Diskussion 9 96 Zusammenfassung Im Vogelgehirn erfolgt die Verarbeitung visueller Informationen hauptsächlich über zwei aufsteigende Sehbahnen, dem tectofugalen und dem thalamofugalen System. Das tectofugale System verläuft von der Retina über das kontralaterale Tectum opticum zum thalamischen Nucleus rotundus und von dort ausgehend zum telencephalen Ectostriatum. Während die Projektionen vom Tectum opticum zum Nucleus rotundus bereits in zahlreichen Untersuchungen beschrieben wurden, waren mögliche Assoziationen des Nucleus subpraetectalis zum tectofugalen System bislang weitesgehend spekulativ. Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es daher, die Konnektivitäten des Nucleus subpraetectalis insbesondere zum tectofugalen System bei der Taube Columba livia zu untersuchen. Charakterisierungen dieses Desweiteren Kernes sollten mögliche immunhistochemische exzitatorische und/oder inhibitorische Signalflüsse in diesem System näher analysieren. Die Konnektivitäten wurden mit Hilfe der beiden neuronalen Tracer Biotin-DextranAmin (BDA) oder der Choleratoxin ß-Untereinheit (CtB) untersucht. Die Tracer wurden dazu in insgesamt 10 Tieren mit Hilfe einer stereotaktischen Einrichtung in den Nucleus subpraetectalis injiziert. 3-7 Tage nach den BDA-Injektionen wurden vornehmlich anterograde Markierungen im Nucleus rotundus detektiert, jedoch zeigten sich auch Anfärbungen im Tectum opticum. Mit dem Tracer CtB wurden neben den anterograden Signalen im Nucleus rotundus auch deutliche retrograde Markierungen im Tectum opticum nach 3-5 Tagen offenbar. Am Injektionsort wurden mit beiden Substanzen somatische Markierungen der Neuronen des Nucleus subpraetectalis sowie des Neuropil beobachtet. Im Nucleus interstitiopraetecto-subpraetectalis fanden sich zahlreiche Fasermarkierungen jedoch nur vereinzelt somatische Anfärbungen. Retrograde Markierungen im Tectum opticum waren ebenfalls durch somatische und Neuropil-Anfärbungen gekennzeichnet, während anterograd im Nucleus rotundus vermutlich axonale Terminalien dargestellt wurden. Außerdem konnten Konnektivitäten zum Nucleus praetectalis aufgezeigt werden. Bei diesen insgesamt ausschließlich ipsilateralen Markierungen wurde im Tectum opticum nach BDA-Injektionen ein dorso-ventral zunehmender Gradient markierter Diskussion 97 Somata in der Schicht 13 beobachtet, ohne Unterschiede in der rostro-caudalen Ausdehnung. Im Nucleus rotundus waren hingegen caudal Terminalien im ausschließlich lateralen Anteil dieses Kerns markiert, während im rostralen Nucleus rotundus Terminalien im gesamten Kerngebiet beobachtet wurden. Die immunhistochemischen Untersuchungen des Nucleus subpraetectalis dienten desweiteren dazu, mögliche inhibitorische und exzitatorische Signalflüsse in diesen Kernen zu analysieren. In der vorliegenden Untersuchung wurden dazu spezifische Antikörper gegen die ? -Untereinheit des GABAA-Rezeptors, das für die GABA-Synthese erforderliche Enzym Glutamat-Decarboxylase (GAD), die Glutamat-Rezeptoruntereinheit GluR4, sowie das Calcium-bindende Protein Parvalbumin eingesetzt. Somatische Markierungen von Neuronen des Nucleus subpraetectalis wurden gezeigt für den GABAA-Rezeptor, GAD, GluR4 und Parvalbumin, wobei die Antikörper gegen den GABAA-Rezeptor, GAD und Parvalbumin auch das Neuropil im Nucleus subpraetectalis anfärbten. Eine weiterhin durchgeführte quantitative Auswertung dieser Immunmarkierungen stellte die Verteilung dieser Proteine im Bezug zur Anzahl an Neuronen in der rostro-caudalen Ausdehnung des Nucleus subpraetectalis dar. Hierbei zeigte sich, daß die Antikörper gegen den GABAA-Rezeptor, GAD und Parvalbumin eine konstante Verteilung in der rostro-caudalen Ausdehnung des Nucleus subpraetectalis aufwiesen, wobei etwa zwei-drittel aller Neurone immunpositiv auf alle genannten Antikörper reagierten. Dagegen fand sich beim Antikörper gegen GluR4 ein Ansteigen der immunpositiven Zellen von caudal nach rostral um den Faktor 2,5. Es wurden keine links-rechts Unterschiede in der Expression dieser Antigene beobachtet. Diese Daten der Konnektivitätsuntersuchungen sowie der immunhistochemischen Studien wurden im Bezug bereits bekannter Informationen in einem Modell zum Einfluß des Nucleus subpraetectalis auf die mögliche Signalverarbeitung im tectofugalen System zusammengefaßt. Demnach erhält der Nucleus subpraetectalis direkten Eingang von tectalen Schicht 13 Neuronen. Da die tectalen Schicht 13 Neuronen kein GAD exprimieren, während der exzitatorische Neurotransmitter Glutamat in dieser tectalen Schicht nachgewiesen wurde, ist es wahrscheinlich, daß der afferente Eingang des Nucleus subpraetectalis Diskussion 98 exzitatorisch auf den GluR4 exprimierenden Neuronen terminiert. Aufgrund der GAD und GABAA-Rezeptor Expression im Nucleus subpraetectalis sind intrinsische inhibitorische Wechselwirkungen möglich, gleichwohl die GADSynthese auch im Zusammenhang mit einer vermutlich inhibitorischen Projektion des Nucleus subpraetectalis auf den Nucleus rotundus zu sehen ist. In der vorliegenden Arbeit wie auch in zuvor durchgeführten Untersuchungen wurde gezeigt, daß der Nucleus rotundus Glutamat-Rezeptoren ebenso wie GABARezeptoren synthetisiert. Anhand dieser Daten sind zwei parallele Projektionen visueller Informationen vom Tectum opticum zum Nucleus rotundus denkbar. Die erste, bereits ausführlich beschriebene Projektion, verläuft direkt von den tectalen Schicht 13 Neuronen, um exzitatorisch auf rotundalen Neuronen zu terminieren. Dieser monosynaptische Weg ist vermutlich sehr schnell. Bei der zweiten Projektion hingegen wird möglicherweise eine Kopie der Informationen von den tectalen Schicht 13 Neuronen zum Nucleus subpraetectalis gesandt, und anschließend in diesem über noch nicht näher identifizierbare intrinsische Signalwege verarbeitet. Von diesem Kerngebiet aus wird die Information anschließend zum Nucleus rotundus weitergeleitet, vermutlich mit inhibitorischer Wirkung. Es handelt sich bei diesem Signalweg um einen polysynaptischen Weg, der vermutlich gekennzeichnet ist durch eine langsamere, und damit zeitlich spätere inhibitorische Wirkung auf den Neuronen des Nucleus rotundus. Dieser Signalfluß könnte somit eine modulatorische Wirkung des Nucleus subpraetectalis auf die Signalverarbeitung im tectofugalen System darstellen.