ZEREMONIELL UND RAUM 4. Symposium der Residenzen- Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen veranstaltet gemeinsam mit dem Deutschen Historischen Institut Paris und dem Historischen Institut der Universität Potsdam Potsdam, 25. bis 27. September 1994 Herausgegeben von Werner Paravicini Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1997 Rangdenken und Rangstreit im Mittelalter VON KARL-HEINZ SPIESS In allen hierarchisch strukturierten Gesellschaften spielt das Rangdenken eine überaus wichtige Rolle 1. Diese Aussage trifft besonders für das Mittelalter zu, das nicht nur im kirchlichen und weltlichen Bereich eine hierarchische Abstufung als Grundlage der Gesellschaftsordnung betrachtete und theologisch rechtfertigtet, sondern sogar für den himmlischen Engelsstaat eine feste Rangordnung postulierte.'. Wir dürfen somit für jede soziale Gemeinschaft des Mittelalters eine spezifische Regelung der Rangverhältnisse voraussetzen, ob es sich nun um einen Mönchskonvent, ein städtisches Gremium, einen Fürstenhof oder den Königshof handelte. Diese Rangordnungen sind allerdings für uns heute in vielen Bereichen nur grob zu fassen, da sie im Mittelalter selten schriftlich fixiert wurden, sondern sich vielmehr in der Beachtung bestimmter Konventionen und Verhaltensformen konkretisierten". Dank entsprechender Rangkennzeichen, wie etwa Titel, Ämter, Kleidung, Sprache oder Umgangsformen, wußte der mittelalterliche Mensch recht genau seine eigene Rangstufe oder die 1 Vg!. allgemein Adalbert ERLER,Art. ,.Vorrang, Vortritte, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 5, 37. Lieferung, Berlin 1994,Sp. 1058-1061. 2 Vg!. Luise MANZ,Der Ordo-Gedanke. Ein Beitrag zur Frage des mittelalterlichen Ständegedankens (VSWG, Beiheft 33), Stuttgart 1937, S. 37ff.; Wilhelm SCHWER,Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters. Die geistes- und gesellschaftsgeschichtlichen Grundlagen der berufsständischen Idee (Görres-Gesellschaft, Veröffentlichungen der Sektion für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 7), Paderborn 21952,S. 32ff.; D. E. LUSCOMBE, Conceptions of Hierarchy before the Thirteenth Century, in: Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters, 1. Halbbd. (Miscellanea Medievalia 12/1), hg. Albert ZIMMERMANN, Berlin/New York 1979, S. 1-19; Otto Gerhard OEXLE, Tria genera hominum. Zur Geschichte eines Deutungsschemas der sozialen Wirklichkeit in Antike und Mittelalter, in: Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Festschrift für Josef Fleckenstein zu seinem 65. Geburtstag, hg. Lutz FENsKElWernerRössxen/Thomas ZOTZ,Sigmaringen 1984, S. 483-500; Heinrich FICHTENAU, Lebensordnungen des 10.Jahrhunderts (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 30), Stuttgart 1984, zitiert nach der Taschenbuchausgabe München 1992;Georges DUBY,Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus, Frankfurt a. M. 1986. 3 Hierzu Peter DINZELBACHER, Klassen und Hierarchien im Jenseits, in: ZIMMERMANN 1979 (wie Anm. 2), S. 20-40. 4 Vgl, hierzu Gerd ALTHoFF,Demonstration und Inszenierung. Spielregeln der Kommunikation in mittelalterlicher Offentlichkeit, in: Frühmittelalterliche Studien 27 (1993), S. 27-50, hier S. 30f. Zu den wenigen schriftlich fixierten Rangordnungen des Mittelalters zählt die Bestimmung Benedikts von Nursia, wonach sich der Rang der Mönche aus dem Eintrittsdatum in das Kloster ergibt. Hierzu und zu den sich dennoch ergebenden Problemen vg!. FICHTENAU 1984 (wie Anm. 2), S. 35ff. und Wolfgang TESKE,Laien, Laienmönche und Laienbrüder in der Abtei Cluny, Teil 1, in: Frühmittelalterliche Studien 10 (1976), S. 248-322, hier S. 298ff. 40 KARL-HEINZ SPIESS seines Gegenübers einzuschätzen und richtete sein Verhalten danach aus ', Wie Hinkmar von Reims in seiner 882 entstandenen Schrift »De ordine palatii« mitteilt, erwartete man auch vom König, daß er die ihm direkt nach Rang der Person mit Ehrerbietung, von den Untertanen vorgetragenen mit Geduld oder gar mit Mitleid Anliegen »je entgegennäh- me.«6 Berichten die Quellen dagegen von Vorfällen, bei denen ein deutlich Rangniedrigerer sich gegenüber einem Ranghöheren falsch verhielt, dann handelt es sich meist um bewußte Verstöße gegen die Norm, die von den Verursachern zu Demonstrationszwecken eingesetzt wurden 7. So wird von Bischof Megingaud von Eichstart berichtet, er sei am 5 Für den Bereich des Adels vgl. Joachim BUMKE,Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, 2 Bde., München 1986 und Kar! Friedrich KRIEGER, Fürstliche Standesvorrechte im Spätrnitrelalter, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 122 (1986), S. 91-116. Für den kirchlichen Bereich, in dem die Rangverhältnisse stärker durch die Kleidung dargestellt wurden, vgl. FICHTENAU1984 (wie Anm. 2), S. 96ff; Franz Bocx, Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters, 3 Bde., 1856-1871, ND Graz 1970; Perrine MANE/Francoise PIPONNIER, Entre vie quotidienne et liturgic: le vetement ecclesiastique la fin du Moyen Age, in: Symbole des Alltags, Alltag der Symbole. Festschrift für Harry Kühnel zum 65. Geburtstag, hg. Gertrud BLASCHIKu.a., Graz 1992, S. 469-495 (mit Abb.). Im städtischen Bereich liefern die Kleiderordnungen anschauliches Material. Vgl. Liselotte C. EISENBART,Kleiderordnungen derdeutschen Städte zwischen 1350 und 1700, Göttingen 1962; Jutta ZANDER-SEIDEL,Das erbar gepent. Zur ständischen Kleidung in Nürnberg im 15. und 16. Jahrhundert, in: Waffen- und Kostümkunde 27 (1985), S. 119-140; Gerd SCHWERHOFF, »••. die groisse oeverswenckliche costlicheyt zo messigen-, Bürgerliche Einheit und ständische Differenzierung in Kölner Aufwandsordnungen (14.-17. Jh.), in: Rheinische Vierteljahrsblätter 54 (1990), S. 95-122; Gerhard jsxrrz, Kleidung und Prestige-Konkurrenz. Unterschiedliche Identiräten in der städtischen Gesellschaft unter Normierungszwängen, in: Saeculum 44 (1993), S. 8-31. Vgl. weiterhin Gabriele RAUDSZUS,Die Zeichensprache der Kleidung. Untersuchungen zur Symbolik des Gewandes in der deutschen Epik des Mittelalters (Ordo. Studien zur Literatur und Gesellschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit 1), HildesheirnlZürichlNew York 1985, bes. S. 183ff. Auf dem Feld der Umgangsformen ist das Begcüßungsritual besonders aussagekräftig für die Rangverhältnisse. Vg!. Klaus SCHREINER,»Er küsse mich mit dem Kuß seines Mundes- (Osculetur me osculo oris sui, Cant. 1,1). Metaphorik, kommunikative und herrschaftliche Funktionen einer symbolischen Handlung, in: Höfische Repräsentation. Das Zeremoniell und die Zeichen, hg. Hedda RAGOTZKYI Horst WENZEL,Tübingen 1990, S. 89-132, hier S. 113 ff. und Horst FUHRMANN,,.Willkommen und Abschied-e Über Begcüßungs- und Abschiedsrituale im Mittelalter, in: Mittelalter. Annäherungen an eine fremde Zeit (Schriftenreihe der Universität Regensburg, Neue Folge 19), hg. Wilfried HARTMANN,Regensburg 1993, S. 111-139. 6 HINKMARVONREIMS, De ordine palatii, hg. und übersetzt von Thomas Gaosss/Rudolf SCHIEFFER (MGH, Fontes juris Germanici antiqui in usum scholarum separatirn editi 3), Hannover 1980, cap. 5, S. 68f. Notker von St. Gallen berichtet, daß am Hof Ludwigs des Frommen an Ostern Geschenke durch den Kaiser verteilt wurden, deren Qualität sich nach dem Rang der Begünstigten richtete. NOTKER, Taten Karls Il., cap. 21, in: Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte, Teil 3, bearbeitet von Reinhold RAu (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 7), Darmstadt 1960, S. 424f. 7 Wer umgekehrt einen Ranghöheren durch eine List dazu brachte, sich vor einem Rangniedrigeren zu verneigen, mußte mit heftigen Reaktionen rechnen. Wie in den St. Gallener Klostergeschichten erzählt wird, ließ Bischof Salomon Ill. von Konstanz (890-919) dem Grafen Erchinger und dessen Bruder bei einem Essen von zwei unfreien Hirten, die man aber als Freie ausgab, Wild verehren. Die beiden Adeligen standen vor den vermeintlichen Freien auf, zogen die Hüte, verneigten sich und dankten ihnen. Als sie die Täuschung erkannten, gerieten sie in heftigen Zorn, doch mußten sie ihre Rache aufgrund des königlichen Eingreifens auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. EKKEHARDIV., St. Galler Klostergeschichten, übersetzt von Hans E HAEFELE(Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 10), Darrnstadt 1991, S. 42 ff. a 41 RANGDENKEN UND RANGSTREIT IM MITTELALTER Königshof nicht wie die anderen Bischöfe beim Vorübergehen Kaiser standen, sondern absichtlich sitzen geblieben, um der Hofgesellschaft terer Verwandter des Kaisers vor Augen zu führen 8. Für den Historiker fischen dar". stellt die Erforschung Zeremoniells ein reizvolles, Am vordringlichsten erscheint sers bzw. römischen moniell im spätantiken Königs Rom 10, des Rangdenkens bislang allerdings die Untersuchung Heinrichs 11. aufgeseinen Rang als äl- als Teilaspekt des hö- noch wenig bearbeitetes Feld der in der Umgebung des Kai- geltenden Rangverhältnisse. Während in Byzanz 11, an der päpstlichen Kurie das Hofzereund in Bur- 12 ~. Stefan WEINFURTER,Die Geschichte der Eichstätter Bischöfe des Anonymus Haserensis. Edition, Ubersetzung, Kommentar (Eichstätter Studien, Neue Folge 24), Regensburg 1987, S. 54, 82f. 9 Eine erste Zusammenschau für das 10. und frühe 11. Jahrhundert bietet FICHTENAU1984 (wie Anm. 2), S. 11-47. Besondere Aufmerksamkeit haben bislang die Rangstreitigkeiten der deutschen Erzbischöfe gefunden. Vg!. hierzu Helmut BEUMANN,Die Bedeutung Lotharingiens für die ottonische Missionspolitik im Osten, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 33 (1969), S. 14-46; Egon BOSHOF, Köln, Mainz, Trier. Die Auseinandersetzung um die Spitzenstellung des deutschen Episkopats in ottonisch-salischer Zeit, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 49 (1978), S. 19-48 und Thomas ZOTZ, Pallia et alia archiepiscopatus insignia. Zum Beziehungsgefüge und zu Rangfragen der Reichskirchen im Spiegel der päpstlichen Privilegierung des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Festschrift für Berent Schwineköper zu seinem 70. Geburtstag, hg. Helmut MAuRER/Hans PATZE,Sigmaringen 1982, S. 155-175. Im Rahmen der Neubewertung von Gesten, Symbolen und Ritualen in der mittelalterlichen Gesellschaft - vg!. hierzu die Sektion »Spielregeln in mittelalterlicher Öffentlichkeit (Gesten, Gebärden, Ritual, Zeremoniell)« auf dem Historikertag 1992 in Hannover und den Abdruck der Beiträge in den Frühmittelalterlichen Studien 27 (1993) - gerieten auch die Rangstreitigkeiten verstärkt ins Blickfeld. Seit der Erstfassung des vorliegenden Vortrages imJahr 1991 sind erschienen HansWerner GOETZ, Der »rechte« Sitz. Die Symbolik von Rang und Herrschaft im Hohen Mittelalter im Spiegel der Sitzordnung. in: Symbole des Alltags, Alltag der Symbole 1992 (wie Anm. 5), S. 11-47; Johannes HELMRATH,Sitz und Geschichte. Köln im Rangstreit mit Aachen auf den Reichstagen des 15. Jahrhunderts, in: Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift für Odilo Engels zum 65. Geburtstag, Köln/Weimar/Wien 1993, S. 719-760; Thomas WILLICH, Der Rangstreit zwischen den Erzbischöfen von Magdeburg und Salzburg sowie den Erzherzogen von Österreich. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation (ca. 1460-1535), in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 134 (1994), S. 7-166. 10 Andreas ALFÖLDI, Die Ausgestaltung des monarchischen Zeremoniells am römischen Kaiserhofe, erstmals in: Mitteilungen der Römischen Abteilung des Deutschen Archäologischen Institutes 49 (1934), S. 3-118, wiederabgedruckt in: DERs., Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche, Darmstadt 31980, S. 3-118. 11 Grundlegend Otto TREITINGER,Die oströmische Kaiser- und Reichsidee nach ihrer Gestaltung im höfischen Zeremoniell, Jena 1938. Zum aktuellen Forschungsstand vg!. Averil CAMERON,The Construction of Court Ritual: The Byzantine Book of Ceremonies, in: Rituals of Royalty. Power and Ceremonial in Traditional Societies, hg. David CANNADINE/Simon PRICE, Cambridge 1987, S. 106-136. 12 Bernhard SCHIMMELPFENNIG,Die Zeremonienbücher der römischen Kirche im Mittelalter, Tübingen 1973; DERs., Zum Zeremoniell auf den Konzilien von Konstanz und Basel, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 49 (1969), S. 273-292; Marc DYKMANs,Le ceremonial papal de la fin du Moyen Age a la Renaissance, 4 Bde., Brüssel, Rom 1977-1985; Agostino BAGLIANi PARAVICINI, Der Papst auf Reisen im Mittelalter, in: Feste und Feiern im Mittelalter, hg. Detlef ALTENBURG/JörgJARNuT/Hans Hugo STEINHOFF, Sigmaringen 1991, S. 501-514, hier S. 51tff.; Louis CARLEN, Zeremoniell und Symbolik der Päpste im 15. Jahrhundert (Vorträge der Aeneas-Silvius Stiftung an der Universität Basel28), Freiburg i. Br. 1993; Gottfried KERscHER, Das mallorquinische Zeremoniell am päpstlichen Hof. Comederunt cum papa rex maioricarum, in: Zeremoniell als höfische Ästhetik 1995 (wie Anm. 14), S. 125-149. KARL-HEINZ SPIESS 42 gund 13 intensive hauptsächlich insofern sonale Beachtung bedauerlich, Verband durch über das Zeremoniell die Forschung in der Frühen als sich der Königshof darstellt, erfahren Neuzeit auch im Mittelalter in dem sich der Herrscher hat, gearbeitet gegenüber ist für Deutschland worden 14. Dies ist als der maßgebliche per- dem Reich und das Reich sich gegenüber dem Herrscher prasentierte P. Der Königshof und davon abgeleitet der Hoftag, der Reichstag und das unter kaiserlicher Protektion tagende Konzil sind meines Erachtens als lebendiges Abbild der sozialen, politischen und verfassungsmäßigen Realität zu verstehen. Da es im Mittelalter keine 13 Johan HUIZINGA, Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, Stuttgart 111975,S. 50 ff.; Werner PARAVICINI, Soziale Schichtung und soziale Mobilität am Hof der Herzöge von Burgund, in: Francia 5 (1977), S. 127-163. Viel Material für eine künftige Gesamtdarstellung findet sich bei DERs., Die Hofordnungen HerzogPhilipps des Guten vonBurgund. Edition, Teill, in: Francia 10 (1982), S.131-166; Teil2, in: Francia 11 (1983), S. 257-301; Teil3 in: Francia 13 (1985). S. 191-211; Teil4 in: Francia 15 (1987), S. 183-231. Zur Weiterwirkung des burgundischen Hofzeremoniells auf das spanische Zeremoniell vgl, Ludwig PFANDL, Philipp Il. Gemälde eines Lebens und einer Zeit, München 1938, S. 120ff.; Christina HOFMANN, Das spanische Hofzeremoniell von 1500-1700 (Erlanger Historische Studien 8), Frankfurt a. M. 1985; Christina HOFMANN-RANDAL.~Die Herkunft und Tradierung des Burgundischen Hofzeremoniells, in: Zeremoniell als höfische Asthetik 1995 (wie Anm. 14), S. 150-156. 14 Vgl. in Auswahl Rosemarie AULINGER,Das Bild des Reichstages im 16.Jahrhundert. Beiträge zu einer typologischen Analyse schriftlicher und bildlicher Quellen (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 18), Göttingen 1980, S. 227ff.; Hubert Ch. EHALT,Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft. Der Wiener Hof im 17. und 18.Jahrhundert (Sozial- und wirtschaftshistorische Studien 14), München 1980, S.114ff.; DERs., Zur Funktion des Zeremoniells im Absolutismus, in: Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert, Bd. 2, hg. August BUCKu.a. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 9), Hamburg 1981, S. 411-419; Hans-Joachim BERBIG,Zur rechtlichen Relevanz von Ritus und Zeremoniell im römisch-deutschen Imperium, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 92 (1981), S. 204-249; Albrecht P. LUTTENBERGER, Pracht und Ehre. Gesellschaftliche Repräsentation und Zeremoniell auf dem Reichstag, in: Alltag im 16.]ahrhundert. Studien zu Lebensformen in mitteleuropäischen Städten, hg. Alfred KOHLER/Heinrich LUTZ (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 14), München 1987, S. ~?1-326. In erster Linie der Neuzeit gewidmet ist der monumentale Band Zeremoniell als höfische Asthetik im Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. Jörg Jochen Bsnxs/Thomas RAHN (Frühe Neuzeit 25), Tübingen 1995. Eine wichtige Studie zu einer fürstlichen Residenz bietet Karin PLODECK, Hofstruktur und Hofzeremoniell in Brandenburg-Ansbach vom 16. bis zum 18.Jahrhundert, Ansbach 1972. 15 Vergleiche den Überblick bei Georg WAlTZ, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 6, hg. Gerhard SEELIGER,Berlin 21896, S. 310ff. Einzelaspekte behandeln Anna Maria DRABEK,Reisen und Reisezeremoniell der römisch-deutschen Herrscher im Spätmittelalter (Wiener Dissertationen aus dem Gebiet der Geschichte 3), Wien 1964; Peter WILLMES,Der Herrscher- ..adventus« im Kloster des Frühmittelalters (Münstersehe Mittelalter-Schriften 22), München 1972; Winfried DOTZAUER,Die Ankunft des Herrschers. Der fürstliche -Einzug« in die Stadt (bis zum Ende des Alten Reiches), in: Archiv für Kulturgeschichte 55 (1973), S. 245-288; Ingrid Voss, Herrschertreffen im frühen und hohen Mittelalter. Untersuchungen zu den Begegnungen der ostfränkischen und westfränkischen Herrscher im 9. und 10. Jahrhundert sowie der deutschen und französischen Könige vom 11. bis 13. Jahrhundert (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 26), KölnlWien 1987; Werner KOLB, Herrscherbegegnungen im Mittelalter (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3, Bd. 359), Bern/Frankfurt a.M./New York/Paris 1988; Alois NIEDERSTÄTTER,Königseinritt und -gastung in der spätmittelalterlichen Reichsstadt, in: Feste und Feiern im Mittelalter 1991 (wie Anm. 12), S. 491-500. Zum Krönungszeremoniell an europäischen Höfen vg!. die zahlreichen Beiträge in Coronations. Medieval and Early Monarchie Ritual, hg. jänos M. BAK,Berkeley/Los Angeles/Oxford 1990. RANGOENKEN UNO RANGSTREITIM MITTELALTER 43 geschriebene Verfassung gab, sollte das Rangsystem den Herrschaftsaufbau des Staates symbolisieren. In der Goldenen Bulle von 1356 sind die bekannten Artikel über die Königswahl weitaus kürzer gehalten als die Bestimmungen über die Sitzordnung oder die Rangfolge bei Prozessionen. Bei einem Hoftag saß der König allein an einem Tisch, während die Königin seitwärts an einem drei Fuß niedrigeren Tisch plaziert war. Die Tische der dem König verfassungsmäßig am nächsten stehenden Kurfürsten waren nochmals drei Fuß niedriger, aber näher bei dem König als die der anderen Fürsten 16. Jedem Beobachter wurde auf diese Weise die Sonderstellung der Kurfürsten im Reichsorganismus anschaulich vor Augen geführt!", Meine These, daß die Rangordnung grundsätzlich die Verfassungswirklichkeit widerspiegelt, sei noch an einem weiteren Beispiel erläutert. Die Freiherren von Zimmern waren sehr stolz darauf, daß sie nicht in das Reichslehnssystem einbezogen und deshalb dem König nicht als Vasallen zur Ehrerbietung verpflichtet waren. Als Johann von Zimmern hörte, daß der vom Konstanzer Konzil heimreitende Kaiser Sigismund seinen Weg durch die Johann gehörende Stadt Meßkirch nehmen würde, ließ er sich einen Tisch vor das Stadttor von Meßkirch bringen und blieb daran mit einem Hut auf dem Kopf sitzen, als der Kaiser an ihm vorbeiritt. Darab der kaiser nit ain clains verwundern het, doch wo/be- dacht, das solehs ohne ursach nit beschehe, darumb hieß er in erfordern und begert ein beriebt zu haben, was er mit seinem stilsizen gemaint. Johann erklärte dem Kaiser, sein Stillsitzen sei Ihrer Majestät nit zu verklainerung oder verachtung beschehen, das het er aber damit anzaigen wellen, das er ain freier herr und weder Ir Majestät oder niemants mit kainerlai phlicht oder glipt verbunden wer, davon auch weder lehen oder gar nichts het 18. Eine drastischere Demonstration seiner Ausnahmeposition Johann von Zimmern gar nicht einfallen können 19. in der Reichsverfassung hätte 16 Quellen zur Verfassungsgeschichtedes römisch-deutschen Reiches im Spätmittelalter (1250-1500), ausgewählt und übersetzt von Lorenz WEINRICH(Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 33), Darmstadt 1983, Nr. 94 cap. 28, S. 388f. Diese einfach zu bewerkstelligende Zeremonialordnung dürfte typisch für ein Königtum ohne feste Residenz sein. Während sich der byzantinische Kaiser in seinem Palast einen für das Staatszeremoniell speziell präparierten Thronsaal einrichten ließ, um seine Gäste mit einem hydraulisch beweglichen Thron und mechanischen Löwen zu beeindrucken, war man in Deutschland darauf angewiesen, jeden beliebigen Raum ohne großen Aufwand zur Manifestation der höfischen Rangordnung einsetzen zu können. Die Schilderung des byzantinischen Thronsaals findet sich bei LIUTPRANO VON CREMONA, Antapodosis VI, cap. 5, in: Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit, bearbeitet von Albert Bxusa/Reinhold RAu (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 8), Darmstadt 41992,S. 488f. 17 Wie penibel man auf die Höhenunterschiede der Sitzgelegenheiten achtete, belegt ein Sessionsstreit auf dem Reichstag zu Freiburg im Breisgau am 13. 7. 1498.Die für diesen Tag anberaumte Anhörung der polnischen Gesandtschaft kam nicht zustande, weil die Bank der Kurfürsten so überhöht war, daß die Fürsten ihnen wie Untertanen hätten zu Füßen sitzen müssen. Erst als die Sitze der Fürsten angeglichen worden waren, gingen die Geschäfte weiter. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6: Reichstage von Lindau, Worms und Freiburg 1496-1498, bearbeitet von Heinz GOLLWITZER, Göttingen 1979,Nr. 44, S. 656f. 18 Die Chronik der Grafen von Zimmern, hg. von Hansmartin DECKER-HAUFF unter Mitarbeit von Rudolf SEIGEL,Bd. 1, Sigmaringen 41978,S. 147. 19 Möglicherweise folgte er hierbei einem historischen Vorbild, denn Konrad von Krenkingen soll ebenfalls sich nicht von seinem Sitz erhoben haben, als Friedrich I. Barbarossa an seiner Burg Kren- 44 KARL-HEINZSPIESS Daß auch moderne Staaten mit einer geschriebenen Verfassung auf die symbolische Rangdarstellung achten, erweist ein Blick auf die Praxis der Bundesrepublik Deutschland. Wie das Bundespräsidialamt auf eine entsprechende Anfrage mitteilte, ist die Reihenfolge der Verfassungsorgane zwar nicht gesetzlich geregelt, wird aber so gehandhabt, daß nach dem Bundespräsident nicht der Bundeskanzler, sondern der Präsident des Bundestages kommt, um die Bedeutung des Parlamentes in unserer Verfassung zu illustrieren 20. Der Hof des deutschen Königs kannte kein schriftlich fixiertes und streng verbindliches Rangsystem, wie es beispielsweise das 842/843 entstandene taktikon des byzantinischen Kaiserhofs mit seinen über 200 Rängen21 oder der Staatskalender eines neuzeitlichen Hofes darstellte+, Während diese jedem Mitglied der Hofgesellschaft eine exakt bestimmte Position in der Hierarchie zuwiesen, gab es am deutschen Königshof nur einzelne Rangstufen, die sich an den kirchlichen Weihegraden, den Ämtern oder dem Heerschild orientierten. Der Rangunterschied zwischen einem Erzbischof und einem Bischof oder zwischen einem Fürsten und einem Grafen ergab sich somit von selbst. Es fehlte aber - mit Ausnahme der in der Goldenen Bulle getroffenen Regelung für die Kurfürsten - eine genauere Einordnung der auf derselben Rangstufe stehenden Würdenträger, so daß z.B. der Vorrang innerhalb der Gruppe der Erzbischöfe oder der Fürsten am Hof nicht genau festgelegt war. Hier liegt die Wurzel für die zahlreichen Rangstreitigkeiten, die im folgenden behandelt werden. Die ältere Forschung hat das Ringen um eine Position in der Nähe des Königs oder um den Vortritt bei einer Prozession häufig als bloße Eitelkeit oder peinliche Überbetonung der Etikette abgetan 23. Diese Einschätzung wird jedoch dem höfischen Denken keinesfalls gerecht, denn die Nähe zum Herrscher bedeutete hohes Sozialprestige und polikingen vorbeiritt. Auch hier lautete die Begründung, daß er auf eigenem freien Grund und Boden sitze. Ob die Anekdote, die von der Zimmersehen Chronik im Kontext zu der erwähnten Episode genannt wird, auf einer historischen Begebenheit beruht oder erfunden wurde, ist für unseren Zusammenhang ohne Belang. Vg!. hierzu Arno BORST,Mönche am Bodensee 610-1525, Sigmaringen 1978, S. 174. Zum Besitz der Herren von Krenkingen vg!. Helmut MAURER,Das Land zwischen Schwarzwald und Randen im frühen und hohen Mittelalter. Königtum, Adel und Klöster als politisch wirksame Kräfte (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte 16),Freiburg i. Br. 1965, S. 142ff. 20 Brief des Bundespräsidialamtes an den Verfasser vom 11.10.1991.Zum heutigen diplomatischen Protokoll vg!.Jürgen HARTMANN, Staatszeremoniell, Köln/Berlin/BonnlMünchen 21990.Instruktiv für die Rangordnung in sozialistischen Staaten ist die für die ehemalige DDR geschriebene Anleitung von David DREIMANN, Das diplomatische Protokoll, Leipzig 1981, die selbst noch für die Sitzordnung im Theater und im Auto Vorschriften enthält. 21 Les listes de preseance byzantines des IX· et X' siecles, hg. von Nicolas OIKONOMIDES, Paris 1972.Deshalb konnten auswärtige Gesandte an ihrem Rangplatz recht gut die Stimmung am byzantinischen Hof einschätzen. So berichtet Liutprand von Cremona, daß er einmal nur den 15. Platz an der kaiserlichen Tafel erhielt und bei einer zweiten Gelegenheit sogar nach dem bulgarischen Gesandten sitzen sollte, weshalb er erzürnt den Raum verließ. Liutprandi legatio ad imperatorem Constantinopolitanum Nicephorum Phocam, in: Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit 1992 (wie Anm. 16),S. 534f., 540f. 22 Vgl. HARTMANN 1990 (wie Anm. 20), S. 138H., der S. 327ff. die heute noch gültige, 128 Rangstufen umfassende Rangordnung des englischen Hofes wiedergibt. 23 Vgl, z. B. Wilhe1mBEEMELMANS, Der Sessionsstreit zwischen Köln und Aachen, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 18(1936),S. 65-109, der S. 109den Rangstreit als »kleinliches Gezänke« RANGDENKEN UND RANGSTREIT IM MITTELALTER 45 tischen Einfluß zugleich. Rang und politische Potenz bedingten somit in der höfischen Gesellschaft einander-". Wer im Herrschaftssystem Gewicht erlangt hatte, bemühte sich deshalb nach Kräften, die errungene Position durch einen entsprechenden Rang in der Hofgesellschaft nach außen hin zu dokumentieren und damit gleichzeitig auch zu sichern. Zugleich konnte ein hervorragender Rang von seinem Träger politisch und verfassungsmäßig instrumentalisiert werden. So erklärt sich in Deutschland und England der Anspruch des Mainzer Erzbischofs und des Erzbischofs von Canterbury auf die führende Rolle bei der Königserhebung ", Weiterhin sei auf die Abstimmungsreihenfolge im Reichstag und auf Konzilien verwiesen, die sich an der Sitzordnung orientierte ". Wurde einem Würdenträger der gewohnheitsmäßig erworbene Rangplatz öffentlich streitig gemacht, dann verletzte dieser Angriff das Ehrgefühl auf grobe Weise und gefährdete gleichzeitig die politische Stellung. Die Rangkämpfe am Königshof gewähren deshalb nicht nur einen Einblick in die höfischen Umgangsformen, sondern sie können zugleich als Indikatoren für Machtverschiebungen im politischen System dienen. Um dies zu illustrieren, soll im folgenden eine vergleichende Analyse von Rangstreitigkeiten durchgeführt werden. Ausgewertet wurden Quellenaussagen vom 10. bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts, die über Rangdenken und Rangstreit am Königshof, auf dem Reichstag und auf den Konzilien zu Konstanz und Basel berichten. Die Ergebnisse der Quelleninterpretation werden in fünf Abschnitten vorgestellt. Nach den Rangsymbolen werden Rangkriterien behandelt, anschließend die Konfrontationsmechanismen und das Schlichtungsverfahren vorgestellt, während am Ende einige Bemerkungen zur Funktion und zu den Auswirkungen der Rangstreitigkeiten folgen. Die Rangsymbole dienen dazu, die errungene Position in einer sozialen Gemeinschaft der Öffentlichkeit vor Augen zu führen. Geht man von den in den Quellen überlieferten Streitobjekten aus, dann war im Mittelalter der bei offiziellen Anlässen zugewiesene Sitzplatz das wichtigste Rangsymbol. Der Sitz in der Nähe des Herrschers führte den Zuschauern am besten die hohe Bedeutung einer Persönlichkeit vor Augen 27. Allgemein an- charakterisiert. Zur Abwertung des »demokrariewidrigen Status- und Prestigedenkens« in der soziologischen Forschung vg!. BERBIG 1981 (wie Anm. 14), S. 205 f. Zum Wandel in der Einschätzung öffentlicher Rituale in England seit der Mitte unseres Jahrhunderts vg!. Janet L. NELSON, Zur Annahme des Herrscherrituals im Frühmittelalter, in: Das Mittelalter - unsere fremde Vergangenheit, hg. Joachim Kuorr/Harald KLEINSCHMIDT/Peter DINZELBACHER,Stuttgart 1990, S. 117-147, hier S.117ff. 24 Vg!. GOETZ 1992 (wie Anm. 9), S. 32f. 25 Zur Stellung des Mainzer Erzbischofs vg!. Ulrich STUTZ, Der Erzbischof von Mainz und die deutsche Königswahl, Weimar 1910. Der seit dem Interregnum auftretende Rangstreit zwischen Mainz und Köln resultierte aus der Frage, ob die in die Verantwortung des Mainzer Erzbischofs fallende Wahloder die vom Kölner Erzbischof vorgenommene Krönung für die Königserhebung entscheidend war. Hierzu Ernst SCHUBERT,Königswahl und Königtum im spätmittelalterlichen Reich, in: Zeitschrift für historische Forschung 4 (1977), S. 257-338, hier S. 274f. Für England vg!. Percy Ernst SCHRAMM,Geschichte des englischen Königtums im Lichte der Krönung, Weimar 1937. 26 Vg!. AULINGER 1980 (wie Anm. 14), S. 227ff. und August ZELLfELDER,England und das Basler Konzil (Historische Studien 113), Berlin 1913, S. 98f. 27 Hierzu ausführlich GOETZ 1992 (wie Anm. 9), S. 17 ff. / 46 KARL-HEINZ SPIESS erkannt war, daß dem Platz zur Rechten des Königs der erste Rang und dem zur Linken der zweite Rang zukam ". Schwieriger wurde es schon mit der dritten Rangstelle. In der Goldenen Bulle stand man vor dem Problem, den Trierer Erzbischof als dritten geistlichen Kurfürsten zu plazieren, nachdem die Plätze rechts und links neben dem König bereits an Mainz bzw. Köln vergeben waren 29. Als Lösung bot sich der Sitz »gegenüber und in gerader Richtung vor dem Antlitz des Kaisers« an, während der König von Böhmen und der Pfalzgraf bei Rhein rechts vom König plaziert waren, der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg jedoch die rangniedrigeren Plätze links vom König nach dem jeweiligen Erzbischof erhielten 30. In größeren Versammlungen, wie etwa beim Reichstag oder beim Konzil, gab die auf den Herrscher oder Sitzungspräsidenten ausgerichtete Staffelung der Sitzreihen den Ausschlag", Für unsere Fragestellung, wie sich eine soziale Gemeinschaft in der Sitzordnung präsentierte, eignet sich die in der Vita Godehardi geschilderte Generalsynode von 1027 zu Frankfurt ganz besonders. Der Mainzer Erzbischof, zu dessen Sprengel Frankfurt gehörte, nahm auf dem Bischofsthron bei dem Hauptaltar in der erhöhten Apsis der Salvatorkirche Platz, d.h. er hatte den östlichsten und damit ehrenvollsten Sitz. Seine Suffraganbischöfe saßen links und rechts von ihm, wobei die Bischöfe nach dem Weihedatum geordnet wurden. Die Reihung begann auf der rechten Seite des Erzbischofs und setzte sich dann zwischen rechts und links alternierend fort. Der Rangordnung entsprach auch die Funktion, da der rechts neben dem Erzbischof sitzende Weiheälteste die Versammlung leitete. Westlich des Chores, dem Erzbischof direkt gegenüber, saß Kaiser Konrad 11.,rechts neben ihm der Erzbischof von Köln, links neben Konrad der weihejüngere Erzbischof von Magdeburg, worauf wiederum nach absteigendem Weihealter deren Suffragane folgten. Im Süden des Kirchenraums hatten Bischöfe aus anderen Provinzen Platz genommen, während die Äbte in den rangmäßig am wenigsten angesehenen Norden pla28 Vg!. Ursula DEITMARING, Die Bedeutung von Rechts und Links in theologischen und literarischen Texten bis um 1200, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und die deutsche Literatur 98 (1969), S. 265-292. Vg!. auch Reinhard ELzE, Rechts und Links. Bemerkungen zu einem banalen Problem, in: Das Andere wahrnehmen. Beiträge zur europäischen Geschichte. August Nitschke zum 65. Geburtstag gewidmet, hg. Martin KINTZINGER u.a., Köln/Weimar/Wien 1991, S. 75-82, der darauf aufmerksam macht, daß die Unterscheidung zwischen Rechts und Links vom jeweiligen Standpunkt abhängt. Für den Betrachter ist ja der erste Rangplatz links neben dem König. Einen interessanten Beleg für die Vertauschung der Sitzseiten bietet WILLICH 1994 (wie Anm. 9), S.53. 29 Die Zuweisung des rechten Platzes hing vom Tagungsort ab. In der Mainzer Kirchenprovinz und im Gültigkeitsbereich seines Erzkanzleramtes war der Mainzer Erzbischof bevorzugt, in der Kölner Kirchenprovinz sowie in Italien und Gallien sein Kölner Amtskollege. 30 WEINRICH 1983 (wie Anm. 16), c. 3, S. 338 ff. Zu den Variationen in der Frühen Neuzeit, die sich vor allem aus der Anwesenheit kurfürstlicher Gesandten ergaben, vgl. AULINGER1980 (wie Anm. 14), S.232f. 31 Vg!. AULINGER1980 (wie Anm. 14), S. 227ff.; ZELLFELDERf913 (wie Anm. 26), S. 98f. und Hermann HEIMPEL, Sitzordnung und Rangstreit auf dem Basler Konzil. Skizze eines Themas. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Johannes HELMRATH, in: Studien zum 15. Jahrhundert. Festschrift für Erich Meuthen, Bd. 1, hg. Johannes HELMRATH/Heribert MÜLLER, München 1994, S. 1-9, hier S. 2f. mit der Erläuterung der drei Grundregeln "Oben ist besser als unten, rechts ist besser als links, vorn ist besser als hintcn«, RANGDENKEN UNDRANGSTREITIM MITTELALTER 47 ziert wurden 32. In dieser sorgfältig inszenierten Versammlung spiegelt sich das Selbstverständnis der mittelalterlichen Welt in einzigartiger Weise wider+', Im Spätmittelalter erwies sich die in anderen Ländern unbekannte Sonderrolle der Kurfürsten, die sich als Königswähler und als Glieder des Reiches einen quasiköniglichen Rang beimaßen, häufig als Anlaß für Sessionsstreitigkeiten. Auf dem Konzil zu Basel saßen die Kurfürsten denn auch anfänglich direkt hinter den königlichen Gesandten, bis das die Kurfürsten bei weitem an Macht überragende Herzogtum Burgund diesen Platz erfolgreich für sich beanspruchte ", Als auf dem Reichstag von 1455 die Gesandten des Königs von Aragon und des Königs von Polen in Gegenwart des Kaisers vor den kurfürstlichen Räten sitzen wollten, protestierten diese dagegen mit dem Argument, der Kaiser und die Kurfürsten gehörten wie ein Haupt und ein Leib mit seinen Gliedern zusammen und seien deshalb bezüglich des Ranges wie eine Person anzusehen 35. Die Rangplazierung der Sitze wurde ergänzt durch die Reihenfolge in der Prozession 36 oder den Vortritt an einer Tür37• Ranganzeigend wirkte auch der Vollzug bedeutsamer Handlungen, wie die Krönung des Königs oder das Ausüben von Hofämtern ". Die Kleidung diente vor allem im kirchlichen Bereich als Rangsymbol; zu nennen ist besonders das erzbischöfliche Pallium, eine über dem Meßgewand zu tragende Wollbinde, das den Träger im Rang über die anderen Bischöfe stellte?". Im weltlichen Bereich ist erst seit der Mitte des 15. Jahrhunderts ein spezifischer Kurfürstenornat nachweisbar i'', 32 MGH SSXI, c. 31, S. 190. 33 Vg!. die Interpretation der Sitzordnung von 1027 bei FICHTENAU 1984 (wie Anm. 2), S. 33ff. Zur Synode selbst vg!. Heinz WOLTER,Die Synoden im Reichsgebiet und in Reichsitalien von 916 bis 1056,Paderborn/München/Wien/Zürich 1988,S. 332H. 34 Hierzu Hermann HEIMPEL,Eine unbekannte Schrift über die Kurfürsten auf dem Basler Konzil, in: Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Festschrift für Josef Fleckenstein zu seinem 65. Geburtstag, hg. Lutz FENsKE/WernerRössxas/Thomas ZOTZ,Sigmaringen 1984,S. 469-482. 35 Johann Daniel von OLENSCHLAGER, Neue Erläuterung der Goldenen Bulle Kaysers Carls des IV.,Frankfurt/Leipzig 1766,S. 120H. 36 Vg!. z.B. THIETMARVONMERSEBURG, Chronik, hg. Werner TRILLMICH(Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 9), Darmstadt 1992 , 11, 30, S. 67: »Wie gewöhnlich an allen Festtagen ließ er sich in prunkvoller Prozession von Bischöfen und anderen Priestern ihrem Range nach [... ] in die Kirche geleiten.« Zur Prozessionsordnung der Kurfürsten siehe WEINRICH1983 (wie Anm. 16), c. 21, 22, S. 372ff. Die ohnehin schwierige Sitzordnung auf dem Konzil zu Basel wurde durch die Prozessionsordnung der Konzilsteilnehmer zusätzlich kompliziert. Vg!. ZELLFELDER 1913(wie Anm. 26), S. 112 ff. 37 Vg!. Margarete DUEBALL, Der Suprematstreit zwischen den Erzdiözesen Canterbury und York 1070-1126. Ein Beitrag zur Geschichte der englischen Kirche im Zeitalter des Gregorianismus (Historische Studien 184),Berlin 1929,S. 103. 38 WEINRICH1983(wie Anm.16), c. 27 S. 384ff. Zu den von den Kurfürsten ausgeübten Hofämtern sind noch weitere fürstliche Ehrenämter bezeugt, wie z. B. das Recht, die königliche Krone zu tragen, die kaiserliche Adlerfahne zu halten oder das königliche Pferd am Zügel zu führen. Vg!. hierzu KRIEGER1986(wie Anm. 5), S. 100. 39 Zusätzlich zu der in Anm. 5 und 9 aufgeführten Literatur vg!. Helmut BEUMANN, Zu den Pontifikalinsignien und zum Amtsverständnis der Bischöfe von Halberstadt im hohen Mittelalter, in: Sachsen und Anhalt. Jahrbuch der Historischen Kommission für Sachsen-Anhalt 18 (1994), S. 9-49. 40 Ursula BEGRICH,Die fürstliche -Majestät- Herzog Rudolfs IV, von Österreich. Ein Beitrag zur Geschichte der fürstlichen Herrschaftszeichen im späten Mittelalter, Wien 1965,S. 43H. 48 KARL-HEINZSPIESS Weniger auf die Öffentlichkeit ausgerichtet, dafür aber dauerhaft dokumentiert waren die in der Reihenfolge des Ranges aufgestellten Zeugenlisten in Urkunden oder die Teilnehmerlisten größerer Versammlungen 41. Die Rangfrage wurde darüber hinaus praktisch in jedem Schriftstück akut, da sich der jeweilige Rang bei der Anrede oder der Aufzählung von Personen äußerte42• Dies führte bei aktuellen Auseinandersetzungen zu erheblichen Schwierigkeiten. Auf dem Wormser Reichstag von 1497 z.B. war der schon länger schwelende Sessionsstreit zwischen den fürstlichen Häusern Baden und Hessen in eine Phase geraten, in der man die Entscheidung des abwesenden Kaisers suchte. Das Schreiben an Maximilian konnte zunächst aber gar nicht abgefertigt werden, weil keine Partei dulden wollte, daß die andere bei der Darlegung des Sachverhalts zuerst genannt wurde. Schließlich einigten sich die Kontrahenten auf die Lösung, beide Parteien im Schriftsatz mit N zu bezeichnen und dem Brief zwei Zettel mit den Namen der Streithähne beizulegen ", War ein Rangstreit ausgebrochen, dann versuchten beide Parteien, ihren Anspruch zu begründen. Die dabei ausgetauschten Argumente geben Aufschluß über die Rangkriterien, die als zweiter Punkt behandelt werden sollen. Im kirchlichen Bereich nennen die Quellen eine ganze Reihe von Ordnungsprinzipien. So reihte ein Rangmodell die Bischöfe nach dem Weihealter, ein anderes nach dem Alter des Bistums ein44• Hätte man nun eines dieser Kriterien für verbindlich erklärt, dann wäre eine auf objektiven Maßstäben basierende eindeutige Rangfolge entstanden.". Sie wurden aber als gleichberechtigt angesehen und im Einzelfall sogar durch päpstliche Rangprivilegien außer Kraft gesetzt, die 41 Grundlegend Julius FICKER,Vom Reichsfürstenstande. Forschungen zur Geschichte der Reichsverfassung zunächst im 12. und 13.Jahrhunderte, Bd. 1, Innsbruck 1861, S. 156ff., der S. 164 feststellt, ,.daß es Regeln gab, nach welchen sich mindestens für die angeseheneren Zeugen genau die Stellung bestimmen ließ, welche sie ihrem Range gemäß einzunehmen hatten«, Vg!. weiterhin Heinrich FICHTENAU, Die Reihung der Zeugen und Konsentienten, in: DERs.,Beiträge zur Mediävistik, Bd. 3, München 1986, S. 167-185; Franz MARTIN,Der Rang der Salzburger Suffraganbischöfe. Eine Zeugenreihenstudie, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichte 52 (1938), S. 157-169; Wilhe1mWEGENER,Zeugenreihen deutscher Königs- und Kaiserurkunden als Quellen für die Stellung der Herzöge und Könige von Böhmen im deutschen Königreich des hohen Mittelalters, in: Zeitschrift für Ostforschung 6 (1957), S. 223-245. Bei den Teilnehmerlisten größerer Versammlungen sind in erster Linie Synodalprotokolle zu nennen. Vg!. z. B. die Akten der Ingelheimer Synode von 948 und die Interpretation der darin erkennbaren Rangordnung in MGH Con cilia VI, 1, Nr. 13, S. 135ff. . .-. 42 Zum Briefverkehr vg!. Wolfgang MICHAEL,Die Formen des unmittelbaren Verkehrs zwischen den Deutschen Kaisern und souveränen Fürsten vornehmlich im 10., 11.und 12.Jahrhundert, Hamburg/Leipzig 1888, S. 73 H. sowie Briefsteller und Formelbücher des 11. bis 14.Jahrhunderts, bearbeitet von Ludwig ROCKINGER, ND New York 1961,S. 360ff. 43 RTA, Mittlere Reihe, VI, Nr. 98, S. 186 (Ausbruch des Streits auf dem Reichstag zu Lindau 1496), Nr. 26, 27, S. 392ff. (Versuch der Beilegung auf dem Reichstag zu Worms); Frankfurts Reichscorrespondenz nebst andern verwandten Aktenstücken von 1376-1519, hg. Johannes ]ANSSEN,Bd. 2, 2, Freiburg i. Br. 1872,Nr. 769, S. 606£. 44 Vg!. FICKER1861 (wie Anm. 41), S. 170ff. und FICHTENAU 1984 (wie Anm. 2), S. 18H. 45 MARTIN1938(wie Anm. 41), S. 160f. hat auf die eigenartige Rangordnung der Salzburger Suffraganbistümer aufmerksam gemacht. Während bei den älteren die Bischöfe nach ihrem Weihealter gereiht wurden, war bei den jüngeren Suffraganen Gurk, Chiemsee, Seckau und Lavant das Bistumsalter maßgebend. RANGDENKEN UNDRANGSTREITIM MITTELALTER 49 sowohl ad personam als auch ad sedem vergeben wurden.". Als weitere Reihungsmaßstäbe sind zu nennen die Ortszuständigkeit eines Bischofs"? und seine Personlichkeit U, die sich allerdings einer objektiven Beurteilung entzog. Diese miteinander konkurrierenden Ordnungsprinzipien sorgten für reichlichen Konfliktstoff unter den geistlichen Würdenträgern. Am bekanntesten sind die Auseinandersetzungen der drei rheinischen Erzbischöfe um den ersten Platz am Königshof. Schon bei der Krönung Ottos 1. 936 in Aachen stießen drei Rangkriterien aufeinander: Der Trierer Erzbischof machte das Alter seines Bistums geltend, der Kölner wollte den König krönen, weil Aachen in seiner Kirchenprovinz lag und er damit der zuständige Metropolit war, doch obsiegte schließlich der Mainzer dank seiner allseits anerkannten persönlichen Würde49• 1054 prallten die Ansprüche von Mainz und Köln bei der Königskrönung Heinrichs IV. in Aachen wieder aufeinander. Mainz hatte sich unter Willigis 975 den Vorrang im deutschen Episkopat von Papst Benedikt VII. verbriefen lassen 50und beanspruchte deshalb das Krönungsrecht, das den sichtbaren Ausdruck der Spitzenstellung am Hof darstellte. Diesmal behielt jedoch Erzbischof Hermann von Köln die Oberhand, weil Kaiser Heinrich Ill. das Rangkriterium der vornehmen Abkunft Hermanns - er war ein Neffe Kaiser Ottos Ill. - und der Ortszuständigkeit für diesen sprechen ließ.51 46 Vikariatsernennungen erfolgten ad personam, der Primat wurde ad sedem verliehen. Vgl. hierzu BOSHOF1978(wie Anm. 9), S. 20f. 47 Die Ortszuständigkeit wurde beispielsweise in der Goldenen Bulle als Rangkriterium zwischen Mainz und Köln eingesetzt. Siehe Anm. 29. 48 So berichtet Richer, dem Erzbischof Rotbert von Trier sei auf einer Synode die Leitung der Verhandlung aufgrund seines auf Gelehrsamkeit und Beredsamkeit beruhenden Ansehens übertragen worden ([... ] eo quod divinarum et humanarum uerum scientia et eloquentiae efficatia insignissimus haheretur.), während es an anderer Stelleheißt, der Erzbischof Seguin von Senssei zur Leitung einer Synode bestimmt worden, weil er sich durch seinen tugendhaften Lebenswandel und sein ehrwürdiges Alter dazu am besten empfohlen habe ([... ] eo quod aetatis reverentia, et vitae merito plurimum commendaretur). RICHERIhistoriarum libri IV, MGH SS3, S. 561-657, hier II, c. 70, S. 603 und IV, c. 52, S. 644. 49 Die Sachsengeschichte des WIDUKINDVONKORVEI,in: Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit, bearbeitet von Albert Bausn/Reinhold RAu (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 8), Darmstadt 41992,S. 16-183, hier II, 1, S. 84ff. Zur Einschätzung von Widukinds Bericht vg!. Johannes FRIED,Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands bis 1024(Propyläen Geschichte Deutschlands 1), Berlin 1994, S. 481 H. 50 Zu dieser vieldiskutierten Urkunde, die im Kontext mit Privilegien für die anderen Metropoliten zu sehen ist und von Helmut Beumann als Primatsverleihung angesehen wurde, mittlerweile aber als Vikariatsbestätigung gilt, vg!. BEUMANN1969 (wie Anm. 9), S. 405; Eugen EWIG,Kaiserliche und apostolische Tradition im mittelalterlichen Trier, in: DERs.,Spätantikes und frankisches Gallien. Gesammelte Schriften, Bd. 2, hg. Helmut ATSMA(Beihefte der Francia 312), München 1979, S. 51-90, hier S. 84f.; BOSHOF1978 (wie Anm. 9), S. 33f. 51 LAMPERTVONHERSFELD,Annalen, neu übersetzt von Adolf SCHMIDT,erläutert von Wolfgang Dietrich FRITZ(Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 13),Darmstadt 1973,c. 64, S. 54: Imperatoris filius Heinricus consecratus est in regem Aquisgrani ab Herimanno Coloniensi archiepiscopo, vix et aegre super hoc impetrato consensu Liupoldi archiepiscopi, ad quem propter primatum Mogontinae sedis consecratio regis et caetera negociorum regni dispositio potissimum pertinebat. Sed imperator pocius Herimanno archiepiscopo hoc privilegium vendicabat propter claritatem generis eius, et quia intra diocesim ipsius consecratio haec celebranda contigisset. 50 KARL-HEINZ SPIESS Während also bei Rangstreitigkeiten geistlicher Fürsten potentiell objektivierbare Kriterien, wie Weihealter oder Zuständigkeit, zum Einsatz kamen, fehlten diese im weltlichen Bereich. Das Argument, man müsse den Vorrang haben, weil man ihn bei früheren Anlässen auch schon gehabt habe, wog zwar schwer in einer von der Gewohnheit bestimmten Zeit, doch war man dann vom guten Gedächtnis der Zeitgenossen abhängig. Als die Burgunder auf dem Basler Konzil behaupteten, sie und nicht die Kurfürsten hätten auf dem Konstanzer Konzil hinter den königlichen Gesandten gesessen, wurden die 33 anwesenden Prälaten befragt, die bereits 18 Jahre zuvor in Konstanz dabei gewesen waren. Die Mehrheit von ihnen erinnerte sich genau, daß Burgund im Recht war - übrigens ein Beleg dafür, wie tief sich eine Sitzordnung bei den Zeitgenossen einprägte52• Konnte oder wollte man nicht auf einen Präzedenzfall zurückgreifen, dann suchte man sein Heil in zum Teil weit hergeholten Argumenten. England begründete auf dem Basler Konzil seinen Anspruch auf Vorrang vor Kastilien unter anderem damit, daß die englischen Könige früher getauft worden seien als die kastilischen, daß Kaiser Konstantin der Große aus dem englischen Königshaus stamme und in York geboren sei, daß der englische König am Haupt gesalbt werde, der kastilische aber ein Stockwerk tiefer an den Schultern USW.53 Daß auch Städte Rangkriterien entwickelten, belegt der auf dem Reichstag zu Regensburg 1454 ausgebrochene Sitzstreit zwischen Aachen und Köln 54. Aachen beanspruchte den Vorrang vor Köln aufgrund eines von Friedrich Barbarossa 1166 ausgestellten Privilegs, wonach es als prima sedes und regni caput zu gelten habe, während Köln sein Alter, seine Qualität als Bischofssitz, seine Bevölkerungszahl und schließlich die Gebeine der Heiligen Drei Könige sowie der Elftausend Jungfrauen ins Feld führte55• Aachen berief sich unbeirrt auf sein Barbarossadiplom und griff zusätzlich zu einem verfassungsgeschichtlichen Argument. Es sei nämlich unmittelbar dem Reich zugehörig, während Köln lange Zeit einen erzbischöflichen Stadtherrn gehabt habe und erst später direkt zum Reich gekommen sei. Da mit Hilfe dieser Rangkriterien keine Entscheidung herbeizuführen war, kam es im 16.Jahrhundert zwischen den beiden Städten sogar zu einem Prozeß vor dem Reichshofrat, der allerdings ohne Urteil eingestellt wurde56• 52 Vg!. HEIMPEL 1984 (wie Anm. 34), S. 469f., 475 mit dem Hinweis, daß der durch die Zeugen bewiesene Präzedenzfall die Hauptgrundlage für den schließlich durchgesetzten burgundischen Vorrang vor den Kurfürsten darstellte. 53 Vg!. den Abdruck der englischen Denkschrift bei ZELLFELDER1913 (wie Anm. 26), S. 284ff. und HEIMPEL1994 (wie Anm. 31), S. 5 mit der Aufzählung der »bizarrsten« Gegenargumente der Kastilier. Zum Rückgriff auf die Geschichte als Argument in einem Rangstreit vg!. HEIMPEL 1984 (wie Anm. 34), S. 480f.; HELMRATH 1993 (wie Anm. 9), S. 726ff.; DERs., Das Basler Konzil 1431-1449. Forschungsstand und Probleme (Kölner Historische Abhandlungen 32), Köln/Wien 1987, S. 325 f. 54 Die ältere Untersuchung von BEEMELMANs1936 (wie Anm. 23) wird ergänzt durch HELMRATH 1993 (wie Anm. 9), der sich besonders mit der Kölner Partei beschäftigt und die Auseinandersetzungen im 15. Jahrhundert im Blick hat, während die erstgenannte Studie von dem 1571 begonnenen Prozeß vor dem Reichshofrat ausgeht. Zwischen den Städten Konstanz und Ulm wurde 1521 ebenfalls ein Sessionsstreit ausgefochten. RTA, Jüngere Reihe, II, Nr. 106, S. 752f. 55 Zu diesen und weiteren Argumenten Kölns ausführlich HELMRATH1993 (wie Anm. 9), S. 726ff. 56 Vg!. BEEMELMANS1936 (wie Anm. 23), S. 104ff. RANGDENKEN UNDRANGSTREITIM MITTELALTER 51 Die Analyse der Rangkriterien hat gezeigt, daß im Mittelalter persönlicher und institutioneller Rang der Kirchenfürsten zueinander in einem eigenartigen Spannungsverhältnis standen. Mochte auch die persönliche Würde, wie bei den Krönungen von 936 und 1054, gelegentlich den Ausschlag geben, so ging doch die Tendenz dahin, den einmal erreichten Rangplatz zu institutionalisieren, d.h. über die Person hinaus für das Bistum zu festigen. Unterstützt wurde dieses Bestreben durch die Existenz transpersonaler Rangkriterien, wie das Bistumsalter oder ad sedem verliehene Primatsprivilegien. Zur Durchsetzung dieser Privilegien gegenüber den Rangkonkurrenten bedurfte es aber wiederum dynamischer Persönlichkeiten mit entsprechendem machtpolitischen Einfluß, bis schließlich ein Punkt erreicht war, bei dem ein Rivale selbst unter günstigen Bedingungen an der gesicherten Rangkonstellation nichts mehr ändern konnte'", Im weltlichen Bereich war es für den König im Frühmittelalter noch relativ leicht, durch die Vergabe herausragender Ämter als Belohnung für persönlichen Einsatz die Rangordnung der Großen willkürlich zu verändern, bis die Anerkennung der dynastischen Erbfolge im Hochadel seit dem 10. Jahrhundert den Spielraum des Königs stark einengte'". Die Erblichkeit der Fürstentümer und Grafschaften führte zu einer weitgehenden Festschreibung der Rangordnung im Reich, die vom König nur bei dem Ledigwerden einer Herrschaft oder durch gezielte Gunsterweise, wie Vergabe eines Titelherzogtums oder Standeserhebungen, im Einzelfall verändert werden konnte'". Mit der rangmäßigen Heraushebung der Kurfürsten in der Goldenen Bulle setzte sich allerdings noch einmal eine Gruppe von den restlichen Fürsten ab. Während die Kurfürsten auf internationalen Schauplätzen ausländische Rangkonkurrenten abwehren mußten, legten innerhalb des Fürstenstandes die erblich gewordenen Titel und Ämter die Hierarchie zwar prinzipiell fest60, doch versuchten immer wieder einzelne Fürsten auf ihrer Ebene bessere Rangplätze zu erreichen.f Als Kriterien werden dabei zu Beginn des 16. Jahrhunderts das Alter eines Fürsten oder eines Fürstentums, einschlägige Präzedenzfälle oder gar die Innehaltung der größeren Machtposition genannt62• 57 Dies macht BOSHOF1978(wie Anm. 9), S. 47 am Beispiel Triers deutlich. 58 Hierzu ausführlich Gerd ALTHOFF,Verwandte, Freunde und Getreue. Zum politischen Stellenwert der Gruppenbindungen im früheren Mittelalter, Darmstadt 1990, S. 167ff. 59 Vg!. Günther ENGELBERT, Die Erhebungen in den Reichsfürstenstand bis zum Ausgang des Mittelalters, Phi!. Diss. (masch.), Marburg 1948; Karl HEINEMEYER, König und Reichsfürsten in der späten Salier- und frühen Stauferzeit, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 122(1986), S. 1-40. 60 Vgl. HEINEMEYER 1986 (wie Anm. 59), S. 37f.; KRIEGER1986 (wie Anm. 5), S. 94H. 61 Vg!. Peter MORAw,Fürstentum, Königtum und »Reichsreform« im deutschen Spätmittelalter, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 122 (1986),S. 117-136, hier S. 119mit dem Hinweis, daß in der Verfassungswirklichkeit »Fürst und Fürst sich voneinander außerordentlich unterscheiden konnten". Vg!. auch DERs.,1292 und die Folgen. Dynastie und Territorium im hessischen und deutschen Spätmittelalter, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 129 (1993), S. 41-62. In diesem Kontext sei erwähnt, daß in Greifswald ein Projekt zur Erforschung der sozialen Schichtung innerhalb des Reichsfürstenstandes begonnen worden ist. 62 Das Argument des höheren Alters und der größeren Macht begegnet in den Sessionsstreitigkeiten der Wittelsbacher untereinander auf dem Reichstag von 1521. RTA, Jüngere Reihe, Bd. II, Nr. 104, S. 748. Weitere Belege bei Johannes VOIGT,Zwölf Briefe über Sitten und soziales Fürstenleben auf den deutschen Reichstagen. Ein Beitrag zur Sittengeschichte des 16.Jahrhunderts, in: Historisches Taschenbuch, hg. von Friedrich von RAUMER, 3. Folge, 2. Jahrgang, Leipzig 1850, S. 314H.; vg!. AULINGER1980 (wie Anm. 14), S. 241H. und LUTTENBERGER 1987 (wie Anm. 14),S. 311f. 52 KARL-HEINZSPIESS Die Habsburger und die bayerischen Wittelsbacher, die im 14. Jahrhundert von den vordersten Rangplätzen ausgeschlossen worden waren, aber im 15. Jahrhundert einen großen Machtzuwachs erreicht hatten, litten beispielsweise sehr darunter, daß sie nicht zum Kreis der rangmäßig stark abgehobenen Kurfürsten zählten, und versuchten deshalb, sich durch Fälschungen oder gezielte Rangkämpfe den Kurfürsten anzunähern und sich von ihren Fürstengenossen abzugrenzen'", Auch das im Spätmittelalter neu in das europäische Mächtekonzert aufgestiegene Burgund stritt aggressivauf Konzilien und Reichstagen für einen seiner quasi-königlichen Stellung angemessenen Rangplatz+'. Umgekehrt äußerte sich die Isolation Englands auf dem Baseler Konzil in zahlreichen Sessionsstreitigkeiten, die vor allem von Kastilien ausgingen+'. Es waren also in erster Linie Veränderungen im Machtsystem, die den Konfrontationsmechanismus in Gang setzten, der im nächsten Abschnitt behandelt werden soll. Aus der Analyse der Rangstreitigkeiten geht hervor, daß die Konfrontationen einem bestimmten Muster folgten. Da Rangplatz und Ranganspruch unter den Konkurrenten auf der gleichen Rangstufe bestens bekannt waren, gab es kaum jemals »zufallige« Rangkämpfe, sondern diese wurden meist sorgfältig geplant und vorbereitet=. Der von dem Abt zu Fulda verfochtene Anspruch, nach dem Mainzer Erzbischof den höchsten Rangplatz bei Konzilien und Mainzer Hoftagen einzunehmen'", stieß im 11. und 12. Jahrhundert bei den Reichsbischöfen auf erbitterten Widerstand, weil das Ansehen des Klosters 63 Vgl, AULINGER 1980(wie Anm. 14), S. 235ff.; WILLICH1994(wie Anm. 9), S. 27ff., der S. 32f. erläutert, daß das gefälschte Privilegium maius, mit dem Herzog Rudolf IV.sich bereits in der Mitte des 14. Jahrhunderts rangmäßig an die Kurfürsten anschließen wollte, seit der Erlangung des Königsthrons durch die Habsburger diesen als ein wichtiges Instrument für diesen Zweck diente. Zum Privilegium maius vg!. BEGRICH1965 (wie Anm. 40) und zuletzt Peter MORAW,Das lOPrivilegium rnaius« und die Reichsverfassung, in: Fälschungen im Mittelalter, Bd. 3 (Schriften der MGH 33), HannoverI988,S.201-224. 64 Vgl, HEIMPEL1984 (wie Anm. 34); HELMRATH 1987(wie Anm. 53), S. 322ff. und oben S. 14. 65 Vgl, ZELLFELDER 1913(wie Anm. 26), S. 97ff. und HEIMPEL(wie Anm. 31), S. sf. 66 Zusätzlich zu den folgenden Beispielen sei auf einen durch Johann von Viktring überlieferten Rangstreit von 1292 zwischen Mainz und Köln verwiesen. Der Mainzer Erzbischof, der einen herausgehobenen Rangplatz beanspruchte, ließ vorsorglich seinen Stuhl bewachen, doch konnten die Helfer des Mainzers nicht einen Angriff des Kölner Gefolges vereiteln: Moguntino presuli suum sessorium quoad pompam seculi excelsius eleuatur et, ne destruatur, a suis satellitibus obseruatur: Et ecce potencialius Coloniensi episcopi metatores adveniunt, locum hunc esse sui domini asserunt, custodes Moguntini presulis amoventes subsellia deieiunt et pervertunt. grandisque altercaeio inter utrosque pontifices et eorum populum est exorta, ita ut con cordia in discordiam uerteretur; et preualente Coloniense Moguntinus quod disposuit non perfecit. JOHANNVONVIKTRING, Liber certarum historiarum, Bd. 1, hg. Fedor Schneider (MGH SS in usum scholarum), Hannover/Leipzig 1909, S. 309. Zu einem 1310 erfolgten Rangstreit zwischen Mainz und Köln, den der König und daher sicher auch die Kon- trahenten vorhergesehen hatten, siehe Anm. 81. 67 LAMPERTvoNHERSFELD (wie Anm. 51), S. 76: Consuetudo erat in regno per multos retro maiores observata, ut semper in conoentu episcoporum abbas Fuldensis archiepiscopo Mogontino proximus assideret. Ähnlich ARNOLDIchronica Slavorum, MGH SS 21, S. 152: Fuldensis ecclesia hanc habet praerogativam ab antiquis imperatoribus traditam, ut quotiescumque Moguntiae generalis curia celebratur, domnus archiepiscopus huius sedis a dextris sit imperatoris, abbas Fuldensis sinistram eius teneat. Der Ausspruch gründete sich auf eine sehr weitgehende Interpretation des 969 an Fulda ver- liehenen Papstprivilegs, bei Abtsversammlungen in Gallien oder Germanien vor den übrigen auf dem RANGDENKEN UND RANGSTREITIM MITTELALTER 53 längst nicht mehr mit dem gestiegenen Einfluß des Reichsepiskopats Schritt halten konnte68• Als König Heinrich IV. 1062 das Weihnachtsfest zu Goslar feierte, kam es zum Streit, weil der Bischof Hezilo von Hildesheim als der zuständige Ortsbischof den vom Fuldaer Abt beanspruchten Sitz neben dem Mainzer Erzbischof haben wollte. Die Auseinandersetzung begann mit Scheltworten und Faustschlägen, hätte aber blutig geendet, wäre nicht der Herzog von Bayern zugunsten des Abtes eingeschritten. Der Bischof sann auf Rache und als sich der Königshof an Pfingsten des nächsten Jahres wieder in Goslar versammelte, ließ er die Stühle erneut zu seinen Gunsten aufstellen. Wie erwartet brach ein Tumult aus, auf den der Bischof gut vorbereitet war, denn er hatte eine Schar kampfbereiter Krieger hinter dem Altar versteckt, die auf sein Zeichen hin aufsprangen und auf die Fuldaer Leute erst mit Knüppeln, dann mit Schwertern losgingen und so den Sieg davontrugen69• Wer einen Rangstreit plante, tat also gut daran, mit einem großen Gefolge auf dem Hoftag zu erscheinen, auf dem der Zusammenstoß erfolgen sollte. Der Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg, der auf dem berühmten Mainzer Hoftag von 1184 den immer noch schwelenden Sitzstreit mit Fulda zu seinen Gunsten entscheiden wollte, hatte sich sogar mit einer Begleitung von angeblich 4000 Mann gerüstet. Als der Abt von Fulda auf seinem althergebrachten Rangplatz bestand, war Barbarossa zuerst geneigt, ihm nachzugeben. Erzbischof Philipp von Köln wollte daraufhin erzürnt den Mainzer Hoftag verlassen, worauf die wichtigsten Kölner Vasallen sich anschickten, ihm zu folgen. Dem Kaiser gelang es nur mit Mühe, den Oberhirten zu beruhigen, und er bewog den Abt, sich auf einen niedrigeren Platz zu setzen, was dieser nicht »ohne Scham- taeo. Wie wir gesehen haben, provozierte jeder Rangstreit eine heftige Reaktion des Angegriffenen, da dieser seine Ehre und Würde in aller Öffentlichkeit verletzt sah. Schlug der Herausgeforderte nicht sofort mit schärfsten Mitteln zurück, drohte er sein Gesicht und seinen Rang zu verlieren. In der Regel kam es deshalb auf der Stelle zu einem ungestümen Gefühlsausbruch des Angegriffenen, dem dann häufig Tätlichkeiten zwischen den Anersten Platz zu sitzen. Vgl. Konrad LÜBEcK,Der Primat der Fuldaer Äbte im Mittelalter, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 33 (1944), S. 277-301; Edmund E. STENGEL, Primat und Archicancellariat der Abtei Fulda. Ein Kapitel bonifatianischer Tradition, in: DERs.,Abhandlungen und Untersuchungen zur Hessischen Geschichte (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck 26), Marburg 1960, S. 312-334; FICtiTENAU 1984 (wie Anm. 2), S.30ff. 68 Zur Neubewertung der Bischofsstellung, die sich auch in einer Umprägung des vorher mönchisch orientierten Bischofsideals niederschlug, vgl, Odilo ENGELS,Der Reichsbischof in ottonischer und frühsalischer Zeit, in: Beiträge zu Geschichte und Struktur der mittelalterlichen Germania Sacra, hg. Irene CRUSIUS(Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 93), Göttingen 1989, S. 135-175 und DERs.,Das Reich der Salier-Entwicklungslinien, in: Die Salier und das Reich, Bd. 3, hg. SeefanWEINFURTER, Sigmaringen 1991, S. 479-541, hier S. 514ff. 69 Die Quellen werden ausführlich analysiert von STENGEL 1960 (wie Anm. 67), S. 322ff.; Konrad LÜBEcK,Der kirchliche Rangstreit zu Goslar, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 19 (1942), S. 96-133; GOETZ1992 (wie Anm. 9), S. 25ff. Vgl. auch die Musterinterpretation von Lamperts Bericht bei GOETZ,Proseminar Geschichte: Mittelalter, Stuttgart 1993, S. 236 ff. 70 Vg!. ARNOLDIchronica Slavorum (wie Anm. 67), S. 90. Bemerkenswerterweise argumentierte Erzbischof Philipp gegen die Bevorzugung des Fuldaer Abtes mit seinen herausragenden Leistungen für den Kaiser: Ecce in servitio oestro consenui, et certamen, quod pro vobis certavi, testantur cani 54 KARL-HEINZ SPIESS hängern der beiden Parteien folgten 71. Gelegentlich blieb auch der Rangträger selbst nicht unbehelligt. Als auf dem Konzil zu Westminster von 1176 zwischen den ständig rivalisierenden Erzbischöfen von Canterbury und York ein Streit darüber ausbrach, wer rechts neben dem päpstlichen Legaten sitzen sollte, warf das geistliche und weltliche Gefolge des Erzbischofs von Canterbury dessen Amtsbruder aus York zu Boden, zerriß seinen Bischofsornat, schlug ihn mit Fäusten und trampelte solange auf ihm herum, bis er halbtot gerettet werden konnte72• Es gab außer Gewalt und schärfsten Protesten übrigens noch eine probate Waffe, sich gegen eine Rangverletzung zu wehren. Sie bestand im Lächerlichmachen des Gegners. Graf Michael von Wertheim zahlte einem prächtig ausstaffierten, böhmischen Adeligen, der dem einfach gekleideten Grafen am Königshof Maximilians I. nicht den gebührenden Vortritt ließ, diese Anmaßung heim, indem er ihm auf höchst derbe Weise das Gewand beschmutzte ". Damit erreichte er, daß der Adelige im Angesicht des Königs dem Gespött des ganzen Hofes preisgegeben wurde, und hatte so seine Genugtuung erlangt. Nicht ganz so grob, aber genauso wirkungsvoll parierte Kurfürst Johann von Sachsen auf dem Augsburger Reichtstag von 1530 den Vorstoß eines Herzogs von Bayern, der sich erlaubte, auf einer Bank neben dem Kurfürsten Platz zu nehmen. J ohann stand zunächst nur auf und protestierte, ließ aber für die nächste Sitzung die Bank des Bayern ansägen und den Teppich wieder darüberlegen, so daß der Herzog unter dem Gelächter der Reichstagsbesucher mit der Bank zu Boden stürzte/", capitis me, in periculo vite mee. Et quod maius est, proch dolor! anime mee tribulationes et angustias multas transivi, nee aliquando pro honore imperii mihi vel rebus meis peperci. Zum Rangstreit Von 1184 vgl. STENGEL1960 (wie Anm. 67), S. 377f.; GOETZ 1992 (wie Anm. 9), S. 29ff. 71 Einige Beispiele mögen dies belegen. Auf der Synode zu Pöhlde 1001 gab es Streit um den Sitzplatz des päpstlichen Legaten: Sed postquam ad eoncilium uentum est, vu dici poterit, quanta seditione et tumultu agitaretur. N am nee locus sessionis vicario apostolici idoneus coneeditur, horribilis strepitus ingeminatur, ius fasque eontempnitur, canonica disciplina annullatur. Vita Bernwardi, in: Lebensbeschreibungen einiger Bischöfe des 10.-12. Jahrhundert, übersetzt von Hatto Kallfelz (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 22) Darmstadt 1973, c. 28, S. 324. Bei einem Rangstreit zwischen dem Abt von Fulda und dem Erzbischof von Magdeburg anläßlich der Kaiserkrönung Lothars Ill. am 4. 6. 1133: Ipse eodem die consecrationis orta est dissensio inter ministros ipsius ahhatis et archiepiscopi Magdehurgensis de primatu sedendi; cum que pro hac re vicissim prope usque ad effusionem sanguinis alterearentut [... ) Abdruck bei Stengel1960 (wie Anm. 67), S. 324f. Vg!. weiterhin Anm. 66 und die von ZELLFELDER1913 (wie Anm. 26), S. 157f. geschilderten Handgreiflichkeiten auf dem Konzil zu Basel. 72 Councils and Synods. With other Documents Relating to the English Church, Bd. 1: A.D. 871-1204, ed. D. WHITELocKlM. BRETT/C.N.L. BRooKE, Oxford 1981, S. 998 f.: [... ) orta est dira lis et eontencio inter predictos archiepiscopos quis illorum sederet a dextris ipsius cardinalis. Volehat enim Ricardus Cantuariensis archiepiscopus a dextris ipsius sedere, et dice hat hoc de iure pertinere dignitati ecclesie Cantuar[iensis). Sed Rogerus Eboracensis archiepiscopus contradicebat, asserens sedem illam suam esse debere de antiquo iure ecclesie sue. Et dum ita contenderent irruerunt in Rogerum Ehoracensium archiepiscopum monachi et seruientes, qui cum Cantuariensi archiepiscopo uenerunt, et arrepto illo pronum in terram proieeetunt et pedibus suis conculcaverunt, et crebris ictibus ceciderunt eum, et cappam qua indutus fuerat fregerunt. Sed tandem semimortuus vu e manihus eorum ereptus est. Der Vorfall wird kurz erwähntvon DUEBALL1929 (wie Anm. 37), S. 102f. 73 Die Chronik der Grafen von Zimmern (wie Anm. 18), Bd. 2, Sigmaringen 31981, S. 94f. 74 Vgl. VOIGT 1850 (wie Anm. 62), S. 319f. undAuLINGER 1980 (wie Anm.14), S. 233.Voigt, aufden sich Aulinger stützt, nennt als Urheber allerdings Kurfürst Joachim von Brandenburg, gibt aber seine RANGDENKEN UND RANGSTREIT IM MITTELALTER 55 Da die Großen immer wieder am Königshof oder auf dem Reichstag zusammentrafen, verlangte jeder Rangstreit nach einer Schlichtung, die nun zur Sprache kommen soll. Kam es zu einem solchen Zusammenstoß, blickten alle Parteien gespannt auf den König, dem die Entscheidung einer solchen Streitsache ganz allein zufiel.". Einerseits wurde auf diese Weise die monarchische Spitze der höfischen Rangordnung gut illustriert, andererseits geriet der Herrscher bei einem Rangstreit der Fürsten in eine recht prekäre Situation. Da es bei der Frage des Vorranges strenggenommen keinen Komprorniß, sondern nur einen Sieger und einen Verlierer geben konnte, war der König kaum in der Lage, es beiden Parteien recht zu machen. Ein Nachgeben in conspectu principum, im Angesicht der Fürsten, kam aber für einen Großen einer tiefen Demütigung gleich, die ihn mit Zorn gegenüber dem König erfüllen mußte76• Das Bemühen, solche Verärgerungen zu vermeiden, ließ merkwürdige Kompromißvorschläge aufkommen, wie z.B. ein täglicher Wechsel des begehrten Sitzplatzes zwischen den beiden Kontrahenten 77 oder die sogenannte mixtura, das Mischen der Vertreter beider Parteien in einem ausgewogenen Verhaltnis ", Nicht selten verschob man das öffentliche Auftreten." oder ließ es ganz ausfallen'", um Quelle nicht an. Valentin von Tetleben berichtet als Beobachter des Reichstages von 1530 davon, daß anfänglich Herzog Wilhe1m von Bayern und Herzog Georg von Sachsen bei den Kurfürsten auf der Bank gesessen hätten. Eines Tages sei aber die Kurfürstenbank auf jeder Seite um vier Handbreiten verkürzt worden, um beiden Fürsten deutlich zu machen, daß sie fortan bei den anderen weltlichen Fürsten sitzen sollten. Vgl. Valentin von Tetleben, Protokoll des Augsburger Reichstages 1530, hg. Herbert GRUNDMANN(Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 4), Göttingen 1958, S. 89. 75 Dem Reichsmarschall von Pappenheim oblag zwar die Zuweisung der Sitze auf dem Reichstag, doch besaß er keine Entscheidungskompetenz. Vg!. Ernst SCHUBERT,König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 63), Göttingen 1979, S. 345f. Maximilian I. war sehr darauf bedacht, sich gegenüber dem Reichsregiment bei Sessionsfragen als oberste Autorität darzustellen. Vg!. WILLICH 1994 (wie Anm. 9), S. 58 f. 76 Vg!. hierzu Hagen KELLER, Zwischen regionaler Begrenzung und universalem Horizont. Deutschland im Imperium der Salier und Staufer 1024 bis 1250 (Propyläen Geschichte Deutschlands 2), Berlin 1986, S. 73ff. mit einem eigenen Kapitel »Königsherrschaft in und über dem Rangstreit der Großen«, besonders S. 86. 77 Vg!. WILLICH 1994 (wie Anm. 9), S. 39ff.; RTA, Mittlere Reihe, Bd. VI, Nr. 98, S. 186 betreffend die Erzbischöfe von Magdeburg und Salzburg sowie Baden und Hessen. 78 Vg!. HELMRATH1993 (wie Anm. 9), S. 756. Die mixtura wurde auch auf dem Reichstag von 1521 für die regierenden Fürsten der Häuser Pfalz, Sachsen und Brandenburg, die nicht Kurfürsten waren, vorgeschlagen. RTA, Jüngere Reihe, 11, Nr. 6, S. 149f. 79 Anläßlich der Krönung König Rudolfs von Habsburg berichtet die Sächsische Weltchronik: [... ] unde des se/bin morgens as man nicht zu hofe. Daz quam von zweiunge des bischofes von Menze unde des von Colne, wenne ir ig/icher wo/de sizzen zu der rechten hand des koniges unde mit ime essen. Das Essen fand am nächsten Tag statt, wobei der Kölner den rechten Platz inne hatte, der Mainzer sich aber sofort mit einer Non-Präjudiz-Urkunde versichern ließ, daß ihm hieraus keine Nachteile erwachsen sollten. Die Sächsische Weltchronik, in: Deutsche Chroniken und andere Geschichtsbücher des Mittelalters, Bd. 2, Hannover 1877, ND 1980, S. 286; MGH Const. Ill, Nr. 12, S. 15 vom 24. 10. 1273. Vg!. hierzu Karl ZEUMER, Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV., Teill: Entstehung und Bedeutung der Goldenen Bulle (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches 2,1), Weimar 1908, S. 26. 80 So verweigerten der König und die Fürsten mit Ausnahme des Mainzer Erzbischofs wegen anstehender Rangprobleme auf dem Reichstag zu Freiburg 1498 die Teilnahme an einer Prozession. RTA, Mittlere Reihe, Bd. VI, Nr. 5, S. 607. S6 KARL-HEINZ SPIESS einer Rangentscheidung aus dem Weg zu gehen. Mit diplomatischem Geschick löste König Heinrich VII. den altbekannten Streit zwischen den Erzbischöfen von Mainz und Köln um den Platz zur Rechten des Herrschers anläßlich der 1310 gefeierten Hochzeit seines Sohnes Johann. Er besänftigte die bereits zu den Waffen greifenden Anhänger beider Erzbischöfe, indem er das öffentliche Essen absagte und mit den Streithähnen privat in der Herberge speiste.", War tatsächlich einmal eine Partei bereit nachzugeben, so verlangte sie in der Regel sogleich ein Non-Präjudiz-Edikt, um dauerhafte Nachteile zu vermeiden=. Der heute so beliebte runde Tisch hatte in der hierarchischen Welt des Mittelalters nur geringe Einsatzchancen zum Umgehen von Rangkämpfen. Gelegentlich hört man von einer kreisrunden Anordnung der Sitze83 oder Zelte84, ansonsten blieb dieses egalitäre Modell dem Hof des mythischen Königs Anus vorbehalten, der seine Ritter an einer riesigen table ronde versammelre '". Schließlich sei noch auf die Funktion der Rangordnungen eingegangen. Zum einen erfüllten die rangmäßig abgestuften Verhaltensformen mit ihrem differenzierten Zeichensystem die wichtige Aufgabe, als »Spielregeln« das Funktionieren der mittelalterlichen Ordnungen zu garantieren 86, zum anderen weisen sie aber auch darüber hinaus, indem sie auf der Ebene des Königshofes die Reichsverfassung widerspiegeln. In der Sitzordnung auf Hof- und Reichs.tagenprägte sich den Beteiligten und den Betrachtern die politische 81 Rex itaque Romanorum, antequam sciens causam fore certaminis archiepiscoporum illorum, utrumque acceptum per manum iocunde ad suum duxit bospitium, ubi privatum fit convivium, et statim cessavit subortum tempestatis litigium. Die Königssaaler Geschichtsquellen. Mit den Zusätzen und der Fortsetzung des Domherrn Franz von Prag, hg. Johann LOSERTH (Fontes rerum Austriacarum, Scriptores 8), Wien 1875, ND Graz 1970, S. 272 f. Vg!. zu diesem Vorfall, der gut belegt, daß es den Parteien weniger um den Rang an sich, sondern eher um die öffentliche Demonstration des Ranges ging, unten S. 23. 82 Siehe Anm. 79 und HELMRATH1993 (wie Anm. 9), S. 757 Anm. 129. 83 So auf dem Konzil zu Reims 1049. Vg!. Charles Joseph HEFELE, Histoire des conciles d'apres les documents originaux, traduits par Henri LEcLERcQ, Bd. 4,2, Paris 1911, S. 1017ff. mit Skizze auf S.1018. 84 Barbarossa hatte die Fürstenzelte auf dem Mainzer Hoftag 1184 in Kreisform aufstellen lassen. Vg!. Peter MORAw, Die Hoffeste Kaiser Friedrich Barbarossas von 1184 und 1188, in: Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, hg. Uwe SCHULTZ,München 1988, S. 70-83, hierS.75. 85 Vg!. BUMKE1986 (wie Anm. 5), S. 251 mit einem Zitat aus dem Tristan Heinrichs von Freiberg: »Die Tafel hat nirgends Haupt noch Ende, weder Ecke noch Spitze. Die Helden, die durch ritterliche Taten und Kühnheit so würdig geworden sind und die es ritterlich verdient haben, daß sie dort sitzen, die sitzen alle in ausgezeichneter Weise undalle gleich an hohem Rang«. Vg!. auch A.J. DENOMY,The Round Table and the Council of Rheims, 1049, in: Medieval Studies 14 (1952), S. 143-149, der nicht ausschließen will, daß Papst Leo IX. die Anregung für sein Sitzplatzarrangement in Reims von der Artussage empfing. 86 Vg!. hierzu besonders ALTHOFF 1993 (wie Anm. 4), S. 46 und Hasso HOFMANN, Der spätmittelalterliche Rechtsbegriff der Repräsentation in Reich und Kirche, in: Höfische Repräsentation. Das Zeremoniell und die Zeichen, hg. Hedda RAGoTZKY/Horst WENZEL,Tübingen 1990, S. 17-42, hier S. 21 mit dem Hinweis auf »die Bildung politischer Einheit durch Verbindlichkeit erzeugendes Verhalten ihrer Mitglieder«, Zur Widerspiegelung des sozialen Rangsystems in der Literatur vg!. den Beitrag von Horst WENZEL,Repräsentation und schöner Schein am Hof und in der höfischen Literatur, in: ebd., S. 171-208. RANGOENKEN UNORANGSTREIT IM MITTELALTER 57 Ikonographie des Reiches ein. Über den Augenblick hinaus wirkten ausführliche Berichte mit präzisen Angaben zu Standort und Reihung der Teilnehmer sowie Drucke mit Wiedergabe der Personen und ihrer Plätze87• Die überlieferte Konfiguration eines Herrschers, der umgeben von einer Schar sorgfältig abgestufter Fürsten eine Versammlung leitet, darf ebenso wie die mit großem zeremoniellen Aufwand durchgeführte Belehnung eines Fürsten'" in ihrer stabilisierenden Wirkung für die Reichsverfassung keinesfalls unterschätzt werden. Angesichts einer derart mental verwurzelten Rangordnung kommt den Rangstreitigkeiten eine bedeutende Funktion zu, da sie als Seismographen für Verwerfungen im politisch-sozialen Reichsgefüge dienen können. Die gewachsene Bedeutung der Reichsbischöfe, der Aufstieg Burgunds oder die im 15. Jahrhundert stark ansteigende politische Potenz der Habsburger führten zu heftigen Rangkämpfen, weil die Betroffenen die rechte -Ordnung« gestört sahen, d. h. ein Mißverhältnis zwischen ihrer Machtstellung und deren Abbildung in der Reichsverfassung erkannten. Gerade wegen ihrer gewohnheitsmäßigen Verfestigung waren jedoch Änderungen in der Rang- und Sitzordnung nicht von heute auf morgen, sondern nur nach langwierigen Auseinandersetzungen zu erreichen. Das Haus Österreich benötigte trotz der für echt gehaltenen Präzedenzklausel des Privilegium maius89 rund fünfzig Jahre, um den ersten Rang nach den Kurfürsten durchzusetzen und landete dabei auf der Bank der geistlichen Fürsten 90. Auffällig ist, wie sehr sich die präzise Rangordnung der Goldenen Bulle von 1356 gleichsam als erratischer Block in dem sich weiter entwickelnden politisch-sozialen System des 15. und 16. Jahrhunderts erwies. In das Ranggefüge der Kurfürsten konnte sich niemand mehr hineinzwängen; man mußte diese Gruppe entweder überflügeln, d.h. sich wie Burgund zwischen sie und den König drängen, oder sich wie Österreich möglichst dicht an sie anschließen. Da die Rangordnung am Königshof in ihrer hierarchischen Strukturierung auf den Throninhaber zulief, liegt deren herrschaftslegitimierende Funktion auf der Hand. Bezeichnenderweise kam es im deutschen Reich nicht zu einer »Entrückung« oder Überhöhung des Regenten, wie sie aus Byzanz überliefert ist 91. Die Teilhabe der Großen an 87 Vg!. statt vieler möglicher Belege nur den Bericht über die Belehnungen genannter Fürsten auf dem Wormser Reichstag imJuli 1495,in: Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, bearbeitet von Heinz ANGERMEIER (RTA, Mittlere Reihe V,2), Göttingen 1981,Nr. 1855,S. 1689ff. Der Bericht ist in zwei zeitgenössischen Drucken überliefert, so daß die Breitenwirkung weitaus größer war als bei den älteren Uberlieferungen, die meist von Gesandten für ihre Herren angefertigt wurden. Zu den Holzschnitten, auf denen Graphiker des 16.Jahrhunderts Sessionen darstellten, vg!. AULINGER 1980(wie Anm. 14),S.232f., zur Reichstagsliteratur insgesamt und deren Adressaten vg!. Friedrich Hermann SCHUBERT, Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der frühen Neuzeit (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 7), Göttingen 1966. 88 Vgl, Anm. 86 sowie Karl-Friedrich KRIEGER,Die Lehnshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter (ca. 1200-1437) (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N.E 23), Aalen 1979,S.429ff. 89 [... ] et nichilominus in consessu et incessu ad latus dextrum imperii post electores principes obtineat primum locum. MGH Diplomata El. 4, Nr. 1040,S.348. 90 Vg!.WILLICH(wie Anm. 9), S.22ff. 91 Vg!.TREITINGER (wie Anm. 11),S.49ff. 58 KARL-HEINZ SPIESS der Herrschaft ließ offenbar keine allzu große Distanzierung zu92, womit der Abbildcharakter der Rangordnung für die Verfassungswirklichkeit erneut bekräftigt wird. Die dem König verbleibende zeremonielle Distanz reichte aber aus, um gerade durch deren Aufhebung einzelne Fürsten an sich binden zu können. So ließen sich kleine Gesten, die als gezielter Gunsterweis oder allgemeines Signal königlicher Huld 93gelten konnten, politisch instrumentalisieren. Zu denken ist etwa an die Geste des Saliers Konrad des Älteren der seinen schärfsten Konkurrenten um den Königsthron, seinen Vetter Konrad denJün~ geren, sofort, nachdem dieser seine Stimme bei der Königswahl von 1024 für ihn abgegeben hatte, an die Hand nahm und ihn neben sich Platz nehmen ließ94. Wenn in der Vita des Bischofs Ulrich von Augsburg berichtet wird, Kaiser Otto 11. sei einmal, kurz nachdem ihm die Ankunft des Bischofs gemeldet worden war, halb angezogen aus dem Schlafgemach geeilt, um den unerwarteten Gast zu empfangen, dann darf man davon ausgehen, daß Ulrich diese Geschichte zu seinen Lebzeiten immer wieder erzählt hatte, weil sie indirekt seine Königsnähe und seinen persönlichen Rang am Hofe illustrierte'", Weitaus bedeutender, da langfristig wirkend, sind die Standeserhebungen als Gunsterweis seit dem 12.Jahrhundert zu veranschlagen, die bislang noch zu wenig als massive Eingriffe des Königs in ein bereits weitgehend stabilisiertes Rangsystem der Fürsten gedeutet worden sind. Das Rangdenken ließ sich noch in einem weiteren Sinn für den König politisch instrumentalisieren. So kann man in Bischofsviten nicht selten deutlich herauslesen, daß das ehrgeizige Bemühen des Prälaten, am Hofe den ersten Platz einzunehmen bzw. den Rang der eigenen Kirche zu erhöhen, die wichtigste Triebfeder für aufopferungsvolle Reichsdienste darstellte 96.Besonders auffällig ist dieses Motiv in der Vita des Bischofs Adalbert 92 THIETMARVONMERSEBURG,Chronik (wie Anm. 36) IV, 47, S. 162ff. berichtet über die kritisch aufgenommene Neuerung Ottos 111.,der in Anknüpfung an das römische Kaiserzeremoniell ganz allein an einem halbkreisförmigen erhöhten Tisch speiste (Imperator antiquam Rotnanorum consuetudinem iam ex parte magna deletam suis cupiens renouare temporibus, multa faciebat, quae diversi diverse sentiebant. Solus ad mensam quasi semicirculus factam loco caeteris eminenciori sedebat). Zum abgesonderten Speisen Konstantins an einem goldenen Tisch und den Tischsitten am byzantinischen Hof vg!. TREITINGER 1938 (wie Anm. 11), S. 103f. Zur Kritik an Ono Ill. vg!. ALTHOFF 1990 (wie Anm. 58), S. 204 und jetzt auch DERs., Otto 111.,Darmstadt 1996, S. 197 f. .. 93 Vg!. hierzu den grundlegenden Beitrag von Gerd ALTHOFF, Huld. Uberlegungen zu einem Zentralbegriff der mittelalterlichen Herrschaftsordnung, in: Frühmittelalterliche Studien 25 (1991), S. 259-282, hier S. 271 ff. 94 WIPO, Taten Kaiser Konrads Il., in: Quellen des 9. und It. Jahrhunderts zur Geschichte der hamburgischen Kirche und des Reiches, hg. Werner TRILLMICH (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 11), Darmstadt 61990, S. 522-613, hier S. 544f. 95 Das Leben des Heiligen Ulrich, Bischof von Augsburg, verfaßt von GERHARD, in: Lebensbeschreibungen einiger Bischöfe des 10.-12. Jahrhunderts, übersetzt von Hatto KALLFELZ(Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 22), Darmstadt 1973, c. 21, S. 126£. 96 Vg!. etwa THIETMARVONMERSEBURG(wie Anm. 36), S. 328f. über die Rolle des späteren Erzbischofs Anno von Köln am Hof Heinrichs HI.: A qua in palacium assumptus brevi apud eum (= Heinrich Ill.) pro omnibus clericis, qui in foribus palacii excubabant, primum gratiae et familiaritatis gradum obtinuit. Weiterhin Georg WAlTZ, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 6, bearb. von Gerhard SEELlGER,Berlin 21896, S. 380ff. Der Schlüsselbegriff für denjenigen, der dem König am nächsten steht, lautet in den Quellen secundus a rege. Vg!. WEINFURTER1987 (wie Anm. 8), c. 35, RANGDENKEN UND RANGSTREITIM MITTELALTER 59 von Bremen. Immer wieder kämpfte er darum, »die unbestrittene Gunst bei Hofe zu gewinnen und vor allen anderen die Leitung der Geschäfte in die Hand zu bekommen«, um selbst an erster Stelle zu stehen und so »seiner Kirche einen Vorrang an Reichtum und Ansehen« zu verschaffen 97. Für die Kontrahenten selbst boten die Rangstreitigkeiten eine Möglichkeit zur Austragung ihrer Machtrivalitäten, die von einigen Ausnahmen abgesehen unterhalb der Schwelle von Gewaltanwendung blieb. Der königliche Hof und die Reichstage dienten als einzigartige Bühnen, auf denen die Großen ihre Rangkämpfe im Licht der Öffentlichkeit austragen konnten. Dieser Propagandaeffekt wurde ganz bewußt gesucht, weshalb gerne herausragende Anlässe, wie die Schwertleite der Kaisersöhne auf dem Mainzer Hoftag von 1184 oder Krönungsmähler, für einen Rangangriff gewählt wurden. Die Königsaaler Chronik weist nach ihrer Schilderung eines 1310 bei der Hochzeit des Königssohnes Johann ausgetragenen Sitzstreits zwischen Mainz und Köln darauf hin, daß die beiden Parteien immer nur bei festlichen Essen um den Vorrang kämpfen, aber niemals bei privaten Gastmählern 98. Der ständige Rangwettstreit, der als Maxime einer Adelswelt gelten darf, in der jeder »adeliger« als der andere sein wollte, zielte demnach allein auf die öffentliche Präsentation. Schon der Byzantiner Philotheos hielt diese Einstellung in dem 899 entstandenen Zeremonienbuch fest: Illustris omnia vita munusque omne gloriae plenum in nulla re se magis spectabile spectantibus exhibet magisque ferit oculos, quam si publica voce praecedere et praesidere alteri inferiori apud splendidam tabulam epulasque multum expetitas sapientissimorum nostrorum imperatorum [ubetur'", Die öffentliche Ankündigung des Rangplatzes, die wohl durch einen Hofdiener erfolgte und die man als eine akustische Ergänzung der visuell wirkenden Sitzordnung bezeichnen könnte, scheint übrigens auch am deutschen Königshof üblich gewesen zu sein 100. S. 63: Eo tempore cum secundus a rege esset rexque eum solo regni solio precederet (über Bischof Gebhard von Eichstätt am Hof Heinrichs Ill.). Vgl. auch Karl BRUNNER,Oppositionclle Gruppen im Karolingerreich (Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 25), Wien/Köln/Graz 1979,S. 27 H., der den Kampf um diesen Platz an der Seite des Königs als ..Leitmotiv der politischen Auseinandersetzungen zwischen den Adelsgruppen des neunten und zehnten Jahrhunderts« bezeichnet (S. 35). 97 [... ] ecclesiam suam divitiis et honore ceteris anteferre. [... ] ut vel solus placeret in curia vel maior domus fieret pro omnibus. ADAMVONBREMEN, Bischofsgeschichte der Hamburger Kirche, in: Quellen des 9. und 11.Jahrhunderts (wie Anm. 94), Ill, 27, S. 362f.; 36, S. 372f. Weitere charakteristische Aussagen sind: [... ] nee pepercit sibi ac suis aut ipsi episcopatui, cesarem placando et aulicos [... ]. Arcbiepiscopus eo tempore primaturn curiae tenebat ... Et iam consulatum adeptus est, iam remotus aemulis solus possedit arcem capitolii. [... ] Ebd., Ill,S, S. 332f.; III, 45, S. 382f.; Ill, 47, S. 386£. 98 Ex antiquo lis fuit his, modus quoque talis: cum hi duo Maguntinensis et Coloniensis archiepiscopi sunt in locis alicuius privati conoioii, se invicem honore praeveniunt et ubi quis sedeat aut quomodo vadat, minime contendunt, in loco enim et in convivio privata non solempni quilibet istorum a/ium praeficit sibi; quando vero Romanus rex curiam aut solempnitatem aliquam celebrat, unus tunc avide alium praeire festinat. Siehe Anm. 81. 99 Migne, Patrologia Graeca, Sp. ~.293f. Der griechische Text wird der Einfachheit halber in der bei Migne beigegebenen lateinischen Ubertragung zitiert. Vgl. auch die französische Ubersetzung bei Oikonomides (wie Anm. 21), S. 82. 100 Vgl. den auf die Kurfürsten bezogenen Hinweis des Chronicon Colmariense zum Hoftag König Albrechts in Nürnberg am 18. 11. 1298:[... ] et ibi dignitas cuiuslibet domini coram rege solenniter recitatur. MGH, SSXVII, S. 267. Erzbischof Arnold von Mainz wurde am Hof Friedrich Barbarossas KARL-HEINZSPIESS 60 Bei der Beschäftigung mit dem Rangdenken vom Frühmittelalter bis zum Beginn der Neuzeit fallen demnach eine Reihe von Konstanten auf, zu denen das öffentliche Herausstellen des Ranges, die Rangsymbole und im wesentlichen auch die Rangkriterien zählen, die stereotyp echte oder gefälschte Privilegien, das persönliche oder institutionelle Alter, die mythische oder tatsächliche Vornehmheit der Dynastie usw. ins Feld führen. Auffällig scheint gegenüber der älteren Zeit eine Zunahme der Sessionsstreitigkeiten im 15. Jahrhundert zu sein, die sich nicht nur mit der besseren Quellenlage erklären läßt. Auf europäischer Ebene boten die Konzilien von Konstanz und Basel erstmals die begierig ergriffene Gelegenheit zur »universalen« Selbstdarstellung der sich formierenden Nationen 101. Im Reich zwangen dagegen die Verdichtung der Reichsverfassung und die Herausbildung einer Geschäfts- und Stimmordnung des Reichstages zu einer präziseren Definition des Rangplatzes nicht nur in der Spitzengruppe um den König, sondern auch auf den hinteren Rängen des Fürstenstandes, wie die Auseinandersetzung zwischen Baden und Hessen belegt 102. Bezeichnenderweise weiteten sich die Sessionsstreitigkeiten über den rangbewußten Adel auf die im Reichstag vertretenen Städte aus. Daß dieser Prozeß um 1530 noch im Gang war, zeigt nicht zuletzt das Scheitern der 1530 geplanten »Goldenen Bulle« Kaiser Karls in der eine verbindliche Rangordnung für die Fürsten hätte formuliert werden sollen, um die für die Reichstagsgeschäfte so hinderlichen Sessionskämpfe dauerhaft beizulegen 103. Abschließend soll noch ein Blick auf die nachteiligen Auswirkungen der Rangstreitigkeiten geworfen werden. Bei feierlichen Anlässen am Hof konnte eine Auseinandersetzung um den Vorrang die Festesfreude stören, was angesichts der Bedeutung, die das Krönungsmahl oder sonstige höfische Feste für die Selbstdarstellung des Königtums besaßen, als negative Folge nicht unterschätzt werden darf. Gelegentlich überliefern die Quellen deshalb die inständig vorgetragene Bitte des Königs an die Parteien, allein um der Festesfreude willen mit dem Streit aufzuhören IQ.{. v., sub preconis voce angekündigt. Vita Arnoldi archiepiscopi Moguntini, in: Monumenta Moguntina, hg. von Philipp JAFFE,Berlin 1866,S. 638. Vg!. hierzu demnächst Karl-Heinz SPIESS,Der Hof Barbarossas und die politische Landschaft am Mittelrhein. Methodische Uberlegungen zur Untersuchung der Hofpräsenz im Hochmittelalter, in: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späten Mittelalter (12.-15. Jahrhundert), hg. Peter MORAW(Vorträge und Forschungen), Sigmaringen 1997. 101 Vgl, HELMRATH, Basler Konzil (wie Anm. 53), S. 324ff. 102 Daneben sind 1498 auch Sessionsstreitigkeiten zwischen Hessen und dem gerade zum Herzogtum erhobenen Württemberg überliefert. RTA, MR, VI, Nr.44, S. 656£.(13. 7.1498). 103 Vg!. AULlNGER(wie Anm. 14), S. 247; LUTTENBERGER (wie Anm. 14), S. 312 und besonders WILLICH(wie Anm. 9), S. 101£. 104 Auf das Verlangen des Fuldaer Abts hin, der Kölner Erzbischof solle ihm seinen Platz überlassen, bat Friedrich Barbarossa 1184 den Kölner, er möge ihm das Hoffest nicht verderben: Secundum petitionem ipsius rogamus, ut hodie iocunditatem nostram non turbetis et locum, quem sui iuris affirmat esse, ei non ~egetis. Arn~ldi .chronica.Slavoru~ (wie Anm. 67~Ill, 9, S. 8~. In der Urkunde König Rudolfs und seiner Gemahlin, m der beide versichern, dem Mamzer Erzbischof werde durch sein Nachgeben im Rangstreit mit dem Kölner Amtskollegen anläßlich des Krönungsmahls in Aachen am 24. 10. 1273 kein Nachteil erwachsen, wird deutlich, daß das Einlenken um der Festesfreude willen erfolgt war: Tandem Maguntinus predictus, ne tante festivitatis iocunditas in aliquo turbaretur; quin pocius in omnibus ad nostrum desiderium ageretur, ad magnam nostrarum ceterorumque principum precum instanciam questioni huiusmodi non inhesit. MGH, Const.III, Nr. 12, S. 15 vom 24.10.1273. RANGDENKEN UND RANGSTREIT IM MITTELALTER 61 Weiterhin wirkten sich Rangkämpfe hinderlich auf die Tätigkeit größerer Versammlungen aus. Das Konzil von Basel verlor so viel Zeit mit Rangstreitigkeiten, daß Kaiser Sigismund 1434 den Prälaten vorwarf, sie hätten jetzt dreijahre getagt et so/um super sedi- bus et superbia sua disputassent nee adhue eoneordassent de sedibus et quomodo mundum reformare possent, dum non superbiam sedium reformare valerent 105. Auch die Arbeit des Reichstages wurde bis weit in die Neuzeit hinein immer wieder durch die hoffart der session beeinträchtigt 106. Die Frage des Ranges und des Zeremoniells nahm in der höfischen Welt des Absolutismus gewaltig an Bedeutung zu, wobei die herrschaftsstabilisierende Distanzierung des Regenten stärker als im Mittelalter in den Vordergrund rückte+", Erst im Zuge der Aufklärung entwickelten sich in der Umgebung des Herrschers rationalere Umgangsformen, die geeignet waren, die Effektivität der Herrschaftsausübung zu steigern. So wies Kaiser J oseph 11. 1783 seine Staatsbeamten an, die Geschäfte »ohne Rücksicht auf Rang oder Zerernonie« zu behandeln 108. Ganz verdrängen läßt sich jedoch das Rangdenken selbst in unserer prinzipiell egalitär ausgerichteten Gesellschaft nicht, wie jeder aufmerksame Beobachter nicht nur im Bereich des diplomatischen Protokolls leicht feststellen kann. 105 Concilium Basjlense. Studien und Quellen zur Geschichte des Concils von Basel, Bd. 5: Tagebücher und Acten, Base11904, S. 104. 106 Vg!. z.B. RTA, MR, VI, Nr. 11, S. 611 (25. 6. 1498): Da aber über die strittige Session zwischen Sachsen und Bayern keine Einigung erzielt wurde, konnte an diesem Tag nichts zustande gebracht werden. Maximilian beschwert sich darauf über die hoffart der session, die er seit einer Woche täglich beizulegen versuche. Vg!. weiterhin AULlNGER(wie Anm. 14), S. 228ff. 107 Vg!. EHALT 1980, Ausdrucksformen (wie Anm. 14), S. 126ff.; DERS. 1981, Funktion (wie Anm. 14), S. 413 H. 108 Vg!. BERBIG 1981 (wie Anm. 14), S. 248.