Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. Vorsitzender Arbeitskreis 3 (Betäubung und Schlachtung) TVT Stellungnahme der TVT zum Betäubungslosen Schlachten Erarbeitet vom Arbeitskreis 3 (Betäuben und Schlachten) Verantw. Bearbeiter: Dr. Martin von Wenzlawowicz (Stand Mai 2005) Die TVT lehnt das Schlachten insbesondere von Rindern, Schafen und Ziegen ohne vorherige Betäubung ab. Begründung: 1. Die Tiere können durch das betäubungslose Schlachten erheblichen Schmerzen und Leiden ausgesetzt werden! Beim betäubungslosen Schlachten kann es infolge der Art und Weise der Ruhigstellung (insbesondere Rinder), des Hautschnitts, der Durchtrennung der Weichteile des Halses bis auf die Wirbelsäule und der Atemnot durch Aspiration von Blut in Bronchien und Lunge zu erheblichen Schmerzen und Leiden kommen. • Die Art der Ruhigstellung bewirkt eine besondere Belastung der Rinder. Rinder werden in Deutschland in Rücken- bzw. Seitenlage ruhiggestellt. Dies erfolgt entweder durch Fesseln und zu Boden werfen oder mit Hilfe des Weinberg’schen Apparates, der die Rinder seitlich einengt und durch Rotation um 180° in Rückenlage verbringt. Diese Maßnahmen dauern wesentlich länger als die Ruhigstellung im Stehen, wie sie z.B. im in den USA entwickelten ASPCA-Restrainer erfolgt. Sie führen auch im Vergleich zu dieser Fixierungseinrichtung zu mehr stressbedingten Lautäußerungen und einem höheren Anstieg der Stresshormone im Blut (Cortisol) sowie zur Veränderung des HämatokritWertes (8). Die manuelle Ruhigstellung von Schafen in Seiten- oder Rückenlage auf einem Schlachtschragen kann demgegenüber als schonende Ruhigstellungsmethode bezeichnet werden, wenn diese ohne Greifen ins Vlies und ruhig durchgeführt wird. • Wird der Halsschnitt nicht in einem Zug ausgeführt (zu kurze oder stumpfe Messer) oder berühren sich die Wundränder nach dem Schnitt, kommt es zu starken Schmerzen und Leiden. • Die Tiere werden nicht sofort bewußtlos. Beim betäubungslosen Schlachten im Stehen kollabieren ruhige Rinder bei korrekter Ausführung des Schächtschnittes in der Regel innerhalb von 10-15 Sekunden (2, 5). Sie können jedoch noch bis zu 47 Sekunden lang Aufstehversuche unternehmen (5). Bei Rindern bestehen zudem große individuelle Unterschiede in der Zeitspanne bis zum Bewusstseinsverlust. Es kann bis über eine Minute dauern (5, 7, 10, 13, 17). Zudem besteht die Gefahr, dass sich die Hauptschlagadern durch Blutgerinnsel und Veränderungen der Arterienwände verschließen, so dass im Einzelfall Aufstehversuche noch für länger als 6 Minuten zu beobachten waren (5). Schafe verlieren innerhalb von 2 bis 15 Sekunden das Bewusstsein, wenn beide Halsschlagadern (Aa. carotidae) durchschnitten werden (5, 12, 16). Vorstand: Dr. habil. Busch, Dr. Franzky, Dr. Wendland Geschäftsstelle: Silke Pahlitzsch, Bramscher Allee 5, 49565 Bramsche Kreissparkasse Bersenbrück, Konto 023434806, Bankleitzahl 265 515 40 Seite 2 TVT 2. Es gibt zuverlässige Betäubungsmethoden: Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft und Technik können Schafe und Rinder mit Hilfe der Elektrobetäubung in Bruchteilen einer Sekunde betäubt werden, so dass eine schmerzfreie Schlachtung durch Blutentzug erfolgen kann. Bei alleiniger Kopfdurchströmung mit den in der TierschutzSchlachtverordnung vorgegebenen Mindeststromstärken und Stromflussdauern werden die Tiere nur betäubt und nicht getötet. Um den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft die Anwendung anderer Betäubungsverfahren untersagen, kann die sog. Elektrokurzzeitbetäubung (Mindeststromflusszeit 2 Sekunden, Verzicht auf elektrische Herzdurchströmung bei Rindern über 6 Monaten) verwendet werden. 3. Keine Unterschiede im Grad der Ausblutung zwischen unbetäubten und betäubten Tieren: Bislang konnten keine wissenschaftlichenUntersuchungen belegen, dass es zwischen betäubten und unbetäubten Tieren Unterschiede im Grad der Ausblutung der Muskulatur gibt. Der Blutgehalt der Muskulatur geschächteter und betäubter Rinder und Schafe unterschied sich nicht (1, 6, 15). Selbst bei nicht entbluteten, an einem Hinterbein aufgehängten Rindern konnte kein höherer Restblutgehalt der Hinterviertelmuskulatur festgestellt werden (10). Bei der Schlachtung wird zwar ein möglichst vollständiger Blutentzug angestrebt. Dennoch bleiben auch bei gut ausgebluteten Tieren stets über 40% des Gesamtblutvolumens im Schlachtkörper, insbesondere den Organen, zurück (4, 19). Ein Restblutgehalt der Muskulatur von 1-2 % ist als normal anzusehen (14, 18). Dies gilt auch für geschächtete Tiere. Fachliche Anforderungen an die Erteilung der Ausnahmegenehmigung: Mit dem Urteil BVerfG, 1 BvR 1783/99 vom 15.1.2002 wurde festgestellt, dass muslimischen Metzgern unter bestimmten Voraussetzungen das betäubungslose Schlachten wieder erlaubt werden kann. Das Verfassungsgericht unterstrich, dass die Genehmigung an Auflagen und Bedingungen zu knüpfen sei, die die Einhaltung von Vorschriften zum Schutz der Tiere vor der Schlachtung oder anderer Anforderungen, die nach deutschem Recht an derartige Schlachtstätten zu stellen seien, sicherstellen. Damit wurde gleichzeitig den überwachenden Behörden eine besondere Sorgfaltspflicht auferlegt. Sie müssen gewährleisten, dass das Schächten so tierschutzgerecht wie möglich durchgeführt wird, bevor sie eine Ausnahmegenehmigung erteilen. Dazu gehört: • Schonende Fixierung: Wie oben erwähnt, ist die Fixierung insbesondere beim Rind schwierig. Alternativen zum Weinbergschen Apparat, wie z.B. Nachbauten des ASPCARestrainers müssen daraufhin geprüft werden, dass sie die Tiere so wenig wie möglich belasten. Andere Arten der Fixierung wie beispielsweise das Verschnallen auf seitlich neigbaren Klauenschneidetischen sind ungeeignet für Färsen und Mastbullen, auch wenn sie für daran gewöhnte Milchkühe zur Klauenpflege eine Erleichterung darstellen. Aufgeregte Tiere dürfen nicht betäubungslos geschlachtet werden (10). • Optimaler Entbluteschnitt: Die Fixierung muß eine sichere Schnittführung (Strecken des Kopfes) ermöglichen, wobei gewährleistet sein muss, dass die Wunde während und nach dem Schnitt offen bleibt. Der Schnitt muß unmittelbar nach Abschluß der Ruhig- Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. 2 Seite 3 TVT stellung zügig und mit einem scharfen Messer (Länge: etwa doppelte Halsbreite) erfolgen. Die Arterien müssen sofort durchschnitten und dürfen dabei nicht gedehnt werden (9, 10). • Keine Manipulation des Tierkörpers, bevor die Gehirntätigkeit erloschen ist: Unbetäubten Tieren können erhebliche Schmerzen und Leiden zugefügt werden, wenn der Tierkörper vor dem Eintritt des Komas manipuliert wird (Positionsänderungen, Auswurf aus einer Fixierungseinrichtung, Anschlingen oder Hochziehen an einer Hintergliedmaße). Nach dem Entbluteschnitt müssen vor einer Positionsänderung oder jeglicher Manipulation am Tier daher mindestens 120 Sekunden (Rind) bzw. 60 Sekunden (Schaf und Ziege) abgewartet werden. Sind Manipulationen zum Offenhalten der Wunde erforderlich (Thrombenbildung bei Rindern) sind die Tiere unverzüglich zu betäuben. • Unverzügliche Betäubung fehlerhaft geschnittener Tiere: Wenn bereits während oder unmittelbar nach dem Schnitt abzusehen ist, dass das Tier nicht korrekt geschnitten wurde (insbesondere, wenn kein rascher Blutverlust erfolgt) oder von den Religionsangehörigen nicht verwertet wird, muß unmittelbar mit einem bereitliegenden Schußapparat nachgeschossen werden. • Sachkunde des Personals: Es sollte sehr genau überprüft werden, ob die von den Schlachtbetrieben benannten muslimischen Metzger über die nach § 4 TierSchlV geforderte Sachkunde verfügen. Der Sachkundenachweis für z.B. das Schlachten von Rindern nach Bolzenschussbetäubung beinhaltet nicht automatisch die Sachkunde für das betäubungslose Schlachten. Hierfür müssen Kenntnisse, insbesondere über die Dauer bis zum Verlust des Bewusstseins und die darauf einflussnehmenden Faktoren vorhanden sein. • Hygiene: Der Schächtschnitt ist aus hygienischen Gründen nur im Rahmen des von der zuständigen Behörde genehmigten rituellen Schlachtens akzeptabel, da hierbei kein Messerwechsel nach dem Hautschnitt erfolgen kann. Grundsätzlich sollten Fleisch und Fleischerzeugnisse von Tieren, die ohne Betäubung geschlachtet wurden, als solche gekennzeichnet werden. Die ständige Anwesenheit eines Tierarztes wird nachdrücklich empfohlen. Sowohl mit Angehörigen des jüdischen als auch des moslemischen Glaubens sollte eine intensive Diskussion über das Betäubungsgebot geführt werden, auch um Vorurteile abzubauen ! Literatur: 1) Anil, M.; Yesildere, T.; Aksu, H. Matur, E.; Mc Kinstry, J.; Erdogan, O.; Hugjes, S.; Mason, C. 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