Guideline Akute periphere Fazialisparese Erstellt von: Felix Huber Zuletzt revidiert im April 2009 (Änderungen sind gelb markiert) Epidemiologie Jährliche Inzidenz 13-34/100'000. Gehäuft im letzten Schwangerschaftsdrittel und postpartum. 8-10% rekurrieren ipsi- oder kontralateral. Bei 5-10% der Patienten besteht ein Diabetes mellitus. Pathogenese In der überwiegenden Anzahl der „idiopathischen“ Fälle handelt es sich whs. um eine Reaktivierung einer Herpes-simplex-Infektion oder um einen Herpes zoster (Bläschen im äusseren Gehörgang). Andere Virusinfektionen kommen ebenfalls in Frage: Cytomegalie, Epstein-Barr, etc.). Rel. häufig handelt es sich um einen Borrelieninfekt (bei Kindern ist jede zweite Fazialisparese auf eine Borreliose zurückzuführen: doppelseitige Parese). Die Parese entsteht durch die Kompression des geschwollenen Nervs (Perioneurium) im engen knöchernen Fazialiskanal. Bakterielle Otitis media, Cholesteatom (langsam Progression der Fazialisparese) oder Sarkoidose (oft bilaterale Parese) sind weitere mögliche Ursachen einer Fazialisparese. Klinik Parese entwickelt sich über Stunden bis zwei Tage, progressiv, Maximum innert 3 Wochen erreicht, einseitig, Augenast auch betroffen (Austrocknung des Auges durch fehlenden Lidschluss und Verminderung der Tränenproduktion), ev. Hyperakusis, Geschmacksverlust (vordere 2/3 der Zunge) einseitig. Die Erholung kann bis zu 6 Monate dauern. Gehörgang auf Zoster und Parotis auf Tumorschwellung untersuchen. Bei einer zentralen Fazialisparese ist der Stirnast meistens nicht betroffen, weil er bilateral innerviert wird (das Auge kann noch geschlossen werden). Bei der peripheren Fazialisparese fehlt der Lidschluss teilweise oder vollständig und es kommt zum Bell’schen Phänomen (Hochkippen des Bulbus beim Versuch das Auge zu schliessen). Eine langsamere Progression oder ein wellenförmiger Verlauf oder nur Befall eines der beiden Äste ist ein Hinweis für einen Tumor. Seite 1 von 3 Diagnostische Tests Serologie auf B. Burgdorferi ist umstritten. Ev. nur bei anderen Zeichen einer Borreliose (Kardiale Reizleitungsstörung, Arthritis, Schwindel, Hörverlust), bei jüngeren Patienten und Kindern, voraugegangenem Zeckenstich oder doppelseitiger Fazialisparese. Die Borrelien-Serologie kann nicht zwischen chronisch aktiver und durchgemachter Borreliose unterscheiden. Sie ist damit auch nicht für die Therapiekontrolle geeignet. IgM: Auftreten nach 2 – 3 Wochen, maximum nach 6 – 8 Wochen. Z.T. monatelange Persistenz. Geringe Spezifität (Kreuzreaktion mit EBV, SLE, Rheumafaktoren). IgG: Auftreten nach 6 – 8 Wochen, maximum nach 4 – 6 Monaten. Z.T. monate- bis jahrelange Persistenz. Mässige Spezifität (falsch pos. Bei Lues, Leptospirose, Rückfallfieber). Elektromyographie kann bei kompletter Fazialisparese eine Auskunft über die Prognose geben. Die Indikation ist nicht zwingend. Bildgebende Verfahren(MRI)bei atypischer Klinik, Progression über mehr als drei Wochen oder fehlender Besserung nach 6 Monaten. Verlauf Eine inkomplette Parese hat eine rel. gute Prognose. Tritt innert drei Wochen eine langsame Rückbildung der Symptome auf, so ist die Prognose günstig. Spontanverlauf ohne Behandlung: Studie 1982 mit 1011 Patienten: 1/3 hatte eine inkomplette, 2/3 eine komplette Parese: Alle zusammen: 85% zeigten eine Besserung in drei Wochen, 71% hatten eine vollständige Heilung, 13% zeigten leichte bleibende Ausfälle und 16% hatten gröbere bleibende Ausfälle. Therapie Der Einsatz von Steroiden ist kontrovers. Einige Studien haben aber einen Vorteil bei Steroidbehandlung gezeigt. In der grössten Studie in UK wurde der Nutzen von Steroiden allein als wirksam belegt. Prednisolone provides an effective treatment for Bell’s palsy—the number needed to treat (NNT) for one additional person to experience full facial function being six and eight at three and nine months respectively. Dosierung 50-60mg für 10 Tage. Bei einer Herpesursache kann die Kombination von Acyclovir/Valacylcovir (Valtrex) und Prednison ev. noch bessere Resultate zeigen. Die antivirale Therapie muss aber innert 3 Tagen nach Symptombeginn einsetzen. Valtrex 2x1 g/Tag oder Acyclovir 5x800mg für eine Woche. Für eine chirurgische Dekompression gibt es keinen Evidenznachweis. Bei V.a. Borreliose: Doxycyclin 2x100mg oder Amoxicillin 2x1000mg 21 – 28 Tage Seite 2 von 3 Cornea vor Austrocknung schützen (Tränenersatz tags, Augensalben nachts, Augenlid über Nacht mit Pflaster schliessen). Praktische Schlussfolgerung: Bei Pat. mit „idiopathischer“ akuter peripherer Fazialisparese und typischem Verlauf die Möglichkeit der Steroidbehandlung (wahrscheinlicher Nutzen) und der Acyclovirbehandlung (möglicher Nutzen) diskutieren. Die Indikation für Borrelienserologie eher zurückhaltend stellen. Falls IgM oder IgG pos. Behandlung in Erwägung ziehen. Literatur: Uptodate Okt. 2008 Pharma-kritik 8/2007 BMJ 2009;338:b255 N Engl J Med 2007;357:1598-607 Hato N, Yamada H, Kohno H, et al. Valacyclovir and prednisolone treatment for Bell’s palsy: a multicenter, randomized, placebocontrolled study. Otol Neurotol 2007;28:408-13. Seite 3 von 3