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Neuroanatomie
12. Funktionelle Systeme und klinische Bezüge
12.21 Hörbahn
Sulcus lateralis
Gyri temporales
transversi
Area 41,
Gyri temporales
transversi
Radiatio
acustica
Nucleus corporis
geniculati medialis
Nucleus colliculi
inferioris
Kommissur der
Colliculi inferiores
Gyri
temporales
transversi
Lemniscus
lateralis
200 Hz
Nucleus
cochlearis
posterior
Nuclei lemnisci
lateralis
20 000 Hz
Ductus
cochlearis
Striae
medullares
Corti-Organ
Nucleus olivaris
superior
Ganglion spirale
N. cochlearis
Nucleus corporis
trapezoidei
A Afferente Hörbahn des linken Ohres
Die Rezeptoren der Hörbahn sind die inneren Haarzellen im Corti-Organ. Da sie keine Nervenfortsätze haben, werden sie als sekundäre Sinneszellen bezeichnet. Sie sitzen im Ductus cochlearis der Basilarmembran auf und tragen an ihrer Oberfläche Stereozilien, die bei Ausschlägen der Wanderwelle durch die Tektorialmembran abgeschert werden.
Dadurch kommt es zu Verbiegungen der Sterozilien (s. S. 151). Diese
Verbiegungen stellen den Reiz für die Auslösung der Signalkaskade
dar. Dendritische Fortsätze der bipolaren Neurone im Ganglion spirale
nehmen den Reiz auf und senden ihn mit ihren Axonen, die insgesamt
den N. cochlearis bilden, in die Nuclei cochleares anterior und posterior. Erst in diesem Kerngebiet erfolgt die Umschaltung auf das 2. Neuron der Hörbahn und damit die Auswertung der Schallinformation. Die
Information aus den Kochleariskernen wird dann über Umschaltung in
4– 6 Kernen in den primären auditorischen Cortex weitergeleitet, wo
die Hörinformation – analog zur Sehrinde – bewusst wird. Der primär
auditorische Cortex liegt in der Inselrinde in den Gyri temporales transversi (Heschl-Querwindungen oder Area 41 nach Brodmann). Prinzipiell
unterscheidet man bei der Hörbahn folgende Stationen:
innere
Haarzellen
Nucleus
cochlearis anterior
•
•
•
•
•
•
•
•
innere Haarzellen im Corti-Organ,
Ganglion spirale,
Nuclei cochlearis anterior und posterior,
Nuclei corporis trapezoidei und Nucleus olivaris superior,
Nucleus lemnisci lateralis,
Nucleus colliculi inferioris,
Nucleus corporis geniculati medialis und
primären auditorischen Cortex im Lobus temporalis (Gyri temporales
transversi = Heschl-Querwindungen oder Area 41 nach Brodmann).
Den einzelnen Abschnitten der Cochlea sind ebensolche Abschnitte in
der Hörrinde und deren Zwischenstationen zugeordnet; man spricht deshalb von einer tonotopen Organisation der Hörbahn. Damit liegt ein gleiches Organisationsprinzip vor wie bei der Sehbahn. Die binaurale Verarbeitung der Hörinformation (= Stereohören) erfolgt zuerst auf der Stufe
des Nucleus olivaris superior. Auch auf allen weiteren Stufen der Hörbahn gibt es Kreuzungen zwischen der rechten und der linken Hörbahn,
sie sind im Interesse der Übersichtlichkeit nicht eingezeichnet. Eine ausgefallene Cochlea kann durch ein Kochleaimplantat ersetzt werden.
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Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag
Neuroanatomie
12. Funktionelle Systeme und klinische Bezüge
N. cochlearis
Nucleus
n. facialis
N. facialis
Nucleus
cochlearis
Nucleus
n. facialis
obere Olive
mit Nucleus
olivaris superior
Cochlea
Stapes
Trommelfell
N. stapedius
M. stapedius
B Schema des Stapediusreflexes
Erreicht die Lautheit des akustischen Signals eine bestimmte Schwelle,
wird über den Stapediusreflex eine Kontraktion des M. stapedius ausgelöst. Über diesen Reflex kann das Hörvermögen ohne Mithilfe des Patienten audiologisch getestet werden (sog. objektive Hörprüfung). Zur
Messung wird ein Mikrophon in einer Sonde in den Gehörgang eingeführt und darüber das Trommelfell beschallt. Wenn bei Erreichen der
Schwelle der Stapediusreflex ausgelöst wird, versteift sich das Trommelfell. Die Änderung des Trommelfellwiderstands wird dann aufgezeichnet. Der afferente Schenkel dieses Reflexes verläuft im N. cochlearis. Über den oberen Olivenkomplex (= Nucleus olivaris superior) wird
die Information beidseitig zum Fazialiskern (nicht dargestellt) weitergeleitet. Der efferente Schenkel dieses Reflexes läuft über die speziell
viszeromotorischen Fasern des N. facialis.
innere
Haarzelle
äußere
Haarzelle
laterales
olivokochleäres Bündel
mediales olivokochleäres Bündel
laterales Neuron
mediales Neuron
Typ-I-Ganglienzelle
Typ-II-Ganglienzelle
obere
Olive
N. cochlearis
C Efferente Fasern aus der Olive zum Corti-Organ
Neben den afferenten Fasern aus dem Corti-Organ (vgl. A , hier blau
dargestellt), die den Hörnerv bilden, gibt es auch Efferenzen (rot) zum
Corti-Organ im Innenohr, die der aktiven Schallvorverarbeitung („Cochlear amplifier“) sowie der Schallprotektion dienen sollen. Die efferenten Fasern stammen aus Neuronen, die entweder lateral oder medial in
der oberen Olive liegen und von dort zur Cochlea ziehen (laterales bzw.
mediales olivokochleäres Bündel). Die Fasern der lateralen Neurone zie-
hen ungekreuzt zu den Dendriten der inneren Haarzellen, die Fasern der
medialen Neurone ziehen gekreuzt zur Gegenseite und enden an der Basis der äußeren Haarzellen, deren Aktivität sie beeinflussen. Nach Erregung können die äußeren Haarzellen die Wanderwelle aktiv verstärken.
Damit wird die Empfindlichkeit der inneren Haarzellen (der eigentlichen
Rezeptorzellen) gesteigert. Die Wirkung der Efferenzen aus der Olive
können als otoakustische Emissionen (OAE) abgeleitet werden, ein Umstand, den man zum Hörscreening bei Neugeborenen nutzt.
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Schünke, Schulte, Schumacher: Prometheus (ISBN 3131395419), © 2006 Georg Thieme Verlag
Neuroanatomie
12. Funktionelle Systeme und klinische Bezüge
12.22 Vestibuläres System
Nucleus commissurae
posterioris
(Darkschewitsch)
Nucleus interstitialis (Cajal)
Nucleus ruber
Nucleus
n. oculomotorii
Nucleus
n. trochlearis
Nucleus
globosus
Fasciculus
uncinatus
Nucleus
fastigii
Nuclei
vestibulares
Nucleus
n. abducentis
vestibulozerebelläre Fasern
Lobus flocculonodularis
N. vestibularis
Ganglion
vestibulare
Formatio reticularis
Cristae
ampullares
Nucleus dorsalis n. vagi
Utriculus
Nucleus n. accessorii
Sacculus
Fasciculus longitudinalis medialis
Tractus vestibulospinalis lateralis
Tractus
reticulospinalis
bis Sakralmark
bis Zervikalmark
A Zentrale Verbindungen des N. vestibularis
Unsere Gleichgewichtsregulation wird von drei Systemen beeinflusst:
• vestibuläres System,
• propriozeptives System und
• optisches System.
Die beiden letztgenannten Systeme wurden bereits besprochen. Die
peripheren Rezeptoren des vestibulären Systems sind im häutigen Labyrinth (s. Felsenbein, S. 140 u. 152) lokalisiert, das aus Utriculus und Sacculus sowie den Ampullen der drei Bogengänge besteht. Macula utriculi und Macula sacculi messen die lineare Beschleunigung, die Bogengangsorgane in den Cristae ampullares die Winkelbeschleunigung. Wie
die Haarzellen des Innenohrs, sind auch die Rezeptoren des vestibulären Systems sekundäre Sinneszellen. Basal sind die sekundären Sinnes-
zellen von dendritischen Fortsätzen bipolarer Neuronen umgeben. Ihre
Perikarya liegen im Ganglion vestibulare. Die Axone dieser Neurone bilden den N. vestibularis und enden in den vier Vestibulariskernen (s. C ).
Neben dem Input aus dem Vestibularapparat erhalten diese Kerne weiteren sensorischen Input (s. B). Die Vestibulariskerne sind topisch organisiert (s. C ) und senden ihre Efferenzen zu drei Zielen:
• über den Tractus vestibulospinalis lateralis werden Motoneurone im
Rückenmark erreicht, die den aufrechten Stand unterstützen; es werden also bevorzugt Streckerneurone tonisiert;
• über vestibulozerebelläre Fasern wird der Lobus flocculonodularis
des Kleinhirns (Archicerebellum) erreicht;
• über den aszendierenden Teil des Fasciculus longitudinalis medialis
werden die Augenmuskelkerne ipsi- und kontralateral erreicht.
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Neuroanatomie
Hypothalamus
Cortex
Thalamus
Hirnstamm
Blickmotorik
12. Funktionelle Systeme und klinische Bezüge
B Zentrale Rolle der Vestibulariskerne bei der Aufrechterhaltung
des Gleichgewichts
Die Afferenzen zu den Vestibulariskernen und die Efferenzen, die von
ihnen ausgehen, zeigen, welche zentrale Rolle diese Kerne für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts spielen. Afferenzen bekommen die
Vestibulariskerne aus dem vestibulären, dem propriozeptiven (Lagesinn, Muskeln und Gelenke) und dem optischen System, Efferenzen entsenden sie folglich zu Kerngebieten, die die für das Gleichgewicht wichtigen motorischen Systeme steuern. Dies sind Kerngebiete in:
• Rückenmark (Stützmotorik),
• Kleinhirn (Feinkontrolle der Motorik) und
• Hirnstamm (Augenmuskelkerne – Blickmotorik).
Auge
Weiterhin ziehen Efferenzen aus den Vestibulariskernen zu folgenden
Regionen:
Labyrinth
Vestibulariskerne
Kleinhirn
Rückenmark
Propriozeption
Nucleus
n. trochlearis
• Thalamus und Cortex (Raumempfinden) sowie
• Hypothalamus (vegetative Regulation: Erbrechen bei Schwindel).
Beachte: Ein akuter Ausfall des vestibulären Systems macht sich durch
Drehschwindel bemerkbar.
Nucleus
n. oculomotorii
Fasciculus longitudinalis medialis
Nucleus
n. abducentis
Kleinhirn
Pedunculus
cerebellaris inferior
Nucleus vestibularis superior
vestibulozerebellare
Fasern
Nucleus vestibularis lateralis
Nucleus vestibularis inferior
Nucleus vestibularis medialis
Fasciculus
longitudinalis
medialis
C Vestibulariskerne: Topik und zentrale Verbindungen
Man unterscheidet vier Kerne:
•
•
•
•
Nucleus vestibularis superior (Bechterew),
Nucleus vestibularis lateralis (Deiters),
Nucleus vestibularis medialis (Schwalbe) und
Nucleus vestibularis inferior (Roller).
Das vestibuläre System ist topisch organisiert:
• Die afferenten Fasern der Macula sacculi enden in Nucleus vestibularis inferior und Nucleus vestibularis lateralis;
• die afferenten Fasern der Macula utriculi im medialen Teil des Nucleus vestibularis inferior und im lateralen Teil des Nucleus vestibularis medialis sowie im Nucleus vestibularis lateralis;
Tractus
vestibulospinalis
lateralis
• die afferenten Fasern aus den Cristae ampullares der Bogengangsorgane enden im Nucleus vestibularis superior, im oberen Abschnitt
des Nucleus vestibularis inferior und im Nucleus vestibularis lateralis.
Die Efferenzen aus dem Nucleus vestibularis lateralis ziehen zum Tractus vestibulospinalis lateralis. Dieser Tractus erstreckt sich bis ins Sakralmark, seine Axone enden an Motoneuronen. Funktionell dient er der
Aufrechterhaltung des Körpers (besonders Tonisierung der Streckmuskulatur). Die vestibulozerebellären Fasern aus den übrigen drei Kernen
vermitteln über das Kleinhirn einen tonisierenden Einfluss auf die Muskulatur. Alle vier Vestibulariskerne senden über den Fasciculus longitudinalis medialis ipsi- und kontralaterale Axone zu den drei motorischen Augenmuskelkernen (Nuclei n. abducentis, trochlearis und oculomotorii).
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