Hydrothermalquellen und der Ursprung des Lebens

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DOI:10.1002/biuz.200910391
Alles hat einen Anfang, auch die Evolution:
Hydrothermalquellen
und der Ursprung des Lebens
W ILLIAM M ARTIN
An Tiefsee-Hydrothermalquellen gedeihen ganze Ökosysteme in völliger Finsternis. Am Anfang ihrer Nahrungskette
steht nicht die Sonne, sondern chemische Energieträger wie
molekularer Wasserstoff, die aus dem Erdinneren strömen.
Seit ihrer Entdeckung vor 30 Jahren werden Hydrothermalquellen im Zusammenhang mit dem Ursprung des Lebens
diskutiert, weil die Erde dort chemische Energie spendet.
Die chemischen Bedingungen dort sind also für die Umwandlung von CO2 in organische Substanzen – die Bausteine
des Lebens – förderlich. Stand eine solche Chemie auch am
Anfang des Lebens?
as Leben ist aus unbelebter Materie entstanden.
Wissenschaftliche Theorien für den Ursprung des
Lebens müssen daher tragbare und überprüfbare Hypothesen unterbreiten, woher die reduzierten Kohlenstoffverbindungen stammen, aus denen sich das Leben
entwickelte,aber auch woher die erforderliche Energie
dafür stammte. Beim Thema „Ursprung des Lebens“
denken die meisten Menschen sofort an eine Art „Ursuppe“. Heute ist der Begriff „Ursuppentheorie“ genau
soweit verbreitet wie Darwins Evolutionstheorie. Aber
es gibt einen entscheidenden Unterschied: Während
die Evolutionstheorie nach 150 Jahren in allen wesentlichen Aspekten richtig ist, ist die Ursuppentheorie
nach circa 80 Jahren in allen wesentlichen Aspekten
überholt.
D
Weder Ursuppe noch Gärung
standen am Anfang
Die Vorstellung, das Leben sei aus einer präbiotischen
Ursuppe entstanden, welche die Ur-Erde bedeckte,
geht etwa auf die Zeit nach der Oktoberrevolution und
den russischen Chemiker A. Oparin sowie den britischen Evolutionsbiologen J. B. S. Haldane zurück. Im
Wesentlichen besagt die Ursuppentheorie, dass auf der
frühen Erde durch die Einwirkung von UV-Strahlung
auf CO2, Ammoniak und Wasser die ersten organischen
Verbindungen entstanden. Mangels Lebewesen, die
diese organischen Moleküle als Nahrung hätten ab166
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bauen können, reicherten sie sich zu einem ozeanischen Gemisch mit der Konzentration einer dünnen
Brühe an. In dieser entstanden dann die ersten Makromoleküle, später dann die ersten Zellen, die mittels Fermentation das Gemisch verzehrten. Als die Ursuppe
weg war, wurde die Photosynthese gefordert, und so
hat alles angefangen [5].
Mit einem sehr berühmten Experiment zu diesem
Thema im Jahre 1953 zeigte Stanley Miller [15], dass
aus einem Gemisch von Methan, Ammoniak und Wasserstoff (so hat man sich damals die Uratmosphäre vorgestellt) unter simulierter Blitzeinwirkung einfache organische Moleküle, aber auch wichtige Grundbausteine des Lebens entstehen können. So hat er u.a.
Blausäure (HCN), Aldehyde, einfache Aminosäuren, Öl
und Teer unter den Reaktionsprodukten gefunden. Spätere Versuche dieser Art führten zur Synthese von weiteren Aminosäuren und Nukleinsäure-Bausteinen wie
Adenin und Guanin.
Dass Millers erster Versuch zur Synthese einer Ursuppe im Labor prompt gelang, war sensationell. Aber
damit diese Bausteine zur weiteren Kondensation und
Polymerisierung in Richtung biologische Makromoleküle weiterreagieren, war ein Mechanismus erforderlich, womit sie einkonzentriert werden könnten. Man
dachte an austrocknende Gezeitenzonen, Adsorption
an Tonerden, die Konzentration im Eis, riesige Ölteppiche, usw. So hat sich im Laufe der Zeit eine Vorstellung
verbreitet, wonach die Oparin-Haldane Ursuppentheorie anhand von Miller’s Versuch grundsätzlich richtig
sei, lediglich bei den Details gebe es Erklärungsbedarf.
Haldanes achtseitiger Aufsatz [5] ist sehr empfehlenswert und bleibt eine Glanzleistung der logischen
Ableitung. Bedingt durch den damaligen Stand des Wissens waren jedoch einige seiner Prämissen unwahr.
Aus heutiger Sicht gibt es ein unüberwindliches
Problem mit der Ursuppentheorie, das man in einem
Gedankenexperiment verdeutlichen kann: Wir nehmen eine Dose voller Ursuppe. Dienlich dabei wäre
eine Hühnerbrühe, kräftige Gulaschsuppe oder besser
noch eine Lösung aus frisch homogenisierten Bakterien, deren Zellstruktur komplett zerlegt wurde (darin
befinden sich alle chemischen Bausteine,aus denen das
Leben besteht). Wir verschließen die Dosen steril. Wir
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A B B . 1 Ein schwarzer Raucher. Dieser Schlot mit dem Namen „Sully“ liegt im Main Endeavour Field, Endeavour Segment, Juan de Fuca
Ridge. Sully liegt bei einer Tiefe von ca. 2200 m. Im Main Endeavour Field sind über 100 aktive Schlote bekannt, teilweise umgeben von Sulfidablagerungen, die einen Durchmesser von 50 m haben und circa 20 m hoch sind. Zum Zeitpunkt dieser Aufnahme (2005) war das austretende
Wasser von Sully ca. 360° C heiß und er war Heimat für eine dichte Kolonie von Röhrenwürmern, die ca. 1–1,5 cm im Durchmesser groß sind.
Sully war nicht immer so dicht bewachsen. Im Jahre 1999–2000, kurz nach einem Magma-Ausbruch, war Sully gänzlich unbewachsen und
führte noch heißeres Wasser. Bild und Informationen zu Sully: J. Delaney und D. Kelley, University of Washington.
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stellen die Dosen bei beliebiger Temperatur hin und
warten beliebig lang.Wir entnehmen in Abständen Proben, um zu sehen, ob darin neues Leben entstanden ist.
Es ist aus heutiger Sicht intuitiv verständlich, dass sich
in diesen Dosen voller perfekter Ursuppe unter gar keinen Umständen neues Leben bilden wird. Schwieriger
wird es jedoch mit der Frage, warum dort kein neues
Leben entsteht. Der Grund ist, dass sich der Kohlenstoff, der Stickstoff, der Sauerstoff und der Wasserstoff,
aus denen unsere Ursuppe besteht, im chemischen
Gleichgewicht befinden; d.h., der chemische Inhalt dieser Dosen voller Ursuppe hat schon reagiert, er hat
kein chemisches Potenzial um weiterzureagieren, weil
er sich im – oder sehr nah am – Gleichgewicht befindet.
Lebende Systeme befinden sich stets weit ab vom
Gleichgewicht. Alle Lebensformen müssen sich ständig
ernähren, ihren Stoffwechsel „anfeuern“, um ihre bioenergetische Hauptreaktion aufrecht zu erhalten, und
sich somit vom chemischen Gleichgewicht fernzuhalten. Man kann die Dosen auch gerne mit Blitzeinschlag
behandeln, um etwas gegen den Gleichgewichtszustand zu unternehmen, aber die Situation bessert sich
nicht: bei Blitzeinwirkung erhöht sich die Temperatur
des Doseninhalts binnen Bruchteilen einer Sekunde
auf Temperaturen, die Sand zu Glas verschmelzen lassen, und die organischen Substanzen verwandeln sich
dabei nicht in Leben, sondern in CO2.
Das Leben ist eine chemische Reaktion, eine überaus komplizierte, aber letztendlich eine chemische Reaktion, bei der Energie stufenweise frei wird. Bei allen
Lebensformen gibt es eine zentrale Hauptreaktion im
Stoffwechsel, aus der die Energie für das Leben gewonnen wird.Beim Menschen ist die Hauptreaktion die Verbrennung von Zuckern in unseren Mitochondrien, den
Kraftwerken unserer Zellen. Bei allen Lebensformen,
ohne Ausnahme, gibt es eine solche Hauptreaktion, die
als energetische Triebfeder für alle anderen Lebensvorgänge dient. Bei Pflanzen ist es die Photosynthese, die
Nutzung der Sonnenenergie für die Bildung von Zuckern aus CO2. Bei der Gärung von fermentierenden
Zellen, wie Hefe, ist die Hauptreaktion die Zerlegung
von Zucker in CO2 und Ethanol – eine Disproportionierungs-Reaktion, wobei der Kohlenstoff im Zucker in
einen höheren und einen niedrigeren Oxidationszustand versetzt wird. Bei der Gärung wird auch Energie
frei (die Sonnenenergie, die im Zucker gespeichert
ist). Meistens ist es so, dass aus der physiologischen
Hauptreaktion zugleich die wichtigsten Grundbausteine für Biosynthesen im Stoffwechsel bereitgestellt
werden.
Auch die Vorstellung, dass die Gärung die ursprünglichste Form der Energiegewinnung war,ist heute noch
sehr weit verbreitet. Aber genau wie die Ursuppentheorie ist auch diese Vorstellung untauglich. Warum?
Wenn man Gärung als energetische Urreaktion am Anfang des Lebens diskutiert, so muss man auch fragen
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„Und woher kam der Zucker?“ – und auf diese Frage
gibt es keine befriedigende Antwort.
Die Geologen, die sich heute mit der Ur-Erde befassen, sagen uns, dass die Meere anfangs (vor circa vier
Milliarden Jahren) etwa 10 km tief waren, es gab gar
keine Landmasse, wo sich ein „warmer Tümpel“ wie
es Darwin einst formulierte, hätte bilden können, es
gab ständig Kometen- und Meteoriten-Einschläge und
es gab keinen Sauerstoff zum Atmen [18]. Die Ur-Erde
war aus unserer heutigen Sicht ein sehr unangenehmer
Ort, ganz ungeeignet für das Leben, so wie wir es in unserer alltäglichen Erfahrung kennen. Der springende
Punkt dabei ist „unsere alltägliche Erfahrung“, weil es
durchaus viele heutige Lebensformen gibt, die sich auf
einer solchen Ur-Erde rundum wohl gefühlt hätten,und
sie hätten sogar ein sprudelndes Überangebot an Nährstoffen gehabt, weil ihre Nährstoffe sehr einfache chemische Verbindungen sind: H2 und CO2, die es auf der
Ur-Erde nach dem heutigem Stand des Wissens reichlich gab [18]. Sie heißen Chemolithoautotrophe.
Sowohl bei den Archaebakterien als auch bei den
Eubakterien gibt es solche Organismen, die bei ihrer
Hauptreaktion während der Energiegewinnung H2 und
CO2 als Substrat benutzen. Methanogene (Archaebakterien) bilden daraus Methan [21], Acetogene (Eubakterien) bilden daraus Essigsäure [20]. Weder Methanogene noch Acetogene sind Fermentierer. Stattdessen
benutzen sie einen fast universellen Mechanismus der
Energiegewinnung, die Chemiosmose: Darunter versteht man den Aufbau und die Nutzung von Ionen-Gradienten zur Gewinnung chemisch nutzbarer Energie in
der Form von ATP.
Chemiosmose
Heute ist die universelle Währung chemischer Energie
unter allen Lebensformen Adenosintriphosphat (ATP).
Es gibt nur zwei Grundmechanismen zur Synthese von
ATP zwecks Gewinnung (genauer gesagt,Speicherung)
von chemischer Energie zur Deckung des zellulären
Energiehaushalts: Substratstufenphosphorylierung und
Chemiosmose.
Unter Substratstufenphosphorylierung versteht
man die direkte enzymatische Phosphorylierung von
ADP durch die Überführung eines energiereichen Substrats in ein energieärmeres Reaktionsprodukt. Ein Teil
der freiwerdenden Energie aus der Reaktion bleibt in
der chemisch nutzbaren Währung von ATP gespeichert. Das klassische Beispiel für Substratstufenphosphorylierung findet man in der Glykolyse: In mehreren
enzymatischen Schritten wird bei diesem wichtigsten
Abbauweg der Kohlenhydrate ein „aktivierter“ Phosphatrest auf ADP übertragen, um ATP zu bilden, und
3-Phospho-D-Glycerat wird freigesetzt.
Es gibt viele enzymatische Variationen der Substratstufenphosphorylierung, aber das Prinzip bleibt gleich:
die in einer energiereichen Bindung eines Substratmo© 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
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leküls vorhandene chemische Energie wird durch ein
Enzym direkt genutzt, um ATP als Endprodukt der katalysierten Reaktion zu bilden.
Der andere Mechanismus zur Konservierung von
Energie in der Form von ATP heißt Chemiosmose, so
benannt in 1961 durch seinen Entdecker Peter Mitchell
[16]. Unter Chemisomose versteht man den Aufbau eines Gradienten von Protonen (oder auch anderer Ionen, beispielsweise Na+) über die Cytoplasma-Membran, und die Nutzung der in jenem Gradienten gespeicherten Energie zur Phosphorylierung von ADP zu ATP.
Der Protonengradient kann entweder mit Hilfe des
Lichts (Phototrophie) oder durch die Kopplung von einer Elektronenübertragung vom Donor zum Akzeptor
(eine Redox-Reaktion, Chemotrophie) mit dem Pumpen von Protonen erfolgen.
Bei der Redox-Reaktion werden Elektronen von einem Elektronen-Donor zu einem Elektronen-Akzeptor
meist über einige Stationen geleitet. Dies geschieht mit
der Hilfe von Membranproteinen, indem Protonen aus
dem Inneren der Zelle hinaus gepumpt werden; der
Elektronentransport und das Pumpen von Protonen
sind gekoppelt. Der so aufgebaute Gradient stellt eine
Ladungstrennung und zugleich potenzielle Energie dar,
der vom Prinzip her genau so genutzt wird, wie das
Wasser in einem Staudamm. Wie das Wasser in einem
Staudamm talabwärts abfließen „will“, so „wollen“ die
aufgestauten Protonen zurück in das Cytoplasma fließen. Der Wiedereintritt der Protonen in die Zelle erfolgt nicht wahllos,sondern durch ganz bestimmte Proteine, ATP-Synthasen oder Kopplungsfaktoren genannt,
die erstaunlich ähnlich wie die Turbinen in einem Wasserkraftwerk arbeiten. Der Flux von wiedereintretenden Protonen bringt das Herzstück der ATP-Synthase
zum Rotieren (wörtlich,es dreht sich wie das Blattwerk
einer Turbine). Diese Rotationsenergie wird auf einen
anderen Bestandteil der ATP-Synthase übertragen, der
die energiereiche Bindung zwischen ADP und Phosphat knüpft, um das ATP zu bilden.
Bei Fermentierern ist die Substratstufenphosphorylierung der einzige Weg zur Synthese von ATP. Obwohl
die Fermentation als Weg der Energiegewinnung allgemein besser bekannt ist, vermutlich weil sehr viel einfacher zu erklären,ist sie eigentlich eher die Ausnahme,
wenn man das volle Spektrum der bekannten Organismen betrachtet. Betrachtet man alle Lebewesen, ist
Chemiosmose die Norm. Und weil alle Fermentierer
letztendlich von Primärproduzenten wie Pflanzen,
Algen oder CO2-fixierenden Prokaryoten abhängig
sind, die letztendlich alle Substrate zur Fermentation
liefern, können die ersten Organismen eigentlich kaum
Fermentierer gewesen sein. Anders ausgedrückt: die
Fermentierer können erst dann entstanden sein, als Autotrophe bereits etwas zu fermentieren gebildet haben,
und alle Autotrophe nutzen das Prinzip der Chemiosmose.Was sind die Alternativen?
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Zwei Typen von Hydrothermalquellen
Hydrothermalquellen bieten in vielerlei Hinsicht eine
konzeptionelle Alternative zur Ursuppe. Sie katalysieren sogar chemische Reaktionen, die auffällige Ähnlichkeiten mit den bioenergetischen Hauptreaktionen
mancher Mikrooganismen zeigen. Die zuerst entdeckten Hydrothermalquellen wurden als „schwarze Raucher“ bezeichnet. Sie beherbergten hochdiversifizierte
Ökosysteme,deren Energiequelle größtenteils vom Vulkanismus am Meeresboden stammt. Ihre Schlote führten 360° C heißes Wasser und ihre Sulfid-Schornsteine
boten das Bild eines Urhabitats auf der frühen Erde, mit
reaktiven Gasen, gelösten Übergangsmetallen und thermischen sowie chemischen Gradienten. Bald nach ihrer Entdeckung wurden sie vom amerikanischen Biologen John Baross konkret in Zusammenhang mit dem
Ursprung des Lebens diskutiert [4], weil diese Systeme
geochemisch äußerst reaktive Bedingungen bieten,
eine wichtige Voraussetzung für präbiotische Synthesen.
Anhänger der Ursuppentheorie blieben aber extrem skeptisch, dass Hydrothermalsysteme für den Ursprung des Lebens überhaupt relevant sein könnten
[3]. Immerhin ist das Wasser an der Austrittstelle von
schwarzen Rauchern bis zu 400° C heiß, während der
Temperaturrekord für mikrobielles Wachstum „nur“
bei 121° C liegt.Erst im Jahre 2000 wurde von Deborah
Kelley und ihren Kollegen jedoch ein völlig neuer Typ
von Tiefsee-Hydrothermalquellen entdeckt, dessen austretendes Wasser eine Temperatur um die 40° C bis
90° C besaß [9].Der erste Vertreter dieser Klasse wurde
„Lost City“ genannt. Systeme wie Lost City haben sehr
günstige Eigenschaften, wenn es um den Ursprung des
Lebens geht. Die Hydrothermalsysteme vom Typ
schwarzer Raucher (Abbildung 1) und vom Typ Lost
City (Abbildung 2) sind geochemisch sehr verschieden,
wie der nachfolgende Kurzvergleich zeigt.
Schwarze Raucher
Die bisher bekannten schwarzen Raucher (engl: black
smokers), liegen in der Regel direkt über den Spreizungszonen am mittelozeanischen Rücken. Dort, wo
die Kontinente auseinanderdriften, sitzt circa 1–3 km
unterhalb des Meeresbodens eine Magmakammer. Die
Schlote der schwarzen Raucher führen extrem heißes
(bis zu ~400° C), chemisch modifiziertes Meerwasser,
das durch die Erdkruste zirkuliert [1]. Durch Risse im
Meeresboden in der Nähe der Spreizungszone fließt
kaltes Meerwasser kilometerweit in die Kruste hinab,
wo es in unmittelbare Nähe der Magmakammer (circa
800–1200° C) gelangt. Das erhitzte Wasser steigt dann
in einem Konvektionsstrom auf und tritt am schwarzen
Raucher wieder ins Meer ein. Das austretende Wasser
an schwarzen Rauchern ist typischerweise sehr sauer
(pH 2–3) und führt große Mengen gelöster Metallionen wie Fe(II) and Mn(II) sowie Wasserstoff (H2: 0.1–
50 mmol·kg–1) mit.
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Das Hydrothermalwasser fließt in unmittelbarer Nähe
der Magmakammer, daher sind hohe Konzentrationen
von Kohlendioxid (CO2: 4–215 mmol·kg–1) und Schwefelwasserstoff (H2S: 3–110 mmol·kg–1) üblich. Unterschiedliche Mengen an Methan (CH4: 0,05–4.5
mmol·kg–1) noch ungeklärten Ursprungs wird auch im
Wasser von schwarzen Rauchern gefunden. Die gelösten Gase (H2, CO2, H2S) bilden die Lebensgrundlage
von mikrobiellen Gemeinschaften, die am Anfang der
Nahrungskette der Ökosysteme bei schwarzen Rauchern stehen [10]. Man kennt auch fossile schwarze
Raucher, die bis zu 3,2 Milliarden Jahre alt sind.
steigende Meerwasser auf etwa 150–200° C erhitzt,
beim Wiedereintritt ins Meer beträgt seine Temperatur
etwa 40–90° C. Ein weiterer wichtiger Unterschied ist,
dass das Hydrothermalwasser bei Lost City durch Gestein fließt, das sehr viel Mg2+ und Fe2+ und sehr wenig
Kieselsäure enthält. Die Folge ist, dass das austretende
Wasser bei Lost City sehr alkalisch ist (pH 9–11). Auf
den alkalischen pH-Wert kommen wir am Ende dieses
Beitrags zurück. Im Gegensatz zu den schwarzen Rauchern, die eher kurzlebig sind, ist Lost City seit circa
100.000 Jahren aktiv. Das Austrittswasser bei Lost City
enthält sehr viel H2, CH4, sowie andere kurzkettige (bis
C5) Kohlenwasserstoffe,aber so gut wie kein CO2 [17].
Lost City
Ein sehr wichtiger Unterschied zwischen dem Lost
City-System und den schwarzen Rauchern ist, dass Lost
City einige Kilometer von der Spreizungszone entfernt
liegt – mit der Folge, dass das Hydrothermalwasser
zwar auch kilometertief durch die Kruste in einem
Konvektionsstrom zirkuliert, aber nicht in Kontakt mit
einer Magmakammer gerät. In der Kruste wird das ab-
Serpentinisierung
Die Frage nach der Herkunft von Methan, Wasserstoff
und den kurzen Kohlenwasserstoffen im austretenden
Hydrothermalwasser von Lost City führt uns direkt zu
einem überaus wichtigen und interessanten, aber bei
Biologen (noch) kaum bekannten Prozess, der für den
Ursprung des Lebens hochrelevant sein könnte:die Ser-
A B B . 2 Das Bild zeigt die Spitze eines der Schlote bei Lost City, aufgenommen mit dem Tiefsee-Tauchboot „Alvin“ im
Jahr 2003. Die fingerähnlichen Carbonat-Ablagerungen sind Heimat für dichtbewachsene Kolonien von Eubakterien und
Lost City-Methanosarcinales. Der Schlot befindet sich auf der Ostseite von Lost City bei einer Wassertiefe von ca. 750 m.
Der Roboterarm von Alvin ist links im Bild zu sehen. Bild und Informationen: D. Kelley, University of Washington.
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pentinisierung. Serpentinisierung ist eine geochemische Reaktionensabfolge in der Erdkruste, die durch
Hydrothermalsysteme in Gang gesetzt wird [2].
Benannt wird der Prozess nach dem Mineral Serpentinit (Mg2.85Fe0.15Si2O5(OH)4), das dabei gebildet
wird. Fasst man das Geschehen auf das Wesentliche
zusammen, wird ein Teil des Fe2+ im Olivin
(Mg1.8Fe0.2SiO4) durch Wasser zu Fe3+ oxidiert, das dabei zum Bestandteil vom Magnetit (Fe3O4) wird.Ein Teil
des Sauerstoffs im Wasser bleibt im Gestein als Eisenoxid zurück, und die vom Fe2+ spendierten Elektronen
verlassen das Gestein als H2. Das Entscheidende dabei
ist die Freisetzung von H2, der mit dem Hydrothermalwasser an die Oberfläche davongetragen wird [1]. Im
Zusammenhang mit dem Ursprung des Lebens ist die
H2-Bildung der Serpentinisierung deshalb so wichtig,
weil H2 für viele Mikroben, insbesondere für Chemolithoautotrophe, eine lebenswichtige Form von chemischer Energie ist. Serpentinisierung findet auch in den
Hydrothermalsystemen unter schwarzen Rauchern
statt, aber unser Fokus bleibt bei Lost City, weil diese alkalisch und nicht zu heiß sind.
Man geht davon aus, dass die Serpentinisierung genau so alt ist, wie die Ozeane auf der Erde selbst [19].
Anders ausgedrückt, Hydrothermalsysteme vom Lost
City-Typ hat es schon immer auf der Erde gegeben. Die
globale Dimension von Serpentinisierung ist beachtlich. Ein Kubikmeter Olivin liefert im Laufe der Serpentinisierung etwa 500 Mol H2.Der Löwenanteil der ozeanischen Erdkruste besteht aus Olivin und ähnlichen Mineralien, die zur Serpentinisierung beitragen können.
Man schätzt, dass das Volumen der Ozeane etwa alle
100.000 Jahre durch Hydrothermalsysteme fließt, und
dass die massenhaften Reserven an Fe2+ in der Erde,die
für die Serpentinisierung zur Verfügung stehen, mehr
oder weniger unerschöpflich sind [19].
Vor kurzem haben Deborah Kelley und ihre Mitarbeiter mittels Isotopenuntersuchungen gezeigt, dass
das Methan im Wasser von Lost City nicht biologischen
Ursprungs, sondern geochemischen Ursprungs ist, woraus zu schließen ist, dass das Methan aus der Serpentinisierung stammt [17].
Die geologische Methanbildung bei Lost City und
die biologische Methanbildung von Archaebakterien
laufen im Wesentlichen gemäß der gleichen Gesamtreaktion ab, lediglich die chemischen Zwischenverbindungen sind verschieden (Abbildung 3). Aber während
bei der geologischen Methanbildung die freie Enthalpie der Reaktion zur Gänze als Wärme frei wird, wird
bei der biologischen Methanbildung ein Teil der Energie zwischenzeitlich als ATP konserviert. Möglicherweise liefert die geologische Methanbildung bei Lost
City wichtige Hinweise auf den Übergang von geochemischen Prozessen zu biochemischer Evolution beim
Ursprung des Lebens. Der aus Serpentinisierung stammende H2 reduziert CO2 kontinuierlich und in einer
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geologisch stabilen Umgebung [17], was grundlegend
neue Perspektiven in der Frage nach der Herkunft organischer Verbindungen am Anfang des Lebens eröffnet.
Hydrothermalquellen und die Chemie
ursprünglicher Lebensformen
Die CO2-Fixierung steht am Anfang aller Ökosysteme:
das Leben besteht aus reduzierten Kohlenstoffverbindungen, die alle letztendlich aus CO2 stammen. Heute
gibt es nur zwei Gruppen von Organismen, die CO2 in
den globalen biologischen Kohlenstoff-Kreislauf hineinbringen: Photoautotrophe und Chemoautotrophe.
Erstere nutzen die Energie des Sonnenlichts, um CO2
zu fixieren. Letztere nutzen rein chemische Energie,
beispielsweise in der Form von H2, der als zentraler
Elektronen-Donor im Stoffwechsel vieler Prokaryoten
dient.Wenn wir Gärungen am Anfang des Lebens ausschließen können, formulieren wir die Frage lieber so:
Welcher ist unter den heutigen Stoffwechselwegen zur
CO2-Fixierung der Ursprünglichste?
Es gibt nur fünf bekannte Stoffwechselwege der
CO2-Fixierung. Darunter ist der Acetyl-CoA-Weg, auch
Wood-Ljungdahl-Weg genannt, der einzige Weg der
CO2-Fixierung, bei dem Zellen Energie in der Form von
ATP gewinnen; bei allen anderen Wegen der CO2-Fixierung müssen Zellen Energie investieren. Abbildung 3
zeigt diesen Weg in vereinfachter Darstellung. Eine
wichtige Rolle spielt dabei das interessante, bifunktionelle Enzym Kohlenmonoxid Dehydrogenase/AcetylCoA-Synthase (CODH/ACS). Wichtige Unterstützung
für die These, dass der Acetyl-CoA-Weg ein sehr primitiver Stoffwechselweg ist, kommt aus dem chemischen
Labor. Einige der wesentlichen Grundreaktionen des
Acetyl-CoA-Weges laufen im Reagenzglas ohne Enzyme
ab [6, 7]. Solche Versuche zeigen, dass unter chemischen Bedingungen, wie sie an manchen Hydrothermalquellen existieren, Reaktionen, wie sie im AcetylCoA-Weg ablaufen, grundsätzlich möglich sind. Man
darf jedoch nicht darüber hinwegsehen, dass zwischen
solchen einfachen chemischen Reaktionen in Hydrothermalquellen und der Vorstellung einer „RNA-Welt“
[8], d.h. einer Synthese und Polymerisierung der
Grundbausteine der Nukleinsäuren zu selbstreplizierenden und katalytisch aktiven Molekülen, noch eine
große Lücke klafft. Aber auch für die Synthese der Bausteine in einer RNA-Welt waren Energie und eine chemisch reaktive Umgebung erforderlich. In Hydrothermalquellen, wo H2 aus der Serpentinisierung und CO2
im Meer aufeinandertreffen, wäre für das energetische
Problem prinzipiell eine Lösung in Sicht.
Hydrothermalquellen und Chemiosmose
Der dienstälteste Verfechter der These, dass das Leben
an Hydrothermalquellen entstand, der Geochemiker
Michael J. Russell, hat stets betont, dass auf der Urerde
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ABB. 3
a)
b)
Acetogenese
Methanogenese
+H2
+MF
+3.5
–MF
+H4MPT
Formyl-H4F
CODH/ACS
+6
CO2
Methenyl-H4F
+H2
+H2
–H2O
–23
Acetat
–H4F
*
+H2O
–HSCoA
+SCoA–
–Ni[E]
CH3CO~SCoA
+3.5
CO
+H2O
–16.4
Ameisensäure
+H2
–H2O
+32.5
–4.2
Formaldehyd
Methenyl-H4MPT
+H2
–10
+H2
–53.8
Methylene-H4MPT
+H2
CH3CO–Ni
+20
–3.5
–H2O
+Ni[E]
–41
Methyl-H4F
+H2
Formyl-H4MPT
+20
CO
Methylene-H4F
+H2
+16
Formyl-MF
+22.5
–H2O
CO2
CO2
Ameisensäure
+H4F
Ohne Kofaktoren
+H2, –H2O
CO2
+H2
c)
Methanol
–14
Methyl-H4MPT
–H4MPT
+H2
*
+H2
–H2O
–112.6
–115
Methan
Methan
Biosynthesen
Bei Acetogenen und Methanogenen ist der Vorgang der CO2-Fixierung über den Acetyl-CoA-Weg direkt mit dem
Energiestoffwechsel (Netto-ATP-Synthese) verbunden. Bei Acetogenen wird im Zuge der Zuführung von Elektronen
aus H2 zur Methylgruppe ein chemiosmotisches Potential (Ionengradienten) aufgebaut. Bei Methanogenen wird das
chemiosmotische Potenzial dadurch aufgebaut, dass ein Teil der gebildeten Methylgruppen zur Methanbildung herangezogen wird. Bei beiden Gruppen wird das chemiosmotische Potenzial durch eine ATP-Synthase genutzt. Bei
beiden Gruppen werden Acetyl-CoA und ATP aus der CO2-Fixierung gewonnen. Des geht deshalb, weil die bei der
CO2-Reduktion freiwerdende Energie an die Erzeugung von chemiosmotischem Potenzial gekoppelt wird. Aus Acetyl-CoA können Acetogene, aber auch Vertreter der Methanogene etwas ATP bilden (aber keine Netto ATP-Synthese
für das Wachstum betreiben), und zwar über ein energiereiches Intermediat, das gemischte Anhydrid Acetylphosphat, das aus der einfachen Phosphorolyse der Thioesters hervorgeht. Wenn mittels einer ähnlichen Chemie Acetylthioester an einer Hydrothermalquelle längst vergangener Zeiten hätten gebildet werden können, so könnte folglich Acetylphosphat als der chemische Vorläufer von ATP als universelle Energie-Währung gedient haben [13]. Acetylphosphat ist chemisch sehr viel einfacher als ATP und kann noch besser als ATP andere Moleküle phosphorylieren.
a) CO2-Fixierung bei Acetogene (für Details siehe [12, 20]). b) CO2-Fixierung bei Methanogene (für Details siehe [12,
21]). c) Die chemischen Zwischenstufen auf dem Wege der nichtenzymatischen CO2-Reduktion zu Methan, das bei
Lost City gebildet wird [17]. Die Zahlen neben den Reaktionspfeilen geben die Änderungen (ca.) der freien Enthalpie,
ΔG 0’, unter physiologischen Bedingungen (25° C und pH 7) in kJ · mol–1an. Das gestrichelte Oval weist auf das Enzym
bifunktionelle Kohlenmonoxid Dehydrogenase/ Acetyl-CoA-Synthase (CODH/ACS) hin, das bei Methanogenen und
Acetogenen konserviert ist. H4F, Tetrahydrofolsäure; MF, Methanofuran; H4MPT, Tetrahydromethanopterin; Ni[E],
ein Fe-Ni-S Cluster im CODH/ACS; HSCoA, Coenzym-A. Ein Asterisk (*) neben der Konversion von Methyl-H4MPT zu
Methan zeigt an, dass einige der an diesem Geschehen beteiligten enzymatischen Schritte hier nicht gezeigt sind
(siehe [12, 21]), das Gleiche gilt für die Konversion von Acetyl-CoA zu Acetat bei Acetogenen (siehe [12, 20]). Für
Acetogene und Methanogene ist das Reaktionsgeschehen, das zur Netto-ATP-Gewinnung beiträgt, zusammengefasst; graue Pfeile bedeuten, dass ein Teil des C-Fluxes zur Deckung des zellulären Bedarfs an reduziertem Kohlenstoff „abgezweigt“ wird.
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HYDROTHERMALQUELLEN
milde, alkalische Hydrothermalquellen vom Lost CityTyp besonders reich an FeS und NiS als anorganische
Katalysatoren gewesen sein mussten. Das ist deshalb
der Fall, weil theoretisch das austretende Wasser an solchen Quellen sehr viel H2S aus der Kruste hätte führen
müssen, während das Meer sehr große Mengen an gelöstem Fe2+ (neben etwas Ni2+) enthielt. Am Schlot bilden sich daher FeS und NiS-Niederschläge – genau
dort,wo H2 aus der Serpentinisierung und CO2 im Meer
aufeinandertreffen, um ihrer natürlichen Neigung zur
chemischen Reaktion nachzugehen.
Das sind sehr gute Voraussetzungen für Reaktionen.
Aber was nutzen Reaktionen, wenn alle Reaktionsprodukte ins Meer diffundieren? Fossile Hydrothermalquellen, aus FeS bestehend, zeigen beeindruckende
Labyrinthe von Mikrokompartimenten in der Größenordnung von 1–100 µm [13]; solche natürlich entstehenden Mikrokompartimente könnten durchaus als
Konzentrierungsmechanismus gedient haben.Lost City
bildet auch solche Mikrokompartimente, wenngleich
der Schlot aus Karbonatgestein statt FeS besteht [11].
Durch geochemisch entstehende Mikrokompartimente
könnten Reaktionsprodukte an einer urzeitlichen Hydrothermalquelle am Ort ihrer Synthese von der Diffusion zurückgehalten werden und Konzentrationen erreichen, die für weitere Reaktionen und letztendlich
für Polymerisierung erforderlich wären.
Bis auf die reinen Fermentierer nutzen alle Zellen
die Chemiosmose zur Netto-ATP-Synthese. Die reinen
Fermentierer sind aber aus chemiosmotisch lebenden
Zellen hervorgegangen, weil erstere ohne letztere, welche die fermentierbaren Substrate bereitstellen, nicht
hätten entstehen können. Demnach waren auch die
ersten freilebenden Zellen zur Chemiosmose fähig.
Aber die chemiosmotische ATP-Bildung besteht stets
aus zwei Komponenten: einem Mechanismus zum
Pumpen von Protonen,und einer ATP-Synthase,die den
Gradienten in chemische Energie umwandelt. Aus evolutionärer Sicht ist dies ein gewaltiges Hühnchen-oderEi Problem, da die eine Komponente ohne die andere
nichts nützt – es sei denn, das Leben ist an einem alkalischen Hydrothermalsystem entstanden, weil dort der
Protonengradient geochemisch umsonst geliefert wird
[13, 18]. Wie das? Bei einer alkalischen Hydrothermalquelle (pH 9–10, wie Lost City) ist ein natürlicher Protonengradient vorhanden. Heute hat Meerwasser ein
pH von circa 8.1, der pH im Urmeer lag aufgrund der
damals höheren CO2 Konzentrationen eher bei circa
pH 6–7, [18]. Zwischen dem austretenden Hydrothermalwasser und dem Meereswasser lag also ein auf geochemischen Wege entstandenes chemiosmotisches Potenzial vor, das in der gleichen Größenordnung liegt,
wie das der heutigen Zellen (etwa 3 pH Einheiten).
Es kann daher sein, dass die Vorstufen der freilebenden Zellen dieses geochemisch gebildete chemiosmotische Potential zuerst mit Hilfe einer primitiven ATP© 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
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Synthase lange Zeit genutzt haben, bevor sie die sehr
viel komplizierteren Mechanismen erfunden haben,die
zur Erzeugung eines eigenen Protonengradienten erforderlich sind. Die ATP-Synthasen bei allen Organismen,auch Acetogenen und Methanogenen,ähneln sich
im Aufbau und Struktur stark, d.h. sie haben einen gemeinsamen Vorfahren.Dagegen haben die Proteine und
Kofaktoren, mit denen moderne Zellen ihre Protonengradienten aufbauen, eine schwindelerregende Vielfalt.
Die Universalität der Nutzung von Protonengradienten mittels ATP-Synthasen stimmt mit der Vorstellung gut überein, dass zuerst ein geochemischer Protonengradient am Anfang vorhanden war und genutzt
wurde. Aber der letzte und entscheidende Schritt – der
Übergang zur freilebenden Zelle – setzte voraus, dass
die Reduktion von CO2 mit Elektronen aus H2 mit dem
Aufbau eines eigenständigen, selbst erzeugten Protonengradienten gekoppelt wurde. Diejenigen Urzellen,
die das geschafft haben,konnten ihrem geochemischen
Brutkasten entkommen, und der Zugang zur Evolution
als freilebende Zellen wäre geschafft gewesen. Demnach wären die ersten Lebewesen hinsichtlich Größe
und Form von modernen Prokaryoten kaum verschieden und ihrem biochemischen Wesen nach den acetogenen Eubakterien und den methanogenen Archaebakterien ähnlich gewesen [13].
Zusammenfassung
An Tiefsee-Hydrothermalquellen gedeihen ganze Ökosysteme in völliger Finsternis. Am Anfang ihrer Nahrungskette
steht nicht die Sonne, sondern chemische Energieträger wie
molekularer Wasserstoff, die aus dem Erdinneren strömen.
Seit ihrer Entdeckung vor 30 Jahren werden Hydrothermalquellen im Zusammenhang mit dem Ursprung des Lebens
diskutiert, weil die Erde dort chemische Energie spendet.
Manche Hydrothermalquellen bilden sogar heute noch Methan aus CO2 auf rein geochemischem Wege. Die chemischen Bedingungen dort sind also für die Umwandlung von
CO2 in organische Substanzen – die Bausteine des Lebens –
förderlich.
Summary
Deep sea hydrothermal vents harbour rich ecological communities that thrive independent of sunlight. The energy
underpinning such communities is of chemical nature, of
particular importance is molecular hydrogen in the hydrothermal vent effluent. Since their discovery 30 years ago, hydrothermal vents have come to bear heavily on thinking
about the origin of life. Some contemporary hydrothermal
vents even generate methane through geochemical means.
The chemical environments at hydrothermal vents are conducive to the conversion of CO2 into reduced organic compounds and the building blocks of life.
Schlagworte
Tiefsee-Hydrothermalquellen, Ursprung des Lebens
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Der Autor
William Martin, Jahrgang 1957, studierte Biologie
an der Texas A&M Universität und an der Technischen Universität Hannover. Er promovierte 1989
am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in
Köln, forschte anschließend als Postdoktorand an
der Technischen Universität Braunschweig auf dem
Gebiet der molekularen Evolution und ist seit 1999
Professor der Botanik an der Universität Düsseldorf. Seine Forschungsinteressen sind Endosymbiose, mikrobielle Evolution und frühe Evolution.
Korrespondenz:
Prof. Dr. William Martin
Institut für Botanik III
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Universitätsstraße 1
40225 Düsseldorf
Email: [email protected]
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