Ungewöhnliche Darstellung der progressiven multifokalen Leukenzephalopathie als kontrastmittelanreichernde Läsion Einleitung Fallbeschreibung ! ! Die PML (progressive multifokale Leukenzephalopathie) ist eine seltene opportunistische Virusinfektion, die durch multiple disseminierte Entmarkungsherde der weißen Hirnsubstanz, insbesondere der im subkortikalen Marklager gelegenen U-Fasern, charakterisiert ist. Nach Kontrastmittelgabe lässt sich in der Regel keine Kontrastmittelaufnahme darstellen. Wir möchten hier den seltenen Fall einer kontrastmittelaufnehmenden intrakraniellen Läsion vorstellen, welche histologisch als PML klassifiziert wurde. Eine 66-jährige Patientin stellte sich in der internistischen Rettungsstelle in schlechtem Allgemeinzustand und mit einer seit 2 Wochen progredienten Dysarthrie sowie einer Dystonie mit Innenrotation der linken Hand vor. In der klinischen Untersuchung zeigte sich zusätzlich eine Dysmetrie und Dysdiadochokinese der oberen und unteren Extremitäten linksseitig und eine Hypästhesie des linken Beines. Als bekannte Vorerkrankungen gab die Patientin eine seit 5 Jahren bekannte chronisch lymphatische Leukämie (CLL) an, die mit Chlorambucil therapiert wurde. Aufgrund der aktuellen Beschwerdesymptomatik wurde uns die Patientin zur kraniellen MRT vorgestellt. Hier zeigte sich rechts-hemispäriell in der T 2-Wichtung eine flächige vom subkortikalen Marklager des Gyrus postcentralis und Gyrus Abb. 1 In der nativen T 2-gewichteten axialen Aufnahme in frFSE-Technik stellt sich die Läsion hyperintens dar. Während der Kortex ausgespart bleibt, ist das subkortikale Marklager mitbetroffen. Weitere kleinere hyperintense Läsionen kommen beidseits in der weißen Hirnsubstanz zur Darstellung. Schreiter NF et al. Ungewöhnliche Darstellung der… Fortschr Röntgenstr 2009; 181: 1005 – 1007 ∙ DOI 10.1055/s-0028-1109438 1005 Heruntergeladen von: Werner Wuensche. Urheberrechtlich geschützt. Der interessante Fall Der interessante Fall Abb. 2 In der nativen T 1-gewichteten axialen Aufnahme in SE-Technik stellt sich die Läsion hypointens dar mit Schwerpunkt im periventrikulären Marklager. Abb. 4 Die nach Kontrastmittelgabe angefertigte T 1-gewichtete sagittale Aufnahme in SETechnik verdeutlicht die randständige Kontrastmittelaufnahme und zeigt einen allenfalls minimalen raumfordernden Effekt auf den Seitenventrikel. T 2-Wichtung hyperintense Läsionen. Unter der Verdachtsdiagnose einer malignen zerebralen Raumforderung wurde zur diagnostischen Eingrenzung eine stereotaktische Biopsie vorgenommen. Die histologische Untersuchung des Biopsats ergab den eindeutigen Befund einer PML. Eine zusätzlich durchgeführte Lumbalpunktion schloss maligne Zellen im Liquor aus. Aufgrund ihrer immunsuppresiven Wirkung wurde die bisher durchgeführte Therapie der CLL mit Chlorambucil eingestellt. Nach einem Monat kam es bei der Patientin zu einer deutlichen klinischen Verschlechterung. In der MRT-Verlaufskontrolle zeigte sich ein ausgedehnter Progress der PML. Abb. 3 Nach Gabe von Gadolinium zeigt sich in der T 1-gewichteten axialen Aufnahme in SETechnik eine flaue Kontrastmittelanreicherung. supramarginalis über das periventrikuläre Marklager bis in die hinteren Anteile des Truncus Corpus Callosum reichen▶ Abb. 1). Die Läside Signalalteration (● on imponiert in der T 1-Wichtung ▶ Abb. 2) mit Schwerpunkt hypointens (● im periventrikulären Marklager, der sich nach Gadoliniumgabe mit einer flauen randständig zirkulären Kontrastmittelan▶ Abb. 3). Die reicherung abzeichnete (● Läsion zeigte einen allenfalls geringen raumfordernden Effekt auf den rechten ▶ Abb. 4). Zusätzlich Seitenventrikels (● fanden sich periventrikulär beidseits multiple sowie zerebellär zwei in der T 1-Wichtung hypointense und in der Diskussion ! Die Erstbeschreibung der PML geht auf Aström et al. im Jahre 1958 zurück (Aström K et al., Brain 1958; 81: 93 – 111). Mit dem JC-Virus, das zur Gruppe der Papova Viren gehört, wurde 1971 der Verursacher der Erkrankung entdeckt, wobei sich der Name des Virus von den Initialen des Patienten ableitet, bei dem erstmals die Isolierung des Virus gelang. Man geht davon aus, dass die PML durch eine Reaktivierung einer Infektion der Oligodendrozyten mit dem JC-Virus bei Patienten mit immunsupprimiertem Status verursacht wird. Das Virus ist allgegenwärtig und kommt bei zirka 80% der menschlichen Population als latente Infektion vor, ohne dass klinische Zeichen der Erkrankung auftreten (Lanfermann H et al., Fortschr Röntgenstr 1994; 161: 38 – 43). Vor allem bei immunsupprimier- ten Patienten kann das Virus als opportunistische Infektion in Form einer PML klinisch in Erscheinung treten. Die Inzidenz dieser Erkrankung stieg infolge der zunehmenden Verwendung von immunsupprimierenden Medikamenten bei Autoimmunerkrankungen und organtransplantierten Patienten sowie vor allem mit dem Auftreten von AIDS (Cid J et al., Ann Hematol 2000; 79: 392 – 395). Eine weitere wichtige betroffene Patientengruppe stellen Patienten mit Lymphomen oder, wie in unserem Fall, Patienten mit einer CLL dar. In dieser Gruppe wurde die PML vor Auftreten der weltweiten AIDS-Epidemie am häufigsten beschrieben. Die Prognose der PML ist schlecht. Als Zeitspanne zwischen Erstdiagnose und letalem Ausgang geben Lanfermann et al. 6 Monate an (Lanfermann H et al., Fortschr Röntgenstr 1994; 161: 38 – 43). In der Computertomografie (CT) lässt sich die PML mit multiplen asymmetrischen hypodensen Arealen in der weißen Hirnsubstanz darstellen. Die MRT ist allerdings die sensitivere Methode, um eine PML zu diagnostizieren (Lanfermann H et al., Fortschr Röntgenstr 1994; 161: 38 – 43). In der MRT stellen sich die demyelinisierten Areale der weißen Hirnsubstanz in den T 1-gewichteten Sequenzen hypointens und in den T 2gewichteten Sequenzen hyperintens dar. Charakteristikum der PML in der MRT sind subkortikale Marklagerläsionen ohne Schrankenstörung (Grönewäller et al., Klin Neuroradiol 2001; 11: 212 – 215) Häufig werden Marklagerläsionen in parietookzipitalen Hirnarealen beschrieben (Newton H et al., J Neuroimag; 5: 125 – 128). Als seltenere Lokalisationsorte kommen Thalamus, Basalganglien sowie das Kleinhirn vor (Lanfermann H et al., Fortschr Röntgenstr 1994; 161: 38 – 43). Auch atypische Darstellungen der PML mit Involvierung des Kortex, raumforderndem Effekt, über das Corpus Callosum reichendem Ödem und hämorrhagischen Foki kommen in der Literatur vor (Newton H et al., J Neuroimag; 5: 125 – 128). Für die PML-Bildgebung ist die diffusionsgewichtete-MRT (DW) eine neue hilfreiche Methode, bei der eine verringerte Protonendiffusion kennzeichnend für einen rapiden Progress ist (Küker W et al., European Journal of Neurology 2006; 13: 819 – 826). Nur wenige Kasuistiken beschreiben in MRT-Aufnahmen eine Gadoliniumanreicherung von PML-Läsionen. Die Gadoliniumanreicherung wird insbesondere in Schreiter NF et al. Ungewöhnliche Darstellung der… Fortschr Röntgenstr 2009; 181: 1005 – 1007 ∙ DOI 10.1055/s-0028-1109438 Heruntergeladen von: Werner Wuensche. Urheberrechtlich geschützt. 1006 der Peripherie der Läsion nachvollzogen (Whiteman ML et al., Radiology 1993; 187: 233 – 240). Der Grund dieser seltenen Kontrastmittelanreicherung ist nicht geklärt. Es wurde von einigen Autoren postuliert, dass eine lokale perivaskuläre Entzündungsreaktion mit einer Kontrastmittelaufnahme der Läsion in der CT und der MRT einhergeht. Ein deutlich herabgesetzter Immunstatus, wie bei PML Patienten, könnte erklären, dass bei der Mehrzahl der histologischen Untersuchungen eine perivaskuläre Entzündungsreaktion ausbleibt und es somit auch nur in seltenen Fällen zu einer Kontrastmittelanreicherung kommt (Woo H et al., Neurosurgery 1996; 39: 1031 – 1035). In einer Studie von Whiteman et al. mit 47 AIDS-Patienten und PML-Symptomatik wird ein Zusammenhang zwischen perivaskulärer Entzündungsreaktion und Kontrastmittelaufnahme allerdings verneint (Whiteman ML et al., Radiology 1993; 187: 233 – 240). Uneinigkeit herrscht auch darüber, ob eine Kontrastmittelanreicherung mit einer verlängerten (durch zugrunde liegenden besseren Immunstatus des Patienten) oder einer verkürzten Überlebenszeit korreliert (Woo H et al., Neurosurgery 1996; 39: 1031 – 1035). In der Literatur wird über einen Fall berichtet, bei dem es durch eine PMLLäsion zu einem raumfordernden Effekt mit Komprimierung des IV. Ventrikels kam (Woo H et al., Neurosurgery 1996; 39: 1031 – 1035). Der raumfordernde Effekt stellte sich allerdings im publizierten Bildmaterial wie auch in unserem Fall nur minimal dar. Wichtige Differenzialdiagnosen der PML in der MRT sind die AIDS-Enzephalopathie, die akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) und das primär zerebrale Lymphom. Die AIDS-Enzephalopathie zeigt in der MRT flaue Marklagerveränderung ohne Schrankenstörung ähnlich der PML, befällt allerdings in der Regel nicht die subkortikalen U-Fasern (Grönewäller et al., Klin Neuroradiol 2001; 11: 212 – 215). Das primär zerebrale Lymphom stellt sich in der MRT mit unscharf fleckigen Läsionen dar, die hyperintens in der T 2-Wichtung und isointens in der T 1-Wichtung imponieren. Als wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur PML kommt es gewöhnlich zu einer homogenen Gadoliniumanreicherung, die in seltenen Fällen allerdings völlig fehlen kann. Die ADEM zeigt sich in der MRT häufig mit multiplen T 2-signalintensen Läsionen im subkortikalen Marklager, die allerdings im Unterschied zur PML oft den Kortex mit einbeziehen. Bildmorphologisch kann die Differenzierung zwischen den möglichen Differenzialdiagnosen sehr schwierig sein. Ist eine Sicherung der Diagnose durch den neuroradiologischen Befund, die klinische Konstellation und den Nachweis des JC-Virus mittels PCR aus dem Liquor cerebrospinalis nicht möglich, so verbleibt die zerebrale Biopsie. N. F. Schreiter, C. Grieser, R. J. Schröder, Berlin Majeed A et al. Akute abszedierende Mediastinitis… Fortschr Röntgenstr 2009; 181: 1007 – 1008 ∙ DOI 10.1055/s-0028-1109552 1007 Heruntergeladen von: Werner Wuensche. Urheberrechtlich geschützt. Der interessante Fall