweigte Alkane wird die längstmögliche Kette gebildet und als
Alkan bezeichnet; die Verzweigungen bildenden Seitenketten werden als
Substituenten (Methyl-, Pentyl-, Cyclohexyl- usw.) benannt und in
alphabetischer Folge der Stammverbindung vorangestellt: z.B. 2Methylpentan (nicht 4-Methylpentan!), Methylcyclohexan, 2-Ethyl-4methylnonan. In Cycloalkanen muß die relative Orientierung der
Substituenten angegeben werden: z.B. syn-1,2-Dimethylcyclohexan, anti1,2-Dimethylcyclohexan.
Heterozyklen werden meist mit ihren (historischen) Trivialnamen
bezeichnet). Ihre systematische Bezeichnung (vgl. Kap. 19.4.5) sowie die
sehr komplexe Namensfindung spirozyklischer Verbindungen sollen hier
nicht abgehandelt werden.
Die Angabe von Substituenten (Abb. 83 und 84) an der Stammverbindung
erfolgt in alphabetischer Folge unter Anwendung des o.gen.
Numerierungsschemas: z.B. 3-Chlorhexan, Bromethylen, trans-1,2Dichlorethylen, 3-Chlortoluol (= 3-Chlor-1-methylbenzol) usw.
Abb. 83: Benennung von Substituenten in der organischen Nomenklatur I
141
Abb. 84: Bebennung von Substituenten in der organischen Nomenklatur II
19.3 Die organisch-chemische Reaktion
19.3.1 Reaktionskoordinaten und Reaktionsverlauf
Die in Kap.8 besprochenen Grundlagen der Physikalischen Chemie
(Thermodynamik und Kinetik) sind auch für organisch-chemische
Reaktionen verbindlich. Endergonische Reaktionen (ΔG>0) liegen gem.
der Gleichung (n= Molzahl, R = Gaskonstante, T = Temperatur [K], K =
Gleichgewichtskonstante)
ΔG = -n∙
R∙
T∙
lnK
bei auf der Seite der Edukte liegenden Gleichgewichtsreaktionen vor;
nachfolgend kann eine Gleichgewichtsverschiebung (Entfernen der
Primärprodukte bspw. durch Ausfällen oder Folgereaktionen) eintreten
(Abb. 85).
Abb. 85: Reaktionskoordinaten
Die in der organischen Chemie übliche Unterscheidung zwischen
thermodynamischer und kinetischer Produktkontrolle bezieht sich auf den
Vergleich der Werte von ΔG bzw. ΔG≠ bei Parallelreaktionen: im Falle
|ΔG 1| > |ΔG2 | tritt thermodynamische, im Falle |ΔG1# | > |ΔG2# | kinetische
Produktkontrolle ein. Dies heißt, dass sich im letzteren Falle das weniger
stabile Produkt schneller bildet. Da alle Reaktionen Gleichgewichte
bilden, sind bei hinreichend langer Reaktionsdauer alle Reaktionen
thermodynamisch kontrolliert. Wegen der in vielen Fällen
vergleichsweise geringen Energieunterschiede von Parallelreakionen
bezüglich ΔG und ΔG≠ entstehen jedoch häufig Produktgemische, die
komplexe, hier nicht zu besprechende Trennverfahren nach sich ziehen.
Auf der Reaktionskoordinate unterscheidet die Organische Chemie
zwischen
(„hypothetischen“,
d.h.
nicht
beobachtbaren)
Übergangszuständen als Maxima auf der Reaktionskoordinate und
Zwischenstufen endlicher, meist geringer Lebensdauer, die in Einzelfällen
mit spektroskopischen Methoden nachgewiesen werden können. Die
Beschaffenheit der Übergangszustände (ΔG≠) hängt mit dem
Reaktionsmechanismus zusammen. Dieser, und somit der Verlauf der
Reaktion, kann durch die Wahl der Reaktionsbedingungen (Temperatur,
Konzentration, Lösungsmittel u.a.) beeinflusst werden.
19.3.2 Klassifizierung von Reaktionen
19.3.2.1 Allgemeines
Die Reaktionen der Organischen Chemie lassen sich nach verschiedenen
Kriterien ordnen. Sämtlichen Einteilungen haftet eine gewisse Willkür
142
und somit auch ein begrenzter Nutzen an. Die nahe liegende Sortierung
nach Reaktionen am Kohlenwasserstoff-Grundgerüst oder an
Funktionellen Gruppen ist wenig hilfreich und in vielen Fällen mehrdeutig
(vgl. z.B. die Hydrierung von Nitrilen R-C≡N zu Aminen R-CH2 -NH2 ).
Deshalb erfolgt die Einteilung meist auf der Grundlage (allerdings nicht
immer gesicherter) Reaktionsmechanismen. Darüber hinaus lässt sich
verlässlich zwischen Additionen, Eliminierungen und Substitutionen
unterscheiden.
19.3.2.2 Additionsreaktionen
Bei Additionsreaktionen werden reaktive Komponenten X-Y (z.B. H2,
Cl2 , HCl) an Mehrfachbindungen addiert. Dies können grundsätzlich
sowohl C-C- wie auch sonstige Mehrfachbindungen sein. Hier stellt sich
häufig die Frage nach der Regioselektivität
trans-R1(H)C=C(H)R2 + HCl → R1H2C-CH(Cl)R2 oder
1
2
R (Cl)HC-CH 2R
und der Stereoselektivität
R(H)C=C(H)R + Cl2 → R(H)ClC-CCl(H)R oder
R(H)ClC-CH(Cl)R
Für die Konstitution der Produkte sind mechanistische Gegebenheiten,
beispielsweise die Frage nach synchroner (gleichzeitige Bildung der
Bindungen C-X bzw. C-Y) oder stufenweiser (aufeinander folgende
Bildung der Bindungen C-X bzw. C-Y) Addition sowie homolytischer
bzw. heterolytischer Spaltung der Bindung X-Y von entscheidender
Bedeutung (Abb. 86). Für die Regioselektivität wichtig ist die relative
Stabilität von Zwischenstufen: so addieren beispielsweise Säuren HX an
die olefinische Doppelbindung unter Bildung des stabileren CarbeniumIons (Regel von Markownikow).
Abb. 86: Additionsreaktionen
19.3.2.3 Eliminierungsreaktionen
Eliminierungsreaktionen stellen die Umkehrung der Additionsreaktionen
dar. Auch hier sind, wie an einem Beispiel (Abb. 87) erläutert,
mechanistische und sterische Aspekte zur regio- und Stereoselektivität
und somit zur Produktbildung essentiell.
Abb. 87: Eliminierungsreaktionen
143
19.3.2.4 Substitutionsreaktionen
Man unterscheidet die drei Fälle der radikalischen, nukleophilen und
elektrophilen Substitution. Die Bezeichnung bezieht sich auf die Natur
des das organische Molekül angreifenden Reaktionspartners. Bei der
nukleophilen Substitution attackieren also Lewis-Basen, bei der
elektrophilen Substitution Lewis-Säuren (vgl. E32). In beiden Fällen ist
die Kenntnis mechanistischer Abläufe zum Verständnis der Reaktion
wesentlich (Abb. 88 und 89).
a) Die nukleophile Substitution kann nach einem Mechanismus 1.
Ordnung (SN 1) oder 2. Ordnung (SN2) verlaufen. Im ersten Fall wird
im ersten geschwindigkeitsbestimmenden (also langsamsten) Schritt
als Zwischenstufe ein planares Carbenium-Ion gebildet, das im 2.
Schritt statistisch von beiden Seiten vom eintretenden Nukleophil
attackiert wird. Im zweiten Fall erfolgen Eintritt des attackierenden
Nukleophils und Austritt der Abgangsgruppe simultan unter Bildung
eines fünfbindigen Übergangszustandes. S N1-reaktionen werden durch
Verwendung polarer, d.h. die ionische Zwischenstufe stabilisierende
Solventien gefördert. Die Zuordnung ist von Bedeutung in der
enantioselektiven Synthese (s.u.).
b) Die elektrophile Substitution erfolgt regelmäßig beim Austausch von
Wasserstoff-Substituenten in aromatischen Verbindungen (FriedelCrafts-Reaktionen). Hier ist meist die Aktivierung des elektrophilen
Reaktionspartners durch einen Lewis-aziden Katalysator erforderlich.
Die als Übergangszustände formulierten Wheland-Komplexe sind in
Fällen hochnukleophlier Aromaten als Zwischenstufen nachweisbar,
in Einzelfällen isolierbar.
Abb. 88: Die nukleophile Substitution
Die radikalische Substitution soll hier nicht näher behandelt werden.
19.3.3 Nachbargruppeneffekte
In Nachbarschaft zum Reaktionszentrum befindliche Funktionelle
Gruppen können die chemischen Eigenschaften des Reaktionszentrums
beeinflussen. Allgemein wird unterschieden zwischen der Einflussnahme
auf σ- und π
-Bindungen in Form induktiver (I) und mesomerer (M)
Effekte sowie der Richtung der Ladungsverschiebung (+ steht für
elektronenschiebende, - für elektronenziehende Effekte).
In der „klassischen“ Organischen Chemie sind mit dem Kohlenstoff
Substituenten höherer Elektronegativität (N > 2.5) verbunden. Der
hierdurch bewirkte –I-Effekt vermag benachbarte Bindungen stark zu
polarisieren. So liegt der pKS-Wert von (NC)3C-H durch die hohe
Gruppenelektronegativität der Cyanogruppe (ca. 3.3) bei ca. -8 (!). +I144
Effekte treten in der Organischen Chemie meist in Zusammenhang mit
Kohlenstoff-Metall-Bindungen (vgl. Kap. 19.5.3) auf.
Mesomere Effekte spielen eine bedeutende Rolle bei der Stabilisierung
ionischer Zwischenstufen; sie können sich durch Konjugation über
mehrere Bindungen erstrecken. Ein anschauliches und wichtiges Beispiel
liefert der Einfluß von Substituenten auf die Aktivierung und Steuerung
der Elektrophilen Aromatischen Substitution (Abb. 89).
Abb. 89
Substituenten mit +M-Effekt (z.B. NH 2) in Benzolderivaten aktivieren
den Austausch von Wasserstoffatomen gegen Halogenatome in ortho- und
para-Stellung, während Substituenten mit –M-Effekt (z.B. NO2 ) den
Austausch (im Vergleich mit Benzol selbst) deaktivieren und in metaStellung dirigieren. Zu den Substituenten mit +M-Effekt können über den
Begriff der Hyperkonjugation auch Alkylgruppen gerechnet werden.
+
H-CH2-C ↔ H CH2=C
-
Gleichfalls als Nachbargruppeneffekt angesehen werden kann die
sterische Abschirmung eines Reaktionszentrums durch eine benachbarte
voluminöse Gruppe, die den Angruff eines Reaktanden auf das
Reaktionszentrum be- oder verhindert. Dies kann in Zusammenhang mit
der Regio- und Stereoselektivität einer Reaktion eine bedeutende Rolle
spielen.
19.4 Ausgewählte Substanzklassen
Nachfolgend wird ein Einblick
Substanzklassen gegeben.
in
die
Chemie
ausgewählter
19.4.1 Alkane und Cycloalkane
Alkane (CmH2m+2) kommen in der Natur umfangreich als Bestandteile
fossiler Brennstoffe (z.B. Erdöl) vor. Sie können hieraus durch
Destillation gewonnen werden, jedoch ist die Trennung ab der Einheit C5
problematisch. Einen gezielten Aufbau im Labor ermöglicht
beispielsweise die Würtz-Reaktion:
2 R-Br + 2 Na → R-R + 2 NaBr
Beim Aufbau der Ketten ist die relative Anordnung der Fragmente zu
beachten (Abb. 90). Von den denkbaren Anordnungen ist die gestaffelte
Anordnung die energetisch günstigste.
Abb. 90: Stereochemie der Alkane
145
Alkane sind chemisch inert und reagieren selbst mit Chlor nur bei
photolytischer oder thermischer Anregung. Thermisch (T < 100 °C) lassen
sie sich in andere Alkane bzw. (unter Abspaltung von Wasserstoff)
Alkene spalten (Crack-Prozeß).
2 CH3CH2 CH2CH3 + Cl2 → 2 ClCH2 CH2CH2 CH3 + 2 HCl
2 CH4 + Cl2 → 2 CH3Cl + 2 HCl (analog CH2 Cl2 , CHCl3 , CCl4 )
2 CH3CH2 CH2CH3 → CH3CH3 + CH 3CH2 CH2CH2 CH2CH3
CH3CH2 CH2CH3 → CH3CH=CHCH 3 + H2
Ein volkswirtschaftlich wichtiger Vorgang ist die Verbrennung zur
Erzeugung von Wärme.
2 CH3CH2 CH2CH3 + 13 O2 → 8 CO2 + 10 H2O
Cycloalkane (CmH 2m) verhalten sich im Bereich mittlerer Ringgrößen (m
= 5-7) ähnlich. Die relative Instabilität hiervon abweichender Ringgrößen
hängt mit dem Problem des Bindungswinkels C-C-C (sp3 entspr. 109 °)
zusammen. Die Ringe sind (bis auf C3H6 ) gewellt gebaut; in Cyclohexan
ist die Sesselform die stabilste Anordnung. In den kleinen Ringen liegen
für die C-C-Bindungen keine „klassischen“ σ-Bindungen vor (Abb. 91).
Abb. 91: Stereochemie der Cycloalkane
19.4.2 Alkene
Alkene („Olefine“) enthalten wenigstens eine C-C-Doppelbindung, die
aus jeweils einer σ- und π-Bindung zusammengesetzt sind (vgl. E17).
Bedingt durch die sp2 -Hybridisierung des Kohlenstoffs ligen die beiden
C-Atome und die hiermit verbundenen vier weiteren Atome in einer
Ebene; Ethylen bildet somit ein planares Molekül, in dem die
Wasserstoffatome paarweise zueinender cis- und trans-ständig sind.
Ethylene werden technisch durch das bereits erwähnte Crack-Verfahren
aus den im Erdöl bzw. Erdgas enthaltenen Alkanen gewonnen. Zur
gezielten Synthese eignet sich auch die zuvor besprochene HXAbspaltung (1,2-Eliminierung) aus Alkanen (X = Halogen).
Wichtigstes Olefin ist das Ethylen (H2C=CH2, Sdp. -103 °C), das
technisch in großem Umfang durch Crack-Prozesse, gezielt am besten
durch thermische Dehydrierung von Ethan gewonnen wird. Im
Labormaßstab lässt es sich durch Abspaltung von Wasser aus Ethanol
erhalten. Eine Übersicht über die technisch bedeutsamen Reaktionen des
Ethylens, die zugleich repräsentativ für die Chemie der Monoolefine sind,
gibt Abb. 92.
146
Abb. 92: Ausgewählte Reaktionen des Ethylens
Bei Di- bzw. Polyolefinen unterscheidet man zwischen solchen mit
isolierten (z.B. Hexa-1,5-dien), kumulierten (z.B. Allen = Propa-1,2-dien)
und konjugierten (z.B. Buta-1,3-dien) Doppelbindungen. In der
Konjugation weisen die Doppelbindungen besondere, aus dem MOSchema der π
-Orbitale (Abb. 93) erklärliche Eigenschaften auf, die sich
beispielsweise in interessanten Zyklisierungsreaktionen nierderschlagen
(Abb. 94).
Abb. 93: MO-Schema der π
-Orbitale des Buta-1,3-diens
Abb. 94: Ausgewählte Reaktionen des Buta-1,3-diens
19.4.3 Alkine
Etwa analog zur Situation im Distickstoffmolekül können zwei
Kohlenstoffatome auch durch eine Dreifachbindung (Kombination aus
einer σ- und zwei π
-Bindungen, vgl. E17) verbunden werden. Wegen der
hierin vorliegenden sp-Hybridisierung der Kohlenstoffatome bilden die
Atome der an die Dreifachbindung gebundenen Atome mit diesen eine
lineare Anordnung.
Wichtigstes Alkin ist das Acetylen (HC≡CH, Sdp. -83 °C), das wegen der
relativ hohen Elektronegativität des sp-Kohlenstoffs (EN = 3.3) bereits
deutlich sauer reagiert und Metallsalze („Acetylide“) bildet. Früher wurde
Acetylen durch Hydrolyse von Calciumacetylid („Calciumcarbid“)
hergestellt. Heute wird es durch katalytische Dehydrierung von Methan
im Lichtbogen bei 1400 °C oder durch katalytische Dehydrierung von
Ethylen gewonnen.
CaC2 + 2 H2O → HC≡CH + Ca(OH) 2
2 CH4 → HC≡CH + 3 H2
H2 C=CH2 → HC≡CH + H2
Acetylen gehört zu den wichtigsten Grundchemikalien der organischen
Synthesechemie (Abb. 95).
Abb. 95: Ausgewählte Reaktionen des Acetylens
Wegen seiner hohen Verbrennungswärme wird es auch zum autogenen
Schweißen verwendet.
2 HC≡CH + 5 O2 → 4 CO2 + 2 H2O (ΔH = -622 kcal mol-1 )
147
19.4.4 Arene
Die auch als “Aromaten” bezeichneten Verbindungen gehören sämtlich
einer Verbindungsklasse mit cyclisch koniugierten Doppelbindungen an,
in denen 4n + 2 (n = 0,1,2,3,…) π-Elektronen über das gesamte
Ringsystem delokalisiert sind. Diesem Kriterium genügt neben dem
Benzol das Cyclopentadienid-Ion, nicht aber das Cyclobutadien und das
Cyclooctateraen(Abb. 96).
Abb. 96: Resonanzformeln zyklisch delokalisierter π
-Elektronen
Die Stabilität ergibt sich, am Beispiel des Benzols, aus dem MO-Schema
der π
-Elektronen (Abb. 97), während für das antiaromatische
Cyclooctatetraen eine nichtplanare Struktur resultiert (Abb. 98).
Abb. 97: MO-Schema der π
-Elektronen des Benzols
Abb. 98: MO-Schema der π
-Elektronen des Cyclooctatetraens
Wichtigster Vertreter dieser Verbindungsklasse ist das Benzol (Schmp. 6
°C, Sdp. 80 °C). Benzol kann durch katalytische Trimerisierung von
Acetylen hergestellt werden, wird heute jedoch meist durch katalytische
Dehydrierung von Kohlenwasserstoffen (Methylcyclopentan/Cyclohexan)
an Cr2 O3 -Kontakten gewonnen.
Die chemischen Eigenschaften des Benzols ergeben sich aus dem bereits
besprochenen Reaktionsverlauf der elektrophilen aromatischen
Substitution (vgl. Kap. 19.3.2.4), der den Aufbau zahlreicher substituierter
Derivate gestattet (Abb. 99). Im Gegensatz zum Toluol ist Benzol wegen
der durch Oxidation gebildeten Peroxid-Radikale toxisch.
Abb. 99: Übersicht der Reaktionen des Benzols
Die Präsenz elektronenziehender Substituenten ermöglicht jedoch auch
Reaktionen nach dem Muster der nukleophilen aromatischen Substitution
(Abb. 100). So bildet sich durch Umsetzung von 1,2,4,5-Tetrachlorbenzol
mit NaOH das hochgiftige 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin („Dioxin“).
Abb. 100: Die nukleophile aromatische Substitution
Gleichfalls hochtoxisch sind benzannelierte Aromaten („Kondensierte
Aromaten“), die im Steinkohlenteer zugegen sind (Abb. 101).
Abb. 101: Kondensierte Aromaten
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E38 Arbeitssicherheit und Toxizität>
148
Beim Umgang mit Chemikalien sind rechtlich kodifizierte
Sicherheitsvorschriften zu beachten, die beispielsweise in der Anleitung
„Sicheres Arbeiten in chemischen Laboratorien“ niedergelegt sind. Diese
enthält neben allgemeinen Angaben eine Auflistung der Einstufung von
Chemikalien nach ihrem Gefährdungspotential, die laufend aktualisiert
wird und unter der Internetadresse
http://www.unituebingen.de/Chemie/Chemie/Sicheres_Arbeiten_in_chemischen_Laboratorien.pdf
zugänglich ist. Die relative Toxizität ergibt sich aus den MAK- bzw.
TRK-Werten der Chemikalien. Die allgemeinen Gefahrensymbole sowie
die Risikoangaben und Sicherheitsratschläge (R- und S-Sätze) finden sich
zudem auf den Etiketten der im Handel vertriebenen Präparate sowie in
den Katalogen der Vertreiber (Abb. 102 und 103).
Abb. 102: Gefahrstoffsymbole
Abb. 103: MAK- und TRK-Werte
Ohne dokumentierte Sicherheitsbelehrung darf in chemischen
Laboratorien (also auch in Praktika!) nicht gearbeitet werden.
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19.4.5 Heterozyklen
Heterozyklen sind carbozyklische Verbindungen, in denen einzelne CH2oder CH-Fragmente formal gegen Heteroatome (meist N,O,S) oder deren
Fragmente (z.B. NH) ausgetauscht sind.
Heterozyklen tragen meist Trivialnamen, die allgemein akzeptiert werden
Die wichtigsten sind, wie auch die Aromaten, aus fünf- oder
sechsgliedrigen Ringsystemen aufgebaut. Auch annelierte bizyklische
Systeme sind häufig (Abb. 104).
Abb. 104: Heterozyklen (Heteroarene)
Jedoch existiert auch eine systematische Nomenklatur, die Ringgröße, Art
und Stellung des Heteroatoms sowie den formalen Hydrierungsgrad
berücksichtigt (Abb. 105).
Abb. 105: Nomenklatur der Heterozyklen
Innerhalb dieser Substanzklasse sind die formal aromatischen
Verbindungen („Heteroarene“), die hier ausschließlich besprochen
werden, von besonderer Bedeutung.
Furan (Sdp. 31 °C) wird technisch aus Furfuraldehyd gewonnen; die
Synthese kann als Beispiel für die gezielte Aufarbeitung von Naturstoffen,
149
hier unter Ringschluß, dienen (Abb. 106). Das als Lösungsmittel wichtige
Tetrahydrofuran, ein zyklischer Ether, wird dort besprochen.
Abb. 106: Synthese von Furan
Thiophen (Sdp. 80 °C) tritt als Begleiter des Benzols im Steinkohlenteer
auf und ist hiervon schwer abzutrennen. Die gezielte Synthese erfolgt
durch Umsetzung von Buta-1,3-dien mit Schwefel bei 650 °C.
Pyrrol (Sdp. 130 °C), gleichfalls Bestandteil des Steinkohlenteers, wird
gezielt durch Umsetzung von Furan mit Ammoniak (Austausch der
Heteroatome im Ring unter Ringöffnung) gewonnen.
Pyridin (Sdp. 115 °C), ebenfalls Bestandteil des Steinkohlenteers, wird
heute technisch durch Reaktion vom Acetylen mit Ammoniak erhalten.
Alle genannten Heteroarene zeigen die für Arene typische Elektrophile
Aromatische Substitution (Kap. 19.3.2.4), wodurch zahlreiche Derivate
zugänglich sind (jedoch sind auch spezielle Zyklisierungsreaktionen
gebräuchlich). Die Reaktivität der Verbindungen lässt sich, analog der
Interpretation der Elektrophilen Aromatischen Substitution, aus den
möglichen Resonanzformeln ableiten. Am Beispiel des Vergleichs von
Pyrrol („elektronenreicher Heteroaromat“) und Pyridin („elektronenarmer
Heteroaromat“) wird die Verwandtschaft zu Anilin („Aminobenzol“) und
Nitrobenzol deutlich (Abb. 107). Man beachte, dass das freie
Elektronenpaar am Stickstoffatom im Falle des Pyrrols im pz-Orbital
platziert und somit Bestandteil des aromatischen π-Systems ist, während
es im Falle des Pyridins dem in der Ringebene liegenden sp 2Hybridorbital zugehört. Hieraus resultiert für das Pyrrol eine beträchtliche
π
-Basizität, für das Pyridin hingegen eine mittelstarke σ-Basizität.
Abb. 107: Delokalisierung der π-Elektronen in Pyrrol und Pyridin
Heteroaromaten spielen als Bestandteile vieler Naturstoffe und Pharmaka
eine herausragende Rolle in der Biochemie.
19.4.6 Alkohole
Alkohole, R-OH, sind geringfügig stärker sauer als Wasser. Zu ihrer
Darstellung existieren zahlreiche Methoden (Abb. 108).
Abb. 108: Synthese von Alkoholen
Die chemischen Reaktionen können eingeteilt werden in solche unter
Spaltung der C-O-Bindung und der O-H-Bindung. Die Einwirkung von
Säuren erzeugt, je nach Reaktionsbedingungen, verschiedene Produkte
(Abb. 109).
150
Abb. 109: Reaktionen von Alkoholen
Wichtige Vertreter sind Methanol (Sdp. 65 °C, „Holzgeist“), Ethanol
(Sdp. 79 °C, „Weingeist“) und Phenol (Schmp. 43 °C), die früher aus
Naturstoffen gewonnen wurden („alkoholische Gärung“). Heute wird
Methanol technisch durch Hydrierung von Kohlenmonoxid unter Druck
mittels ZnO/Cr2 O3-Katalysator gewonnen, während Ethanol durch
katalytische Addition von Wasser an Ethylen erhalten wird.
CO + 2 H2 → CH3OH
H2 C=CH2 + H2O → CH3CH 2OH
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
<E39 Siedediagramme>
Zur destillativen Trennung von Flüssigkeiten sind die Siedediagramme zu
beachten, die den gleichen Gesetzmäßigkeiten der zuvor besprochenen
Schmelzdiagramme (vgl. Kap. 18.2.6) unterliegen (Abb. 110). Die den
Phasenübergang beschreibenden Gleichgewichtskurven zwischen
flüssiger und gasförmiger Phase werden hier als Siede- und Taukurve
bezeichnet. In der Gasphase liegt immer vollständige Mischbarkeit vor.
Bei der destillativen Trennung handelt es sich, wie hier besprochen, meist
um auch in der flüssigen Phase vollständig mischbare Systeme. Beim
Übergang von der flüssigen Phase zur Gasphase am Siedepunkt stehen
beide Phasen mit unterschiedlicher Zusammensetzung im Gleichgewicht.
Die Zahl der Isothermen wird als „Theoretische Bodenzahl“ bezeichnet
und gibt die Anzahl der erforderlichen Destillationsvorgänge zur
(angenähert) vollständigen Trennung an.
Berühren sich Siede- und Taukurve an einem Minimum (Azeotroper
Punkt), so ist eine vollständige Trennung der Komponenten durch
Destillation nicht möglich. Dies ist beispielsweise beim System
Wasser/Ethanol der Fall (ein Gemisch aus 95.6 Massen% Ethanol und 4.4
Massen% Wasser siedet bei 78.20 °C)
Abb. 110: Siedediagramme und Destillation
Wichtige mehrwertige Alkohole sind Ethylenglykol HO-CH2-CH 2-OH
(Sdp. 197 °C, Gefrierschutz), und Glycerin HO-CH 2-CH2 (OH)-CH 2-OH
(Sdp. 290 °C, Bestandteil von Fetten, vgl. Kap. 19.5.2.1).
19.4.7 Ether
Ether, R-O-R’, werden durch Umsetzung von Alkoholen mit Säuren oder
durch Reaktion von Alkoholaten mit Alkylhalogeniden erhalten.
151
2 R-OH → R-O-R + H2O
R-ONa + R’Cl → R-O-R’ + NaCl
Bekannteste Verbindung dieser Substanzklasse ist der früher als
Narkotikum verwendete, mit Wasser nicht mischbare Diethylether (Sdp.
34 °C). In der industriellen Verwendung bedeutsam als Lösungsmittel
sind die mit Wasser mischbaren cyclischen Ether Tetrahydrofuran (Sdp.
66 °C) und 1,4-Dioxan (Sdp. 101 °C). Oxiran (Sdp. 14 °C, „Ethylenoxid“)
besitzt beträchtliche Bedeutung in der organischen Synthese.
Polyfunktionelle Ether bilden sehr stabile gut lösliche Metallkomplexe;
durch Zugabe stöchiometrischer Mengen von 18-Krone-6 läßt sich
beispielsweise Kaliumchlorid in Benzol auflösen (Abb. 111).
Abb. 111: Zyklische Ether
Ether bilden beim Stehen an Luft Peroxide, die zu heftigen Explosionen
führen können.
19.4.8 Amine und Nitroverbindungen
Amine R-NH2 und Nitroverbindungen R-NO2 lassen sich durch
Redoxprozesse ineinander überführen. Amine zeigen, wie Ammoniak,
basisches Verhalten; man unterscheidet primäre Amine (RNH2 ),
sekundäre Amine (R2NH) und tertiäre Amine (R3N).
Nitroverbindungen reagieren durch den –I- und –M-Effekt der NO2Gruppe sauer; CH3 NO2 (Nitromethan) weist einen pKS-Wert von 10.2,
Dinitromethan gar von 3.6 auf (man beachte die Resonanzstabilisierung
der Anionen). Wegen der hochtoxischen Eigenschaften der als
Verunreinigung gegenwärtigen Nitrosoverbindungen (R-NO) wie auch
der explosiven Eigenschaften mancher Derivate (Trinitrotoluol wird als
Sprengstoff verwendet) ist beim Umgang mit Nitroverbindungen Vorsicht
geboten.
19.4.9 Aldehyde und Ketone
Aldehyde R-C(=O)H und Ketone R-C(=O)R’ enthalten als funktionelle
Gruppe die reaktive Carbonylgruppe, deren chemische Eigenschaften
durch das Resonanzgleichgewicht verständlich werden. Neben der
induktiv verursachten Polarität der Gruppe ist die auf dem
Nachbargruppeneffekt beruhende Aktivierung der β-CH-Bindung zu
beachten. (Abb. 112).
Abb. 112: Resonanz und Tautomerie in Carbonylverbindungen
152
Abb.
113
gibt
einen
Überblick
über
die
vielfältigen
Synthesemöglichkeiten. In Abb. 114 sind wichtige Reaktionen der
Substanzklassen zusammengefäßt.
Abb. 113: Synthese von Carbonylverbindungen
Abb. 114: Reaktionen von Carbonylverbindungen
Bekanntestes Keton ist das nicht toxische Aceton CH3 C(=O)CH3 (Sdp. 56
°C), das durch katalytische Oxidation von Propen oder durch
Dehydrierung von Isopropanol gewonnen wird.
2 CH3C(H)=CH2 + O2 → 2 CH 3C(=O)CH3
2 CH3CH(OH)CH3 + O2 → 2 CH3C(=O)CH3 + 2 H2O
Aceton findet wegen seiner guten Lösungseigenschaften in der Chemie
wie im Haushalt (z.B. als Nagellackentferner) weite Verwendung.
19.4.10 Carbonsäuren und ihre Derivate
Carbonsäuren R-C(=O)OH unterscheiden sich von den Ketonen durch
Austausch eines Organosubstituenten R gegen eine Hydroxygruppe (Abb.
115). Deren +M-Effekt schwächt die Elektrophilie des zentralen
Kohlenstoffatoms.
Abb. 115: Carbonsäuren und ihre Derivate
Die Resonanzstabilisierung des Anions bewirkt die sauren Eigenschaften
der Carbonsäuren , die durch Nachbargruppeneffekte stark beeinflusst
werden (Abb. 116).
Abb. 116: Säurestärke von Carbonsäuren
Methoden zur Herstellung der Carbonsäuren sind in Abb. 117 angegeben.
Abb. 117 enthält die wichtigsten Reaktionen zur Überführung in ihre
Derivate.
Abb. 117: Darstellung von Carbonsäuren
Abb. 118: Überführung der Carbonsäuren in ihre Derivate
Wichtige Carbonsäuren sind die Essigsäure CH3 C(=O)OH (Schmp. 17 °C,
Sdp. 118 °C) sowie die Benzoesäure C6H5 C(=O)OH (Schmp. 122 °C,
Sdp. 250 °C),die in technischem Maßstab durch katalytische Umsetzung
von Methanol und Kohlenmonoxid bzw. durch Oxidation von Toluol
gewonnen werden.
153
CH3OH + CO → CH3C(=O)OH
2 C6 H5CH 3 + 3 O2 → 2 C6 H5C(=O)OH + 2 H2O
Gleichfalls den Derivaten der Carbonsäuren zugerechnet werden die
Nitrile R-C≡N wegen der hier für den zentralen Kohlenstoff gleichfalls
vorliegenden Oxidationszahl +III. Sie können durch Wasserabspaltung
der zugehörigen Carbonsäureamide oder durch Umsetzung der
zugehörigen Alkylhalogenide mit Cyaniden gewonnen werden.
R-C(=O)NH2 → R-C≡N + H2O
R-Cl + NaCN → R-C≡N + NaCl
Nitrile lassen sich bei höheren Temperaturen mit Wasser in die
zugehörigen Carbonsäuren überführen und mit Wasserstoff zu primären
Aminen reduzieren.
R-C≡N + 2 H2 O → R-C(=O)OH + NH3
R-C≡N + 2 H2 → R-CH2-NH 2
Wichtigste Verbindung der Substanzklasse ist das aus Ammoniak und
Acetylen zugängliche Acetonitril (Sdp. 82 °C).
HC≡CH + NH3 → CH 3-C≡N + H2
19.5 Spezielle Kapitel der Organischen Chemie
Abschließend werden ausgewählte Kapitel der Organischen Chemie
behandelt.
19.5.1 Hochmolekulare Stoffe
Wegen ihrer besonderen Eigenschaften spielen Hochmolekulare Stoffe
(„Polymere“) in der Natur (z.B. Cellulose, Stärke, Proteine) wie auch in
der Technik (Kunststoffe) eine herausragende Rolle. Die in diesem
Abschnitt zu besprechenden technischen, d.h. nicht natürlich
vorkommenden Stoffe werden durch die Art ihrer Bildung, die
Beschaffenheit ihrer funktionellen Gruppen sowie durch die
durchschnittliche Molekülmasse charakterisiert. Durchschnittliche
Molekülmassen von 50000-100000 sind gebräuchlich.
Abb. 119 gibt einen Überblick über funktionelle Gruppen natürlicher und
technischer Makromoleküle. Man unterscheidet zwischen Polymerisaten,
Polykondensaten und Polyaddukten; die Bildungsweise steht naturgemäß
in direktem Zusammenhang mit den funktionellen Gruppen der
monomeren Edukte.
154
Abb. 119: Arten hochmolekularer Stoffe
19.5.1.1 Polymerisate
Bei der Polymerisation treten Einzelmoleküle mit Mehrfachbindungen
(meist C-C-Doppelbindungen) unter wechselseitiger Addition zu
Makromolekülen zusammen. Je nach kinetischer Stabilität der
Mehrfachbindung ist hierzu eine Anregungsenergie wechselnder Höhe
durch Katalyse aufzubringen. Die Eigenschaften des hochmolekularen
Stoffes werden durch die Regio- und Stereoselektivität der Addition
beeinflusst. Abb. 120 zeigt als Beispiele den Mechanismus der Styrolund Ethylenpolymerisation sowie , für den Fall des Polystyrols, die durch
hinsichtlich der Stereoselektivität verschiedene Additionen erhaltenen
Konfigurationsisomeren (zur Frage der Chiralität vgl. Kap.???).
Abb. 120: Reaktionsverlauf der Polymerisation von Styrol und Ethylen.
Die möglichen Konfigurationen von Polystyrol
Abb. 121 enthält Beispiele technischer Polymerisate.
Abb. 121: Beispiele technisch wichtiger Polymerisate
19.5.1.2 Polykondensate
Bei der Polykondensation reagieren funktionelle Gruppen verschiedener
Edukte im Sinne einer Substitutionsreaktion unter Eliminierung stabiler
Moleküle (meist Wasser oder HCl) und Bildung des Polykondensats.
Meist ist hierzu kein Katalysator erforderlich. Abb. 122 zeigt den
Reaktionsverlauf am Beispiel der Polycarbonate und Polyamide.
Abb. 122: Reaktionsverlauf der Polykondensation zu Polycarbonaten
Und Polyamiden
Abb. 123 enthält Beispiele technischer Polykondensate.
Abb. 123: Beispiele wichtiger Polykondensate
19.5.1.3 Polyaddukte
Polyaddukte weisen keinen einheitlichen Bildungsmechanismus auf. Sie
unterscheiden sich von den zuvor besprochenen Polykondensaten durch
den Fortfall des bei der Kondensation gebildeten Spaltprodukts (z.B. H2O,
HCl). Allgemein addieren hier Hydroxy-Gruppen an Doppelbindungen
oder, unter Ringöffnung, an gespannte Ringsysteme. Klassische und
technisch wichtige Beispiele sind die Epoxidharze und die Polyurethane,
deren Bildung in Abb. 124 wiedergegeben ist.
155
Abb. 124: Reaktionsverlauf der Bildung von Polyaddukten
(Epoxydharze und Polyurethane)
19.5.2 Naturstoffe
19.5.2.1 Fette
Fette sind Mischungen aus Glycerinestern verschiedener Fettsäuren mit
12-20 C-Atomen. Sie dienen im Organismus zur Energieerzeugung, als
Depotsubstanzen, zur Wärmeisolierung und zur Umhüllung von Organen
(Abb. 125).
Abb. 125: Fettsäuren und Fette
Durch Basen können die Ester zu Glycerin und den Salzen der Fettsäuren
(„Seifen“) gespalten werden („Verseifung“). Ungesättigte Fettsäuren
erzeugen Fette niedriger Schmelztemperatur (Öle), die durch Hydrierung
„gehärtet“ werden können (Margarineherstellung).
19.5.2.2 Kohlehydrate
Die auch als „Saccharide“ bezeichneten Substanzen verdanken ihren
Namen der häufig anzutreffenden Zusammensetzung C(H2O)n ; aus
struktureller Sicht handelt es sich um mehrwertige Alkohole, deren
strukturelle Gegebenheiten am Beispiel der Glucose erläutert werden
(Abb. 126).
Abb. 126: Strukturen der Glucose
Meist liegen die Verbindungen als fünf- oder sechsgliedrige Ringe
(„Halbacetal-Form“) vor. In der offenen wie auch ringförmigen Struktur
liegen mehrere „asymmetrische“ Kohlenstoffatome vor, die Chiralität
erzeugen (vgl. E40). Die Einteilung der Monosaccharide erfolgt nach der
Anzahl der Kohlenstoffatome (Pentose, Hexose u.a.), des Vorliegens von
Aldehyd- bzw. Ketonfunktionen in der offenkettigen Form (Aldosen bzw.
Ketosen) sowie der Zahl der ringständigen Atome in der Halbacetalform
(Pyranose, Furanose).
Man unterteilt weiterhin die Saccharide (Abb. 127) in Monosaccharide
(s.o.), Disaccharide (z.B. Rohrzucker) und Polysaccharide (z.B. Cellulose,
Stärke).
Abb. 127: Strukturen der Fructose. Di- und Oligosaccharide
Auch Kohlehydrate sind Energiespeicher. Zum Abbau im Organismus
müssen in Olisacchariden die Etherbindungen gespalten werden; dies ist
156
beispielsweise im menschlichen Organismus bei der Cellulose nicht
möglich.
19.5.2.3 Aminosäuren und Proteine
Die dritte Gruppe der als Nährstoffe wichtigen Substanzen, auch als
„Eiweißstoffe“ bezeichnet, ist als Polyamid (Polykondensat, Molmasse >
10000) aufzufassen. Bausteine sind natürlich vorkommende α
Aminosäuren (Abb. 128), die über sog. Peptidbindungen“ verknüpft sind
(Abb. 129).
Abb. 128: Natürlich vorkommende neutrale Aminosäuren
Abb. 129: Zwitterionische Struktur der Aminosäuren und Peptidbildung
Abgesehen von Glycin („α
-Aminoessigsäure“) enthalten allse
Aminosäuren ein „asymmetrischer Kohlenstoffatom“, d.h. ein
Kohlenstoffatom mit 4 verschiedenen Substituenten. Verbindungen dieses
Bauelements treten als „Enantiomerenpaar“ auf; die Enantiomeren
verhalten sich wie Bild und Spiegelbild, sie können ohne Lösung von
Bindungen nicht ineinander überführt werden. Enantiomere haben gleiche
physikalische und chemische Eigenschaften ausgenommen ihre
Befähigung, die Ebene des polarisierten Lichtes um den Winkel αbzw- -α
zu drehen (Abb. 130).
Enthält ein Molekül mehrere asymmetrische Kohlenstoffatome, so bilden
sich Diastereomerenpaare, deren zugehörige Verbindungen sich nun
chemisch uns physikalisch unterscheiden. Dies wird am Beispiel der
Weinsäure deutlich (Abb. 131).
Abb. 130: Chiralität. Enantiomere und Diastereomere
Die Fähigkeit einer Verbindung, Enantiomerenpaare zu bilden, bezeichnet
man als Chiralität („Händigkeit“). Sie ist eine Symmetrieeigenschaft der
Moleküls, für deren Vorliegen die Präsenz von asymmetrischen
Kohlenstoffatomen weder hinreichend noch notwendig ist (Abb. 131). So
sind Hexahelicen wegen der sterisch erzwungenen Nicht-Planarität des
Moleküls und die 6,6’-Dinitrodiphensäure wegen der gleichfalls sterisch
bedingten Hinderung der Rotation um die zentrale C-C-Bindung chiral,
während in der meso-Weinsäure sich die Wirkung der beiden
Chiralitätszentren durch Bildung eines Inversionszentrums aufhebt.
Abb. 131: Strukturen der o,o’-tetrasubstituierten Biphenyle,
des Hexahelicens und der Weinsäure
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<E40 Symmetrie und Chiralität>
157
Der Begriff der Chiralität ist an die formale Symmetrie gebunden und
wird von ihr definiert. Die Symmetrielehre der Moleküle unterscheidet
sich in einigen Punkten von der der Festkörper, die in Raumgruppen
eingeordnet werden. Auf die Unterschiede soll zum Verständnis kurz
eingegangen werden.
Das Symmetriesymbol der Raumgruppen enthält neben der Angabe des
Bravais-Typs („Zentrierung“) Angaben zur Punktgruppensymmetrie
(Drehung, Spiegelung, Inversion, Drehinversion), die in manchen Fällen
durch
die
sog.
„Translationssymmetrie“
(Schraubenachsen,
Gleitspiegelebenen) ergänzt werden. In der Symmetriebetrachtung der
Moleküle entfällt die Zentrierung wie auch die Translationssymmetrie; die
verbleibende Punktgruppensymmetrie erzeugt auch hier im
Zusammenwirken der einzelnen Operationen einen lagekonstanten Punkt,
der nicht mit einer Atomlage besetzt sein muß.
Zur Symmetriebeschreibung der Moleküle wird an Stelle der HermannMauguin-Symbolik aus historischen Gründen die Schönflies-Symbolik
verwendet. Die Drehinversion der Hermann-Mauguin-Symbolik wird
durch die Drehspiegelung der Schönflies-Symbolik ersetzt; beide
Operationen sind durch die Drehung entlang der Drehinversions- bzw.
Drehspiegelachse um 180 ° (2 bzw. C2) verbunden. Bei der Betrachtung
von Molekülen sind Drehachsen mit ganzzahliger Zähligkeit (n = 1-∞)
unbeschränkt zulässig, das das Kriterium der Raumerfüllung entfällt.
Auf die exakte gruppentheoretische Betrachtung der Symmetrielehre soll
hier verzichtet werden. Abb. 132 gibt einen Überblick über die
Symmetrieoperationen beider Systeme.
Abb. 132: Symmetrieelemente und Operationen
Grundsätzlich lassen sich (hier in der Schönflies-Systematik formuliert)
alle Symmetrieoperationen in zwei Gruppen einteilen:
a) Drehungen Cn (incl. C1 = E)
b) Drehspiegelungen Sn (incl. σ= S1 und i = S2)
Hieraus resultieren hinsichtlich ihrer Symmetrie drei Klassen von
Substanzen:
1. Asymmetrische Substanzen (nur C1)
2. Dissymmetrische Substanzen (nur Cn , n > 1)
3. Symmetrische Substanzen (Sn , n = 1-∞).
Asymmetrische und dissymmetrische Substanzen sind chiral und können
Enantiomeren- bzw. Diastereomerenpaare bilden.
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Die am Aufbau natürlicher Proteine beteiligten Aminosäuren liegen als LEnantiomere vor.
158
Die Struktur der helixartig gebauten Proteine lässt sich durch gestaffelte
Strukturhierarchien (Primärstruktur, Sekundärstruktur ..) beschreiben
(Abb. 133).
Abb. 133: Aufbau und Struktur von Proteinen
Die Helices (Abb. 134) sind zueinander diastereoisomer (rechts- und
linksgängige Schraube aus L-Enantiomeren der Aminosäuren!). Die
rechstgängige Helix ist stabiler und liegt in natürlichen Proteinen vor.
Abb. 134: Schematische Darstellung der beiden möglichen Formen einer
Helix aus L-Aminosäuren
19.5.3 Metallorganische Verbindungen
19.5.3.1 Übersicht
Organische Verbindungen enthlaten, abgesehen von Wasserstoff und dem
Kohlenstoff selbst, kovalente Element-Kohlenstoff-Bindungen mit
Elementen, die gegenüber dem Kohlenstoff eine höhere Elektronegativität
aufweisen und somit den Kohlenstoff als formal positiven
Bindungspartner enthalten (Cδ+-E δ-). Verbindungen inverser Polarisierung
werden, ungeachtet des elementaren Zustandes von M (Metall,
Halbmetall, Nichtmetall) als Metallorganische Verbindungen (Mδ+-Cδ-; M
≠C,H) bezeichnet.
Ihrer Polarisierung entsprechend bilden sich bei der Hydrolyse solcher
Verbindungen Kohlenwasserstoffe und Element-Hydroxide. Die
Verbrennung liefert Elementoxide, Wasser und Kohlendioxid (R = z.B.
CH3 , M = Li).
CH3-Li + H2 O → CH3 -H + Li-OH
4 CH3-Li + 8 O2 → 4 CO2 + 6 H2 O + 2 Li 2O
Wegen der hohen Stabilität der Reaktionsprodukte CO2 und H2O sind alle
metallorganischen Verbindungen gegenüber Luft thermodynamisch
instabil. Viele zersetzen sich deshalb spontan an Luft, andere können in
Folge ihrer kinetischen Stabilität an Luft gehandhabt oder gar unbegrenzt
gelagert werden.
19.5.3.2 Metallorganische Verbindungen der Hauptgruppenelemente
Fast alle Verbindungen dieser Klasse enthalten Element-KohlenstoffEinfachbindungen (σ-Bindungen). Die als Kunststoffe (Silikone)
wichtigen Verbindungen des Siliziums, die kinetisch stabile Si-CBindungen enthalten, wurden bereits besprochen (Kap. 15.3.6).
159
Trotz der vergleichbaren Bindungsenergie der Bindungen Si-C und Al-C
weisen die technisch gleichfalls wichtigen Verbindungen des Aluminiums
gänzlich anders geartete chemische Eigenschaften auf. Während
Tetramethylsilan, Si(CH3 )4, sich mit Wasser nicht mischt, tritt beim
Kontakt von Trimethylalan, Al(CH3 )3 , mit Wasser explosionsartige
Zersetzung ein. Die Reaktion wird durch den nukleophilen Angriff des
Wassermoleküls auf das leere pz-Orbital des Aluminiums (niedrige
Aktivierungsenergie) eingeleitet. Beim Silizium ist hierzu die Beteiligung
energetisch hochliegender leerer d-Orbitale erforderlich.
Bei hinreichend hoher Elektronegativitätsdifferenz der Elemente M und C
können auch salzartige Strukturen (z.B. Ionengitter in K+CH 3-)
ausgebildet werden.
19.5.3.3 Metallorganische Verbindungen der Nebengruppenelemente
Fast alle Verbindungen dieser Klasse sind Komplexverbindungen. Hierin
treten die organischen Substrate formal als Liganden, die mit dem
Metallzentrum über Kohlenstoffatome verbunden sind, auf. Häufig
gehorchen hierbei stabile Verbindungen der 18-Elektronen-Regel.
Die organischen „Liganden“ lassen sich verschiedenen Klassen zuordnen:
a) Carbanionen (R-)
b) Neutrale C-Donorliganden (z.B. CO)
c) Olefine und Oligoolefine (z.B. H2C=CH2 , C6H 6)
d) Negativ geladene („anionische“) Olefine (z.B. C3H5 -, C5 H5-)
Darüber hinaus lässt sich eine Einteilung der Komplexverbindungen an
Hand der Bindung C-M vornehmen. Hier unterscheidet man
a) M-C σ
-Donorbindungen (d.h. aus σ
-Orbitalen der Liganden)
b) M-C σ
-Donor/π
-Akzeptorbindungen
c) M-C π
-Donor/π
-Akzeptorbindungen
Beispiele für die Liganden sind in Abb. 135 wiedergegeben.
Abb. 135: Metallorganische Verbindungen der Nebengruppenelemente
Die besondere Bedeutung der Metallorganischen Komplexverbindung
beruht auf ihrer Verwendung als homogene Katalysatoren in der
organischen Synthesechemie.
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<E41 Katalyse II>
Metallkomplexe liegen als Katalysatoren einer organischen Reaktion
meist in Lösung, also in gleicher Phase wie die Reaktanden vor
(„Homogene Katalyse“).
In einer solchen Reaktion tritt ein zu aktivierendes Molekül als
Komplexligand in den Metallkomplex ein und wird in der
Koordinationssphäre in Fole seiner Aktivierung (Schwächung der
160
Element-Element-Bindung im Liganden) und räumlichen Fixierung
bevorzugt mit einem Reaktionspartner zur Reaktion gebracht. Danach
erfolgt Ablösung des Zielmoleküls unter Wiederherstellung des
metallorganischen Ausgangskomplexes.
Das Prinzip wird an der Wirkungsweise des sog. „WilkinsonKatalysators“ deutlich.
Abb. 136
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