Universitätsklinikum Jena – Zentrale Notfallaufnahme Arbeitsanweisung Idiopathische Fazialisparese (Bell’s palsy) Seite 1 von 4 1. Fakten Definition: Die idiopathische Fazialisparese beschreibt einen isolierten erworbenen peripheren Ausfall des VII. Hirnnerven ohne erkennbare Ursache. Sie umfaßt 60-75% aller erworbenen peripheren Fazialisparesen und ist damit die häufigste Hirnnervenläsion. Inzidenz: • Mit zunehmendem Lebensalter 7-40/100.000 Einwohner/Jahr • Keine Geschlechterprävalenz • Dreifach erhöhtes Risiko in der Schwangerschaft, Zusammenhang mit Hypertonie und Präeklampsie Ätiologie: Pathophysiologisch werden derzeit eine Entzündung und Reaktivierung einer Herpes-simplex-Virus-Infektion als wichtigste ursächliche Faktoren diskutiert. Prognose: • Insgesamt auch unbehandelt mit sehr guter Prognose • in 85% bei unbehandelten Patienten erfolgte eine komplette Rückbildung innerhalb von 3 Wochen • 10% partielle Rückbildung bis zu 9 Monaten • Inkomplette Parese zeigt eine bessere Komplett-Remission • In der Schwangerschaft auftretende Bell’s palsy hat eine etwas ungünstigere Prognose • Fazialisparesen nach Zosterinfektion resultieren häufiger in einer Defektheilung • Fazialisparesen im Rahmen einer Neuroborreliose zeigen eine sehr gute Komplettheilung Differentialdiagnosen: ca. 25-40% der erworbenen peripheren Fazialisparesen im Zusammenhang mit einer definierten Erkrankung o Traumatisch: Felsenbeinquerfraktur, Dissektion der extrakraniellen A. carotis interna o Entzündlich: z.B. Borreliose und Zoster oticus mit größtem Vorkommen, CMV/HIV-Infektion, GuillainBarré-Syndrom, Herpes simplex, Diphterie, Mumps, Röteln Ersteller: o Neoplastisch: Schwannome (VIII.Hirnnerv), Meningeome, maligne Tumoren, Cholesteatome o Metabolisch: D. mellitus, Schwangerschaft (bes. 3. Trimenon) o Einzelfälle: z.B. M. Wegner, Sarkoidose, Sjörgren-Syndrom, ALL, Meningeosis carcinomatosa Dr. T. Chaudhary, Dr. U. Grebenstein © Universitätsklinikum Jena – Zentrale Notfallaufnahme Universitätsklinikum Jena – Zentrale Notfallaufnahme Arbeitsanweisung Idiopathische Fazialisparese (Bell’s palsy) Seite 2 von 4 2. Symptome • Stirnrunzeln möglich (DD zur zentralen Fazialisparese!!!) • Hängender Mundwinkel • Lidschluss nicht möglich • retroaurikuläre Schmerzen und schwer fassbare Missempfindungen im Bereich der gleichseitigen Wange • Geschmacksstörungen • seltener Hyperakusis durch Parese des M. stapedius 3. Diagnostik: Klinische Untersuchung • Gründliche neurologische Untersuchung mit der folgenden Fragestellungen: o Weitere neurologische Defizite? (keine idiopathische Fazialisparese!!!) o Lidschluss möglich? (Cave Hornhautulcera) o Hyperakusis für niedrigere Frequenzen? (Mitbeteilung M. stapedius) o Tränen- und Speichelsekretion? o Schmecken? • Otoskopie, da Herpesbläschen ausschließlich im Gehörgang auftreten können • bei sehr starken Schmerzen auch ohne Bläschennachweis immer an Herpes zoster denken (Zoster sine herpete) Schweregradeinteilung (nach House-Brackmann Skala) Ersteller: o Grad I - normale Fazialisfunktion o Grad II+III - leichte und nicht entstellenden Fazialisparese o Grad IV - mit inkomplettem Lidschluss o Grad V - zusätzlich kaum eine Mundwinkelbewegung möglich o Grad VI - komplette Lähmung Dr. T. Chaudhary, Dr. U. Grebenstein © Universitätsklinikum Jena – Zentrale Notfallaufnahme Universitätsklinikum Jena – Zentrale Notfallaufnahme Arbeitsanweisung Idiopathische Fazialisparese (Bell’s palsy) Seite 3 von 4 Diagnostischer Algorithmus: 4. Behandlung: Medikamentöse Therapie: Kortikosteroide • ist evidenzbasiert zu empfehlen • Dosierung: 2 x 25mg Prednisolon p.o. für 10 Tage oder 60mg für 5 Tage p.o. • dann tägliche Dosisreduktion um 10mg/Tag p.o. • Beginn innerhalb von 72 Stunden nach Symptombeginn • Auch bei Diabetikern zu empfehlen unter sorgfältiger Kontrolle des Blutzuckers Virustatika: Basierend auf der Vermutung einer entzündlichen Genese der Fazialisparese durch Reaktivierung einer HerpesSimplex Typ I Infektion • kein Nutzen einer antiviralen Therapie in großen Metaanalysen • nur bei Fazialisparese durch das Varicella Zoster Virus: Ersteller: o Aciclovir 5x800mg p.o. oder 5-10mg/kgKG i.v. für 7 Tage oder o Valciclovir 3 x 1000mg p.o. für 7 Tage oder Dr. T. Chaudhary, Dr. U. Grebenstein © Universitätsklinikum Jena – Zentrale Notfallaufnahme Universitätsklinikum Jena – Zentrale Notfallaufnahme Arbeitsanweisung Idiopathische Fazialisparese (Bell’s palsy) Seite 4 von 4 o Brivudin p.o. 1 x 125mg für 7 Tage Analgetika (bei Bedarf) • Ibuprofen oral 3 x 600mg unter Magenschutz • Paracetamol oral 4 x 500mg – 4 x 1000mg Nicht-Medikamentöse Therapie: Aktuell kein belegter Nutzen für: • Akupunktur • Physikalische Therapie (Übungsbehandlung, mimische Übungen, Elektrotherapie, Biofeedback, Licht- Kältebzw. Wärmetherapie, elektrische neurale Muskelstimulation) • Chirurgische Intervention Symptomatische Therapie: • Einsatz künstlicher Tränen • Hornhautschutz durch Dexpanthenol-Augensalbe • nächtlicher Uhrglasverband bei inkomplettem Lidschutz 5. Procedere • Bei Sicherung der Diagnose einer idiopathischen Fazialisparese: Vorstellung HNO und Anbindung an die dortige Ambulanz (Absprache der hiesigen Neurologie/HNO) – von der HNO aus erfolgt im Verlauf eine Vorstellung in der Neurologie (ggf. Re-Punktion, EMG, …) 6. Literatur - Leitlinie idiopathische Fazialisparese der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 9/2011 Ersteller: Dr. T. Chaudhary, Dr. U. Grebenstein © Universitätsklinikum Jena – Zentrale Notfallaufnahme