Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg Institut für Geschichte – Abteilung für Neuste Geschichte „Die Weimarer Republik und die Sowjetunion 1918 – 1932“ Dr. Oleg Kashirskikh Würzburg, den 1. September 2005 Die deutsch-sowjetischen Verhandlungen am Vorabend der Genua-Konferenz (Dezember 1921 bis April 1922) – Motive und Taktik der deutschen Seite – Dennis Majewski stud. phil. Sanderstraße 10a 97070 Würzburg am Main 1. Fachsemester HF: Historische Hilfswissenschaften NF: Mittelalterliche Geschichte NF: Volkskunde angestrebter Abschluß: Magister I. – Inhaltsverzeichnis I. Inhaltsverzeichnis …1 II. Einleitung …2 III. Persönlichkeiten …3 IV. Deutsch-sowjetische Beziehungen 1918 – 1921 …5 V. Verhandlungen (Dez. 1921 – April 1922) …6 VI. Verhandlungen im Rahmen der Genua-Konferenz …9 VII. Motive und Taktik der deutschen Seite …11 VIII. Schluß …12 IX. Anhang …13 1 II. – Einleitung Diese Arbeit wird sich mit den Verhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion während des Zeitraumes von Dezember 1921 bis zum April 1922 beschäftigen. Dabei werden besonders die Motive und die Taktik der deutschen Seite näher beleuchtet. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf die Auswertung der Schriftstücke aus dem Auswärtigen Amt und der Reichskanzlei gelegt. Die Verhandlungen im Winter 1921/22 und im April 1922 die letztendlich in den Vertragabschluß von Rapallo am 16. April 1922 mündeten, waren für beide Seiten kein leichtes Unterfangen, denn sowohl in Deutschland, als auch in der Sowjetunion gab es Befürworter und Gegner der deutsch-sowjetischen Annäherung. Die, nicht nur für die Verhandlungen, wichtigsten Persönlichkeiten werden daher in einem gesonderten Teil dieser Arbeit kurz vorgestellt und ihre Rolle in der deutsch-sowjetischen Beziehung beleuchtet. Im zweiten Teil der Arbeit werden kurz die Ereignisse zwischen 1918 und 1921 skizziert. Der Abschluß des Friedens von Brest-Litowsk, der Vertrag von Versailles, die Ermordung des deutschen Botschafters in Rußland, Graf Mirbach, das deutsch-sowjetische Handelsabkommen vom 6. Mai 1921, sowie die innenpolitischen Vorgänge in der Sowjetunion beeinflußten die späteren Verhandlungen nicht unerheblich. Der zentrale Teil dieser Arbeit wird sich dann mit den Vorgängen zwischen Dezember 1921 und April 1922 beschäftigen, besonders mit den sowjetischen Besuchen in Berlin im Januar und im April 1922 durch Karl Radek, bzw. durch die sowjetische Genua-Delegation (u.a. Grigorij Wassiljewitsch Tschitscherin). Im Anschluß daran werden die deutsch-sowjetischen Verhandlungen während der Konferenz in Genua bis zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in Rapallo geschildert und ein kurzer Überblick über die Ereignisse nach dem Vertragsabschluß gegeben. Im letzten Teil der Arbeit werden dann noch einmal die Motive und das taktische Verhalten der deutschen Seite herausgestellt, sowie eine abschließende Beurteilung der Vorgänge getroffen. 2 III. – Persönlichkeiten Joseph Wirth1 Joseph Wirth wurde am 6. September 1879 in Freiburg im Breisgau geboren. Die politische Bühne betrat er 1911, als er für die Zentrumspartei in das Freiburger Stadtverordnetenkollegium gewählt wird und zwei Jahre später in den badischen Landtag einzieht. Im Jahre 1914 wurde Wirth Reichstagsabgeordneter des Zentrums. Unter den Reichskanzlern Hermann Müller und Konstantin Fehrenbach war er Finanzminister der Reichsregierung und bildete nach dem Rücktritt Fehrenbachs 1921 eine Koalition aus der Zentrumspartei, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Aus Protest gegen die Teilung Oberschlesiens trat er jedoch bereits im selben Jahr zurück, wurde aber erneut durch Reichspräsident Friedrich Ebert mit der Regierungsbildung beauftragt. 1929 übte er im zweiten Kabinett von Hermann Müller das Amt des Reichsministers für die Besetzten Gebiete, und im Kabinett Heinrich Brünings das Amt des Innenministers aus. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 emigrierte er ins europäische Ausland. Im Exil arbeitete er offen gegen die Nationalsozialisten und gründete nach dem Zweiten Weltkrieg die christlich-soziale Arbeiterpartei „Union der Mitte“ und setzte sich für ein friedliches Europa ein. Am 3. Januar 1956 starb Joseph Wirth in seiner Geburtsstadt Freiburg. Walter Rathenau2 Walter Rathenau wurde am 29. September 1867 in Berlin geboren und ist jüdischer Abstammung. Sein Vater gründete dir Deutsche Edison-Gesellschaft, die 1887 in Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) umbenannt wird. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges organisierte er als Leiter der Kriegsrohstoffabteilung im preußischen Kriegsministerium die deutsche Kriegswirtschaft. 1921 trat er als Wiederaufbauminister dem ersten Kabinett Joseph Wirths bei. Nach dessen Rücktritt im Herbst 1921 schied auch Rathenau aus der Regierung aus, wurde jedoch 1922 als offizieller Vertreter der deutschen Reichsregierung zur Konferenz von Cannes entsandt. Kurze Zeit später trat er als Außenminister dem zweiten Kabinett Wirths bei. Nur zwei Monate, nachdem er in Rapallo den Vertrag mit der Sowjetunion unterschrieben hatte, wurde er am 24. Juni 1922 durch Mitglieder der rechtsradikalen „Organisation Consul“ erschossen. 1 2 Quelle: Homepage des Deutschen Historischen Museums Berlin (www.dhm.de, Stand 27.08.2005) ebenda 3 Freiherr Adolf Georg von Maltzan Freiherr Adolf Georg von Maltzan (auch Ago von Maltzan genannt) wurde 1877 geboren und starb 1927 bei einem Flugzeugabsturz. Zimmermann bezeichnet ihn als einen „Mann von überragender Intelligenz und weitgespanntem geistigen Interesse“3. Er leitete seit 1922 die Ostabteilung im Auswärtigen Amt, nachdem er zuvor als Gesandter in Athen tätig war, und stieg 1924 zum Staatssekretär auf. Seit 1925 bekleidete er das Amt des deutschen Botschafter in Washington. Von Maltzan war ein inniger Befürworter einer rußlandfreundlichen Politik und versuchte eine einseitige Bindung an den Westen zu vermeiden4. Dies brachte ihn zeitweise in Opposition zu Walter Rathenau, doch konnte er sich demgegenüber größtenteils bei Reichskanzler Joseph Wirth durchsetzen. Karl Radek (geb. Karol Sobelsohn)5 Karl Radek wurde am 31. Oktober 1885 in Lemberg geboren. Radek war unter anderem in Deutschland (Sekretär im Exekutivkomitee der Kommintern), der Schweiz und in Polen politisch tätig und nahm als Delegierter bei den Friedensverhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion in BrestLitowsk teil. Als Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts war er ein wichtiger Verbindungsmann zwischen deutschen und russischen Kommunisten. Radek wurde jedoch aus der Partei ausgeschlossen und verbannt. Nach seiner Rückkehr arbeitete er als Journalist und wurde 1937 in einem Schauprozeß zur Zwangsarbeit verurteilt und vermutlich 1939 im Gulag ermordet. Grigorij Wassiljewitsch Tschitscherin (Георгий Васильевич Чичерин) Tschitscherin wurde am 24. November 1872 in Karaul geboren und starb am 7. Juli 1936 in Moskau. Nachdem er den russischen Sozialdemokraten beigetreten war, lebte er seit 1905 bis zur Oktoberrevolution 1917 im Exil. Im März 1918 trat Grigorij W. Tschitscherin die Nachfolge Leo Trotzkijs als Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten an. Dieses Amt bekleidete er bis 1930. Weitere „Akteure“ waren Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau, der als Botschafter in Moskau tätig war, sowie die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes wie beispielsweise Staatssekretär Dr. Edgar Haniel von Heimhausen, und Legationsrat Herbert Hauschild. 3 Zimmermann, Deutsche Außenpolitik in der Ära der Weimarer Republik (1958), S. 38 ders., S. 38 5 Quelle: Homepage des Deutschen Historischen Museums Berlin (www.dhm.de, Stand 27.08.2005) 4 4 IV. – Deutsch-sowjetische Beziehungen 1918 – 1921 Am 3. März 1918 erfolgte der Friede von Brest-Litowsk zwischen den Mittelmächten und der Sowjetunion. Hierbei mußte die Sowjetunion auf Livland, Kurland, Litauen, Estland und Polen verzichten und Finnlands und die Ukraine als selbstständige Staaten anerkennen. Ebenso mußten Reparationen6 geleistet werden und deutsche Truppen besetzen die von den Sowjets geräumten Gebiete. Die bolschewistische Regierung unterstütze die Revolution im Herbst 1918, da sie hoffte, daß dies der Beginn der langersehnten „Weltrevolution“ war. Nach der Novemberrevolution und der Gründung der Weimarer Republik, waren die diplomatischen Kontakte zur Sowjetunion bis auf weiteres abgebrochen. Jedoch beteiligte sich die Sowjetunion nicht an den Verhandlungen in Versailles. Anderle zitiert Lenin im Bezug auf den Frieden von Versailles, der „hundertmal erniedrigender, gewaltsamer und räuberischer [...] als unser7 sei“8 und Tschitscherin, beklagte am 17. Juni 1920 „daß Deutschland neben den herrschenden Mächten der Weltpolitik völlig in den Hintergrund tritt“9. Für die späteren Verhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion ist jedoch der Artikel 116 des Versailler Vertrages von großer Bedeutung. Demnach wurde der Sowjetunion zugestanden Reparationsforderungen an Deutschland zu richten10. Dieser Artikel wurde von russischer Seite später oft genutzt, Druck auf Deutschland auszuüben. Auch Frankreich versuchte mit diesem Artikel Deutschland gegen die Sowjetunion auszuspielen, um so die russischen Vorkriegsschulden zu begleichen. Die Durchsetzung des Artikels lag jedoch niemals im Interesse der Sowjetführung11. Unter diesen Vorzeichen kam es bereits am 6. Mai 1921 zum Abschluß eines deutschsowjetischen Handelsabkommens, dem „vorläufigen Abkommen“. Dieses Abkommen war rein wirtschaftlicher Natur und legte in erster Linie die Errichtung von Handelsvertretungen im jeweils anderen Land fest. De facto kam dieses Abkommen jedoch einer diplomatische Anerkennung der Sowjetunion gleich. 6 Hilgemann (Hg.), dtv-Atlas Weltgeschichte, Band 2 (1997), S. 409 gemeint ist der Friede von Brest-Litwosk 8 Anderle, Die deutsche Rapallo-Politik (1962), S. 19 9 Grieser, Die Sowjetpresse über Deutschland in Europa (1970), S. 16 10 Reichsgesetzblatt (1919), Gesetz über den Friedensschluß zwischen Deutschland und den alliierten und assoziierten Mächten vom 16.7.1919, S. 891f. 11 Grieser, S. 20f. 7 5 V. – Verhandlungen (Dezember 1921 – April 1922) Der folgende Teil der Arbeit wird sich hauptsächlich auf die direkten Verhandelungen zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion beziehen, beziehungsweise mit den Vorgängen im Auswärtigen Amt. Dabei wird die deutsche Politik gegenüber den Westmächten weitestgehend außen vor gelassen. In den „Richtlinien für die deutsche Wirtschaftspolitik gegenüber Rußland“ wies der Legationsrat Strube am 8. November 1921 darauf hin, daß „insbesondere Rußland nicht ohne Europa, Europa aber auch nicht ohne Rußland auskommen könne“12. Im Herbst 1921 kam es zu einigen Unstimmigkeiten zwischen Deutschland und Rußland, welche sich jedoch bereits im November legten. In dieser Zeit erfolgte eine Annäherung Rußlands mit der Entente. Freiherr von Maltzan mahnte trotz des „Tauwetter zur Eile“13 Am 12. Dezember 1921 kam es zu einem Treffen zwischen Walter Rathenau14 und einigen deutschen Diplomaten, darunter Freiherr von Maltzan und dem sowjetische Botschafter Nikolai Krestinski. Beide Seiten betonten die Notwendigkeit des Ausbaus der politischen Beziehungen. Diese Unterhaltung kann als erstes, vorsichtiges „abtasten“ der politischen Positionen gewertet werden. Es folgte am 17. Dezember 1921 ein Treffen zwischen Paul Scheffer und Karl Radek in Moskau. Scheffer beurteilte die russische Haltung: „Aus allem geht immer hervor, daß Deutschland als höchst erwünschte wirtschaftliche und politische Reserve gilt, auf die man sich immer wieder zurückgeworfen fühlt, [...]“15. Bei einem Treffen am 30. Dezember 1921 Treffen zwischen Legationssekretär Schmidt-Rolke und Karl Radek in Moskau, betonte Radek die französisch-russischen Gespräche. Er sah eine Gefahr in den Plänen Stinnes’. Schmidt-Rolke wies daraufhin, daß die Pläne nicht konform mit der Regierung liefen. Weiter erklärte er, daß man sich nicht mit dem Artikel 116 des 12 Bußmann / Thimme (Hg.), Akten zur deutschen auswärtigen Politik, Band V. (1987), S. 353 ebenda, S. 381 14 In einem Schreiben des Auswärtigen Amtes an den Legationssekretär Schmidt-Rolke in Moskau wird nur vom Herrn Reichsminister gesprochen. Obwohl Walter Rathenau erst am 01.02.1922 sein Amt als Außenminister antritt, ist davon auszugehen, daß es sich um ihn handelt, da er der Regierung in auswärtigen Fragen beratend zur Seite stand und in den Akten der Reichskanzlei ebenfalls als Minister geführt wird. Ebenda, S. 441 15 ebenda, S. 450 13 6 Versailler Vertrages erpressen lassen würde. Radek beklagte sich darüber, daß Rußland „nicht andauernd im Nebel herumtappen könne“. Auf Betreiben Lloyd Georges kam es in der Zeit vom 6. bis 14. Januar 1922 zur Konferenz in Cannes, die sich mit den Reparationen und dem Wiederaufbau der ost- und mittelosteuropäischen Gebiete befaßte. Hierbei bat das Deutsche Reich um Zahlungsaufschub. Die Konferenz kam jedoch zu keinem klaren Ergebnis. Die bereits positiv begonnenen Gespräche wurden durch die innerfranzösischen Konflikte überschattet. Der französische Ministerpräsident Aristide Briand wurde noch während der Konferenz durch den Hardliner Raymond Poincaré abgelöst. Die Konferenz in Cannes beschloß jedoch eine Weltwirtschaftskonferenz in Genua abzuhalten, zu der Deutschland und die Sowjetunion als gleichberechtigte Partner eingenladen werden sollten. Bereits am 17. Januar 1922 kam es zu einem Gespräch zwischen Freiherr von Maltzan und Römer16. Hierbei hob Radek die Annäherung zwischen Rußland und Frankreich hervor. Rußland wäre bereit in gewissem Umfang die Vorkriegsschulden anzuerkennen. Frankreich wolle diese durch Art. 116 VV durch Deutschland begleichen lassen. Von Maltzan wies diese Forderungen entschieden zurück. Deutschlang würde sich nicht auf eine derartige Ausdehnung einlassen17. Radek legte dar, daß die Regierung Rußlands der Auffassung sei, daß der Art. 116 „für einen gesunden und natürlichen Verkehr zwischen Rußland und Deutschland unhaltbar sei“18. Von Maltzan schätzte die Situation wie folgt ein: Wenn es zu einer Anwendung des Art. 116 kommen würde, würde dies die wirtschaftliche Trennung zwischen Rußland und Deutschland bedeuten und einer deutsch-englischen Annäherung dienlich sein. Tags darauf fand ein Treffen mit Reichskanzler Wirth statt. Rußland wollte eine Anwendung des Art. 116 nicht, da eine Ausnutzung „einen wirtschaftlichen und moralischen Keil in die deutsch-russischen Beziehungen“ bedeuten würde19. Weiterhin wünschte Rußland die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen. Außerdem verteidigte Wirt Rathenau gegenüber dem Vorwurf er wolle das Zwangssyndikats um jeden Preis. Eine Mitarbeit Deutschlands im Konsortium gäbe es nicht ohne russische Erlaubnis. 16 „Konstantin Römer“ war der Deckname Karl Radeks (vgl. Bußmann / Thimm, Bd. V., S. 501, Anm. 2; S. 502, Anm. 3) 17 Bußmann / Thimme, Bd. V., S. 502 18 ebenda 19 ebenda, S. 510 7 Bei einer Unterredung zwischen von Maltzan und Radek am 21. Januar1921 kam es zu einer Einigung über Art. 116. Rußland würde auf die Anwendung verzichtet, wenn Deutschland die Sowjetunion in Genua gegen das Zwangskonsortium unterstützen würde. Weiterhin wolle man gegenseitig auf die Entschädigung von Kriegskosten verzichten. Am 25. Januar 1922 fand eine Besprechung zwischen Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes, Vertretern der Sowjetunion und deutschen Industriellen, wie beispielsweise Deutsch, Rathenau20 und Stinnes. Radek legte anschaulich dar, daß Rußland auf die deutsche Wirtschaft angewiesen sei und gewillt wäre diese zu begünstigen. Auf der anderen Seite jedoch entschieden gegen die, auch von Teilen der deutschen Wirtschaft befürworteten Konsortiumspläne. Radek bat um eventuelle Warenlieferung im Falle eines Boykottes der Westmächte. Staatssekretär von Simson betonte, daß Deutschland keine Schritte ohne russische Einwilligung machen würde. Die russischen Forderungen nach einem deutschen Kredit versuchte Stinnes auszuschlagen, in dem er eine zu erwartende Haltung der Westmächte prophezeit: „Wenn ihr Rußland, ohne dazu verpflichtet zu sein, 300 Millionen gebt, was könnt ihr uns geben, denen gegenüber ihr schriftlich gebunden seid?“21 Ein erneutes Treffen fand am 30. Januar 1922 statt. Radek war wütend über die zögerliche und unkonkrete Haltung Deutschlands. Er wurde darauf hingewiesen, daß man von deutscher Seite aus bestrebt wäre zwei Verträge zu schließen: einen politischen und einen wirtschaftlichen, wobei letzterer mit den Wirtschaftsfunktionären zu verhandeln sei. Nach einem Treffen zwischen von Maltzan und Radek am 10. Februar 1992 reiste Radek, positiv gestimmt, wieder nach Moskau. Lediglich die Einigung mit der deutschen Wirtschaft stand noch aus. Nachdem am 1. Februar 1922 Rathenau wird zum deutschen Außenminister ernannt wurde, telegrafierte der deutsche Vertreter in Moskau, Wiedenfeld, daß Tschitscherin sich darüber empört hätte. Es gäbe Vorbehalte wegen seiner Konsortiumspolitik. Die Gefährdung der Beziehungen wurde von Wiedenfeld jedoch als unrichtig zurückgewiesen. 20 Rathenau wird als Vertreter der Industrie (AEG) genannt. Sein Amt als Außenminister tritt er erst am 1. Feb. 1922 an. 21 Bußmann / Thimme, Bd. V., S.532 8 VI. – Verhandlungen im Rahmen der Genua-Konferenz Die auf der Konferenz von Cannes beschlossene, aber zwischenzeitlich vertagte Weltwirtschaftskonferenz fand vom 10. April bis zum 19. Mai 1922 in Genua statt. Dabei wurde das Deutsche Reich (und die Sowjetunion) erstmals als gleichberechtigter Partner eingeladen. Welchen Wert das Deutsche Reich auf diese Konferenz legte zeigte sich unter anderem durch die Entsendung von nicht weniger als vier Reichsministern. Darunter der Reichskanzler und der Reichsaußenminister, sowie zahlreiche höhere Beamte (Freiherr von Maltzan). Am 2. April erreichte den deutschen Reichsaußenminister ein Mitteilung des vorläufigen Vertreters in Moskau, Wiedenfeld, daß die russische Delegation auf ihrem Weg nach Genua, nicht wie geplant einen Zwischenstop in Riga einzulegen würde, sondern auf direktem Wege in Berlin eintreffen würde. Wiedenfeld schrieb weiter, daß er die Situation so einschätze, daß die Sowjets Wert darauf legen würden in Genua „einigermaßen parallel mit Deutschland arbeiten zu können“22. Zeitgleich traf die russische Delegation in Berlin ein, und sprachen mit Freiherr von Maltzan. Dabei äußerten sie den Wunsch, sich bereits im Vorfeld der Genua-Konferenz zu einige, um dann in Genua eine gemeinsame Position zu vertreten23. Während dieses Gespräches und einer darauffolgenden Unterredung bei der auch Reichskanzler Wirth und Reichsaußenminister Rathenau anwesend waren, einigte man sich in den strittigen Fragen, daß Rußland auf Ansprüche aus dem Versailler Vertrag verzichten würde und Deutschland im Gegenzug auf Schadensersatz für die Sozialisierungsschäden, sofern auch anderen Nationen kein Ersatz geleistet werden würde24. Freiherr von Maltzan verzeichnete am 4. April 1922, daß die russische Delegation bereit gewesen sei bereits in Berlin, die getroffenen Absprachen vertragschriftlich zu fixieren25, während man von deutscher Seite aus lieber mit „vollkommen freien Händen“ nach Genua zu kommen26. Zu Beginn der Konferenz wurden die deutsch-sowjetischen Verhandlungen jedoch maßgeblich durch die Franzosen und Engländer beeinträchtigt, die versuchten, die beiden 22 Bußmann / Thimme, Bd. VI., S. 68 ebenda, S. 78 24 ebenda, S. 80 und Erdmann (Hg.), Akten der Reichskanzlei, Weimarer Republik – Die Kabinette Wirth I und II, Bd. 2 (1973), S. 683ff. 25 Bußmann / Thimme, Bd. VI., S. 84 26 ebenda, S. 124 23 9 Staaten gegeneinander auszuspielen. So fanden unter anderem am 13. April 1922 separate Verhandlungen zwischen den einladenden Mächten und Rußland, zu welchen die deutsche Delegation, auch auf Bitten, nicht zugelassen wurde27. Es kam jedoch zu vereinzelten Absprachen zwischen der deutschen und der russischen Delegation. Am 15. April 1922 vermehrten sich die Meldungen, daß es eine Einigung zwischen den einladenden Mächten und der Sowjetunion geben würde und die Verhandlungen kurz vor dem Abschluß ständen. Während die deutschen Delegierten bereits davon ausgehen mußten, daß eine deutsch-sowjetische Verständigung nicht mehr möglich sei, wurden sie jedoch in der Nacht zu erneuten Verhandlungen am nächsten Tag nach Rapallo eingeladen. Nach ca. sechseinhalb stündigen Verhandlungen unterzeichneten die Außenminister Rathenau und Tschitscherin die, mit geringfügigen Änderungen28 der, bereits in Berlin getroffenen Abmachungen im Vertrag von Rapallo. Noch am selben Abend wurden einige Vertreter der englischen Delegation über den Vertragsabschluß in Kenntnis gesetzt, welche sich nicht wesentlich überrascht darüber zeigten. Die Antwort der anderen Staaten blieb nicht lange aus. Bereits am 18. April 1922 wurde Reichskanzler Wirth ein Protestschreiben zugestellt in welchem England, Italien, Frankreich, Japan, Belgien, die Tschechoslowakei, Polen, Südslavien, Rumänien und Portugal die Rücknahme des Vertrages von Rapallo forderten29. Sowohl die Sowjetunion, als auch die Reichsregierung lehnten dies jedoch ab30. Damit war der Weg frei für die folgende deutsch-russische Zusammenarbeit. Es folgten die Abschlüsse des deutsch-sowjetischen Handelsvertrages vom 12. Oktober 1925 und des Berliner Vertrages vom 24. April 1926, sowie die militärische Zusammenarbeit bis ins Jahr 1926. Mit dem westlich orientierten Reichskanzler Gustav Stresemann wurden die Beziehungen zur Sowjetunion aber mehr und mehr zu Gunsten der Westmächte abgebaut. Auf militärischer Ebene wurde jedoch seit dem Spätsommer 1927 wieder verstärkt zusammengearbeitet, um so die Beschränkungen des Versailler Vertrages im Bezug auf die Reichswehr zu umgehen. 27 ebenda, S. 125f. vgl. Erdmann (Hg.), Bd 2., S. 716, Anm. 1 29 vgl. ebenda, S. 706, Anm. 3 30 Kabinettssitzung vom 18. und 20. April 1922 in Genua (vgl. ebenda, S. 712ff.) 28 10 VII. – Motive und Taktik der deutschen Seite Im wesentlichen kann man drei Phasen der deutsch-sowjetischen Verhandlungen in diesem Zeitraum unterscheiden. Zum einen die ersten politischen Kontaktaufnahmen zum Ende des Jahres 1921, zum zweiten die Verhandlungen, hauptsächlich zwischen von Maltzan und Radek, im Januar 1922 und dann die Gespräche zwischen dem deutschen Auswärtigen Amt und der russischen Genua-Delegation im April 1922. Die Motive und Taktiken von deutscher Seite in den Verhandlungen mit der Sowjetunion sind höchst unterschiedlich. Zum einen verfolgten Reichskanzler Wirth, Reichsaußenminister Rathenau und der im Auswärtigen Amt beschäftigte Freiherr von Maltzan unterschiedliche Ziele. Letztendlich war es aber von Maltzan, der sich mit seinen Vorstellungen durchsetzen konnte. Seinem Verhandlungsgeschick ist es im wesentlichen zu verdanken, daß der Vertrag von Rapallo zu Stande kam. Nachdem durch das vorläufige Handelsabkommen vom 6. Mai 1921 bereits die ersten Grundlagen für eine wirtschaftliche deutsch-russische Zusammenarbeit geschaffen worden waren, mußten dann die politischen Schritte folgen. Als Motiv für eine Lösung deutsch-sowjetischen Fragen ist in jedem Fall die Angst der Deutschen vor einem französisch-russischem Ausgleich zu Lasten des Reiches anzusehen. Das dieser Umstand von den Russen wiederholt ausgenutzt wurde zeigt dies deutlich31. Daneben gaben die Forderungen der deutschen Seite nach Schadensersatz für die Sozialisierungsschäden weiteren Anlaß für Verhandlungen mit der Sowjetunion. Während die Reichsregierung, im Gegensatz zu ihren Vorgängerregierungen, bestrebt war, den Versailler Vertrag nach Möglichkeiten zu erfüllen, mußte sich die Sowjetführung gegen die Konsortiumspolitik der Westmächte wehren. Hierbei geriet Rathenau zwischen die beiden Seiten. Zum einen den Ideen der Industriellen32 nicht abgeneigt, mußte er dennoch weiterhin die Gespräche mit Moskau suchen. Und so ist es wenig verwunderlich, daß die Ernennung Rathenaus zum Reichsaußenminister nicht auf die Gegenliebe der russischen Regierung stieß33. Letztendlich trug er jedoch die Politik Wirths (und von Maltzans) mit. 31 wobei mit dem Stand französisch-russischen Verhandlungen oft übertrieben wurde wie er selber einer war 33 vgl. Bußmann / Thimme, Bd. V., S. 581 32 11 VIII. – Schluß Abschließen kann man sagen, daß die deutsche Seite hin und hergerissen war, einerseits einen Ausweg aus der Isolation zu finden und andererseits die kommunistische Sowjetunion anzuerkennen. Die Hauptmotive der deutschen Seite, letztendlich doch in konkrete Verhandlungen zu treten waren die Angst vor einem französisch-russischem Bündnis, die Vermeidung der Anwendung des Art. 116 des Versailler Vertrages, sowie die Erschließung neuer Absatzmöglichkeiten für die deutsche Wirtschaft. Das die Verhandlungen, die ja letztendlich zum Vertragsabschluß führten, in einer für Deutschland günstigen Weise verliefen, liegt meiner Meinung nach im Wesentlichen an einer Person: Freiherr von Maltzan. Dieser ist es, der, als Leiter der Ostabteilung, nicht müde wird, seine eigenen Vorstellungen einer deutschen Ostpolitik durchzusetzen. Auch wenn er dabei nicht selten in einen Widerspruch zu Rathenau tritt, schaffte er es doch die Dinge in seinem Sinne zu beeinflussen. Die Verhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion sind meine Meinung nach sehr diplomatisch geführt worden. Auch wenn ab und an von beiden Seiten Drohungen ausgesprochen wurden, so denke ich, daß man sagen kann, daß beide Seiten stets das gemeinsame Ziel vor Augen hatten und kontinuierlich auf dessen Verwirklichung hinarbeiteten. Dies wird auch dadurch nicht getrübt, daß es in Genua fast zu einem englischrussischem Ausgleich gekommen wäre. Die Tatsache, daß es dazu nicht kam, sondern zum deutsch-sowjetischen Vertrag spricht für sich. 12 IX. – Anhang Literaturverzeichnis Anderle, Alfred: Die deutsche Rapallo-Politik – Deutsch-sowjetische Beziehungen 1922-1929, Berlin 1962 Bußmann, Walter / Thimme, Roland (Hg.): Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918 –1945, Band V., Göttingen 1987 Dies.n: Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918 –1945, Band VI., Göttingen 1988 Erdmann, Karl Dietrich (Hg.): Akten der Reichskanzlei, Weimarer Republik – Die Kabinette Wirth I und II, Band 1 & 2, Boppard am Rhein 1973 Eyck, Erich: Geschichte der Weimarer Republik, Band 1, Zürich 1957 Friedensburg, Ferdinand: Die Weimarer Republik, Hannover & Frankfurt/M. 1959 Grieser, Helmut: Die Sowjetpresse über Deutschland in Europa 1922-1932, Stuttgart 1970 Hilgemann, Werner (Hg.): dtv-Atlas Weltgeschichte – Band 2: Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart, München 1997 Linke, Horst: Deutsch-sowjetische Beziehungen bis Rapallo, Köln 1970 Longerich, Peter: Deutschland 1918 – 1933, Die Weimarer Republik, Hannover 1995 Ponomarev, Boris (Hg.): Geschichte der sowjetischen Außenpolitik, 1. Teil 1917-1945, Berlin 1969 Reichsgesetzblatt: Gesetz über den Friedensschluß zwischen Deutschland und den alliierten und assoziierten Mächten vom 16.7.1919, Berlin 1919 Rosenfeld, Günter: Sowjetrußland und Deutschland (1917 – 1922), Berlin 1960 Ders.: Sowjetunion und Deutschland (1922 – 1933), Köln 1984 Schieder, Theodor: Die Probleme des Rapallo-Vetrags. Eine Studie über die deutsch-russischen Beziehungen 1922-1926, Köln 1956 Schulze, Hagen: Kleine deutsche Geschichte, München 1996 Zimmermann, Ludwig: Deutsche Außenpolitik in der Ära der Weimarer Republik, Göttingen 1958 13