Schlesisches Tagebuch Aus „Schlesien heute“ Nr. 6/2007 von Alfred Theisen Anfang Mai verstarb Boris Jelzin, der von 1991 bis 1999 an der Spitze Rußlands stand. Sein Tod hat auch eine symbolische Bedeutung. Mit ihm wurden nur anderthalb Jahrzehnte nach dem Zerfall der Sowjetunion die Hoffnungen auf die Durchsetzung einer demokratischen Zivilgesellschaft in Rußland zu Grabe getragen. Jelzin wird als der russische Staatsmann in die Geschichte eingehen, der gegen die Widerstände alter Sowjetstrukturen sein Land aus der totalitären Sowjetunion in eine kurze Blütezeit demokratischer Entwicklungen führte, aber letztens Endes dabei scheiterte, in Rußland eine das Land nach innen und außen befriedende freiheitlich-republikanische Grundordnung einzuführen. So bleibt er vielen Russen weniger als Freiheitsheld in Erinnerung sondern als Verantwortlicher für Chaos, Armut und Raubkapitalismus in den 1990er Jahren. Sein Nachfolger Wladimir Putin hat seit seinem Machtantritt 1999 mit dem Rückenwind sprudelnder Öl- und Erdgasmilliarden systematisch durch die Revitalisierung sowjetischer Machtstrukturen und Traditionen wieder "Ordnung" geschaffen. Innen- und außenpolitisch wird das heutige Russland mit seinem militärischen Säbelrasseln und der gewaltsamen Unterdrückung unabhängiger Medien, Organisationen und Parteien der offensichtlich noch nicht ganz untergegangenen Sowjetunion immer ähnlicher. Erste Oppositionelle sterben durch Giftmorde oder verschwinden wieder in sibirischen Lagern und die Welt schaut zu. Wie unvorbereitet und naiv maßgebliche westliche Politiker auf diese Verhärtung Rußlands reagierten, wird an der tragischen Rolle des deutschen Altbundeskanzlers Gerhard Schröder deutlich, der als gut bezahlter Lobbyist für Putins Gasprom tätig ist. Ein Fall der Mauer und eine freie Ukraine wären mit dem heutigen Rußland wohl nicht mehr möglich. Aus dem Osten weht wieder ein eisiger Wind, der die Beziehungen zu den USA und der EU erfrieren und vor allem in den ehemals von der Sowjetunion unterdrückten östlichen Nachbarstaaten Deutschlands alte Ängste wieder aufkommen läßt. Bitter nehmen die Opfer stalinistischer Gewalt dabei zur Kenntnis, daß Rußland anders als Deutschland zu keiner selbstkritischen Vergangenheitsbewältigung fähig ist, von Wiedergutmachung für sowjetimperialistisches Unrecht - wie sie von den Deutschen mit Blick auf die Nazis seit über sechs Jahrzehnten in einzigartiger Weise geleistet wird, ganz zu schweigen. Stattdessen zeigen die Diskussionen um sowjetische Ehrenmäler zum Beispiel in Polen und Lettland wie stark das alte Denken die heutige russische Politik wieder beeinflußt. So unterstreichen führende russische Politiker wie Außenminister Lawrow in öffentlichen Erklärungen den Stellenwert von Denkmälern und Soldatenehrenmalen aus der Sowjetzeit. Das Andenken an den Sieg der Sowjetarmee dauere an. Dieses Andenken sei für Rußland "heilig", heißt es da. Warschauer Pläne, stalinistische Monumente - ein solches "ziert" zum Beispiel nach wie vor die riesige Freilichtbühne auf dem St. Annaberg (Siehe Seite 8) - im heutigen Polen zu entfernen, werden aus Moskau als "politisches Rowdytum" gebrandmarkt. Präsident Putin plant sogar ein Gesetz zum Schutz derartiger sowjetischer Monumente im Ausland. Mehr als in Deutschland und Frankreich weiß man jedoch in Polen und der Ukraine, daß 1945 keine russischen Befreier nach Görlitz, Breslau, Lemberg und Warschau kamen, sondern die furchterregenden Repräsentanten des anderen totalitären Imperiums, das durch den teuflischen Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 die vierte Teilung Polens besiegelt und damit den Weg für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges frei gemacht hatte. Zwei Wochen nachdem Hitler von Westen in Polen einmarschierte, kamen Stalins Truppen von Osten und Millionen Polen und Balten wurden damals schon Opfer sowjetischer Erschießungen und Deportationen. Die Ermordung von 15.000 polnischen Offizieren 1941 im Wald von Katyn geschah nicht durch die Nazis, wie die kommunistische Propaganda über Jahrzehnte behauptete, sondern durch jene Sowjetarmee, die nach dem Willen Moskaus heute noch durch Denkmäler in Polen und anderen Opferstaaten des russischen Imperialismus geehrt werden soll. Jeder Pole weiß, daß diese Sowjetarmee 1944 der Niederschlagung des verzweifelten polnischen Widerstandes und der barbarischen Zerstörung Warschaus durch die Nazis absichtlich tatenlos zugesehen hat. Und nach 1945 waren es die Bajonette jener Sowjetarmee, die in Deutschland der Gruppe Ulbricht und in Polen dem Lubliner Komitee blutig die Machtbasis sicherten, um hier für Jahrzehnte neue sowjetische Vasallenregime zu installieren und die möglicher Freiheit und Selbstbestimmung in Berlin und Warschau, wie auch in Prag und Budapest ein Ende setzten. Die Achtung und Ehrung von gefallenen Soldaten, egal welcher Nation sie angehören - ob Deutsche, Polen oder Russen - sollte die Völker verbinden, auch um die gemeinsame Verantwortung für Frieden und Freiheit zu betonen. Dieses notwendige und ehrenvolle Andenken darf jedoch nicht mit der Verherrlichung und der Symbolik totalitärer Systeme, ob brauner oder roter Färbung, verbunden werden. Dem heutigen Rußland darf die sachliche Diskussion über den verbrecherischen Charakter der Sowjetunion nicht erspart bleiben. Polen und Balten sollten bei dieser für die Zukunft ganz Europas wichtigen und notwendigen Diskussion mit den russischen Nachbarn nicht alleine gelassen werden.