Literaturbericht 2009/2010 Die Mensch-Tier-Beziehung unter ethischem Aspekt Petra Mayr, Judith Benz-Schwarzburg, Regina Binder, Dieter Birnbacher, Silke Bitz, Gieri Bolliger, Andreas Brenner, Arianna Ferrari, Claus Günzler, Kathrin Herrmann, Erwin Lengauer, Cecilia Muratori, Silke Schicktanz, Kirsten Schmidt und Norbert Walz Inhalt Vorbemerkungen 1 Allgemeines zum Tierschutz 1.1 Jonathan Safran Foer: Tiere essen 1.2 Gunter Bleibohm und Harald Hoos: Totentanz der Tiere – Schonungslose Bemerkungen zu Tierelend, Jagd und Kirche 1.3 Dorothee Brantz und Christof Mauch (Hrsg.): Tierische Geschichte – Die Beziehung von Mensch und Tier in der Kultur der Moderne 1.4 Adrian R. Morrison: An Odyssey with Animals: A Veterinarian’s Reflections on the Animal Rights & Welfare Debate 1.5 Karl Ludwig Schweisfurth: Tierisch gut: Vom Essen und Gegessen werden 2 Philosophische Ethik 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 Jean Kazez: Animalkind. What We Owe to Animals Helmut F. Kaplan: Ich esse meine Freunde nicht oder Warum unser Umgang mit Tieren falsch ist Robert W. Lurz (Hrsg.): The Philosophy of Animal Minds Mark Rowlands: Animal Rights. Moral Theory and Practice Nicole Shukin: Animal Capital. Rendering Life in Biopolitical Times 3 Ethik interdisziplinär 3.1 Carol Gigliotti (Hrsg.): Leonardo’s Choice. Genetic Technologies and Animals 3.2 Marc Bekoff (Hrsg.): Tugend und Leidenschaft im Tierreich. Gedanken zu einer neuen Sicht der Natur. 3.3 Deborah Blum: Die Entdeckung der Mutterliebe: Die legendären Affenexperimente des Harry Harlow 3.4 Johannes Caspar und Jörg Luy (Hrsg.): Tierschutz bei der religiösen Schlachtung / Animal Welfare at Religious Slaughter. Die Ethik-Workshops des DIALREL-Projekts 3.5 Johann S. Ach und Martina Stephany (Hrsg.): Die Frage nach dem Tier. Interdisziplinäre Perspektiven auf das Mensch-Tier-Verhältnis 3.6 David Mellor, Emily Patterson-Kane und Kevin J. Stafford: The Sciences of Animal Welfare 3.7 Dominick LaCapra: History and its Limits. Human, Animal, Violence 3.8 Carola Otterstedt und Michael Rosenberger (Hrsg.): Gefährten – Konkurrenten – Verwandte. Die Mensch-Tier-Beziehung im wissenschaftlichen Diskurs 3.9 Mieke Roscher: Ein Königreich für Tiere. Die Geschichte der britischen Tierrechtsbewegung 3.10 Cary Wolfe: What is Posthumanism? 3.11Leo Tolstoi, Clara Wichmann, Élisée Reclus, Magnus Schwantje et al.: Das Schlachten beenden! Zur Kritik der Gewalt an Tieren. Anarchistische, feministische, pazifistische und linkssozialistische Traditionen 3.12 Andrew Linzey: The Link Between Animal Abuse and Human Violence 3.13 Richard Twine: Animals as Biotechnology. Ethics, Sustainability and Critical Animal Studies Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 27 27 17.11.2010 20:05:43 Uhr Literaturbericht 4 Theologische Ethik 4.1 4.2 Andrew Linzey: Why Animal Suffering Matters Matthias Beck: Mensch-Tier-Wesen. Zur ethischen Problematik von Hybriden, Chimären, Parthenoten 5 Rechtsfragen und Rechtsentwicklung Literatur 5.1 Kristin Köpernik: Die Rechtsprechung zum Tierschutzrecht: 1972 bis 2008 5.2Eveline Schneider Kayasseh: Haftung bei Verletzung oder Tötung eines Tieres – unter besonderer Berücksichtigung des schweizerischen und U.S.-amerikanischen Rechts 5.3 Maria Biedermann: Überwachung und Kontrolle genehmigungspflichtiger Tierversuche vergleichend in Deutschland und Großbritannien Vorbemerkungen Die „Ethik des Essens“ ist in der Belletristik zum Thema geworden. Im letzten Jahr hat der amerikanische Autor David Forster Wallace einen zynisch kritischen Essay mit dem Titel Am Beispiel des Hummers (Literaturbericht, ALTEXethik 2009) vorgelegt. Im August 2010 ist das Buch des amerikanischen Schriftstellers Jonathan Safran Foer: Tiere essen in deutscher Übersetzung erschienen. Und die deutsche Schriftstellerin Karen Duve schreibt an einem Band mit dem Titel Anständig essen, der Anfang 2011 erscheinen soll. Allen drei Büchern ist eines gemeinsam: Sie kritisieren die Verwendung von Tieren als Lebensmittel. Wallace tat es mit einem Abscheu vor der dumpfen Brutalität und Völlerei an Massenveranstaltungen. Duve erprobt im Selbstversuch alternative Formen der Ernährung vom Fleischverzicht bis hin zum Verzicht auf alle tierischen Produkte. Und Foer liefert in seinem Buch Tiere essen ein Sammelsurium seiner Methoden der Erkenntnis auf dem Weg zum ethisch vertretbaren Essen: Er recherchiert zur Geschichte der Landwirtschaft, unterfüttert vieles mit persönlichen Anekdoten und Alltagserfahrungen, er trägt aber auch statistische Fakten über Tierhaltung und ihre negativen Folgen für die Umwelt zusammen. Der Diskurs um Nachhaltigkeit, Tier-Produktion und Konsum ist ein zentrales Thema in der wissenschaftlichen Literatur geworden – jenseits der Belletristik – , die erst vor kurzem die Gewissens-Frage des Essens für sich entdeckt hat. Richard Twine thematisiert in seinem Buch Animals as Biotechnology. Ethics, Sustainability and Critical Animal Studies die aus der Massentierhaltung und Massentierzucht resultierende Einstellung zu Tieren als Lieferanten von Lebensmitteln. Dieser Betrachtungsweise, die Tiere nahezu ausschließlich ökonomisch über die Produktion von Gütern definiert, steht aber auch eine mehr und mehr sensibilisierte Öffentlichkeit gegenüber, die diesen Missstand beklagt. Um dieser Öffentlichkeit und ihrem Bestreben, Tiere wieder als fühlende Lebewesen wahrzunehmen und zu behandeln, gerecht zu werden, entwickelten sich die critical animal studies. Ihr Ziel ist es diese Missstände, die bislang schon hinreichend beschrieben worden sind, kritisch zu politisieren. Twine macht auch auf wirtschaftspolitische Verwicklun28 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 28 gen aufmerksam, die vielfach auf den ersten Blick nicht deutlich werden. So etwa, dass mit Hilfe der Biotechnolgie ein weiterer starker Anstieg der Fleischproduktion forciert wird. Einerseits sollen damit die Ernährungsprobleme in den Entwicklungsländern gelöst werden. Andererseits gehe es darum, Vertrauen zu schaffen in die Biotechnologie als Fortschrittssymbol. In Animal Capital. Rendering Life in Biopolitical Times betrachtet auch Nicole Shukin die wirtschaftlich ausgerichteten Prozesse der Tierproduktion und untersucht die damit verknüpfte Veränderung des Lebensbegriffes. Shukin entdeckt die „Warenhaftigkeit“ von Tieren auch in anderen Bereichen als der Nutztierhaltung, so etwa in den Medien oder der Kunst. Ihre Analyse bewegt sich auf der Schnittstelle einer marxistischen und posthumanistischen Perspektive. Was unter Posthumanismus zu verstehen ist und welche Rolle Tiere in einer posthumanistischen Theorie einnehmen, versucht Cary Wolfe mit seinem Buch What is Posthumanism? zu klären. Posthumanistische Positionen wollen das humanistische Denken, das sich durch die Abgrenzung zum Tier definiert, überwinden und somit anthropozentrische Strukturen auflösen. Problematisch an der posthumanistischen Perspektive bleibt dabei allerdings, dass sie keine praktischen Handlungsanweisungen für den Umgang mit Tieren liefern kann. Der Grund hierfür liegt in den Prinzipien der posthumanistischen Theorie selbst. Wenn Menschen gegenüber Tieren keine Sonderstellung mehr zugeschrieben wird, dann ist es auch nicht möglich, dass Menschen Verhaltensnormen aussprechen, wie mit Tieren umzugehen sei. Denn eben damit würde wieder die alte humanistische Tradition mit der Sonderstellung des Menschen fortgeführt. Dominick LaCapra kritisiert in seinem Band History and its Limits. Human, Animal, Violence wie auch Cary Wolfe in What is Posthumanism? das derzeit vorherrschende Paradigma der Abgrenzung von Mensch und Tier. Mit dieser Kritik ist immer auch eine Kritik am humanistischen Denken verbunden, da die Mensch-Tier-Abgrenzung eine Konsequenz des Humanismus ist. LaCapra verweist auf die Folgeprobleme, die aus einer solchen Kategorisierung in Mensch und Tier entstehen. In der aktuellen Tierrechtsdebatte sind diese darin zu sehen, dass für Menschen prinzipiell andere Rechtsnormen gelten als für Tiere. Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:43 Uhr Literaturbericht Gentechnologische Veränderungen an Tieren haben in ethischer Hinsicht zweifellos eine besondere Brisanz, weil sie die radikalste Form der „Verdinglichung“ von Lebewesen darstellen. In dem von Carol Gigliotti herausgegebenen Band Leonardo’s Choice. Genetic Technologies and Animals wird der Einfluss dieser neuen Technologie sowohl auf Menschen als auch auf Tiere diskutiert. Der Herausgeberin ist gelungen, was vielen Büchern versagt bleibt, in denen Texte aus vielen Fachrichtungen zu einem Themenschwerpunkt Stellung beziehen: ein harmonisches Zusammenspiel unterschiedlichster Disziplinen. Historischen, juristischen, philosophischen, verhaltensbiologischen oder sogar landschaftsarchitektonischen Positionen gelingt gemeinsam eine kritisch distanzierte Analyse der gesellschaftlichen Bedeutung von einschneidenden Entwicklungen, wie sie in gentechnologischen Möglichkeiten an Tieren zu betrachten sind. Wie sehr über viele Jahre gelebte Traditionen im Umgang mit Tieren als unumstößliche Normalität betrachtet werden, zeigt die Agrarsoziologin Karin Jürgens in einem Aufsatz in Gefährten – Konkurrenten – Verwandte. Die Mensch-Tier-Beziehung im wissenschaftlichen Diskurs. In dem von Carola Otterstedt und Michael Rosenberger herausgegebenen Band beschreibt sie, dass das Schlachten von Nutztieren normalerweise für Landwirte als alltägliche Selbstverständlichkeit betrachtet wird. Eine Ausnahmesituation ergebe sich allerdings dann, wenn Tierseuchen auftreten, dann leide ein Großteil der Landwirte an posttraumatischen Belastungsreaktionen. Zweifelsohne geht es hier oftmals um die Existenz des Betriebs; doch erstaunlicherweise lassen sich die Belastungsreaktionen nicht alleine damit erklären. Viele Landwirte erlebten den Verlust der Tiere in einer ambivalenten Mischung als ökonomisches Defizit, aber auch als Verlust eines Lebewesens. Ein wesentlicher Faktor, der zu einer Entfremdung und Distanz zum Tier führt, ist Jürgens zufolge nicht zuletzt in der Arbeitsteiligkeit der modernen Landwirtschaft zu sehen. Im gleichen Band entfaltet Jean-Claude Wolf seine „Ethik der natürlichen Sympathie“, indem er eine auf Sympathie basierende Verbundenheit zum Tier als motivierendes Element stark macht. Der Philosoph führt aus, dass bereits frühe Tierschutztraditionen sich darauf beriefen, dass Wesen, die empfindungsfähig und damit verwundbar sind, ethische Rücksichtnahme erfahren sollen. Darüber hinaus sei Sympathie bereits ohnehin die Grundlage in der täglichen Tierschutzpraxis. Wenn Tierquälereien bei Menschen kein Mitleid mit dem gequälten Tier hervorrufen, dann müsse man sich fragen, ob Menschen in ihrer „Fähigkeit zur natürlichen Sympathie“ blockiert seien. In der Tat berührt Wolf hier den zentralen Punkt, indem er sich fragt, wie es sich erklären lässt, dass eben dieses verbindende Moment zwischen Menschen und Tieren, – unsere gemeinsame Empfindsamkeit – , oftmals schlichtweg ignoriert werden kann. pem 1 Allgemeines zum Tierschutz 1.1 Jonathan Safran Foer: Tiere essen 400 Seiten, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2010, Euro 19,95 Englische Ausgabe: Eating Animals, 341 Seiten, New York: Little, Brown and Company, 2009, Euro 11,50 Der US-Amerikaner Jonathan Safran Foer, geboren 1977, studierte in Princeton Philosophie und ist ein international bekannter Schriftsteller. Seit seinem neunten Lebensjahr war er mal Vegetarier, mal aß er auch Fleisch. Doch angesichts der bevorstehenden Geburt seines ersten Kindes wollte er für sich selbst einige Fragen klären: Was ist Fleisch? Wo kommt es her? Wie wird es produziert? Was sind die ökonomischen und ökologischen Auswirkungen? Gibt es Situationen, in denen es falsch ist, Tiere zu essen? Wie werden für den Verzehr bestimmte Tiere gezüchtet, gehalten und getötet? Soll ich mein Kind mit Fleisch ernähren oder nicht? Drei Jahre trägt Foer Fakten aus einschlägigen Studien zusammen, befragt Experten und Akteure – wobei er alle Seiten zu Wort kommen lässt. Er bricht sogar in industrielle Tiermastbetriebe ein, um seine Nachforschungen zu verifizieren. Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 29 In Eating Animals konfrontiert Jonathan Safran Foer den Leser jedoch nicht nur mit den harten Fakten rund ums Geschäft mit dem Fleisch und den Folgen der industriellen Fleischproduktion für die Tiere, unsere Umwelt und unsere Gesundheit. Er nimmt auch die Geschichten unter die Lupe, mit denen wir unser Essverhalten rechtfertigen und die dazu beitragen, dass wir vor den Auswirkungen der Tierproduktionsindustrie die Augen verschließen. Im Anhang der deutschen Ausgabe findet sich eine Übersicht zur Sachlage in Deutschland inkl. genauer Quellenangaben. So wird jedem Leser die „Hoffnung“ genommen, dass es sich bei den im Buch geschilderten Fakten um nur für die USA zutreffende handeln könnte. Die landwirtschaftlichen Praktiken in den USA und in Deutschland ähneln sich im Übrigen sehr. Circa 98 Prozent der in Deutschland zum Verzehr gehaltenen Tiere stammen aus industriellen Massentierhaltungsbetrieben (Studie des statistischen Bundesamtes 2008). Foers leidenschaftlicher Appell für mehr Verantwortungsbewusstsein gegenüber unseren Tieren und unserer Umwelt hat mir einmal mehr vor Augen geführt, dass gerade wir Tierärzte mit unserem Wissen über die Schmerzen, Leiden und Schäden, die durch die nicht artgemäße und nicht verhaltensgerechte Haltung entstehen, uns noch mehr für den Schutz von Tieren einsetzen müssen, um unserer besonderen Verantwortung und Verpflichtung gegenüber den Tieren und 29 17.11.2010 20:05:43 Uhr Literaturbericht gegenüber der Öffentlichkeit nachzukommen. Es ist falsch, dass die Grenzen für eine noch als zumutbar geltende Zucht und Mast von landwirtschaftlichen Nutztieren nicht von Tierärzten vorgegeben werden, sondern von den Agrarproduzenten und deren Lobby, und damit also rein wirtschaftlich ausgerichtet sind. Wir wissen, dass die tierschutzwidrigen Zustände, die Foer in seinem Buch eingehend beschreibt, auch in Deutschland Realität sind. Die globalen Auswirkungen der Ausbreitung der industriellen Massentierhaltung sind vor allem auch im Hinblick auf lebensmittelinduzierte Krankheiten, Resistenz der Erreger gegen antimikrobielle Medikamente und mögliche Pandemien beängstigend. Es ist höchste Zeit, dass wir vermehrt und mit vereinten Kräften gegen die Ursachen dieses ethisch nicht vertretbaren Systems der industriellen Massentierhaltung vorgehen, anstatt weiter lediglich die Symptome zu behandeln und damit die schlechten Haltungsbedingungen noch zu unterstützen. 1.2 Gunter Bleibohm und Harald Hoos: Totentanz der Tiere ‑ Schonungslose Bemerkungen zu Tierelend, Jagd und Kirche 174 Seiten, Saarbrücken: Geistkirch, 2009, Euro 14,80 Wer sein Handeln an sittlichen Idealen ausrichtet, sich also Forderungen unterwirft, die über die allgemein anerkannten Pflichten hinausgehen, verdient Respekt und findet Dialogbereitschaft, wenn er sich argumentativ um Mitstreiter für seine Sache bemüht. Allerdings muss er der Versuchung widerstehen, die supererogatorischen Forderungen seines persönlichen Praxisideals als allgemeingültige Richtlinie für jedermann misszuverstehen und daraus dann Werturteile über den moralischen Zustand der Menschheit herzuleiten. Dies gilt auch für den „konsequenten Tierschutz“, dem das vorliegende Buch verpflichtet ist. Die beiden Autoren stellen sich als Mitbegründer der Tierrechtsinitiative pro iure animalis vor, und so ließe sich eigentlich ein argumentativer Beitrag zur hochkomplexen Debatte über den Status von Tierrechten erwarten. Doch das scheint die Autoren nicht zu interessieren, weil sie es vorziehen, die Verdrängung „des herrschenden Tierleides zornig anzuprangern“ und „das allgemeine Desinteresse der Menschen am Leid unserer Mitgeschöpfe wütend zu verachten.“ (11) Zorn und Wut sind unzulässige Ratgeber, wenn es darum geht, den Spielraum der ethischen Verbindlichkeit zu erweitern, und so bringt sich dieses Buch mit seiner Diktion von vornherein um die Chance, theoretische Anregungen oder praktische Impulse auszustrahlen. Dies ist bedauerlich, weil es 30 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 30 Foers Buch hat eine Kraft, die sich schwer beschreiben lässt. Vielleicht liegt sie darin, dass er ganz unbedarft an das Thema Nutztierhaltung herangeht – nur mit dem vagen Gefühl, dass damit etwas nicht in Ordnung sein könnte. Dann wird ihm aber schnell klar, dass es nicht nur eine Beantwortung von persönlichen Fragen bleiben kann, sondern dass die Wahrheit ans Licht der Öffentlichkeit gebracht werden muss. Die Tierproduktionsindustrie mit ihrem ökonomisch durchdachten tierquälerischen Geschäftsmodell baut darauf, dass der Verbraucher so wenig Einblick in ihre Praktiken erhält wie möglich. Das gilt es endlich zu ändern. Und dabei kann Foers Buch helfen, denn er vermag mit seiner Dokumentation gleichermaßen den Verstand und die Gefühle des Lesers zu berühren. Ich hoffe, dass auch in Deutschland – ähnlich wie in den USA – eine breitere Debatte zu den ethischen Grenzen unseres Konsumverhaltens angestoßen wird, die dann auch tatsächlich zu einem langfristigen gesellschaftlichen Wandel führt. Kathrin Herrmann Themenkreise aufgreift, die zwar seit langem erörtert werden, aber weiterhin der sorgfältigen Analyse bedürfen. Zu Kirche und Jagd, den beiden Hauptthemen des Buchs, ist das Reservoir an Argumenten noch keineswegs erschöpft, doch wer den Beitrag der Kirche zur Geistesgeschichte auf „monotheistische Glaubenshalluzinationen“ (25) reduziert und die Jagd exklusiv als „Rechtfertigung eines Mordhobbys“ (88) begreift, signalisiert damit, dass es ihm nicht um einen Diskurs in der Sache geht. Bestätigt wird dies immer wieder durch die Adjektive „absurd“ und „pervers“, die zur Bewertung kritisierter Sichtweisen herangezogen werden. Kurzum, das hochemotionale Gemisch aus Verdruss und Verachtung – zu beiden Haltungen bekennen sich die Autoren ausdrücklich – überlagert die einschlägig wichtige Thematik und macht dieses Buch für die Fachwelt wertlos und für den Tierfreund eher abschreckend als anregend. Supererogatorische Forderungen nutzen der Tierethikdebatte nur dann, wenn sie die Geduld mit dem naturgemäß bedächtigen Tempo des ethischen Fortschritts implizieren. Goethe schreibt in den Maximen und Reflexionen dazu: „Es ist nichts inkonsequenter als die höchste Konsequenz, weil sie unnatürliche Phänomene hervorbringt, die zuletzt umschlagen.“ In diesem Buch ist ebendies geschehen. Zwischen einem düsteren Eingangskapitel mit einer apodiktisch inszenierten Endzeitvision und einem pathetischen Schlusskapitel unter dem Titel „Anklage und Abrechnung“ finden sich unsystematisch gereihte Statements, autobiographische Einsprengsel mit elitärem Anspruch (43 ff.), gelegentliche satirische Versuche (halbwegs gelungen auf 73-77) und fiktive Erzählungen aus der Sicht leidender Tiere. Letztere erreichen den engagierten Tierfreund noch am ehesten, ändern aber nichts an dem gallig‑bitteren Grundton, der das ganze Potpourri durchzieht. Empfehlen lässt sich dieses Buch in keinerlei Hinsicht, und wenn es doch irgend- Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:43 Uhr Literaturbericht einen Wert in sich trägt, dann liegt dieser darin, ex contrario die aufklärerische Aufgabe der Wissenschaften zu unterstreichen. Solange die beachtlichen Fortschritte, die beispielsweise in der ethischen und rechtlichen Bewertung von Tierversuchen erzielt worden sind, nicht an den praktischen Tierschutz vermittelt werden, können Polemiken wie die vorliegende einem angemaßten Universalanspruch mit hoher Animosität freien Lauf lassen. 1.3 Dorothee Brantz und Christof Mauch (Hrsg.): Tierische Geschichte – Die Beziehung von Mensch und Tier in der Kultur der Moderne 401 Seiten, Paderborn: Schöningh, 2010, Euro 39,90 Das Buch thematisiert, dass Tiere in Geschichtsbüchern nur als Randerscheinung auftreten, obgleich sie im Rahmen der menschlichen Gesellschaften schon immer eine bedeutende Rolle innehatten. So gehen die Autoren etwa den Fragen nach, wo wir ohne Tiere heute wären, wie man ohne Reittiere Gebiete erkundet hätte oder wo Kunst, Literatur und Philosophie ohne das Motiv Tier und die Medizin ohne Tierversuche wären. Autoren aus Europa und den USA beleuchten die Bedeutung des Tieres und der Tier-Mensch-Beziehung in der Kulturgeschichte und zeigen den Zusammenhang zwischen der Geschichte der Tiere und den politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Entwicklungsprozessen auf. Das Werk ist ein Sammelband aus zahlreichen Einzelbeiträgen, deren Verfasser die historische und moderne Beziehung zwischen Mensch und Tier aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Disziplinen darstellen. In vier Teilen widmen sich die Autoren den Überbegriffen Kulturtiere – Tierkulturen, Im Reich der wilden Tiere, Tierische Diskurse – Recht, Politik, Wissenschaft und schließlich dem Komplex Kulturwissenschaftliche Betrachtungen. Die einzelnen Beiträge sind teilweise mit schwarzweißen Zeichnungen bebildert. Dass Tiere schon immer eine Faszination auf den Menschen ausübten, zeigt sich unter anderem in der Darstellung zu Darwins Forschungen bezüglich der Evolutions- und Auslesetheorien. Jedoch äußerte sich schon damals das Interesse an Tieren eher in ihrer Nutzung als dem Bestreben, sie als fühlende Lebewesen zu schützen, wenngleich es auch Bewegungen gab, die wie die heutigen Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen die Etablierung eines umfassenden Schutzstatus für Tiere zum Ziel Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 31 Hier wartet eine zentrale tierschutzpädagogische Herausforderung. Der noch jungen Tierrechtsinitiative pro iure animalis ist zu wünschen, dass sie den Anschluss an die ethische Debatte findet, sich von ungezügelten Emotionen ebenso verabschiedet wie von praxislähmenden Visionen und in ernsthafter Weise zu dem Thema zurückfindet, das sie im Namen trägt. Claus Günzler hatten. Wie das bei vielen Menschen der Fall ist, so war auch Darwins Verhältnis zu Tieren widersprüchlich. Zum einen liebte er seinen Hund und stellte dessen intellektuelle und emotionale Fähigkeiten als vergleichbar mit denen des Menschen dar (227). Auf der anderen Seite war er ein begeisterter Jäger und ging der Frage nach, welche Hunde man für welchen Zweck züchten sollte. Weder das Erschießen von Tieren noch die Nutzung von Hunden zum Zweck des Jagens anderer Tiere stellte er in Frage. So bezeichnete Darwin die Vogeljagd als „Himmel auf Erden“ (233) und in einem Brief schrieb er: „Es hätte Neid und Verdruss in Dir erregt, ihn (Darwins Hund) zu beobachten, wie er eine Kette von Rebhühnern aufstöberte, und die Art, wie er das Platzkommando befolgte, wenn ich meine Hand erhob.“ (234) Darwins Studien zur natürlichen Auslese und Zucht und die eigens hierfür eingeführten exotischen Tiere gaben den Tiergärten und heutigen Zoos möglicherweise besonderen Antrieb, wie man aus folgender Beschreibung schließen kann: „Dass die Debatte um den Darwinismus und die Gründungswelle der bürgerlichen Tiergärten im deutschen Sprachraum und die Ankunft der ersten Menschenaffen ebenda um 1860 zeitlich zusammenfielen, war zunächst ein historischer Zufall. Bald aber entwickelte diese Konstellation ihre eigene Dynamik (...). Zeitungsartikel über die Ankunft von Menschenaffen in Zoos in den 1870er Jahren berichteten immer wieder von Zehntausenden von Besuchern.“ (263, 264) Der Sammelband ist lesenswert, vermittelt er doch die oftmals nicht bewusst wahrgenommene Bedeutung der Tiere für uns Menschen damals wie heute. Gleichzeitig regen die zahlreichen Beiträge unterschiedlichster Fachdisziplinen an, den Blick für neue Sichtweisen zu öffnen oder sogar das Verhältnis des Menschen Tieren gegenüber zu reflektieren. Die Nutzung von Tieren in zahlreichen Bereichen sowie das Herrschaftsdenken des Menschen über Tiere schreiben eine lange Geschichte, wie aus den Beiträgen der Autoren zu schließen ist. Dieses „Herrschaftsdenken“ wird in unserer modernen Gesellschaft als Normalität betrachtet. Dennoch scheint es erstrebenswert, dieses Dogma zu überdenken, wofür der Leser einige Anregungen in Form von Negativbeispielen für die Degradierung des Tieres zur menschlichen Zweckerfüllung erhält. Silke Bitz 31 17.11.2010 20:05:44 Uhr Literaturbericht 1.4 Adrian R. Morrison: An Odyssey with Animals: A Veterinarian’s Reflections on the Animal Rights & Welfare Debate 288 Seiten, New York: Oxford University Press, 2009, Euro 34,99 Die Mensch-Tier-Beziehung ist in unserer Gesellschaft komplexer denn je zuvor: Tiere werden nicht nur als Heimtiere gehalten und als Nahrungsmittellieferanten genutzt, sondern in zunehmendem Maß auch für Zwecke der biomedizinischen Forschung verwendet, was insbesondere in den USA zu erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Tierrechtsaktivisten einerseits und Forschern andererseits geführt hat. So hat die biomedizinische Scientific Community (Advocacy Network der Society for Neuroscience) kürzlich eine Unterschriftenkampagne gegen das von P. Singer und P. Cavalieri initiierte „Great Ape Project“ lanciert. Ein vorläufiger Höhepunkt im Kampf gegen die Forderungen der Tierrechtsbewegung ist Morrisons Buch „An Odyssey with Animals“. Aus der Sicht des Autors, der Tierarzt, emeritierter Professor für Verhaltensneurobiologie an der University Pennsylvania und ein bekannter Schlafforscher ist, sind Tiere „a renewable resource“ (8) und die Tierrechtsbewegung „an attack on humanity“ (120). Morrison belegt akribisch und durchwegs auch etwas larmoyant, wie er selbst und seine Kollegen durch „radikale“ Tierschützer eingeschüchtert und in ihrer Arbeit zum Wohle des Menschen behindert wurden. Er versucht, mit Hilfe historischer, philosophischer und biologischer Argumente seine unerschütterliche Überzeugung zu untermauern, dass der Dienst an der Menschheit das vorrangige, wenn nicht gar das ausschließliche Anliegen von Wissenschaft und Gesellschaft sein müsse. Freilich betont der Autor, durchaus dem Anliegen des Tierschutzes verpflichtet zu sein, und er räumt immerhin ein, dass die Durchführung von Tierversuchen einer Regelung durch den Gesetzgeber bedarf, um Missstände hintanzuhalten. Allerdings muss man sich fragen, wo nach den Vorstellungen Morrisons Raum für Tierschutzüberlegungen bleibt. Das Weltbild des Autors geht von einer unüberbrückbaren Kluft zwischen Mensch und Tier aus und rückt die Interessen des Menschen absolut und unverbrüchlich in den Mittelpunkt: „I still hold strongly to the view that there is a distinct division between animals and humans, created by our own evolutionary heritage as well as by our religious heritage in the West, at least.“ (224) Eine solche zutiefst anthropozentrische und im Übrigen auch gegenüber fremden Kulturen anmaßende Sichtweise entzieht naturgemäß jeder Güterabwägung den Boden und lässt es weder zu, die ethische Vertretbarkeit einzelner tierexperimenteller Vorhaben zu hinterfragen, noch über absolute Leidensobergrenzen zu diskutieren. In dem Bestreben, die Leserschaft von dieser Sicht der Dinge zu überzeugen, werden auch Klischees bemüht, die nahe legen, dass Tiere mitunter freiwillig an Tierversuchen mitwirken: „Some monkeys will actually jump into the testing chair for the excitement of doing something different and new.“ (92) 32 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 32 Morrison liegt viel daran zu betonen, dass er Tiere im Allgemeinen und Katzen – bzw. eine Katze, seinen „buddy Buster“ – im Besonderen liebt. Nicht sentimentale Tierliebe aber ist es, was die Tierschutz- und Tierrechtsbewegung einfordert. Mangelnde Zuneigung, Gleichgültigkeit, ja nicht einmal Gefühlskälte gereichen jemandem zum Vorwurf, so lange er die Interessen der Tiere bzw. des Tierschutzes anerkennt und respektiert. Und das bedeutet eben, den Menschen nicht zum Maß aller Dinge zu machen. Es ist die (vermeintliche) Kluft zwischen Mensch und Tier, mit der Morrison seine Tätigkeit (vor sich selbst) rechtfertigt: “Our ability as humans [is] to reflect on our future, and to anticipate our eventual death. If animals had these cognitive abilities, I personally could not use them in ways that would lead to their deaths.” (138) Aber: Können wir denn wirklich so sicher sein, wozu Tiere fähig sind? Und sollten wir es nicht – mit Thomas Huxley – im Zweifel vorziehen, „zugunsten dessen zu irren, dessen Ausdrucksverhalten für uns zu fremdartig ist, um uns seine Sicht der Dinge verständlich zu machen“? Man könnte noch Verständnis aufbringen, wenn sich der Autor darauf beschränken würde, die Verwendung von Tieren zu Zwecken der (bio-)medizinischen Forschung zu rechtfertigen. Immerhin sind die Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten in der Bedürfnis- und damit auch in der Wertehierarchie besonders hoch angesiedelt, sodass eine Interessenabwägung im Bereich dieses Forschungszweiges tatsächlich häufig zugunsten des Menschen ausfallen wird: Sophie Petit-Zeman bringt auf den Punkt, dass es eher gerechtfertigt ist, Tiere in der medizinischen Forschung zu verwenden, als sie zu essen: „I can survive perfectly well without eating meat (and so can you) but we can’t get far alleviating illness and disease without research using animals“ („Confessions of a vegetarian vivisector“, The Guardian, 7.8.2006). Morrison hingegen geht einen großen Schritt weiter: „My view is that animals can serve as food for the mind as well as for the body (...) “. (93) Die Nutzung von Tieren zum Zweck der Fleischgewinnung ist nach Morrison uneingeschränkt gerechtfertigt, auch wenn der (übermäßige) Fleischkonsum der Menschheit zumindest global betrachtet eher zum Nachteil als zum Nutzen gereicht. Vollends unglaubwürdig wird Morrisons Bekenntnis zum Tierschutz jedoch spätestens dann, wenn er die Haltung von Legehennen in Käfigbatterien befürwortet, weil die Tiere in dieser hygienischsten aller Haltungsformen vor dem Überlebenskampf geschützt sind und weniger von Ekto- und Endoparasiten geplagt werden als in der Freilandhaltung (188f.). So erstaunt es nicht, dass das Buch auch außerhalb der US-amerikanischen Scientific Community begeistert aufgenommen und von der American Farm Bureau Federation sogar zu einem Sonderpreis vertrieben wird (http://agwired.com/2009/07/27/new-book-on-animal-rights-vsanimal-welfare/). Das Ergebnis von Morrisons Bemühungen ist nach der Auffassung dieser Organisation „a thought-provoking, intelligent and fair-minded discussion of a charged subject – of the past and present of animals’ relationships with humans, and how and why we should be able to use them as we do.“ Ein weiteres Buch also, das sich in die Reihe jener Versuche einreiht, das zu rechtfertigen, was wir immer schon getan haben. Regina Binder Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:44 Uhr Literaturbericht 1.5 Karl Ludwig Schweisfurth: Tierisch gut: Vom Essen und Gegessen werden 251 Seiten, Frankfurt: Westend Verlag, 2010, Euro 17,95 „Immer mehr Menschen auf der Erde essen immer mehr Fleisch. Das bedeutet immer mehr Tiere, die wir unsichtbar hinter uns herziehen. Gemeinsam essen wir die Erde kahl.“ So lauten die Worte des Autos Karl Ludwig Schweisfurth im Bucheinband. Damit nimmt er sich des immensen Verzehrs von Tieren an und der daraus resultierenden Folgen für unseren Planeten, von Hunger in manchen Teilen der Erde über die Bodenvernichtung bis hin zur Problematik des Klimawandels. Karl Ludwig Schweisfurth ist selbst gelernter Metzger und ehemaliger Geschäftsführer des Fleischwarenunternehmens Herta. Die moderne Landwirtschaft und Fleischproduktion bezeichnet der Autor als monströsen Fehlschlag, aus denen er mit seinem Werk Auswege aufzeigen möchte. In Glonn bei München hat er die Herrmannsdorfer Landwerkstätten gegründet, die auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit beruhen. Die Tierhaltung erfolgt dort nach ökologischen, wirtschaftlichen und ethischen Kriterien zugleich. Das Buch Tierisch gut – Vom Essen und Gegessen werden ist in zahlreiche übersichtliche Kapitel gegliedert. Es ist in IchForm verfasst und lebendig geschrieben, so dass es sich trotz des kontrovers diskutierten Themas der Tiernutzung wie ein Roman liest. Das Verhältnis Ludwig Schweisfurths zu Fleisch und Tieren kommt in seiner Aussage zum Wegwerfen von tierischen Speiseresten zum Ausdruck. „…es hat mich zeitlebens verstört, wenn gutes, köstliches Fleisch vom Teller weg entsorgt wird. Ich habe dann häufig … meinem Nachbarn oder gern auch meiner Nachbarin eine Fettkruste oder einen mit Fleisch behangenen Knochen vom Teller genommen und die Reste mit Wohlbehagen verspeist. Wenn dann pikierte Nachfragen kommen, pflege ich zu sagen: ‚Ich habe es den Tieren versprochen. Sie gestatten, dass ich nicht wortbrüchig werde‘.“ (41) Dieses Verhalten drückt einerseits Respekt vor Tieren aus, andererseits wird ihre Tötung als Nahrungsmittel nicht in Frage gestellt. In den weiteren Ausführungen wird deutlich, dass der Autor für einen bewussteren Konsum und eine bedachtere Produktion von Fleisch appelliert. „Eine große, eine Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 33 entscheidende Wende zum Besseren – sowohl für die Tiere als auch für die Fleischkonsumenten – wird es nicht geben, solange nicht zweierlei gelingt: Die Rechte von Rind, Schwein, Huhn, Lamm, Pute auf ein Leben vor dem Tod durchzusetzen und das Lebensmittel Fleisch einem Marktgesetz zu entreißen, das – unter Missachtung von Tier- und Menschengesundheit – das Diktat ‚Kostensenkung um jeden Preis‘ aufrechterhält.“ (119) Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen Schweisfurths zu den gesundheitsschädlichen Folgen des Fleischverzehrs. Er führt eine Ende März 2009 veröffentlichte Langzeitstudie des National Institute of Health in den USA an, die seiner Ansicht nach bestätigt, was lange bekannt ist: „Zuviel Fleischkonsum ist ungesund. 545.000 Amerikaner zwischen 50 und 71 Jahren ließen ihre Essgewohnheiten wissenschaftlich protokollieren, und das Ergebnis lässt einen frösteln. Bei den 71.000 während der zehnjährigen Untersuchungszeit Verstorbenen hätte ein geringerer Fleischkonsum die frühen Todesfälle verhindert. Männer, die täglich rund 250 Gramm Fleisch aßen (die Untersuchung hob auf ‚rotes’ Fleisch ab, also auf Schweine-, Rind- und Lammfleisch) hatten im Vergleich zu anderen, die es mit 150 Gramm wöchentlich gut sein ließen, ein um 22 Prozent erhöhtes Krebsrisiko; das Herzinfarkt und Schlaganfallrisiko lag um 27 Prozent höher als bei der Vergleichsgruppe. Bei starken Fleischesserinnen war das Herztodrisiko sogar um 50 Prozent erhöht.“ (120f.) Die lesenswerte Lektüre basiert auf den langjährigen praktischen Erfahrungen eines Tiernutzers, der praktikabel aufzeigt, wie ein nachhaltiges Wirtschaften im Hinblick auf Tierhaltung und -nutzung möglich ist. Damit spricht Schweisfurth nicht ausschließlich Tierschützer an, sondern neben umdenkungswilligen Verbrauchern auch andere landwirtschaftliche Betriebe, die in den Ausführungen des Autors Motivation für eine Umgestaltung ihres Betriebes nach tierethischen Grundlagen finden können. Eingebettet in die Erzählungen sind fachliche Informationen, die eine wertvolle Grundlage für jeden interessierten, dem Tierschutz grundsätzlich aufgeschlossenen Menschen liefern. Industriellen Landwirtschaftsbetrieben kann das Buch als Anregung für ein Umdenken dahingehend dienen, dass kurzfristig maximaler Profit nicht nur auf Kosten wehrloser und fühlender Tiere geht, sondern auch im Hinblick auf einen Erhalt unserer Umwelt und damit unserer eigenen Lebensressourcen schädlich ist. Silke Bitz 33 17.11.2010 20:05:44 Uhr Literaturbericht 2 Philosophische Ethik 2.1 Jean Kazez: Animalkind. What We Owe to Animals 216 Seiten, Malden: Wiley-Blackwell, 2010, Euro 61,99 Die menschliche Wahrnehmung von Tieren wird von einer auffälligen Ambivalenz, einer „double vision of animals“ (9), bestimmt. Einerseits bewundern wir Tiere als autonome Lebewesen mit einer uns fremden Lebensweise. Andererseits sehen wir sie als Ressourcen mit einem reinen Nutzwert. Entsprechend schwankt auch die Qualität der Mensch-Tier-Beziehung zwischen zwei Polen: Tiere sind Freund oder Nahrung, Bello oder Fleisch. Jean Kazez nähert sich dieser spannungsvollen Beziehung in Animalkind. What We Owe to Animals zunächst über Beispiele für den Umgang mit Tieren in verschiedenen historischen und gesellschaftlichen Kontexten. Beim Blick auf die gemeinsame Geschichte von Mensch und Tier im ersten Teil des Buches (Before) zeigt sich, dass die Ambivalenz der Mensch-TierBeziehung schon lange vor der modernen Tierrechtsbewegung erkannt und in Mythen und religiösen Schriften thematisiert wurde. In vielen davon deutet sich bereits ein Unbehagen gegenüber der Ausbeutung und Konsumierung von Tieren an. Ein Überblick über philosophische Positionen von der Antike bis ins 18. Jahrhundert macht nicht nur deutlich, dass Menschen schon immer tierethische Fragen gestellt haben, sondern auch, dass immer wieder die Möglichkeit versäumt wurde, philosophische Ansätze für die Sorge um tierliche Belange zu öffnen. Im zweiten Teil des Buches (The Nature of the Beast) stellt Kazez einige psychologische und ethologische Untersuchungen zu potentiellen kognitiven Unterschieden zwischen Mensch und Tier vor. Vor diesem empirischen Hintergrund ist es sehr wahrscheinlich, dass weder Bewusstsein noch Denken rein menschliche Eigenschaften sind: „As we learn more about animals and ourselves, we are confronted with more continuity than the line-drawers like to contemplate. It’s not just that animals have more ‚human‘ abilities, but that we are more ‚animal‘.“ (74) Allerdings bestehen durchaus noch unübersehbare graduelle Unterschiede, etwa im Hinblick auf Selbstbewusstsein, Sprachfähigkeit und moralische Handlungsfähigkeit. Die entscheidende Frage nach der moralischen Bedeutung dieser Unterschiede, mit der Kazez sich im dritten Teil (All Due Respect) beschäftigt, stellt sich in besonders reiner Form in Rettungssituationen, bei denen das Leben von Menschen und Tieren auf dem Spiel steht. Für Kazez ist es kein Ausdruck von Speziesismus, dem Leben von Menschen einen höheren Wert zuzuschreiben als dem von Tieren, wenn eine direkte Entscheidung zwischen beiden unvermeidlich ist. Denn der intrinsische Wert eines Lebewesens hängt ebenso wie der Respekt, den wir ihm schulden, von seinen Möglichkeiten (capabilities) ab. Und die spezifischen menschlichen Möglichkeiten müssen uns insgesamt wertvoller erscheinen als die tierlichen: „we must make judgments, because real-world choices depend on doing so. (…) 34 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 34 If we’re biased in placing ourselves on a higher rung than other animals, it’s a bias we can’t avoid.“ (87f.) Kazez plädiert für einen hierarchischen Mittelweg zwischen radikalem Egalitarismus und dem Ausschluss aller nicht-menschlichen Lebewesen aus der Moralsphäre. Tiere müssen moralisch berücksichtigt werden, aber nicht in gleichem Maße wie Menschen. „Animals deserve consideration in proportion to their cognitive, emotional, and social complexity.“ (93) Mit Hilfe dieses Kriteriums können nach Kazez auch andere tierethische Fragen beantwortet werden. So beurteilt sie die Tötung von Tieren als moralisch gerechtfertigt, wenn damit das Leben von Menschen gerettet werden kann. „Mr. Caveman“, der paläolithische Jäger, darf seinen Speer auf einen Auerochsen werfen, um sich und seine Familie zu ernähren, da diese aufgrund ihrer Möglichkeiten mehr Respekt verdienen als das Tier. Allerdings ist dieses Argument heute in vielen Teilen der Welt angesichts der industrialisierten Tierhaltung einerseits und der Möglichkeit einer vegetarischen Ernährung andererseits nicht mehr stichhaltig. Im vierten Teil (Moral Disorders) untersucht Kazez, wann die moralisch zulässige Nutzung von Tieren in eine moralisch unzulässige Ausbeutung umschlägt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass viele moralische Probleme im Umgang mit Tieren durch einen Mangel an Ausgewogenheit entstehen. Offensichtlich haben wir die Verhältnismäßigkeit zwischen dem Gewinn für den Menschen und dem Verlust für das Tier aus den Augen verloren, wenn wir Tiere für ein flüchtiges ästhetisches oder kulinarisches Vergnügen töten. Die moralische Bewertung von Tierversuchen ist dagegen weniger klar. Meist werden entweder Nutzen oder Kosten einseitig betont, je nachdem ob Forscher oder Versuchstiere verteidigt werden sollen. Um möglichst beiden Seiten gerecht zu werden, untersucht Kazez zwei Extrembeispiele tierexperimenteller Forschung: die Entwicklung des Polio-Impfstoffs und Harlows Deprivationsexperimente mit Rhesusaffen. Im ersten Fall müssen Tierversuche nach Kazez als notwendiges Übel angesehen werden. Im zweiten Fall ist jedoch der Erkenntnisgewinn gegenüber dem Tierleid unverhältnismäßig gering. Im abschließenden fünften Teil (Next) bezieht Kazez das Problem des Artensterbens in ihre Überlegungen ein. Für Kazez schließen sich die Sorge um das individuelle tierliche Wohlergehen und um die Aufrechterhaltung der Biodiversität nicht aus, sondern entspringen vielmehr dem gleichen Gefühl der Bewunderung und des Respekts für fremde Lebensformen: „You can decline the hamburger to save the cow, but just as reasonably, to save the tiger.“ (167) Sowohl der bessere Umgang mit Nutzund Versuchstieren und die Verringerung der Tiernutzung insgesamt als auch der Schutz von Wildtieren sind Ziele, denen wir uns in einem allmählichen Prozess annähern sollten. Kazez’ Buch hebt sich positiv von vielen anderen populärphilosophischen Darstellungen tierethischer Probleme ab, da es wohltuend ausgewogen und pragmatisch ist. Statt einer lautstarken Verkündung von Antworten findet man das aufrichtige Ringen um einen fragilen Mittelweg, auf dem sowohl die menschlichen als auch die nicht-menschlichen Beteiligten so weit wie möglich respektiert werden. Kazez’ größter Verdienst ist, dass sie immer wieder eindrücklich darauf hinweist, dass zwischen Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:44 Uhr Literaturbericht menschlichen und tierlichen Interessen tatsächlich ein Konflikt besteht, für den es keine einfachen Lösungen gibt. Es handelt sich nicht um einen Scheinkonflikt, der eindeutig zugunsten von Mensch oder Tier entschieden werden kann. Die Mensch-TierBeziehung bewegt sich im Spannungsfeld von Problemen, die nur durch sorgfältiges Abwägen der jeweils auf dem Spiel stehenden Güter gelöst werden können. Aus tierethischer Sicht kann man einige argumentative Schwächen kritisieren. So ist der stark hierarchische Blick moralisch sicher nicht so leicht zu begründen, wie Kazez anzunehmen scheint. Zudem bringt Kazez an einigen Stellen praktische oder ästhetische Überlegungen als Argumente für oder gegen die Gültigkeit moralischer Schlüsse vor. Diese Argumentationsstrategie ist jedoch eine unausweichliche Folge der Tatsache, dass moralische Forderungen nur dann eine Bedeutung besitzen können, wenn sie tatsächlich umsetzbar sind. Eine grundlegende Verbesserung der Mensch-Tier-Beziehung kann nicht durch die radikale Lebensänderung einiger weniger Menschen zustande kommen, sondern nur durch die graduelle Veränderung des 2.2 Helmut F. Kaplan: Ich esse meine Freunde nicht oder Warum unser Umgang mit Tieren falsch ist 132 Seiten, Berlin: trafo Wissenschaftsverlag, 2009, Euro 12,95 Helmut F. Kaplan ist in der Tierethik kein unbeschriebenes Blatt. Der österreichische Psychologe und Philosoph (geb. 1952) veröffentlichte seit Mitte der 1980er Jahre eine stattliche Anzahl an Büchern und Artikeln zu tierethischen Themen. Er versuchte darin v. a. die utilitaristische Tierethik von Peter Singer mit der Tierrechtsposition von Tom Regan zu verbinden. Sein neues Buch „Ich esse meine Freunde nicht“ will zentrale Begriffe der Tierrechtsbewegung allgemeinverständlich erläutern und eine Alternative zu religiös-esoterischen und rein akademischen Abhandlungen bieten. Zwar fühlt sich Kaplan der abendländischen argumentativen Philosophie verpflichtet, aber deren „akademischer Wasserkopf“ verhindert die Ausbildung einer „Einfachen Ethik“, um die es Kaplan geht. Das Buch gliedert sich in einen praktischen und einen theoretischen Teil, wobei der theoretische Teil aus Ergänzungen und Ausführungen zu den im praktischen Teil angeführten Themen besteht. Kaplan will – einem alten pädagogischen Grundsatz zufolge − die Menschen dort abholen, wo sie sich mit ihren moralischen Überzeugungen befinden. Deshalb beginnt er mit der Widerlegung einiger alltagsweltlicher Argumente für das Fleischessen wie z. B. „Tiere zu töten ist unvermeidlich“ oder „Fleischessen ist moralisch unbedenklich, weil es gesund ist“. Diese oft unreflektierten und vorgeschobenen Begründungen Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 35 Verhaltens vieler. Und da Menschen keine Heiligen sind, ist damit zugleich eine Abschwächung der Anforderungen an den Einzelnen verbunden: „For most people, being good is a work in progress, never to be completed.“ (178) Die von Kazez diskutierten Argumente, Fragen und Probleme sowie die von ihr angebotenen Lösungen sind für Leser, die sich bereits intensiver mit tierethischen Fragen beschäftigt haben, nicht neu. Trotzdem ist Animalkind nicht nur ein guter, leicht lesbarer Einstieg für alle, die gerade beginnen, die gegenwärtigen Formen der Nutzung von Tieren in Frage zu stellen. Es bietet auch eine ermutigende Lektüre für „Teilzeitvegetarier“, die zwar (noch) nicht für einschneidende Veränderungen bereit sind, aber bereits erste Schritte zu einer Verbesserung der Mensch-Tier-Beziehung unternommen haben. Sie bekommen eindrücklich vermittelt, dass jeder Schritt zählt: „If the really important thing is the benefit to animals, do not scoff at reducing consumption as a positive step. The point is not to be perfect but to prevent (as much as you can) harm to animals.“ (179f.) Kirsten Schmidt werden von Kaplan einer argumentativen Kritik unterzogen; sie ist nützlich in der Auseinandersetzung mit dem Fleischverzehr und dient als Vorbereitung zu den systematischen Ausführungen zur Tierethik. Basisunterscheidung für die systematischen Ausführungen zur Tierethik ist dabei die von Singer populär gemachte Trennung von empfindungsfähigen und nicht-empfindungsfähigen Lebewesen. Denn es ist „sinnvoll zu fragen, was eine Beutelratte fühlt, wenn sie ertrinkt“, aber es ergibt „keinen vergleichbaren Sinn (...) zu fragen, was ein Baum fühlt, wenn er abstirbt.“ (24) Da empfindungsfähige Wesen eine „Innenseite“ aufweisen, daher Wünsche und Interessen ausbilden, sind sie in moralischer Hinsicht anders zu bewerten als Lebewesen, denen keine „Innenseite“ nachzuweisen ist. Aus dem Vorhandensein von Wünschen empfindungsfähiger Lebewesen folgt für Menschen, dass sie moralische Pflichten ihnen gegenüber haben. Den moralischen Status von Lebewesen koppelt Kaplan an die Empfindungsfähigkeit, aber nicht ausschließlich an die Leidensfähigkeit (Pathozentrismus), obwohl er der Leidensfähigkeit eine bedeutende Stellung einräumt (91ff.). Autonomie, Selbstbewusstsein und Rationalität sind für ihn ebenfalls Kriterien, die einen moralischen Status begründen. Er insistiert, dass in der Ethik die Bedeutung von Fakten allgemein zu gering eingeschätzt wird – wohl um die allseits gefürchteten „naturalistischen Fehlschlüsse“ zu vermeiden, also die Gefahr aus dem biologisch vorgefundenen Sein ein ethisches Sollen abzuleiten. Ihm zufolge wurde daher bisher evolutionsbiologischen Tatsachen ein zu geringes Interesse entgegengebracht. Nur durch die naturwissenschaftliche verbürgte „evolutionäre Kontinuität“ ist aber argumentativ abgesichert, dass Empfindungsfähigkeit, Autonomie, Selbstbewusstsein und Rationalität auch einem großen Teil der Säugetiere zukommt und dadurch das speziesistisch verstandene Prinzip der Menschenwürde ins Wanken 35 17.11.2010 20:05:45 Uhr Literaturbericht gerät: „Darwins Erkenntnisse sollten dazu führen, dass diese Form von Menschenwürde – mit ihren verheerenden Folgen für Tiere – als das gesehen wird, was sie ist: eine höchst unplausible und unglaubwürdige Sache.“ (53) Der Idee der Menschenwürde wird von Kaplan jedwede rationale Begründung abgesprochen − ihre „Scheinbegründungen“ (59) werden daher einer scharfen Kritik unterzogen. Kaplan baut hingegen − Peter Singer folgend − die Ethik auf dem Gleichheitsprinzip der Interessen auf: In allen moralischen Überlegungen sollen wir den ähnlichen Interessen aller, die von unseren Handlungen betroffen sind, gleiches Gewicht geben. Dieses zunächst unscheinbare Prinzip entwickelt seine Radikalität dadurch, dass es die Speziesgrenzen durchbricht und auch Tieren Interessen zubilligt. Dadurch wird der Anthropozentrismus der abendländischen Ethik in Frage gestellt. Fleischessen z. B. wird als eine Verletzung der Lebensinteressen von Tieren gekennzeichnet; das vergleichsweise unelementare Interesse von Menschen am Genuss von Fleisch wird mit dem bedeutenden Interesse von Tieren an ihrem Weiterleben kontrastiert. Da die utilitaristische Denkweise (von Singer) aber dazu führen kann, dass die Interessen einzelner Individuen auf der Strecke bleiben, dadurch, dass sie in der Waagschale mit den Interessen vieler Individuen zu wenig Gewicht haben können, kombiniert Kaplan das Gleichheitsprinzip der Interessen mit der Goldenen Regel. Nur die Goldene Regel – also das Prinzip, welches besagt, dass ich andere so behandeln soll, wie ich selbst behandelt werden möchte – garantiere eine Anteil nehmende und somit verinnerlichte moralische Position, da die Goldene Regel die Interessen der anderen durch einen gedanklichen Perspektivenwechsel mit den eigenen Interessen zu vermitteln suche. Kaplan bezeichnet die Goldene Regel auch als „Ethische Weltformel“. Wie würde ich mit den Eigenschaften des anderen oder in der Situation des anderen behandelt werden wollen? Die Kritik an der Goldenen Regel, dass beim Mensch-Tier-Verhältnis keine Anwendbarkeit möglich sei, führt der Psychologe Kaplan indes auf eine Abwehr aufkommenden Entsetzens zurück: „Das wirkliche Problem bei der Anwendung der Goldenen Regel auf Tiere (...) ist, dass uns dies so leicht gelingt – und dass das Ergebnis oft so schauerlich ist: Wer sich auch nur oberflächlich über das, was auf Tiertransporten, was in Tierfabriken, in Schlachthäusern usw. passiert, kundig macht und sich dann seinen Hund oder seine Katze in diesen Situationen vorstellt (...) der droht vor Mitleid und Entsetzen verrückt zu werden.“ (80) Damit rührt Kaplan an einer zentralen Stelle unseres Umgangs mit Tieren, nämlich der Frage, welche psychologischen Mechanismen es möglich machen, dass industriell organisierte Grausamkeit an Tieren in so großem Ausmaß möglich ist. Kaplans Buch liest sich als eine gelungene Einführung in die tierethischen Problemkreise. Es stellt nahezu alle relevanten Positionen, Namen und Begriffe in relativ zugänglicher Weise vor. Die Literaturangaben sind ausführlich und auf dem neusten Stand. Sein Konzept einer „Einfachen Ethik“ verführt jedoch Kaplan an manchen Stellen dazu, komplexe Argumentationsstränge auf griffige Formeln zu reduzieren. Norbert Walz 2.3 Robert W. Lurz (Hrsg.): The Philosophy of Animal Minds ihrer evolutionären Geschichte und den Umwelten, in denen sie leben – besitzen oder besitzen könnten. Traditionell ist es hier in der Philosophie bisher meist darum gegangen, ob Tiere (ohne Sprache) denken können. Zweitens nähern sich Epistemologische Ansätze dem Thema im Gegensatz dazu von der Frage aus, wie unser Wissen vom Geist der Tiere zu verstehen ist und zustande kommt. Hier ist entweder normativ von Interesse, was unsere Zuschreibungen mentaler Zustände an Tiere rechtfertigt, oder es wird deskriptiv untersucht, wie wir de facto dazu kommen, Tieren solche Zustände zu unterstellen. Lurz führt weitere zentrale Begriffe ein und weist dann auf wichtige inhaltliche Unterschiede verschiedener philosophischer Ansätze hin. Auch hier folgt er einer Zweiteilung, nach der sich viele philosophische Positionen maßgeblich darin unterscheiden, ob sie sich auf mentale Repräsentationen oder intentionale Zustände zweiter Stufe bei Tieren konzentrieren und deren Vorliegen für entscheidend halten („higher-order representational (HOR) approach“) oder ob sie Bewusstseins- und Wahrnehmungszustände erster Stufe in den Mittelpunkt rücken („first-order representational (FOR) approach“). Nach dem HOR-Ansatz verfügt ein Lebewesen nur dann über Bewusstsein, wenn es auch über ein Bewusstsein darüber verfügt, dass es Bewusstsein hat. Manche Autoren der vorliegenden Textsammlung stimmen dem, so Lurz, zu und sehen zumindest bei 308 Seiten, Cambridge: Cambridge University Press, 2009, Euro 23,37 In den letzten zehn Jahren hat das philosophische Interesse am Geist der Tiere enorm zugenommen, so Robert W. Lurz in seiner Einführung zu The Philosophy of Animal Minds. Unzählige Publikationen und Konferenzen hätten sich diesem Thema gewidmet: „The level of interest and publication has reached a critical mass and has sustained itself long enough that it is now appropriate to say that the philosophy of animal minds is a field in its own right.“ (1) Als Editor versammelt er in seinem Buch nun eine Reihe aktueller Aufsätze der namhaftesten zeitgenössischen Philosophen, um den Fortgang der Debatte zu präsentieren. Lurz macht in seiner kurzen Einführung deutlich, wie die einzelnen Beiträge kategorisiert wurden. Philosophische Fragen zum Geist der Tiere folgen normalerweise zwei (sich nicht ausschließenden) Ansätzen. Erstens einem metaphysischen Ansatz, der danach fragt, welche Art von Geist Tiere – in Übereinstimmung mit ihrem Verhalten, der Beschaffenheit ihres Gehirns, 36 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 36 Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:45 Uhr Literaturbericht einigen Tieren in neueren empirischen Studien Evidenz für ein Verständnis vom Innenleben anderer, für Gedankenlesen und Metakognition. Vertreter der FOR-Theorie, die Bewusstseinsund Wahrnehmungszustände erster Stufe in den Mittelpunkt rückt, gehen hingegen davon aus, dass – unabhängig von solchen metakognitiven Kompetenzen – Wahrnehmungen an sich bereits mit Bewusstsein gekoppelt sind, etwa mit einem Körperbewusstsein. Lurz ordnet die Essays seiner Textsammlung einerseits inhaltlich, folgt aber auch andererseits den vorgestellten Unterscheidungen. Dale Jamieson What do animals think? und Eric Saidel Attributing mental representations to animals eröffnen die Diskussion um epistemische Fragen der Zuschreibbarkeit mentaler Zustände wie Überzeugungen und Wünsche an Tiere. Die nächsten drei Essays fokussieren auf die repräsentationale Basis des Denkens bei Tieren und beziehen sich vorrangig auf deren mentale Repräsentation von konkreten Dingen in ihrer Umwelt: Michael Rescola: Chrysippus’ dog as a case study in non-linguistic cognition, Michael Tetzlaff und Georges Rey: Systematicity and intentional realism in honeybee navigation und Peter Carruthers: Invertebrate concepts confront the generality constraint. Hier geht es maßgeblich um die Frage, ob Tiere in Satz-artigen mentalen Repräsentationen bzw. in einer Art gedanklicher Sprache denken oder eher in ikonischen Repräsentationen, also etwa bildhaft in Form von mentalen Landkarten. Besonders interessant ist hier Tetzlaffs und Reys Ansatz, die mentalen Repräsentationen, welche der Navigation und Kommunikation von Honigbienen zu Grunde liegen, als systematisch vorliegende, Satz-artige Repräsentationen zu verstehen. Die nächsten zwei Essays von Elisabeth Camp A language of baboon thought? und Andrew McAninch, Grant Goodrich und Colin Allen Animal communication and neo-expressivism setzen die Diskussion um konzeptuelle, sprach-analoge Fähigkeiten fort und wenden sich den Fähigkeiten von Affen zu. Camp sieht bedeutende Unterschiede hinsichtlich der syntaktischen Strukturen, denen Lautäußerungen und Repräsentationen bei Affen im Vergleich zum Menschen folgen. Diejenigen der Affen hätten viel stärker semantische Funktionen, während das linguistische System des Menschen kompositionellen Relationen folge, die deutlich genereller und abstrakter gestaltet seien. McAninch, Goodrich und Allen problematisieren hingegen die vorherrschende Unterscheidung, dass Vokalisationen entweder expressiv oder referentiell seien. Eine Lautäußerung habe stattdessen immer beide Funktionen. Die folgenden beiden Aufsätze von José Luis Bermudez: Mindreading in the animal kingdom und Joëlle Proust: The representational basis of brute metacognition: a proposal beschäftigen sich nicht länger mit der Wahrnehmung der Tiere in Bezug auf Dinge ihrer Umwelt, sondern widmen sich deren Verständnis mentaler Zustände. Drei weitere Autoren nehmen das Bewusstsein, das Selbstbewusstsein und die Emotionen bei Tieren in den Blick: Rocco J. Gennaro: Animals, consciousness, and I-thoughts, David DeGrazia: Self-awareness in animals, Robert C. Roberts: The sophistication of non-human emotion). Hier wenden sich die Texte auch stärker den in der Einleitung unterschiedenen epistemischen Fragen zu. Gennaro verteidigt Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 37 den HOR-Ansatz, während DeGrazia hilfreiche Unterscheidungen mit Blick auf die Kategorie des Selbstbewußtseins einführt: „Bodily self-awareness“ ist demnach bei vielen Tieren zu finden, „social self-awareness“ und „introspective self-awareness“ aber auch zumindest bei einigen Arten wie Walen und Delphinen, Affen und Menschenaffen. Roberts schließlich verweist auf Unterschiede zwischen Menschen und nicht-menschlichen Tieren, wenn es um komplexe Emotionen geht. Während diese Unterschiede einerseits nicht übersehen werden dürfen, sind doch auch bei nicht-menschlichen Tieren einige der in seinem Essay spezifizierten Dimensionen von Emotionen in einem erstaunlichen Grad entwickelt (236). Die letzten beiden Texte wenden sich dann gänzlich epistemischen, d.h. auch methodologischen Fragen der Erforschung des Geistes der Tiere zu: Elliott Sober: Parsimony and models of animal minds, Simon Fitzpatrick: The primate mindreading controversy: a case study in simplicity and methodology in animal psychology. Hier wird beispielsweise ausgeführt, dass Interpretationen, die auf höhere intentionale Zustände Bezug nehmen, tatsächlich gemäß Morgans Kanon „sparsamere“ und deshalb wissenschaftlich angemessenere Beschreibungen dessen darstellen können, was Tiere leisten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Textsammlung ihrem Ziel gerecht wird: Im Vergleich zu ähnlichen Büchern werden hier tatsächlich aktuelle Aufsätze vorgestellt, die sowohl auf ältere Positionen zurückgreifen als auch neuere empirische Daten diskutieren und Perspektiven der zukünftigen Forschung aufzeigen. Sicherlich ist dieses Buch damit interessant für Philosophen und Naturwissenschaftler. Allerdings bleiben die Autoren – typisch für die Analytische Philosophie – bei der Frage stehen, ob Tiere über bestimmte mentale Kompetenzen verfügen und wie wir diese beschreiben und erfassen können. Warum diese Frage mit Blick auf das Mensch-Tier-Verhältnis von Bedeutung ist, wird leider nicht erwähnt. Warum aber sollen wir uns mit Fragen nach dem Geist der Tiere, nach deren komplexen sozialen, kognitiven und emotionalen Fähigkeiten überhaupt beschäftigen? Ist es auch für unser Verhältnis zu Tieren und unseren Umgang mit Tieren von Relevanz, dass sie etwa über Bewusstsein und Selbstbewusstsein, über Erinnerungsvermögen, komplexe Emotionen und soziales Wissen verfügen und uns hinsichtlich solcher Fähigkeiten bisweilen sehr ähnlich sind? Solchen weiterführenden, vorrangig ethischen Fragen wird in dieser Textsammlung weder in einem eigenen thematischen Block noch in einer abschließenden Schlussbemerkung nachgegangen (obwohl beispielsweise mit Jamieson und DeGrazia durchaus Autoren zu Wort kommen, in deren Forschung die Tierethik sonst einen festen Platz hat). Im Literaturverzeichnis sind Referenzen, in denen der moralische Status von Tieren eine Rolle spielt, kaum vorhanden. Wer also an tierethischen Fragen interessiert ist, mag enttäuscht sein. Eine Verbindung von der Theoretischen zur Praktischen Philosophie, von der Philosophie des Geistes zur Ethik leistet dieses Buch leider nicht. Mit Blick auf die Themen, die diskutiert werden, hat man aber eine umfangreiche Sammlung von Texten vor sich, deren argumentatives Niveau sehr hoch ist. Der Editor bemüht sich deshalb um eine klare und hilfreiche Einführung und der 37 17.11.2010 20:05:45 Uhr Literaturbericht überforderte oder fachfremde Leser kann auf einen Glossar zurückgreifen, in dem die wichtigsten Fachbegriffe der Debatte erklärt werden. Wer sich eine ausführlichere Einführung in die Thematik wünscht, greift vielleicht aber besser auf die wesentlich umfangreichere Einführung in Perler und Wilds Geist der Tiere (Suhrkamp, 2005) zurück. Diese Textsammlung präsentiert in deutscher Übersetzung ebenfalls einige der bei Lurz vertretenen Autoren, stellt aber vor allem die klassischen und damit bereits älteren Texte zusammen, auf die sich Lurz und seine Autoren oft berufen. 2.4 Mark Rowlands: Animal Rights. Moral Theory and Practice 240 Seiten, Chippenham and Eastbourne: Palgrave Macmillan, 2. Auflage, 2009, Euro 21,99 Mark Rowlands, in Florida/Miami lehrender Professor für Philosophie mit dem Forschungsschwerpunkt Philosophy of Mind, erwarb sich bereits 1998 mit der ersten Auflage von Animal Rights im Bereich der englischsprachigen Tierethik hohe Anerkennung. Im deutschsprachigen philosophisch-akademischen Diskurs wurde hingegen seltsamerweise bis jetzt nur sein populärwissenschaftliches Buch Animals Like Us (vgl. 4) wahrgenommen. Auch die zweite Auflage von Animal Rights mit sieben überarbeiteten Kapiteln steht für das gleiche engagierte Ziel wie die erste Auflage: die Begründung von Tierrechten durch den moralischen Kontraktualismus. Dies ist ein ambitioniertes Programm, denn wie Rowlands selbstkritisch in Animal Rights ausführt, gilt für viele Ethiker eine solche Verknüpfung als theoretisch nicht kompatibel mit einem direkten moralischen Status von Tieren, da Tiere nicht in der Lage sind Pflichten zu übernehmen, wie dies im Kontraktualismus zwischen den Vertragspartnern (Menschen) der Fall ist. Tiere als nicht ausreichend rationale Lebewesen können die klassischen Kriterien als Vertragspartner der Moral nicht erfüllen. Allenfalls kann ihnen ein indirekter moralischer Status zugesprochen werden, konzipiert als eine Ausweitung im Interesse von menschlichen Rechtsubjekten mit direkten Status (vgl. 119). Bevor Rowlands in Kapitel sechs sein kontraktualistisches Argumentationskonzept darlegt, widmet er sich in den Kapiteln drei bis fünf einer differenzierten Kritik von bereits etablierten Formen der Tierethik im Kontext von Peter Singers Utilitarismus, Tom Regans Animal Rights as Natural Rights und neueren Ansätzen von Tugendethik und Tieren. Argumentative Grundlagenarbeit beginnt – nach einem konzisen theoretischen Überblick in Kapitel eins – im Science-Fiction-Kapitel zwei. Dieser Teil behandelt ein inzwischen verbreitetes Gedankenszenario mit Aliens à la Independence Day. Dieses Szenario soll helfen, Klarheit über die zugrunde gelegten moralischen 38 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 38 Die philosophischen Diskussionen zum Geist der Tiere sind an sich bereits sehr komplex, in englischer Sprache aber sicherlich eher für Leser zugänglich, die ein Vorwissen mitbringen. Zum Einstieg in die Tierphilosophie empfiehlt sich deshalb neben Perler und Wilds übersetzten Texten vor allem Markus Wilds knappe Tierphilosophie zur Einführung (Junius, 2008). Wild wird der Debatte ebenfalls in ihrer Komplexität gerecht, schafft es aber, diese zusammenhängender darzustellen und den Leser dabei von einfacheren zu spezifischeren Fragestellungen zu führen. Judith Benz-Schwarzburg Prinzipien zu schaffen, die Menschen anwenden, wenn sie Tiere zu ihren Zwecken verwenden. Die hochintelligenten Aliens, genannt „Namuhs“, züchten nach einer erfolgreichen Invasion auf der Erde Menschen zur Fleischproduktion. Versucht man nun ihr Verhalten nach Kriterien der Moral zu bewerten, so lassen sich zwei Prinzipien erkennen. Die „Namuhs“ handeln erstens nach dem moralischen Prinzip, jedes ihrer Mitglieder mit Respekt und gleicher Anerkennung zu behandeln. Auf der metaethischen Ebene lässt sich aus ihrem Verhalten ein zweites Prinzip ableiten: Demzufolge darf kein moralischer Unterschied gemacht werden, ohne dass ein relavanter natürlicher Unterschied vorhanden ist (vgl.12). Was ist damit aber gemeint? Rowlands deckt damit einen Speziesismus auf. Der einzige natürliche Unterschied, der auch moralisch relevant wird, wäre die Tatsache, dass Menschen nicht der Spezies der „Namuhs“ angehören und deshalb auch keine moralische Berücksichtigung verdienen. Mit seinem imaginären Diskurs mit den „Namuhs“ versucht Rowlands nun die moralische Irrelevanz bestimmter Merkmale, wie der Zugehörigkeit zu einer Spezies, der phänotypischen Eigenschaften oder der Intelligenz eines Lebewesens, darzulegen (vgl.17). Besondere Beachtung verdienen hier die Ausführungen zur moralischen (Ir)Relevanz von Intelligenz. Diese Fragestellung findet sich im Zentrum aktueller (bio-)ethischer Diskurse bei Grenzfällen als the argument from marginal cases (23). Dieses zeigt, wie problematisch es sein kann, Eigenschaften oder Fähigkeiten von Menschen als Grundlage moralischer Rücksichtnahme zu betrachten. Bestimmte Fähigkeiten, die als explizit menschlich betrachtet wurden, wie etwa die Fähigkeit Zukunftspläne zu entwerfen, sind nicht bei allen Menschen anzutreffen. So können etwa Kinder oder Menschen mit geistigen Behinderungen nicht in die Zukunft planen. Umgekehrt können aber bestimmte Tiere in die Zukunft planen. Dies hat zur Folge, dass etwa Menschen, die die zur moralischen Unterscheidung vorgeschlagene Eigenschaft nicht haben, als „Grenzfälle“ betrachtet werden. Rowlands großer Verdienst besteht darin, dieses Dilemma hervorragend klar herauszuarbeiten. Der erste argumentative Teil besteht darin, dass die Eigenschaft X – verteidigt von Gruppe G – das Kriterium für moralische Berücksichtigung darstellt. Teil zwei beschreibt nun das Problem, dass einige Mitglieder von G nicht die Eigenschaft X besitzen. Die logische Folgerung in Teil drei wäre nun, dass diese MitAltexethik 2010 17.11.2010 20:05:45 Uhr Literaturbericht glieder von Gruppe G entweder keine moralischen Ansprüche haben oder dass die Eigenschaft X als das relevante Kriterium verworfen werden muss (23). Kapitel eins schließt mit der tierethischen Kernthese des gesamten Buches: „treating individuals with equal consideration and respect“ (29). Im Kapitel drei Utilitarianism and Animals wird insbesondere Peter Singer mit seinem bisher meist zitierten tierethischen Aufsatz All Animals are Equal (vgl. 32) von 1974 und seinem darauf folgenden Klassiker von 1975 Animal Liberation scharf kritisiert. Singer und den Vertretern verschiedener anderer Spielarten des Utilitarismus wird „an inadequate understanding of the concept of equal consideration“ (32) angelastet. Rowlands beginnt hier mit den klassischen Formen des hedonistischen und präferenztheoretischen Utilitarismus und zeigt überzeugend die Probleme von Gerechtigkeit bei einer rein konsequentialistischen aggregation of interests (46). Etwas zu kurz wird jedoch die derzeit viel stärker diskutierte Form des Regel-Utilitarismus als nicht tragfähiges tierethisches Modell abgetan (51-52). Kapitel vier beginnt mit dem für manche etwas überraschenden Titel Tom Regan: Animal Rights as Natural Rights (58). Rowlands vorderhand doch massive Kritik, Regans Theorie aufgrund ihrer metaphysischen Basis nicht akzeptieren zu können (vgl. 59), wird sowohl ausgesprochen differenzierend als auch überzeugend an zentralen Begriffen von Regans Theorie dargelegt. Während die Begriffsbestimmung von “Individuals are subject-of-a-life if they have beliefs and desires; perception, memory, and a sense of the future, including their own future; an emotional life together with feeling of pleasure and pain; preference and welfare-interests; (…)” (59) als metaphysisch neutral zu bezeichnen ist, gilt dies wohl nicht für Regans Konzept von Werten. Rowland kritisiert hierbei, dass der Begriff des Inhärenten Wertes inkommensurabel mit dem Begriff des inneren Wertes sei, da beide nicht einfach miteinander verglichen werden können, weil sie sich nicht durch den gleichen Maßstab bewerten lassen. (vgl. 62) Hier überzeugen Rowlands kritische Unterkapitel namens Inherent value is mysterious (86), ad hoc (89) und unnecessary (93), in denen er dieser Problematik gezielt nachgeht. Mit dem kompakten Kapitel fünf zur Tugendethik Virtue Ethics and Animals und Conclusion (117) leitet Rowlands zu seinem von ihm 2.5 Nicole Shukin: Animal Capital. Rendering Life in Biopolitical Times 306 Seiten, Minneapolis: University of Minnesota Press, 2009, Euro 24,99 Erschienen in der Reihe Posthumanities, herausgegeben von Cary Wolfe (siehe Rezension in diesem ALTEXethik: Cary Wolfe: What is PosthuAltexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 39 verteidigten kontraktualistischen Ansatz über. Während beim orthodox view (129) des Kontraktualismus in der Tradition von Hobbes keine Chance auf direkte Berücksichtigung von Tieren besteht, werden in Animal Rights unter Hinweis auf theoretische Vorarbeiten des politischen Philosophen Will Kymlicka sowohl Elemente von Immanuel Kants „Moral Law“ (126) als auch John Rawls’ „A Theory of Justice“ (131 ff.) und „Political Liberalism“ zur Begründung von Tierrechten verwendet. Hierfür wird das zentrale gerechtigkeitstheoretische Element von John Rawls, der sogenannte Schleier des Nichtwissens („Niemand weiß seinen Platz in der Gesellschaft, seinen sozialen Status, seine Intelligenz, seine Stärken etc…“; vgl. 135) auch auf die mögliche Inklusion von Tieren im sozialen Kontrakt verwendet. Während John Rawls in seinem 1971 erschienen Klassiker „A Theory of Justice“ zu zeigen versuchte, dass Tieren nicht die gleichen Rechte zustehen wie Menschen (vgl.154), wird von Rowlands insbesondere am Beispiel von Contractarianism and vegetarianism (162) klar und überzeugend die Argumentation für eine nicht speziesistische Gerechtigkeitstheorie und ihre praktischen Implikationen erarbeitet. Besondere Erwähnung verdient noch das letzte und wohl theoretisch anspruchvollste Kapitel sieben zu Animal Minds (176 ff.). Hier behandelt Rowlands als einer der weltweit führenden naturalistischen Philosophen des Geistes in faszinierend komprimierter Form die wichtigsten Kritiker von Animal Minds. Sowohl die Einwände gegen das higher-order thought model of consciousness bei Tieren als auch die Probleme der Einheit des Mentalen und des Zusammenhangs zwischen den verschiedenen Spielarten von Überzeugungen werden Schritt für Schritt abgearbeitet. Rowlands zeigt ohne Polemik, dass diese Kritiken nicht nur wenig überzeugend, sondern oftmals nur einfache Behauptungen sind, die als Argumente getarnt werden (vgl. 218). Obwohl in Animal Rights einige zusätzliche aktuelle bibliographische Hinweise hilfreich wären (es gibt nur knapp drei Seiten Bibliographie), verdient dieses theoretisch anspruchsvolle, aber trotzdem sehr klar argumentierende Werk den Status eines modernen Klassikers und sollte sich insbesondere durch eine nunmehr preisgünstige Paperback-Version über die akademischen Bibliotheken hinaus einen festen Platz in den Bücherregalen erarbeiten. Erwin Lengauer manism?), befasst sich das Buch Animal Capital. Rendering Life in Biopolitical Times mit der Schnittstelle zwischen Posthumanismus und kritischer Auseinandersetzung mit marxistischen und post-marxistischen Theorien rund um das Tier in der Reproduktion der Hegemonie des Kapitals (7). Der Begriff „biopolitisch“ im Titel deutet schon darauf hin, dass sich die kritische Analyse Shukins von der biopolitischen Tradition Michel Foucaults inspirieren lässt, die durch die Theorie bzw. Interpretation der neuen Hegemonie-Formen von Michael Hardt und Antonio Negri (Empire. Die neue Weltordnung) ergänzt wird. Shukins Integration der posthumanisti39 17.11.2010 20:05:45 Uhr Literaturbericht schen Perspektive, laut der der Mensch keine Sonderstellung mehr hat, ist herausfordernd. Das Ziel des Buches besteht in der Tat darin, zu zeigen, dass die Logik der Biomacht nicht (mehr) ausschließlich den Menschen betrifft, sondern sich auf das ganze Reich des Lebendigen erstreckt: Im Unterschied zur marxistischen Theorie wird die Ideologie nicht mehr auf der Ebene der Super-Struktur der Ideen geortet, sondern im Körper selbst als biologische Urquelle für das Lebendige und damit auf einer prae-ideologischen bzw. strukturellen Ebene (25) angesiedelt. Aus dieser Perspektive wird auch die Doppeldeutigkeit des Verbs „rendering“ im Titel klar, das zum einen „Wiedergabe“ bedeutet, und zwar die Kunst der Übersetzung bzw. Reproduktion eines Gegenstandes oder eines Werkes. Zum anderen bezieht es sich auf die Bearbeitung oder das Recycling von tierischen Resten in industriellen Prozessen. Durch die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Verfahren, bei denen Tiere und tierische Reste bzw. Komponenten verarbeitet werden, wird deutlich, dass einerseits Kapitalismus in der materiellen Produktion von Tieren involviert ist und andererseits das Bild bzw. die immaterielle Vorstellung des Tieres in Kunst und Medien dadurch auch modifiziert wird. Damit wird die Komplizenschaft zwischen Kunst und Medien mit der Industrie verdeutlicht, die tatsächlich in der Praxis unterschiedliche, zum Teil widersprüchliche Formen annehmen kann. Im Buch werden unterschiedliche Tierbilder und Tiernutzungen unter dieser neuen Logik des „Rendering“ analysiert: Während Shukin ihre neue Auffassung im ersten Kapitel noch einmal ausführlicher und mit einigen Beispielen erklärt, sind die anderen Kapitel der Analyse konkreter Bilder und Vorstellungen von Tieren gewidmet. Im Kapitel 2 setzt sich Shukin mit dem tierischen Kapital in Verfilmungen, Industrie-Produkten und Maschinen rund um das Thema Mobilität auseinander. Zwischen dem Fließband in Lebensmittelfabriken bzw. Schlachthäusern, die den Auto-Montage-Bändern ähnlich sind, und der Filmrolle im Kino, die aus Material mit tierischen Bestandteilen (Gelatine) besteht, zieht sie eine Parallele: Alle Prozesse gelten als Ausdruck der ideologischen Zeit des kapitalistischen Fordismus. Im Unterschied dazu wird die postfordistische neo-liberale Zeit durch den Gebrauch der Metapher der Tier-Maschine am Besten dargestellt: Das Auto steht paradigmatisch in der natürlichen Umgebung auf der Ebene mit Tieren. Kapitel 3 ist der Analyse der Verwendung von Tierbildern im Bereich der Telekommunikation gewidmet: Durch eine kurze Rekonstruktion der Rolle der Tier-Bilder in der Geschichte (z.B. in Galvanis Erklärung der Elektrizität in Lebewesen) sowie der Edison-Verfilmungsexperimente, die interessanterweise auch das Phänomen der Effekte der Elektrizität auf Tieren zum Thema hatten (in der ersten Verfilmung wird ein elektrischer Einschlag am Elefant gezeigt), zieht Shukin eine interessante interpretative Linie hin bis zum Gebrauch der heutigen Ikonografie des Tieres in einer bekannten Werbung einer kanadischen Telekommunikationsfirma. In deren Mittelpunkt steht eine Art „Ästhetik des Verbrauches“ durch eine kapitalistische Interpre- 40 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 40 tation der emotionalen Verbindung zwischen Mensch und Tier. Im Kapitel 4 befasst sich Shukin mit der Konstruktion der Pandemie-Gefahr in den Dokumenten der WHO, in der medialen Betrachtung der Vogelgrippe und in der „Ökologie der Angst“ von Mike Davis und mit der damit zusammenhängenden Betrachtung der biologischen und damit auch ideologischen Grenzen zwischen Mensch und Tier. Auch wenn die Vogelgrippe zum Anlass für katastrophale Spekulationen über die Entwicklung bzw. Zerstörung der Welt-Ökonomie wird, so wird hier gezeigt, wie diese Betrachtungen tatsächlich die Rhetorik des Neo-Liberalismus verstärken. Sie stützen sich zum einen auf die Idee einer globalisierten Welt und zum anderen verstärken sie die Idee der biologischen gefährlichen Verwandtschaft zwischen Menschen und Tieren; einer Verwandtschaft, die es auszuklammern gilt. In der globalisierten Welt wird der Mensch im Namen dieser Kontaminationsgefahr durch Tiere allen Menschen gleichgesetzt. Gleichzeitig wird aber der typische Mensch aus dem Westen von einigen Menschen kulturell abgegrenzt, da in der Rhetorik der Information auf unterschiedliche Kulturen (vor allem kleine Bauernhöfe im Osten) hingewiesen wird, die in gefährlicher Intimität mit Tieren leben, indem sie bspw. bestimmte hygienische Maßnahmen nicht beachten, oder dass die Zahl der mit Tieren zusammenlebenden Menschen hoch ist, wie bspw. in China (209). Gefährlich sind hier für Shukin die praktischen Konsequenzen solcher Rhetorik, weil Tiere und infizierte Menschen diskriminiert bzw. auch präventiv getötet werden können (186). Im Postskript erklärt Shukin, wie in den letzten zwei Jahrzehnten der BSE-Skandal eine materielle Krise in der „EiweißKette“ des Spätkapitalismus verursacht hat. Diese ist gleichzeitig zu einer Krise geworden, die die digitalen Technologien und visuellen Medien in ihrer Betrachtung der Tierbilder verursacht haben, und zwar eine Krise der Symbole. Diese gesamte Krise hat aber nur zu einer strukturellen Re-Organisation in der Landwirtschaft geführt, jedoch zu keiner tiefen Veränderung. Shukin beendet ihr Buch mit der Hoffnung auf eine Herausforderung zu diesem neuen Verständnis, wobei die Erfahrung der letzten Jahrzehnte die Widerstandskraft des Kapitalismus gezeigt hat. Alles in Allem bietet die Analyse Shukins interessante Blickwinkel über die historischen Zusammenhänge der zeitgenössischen Tier-Ikonografie in ihrem breiten kulturellen Kontext. Bemerkenswert ist die ausführliche Rekonstruktion der Quellen und Inspirationsmuster alter wie neuer Verwendung tierischen Materials und seiner Symbole. Weniger klar bleibt aber der Zusammenhang zwischen der Analyse der Beispiele und dem ausführlichen theoretischen Teil. Der Leser bleibt mit der Frage zurück, ob solche Analysen nicht auch ohne eine explizite Zustimmung zur Theorie der Empire von Hardt und Negri, die allerdings auch nicht so ausführlich diskutiert worden ist, sowie ohne Bezug auf einige – sehr allgemein erklärte – neo- bzw. postmarxistische Interpretationen des Fetischismus der Waren doch zu den gleichen Ergebnissen gekommen wäre. Arianna Ferrari Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:45 Uhr Literaturbericht 3 Ethik interdisziplinär 3.1 Carol Gigliotti (Hrsg.): Leonardo’s Choice. Genetic Technologies and Animals 256 Seiten, Dordrecht: Springer, 2009, Euro 120,73 Der von Carol Gigliotti herausgegebene Sammelband Leonardo’s Choice. Genetic Technologies and Animals zeigt, dass das in der Tierethik viel diskutierte Thema Gentechnik immer noch Überraschungen bereithält. Dazu trägt vor allem die Auswahl der Autoren bei, die ganz unterschiedliche akademische Traditionen und Perspektiven repräsentieren – von Philosophie, Kulturtheorie, Kunst und Literaturwissenschaft über Verhaltensbiologie, Recht und Geschichte bis zur Landschaftsarchitektur. Die Beiträge (zwölf Artikel und ein Dialog) verbindet die Frage nach dem Einfluss neuer Technologien auf menschliche und nicht-menschliche Lebewesen. Der Biotechnologie kommt dabei eine besonders kritische Rolle zu, weil durch sie biologische Materialität im Sinne von Informationseinheiten neu definiert und so eine neue Stufe der Verdinglichung des Tieres erreicht wird. Für Gigliotti liegt die Bedeutung des Bandes daher vor allem darin, die zunehmende Blindheit gegenüber der tierlichen Subjektivität zu kritisieren, die besonders im Gebrauch von Tieren in der gentechnischen Forschung zum Ausdruck kommt. Im ersten Teil des Bandes werden mögliche Wege zu einer Verbesserung der Mensch-Tier-Beziehung aufgezeigt. Es ist bezeichnend, dass ein Artikel des Philosophen und Tierrechtsaktivisten Steven Best am Anfang steht, denn sein postmoderner, von tiefer Sorge über eine ungewisse Zukunft geprägter Blick durchzieht auch die meisten anderen Beiträge. Nach Best ist die Wissenschaft in der globalen Welt zu einer aktiven Kraft geworden, die unsere Interpretation des Lebens und sogar die Natur des Lebens selbst verändern kann. Die entscheidende Frage ist, ob wir diese Entwicklung dazu nutzen, um bestehende Missstände im Umgang mit anderen Lebewesen weiter zu zementieren oder um unsere moralischen Werte und unsere Vorstellungen über den Ablauf demokratischer Prozesse grundlegend zu verändern. Nur im Kontext einer von Dialog und Kommunikation geprägten „postmodern metascience“ (15) könnten Gentechnik und Wissenschaft ihr durchaus vorhandenes positives Potential entfalten. Wie Vincent J. Guihans Analyse des genetischen Diskurses im 20. Jahrhundert zeigt, hat Darwins Origin of Species zu einer Vielzahl von Diskursverschiebungen geführt. Auf der einen Seite wurden Darwins Erkenntnisse als wissenschaftliche Grundlage für eugenische Bestrebungen bei Mensch und Tier und für einen rassistischen „discourse of species“ benutzt, „in which human beings are marginalized as though they were animals in an effort to exploit them economically“ (29). Auf der anderen Seite entspann sich aus dem Wissen um die grundsätzliche Ähnlichkeit von Mensch und Tier mit der TierAltexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 41 rechtsbewegung ein Gegendiskurs, der gleiche Rechte für alle fühlenden Wesen einfordert. Im Rahmen eines tugendethischen Ansatzes fordert Beth Carruthers eine radikale Veränderung unseres Handelns in der Welt. Eine anhaltende Verbesserung der Mensch-Tier-Beziehung kann für sie nicht durch eine bloße Erweiterung der Moralsphäre herbeigeführt werden. Denn solange diese weiterhin auf einer Ontologie der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Menschen und allen übrigen Lebewesen beruht, wird die Zuschreibung von moralischer Bedeutung für nicht-menschliche Wesen immer instabil sein und im Hinblick auf menschliche Interessen Ausnahmen zulassen. Carruthers plädiert daher für eine alternative gemeinsame Ontologie (shared ontology) welche die unauflöslichen Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen allen Lebewesen betont. Der zweite Teil des Bandes setzt sich kritisch mit aktuellen Kunstprojekten auseinander, die gentechnische Methoden einsetzen, um neue Lebewesen zu erzeugen. Die Autoren sind sich einig, dass diese Form der transgenen Kunst kein probates Mittel ist, auf die modernen Technologien zu reagieren. So macht etwa Carol Gigliotti gravierende Widersprüche zwischen Selbstverständnis und Handeln der Künstler aus: Während diese ihre Arbeit häufig als Kritik am Anthropozentrismus verstehen, bedienen sie sich gleichzeitig der Machtposition des Menschen, um Tiere technisch zu manipulieren und als (Kunst-) Objekte zu verwenden. Im Vergleich mit bio- oder ökozentrischen Ansätzen ist transgene Kunst für Gigliotti daher keineswegs radikal, weil sie den Menschen weiterhin in den Mittelpunkt stellt und so hinter den kreativen Möglichkeiten der Kunst als kritischer Instanz zurück bleibt. Auch der anschließende kontroverse Dialog zwischen Gigliotti und dem Kulturwissenschaftler Steve Baker greift das Problem der ethischen Verantwortung des Künstlers auf. Dabei relativiert Bakers postmoderner Blick die Kritik Gigliottis durch den Verweis auf die zentrale Bedeutung der Ambiguität künstlerischer Projekte. Caroline Seck Langill zeigt in einem historischen Rückblick, wie sich die wissenschaftliche Wahrnehmung von Lebewesen seit dem 18. Jh. verändert hat. Untersucht werden heute nicht mehr ganzheitliche Subjekte, sondern „postvitale Körper“, die auf ihren genetischen Code reduziert und damit unbegrenzt manipulierbar geworden sind. Vor diesem Hintergrund betont Langill einerseits die große gesellschaftliche und moralische Bedeutung, die die künstlerische Auseinandersetzung mit neuen Technologien haben kann. Aber auch sie wendet sich gegen den direkten Einsatz gentechnischer Methoden in der Kunst, da eine kritische Distanz des Künstlers zu den von ihm selbst angewandten Technologien nicht möglich ist. Die Verhaltensbiologin Lynda Birke kritisiert am Beispiel des von Eduardo Kac erzeugten grün fluoreszierenden Kaninchens Alba, das auch als GFP Bunny bekannt ist, unterschiedliche Aspekte der transgenen Kunst. Im Gegensatz zu Forschungsrichtungen wie der kognitiven Ethologie verhilft uns Alba ihrer Meinung nach nicht zu substantiellen Einsichten über die Kommunikation und Interaktion zwischen 41 17.11.2010 20:05:46 Uhr Literaturbericht Spezies, sondern stellt vielmehr eine neue Form der Trivialisierung von Tieren dar. Darüber hinaus wird durch den reduktionistischen Ansatz, der sowohl der Gentechnik selbst als auch ihrer Anwendung in der Kunst zugrunde liegt, nicht nur die Kreativität und Komplexität biologischer Prozesse verschleiert; er ist auch ethisch problematisch, da er eine fragmentierte Sicht des Organismus als bloße Ansammlung von Einzelteilen fördert. Die Juristin Taimie L. Bryant diskutiert den ungewissen rechtlichen Status der transgenen Kunst, der dazu führt, dass der Schutz lebender „Kunstobjekte“ aufgrund der rechtlichen Privilegierung der Wissenschaft nur schwer durchzusetzen ist. Gesetze, so Bryants ernüchternde Einschätzung, schützen vor allem die Interessen derjenigen, die die Natur ausbeuten wollen. Die transgene Kunst kann ihr Ziel, zu einem Umdenken im Hinblick auf die Mensch-Tier-Beziehung beizutragen, nicht erreichen. Denn durch die Entscheidung des Künstlers für transgene und gegen andere Formen der repräsentationalen Kunst muss er seine Expressionsmöglichkeiten auf die genetische Veränderung von nicht-menschlichen Lebewesen beschränken. Damit nimmt er zwangsläufig die gesetzlich legitimierte anthropozentrische Haltung ein, die er kritisieren will. Im abschließenden dritten Teil wird das Problem der genetischen Veränderung der Speziesidentität im Spiegel seiner literarischen und visuellen Darstellung diskutiert. Ausgangspunkt für die Überlegungen von Traci Warkentin ist der tierliche Körper, der im biotechnologischen Zeitalter zu verschwinden droht. Durch den Vergleich mit der dystopischen Zukunftsvision in Margaret Atwoods Roman Oryx und Crake zeigt Warkentin, wie Organismen bereits heute durch gentechnische Eingriffe zu Biofabriken für die Produktion von Organen oder Fleisch reduziert werden. Die Fragmentierung des Körpers durch diese mechanische Reduktion erscheint uns vor allem deshalb verstörend, weil sie eine Verletzung der tierlichen Integrität darstellt und die Behandlung von Lebewesen als ethisch bedeutungslose Artefakte legitimiert. Der Vergleich des Romans Die Insel des Dr. Moreau von H. G. Wells mit unterschiedlichen Verfilmungen des Buchs zeigt, so die Literaturwissenschaftlerin Susan McHugh, warum gerade transgene Tiere in unserer Imagination als „psychic subjects of genetics“ (174) operieren. Während Moreau ursprünglich als Vivisektionist beschrieben wird, erschafft er in der modernen Filmfassung Mensch-Tier-Chimären durch gentechnische Eingriffe. Die wenigen geglückten Versuche Moreaus stehen nach McHugh für eine neue „theriomorphic aesthetic of genetics“ (174): „animals in the process become a means of interrogating the relationships of genetic science to cultural representation, modeling other aesthetics of genetics that challenge the premise of human singularity“ (186). 42 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 42 Der Geschichtswissenschaftler David Delafenêtre gibt einen historischen Überblick über die Praxis der „kosmetischen Chirurgie“ an Hunden (d.h. das Kupieren von Ohren und Schwänzen) und über die rechtliche Durchsetzung eines Verbotes dieser Eingriffe in Australien und Neuseeland. Das Thema führt nur scheinbar weg von den zuvor diskutierten Problemen der Gentechnik. Denn zum einen steht auch beim Kupieren unsere ästhetische Wahrnehmung des Tieres im Mittelpunkt. Und zum anderen können chirurgische Eingriffe ebenso wie gentechnische die tierliche Integrität verletzen. Die Landschaftsarchitektin Kelty Miyoshi McKinnon nähert sich dem Problem des Einflusses der Gentechnik auf Tier und Mensch über das Beispiel des geklonten Schafes Dolly, das als Metapher nicht nur für das sprichwörtliche Opferlamm, sondern auch für ewige Jugend und die Hoffnung auf eine Errettung aussterbender Tierarten steht. In Anlehnung an Gregory Bateson beschreibt McKinnon die Entfernung des Schafes aus seinem angestammten sozialen, ökologischen und physiologischen Kontext – Herde, Territorium und Körper – und interpretiert sie als Zeichen für die „distancing abstraction of contemporary genetic manipulation“ (215). Carol Freeman setzt sich kritisch mit Versuchen auseinander, mit Hilfe gentechnischer Methoden ausgestorbene Tierarten wie Quagga (eine ausgestorbene Zebraform) und Beutelwolf zu neuem Leben zu erwecken. Wie Freeman zeigt, ist die Präsentation solcher Projekte häufig „strategically selective, vague or sensational, and ignore[s] or mask[s] the problems that could arise for the animals themselves” (249). Dabei fällt vor allem auf, wie selten das individuelle Tier über seine Rolle als Zwischenstufe im Prozess der Entwicklung eines phänotypisch urtümlichen Exemplars hinaus Erwähnung findet. Für Freeman sind die beschriebenen Vorhaben daher letztlich Ausdruck einer speziesistischen Haltung. Die Stärke von Leonardo’s Choice liegt in der Vielfalt der Perspektiven, die die üblichen Pfade der tierethischen Diskussion verlassen und den Leser zum Weiterdenken anregen. Dabei ist besonders bemerkenswert, dass viele der Texte dem häufig vernachlässigten Zusammenhang zwischen Ethik und Ästhetik (sei es im Bereich der transgenen Kunst, der Literatur oder der selektiven Zucht) nachgehen. Und obwohl die meisten Autoren sowohl der gentechnischen Veränderung von Tieren als auch der transgenen Kunst eher ablehnend gegenüber stehen, formulieren sie ihre Kritik bis auf wenige Ausnahmen in einer überaus konstruktiven Weise, die nicht Wissenschaft und Kunst als solche in Frage stellt, sondern den dort vorherrschenden Reduktionismus und Anthropozentrismus. Gigliottis Textsammlung ist damit in hervorragender Weise dazu geeignet, der tierethischen Auseinandersetzung mit der Gentechnik dringend benötigte neue Impulse zu liefern. Kirsten Schmidt Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:46 Uhr Literaturbericht 3.2 Marc Bekoff (Hrsg.): Tugend und Leidenschaft im Tierreich. Gedanken zu einer neuen Sicht der Natur. 400 Seiten, Bernau: Animal Learn Verlag, 2010, Euro 24,00 Mit dem zweiten, in deutscher Sprache im Animal Learn Verlag erschienenen Buch hat Marc Bekoff eine umfangreiche Textsammlung zu kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten bei Tieren vorgelegt. Viele der hier zusammengestellten Aufsätze widmen sich Bekoffs vorrangigem Forschungsinteresse, den komplexen Verhaltensweisen beim Haushund und seinen wildlebenden Verwandten. Neu sind vor allem die Einleitung, die Vorbemerkungen und das Nachwort der Sammlung, die bereits 2006 als amerikanische Originalausgabe unter dem Titel Animal Passions and Beastly Virtues erschienen ist. Die einzelnen Essays hingegen sind Nachdrucke von z.T. zusammen mit Co-Autoren in Fachjournalen oder Büchern erschienenen Texten Bekoffs aus seiner bereits über drei Jahrzehnte umfassenden Forschungstätigkeit. An Teil I des Buches, Emotionen, Kognition und tierisches Selbst, schließt sich Teil II zum Sozialverhalten von Hunden und Kojoten an. Teil III konzentriert sich auf die Themenfelder Sozialspiel, soziale Entwicklung und soziale Kommunikation, worunter Bekoff auch Kooperation, Fairness und Gerechtigkeit bei Tieren fasst. Teil IV schließlich beschäftigt sich mit Wechselbeziehungen zwischen Menschen und Tieren. Hier geht es um Interaktionsweisen und Einflüsse des Menschen auf das Verhalten von Tieren. Auch Themen der Tierschutz-Praxis werden diskutiert, etwa Fragen nach den Auswirkungen der Umsiedlung von SchwarzschwanzPräriehunden auf deren Verhalten oder Konflikte zwischen diesen Tieren, Haushunden und Menschen. Teil V nimmt abschließend Ethik, Mitgefühl, Naturschutz und Aktivismus in den Blick und verspricht die auch im Buchtitel angekündigte neue Sicht auf die Natur, bevor Bekoff im Nachwort über Achtung gegenüber Tieren und der Erde: Alte Gehirne in neuen Problemsituationen schreibt. Während die Ethologie und die gesamte (westliche) Geistesgeschichte dazu neigt, Tiere als die Besitzer stammesgeschichtlich älterer Gehirne vom Homo sapiens abzugrenzen, meint Bekoff mit dem Bergriff „Alte Gehirne“ etwas, was uns mit Tieren verbindet. Angesprochen sind die gemeinsame Abstammungsgeschichte und ein Gefühl der evolutionären, kognitiven und emotionalen Verwandtschaft. Nicht allein das Verhalten des Tieres, wie es sich flexibel an neue Problemsituationen anpasst, ist hier ethologisch von Interesse, sondern die Art und Weise, wie der Mensch zukünftig mit den (selbstgeschaffenen) Tierschutz- und Umweltproblemen umgeht – in dem Wissen, dass wir letztendlich alle im selben Boot sitzen: „Wir müssen unseren alten Gehirnen erlauben, das zu tun, was ihnen natürlich erscheint: Uns zu tiefen, gegenseitigen, mitfühlenden und respektvollen Beziehungen zur Natur zurückzuführen.“ (378) Bekoffs Publikation besticht durch ihre Kombination aus sachlich wissenschaftlichen Forschungsergebnissen und dem Mut des Autors zu einem tief empfundenen und vom Leser gut nachvollziehbaren Verantwortungsgefühl für das Wohlergehen und die Rechte von Tieren. Bekoff gründete zusammen mit Jane Goodall – die regelmäßig, wie auch in diesem Buch, die Vorworte für Bekoffs Publikationen schreibt – die Vereinigung Ethologists for the Ethical Treatment of Animals. Da ihn als Ethologe maßgeblich seine Achtung vor Tieren prägt, führt er außerdem den Begriff der Tiefenethologie ein, „um einige der Tiefenökologie zugrunde liegende Vorstellungen auszudrücken. Die Tiefenökologie betont, dass Menschen nicht nur anerkennen müssen, dass sie ein wesentlicher Bestandteil der Natur sind, sondern auch, dass sie eine einzigartige Verantwortung für die Natur haben. Als Tiefenethologe, in der Tradition der Ökopsychologie, versuche ich als Sehender der Gesehene zu werden. Ich werde zum Kojoten. Ich werde zum Pinguin.“ Nur so könne man „entdecken, wie es sein könnte, ein bestimmtes Individuum zu sein, wie es seine Umgebung wahrnimmt und wie es sich in bestimmten Situationen verhält.“ (24) Jeder, der sich der Verhaltensforschung oder der Kognition bei Tieren aus einer strengeren wissenschaftlichen Perspektive nähert und dem das Schreckgespenst des ungerechtfertigten Anthropomorphismus im Nacken sitzt, mag Bekoffs Texte kritisch betrachten. Er führt seine Gedanken jedoch mit einer derartigen Direktheit und Natürlichkeit aus, dass sie unmittelbar einleuchtend erscheinen. Als Meister der Zunft, den eine unter Kollegen so schnell nicht wieder zu findende Lebens- und Forschungserfahrung auszeichnet, kann sich Bekoff solche Gedankengänge leisten und dem einen oder anderen damit sogar noch eine Lektion in Sachen Wissenschaftsverständnis erteilen. Wer hat eigentlich behauptet, dass ein Wissenschaftler keine Begeisterung für sein Forschungsthema in sich tragen darf? Und wer hat gesagt, dass es ausreicht, sich mit Sachinformationen über die Welt zufrieden zu geben? Bekoff will eine Wissenschaft, in der sich der Verhaltensforscher auf die sensorische und motorische Welt der Tiere einlässt, in der auch die Gefühlswelt und die Tugenden der Tiere wissenschaftlich erforscht werden und der Forscher den Mut hat, auf die Verantwortung des Menschen für die Natur hinzuweisen. Ganz am Ende seines Buches zitiert er den Physiker und Nobelpreisträger Erwin Schrödinger1, der das traditionelle Wissenschaftsverständnis ebenfalls in Frage stellte, weil es ein unzureichendes Bild der Welt zeichne: „Es liefert viele sachbezogene Informationen und bringt all unsere Erfahrung in eine fabelhafte, zusammenhängende Reihenfolge, doch es bleibt schrecklich still in Bezug auf alles, was unserem Herzen nahe steht, auf alles, was wirklich zählt.“ (378) Auf ähnliche Art kritisiert Bekoff die Selbstbeschränkungen in der Naturwissenschaft – etwa einen falsch verstandenen reduktionistischen Behaviorismus oder einen exklusiven Wissenschaftsbegriffs, der die Ethik ausklammert. Sein Buch bietet damit nicht nur einen umfassenden Überblick über mehr als dreißig Jahre Forschung und es ist auch nicht allein mit Blick auf ethologische Erkenntnisse von Interesse. Es verweist zugleich auf die Notwendigkeit eines neuen wissenschaftstheoretischen Verständnisses. Judith Benz-Schwarzburg 1 Bei Bekoff wird dieses Zitat fälschlicher Weise Max Schrödinger zugeschrieben, vielleicht durch eine Verwechslung der zwei berühmten Physiker Max Born und Erwin Schrödinger. Tatsächlich stammt es aus Nature and the Greeks (1954) von Erwin Rudolf Josef Alexander Schrödinger (s. canto edition von Nature and the Greeks and Science and Humanism, Cambridge University Press, 1996, 95). Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 43 43 17.11.2010 20:05:46 Uhr Literaturbericht 3.3 Deborah Blum: Die Entdeckung der Mutterliebe: Die legendären Affenexperimente des Harry Harlow 351 Seiten, Weinheim, Basel: Beltz, 2010, Euro 24,95 Deborah Blum, Pulitzer-Preisträgerin und Professorin für Wissenschaftsjournalismus, breitet in ihrem Buch die Karriere des wohl umstrittensten Primatenforschers aller Zeiten aus. Er führte Experimente mit unter Isolation und Depression leidenden Affenbabys durch, denen im Versuch nichts außer laborkonstruierten Ersatzmüttern als Trost und Schutz gelassen wurde. Grausam – und ein einzigartiges Stück Wissenschaftsgeschichte, so der Ansatz der Autorin. Die Psychologie der 1940er Jahre war von behavioristischen Größen wie Watson und Skinner geprägt. Mütter hatten in deren Verständnis ihre Kinder zu ernähren und waren sonst eine Gefahr, da sie Krankheitserreger übertrugen und das Kind verweichlichten. Sie durften in Krankenhäusern nicht zu ihren Kindern. Waisenkinder wurden versorgt, nicht geliebt. Dass dies eine echte emotionale Beziehung zerstört, die zudem für die Entwicklung des Kindes von Bedeutung ist, lag jenseits jeder etablierten Theorie. Harry Harlow sollte in dieser Hinsicht die Entwicklungspsychologie revolutionieren. In den ersten Kapiteln ihres Buches gibt Blum einen ausführlichen Überblick über Kindheit, Jugend und Studium Harlows, über die psychologische Forschung der Zeit und über die anfänglichen Misserfolge des jungen Professors an der University of Wisconsin. Erst ab dem sechsten Kapitel kommt sie auf Harlows berühmte Experimente zur Mutterliebe zu sprechen. Die in seinem Labor von ihren Müttern getrennten und von Hand aufgezogenen jungen Affen hatten eine Obsession für Kuscheldecken entwickelt. Man hatte unreflektiert das humanmedizinische Ideal des sauberen, steril verpackten und von der Umwelt isolierten Säuglings auf die Tierhaltung übertragen – und verhaltensauffällige, hospitalisierte Lebewesen erzeugt. Dass den Tieren die Mutter fehlte war klar. Man wollte nun herausfinden, welche Art von Mutter sie wofür brauchten, und vor allem wie sehr. Harlows Mitarbeiter entwickelten laborkonstruierte Ersatzmütter und wiesen in der Folge nach, dass die Jungen flauschige Stoffmütter mit erkennbarem Gesicht kalten und kantigen Drahtgestell-Müttern vorzogen, selbst wenn letztere die Milch spendeten. Nahm man ihnen die Stoffpuppen weg, dann kreischten sie, kauerten sich am Boden zusammen, schaukelten sich hin und her, saugten an den eigenen Händen und suchten verzweifelt nach ihren Ersatzmüttern. Harlows Labor führte diese Art von Experimenten mit dem Einsatz von „Monstermüttern“ fort. Diese rüttelten die Jungen permanent durch, bliesen sie mit Luft an, schleuderten sie mit einer mechanischen Klappe von sich weg oder drückten stumpfe Nägel gegen sie. Je mehr die Jungen abgewiesen wurden, umso mehr suchten sie den Kontakt (229 ff.). Doch selbst diese Versuche waren steigerungsfähig. 44 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 44 Es folgten Experimente zur totalen Isolation in komplett leeren Räumen. 30 Tage, sechs Monate und schließlich ein Jahr darin erzeugten, so Blum, „tatsächlich Psychopathologie“ (241). „Diese semiparalysierten Affen waren […] zu normalen sexuellen Beziehungen – und zu Beziehungen überhaupt – außerstande. Als das Laborteam einen Weg herausgefunden hatte, die funktionsgestörten Weibchen in einer „empfänglichen“ Position zu halten, erzeugten sie bei bereits instabilen Affen einige Schwangerschaften.“ Doch die Affenmütter, die selbst nie irgendeine Form von Mutterliebe kennengelernt hatten, empfanden keine Liebe für ihre Jungen. Sie ignorierten, misshandelten und töteten sie: „Eine drückte das Gesicht ihres Kindes auf den Boden und kaute seine Füße und Finger ab. Eine andere nahm den Kopf ihres Babys in ihr Maul und zerquetschte ihn. Das war das Ende der erzwungenen Schwangerschaften.“ (241 f.) Es war aber nicht das Ende von Harlows Studien, die selbst Kollegen heute als „brutal“ bezeichnen (318). Man entwickelte den „vertical chamber apparatus“, eine spitz zulaufende Box mit glatten Wänden, aus der es kein Entrinnen gab. Nach Wochen in diesem Trichter waren die Tiere gebrochen und die Forscher hatten ein Depressionsmodell vollkommener Hilflosigkeit und Verzweiflung geschaffen. Im Versuch den Schaden zu beheben wurden Baby-„Peer“-Therapeuten eingesetzt, die in ihrem unermüdlichen Bedürfnis nach Kontakt die Mehrheit der depressiven Affen ganz langsam in ein normales Leben zurückführen konnten – was auch immer „normal“ in Harlows Labor bedeutete (244 ff.). Harlow erntete zu Lebzeiten nach Jahren der Zurückweisung schließlich große Anerkennung, wurde Präsident der American Psychological Association und bekam die Nationale Wissenschaftsmedaille verliehen. In den letzten Jahren seiner Forschung und nach seinem Tod wurde aber, so Blum im vorletzten Kapitel ihres Buches, Kritik immer lauter. Feministinnen wollten sich nicht auf das Bild der bedingungslos liebenden Mutter festschreiben lassen und die Tierschutzbewegung begann ihre Höflichkeit Tierexperimentatoren gegenüber abzulegen. Blum gelingt es, Harlow in seiner persönlichen Zerrissenheit darzustellen. Je depressiver er selbst wird, je einsamer und hilfloser er sich fühlt, umso verbissener wird sein Interesse an den Auswirkungen von Hilflosigkeit, Isolation und Depression. Als politisch unkorrekter Exzentriker fand er deutliche Worte für das Leiden der Tiere. Er selbst bezeichnete die Monstermütter als solche und erklärte die vertikale Kammer zur „Fallgrube der Verzweiflung“ – entgegen aller Bedenken seiner Kollegen, die allmählich um die Außenwirkung ihrer Forschung besorgt waren (243). Die ethische Dimension seiner Versuche hat er wohl dennoch nie wirklich begriffen. Blums großartige wissenschaftsgeschichtliche Recherche zeigt auch, dass Harlow begann, die Liebe zu erforschen, als Politik und Psychologie gleichermaßen reif dafür waren. Während Skinner noch den „Baby Tender“ propagierte, eine Glasbox, in der Säuglinge ohne Kontakt zur Außenwelt aufzubewahren seinen, beobachteten andere bereits aufmerksam die Verhaltensauffälligkeiten von alleingelassenen Waisen- und Krankenhauskindern. Katharine Wolf, Mary Salter Ainsworth, John Bowlby oder René Spitz kritisierten etwa, dass die SteAltexethik 2010 17.11.2010 20:05:47 Uhr Literaturbericht rilisierung der Umgebung des Kindes „gleichzeitig auch die Kinderpsyche sterilisiere“ (62). Sie entwickelten Bindungstheorien, die die Interaktion von Mutter und Kind betonten (z.B. 72 ff., 185 ff.) oder beschrieben die stumpfe Apathie bei vernachlässigten Säuglingen als „anaklitische Depression“ (239). Harry Bakwin, ein New Yorker Kinderarzt, publizierte bereits in den 1940er Jahren, dass Babys emotionalen Kontakt bräuchten. Die Schilder in seinem Krankenhaus, die dazu aufforderten, die Hände zweimal vor dem Betreten der Kinderstation zu waschen, gaben plötzlich die Anweisung: „Diese Kinderstation nicht betreten, ohne ein Baby auf den Arm zu nehmen.“ (63) Bestätigten Harlows Experimente also lediglich etwas, was sowieso im Kommen war? Waren kontrollierte Versuche an Affenbabys nötig, um etwas zu beweisen, was Mütter und Krankenschwestern sowieso schon lange wussten und was andere Wissenschaftler aus der Verhaltensforschung am Kind ablasen? Für Bill Mason, der die Stellvertreter-Mütter mitentwickelte, waren Harlows erste Versuche „eine Art Demonstration mit feststehenden Ergebnissen“ (171). Ging es Harlow um den Gewinn völlig neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse oder darum, Kollegen und Öffentlichkeit mit etwas zu provozieren, das sie nicht länger ignorieren konnten? Sicherlich war es auch Taktik und Strategie, den Stellvertreter-Puppen Köpfe aufzusetzen. Zwar wollte Harlow, dass die Stoffmutter zurückschaut, wenn der Affe sie anblickt. Aber er wollte auch, dass sie den menschlichen Beobachter anschaut: „sie musste den Menschen etwas bedeuten […], damit sie über Beziehungen und Liebe nachdachten“ (174). Auf Kritik, dass seinen Versuchen die statistische Tiefe fehle, antwortete er: „Die Studie braucht keine komplizierten Statistiken. Es war einfach so.“ (183) Er freute sich darüber, dass die Psychologie vom „gesundem Menschenverstand überholt würde“ und meinte zu seinen Kollegen, dass Mütter und Väter längst wussten, was er bewies (199). In gewisser Weise ist Harlow auf die Forschungsstandards seiner Zeit hereingefallen. Er meinte, seine neuen Ideen nur mit den bewährten, letztendlich typisch behavioristischen Forschungsmethoden am Tiermodell beweisen zu müssen. Und er teilt die augenscheinliche Immunität seiner Gegenspieler Watson und Skinner, wenn es um ethische Grenzen im Versuch geht. Beides arbeitet Blum leider nicht deutlich heraus. Ist Mutterliebe quantifizierbar? Muss ein isoliertes Jungtier erst irreparabel geschädigt oder tot sein, bevor wir den offensichtlichen Schluss ziehen können, dass das Bedürfnis nach einer Mutter „sehr stark“ ist? Tatsächlich muten viele der Ergebnisse aus Harlows Versuchen erstaunlich trivial an: Kinder lieben ihre Mütter bedingungslos, sie brauchen Halt und Trost, soziale Hilfsnetzwerke und Unterstützung bei der Gründung von Beziehungen. Sie müssen lernen loszulassen, soziale Intelligenz erwerben und diese im Spiel einüben. Ihre Abhängig- Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 45 keit macht sie verletzbar und soziale Fähigkeiten verkümmern, wenn sie nicht genutzt werden. Eines der „wunderschönen, für den gesunden Menschenverstand logischen Ergebnisse“ der Versuche sei, so Blum, dass jeder letztendlich „die Dinge“ (gemeint sind Trauma, Leid und Depression) „nach seinen Möglichkeiten bewältigt“ (249). Blums Quintessenz des Harlowschen Vermächtnisses: „Liebe [kann] der beste – und der schlimmste Teil unseres Lebens sein.“ (254) Ist das nicht etwas wenig? Blum meint, dass uns diese Erkenntnisse erst heute selbstverständlich erscheinen. Die Problematik dieses Buches besteht im Unterton der Rechtfertigung der Versuche aus der Abgrenzung zum Zeitgeist heraus und der möglichen Überbetonung ihrer Bedeutung für eine Psychologie, die Emotionen zu schätzen weiß. Ohne Harlow wäre die Mutterliebe nicht entdeckt worden. Dies mag bezweifelt werden. Erst im Epilog lässt Blum außerdem Raum für ethische Kritik und erst in den letzten Sätzen findet sie eigene klare Worte: „Wenn es je einen legitimen wissenschaftlichen Bedarf gab, Affenbabys in vertikale Kammern zu stecken, dann gehört dieses Bedürfnis der Vergangenheit an. (…) Einmal ist mehr als genug.“ (331) Man wünscht sich für dieses Buch den engagiertesten Journalismus, der möglich ist. Objektivität einem ethisch brisanten Stoff gegenüber hat die ethische Dimension deutlich zu berücksichtigen. Die Übersetzerin wählte für das Buch den Untertitel „Die legendären Affenexperimente des Harry Harlow“. Eine spannungsreichere Formulierung, wie etwa „Die umstrittenen Affenexperimente des Harry Harlow“ hätte den Unterton dieser Biographie tatsächlich weniger gut getroffen. Vordergründig soll Harlow als Person mit schwarzen wie weißen Seiten gezeichnet werden, selbst hierfür wird er aber erstaunlich positiv gewendet. Allerdings ist der perfiden Logik dieser Versuche wirklich schwer beizukommen. Laut Blum hat Harlow „couragiert“ die Liebe „in all ihren Facetten“ untersucht, „die beste Mutterliebe und die schlechteste“ erfasst. „Er untersuchte emotionalen Schaden und bestand darauf, auch emotionale Heilung zu erforschen.“ Den Bogen seiner Forschung habe er beschrieben als „Liebe erschaffen, Liebe zerstören, Liebe zurückerobern“ (315). Blum gesteht Harlow hier womöglich zu viel zu. Seine umstrittenen Versuche zielten fast ausschließlich darauf ab, die fehlende Liebe, die zerstörte Liebe oder den Einfluss einer pathologischen Mutter auf ihr Kind zu erforschen und als reales Modell zu erschaffen. Wenn er also Liebe erschaffen hat, dann anscheinend, um sie zu zerstören. Welche perfide Vorstellung von Wissenschaftlichkeit behauptet, dass man, um die Mutterliebe zu beweisen, einem Kind die Mutterliebe entziehen muss? Und wie kann man der Mutterliebe zu einer gebührenden Anerkennung verhelfen wollen, ohne sie selbst entsprechend zu würdigen? Judith Benz-Schwarzburg 45 17.11.2010 20:05:47 Uhr Literaturbericht 3.4 Johannes Caspar und Jörg Luy (Hrsg.): Tierschutz bei der religiösen Schlachtung / Animal Welfare at Religious Slaughter. Die Ethik-Workshops des DIALREL-Projekts 272 Seiten, Baden-Baden: Nomos, 2010, Euro 59,00 Der Band dokumentiert die EthikWorkshops des sogenannten DIALREL-Projekts (ein EU-Projekt zur Förderung des Dialoges zur rituellen Schlachtung), das sich in den Jahren 2006 bis 2009 unter interdisziplinärer und internationaler Beteiligung dem umstrittenen Problem der betäubungslosen religiösen Schlachtung widmete. Entsprechend der überwiegend rechtswissenschaftlichen Zusammensetzung der Arbeitsgruppen dominieren rechtswissenschaftliche und speziell verfassungsrechtliche Beiträge, insbesondere vor dem Hintergrund der in den europäischen Rechtsordnungen ausgesprochen unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Abwägungen zwischen Tierschutzbelangen und dem Grundrecht auf freie Religionsausübung. Über diese Unterschiede und ihre historischen Hintergründe informiert eine Reihe von Länderberichten, die damit zugleich das Spektrum der Optionen für einen sachgemäßen und wertadäquaten Ausgleich zwischen Tierschutz und Religionsfreiheit illustrieren. Die dokumentierten Workshops und damit auch der Band selbst sind nicht nur wissenschaftlich, sondern vor allem auch politisch motiviert. Der Band will eine Revision der relevanten Bestimmungen des deutschen Tierschutzgesetzes anregen, die die Ausnahmen für den ansonsten geltenden Betäubungszwang enger als bisher fasst und zusätzlich durch flankierende gesetzliche Bestimmungen absichert (z. B. durch eine Kennzeichnungspflicht für Fleisch aus betäubungslosen Schlachtungen). Nach der in Deutschland gegenwärtig bestehenden Rechtslage sind Ausnahmen vom Betäubungsgebot immer dann genehmigungsfähig, wenn zwingende Vorschriften den Angehörigen einer Religionsgemeinschaft das betäubungslose Schlachten vorschreiben. Der der Dokumentation vorangestellte Vorschlag für eine Gesetzesrevision wurde – worüber die Herausgeber offenbar selbst überrascht waren – im Kreis der Workshopteilnehmer nahezu einstimmig verabschiedet, wobei allerdings ihre Feststellung, dass dieser Vorschlag „ethisch optimiert“ sei, vom Rezensenten in Frage gestellt wird. Vor dem Hintergrund der Aufgeheiztheit der seit Beginn der Tierschutzbewegung im frühen 19. Jahrhundert andauernden Debatte über die von islamischen und jüdischen Fundamentalisten geforderte betäubungslose Schlachtung (vorwiegend von Schafen und Rindern) übernimmt der Band zunächst eine wichtige Aufklärungsfunktion. Zahlreiche Beiträge weisen darauf hin, dass das Ausmaß des Normenkonflikts zwischen Tierschutz und Religionsfreiheit weithin überschätzt wird. Erstens werden mittlerweile auch Schlachtungen unter Betäubung von vielen orthodoxen Gruppen als den religiösen Vorschriften entsprechend anerkannt. Zweitens steht mit dem Verfahren der reversiblen Betäubung eine Schlachtmethode zur Verfügung, die 46 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 46 für beide Seiten akzeptabel sein sollte. Bei diesem Verfahren werden die Schlachttiere vor dem Ausbluten soweit betäubt, dass während des Ausblutens vollständige Empfindungslosigkeit gewährleistet ist. Die Elektrokurzzeitbetäubung löscht das Schmerzempfinden für die zur vollständigen Entblutung ausreichende Zeitspanne aus, ohne den Tod des Tieres herbeizuführen. Versuche haben gezeigt, dass das Tier, verzichtet man auf die anschließende Schlachtung, nach einiger Zeit aufsteht und sich wie gewohnt weiter bewegt. Auf diese Weise könnte sowohl dem Tierschutz als auch dem Grundsatz der Orthodoxen Genüge getan werden, kein Fleisch von vor der Schlachtung gestorbenen Tieren zu verzehren. Die Frage stellt sich, warum sich die Arbeitsgruppe nicht zu dem Vorschlag durchgerungen hat, diese – beiden Seiten entgegenkommende – Lösung zu forcieren und eine Beschränkung der Ausnahmebedingungen nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TSchG auf das Verfahren der reversiblen Betäubung zu fordern. Dieses Verfahren wird seit etwa 1975 in Neuseeland praktiziert, u.a. um den islamischen Markt beliefern zu können. Statt die religiöse Schlachtung ausschließlich bei vorangehender reversibler Betäubung zuzulassen, knüpft der Revisionsvorschlag stattdessen an die bestehende Rechtslage an, die jenen ultraorthodoxen Gruppen (vor allem im jüdischen Bereich) Zugeständnisse macht, die auch eine reversible Betäubung als mit den von ihnen vertretenen Reinheitsgeboten unvereinbar ansehen. Nicht alle, aber doch die meisten Mitglieder der Arbeitsgruppe halten es für vertretbar, eine betäubungslose Schlachtung in dem Umfang zuzulassen, in dem es der Fleischbedarf dieser Gruppen erfordert. Ihr Votum geht lediglich dahin, zu verhindern, dass – wie es offenbar gegenwärtig der Fall ist – sehr viel mehr Tiere betäubungslos geschlachtet werden, als diesem Bedarf entspricht, so dass erhebliche Mengen von bei Halal- bzw. Koscher-Schlachtungen anfallenden und weiterhin als „unrein“ geltenden Teilen auf dem allgemeinen Fleischmarkt ohne entsprechende Kennzeichnung angeboten werden. Dieser Vorschlag mag pragmatisch motiviert sein, erscheint jedoch unter ethischen Gesichtspunkten bestenfalls halbherzig. Selbstverständlich sind auch dann, wenn man fundamentalistischen Glaubensüberzeugungen nicht viel abgewinnen kann, die Gefühle der Gläubigen zu achten, die sich an wörtlichen Auslegungen ihrer heiligen Schriften orientieren. Unbestritten ist auch, dass sich – wie der Kirchenjurist Peter Unruh in einem der umfassendsten und präzisesten Beiträge argumentiert – das Recht auf Religionsfreiheit rechtlich und ethisch nicht nur auf die Kultfreiheit erstreckt, sondern auch die Ausübung der religiösen Überzeugungen außerhalb des Kultus umfasst. Andererseits aber kann dieses Recht – abgesehen von religiösen Schlachtungen, die wesentlicher Bestandteil von Kulthandlungen sind – nicht so weit reichen, dass es, sofern die religiösen Vorschriften lediglich den Verzehr „unreinen“ Fleischs verbieten, zwangsläufig auch die entsprechenden religiösen Schlachtungen im Inland legitimiert. Zu fragen ist vielmehr, ob es den Angehörigen der ultraorthodoxen Gruppen zumutbar wäre, auf nach den entsprechenden Reinheitsgeboten geschlachtetes, aber möglicherweise teureres Importfleisch zurückzugreifen. Eine solche Regelung besteht in der Schweiz, in der das betäubungslose Schlachten von Tieren seit 1893 ausnahmslos verboten Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:47 Uhr Literaturbericht ist. Den damit nicht einverstandenen religiösen Gemeinschaften wird aber eine begrenzte Einfuhrberechtigung erteilt, die sicherstellt, dass nicht mehr Halal- und Koscherfleisch als aus Gründung der Achtung der religiösen Bedürfnisse notwendig eingeführt wird. Natürlich ist auch diese Lösung letztlich unbefriedigend, da sie das Problem der betäubungslosen Schlachtung lediglich ins Ausland verlagert. Dieses Problem ist jedoch nicht wegzudiskutieren. Es ist umstritten, ob die Belastung der Tiere durch den betäubungslos erlittenen Schnitt und das anschließende Ausbluten erheblich ist. (Die Autoren des Tierschutzkommentars von Hirt u. a. zitieren die Expertenschätzung, dass bei optimaler Schnittführung bis zum Erlöschen des Empfindungsvermögens beim Schaf ungefähr 14 Sekunden, beim Rind durchschnittlich 39 Sekunden vergehen.) Dennoch ist durch physiologische Befunde gut belegt, dass insbesondere die vorangehende Fixierung der Tiere und die Anwendung des auch in Deutschland eingesetzten sog. Weinbergschen Apparats, in dem die Tiere um 180 Grad auf den Rücken gedreht werden, als so belastend gelten 3.5 Johann S. Ach und Martina Stephany (Hrsg.): Die Frage nach dem Tier. Interdisziplinäre Perspektiven auf das Mensch-Tier-Verhältnis 108 Seiten, Münster: LIT Verlag, 2009, Euro 19,90 Es gibt Begriffe, die nahezu untrennbar mit der Frage nach dem moralisch richtigen Umgang mit Tieren verschmolzen sind. Der Begriff Speziesismus ist ein solcher. Peter Singer hat ihn populär gemacht und damit die Diskriminierung von Tieren als eine Diskriminierung aufgrund ihrer Spezies benannt. Im tierethischen Diskurs ist das nicht neu. Eine neue und erweiterte Untersuchung des Begriffs findet sich dagegen bei der Sozialwissenschaftlerin Birgit Mütherich. In ihrem Aufsatz „Soziologische Aspekte des Tierschutzes“ geht sie der Frage nach, ob es in Gesellschaften eine Verbindung zwischen der Gewaltbereitschaft gegenüber Tieren mit der gegenüber Menschen gibt. Wie so oft bei Forschungsfragen, die sich eng an Alltagsbeobachtungen anlehnen, scheint die Antwort auf der Hand zu liegen: Ja, es gibt diesen Zusammenhang. Mütherich zitiert Studien aus den USA, die belegen, dass ein Großteil von Serienmördern zunächst durch grausame Tierquälerei auffällig wurde. Tierquälerei, die rückblickend biographisch betrachtet als Einübung von Empathielosigkeit gedeutet werden kann. Fehlende Empathie wird zwar einerseits gesellschaftlich nicht gewünscht, andererseits setzt das gesellschaftliche Leitbild von Konkurrenz und Durchsetzungsfähigkeit zumindest reduziertes Mitleidsempfinden voraus. „Wo das Gefälle von Macht und Ohnmacht, Wert und Unwert als natürliches Konzept ausgegeben wird und die Aussichten auf soziale Anerkennung Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 47 müssen, dass sie die gegenwärtige Gesetzeslage – insbesondere auf dem Hintergrund der mittlerweile erfolgten Anerkennung des Tierschutzes als Staatsziel – als einseitig und unausgewogen erscheinen lassen. Man vermisst in diesem Band eine Stellungnahme zu den fundamentalistischen Überzeugungen, die die Konflikte mit den legitimen Tierschutzinteressen allererst heraufbeschwören. Auch wenn es sich das Rechtssystem versagt, inhaltliche Kritik an diesen Überzeugungen zu üben, wäre es aus ethischer Sicht dennoch vordringlich, an die religiösen Lehrer der entsprechenden Gruppen zu appellieren, die von ihnen vertretenen Doktrinen der gewachsenen Sensibilisierung für den Tierschutz anzupassen. Wie die zeitgenössische bioethische Debatte in der islamischen und jüdischen Welt zeigt, ist auch eine nach fundamentalistischer Methodik verfahrende Theologie keineswegs auf eine einzige Lesart der Quellen festgelegt. Auch Theologen stehen nicht außerhalb der ethischen Kritik. An ihnen wäre es, die von ihnen verkündeten Dogmen zu humanisieren. Dieter Birnbacher und Teilhabe immer weiter reduziert und statt dessen auf eine Art neosozialdarwinistischen Kampf zwischen Siegern und Verlierern übertragen werden, wird Mitleidlosigkeit zum Ausdruck von Stärke erklärt.“ (84) Das mag auch erklären, weshalb im Umgang mit Tieren nicht selten eine Art Teilnahmslosigkeit herrscht. Dieter Birnbacher macht in seinem Aufsatz mit dem Titel „Haben Tiere Rechte?“ darauf aufmerksam, dass in Deutschland einzig die Philosophin Ursula Wolf die Möglichkeit in Erwägung zieht, dass Menschen auch verletzten Wildtieren aus ihrer Umgebung helfen könnten (vgl. 54). Während das Tierschutzgesetz (TschG) ein Recht auf Nichtschädigung von Tieren festschreibt, die sich in menschlicher Obhut befinden, kollidiert die Versorgung verletzter, wild lebender Tiere mit vielen Naturethiken, denen – so ist zu vermuten – letztlich das sozialdarwinistische Prinzip von Natur als Ideal zugrunde liegt. Birnbacher plädiert – über das aktuelle TschG hinausgreifend – für juridische subjektive Rechte zugunsten von Tieren. Im Gegensatz zu ihrem aktuellen Schutz im TschG, der Menschen die Pflicht zum entsprechenden Umgang mit Tieren auferlegt, haben subjektive Rechte einen entscheidenden Vorteil: „Eine Zuschreibung subjektiver Rechte geht über den objektiven Rechtschutz hinaus, indem sie der zu schützenden Entität zugleich die Befugnis einräumt, in eigener Sache gegen einen unzureichenden objektiven Rechtschutz zu klagen – im Fall von Tieren vermittels geeigneter Vertreter wie etwa Tierschutzvereinen.“ (60) Die Umsetzung dieses Gedankens wäre sicher eine Fortentwicklung im Bereich des Tierschutzes. Eher einen Schritt zurück macht in dieser Hinsicht Heike Baranzke in ihrem Aufsatz „Sind alle Tiere gleich? Vom reduktionistischen Antispeziesismus zur selbstreflexiven Verantwortungsethik.“ Einerseits kritisiert sie zu Recht den über das Ziel hinausschießenden Antispeziesismus in der aktuellen Debatte, der das Menschsein lediglich biologisch definiert und 47 17.11.2010 20:05:47 Uhr Literaturbericht dabei zu vergessen scheint, dass es allein Menschen möglich ist, moralische Regeln für Ihresgleichen und für andere Wesen zu formulieren. Andererseits kommt die Theologin zu einem ihrer Profession entsprechenden, in doppelter Hinsicht anthropozentrischen Schluss: Erstens spricht sie Tieren lediglich eine Rolle als abhängige Fürsorgebittsteller zu, wie das in der katholischen Tradition üblich ist. Zweitens müssen sich die Fürsorgebittsteller zusätzlich utilitaristischen Nutzungsinteressen von Menschen beugen. (vgl. 26) Ein Ergebnis, das den aktuellen Status Quo, wie er im TschG verankert ist, manifestiert. Einer nicht-speziesistischen Ethik, wie sie auch Peter Singer vertritt, schließt sich Johann S. Ach in seinem Aufsatz „Transgene Tiere. Anmerkungen zur Herstellung, Nutzung und Haltung transgener Tiere aus tierethischer Perspektive“ an. Er diskutiert die brisante Frage, wie die Herstellung von empfindungsunfähigen Lebewesen zu bewerten sei, und kommt vor dem Hintergrund des Prinzips der gleichen Interessenabwägung zum Ergebnis, dass die Nutzung von empfindungslosen transgenen Tieren nur dann zu rechtfertigen sei, wenn auch die Bereitschaft vorliege, die gleiche Handlung an empfindungslosen Menschen vorzunehmen. Ach schließt sich auch hier wieder Singers Prinzipien an. Der vorliegende Band ist das Ergebnis einer Ringvorlesung aus dem Wintersemester 2006/07 des Centrums für Bioethik in Münster. Daher haben einige Beiträge mittlerweile zumindest in Teilen an Aktualität eingebüßt. So etwa der Aufsatz „Tierärztliche und juristische Fragen zu innerethischen Dilemmata – Aspekte des tierschutzethischen Forschungsbedarfs“ von Jörg Luy 3.6 David Mellor, Emily Patterson-Kane und Kevin J. Stafford: The Sciences of Animal Welfare 224 Seiten, New York: John Wiley & Sons, 2009, Euro 47,99 Das Buch The Sciences of Animal Welfare vermittelt eine Darstellung und Analyse der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Denkweise bezüglich des Tierschutzes sowie der jeweiligen Einstellung der Gesellschaft gegenüber Tieren. Es geht der Frage nach, wie die Wissenschaft des Tierschutzes Einfluss auf den Umgang mit Tieren nimmt. The Sciences of Animal Welfare ist als englischsprachiges Buch in der Tierschutzreihe der universitären Vereinigung für Tierschutz in England (UFAW; Universities Federation for Animal Welfare) erschienen. Die Autoren David Mellor, Emily Patterson-Kane und Kevin Stafford sind im Bereich des wissenschaftlichen Tierschutzes tätig. David Mellor ist Professor für Tierschutz, Angewandte Physiologie und Bioethik an der Universität Massey in Neuseeland. Emily Patterson-Kane ist Tierschutzwissenschaftlerin bei der Veterinärmedizinischen Vereinigung in Illinois, USA. Kevin Stafford ist Professor für Veterinärethologie an der neuseeländischen Universität Mas48 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 48 und Goetz Hildebrandt. Die Autoren verweisen darin u.a. auf das bis 2009 laufende Projekt DIALREL. Dazu ist mittlerweile ein Buch erschienen. (Siehe die Besprechung des Titels „Tierschutz bei der religiösen Schlachtung. Die Ethik-Workshops des DIALREL“ von Johannes Caspar und Jörg Luy im Literaturbericht dieses ALTEXethik Heftes). Ebenfalls nicht mehr ganz neu sind die Forschungen des Auftakttextes zum „Wohlergehen der Tiere“ des Verhaltensbiologen Norbert Sachser, der u.a. biochemische Stressparameter im Blut von Meerschweinchen misst. Gleichwohl sind die Ergebnisse gerade im Bereich der Nutz- und Versuchstierhaltung von großer Bedeutung, zumal die Haltung von Versuchstieren in einer gut strukturierten Umgebung an Bedeutung gewinnt. Der Beitrag „Der Mensch im Tier – Anthropomorphisierung und Funktionalisierung von Tieren im Zeichentrickfilm“ von Martina Stephany wirft noch einmal einen soziologischen Blick auf das ambivalente Verhältnis, das Menschen mit Tieren verbindet. Im Zeichentrickfilm geschieht erstaunlicherweise oft das, was in der Forschung lange als Sakrileg galt: Tiere werden vermenschlicht und umgekehrt erhalten Menschen Attribute von Tieren. Diese Verwischung der Grenzen, mit denen der Zeichentrickfilm spielt, spiegelt sich auch in der Wissenschaft wider. In der Biologie wird die Trennschärfe der Grenze zwischen Mensch und Tier seit einiger Zeit in Frage gestellt. Über die ethischen Konsequenzen daraus herrscht allerdings noch Uneinigkeit. Petra Mayr sey. Gegliedert ist das Werk in folgende fünf Kapitel Einleitung, Wege aus der Vergangenheit, Bewertung des Tierschutzes, Menschlicher Einfluss und Tierschutz sowie Denken außerhalb des vorgesteckten Rahmens. Die einzelnen Kapitel sind jeweils wiederum übersichtlich in Unterkapitel aufgeteilt und mit einigen schwarzweißen Fotos anschaulich gestaltet. Die Autoren haben es sich zur Kernaufgabe gemacht, mittels multidisziplinärer Zusammenarbeit neue Erkenntnisse zu gewinnen, uns zum Denken in eine neue Richtung anzuregen und damit einen Beitrag zur Verbesserung der Situation der Tiere zu leisten. In diesem Zusammenhang werden die grundlegenden Annahmen, die wir über Tiere und deren funktionelle Fähigkeiten haben, in Frage gestellt, sie sollen neu diskutiert werden. Auf diese Weise werden in dem Werk vom bisherigen Denkmuster abweichende, neue Ansätze verfolgende Möglichkeiten einer Wissenschaft des Tierschutzes aufgezeigt. Nach Ausführungen der Autoren geht man sowohl in der Psychologie des Menschen als auch der Tiere davon aus, dass das Vorhandensein positiver Erfahrungen ein gutes Leben ausmacht. Basierend darauf könnte das Fehlen positiver Erfahrungen in ein System zur Bewertung des Tierschutzes einfließen (vgl.77). Eine solche Bewertung des Status des Tierschutzes ist den weiteren Erläuterungen zufolge in allen Situationen notwendig, in denen Tiere für menschliche Zwecke genutzt werden (vgl.78). Ein Beispiel für die Schwierigkeiten, die für ein Management Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:47 Uhr Literaturbericht des täglichen Zusammenspiels von Mensch und Tier bestehen, wird anhand von Verhaltensbeobachtungen bei Tieren erläutert: Bei Haustieren, insbesondere bei Hunden und Katzen, werden häufig Trennungsängste beobachtet, beispielsweise wenn eine Bezugsperson abwesend ist. Für manche Tiere kann diese Angst schwerwiegend sein. Interessanterweise berichten Hundehalter in solchen Fällen ausschließlich von Verhaltensproblemen des Tieres, was die Hauptursache dafür ist, dass Tierhalter ihr Tier in ein Tierheim bringen oder sogar einschläfern lassen (vgl.127). Wie die Autoren erläutern, befindet sich die Erforschung der Verhaltensweisen und der Behandlung von entsprechenden Problemen noch in den Kinderschuhen. Ebenso unklar ist bislang, in welchem Umfang der Umgang des Menschen mit den Haustieren im positiven oder negativen Sinne eine Rolle spielt. Den Ausführungen zufolge wurde in zahlreichen Studien mittels EEG die elektrische Aktivität des Gehirns von Säugetieren untersucht, um die verschiedenen Schlafphasen zu studieren. Weiter wird der Frage nachgegangen, welchen Einfluss das Unbewusste auf das Wohlbefinden von ungeborenen Tieren während ihrer neurobiologischen Entwicklung hat. So sind nach Auffassung der Autoren mindestens acht Faktoren zu verzeichnen, die hemmend auf das fötale EEG wirken, was während der zweiten Schwangerschaftshälfte zur Aufrechterhaltung eines Unbewusstseins-Zustands ähnlich wie im Schlaf beitragen könnte (vgl.169). Nach Ansicht der Autoren existieren zahlreiche Nachweise für das fehlende Bewusstsein bei Säugetieren vor der Geburt bzw. bei Vögeln vor dem Schlüpfen. Dies widerspricht jedoch der Auffassung vieler Menschen. David Mellor et al. halten weitere experimentelle Studien für erforderlich, 3.7 Dominick LaCapra: History and its Limits. Human, Animal, Violence 230 Seiten, Ithaca und London: Cornell University Press, 2009, Euro 19,99 In History and its Limits greift die theoretische Überlegung LaCapras, die Geschichtsschreibung (Historiographie) und das Verständnis einer Rolle und einem Ziel der Geschichte insgesamt durch den neu geprägten Begriff der „intellektuellen Geschichte“ aufzufassen. Für LaCapra besteht das Ziel einer intellektuellen Geschichte in der systematischen Auseinandersetzung mit Texten und Kontexten bzw. in der Kontextualisierung, d.h. in der Erklärung des komplizierten Zusammenhanges zwischen einem historischen Singular (der ein Text, ein Individuum, eine Gruppe oder ein Ereignis sein kann) und einem transhistorischen Phänomen (wie Ideen, Wertvorstellungen und Bilder, die das singuläre Element beeinflussen und mitkonstruieren). Neben dieser Auffassung, die ausführlich in der Einführung, im ersten und im letztem Kapitel auch Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 49 um zur Klärung dieser kontroversen Sichtweisen beizutragen (vgl.179). Das Buch kann als lesenswert empfohlen werden. Es eignet sich nicht nur als Lektüre für den Personenkreis, der sich mit dem wissenschaftlichen Tierschutz befasst, sondern ebenso für interessierte Laien, die stichhaltige Argumente suchen, um die Situation der vom Menschen vielfach ausgebeuteten Tiere verbessern zu können. Zwar sollte das Recht auf Anerkennung der Würde der Tiere und ein Leben ohne Leiden eine moralische Selbstverständlichkeit sein, doch liegt die Realität fern dieser theoretischen Vorgabe. Faktisch verlangt die Politik Beweise für die Leidensfähigkeit der Tiere. Solange diese nicht erbracht sind, wird in Abrede gestellt, dass Tiere fühlende Lebewesen sind, und die Chancen auf eine Verankerung von tierschutzrelevanten Bestimmungen in rechtsverbindlichen Dokumenten sind nicht gegeben. Insofern liefert das Buch insbesondere für Menschen, die in wissenschaftlichen Kreisen oder auf politischer Ebene für die Stärkung der Rechte der Tiere eintreten, zum einen hilfreiche Anhaltspunkte und zum anderen pragmatische Lösungsvorschläge zur Zielerreichung. Allerdings können einige Beispiele, die die Autoren zur Erläuterung beispielsweise des Bewusstseins von Tieren anführen, als tierschutzwidrig betrachtet werden. Denn einige Erkenntnisse stammen aus Studien an Tieren, beispielsweise neurologischen Untersuchungen, was beim Leser die Frage aufwerfen kann, weshalb Tieren Stress und Leid zugefügt wird, um herauszufinden, ob und in welcher Art ein erwachsenes Tier oder ein noch ungeborenes Tier bestimmte Erfahrungen wahrnehmen. Silke Bitz im Zusammenhang mit anderen Theorien in der zeitgenössischen Geschichtsauffassung erklärt wird, beschäftigt sich LaCapra mit prägnanten und hochaktuellen Diskussionen und neuen Trends in den kulturwissenschaftlichen Studien sowie in der Philosophie. Das Buch ist sehr vielfältig und empfehlenswert. Es bietet zahlreiche Überlegungen hinsichtlich der Bedeutung und der politischen sowie sozialen Implikationen der Geschichtsschreibung. Den roten Faden dieses Buches stellen die Gewalt und das Trauma der Gewaltopfer dar. In dieser Rezension konzentriere ich mich auf das 6. Kapitel, in dem sich LaCapra mit Interpretationen der Mensch-Tier-Dichotomie in der zeitgenössischen Debatte auseinandersetzt. Der Titel des Kapitels „Reopening the Question of the Human and the Animal“ deutet schon auf die Absicht, die Frage nach Mensch und Tier neu zu diskutieren, die die zeitgenössische Kontinentalphilosophie seit Jacques Derrida zum Teil geprägt hat. Im Mittelpunkt der Kontroverse steht nicht nur die Kritik an der im Humanismus verwurzelten Dichotomie als ontologisch unüberwindbare Barriere zwischen Menschen und den anderen Tieren, sondern auch die dekonstruktionistische Kritik an der tierethischen Rechtsdebatte. Die Projektion der Tiere in eine von dem Menschen separaten Sphäre führt laut LaCapra zu 49 17.11.2010 20:05:48 Uhr Literaturbericht einem Widerspruch: Zum einen wird das Andere (Tier) auf einen infra-ethischen Status reduziert, indem es als einfaches Material oder instrumentelles Wesen beschrieben wird, zum anderen wird der Mensch auf einen super-ethischen Status gehoben, indem er oft als Opfer bzw. als etwas Enigmatisches beschrieben wird (154). Diese Unterscheidung und damit Abgrenzung der ethischen und politischen Sphäre der Betrachtung derjenigen und der anderen Wesen wird häufig in widersprüchlicher Art und Weise verwirklicht und vermischt sich mit Grenzziehungen auch im zwischenmenschlichen Bereich: Für LaCapra anregend ist deswegen die zeitgenössische Kritik an den kulturellen Implikationen des Anthropozentrismus, auch wenn er im Zusammenhang mit anderen Kategorien der Diskriminierung gebraucht wird, wie z.B. Gender, Rasse oder Klasse. In seiner akribischen Analyse der unterschiedlichen Perspektiven kommt LaCapra zu interessanten Ergebnissen, die innovativ in der heutigen Diskussion sind: Am Rande bemerkt er beispielsweise, dass intrinsisch aus der sozialkonstruktivistischen Perspektive, laut der die Natur (und damit auch das Tier) nicht rein objektiv beschreibbar, sondern eine menschliche soziale Konstruktion ist, die Gefahr besteht, die Auffassung von nicht-menschlichen Lebewesen als einfaches Material indirekt zu fordern: Der Mensch wird durch seine quasi-divinische schöpferische Kraft beschrieben, indem er die Natur konstruiert und damit noch einmal eine Sonderstellung im Vergleich zu anderen Lebewesen erhält (162). Parallel dazu kann eine übertriebene Betonung des Mitleids bzw. der ethischen und kreativen Fähigkeiten des Menschen dazu führen, die legitimen Grenzen der Eingriffe an Tieren nicht wahrzunehmen (er diskutiert in einer Fußnote das Problem der Tierversuche). Interessant ist auch seine Kritik an Giorgio Agamben, der heutzutage teilweise als wichtiger Theoretiker der Mensch-Tier-Dichotomie gesehen wird mit dessen philosophischem Projekt er sich ausführlich beschäftigt. Agambens Dichotomie wird meines Erachtens berechtigt vorgeworfen, den Mensch und das Tier als zu abstrakten und allgemeinen Topos zu diskutieren, ohne jeglichen direkten Bezug auf empirische Daten über Fähigkeiten von Tieren und ohne Bezug zur aktuellen Tiernutzung. Die Argumentation Agambens ist extrem entkontextualisiert, was für LaCapra sehr problematisch erscheint. LaCapra kritisiert Agambens Anlehnung an Heidegger bei der Unterscheidung zwischen Mensch und Tier, die sich an „Welt-offenem Dasein“ (Menschen) und an „in-seiner-Umwelt-eingeschlossenem Dasein“ (Tiere) orientiert. Offen bleibt auch der Zusammenhang zwischen Agambens Theorie und den praktischen Implikationen für die Nutzung und Missachtung von Tieren. Ähnlichkeiten mit dieser Perspektive sind auch in der Frage nach dem Tier bei John Maxwell Coetzee zu finden. In seinem Roman The Lives of Animals werden die Schattenseiten der „Vernunft“ bzw. des Rationalitätsideales aufgezeigt. Hier 50 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 50 wird dem Verstand des Philosophen die schöpferische Kraft des Dichters bzw. Schriftstellers gegenübergestellt, der Gefühle gegenüber Tieren entwickelt. Dennoch bleibt die Auffassung Coetzees anders als die Agambens: Elisabeth Costello, die Hauptfigur, versucht immer wieder, einen ethischen und emotionalen Standpunkt in Bezug auf Tiere weiter zu entwickeln. Auch wenn sie sich in Widersprüche verwickelt, wirkt ihr Mitleid und ihre ausgeprägte Empathie performativ und sehr konkret, vor allem bei der Beschreibung des tierischen Leidens beim Schlachten (177-178). Das Problem der Gewalt gegen Tiere ist nicht nur in tiefen Gefühlen verwurzelt, sondern auch in der Wahrnehmung von Aufopferung und in der Möglichkeit, einen Sinn im Leiden zu sehen. Es ist deshalb laut LaCapra nicht überraschend, dass eine Auseinandersetzung mit der Geschichte von Abraham und Isaak in der relationalen Auffassung Coetzees keinen Platz findet, wohl aber bei Derrida, der diese Geschichte als paradigmatisches Beispiel der Sonderstellung des Menschen in der Natur interpretiert, in deren Mittelpunkt die Idee der Einzigartigkeit des Geschenkes Gottes an den Menschen und damit des Objekts der Opfer steht. Am Ende seines Kapitels wendet LaCapra seine Kritik den postmarxistischen Strömungen der aktuellen Debatte zu, insbesondere der Theorie des Werks Empire (Untertitel: Die neue Weltordnung). Dieses Buch wurde von dem italienischen, marxistischen Philosophen Antonio Negri und dem amerikanischen Literaturkritiker Michael Hardt geschrieben, denen vorgeworfen wird, ein Gegenbeispiel für die Neudiskussion der Frage nach dem Tier zu liefern. Empire verkörpert die letzte Spur von Anthropozentrismus, in dem in einer von LaCapra zitierten Passage der Verweis auf Tiere auf eine idealistische, billig-sentimentalische Art geschieht, ohne jeglichen Bezug auf ökologische Fragen. Dagegen braucht die heutige Reflexion ein lebhaftes theoretisches Engagement rund um das Tier, das in einem komplexen Netzwerk von Diskursen zu betrachten ist, und zwar im Zusammenhang mit einer Theorie über den Staat, die Herrschaft und die Machtstrukturen. Hauptverdienst dieses Buches bezüglich des theoretischen Umgangs mit dem Tier ist zweifellos seine vorurteilslose Analyse der wichtigsten Elemente der heutigen kritischen Debatte. Die Aufhebung der Notwendigkeit der Kontextualisierung erscheint als äußerst wichtiger Punkt für die theoretische Diskussion: Wenn man tatsächlich die Frage nach dem Tier erneut diskutieren möchte, müsste man sich auch konkreten Beispielen von Eingriffen und Nutzungen in unserer technologisierten Gesellschaft sowie auch neuen Ergebnissen zu den Fähigkeiten der Tiere zuwenden, die die ethologische Forschung zunehmend anbietet. Für eine neue Tier-Philosophie und „intellektuelle Tier-Geschichte“ im Sinne LaCapras braucht man deshalb mehr Geschichtsschreibung und Politik sowie mehr Empirie. Arianna Ferrari Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:48 Uhr Literaturbericht 3.8 Carola Otterstedt und Michael Rosenberger (Hrsg.): Gefährten – Konkurrenten – Verwandte. Die Mensch-Tier-Beziehung im wissenschaftlichen Diskurs 398 Seiten, Vandenhoeck & Ruprecht, 2009, Euro 39,90 Das Thema „Mensch-Tier-Beziehung“ erfreut sich gegenwärtig einer Hochkonjunktur, das zeigt der von der Kulturwissenschaftlerin Carola Otterstedt und dem Theologen Michael Rosenberger herausgegebene Sammelband. Das Buch beleuchtet die Vielfalt der Mensch-Tier-Beziehungen aus natur-, kultur- und sozialwissenschaftlicher Perspektive und versucht sich damit dem vielschichtigen Phänomen der „Mensch-TierBeziehung“ auf transdisziplinäre Weise anzunähern. Die den Band einleitenden Beiträge beleuchten die MenschTier-Beziehung aus evolutionärer, zoologischer und ethologischer Sicht. Kurt Kotrschal unternimmt den Versuch, eine evolutionäre Theorie der Mensch-Tier-Beziehung zu entwerfen. Die Antwort auf die Frage, weshalb Menschen mit Tieren in Beziehung treten wollen und können, ist nach diesem Ansatz darin zu suchen, dass die Sozialfähigkeit von Menschen und Wirbeltieren eine ähnliche stammesgeschichtliche Entwicklung durchlaufen hat und folglich durch analoge Strukturen und Mechanismen gekennzeichnet ist. Die Ethologin Willa Bohnert setzt sich mit den Bedürfnissen von Tieren auseinander. Sie betont, dass sehr gute Kenntnisse des Normalverhaltens der jeweiligen Tierart eine Grundvoraussetzung für die Beurteilung der Befindlichkeit der Tiere und insbesondere auch für das Erkennen von Verhaltensstörungen darstellen, und erinnert damit daran, dass Wissen eine Grundvoraussetzung für praktizierten Tierschutz ist. Der Zoologe Josef H. Reichholf weist darauf hin, dass Tiere in entscheidender Weise zur Menschwerdung beigetragen haben und dass die Evolution ohne die engen Beziehungen zu Tieren anders verlaufen wäre. Heute aber ist die Partnerschaft zwischen Mensch und Tier gekippt: „Seit Jahrzehnten konkurrieren Menschen und Nutztiere direkt um Lebensraum und Nahrung auf der Erde. Die Gier nach Fleisch erweist sich als stärker. Ihr werden die Lebensinteressen von Millionen hungernden Menschen untergeordnet. Allein die [Tierhaltung] erzeugt weit mehr Treibhausgase (…) als alle sonstigen Aktivitäten des Menschen (…). Damit hat das Mensch-Tier-Verhältnis eine gänzlich neue Dimension von globaler Bedeutung erreicht.“ (23f.) Der Kontrast zwischen exotischen Tieren in Terrarien, Aquarien oder Käfigen einerseits und „der schrecklichen Intensivtierhaltung andererseits, die jenes Billigfleisch produziert, das als Schnäppchen im Supermarkt gejagt wird“ (24), illustriert nach Reichholf jene Ambivalenz, die der Kulturphilosoph Jost Hermand in seinem bereits 1984 erschienenen Essay Gehätschelt und gefressen pointiert zum Ausdruck gebracht hat. Ein weiterer Schwerpunkt des Bandes ist psychologischen Aspekten der Mensch-Tier-Beziehung gewidmet. Erhard Olbrich gibt einen Überblick über die wichtigsten Ansätze zur Erklärung der Mensch-Tier-Beziehung (Biophilie-Hypothese, Hypothesen Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 51 aus der Persönlichkeits- und der Motivationspsychologie) und streicht die Bedeutung der Empathie für die gelebte Beziehung zu Tieren hervor. Dagegen stellt Andrea Beetz das aus der Humanpsychologie übernommene Konzept der Bindung in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen und legt dar, dass die Beziehung zu Heimtieren durchaus die für den Bindungsbegriff konstitutiven Merkmale erfüllen kann. Obwohl der Bindung zu einem Tier grundsätzlich eine andere Qualität zukommt als einer Bindung zu einem Menschen, besitzt die Bindungstheorie nach Beetz einen hohen Erklärungswert für die Mensch-Tier-Beziehung. Die Psychologin und Psychotherapeutin Monika A. Vernooij geht von der Einsicht aus, dass auch Altruismus im Allgemeinen und Tierliebe im Besonderen egozentrisch sein können und untersucht die Rolle von Heimtieren im Spiegel menschlicher Bedürfnisbefriedigung. Die Autorin kommt in ihrem Beitrag zum Ergebnis, dass der Tierhaltung in allen Bedürfnisbereichen mehr oder weniger große Bedeutung zukommt, wobei die Funktionen des Tieres in Abhängigkeit von der individuellen Bedürfnislage des jeweiligen Halters sehr unterschiedlich sein können. Heimtiere können im Zusammenhang mit menschlichen Bedürfnissen eine Substitutionsfunktion erfüllen und nicht nur als Ersatz für Personen bzw. für persönliche Beziehungen, sondern auch als Substitut für Selbst-, Identitäts- und Systemaspekte dienen. Wenngleich Tiere seit der Frühen Neuzeit nachweislich auch als wichtige soziale Interaktionspartner anerkannt sind, konstatiert Olbrich, dass sie im vorherrschenden Paradigma des Gesundheitswesens keinen Platz haben. Stefanie Böttger behandelt die viel versprechenden Möglichkeiten tiergestützter Therapie im Rahmen der neurologischen Rehabilitation. Anke Prothmann zeigt einzelne Einsatzbereiche tiergestützter Intervention im Bereich der Humanmedizin auf und plädiert dafür, den Einsatz von Tieren im Gesundheitssystem künftig deutlich umfangreicher zu etablieren. Die Soziologin Helga Milz analysiert die Mensch-Tier-Beziehung im Kontext von Öffentlichkeit, Gesellschaft und Politik und gelangt zu der ernüchternden Erkenntnis, dass der Tierschutz in unserer Gesellschaft nicht selten zum „Symbol und Deckmantel für grausame Verfahren“ wird: „Legaler Tierschutz eliminiert nicht die Legitimation von Massakern an Tiermassen. Sie verdanken sich einem Etikettenschwindel, weil „wichtige Gründe“ die Bestimmungen des Tierschutzes laufend außer Kraft setzen.“ (237) Aus der Sicht der Agrarsoziologie weist Karin Jürgens darauf hin, dass die Bewältigung massenhafter Tiertötungen im Zusammenhang mit Tierseuchen neue empirische und forschungstheoretische Einblicke in die Mensch-Nutztier-Beziehung vermittelt habe. Während Nutztierhalter das Schlachten meist als „vertraute Selbstverständlichkeit“ empfinden, stellt das Keulen von – zum Teil gesunden – Tierbeständen einen Tabubruch in der MenschNutztier-Beziehung dar, der bei den betroffenen Landwirten nicht selten zu akuten posttraumatischen Belastungsstörungen führt. Nach Jürgens wird die Einstellung der Nutztierhalter von der Ambivalenz zwischen dem Subjektcharakter des Tieres und dem Objektcharakter des Viehs geprägt. Die Beziehung zwischen Tierhaltern und Nutztieren kann zweifellos nicht losgelöst vom gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang analysiert werden. Al51 17.11.2010 20:05:48 Uhr Literaturbericht lein mit dem modernen Produktionsprozess, der durch Arbeitsteilung und Massentierhaltung zur Entfremdung zwischen Mensch und Nutztier und in der Folge zu einer Entsubjektivierung der Tiere führt, kann die zunehmend gleichgültige Einstellung vieler Nutztierhalter aber dennoch vollständig erklärt werden. „In der Geschichte ist viel zu wenig von Tieren die Rede“ – dieses Diktum aus der Feder Elias Canettis nimmt die Historikerin Aline Steinbrecher zum Anlass, sich mit der Rolle des Tieres in der Geschichtsschreibung bzw. in der Geschichtswissenschaft auseinanderzusetzen. Obwohl Tiere in der Menschheitsgeschichte omnipräsent sind, spielen sie in der Geschichtswissenschaft kaum eine Rolle, weil sich die historische Forschung lange Zeit auf die Analyse politischer und religiöser Machtverhältnisse konzentrierte und in erster Linie als Geschichte des weißen Mannes und der Nationalstaaten verstanden wurde. Erst mit dem Aufstieg der Sozialgeschichte bzw. dem wachsenden Interesse an der Alltagsgeschichte wird zunehmend auch die zeittypische Rolle der Tiere thematisiert. Eine Tiergeschichtsschreibung im eigentlichen Sinn allerdings stößt auf spezifische methodische Probleme: Um eine Tiergeschichte schreiben zu können, ist es erforderlich, Tiere als Akteure und Subjekte der Geschichte zu begreifen und die Beschaffenheit der Quellen zu reflektieren. Die im letzten Drittel des Bandes versammelten Beiträge befassen sich mit einschlägigen kulturwissenschaftlichen Fragestellungen. Carola Otterstedt stellt fest, dass die MenschTier-Beziehung in den jeweiligen Gesamtkontext religiöser, kultureller und gesellschaftlicher Entwicklung eingebettet ist. Sie behandelt die Mensch-Tier-Beziehung in den Weltreligionen und weist darauf hin, dass Globalisierung und multikulturelle Gesellschaftsformen spezifische Auswirkungen auf die Mensch-Tier-Beziehung haben. Antoine F. Goetschel gibt einen 3.9 Mieke Roscher: Ein Königreich für Tiere. Die Geschichte der britischen Tierrechtsbewegung 581 Seiten, Marburg: Tectum Verlag, 2009, Euro 29,90 Dass Großbritannien früher als andere Länder auf legislativer Ebene den Tierschutz verankerte, ist weitgehend bekannt. Weniger bekannt sind die gesellschaftlichen und ökonomischen Voraussetzungen, welche zu diesem Durchbruch führten. Dieses Defizit hilft die Bremer Kulturwissenschaftlerin Mieke Roscher zu beheben. In ihrer umfassenden Studie, die Sozialgeschichte, Quellenstudium, ökonomische Untersuchungen und philosophische wie theologische Argumente zusammenbringt, wird die aus verschiedensten Gruppierungen bestehende britische Tierrechtsbewegung sichtbar und verständlich. Zugleich zeichnet sich so ein Bild der führenden Industriegesellschaft ihrer Zeit, das sich durch einen erstaun52 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 52 Überblick über das Tier im Recht und geht auf spezifische rechtliche Rahmenbedingungen für die tiergestützte Arbeit in geriatrischen Institutionen ein. Zwei Beiträge aus dem Bereich der Tierethik beschließen den Band: Michael Rosenberger vertritt in seinem Beitrag über die Eckpunkte einer modernen theologischen Tierethik die Auffassung, dass eine christliche Tierethik auf das „emotional ungeheuer stark besetzte Konzept der Würde“ nicht verzichten könne. Der christliche Glaube mahnt nach Rosenberger, sich wieder auf die Schicksalsgemeinschaft zwischen Mensch und Tier zu besinnen und „das Tier ins Boot zu holen“ (387). Die philosophische Ethik hingegen ist aufgerufen, eine universale Tierethik zu entwerfen: In diesem Sinne plädiert Jean-Claude Wolf für eine „Ethik der natürlichen Sympathie“, die auf Einfühlung und empathischem Verstehen beruht und sich der Vernunft als Korrektiv bedient. Im „vielstimmigen Chor der tierethischen Ansätze“ zeichnet sich nach Wolf ein Grundkonsens ab: „Insbesondere kann das Resultat, dass mindestens alle empfindungsfähigen Wesen einen moralischen Status haben, der direkte Beachtung fordert, als gesichert gelten.“ (365) Die künftige Aufgabe der Tierethik besteht nach Wolf darin, tierschützerische Forderungen zu formulieren und durchzusetzen, „die sich auch ohne spezielle weltanschauliche oder besonders umstrittene Annahmen (wie die Würde, die Rechte oder gar die Lebensrechte von Tieren) plausibel machen lassen“ (365). Insgesamt zeigt der Band das Bemühen der Autorinnen und Autoren im vergleichsweise jungen Wissenschaftsbereich der Anthrozoologie die Theoriebildung voranzutreiben. Aus den zum Teil neuen und überraschenden Einsichten ergeben sich zahlreiche Impulse für künftige Forschungsarbeiten. Regina Binder lichen Facettenreichtum auszeichnet. Die Vielfarbigkeit der britischen Gesellschaft seit dem Ende des 18. Jahrhunderts kontrastiert dabei nicht nur mit der Eintönigkeit derjenigen des Deutschen Reiches, die Roscher kurz beleuchtet, sondern besticht auch im Vergleich mit der Gegenwart. Es sind, wie Roscher herausstreicht, vor allem die enormen Verwerfungen, welche die stürmische Industrialisierung mit sich bringt, die in Großbritannien eine geradezu explosionsartige Debattenkultur zur Folge hatte. Dass dies den Beteiligten nicht nur intellektuelle Freude, sondern auch heftigste Auseinandersetzungen bescherte, kann man sich leicht vorstellen, wenn man sich die Gruppierungen anschaut, die, aus zum Teil höchst unterschiedlichen Gründen, sich der Sache der Tiere annahmen. Die frühesten Tierrechtsbewegungen entstammen dem Evangelikalismus, also jener Bewegung des britischen Protestantismus, der den Erbsünden-Glauben wach hielt und daraus Ansätze der moralischen Läuterung und Verbesserung entwickelte. Zum Teil direkt aus dem Evangelikalismus bzw. aus seinem Umkreis entstanden gemeinnützige Vereinigungen. Diese Charities, die übrigens auch heute noch eine wichtige Rolle in der britischen Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:48 Uhr Literaturbericht Gesellschaft übernehmen, entwickelten ein breites Betätigungsspektrum, das weit über die religiöse Erziehung und Bildung hinausging und sich sehr bald konkreter gesellschaftlicher und politischer Themen annahm: Dem Kampf gegen den Alkoholismus als Form der gesundheitlichen und moralischen Gefährdung, dem Kampf gegen die Sklaverei als Form der Missachtung der Gleichgeschöpflichkeit aller Menschen und eben auch dem Kampf gegen das Tierleid. Das Engagement für die Tiere speiste sich bei den Evangelikalen aus der Anerkennung der Tierseele. Damit korrigierten sie nicht nur die vorherrschende christliche Lehre von der Alleinbeseelung des Menschen, sondern verringerten zugleich die Kluft, welche sich zwischen dem Menschen und der nichtmenschlichen Schöpfung durch den vermeintlichen Verfügungsauftrag des „Machet Euch die Erde untertan“ aufgetan hatte. Die Anerkennung der Tierseele konnte nicht ohne Folgen für das praktische Leben des evangelikal denkenden Gläubigen bleiben. So setzte sich die 1739 gegründete Methodistenkirche gegen Tierkämpfe zur Wehr, da diese, wie ihr Begründer John Wesley argumentierte, den Respekt vor dem Tier vermissen lassen. Aus eben diesem Grunde wurde Wesley auch Vegetarier. Einflussreicher als die Methodisten wurden jedoch die Quäker. Von dem Gedanken der Gewaltfreiheit getragen, waren die Quäker davon überzeugt, dass ein christliches Zusammenleben so lange nicht möglich sei, wie Formen von Gewalt geduldet würden. Entsprechend kämpften die Quäker ebenso für die Abschaffung der Sklaverei wie für ein Verbot der Vivisektion. Beide Anliegen bildeten aus Quäkersicht eine Einheit, weswegen die Quäkerassoziation „Society of Friends“ sich in ihren Pamphleten zugleich für eine Freundschaft der Menschen untereinander (Abolition, Abschaffung der Sklaverei) und für eine Freundschaft der Menschen mit den Tieren (Antivivisektion) aussprechen konnte. Die wirtschaftlich erfolgreichen und meist gut ausgebildeten Quäker konnten ihren Anliegen publizistisch den gehörigen Nachdruck verleihen und gesellschaftlichen Einfluss gewinnen. Die Abschaffung der Sklaverei im Jahre 1833, an der Quäker wesentlichen Anteil hatten, verlieh ihnen weiteres Ansehen. Zugleich nutzten sie das durch den Abolitionskampf sensibilisierte moralische Gewissen der britischen Gesellschaft für ihre Tierrechtsanliegen. Diese wurden von Quäkern auf mehreren Ebenen verfochten: Neben der kirchlichen Arbeit engagierten sich immer mehr Quäker in den entsprechenden Vereinigungen, an vorderster Front in der 1824 gegründeten Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals (RSPCA). Eine wichtige Rolle sollte schließlich auch die 1847 – allerdings nicht von Quäkern – gegründete Vegetarian Society bekommen, die den Fleischverzehr als der Spiritualität hinderlich ansah. Die vielen religiösen Gruppierungen, die sich für die Antivivisektion, für ein Verbot von Tiersport oder sogar gegen den Einsatz von Arbeitstieren einsetzte, kamen dabei darin überein, dass diese Verhaltensweisen letztlich das menschliche Seelenheil in Gefahr brächten. Dieses Argument spielte bei den vielen kirchlich ungebundenen Gruppierungen keine Rolle, hier stand der Emanzipations- Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 53 gedanke im Vordergrund. Es war daher auch kein Zufall, dass hier Frauen eine zentrale Rolle einnahmen. Der Kampf gegen den Ausschluss der Frauen aus dem öffentlichen Leben, der sich am augenfälligsten im fehlenden Frauenwahlrecht zeigte, vereinte viele Frauen auch in der Antivivisektions-Bewegung. Die Emanzipationsdefizite der britischen Gesellschaft wurden als Ausdruck ihrer patriachalen Struktur gesehen. Aus diesem Ansatz heraus entwickelte sich auch die Kritik an der männlichen Medizin, die über die Propagierung von Reihenuntersuchungen und Impfprogrammen für die Unterdrückung der Frauen und, durch die damit in Verbindung stehende Vivisektion, für das Leiden der Tiere gebrandmarkt wurde. Die Tierrechtsaktivistin Anna Kingsford (1846-1888) studierte sogar Medizin, um in ihrem Kampf gegen die Vivisektion die wissenschaftlichen Argumente der (männlichen) Medizin besser und überzeugender kontern zu können. Diesem Ziel diente auch ihre an der Sorbonne vorgelegte Doktorarbeit zu einer vegetarischen Ernährung, die in englischer Übersetzung zu einem Bestseller wurde. Kingsford wirkte in ihrem kurzen Leben auf nahezu allen Ebenen im Kampf gegen das Tierleid: als Medizinerin, als Buch- und Zeitschriftenautorin, als Vortragsrednerin und als beherzte Aktivistin. So schreckte sie nicht davor zurück, sich als Vivisektionsobjekt anzubieten, um damit Tierleben zu retten. Ein Vorschlag, der gleichwohl von den entsprechenden Labors empört abgelehnt wurde. Unerschrockenheit zeichnete auch France Power Cobbe (1822-1904) aus, die als Journalistin und Buchautorin das Tier in das Bewusstsein der britischen Öffentlichkeit brachte. So schrieb sie unter anderem eine auch von Darwin beachtete Arbeit zur Vernunft bei Tieren und einen Roman, in dem Engel Vivisektionen an Menschen vornehmen. Cobbe, die die wichtige Victoria Street Society gründete, verstand es immer wieder, Exponenten des kulturellen Lebens Großbritanniens in die Diskussion um das Tier zu verwickeln oder direkt für ihr Anliegen in Anspruch zu nehmen. Auffallend an dem frauendominierten Antivivisektionskampf ist die Vielfalt seiner Mittel: Neben der Publizistik, die ebenso die wissenschaftliche Arbeit wie den Zeitschriften- und Zeitungsartikel und das Pamphlet umfasste, spielten Demonstrationen und öffentliche Anprangerungen von Vivisektoren eine wichtige Rolle. Einen vorläufigen Höhepunkt bildete das Brown-Dog-Denkmal, mit dem 1906 in London an die Opfer der Vivisektion erinnert wurde. Aus philosophischer Sicht ernüchternd fällt in Roschers Untersuchung die Bedeutung der Philosophie ins Auge. Durch Bentham und Mill verfügte Großbritannien bekanntlich über starke Argumente im Kampf gegen das Tierleid. In der konkreten politischen Arbeit der Aktivisten spielten diese offenbar nur eine untergeordnete Rolle. Dafür verstanden es die Tierrechtsbewegungen sehr gut an moralische Empfindungen, die sie zum Teil durch ihre Beschreibungen des Tierleids selbst verändert hatten, anzuknüpfen. Die Praxis, so lässt sich aus Roschers Buch lernen, wird offensichtlich weniger durch die Theorie als viel mehr durch die Empfindung verändert. Andreas Brenner 53 17.11.2010 20:05:49 Uhr Literaturbericht 3.10 Cary Wolfe: What is Posthumanism? 358 Seiten, Minneapolis: University of Minnesota Press, 2010, Euro 20,99 Der Professor für Englische Literatur an der Rice University, Cary Wolfe, beschäftigt sich seit über einem Jahrzehnt mit Fragen zur Mensch-TierDichotomie in unserer Kultur. In diesem Buch setzt er die fundamentalen Grundsteine eines posthumanistischen Denkens. Als Herausgeber der Reihe Posthumanities, in der dieses Buch auch veröffentlicht wird, macht er seinen Standpunkt deutlich (siehe Rezension des Buches von Nicole Shukin: Animal Capital. Rendering Life in Biopolitical Times in diesem ALTEXethik). Der Posthumanismus stellt sich als neue Sichtweise dar, um natürliche Prozesse wie etwa Kognition zu deuten und dabei auf eine nicht-anthropozentrische Art und Weise vorzugehen. Das Hauptziel dieser Perspektive besteht in der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Kulturformen, die entweder Tiere direkt nutzen (bspw. in der Kunst) oder die über Tiere schreiben (Literatur und Medien). Posthumanistisches Denken bedeutet, die Traditionen Humanismus und Aufklärung zu kritisieren, die von „anthropologischen Universalheiten“ (vgl. Foucault) geprägt worden sind, und die Auffassung der festen metaphysischen Prinzipien und des dualistischen Denkens zu überwinden: Es handelt sich um eine Art kulturelle Revolution, die die dichotomische Logik durch eine systemische Logik ersetzt, in der der Mensch keine Sonderstellung in der Natur mehr hat. Referenztheorien für den Posthumanismus sind Derridas Überlegungen über Tiere („animots“), die kybernetische Theorie insbesondere von Humberto Maturana, Francisco Varela und Niklas Luhmanns Systemtheorie. Wolfe befasst sich in diesem Buch konsequent mit dem Projekt einer neuen posthumanistischen kulturellen Perspektive. Er zeigt dabei, was es konkret bedeutet, posthumanistisch zu denken und zu arbeiten. Einer ausführlichen Einführung, in der er den Begriff „Posthumanismus“ historisch erklärt, folgen zwei Teile, die sich mit Theorien, Disziplinen und Ethik (1. Teil) sowie mit Medien, Kultur und Praktiken (2. Teil) auseinandersetzen. Das Buch ist reich an Überlegungen, Beispielen und Erklärungen, die in einer kurzen Rezension nicht ausführlich diskutiert werden können. Ich werde mich auf die meines Erachtens bedeutendsten und problematischsten Punkte konzentrieren. Die Hauptidee Wolfes ist die Notwendigkeit der Überwindung traditioneller metaphysischer Konstrukte, die noch Überbleibsel unserer Kultur sind, und uns daran hindern, tatsächlich über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier neu nachzudenken, um uns und die Tiere wirklich zu befreien. Während Derrida sich in seinem Plädoyer für die Zerstörung des alten Denkens der Subjektivität nicht so sehr mit dem Zusammenhang zwischen der theoretischen Dynamik dieser Dekonstruktion und den historischen und soziologischen Konditionen einer erneuten Subjektivität beschäftigt, sieht Wolfe in Kapitel 1 in der Theorie Luhmanns eine fruchtbare Erweiterung: Hier verliert das Subjekt (sei es als Individuum oder als Gruppe) seine zentrale Rolle in der Gesellschaft und wird durch Kommunikation ersetzt. Dieser Auffassung zufolge ist auch eine Erneuerung des Bereiches „animal studies“ zu überlegen: Diese Studien sind nicht als eine Disziplin im klassischen Sinne zu betrachten. Sie sollen die Frage nach dem Tier transdisziplinär bzw. durch zahlreiche Blickwinkel (ein Netzwerk von Beobachtern erster und zweiter Ordnung) klären (Kapitel 4). Im zweiten Kapitel wird das dekonstruktivistische Programm gegen die repräsentationalistische Metaphysik der Kognitionswissenschaften verteidigt: Es gibt keine direkte und eindeutige Verbindung zwischen Sprache und Realität. Von daher verleiht die (menschliche) Sprachfähigkeit dem Menschen keine besondere ontologische Stellung in der Natur. Im dritten Kapitel setzt sich Wolfe kritisch mit der gesamten bioethischen Tradition auseinander, die als paradigmatisches Beispiel der Entwicklung einer Biomacht gesehen wird. Problematisch sind dabei nicht nur die Institutionalisierungsprozesse der Analyse ethischer Fragestellungen, die eindeutig von einer Suche nach Kompromissen und häufig sogar von Heuchelei gekennzeichnet sind. Bei der Mehrheit der Autoren sind sie zudem von einer anthropozentrischen und aufklärerischen Logik geprägt, die starr auf Kategorien wie „Recht“ oder „InteressenTräger“ fixiert bleibt. Eine neue Ethik und Politik über Mensch und Tier muss aufhören, Fragen nach dem moralischen Status durch die Suche nach relevanten Merkmalen zu begründen. Für sie besteht die menschliche Natur aus Fleisch und Blut, wie der Titel des dritten Kapitels andeutet: Posthumanismus zeichnet sich durch eine Wiedervereinigung der materiellen und biologischen Natur des Menschen aus, der als Teil des gesamten Lebendigen gesehen wird, zusammen mit der Wahrnehmung der Einbettung des Menschen auch in der technischen Welt. Dadurch wird zum einen die Mensch-Tier-Dichotomie als ontologische Kluft aufgelöst, zum anderen konstituiert sich die Subjektivität des Menschen auch in Anlehnung an das Technische, an die von ihm geschaffene Welt. Damit grenzt sich diese Auffassung deutlich von den aktuellen transhumanistischen und posthumanen Perspektiven ab, die stark für die bewusste Überwindung des heutigen biologischen Zustandes des Menschen durch neue Technologien plädieren1. Die Auffassung Wolfes zu den konkreten ethischen und politischen Problemen des Umgangs mit Tieren bleibt dem Dekonstruktionismus treu: Die Notwendigkeit der Überwindung der Aufklärung und die Kritik an der pragmatischen Bioethik machen es uns unmöglich, eindeutige und feste Richtlinien über konkrete Nutzungen und Eingriffe an Tieren zu formulieren. Die Kritik an der pragmatischen Bioethik stellt sich in einer 1 Für eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Bedeutungen von „Posthuman“ und „Transhuman“ vgl. u.a. Andy Miah (2008). A critical history of Posthumanism. In: Bert Gordijn and Ruth Chadwick (Eds.), Medical Enhancement and Posthumanity. Amsterdam Dordrecht: Springer. 54 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 54 Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:49 Uhr Literaturbericht Position der Wachsamkeit gegen jegliche Form von Speziesismus. Was dies aber im Konkreten bedeutet, ist explizit offen gelassen, weil Richtlinien, eindeutige Stellungnahmen usw. Zeichen der humanistischen Logik wären. Nicht überraschend ist deshalb die Beschreibung der „Klassiker“ der Tierethik wie Tom Regan, Peter Singer, aber auch Martha Nussbaum, als „posthumanistische Humanisten“: Posthumanistisch, weil sie auf unterschiedliche Weise gegen Speziesismus gekämpft haben, „Humanisten“, weil sie diesen Kampf mit Hilfe der humanistischen Kategorien des „Rechts“ bzw. „Interessen“ bzw. „Gerechtigkeit“ geführt haben (125 Schemata). Authentisch 3.11 Leo Tolstoi, Clara Wichmann, Èlisée Reclus, Magnus Schwantje et al.: Das Schlachten beenden! Zur Kritik der Gewalt an Tieren. Anarchistische, feministische, pazifistische und linkssozialistische Traditionen 180 Seiten, Heidelberg: Verlag Graswurzelrevolution, 2010, Euro 14,90 Manche Bücher widersetzen sich in erfrischender Weise dem Zeitgeist. Das tun sie gerade deshalb, weil ihre Autoren einer anderen Zeit entstammen und die Thesen nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Für die aktuelle Diskussion liegt aber gerade darin eine Bereicherung. Die Frage der Tierethik nach dem adäquaten Umgang mit Tieren wird in der Philosophie derzeit eher analytisch getrennt behandelt, also weniger in einen größeren Zusammenhang mit anderen Lebenseinstellungen und Fragen nach einem guten und richtigen Leben gestellt. Das Schlachten beenden! Zur Kritik der Gewalt an Tieren erinnert dagegen an eine Strömung, die unseren oftmals brutalen Umgang mit anderen Lebewesen in einen politischen Zusammenhang stellt. Man darf also keine Lektüre über explizit tierethische Positionen, einer Bewertung ihrer logischen Konsistenz und letztlich ein Abwägen ihres Für oder Wider erwarten. Hier liegt ein grundlegender Unterschied zwischen dem vorliegenden Band und vielen tierethischen Positionen, wie sie die Philosophie bietet. Es geht hier nicht um eine Lebenseinstellung von vielen, nämlich wie man sich Tieren gegenüber verhält. Stattdessen taucht man ein in die zuweilen skurrile Geschichte des Klassenkampfes, die sich in erster Linie an den Strukturen von Macht und Herrschaft aufreibt. Macht und Herrschaftsstrukturen, deren Diagnose nicht etwa beim Menschen endet, sondern auch im Umgang mit Tieren dieselben Strukturprinzipien von Unterdrückung und Ausbeutung erkennt. In der linkssozialistischen Tradition entspringt die Motivation, Tiere weder zu quälen, noch zu töten oder sie zu verspeisen, Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 55 „posthumanistische Posthumane“ sind dagegen Niklas Luhmann, Humberto Maturana und Francisco Varela, Jacques Derrida, Bruno Latour und Donna Haraway: Alle haben gegen die Sonderstellung des Menschen in der Gesellschaft bzw. in der Natur theoretisch argumentiert. Problematisch bleibt meines Erachtens wie schon bei Derrida die Art und Weise, wie man dieses Denken, das notwendigerweise keine eindeutige Stellung bezieht, in der Gesellschaft jenseits eines allgemeinen Aufrufs zu einem neuen Denken und einer neuen Kultur praktisch umsetzt. Arianna Ferrari einem politischen Bewusstsein: „Tolstois Vegetarismus zielte nicht allein auf die Vermeidung der Grausamkeiten gegen Tiere, wie er sie beispielsweise im Schlachthof Tula erlebt hatte, sondern hatte eine starke soziale, gleichmacherische (was ich hier ganz positiv verstanden wissen will) Dimension. Oft wird das Fleischessen in einem Atemzug mit der Beschäftigung von Bediensteten genannt. Er schämt sich, bedient zu werden usw.“ (55) Nach seinem Besuch eines russischen Schlachthauses in Tula ist Leo Tolstoi schockiert über die Realität des angeblich „humanen“ Tötens, das mit dem Beginn der industriellen Massenschlachtung propagiert wurde. Bemerkenswert ist dabei, dass Tolstoi die Perspektive wechselt. Er empfindet nicht nur Mitleid für die Leiden der Tiere, sondern nimmt auch die Gewalt wahr, der sich die Schlachter bei ihrer Arbeit aussetzen müssen, wenn sie ein Tier töten. Es sind gerade solche Passagen, die jenseits der Frage nach dem adäquaten Umgang mit Tieren das Buch lesenwert machen. Auch wenn die Sprache der Autoren, die vor gut hundert Jahren gelebt haben, nicht mehr zeitgemäß ist, so finden sich doch in ihren Argumentationen vielfach Inhalte, die an Aktualität keineswegs eingebüßt haben. So schreibt der Anarchist Élisée Reclus im Jahr 1901 in seinem Aufsatz zur vegetarischen Lebensweise: „Es ist eines der traurigsten Ergebnisse unserer Gewohnheit Fleisch zu essen, dass die dem Appetit des Menschen geopferten Tiere mit System und Methode zu scheußlichen, unförmigen Wesen erklärt und ihre Intelligenz und ihr moralischer Wert herabgemindert wurden.“ (87) Schon 1920 erklärt die Juristin Clara Wichmann, dass Tierschutz nur dann gewährleistet werden könne, wenn Tieren als empfindenden Wesen eigene Rechte zuerkannt würden. Auch hier ist in ihrer Begründung der Perspektivenwechsel in die Rolle des abhängigen und unterdrückten Tieres interessant. Wichmann macht nämlich deutlich, dass aus der Sicht von Heimtieren, etwa der Perspektive eines Hundes, das Verhältnis zu seinem Besitzer als die zentrale Beziehung des Tieres in seinem Leben zu betrachten sei. Diesem Sachverhalt werde in juristischer Hinsicht jedoch nicht Rechnung getragen, da es sich beim Besitz eines Heimtieres lediglich um ein sachenrechtliches Verhältnis handele. Eine wesentliche Essenz dieses Buches ist der Spiegel auf die aktuelle Diskussion. 55 17.11.2010 20:05:49 Uhr Literaturbericht Der Blickwinkel von Unterdrückung und Ausbeutung scheint einer, der der Frage nach dem aktuellen Status von Tieren noch am ehesten gerecht zu werden scheint. Dieser Blickwinkel setzt eine hohe Identifikation mit dem Anderen, also dem Tier voraus. Diese Identifikation geht weit über das hinaus, was einzelne Kriterien wie Leidensfähigkeit oder Bewusstsein, mit denen vielfach in aktuellen tierethischen Positionen argumentiert wird, erreichen können. Einzelne Kriterien können naturgemäß immer nur punktuelle Verbindungen schaffen, sie schließen damit aber andere mögliche Verbindungslinien aus. Das kann häufig widersprüchlich sein. Wer Tiere etwa aufgrund ihrer Leidensfähigkeit für ethisch relevant hält, hat kein Argument in der Hand, dass sie nicht getötet werden sollten. Das widerspricht 3.12 Andrew Linzey: The Link between Animal Abuse and Human Violence 346 Seiten, Brighton, Portland: Sussex Acedemic Press, 2009, Euro 19,43 Der Band befasst sich mit der Darstellung des in Wissenschaftskreisen diskutierten Zusammenhangs zwischen dem Missbrauch von Tieren durch den Menschen einerseits und der zwischenmenschlichen Gewaltbereitschaft andererseits. Der Herausgeber ist Theologe und Professor am Zentrum für Tierethik in Oxford. Das Werk umfasst 27 Einzelartikel von Autoren unterschiedlicher Fachdisziplinen. Der Leser erhält einen umfangreichen Überblick über den Stand der Forschung. So werden beispielsweise bemerkenswerte Parallelen zwischen dem Missbrauch von Tieren und der oft beobachteten Missachtung gegenüber älteren Menschen gezogen. Beleuchtet werden darüber hinaus Zusammenhänge zwischen Tiermissbrauch und Kindesmissbrauch und der Einfluss von familiären Verhältnissen auf den Missbrauch von Tieren. Auch werden mögliche Faktoren diskutiert, die dazu beitragen könnten, dass ein Mensch zu einem Serienmörder wird. Neben diesen eher soziologischen bzw. psychologischen Betrachtungen werden auch ethische Fragestellungen und die Rolle rechtlicher Regelungen angesprochen. Das Buch gliedert sich in acht Kapitel, die die einzelnen Themenkomplexe abhandeln. Ein zweifellos zentrales Kapitel ist Kapitel zwei mit dem Titel „Emotionale Entwicklung und emotionaler Missbrauch“. Hier beschreibt etwa die Psychologin Andrea Beetz die Entwicklung der Empathiefähigkeit und die Einflüsse, die dafür verantwortlich sind, wenn diese nicht gelingt. Im Band werden verschiedene Thesen zur Entstehung von Gewaltbereitschaft diskutiert. Eine Hypothese über die Entstehung der Gewalt geht davon aus, dass Grausamkeit gegen Tie- 56 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 56 allerdings der Intuition. Man kann nicht am guten (leidens- und schmerzfreien) Leben eines Tieres interessiert sein und zugleich in seinem Tod kein Unrecht sehen. Die Perspektive von Unterdrückung und Ausbeutung betont die Ähnlichkeiten zwischen Menschen und Tieren und nicht die Differenzen. Es ist die Form der Empathie, die in diesem Band zum Ausdruck kommt, die in der akademischen Diskussion leider nur selten zu finden ist. Ein besserer Umgang mit Tieren setzt geradezu voraus, sich in die Situation eines anderen Lebewesens zu versetzen. In dieser Hinsicht ist der Band Das Schlachten beenden! Zur Kritik der Gewalt an Tieren ein höchst bemerkenswertes Lehrstück. Petra Mayr re in der Kindheit oder im Jugendalter mit großer Wahrscheinlichkeit auch spätere zwischenmenschliche Gewalt vorhersagt. Eine andere Hypothese sieht in der Gewalt gegen Tiere nur einen Ausdruck grundsätzlicher krimineller Verhaltensweisen. In einer Studie wurden die den Hypothesen zugrunde liegenden Ursachen untersucht. 20 männliche wegen Mordes inhaftierte Sexualstraftäter, 20 an einem entsprechenden Behandlungsund Bewertungsprogramm teilnehmende Sexualstraftäter sowie als Kontrollgruppe 20 männliche Studenten wurden in Altersgruppen unterteilt und gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. Darin wurden Fragen zu zentralen Themenbereichen der Sozialisation der Probanden, wie etwa zur Kindheit, zur Jugend, zu Tiermissbrauch und ähnlichem gestellt. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Straftäter, die sich des Mordes schuldig gemacht hatten, in ihrer Sozialisation verstärkt auch gegenüber Tieren Gewalt angewendet hatten, im Gegensatz zu den Straftätern, die nicht gemordet hatten sowie zur Kontrollgruppe. Dieses Ergebnis stützt die erste Hypothese, dass früherer Tiermissbrauch in Zusammenhang mit späterer Gewalt an Menschen stehen kann. Auch die zweite Hypothese konnte verifiziert werden. Die Entwicklung von Gewaltbereitschaft gegen Tiere kann unter anderem mit unsozialem Verhalten wie Diebstahl oder Eigentumszerstörung in Verbindung gebracht werden, was die Annahme allgemein vorhandener krimineller Verhaltensmuster bestätigt (145). Für Erklärungsmöglichkeiten zur Gewaltbereitschaft gegenüber Tieren sind aber nicht die Ausnahmefälle von Gewalttätigkeit, wie sie Mörder darstellen, so bedeutsam. Es ist vielmehr die fast alltägliche Sozialisierung zur Empathielosigkeit, die legal stattfindet. Im letzten Kapitel mit dem Titel „Der Missbrauch von Wildtieren“ werden beispielhaft für die – oft traditionell anhaftende – Desensibilisierung von Menschen gegenüber dem Schmerzempfinden von Tieren die englische Fuchsjagd oder die Jagd auf andere Wildtiere sowie auf Delfine in Japan angeführt. Da der Sammelband ein Kernproblem thematisiert und aufarbeitet, das sowohl hinsichtlich des Tierschutzes als auch der zwischenmenschlichen Gewalt von großer Relevanz ist, kann Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:49 Uhr Literaturbericht es Lesern unterschiedlichster Fachdisziplinen empfohlen werden. Psychologen, Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen oder Behörden, die mit dem rechtlichen Vollzug des Tier- und Menschenschutz befasst sind, kann es als Lehrbuch und Hilfestellung dienen, dem Missbrauch von Tieren und Menschen 3.13 Richard Twine: Animals as Biotechnology. Ethics, Sustainability and Critical Animal Studies 222 Seiten, London, Washington D.C.: Earthscan, 2010, Euro 63,99 Mit diesem Buch hat Richard Twine, Senior Research Associate am CESAGEN (ESRC Centre for Economic and Social Aspects of Genomics) in Lancaster, Großbritannien, eine exzellente, vielfältige und geschlossene Analyse der ethischen, philosophischen, sozialen und politisch-ökonomischen Aspekte der biotechnologischen Veränderung und Verwendung von Nutztieren geliefert. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Spannung zwischen dem zunehmend „molekularisierten“ Verständnis von Tieren einerseits, demzufolge Tiere ausschließlich als mit molekularbiologischen Verfahren verbesserte Lieferanten wertvoller Materialen wie Fleisch, Milch oder Eier betrachtet werden. Andererseits ist die Öffentlichkeit zunehmend sensibilisiert für die Bedürfnisse von Tieren als fühlende Lebewesen. In der Einführung verfolgt Twine die Schritte von der Diskussion um die Fleischindustrie bis hin zu den critical animal studies: Diese Disziplin ist neu aus einer kritischen Analyse der Mängel in der soziologischen und bioethischen Literatur über Tiere entstanden und zielt insbesondere auf zwei Punkte ab: Zum einen versuchen die critical animal studies die soziologische Perspektive wieder zu politisieren, indem die Analyse von einer rein deskriptiven zu einer praktisch-kritischen (und von daher auch normativen) Ebene der Betrachtung wechselt. Zum anderen setzen sich die critical animal studies kritischer mit dem Erbe des Dualismus und des Anthropozentrismus in der philosophischen Tradition auseinander. Fokus des Buches ist ein neues Verständnis der Mensch-Tier-Beziehung, die aus dem Umgang mit zeitgenössischen Theorien wie Akteur-NetzwerkTheorie (Bruno Latour) und Posthumanismus (siehe bspw. die Rezension des Buches von Cary Wolfe: What is Posthumanism? in der vorliegenden ALTEXethik-Ausgabe) resultiert: Diese Theorien betonen die Ko-Produktion von Subjektivität zwischen Menschen und Tieren im Kontext neuer Technologien. Sie ermöglichen damit den Gedanken, dass in der Gestaltung der Mensch-Tier-Beziehung auch Tiere – und nicht nur Menschen – eine aktive Rolle spielen können. Das Buch gliedert sich in drei Teile. Der erste und kürzeste Teil nimmt den bioethischen Diskurs um das Tier unter die Lupe Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 57 auf verschiedene Weise entgegenzuwirken oder vorzubeugen. Ein umfangreicher Index erlaubt die Suche nach Stichworten, so dass sich das Buch auch als Nachschlagewerk eignet. Insgesamt ist es als wertvolle Lektüre zu einem bislang wenig beachteten gesellschaftlichem Problem zu empfehlen. Silke Bitz und dient als Hintergrund und theoretische Fundierung des ganzen Buches. Twine erklärt ausführlich und gut dokumentiert, wie sich die Bioethik relativ rasch von einer ihrer ersten Deutungen als Disziplin abgelöst hat, die sich kritisch, interdisziplinär und selbst-reflektiert mit unterschiedlichen Deutungen von „Bios“ auseinandersetzt. Eine Definition, wie sie auch von Van Raessler Potter, der den Begriff in den 70er Jahren in den Diskurs brachte, vorgenommen wurde. Dagegen wird heute unter dem Begriff „Bioethik“ zunehmend die Anwendung philosophischer Prinzipien auf die Medizinethik verstanden. Damit hat der Begriff trotz des Versuches, andere Traditionen (wie Fürsorgeethik, Tugendethik und Feminismus) zu integrieren, lange Zeit unter der Beherrschung durch die angelsächsische analytische Tradition gelitten. Die Bioethik hat entgegen ihrem ursprünglichen Verständnis nie wirklich kritisch dualistisches Denken und Anthropozentrismus in Frage gestellt. Außerdem hat dieses für Twine begrenzte Verständnis von Bioethik zunehmend dazu geführt, dass zusammenhängende Themen wie die Gesundheit und der Umgang mit der Umwelt separat behandelt und von daher in ihrem komplexen Zusammenwirken vernachlässigt werden. Als Plädoyer für die Anerkennung dieser Komplexität setzt sich Twine auch mit der Frage nach „Animal Enhancement“ auseinander und zeigt dabei, wie Deutungen dessen, was „Verbesserung“ beinhaltet und was konkret an Tieren geforscht wird, noch ausführlicher zu hinterfragen sind. Der zweite Teil ist der Kapitalisierung von Tieren in der heutigen landwirtschaftlichen Produktion gewidmet. Anhand der Analyse institutioneller Dokumente, der Webseiten von Unternehmen und selbst-geführter Interviews mit relevanten Akteuren der Tierindustrie gelingt es Twine, die Motivationen und Argumente dieser Akteure herauszuarbeiten. Es wird gezeigt, wie die Mensch-Tier-Beziehung nicht nur im Zusammenhang mit sozialen Beziehungen steht, sondern auch, wie sie sich mit den Mechanismen des Kapitalismus verflicht, insbesondere mit der Vision von Biotechnologie als Mittel zur Gewährleistung von Fortschritt und damit von Wachstum. Ausgangspunkt dieser neuen Deutung ist die heute dominierende Vorstellung von wissensbasierter Ökonomie (knowledge-based economy). Diese hat die Erwartungen gegenüber der Biotechnologie beeinflusst, indem sie als Basis für eine neue Wachstumsepoche in der TierIndustrie diente. Besonders wertvoll ist Twines Analyse der ökonomischen Faktoren in der Entwicklung der DNA-Verifikation (Kommerzialisierung unterschiedlicher genetischer Tests zur Etablierung des ökonomischen Wertes einer Tierrasse). Vor dem Hintergrund des beherrschenden Wachstums-Diskurses bilden sich 57 17.11.2010 20:05:50 Uhr Literaturbericht spezifische neue Konstellationen der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, wie bspw. zwischen der Firma Viagen, die in der Tierzucht tätig ist, und der Firma MMI Genomics, die dagegen eher auf dem Haustiermarkt ist. Damit verändern sich auch teilweise ursprüngliche Ziele. Technologische Mittel werden dann auch für andere Verwendungen (wie bspw. für die Zucht und Zertifizierung reinrassiger Haustiere) gezielt weiterentwickelt, weil diese neue Profitmöglichkeiten eröffnen. Im dritten Teil seines Buches setzt sich Twine mit der zunehmenden Wechselwirkung des Diskurses um Nachhaltigkeit, Tier-Produktion und Konsum auseinander. Klimawandel als ethisches und politisches Thema ist relativ neu und stellt derzeit die größte Bedrohung für die kapitalistischen Erwartungen und Wachstumsnarrativen dar. Auch wenn die Umwelteffekte der Tierproduktion schon früher thematisiert wurden, so sind es insbesondere die neuen Veröffentlichungen über die Auswirkungen der Tier-Industrien auf Klimawandel und Umweltverschmutzung, mit denen sich die Wissenschaftler und Industrien vehement für einen grünen Kapitalismus einsetzten. In diesem gilt die Biotechnologie als Schlüssel für eine Lösung dieser Probleme. Die Idee der „livestock revolution“, also eine signifikan- te Zunahme der Fleisch-Produktion und des Fleisch-Konsums bis 2050, wird dazu verwendet, um einerseits eine Lösung für politische Probleme wie die vor allem in den Entwicklungsländern zunehmende Bevölkerung anzubieten und andererseits, um das Vertrauen in Biotechnologien als Symbole für Wachstum und Fortschritt zu verstärken. Im letzten Kapitel diskutiert Twine eine Alternative zu dieser „livestock revolution“, indem er sich auf Kritik an der Idee des ökonomischen Wachstums stützt und die Notwendigkeit betont, das heutige Verständnis von Konsum zu verändern und sich von der Logik einer „win-win“-Lösung zu verabschieden. Diese andere „Revolution“ kann durch die Beschäftigung mit alternativen, sozial verträglichen Formen von Konsum wie bspw. Vegetarismus und Veganismus profitieren, da der Verzicht auf tierische Produkte eine neue Deutung der Mensch-Tier-Beziehung verkörpert. Das Buch ist aufgrund seiner vielfältigen und gut dokumentierten Analyse sehr empfehlenswert für alle, die sich Gedanken um die ethische, politische und umweltökonomische Vertretbarkeit der Tier-Industrie in unserem molekularbiologischen Zeitalter machen. Arianna Ferrari 4 Theologische Ethik 4.1 Andrew Linzey: Why Animal Suffering Matters 224 Seiten, Oxford: University Press, 2009, Euro 24,99 Die Frage, ob Tiere leidensfähig sind oder nicht, ist keineswegs ein verstaubtes philosophisches Problem. Andrew Linzey zeigt in seinem Buch Why Animal Suffering Matters, wie wichtig es noch immer ist zu betonen, dass Tiere leidensfähige Wesen sind und dass diese Leidensfähigkeit ins Zentrum unserer ethischen Überlegungen zum Status der Tiere zu stellen ist. Linzey macht das aus einer originellen Perspektive, die der „animal theology“, zu deren Entstehung er schon vor vielen Jahren wesentlich beigetragen hat (siehe vor allem Animal Theology, SCM Press, London, 1994). Das Leiden der Tiere – so lautet eine Hauptthese des Buches (z.B. 39) – sei aus theologischer Sicht relevant, da es eine Komponente im Leiden aller unschuldigen tierischen und menschlichen Wesen gibt, die dieses Leiden dem Leiden von Christus ähnlich macht. Deshalb plädiert Linzey dafür, dass das Leiden der Tiere anerkannt wird und dass dieses Leiden so stark wie möglich vermindert werden soll. Diese zwei Forderungen sollen für Christen „auf der Tagesordnung“ stehen. Mit anderen Worten: Christen sollen nach Linzey anerkennen, dass „animal suffering matters“. Das Buch richtet sich aber nicht nur an gläubige Christen, wie Linzey mehrmals betont: Es wendet sich an erster Stelle an Studenten vor dem Diplom, die die ersten Schritte im Bereich 58 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 58 der Diskussion über die ethische Begründung des menschlichen Verhaltens gegenüber Tieren gehen wollen. Die strikt theologischen Argumente, wie eben das Christus-ähnliche Leiden aller unschuldigen Wesen, bleiben deswegen mehr oder wenig am Rande der Untersuchung, die das Leiden der Tiere auch mithilfe philosophischer Argumente als moralisch relevant beweisen möchte. Die von Linzey vorgeschlagene Argumentation soll alle Leser seines Buches überzeugen, dass das Leiden der Tiere jedes Mal in Betracht gezogen werden muss, wenn der Mensch Tätigkeiten ausübt, die den Tieren Schmerzen zufügen. In der einleitenden Untersuchung (Kapitel 1) fasst Linzey die Hauptargumente zusammen, die häufig verwendet werden, um moralisch relevante Differenzen zwischen Menschen und Tieren zu begründen, unter anderen die in der Geschichte der Philosophie immer wiederkehrenden Thesen, dass Tiere unvernünftige, sprachlose Wesen seien, dass Tiere nicht frei handeln könnten oder sogar dass Tiere keine (unsterbliche) Seele wie Menschen hätten. Die Folge sei immer, dass das Leiden der Tiere nicht mit dem Leiden der Menschen gleichzusetzen sei. Aber auch wenn wir zugeben, dass Tiere in der Tat keine frei handelnden, vernünftigen Wesen sind, die ihr Bestreben nicht sprachlich äußern können, dann – so Linzeys Schlussfolgerung – folgt daraus keineswegs die Erlaubnis für Menschen, mit den Tieren so umzugehen, wie sie möchten. Wenn Tiere aus moralischer Sicht unschuldig sind, dann wird die Verantwortung der Menschen gegenüber Tieren größer und nicht kleiner. Eben wegen dieser Unschuld, dieser Verletzbarkeit, behauptet Linzey, dass Tiere und Kinder aus ethischer Sicht ähnlich zu betrachtende Fälle seien: „These beings are more readily subject to us.“ (35) Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:50 Uhr Literaturbericht In den Kapiteln zwei bis fünf wählt Linzey als Beispiel drei vom Menschen ausgeübte Tätigkeiten aus, die Tieren Leiden verursachen. An praktischen Beispielen will er zeigen, warum das Leiden der Tiere eine zentrale Rolle in der moralischen Beurteilung dieser Tätigkeiten spielen muss und warum und wie menschliche Verantwortung gegenüber unschuldigen Tieren aussehen soll. Es handelt sich dabei um 1) die Jagd mit Hunden, mit dem Schwerpunkt auf der Fuchsjagd (ein für englische Leser aktuelles Thema), 2) die industrielle Pelzproduktion und 3) die Robbenjagd. In diesen drei Fällen wird den Tieren großes Leiden zugefügt, und die moralische Relevanz dieses Leidens ist Linzeys Ausgangspunkt. An dieser Stelle ist es interessant zu bemerken, dass ein wichtiger, von der englischen Staatsregierung in Auftrag gegebener Bericht über Fuchsjagd (Report of the Committee of Inquiry into Hunting with Dogs in England and Wales, chaired by Lord Burns, London, 2000. Siehe z.B. 81), die Existenz jeglichen Leidens bei Tieren während der Jagd anzuzweifeln scheint. Leiden Tiere wirklich? Und wenn nicht, stellt dann die Fuchsjagd, genau wie die Pelzindustrie und die Robbenjagd, noch ein moralisches Problem dar? Linzey behauptet, dass es von zentraler Relevanz sei, die Existenz dieses Leidens anzuerkennen und die Fuchsjagd auf der Basis der Wirklichkeit der Schmerzen, die sie verursacht, zu beurteilen. Mit genauem Bezug auf medizinisches und juristisches Datenmaterial sowie unter Berufung auf wichtige Aspekte der heutigen philosophischen und theologischen Debatte über den Status von Tieren führt Andrew Linzey die Leser überzeugend zu dem Schluss, dass die Regierungen die Fuchsjagd, die Pelzproduktion und die Robbenjagd verbieten sollen. Es ist wichtig, betont Linzey, die Änderungen unserer ethischen Haltung gegenüber Tieren gesetzlich zu steuern „ (…) we need to reject the institutionalisation of animal suffering.“ (157) Die Staatsregierungen haben also eine moralische Verpflichtung, das Leiden der Tiere konsequent zu vermindern. Die Schlussfolgerung von Andrew Linzey ist einleuchtend: Die von ihm detailliert dargestellten Beispiele zeigen deutlich, dass das Leiden der Tiere in den drei erwähnten Fällen zu ethischen Bedenken führt, die wir als Konsumenten, aber auch vor allem unsere Regierungen unbedingt in Betracht ziehen sollten. Im Folgenden möchte ich auf einige Aspekte von Linzeys Argumentation hinweisen, die meines Erachtens erklärungsbedürftig sind. Das sei aber nicht im Sinne einer Kritik, sondern als Anregung für die Entwicklung einer Debatte über diese Studie des britischen Theologen zu verstehen – eine Debatte, die das Buch in der Tat anregen möchte (Kapitel 1). Wie Linzey am Schluss in einer Reihe von Bemerkungen behauptet, könnte man ihm vorwerfen, dass er anhand von drei relativ unverfänglichen Fällen argumentiert. Kann man dieselben Beweise verwenden, um zum Beispiel gegen die Schlachtindustrie tout court zu plädieren? Linzey schreibt: „These cases constitute object lessons in how unseriously humans take their responsibility to animals. That doesn’t mean, of course, that they should be the limit of our concern for suffering animals; on the contrary, all suffering inflicted on animals can and should be exposed to similar critiques.“ (156) In den Kapiteln zwei bis fünf besteht Linzey aber auf der Tatsache, dass die Jagd, die Pelzindustrie und die Robbenjagd den Tieren unnötiges Leid zufüAltexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 59 gen – unnötig, weil Menschen keine erheblichen Nachteile aus dem Verzicht dieser Aktivitäten entstehen würden. Linzey meint (Kapitel 5), dass es unmöglich sei, Robben zu töten, ohne ihnen große Schmerzen zuzufügen. Der Leser fragt sich: Falls es möglich sein oder werden sollte, Robben schmerzfrei zu schlachten, bliebe die Schlussfolgerung noch gültig, die Robbenjagd sei zu verbieten? Stellt das Leiden der Tiere grundsätzlich ein moralisch relevantes Problem dar, oder nur im Fall von unnötig verursachtem Leid? Ist es grundsätzlich moralisch verwerflich, Unschuldige zu töten oder nicht (siehe dazu auch Linzeys Auseinandersetzung mit Peter Singer, 152 ff.)? Mit anderen Worten: Ist es grundsätzlich ungerecht, Tieren Leiden zuzufügen, oder nur in den Fällen, in denen das Leiden der Tiere im Rahmen der Ausübung einer sogenannten „Sportart“, der Jagd, oder der Produktion von Luxusartikeln, wie zum Beispiel Pelzen, verursacht wird? Diese, wie mir scheint, zentrale Frage bleibt im Hintergrund von Linzeys Argumentation, sie wird zwar am Ende des Buches direkt gestellt, aber auch da nicht ausführlich behandelt. Linzey deutet nur an, dass in allen Fällen ähnlich argumentiert werden könnte, wenn Tieren Leiden zugefügt wird: Ob dieselben Beweise verwendet werden können, ohne auf das Argument vom „unnötigen Leid“ zu rekurrieren, ist nicht deutlich. Als besonders irreführend erweist sich die Verwendung des Ausdrucks „humane slaughter“ (z.B. 122 und 133): Zum einen, weil nicht erklärt wird, wie „menschenwürdiges Schlachten“ zu definieren ist, ob es einfach Schlachten ohne (große?) Schmerzen bedeutet. Zum anderen, weil dieser Ausdruck andeutet, dass „humane slaughter“ ethisch erlaubt sein könnte. Wer andere Werke von Andrew Linzey und insbesondere Animal Theology gelesen hat, weiss, dass er nicht meint, dass man Tiere ethisch sorglos weiterhin schlachten und nutzen dürfe, wenn man ihr Leiden vermindern könnte. Eben darum macht Linzey im letzten Kapitel von Why Animal Suffering Matters darauf aufmerksam, dass Autoren wie z. B. Ros Godlovitch nicht nur das Leiden der Tiere, sondern auch den Wert ihres Lebens in den Mittelpunkt ihrer Überlegung stellen (158). Wer allein auf das Leiden abhebt, könnte das folgende unangenehme Problem bekommen: Falls das Leiden eliminiert oder deutlich vermindert werden könnte, dann könnte die – schmerzfreie! – Ausbeutung von Tieren nicht mehr gestoppt werden. Ausführlichere Erklärungen zu diesem Punkt würden die Argumentation von Linzey deutlich stärken. Das Leiden als zentrales Argument führt zu einer noch grundsätzlicheren Frage: Sind alle Tiere in gleichem Maße leidensfähig? Oder können einige Tierarten mehr leiden als andere? Linzey versucht, auf diese Frage schon am Anfang des Buches zu antworten, wo er eine m. E. höchstproblematische Definition vom „Tier“ vorschlägt: „What is important is the recognition (informed by scientific evidence) that mammals, at least, experience both pain and suffering. ‚Animal‘ refers to mammals and birds where such suffering may be reasonably supposed. Whether suffering extends wider than the class of beings here envisaged is an important question, but its resolution in no way affects my argument.“ (10, siehe auch 71) Diese Definition hängt mit der Unterscheidung zwischen „suffering“ und „pain“ zusammen: Laut Linzey ist unter „suffering“ die mentale Dimension der Schmerzempfindung (pain) zu verstehen. Ob und wo genau 59 17.11.2010 20:05:50 Uhr Literaturbericht die Grenze zwischen rein körperlicher Schmerzempfindung und der mentalen Ebene dieses Leidens gezogen werden kann, ist ein schwerwiegendes Problem, das nicht in Betracht gezogen wird. Deshalb werden die Gründe für diese drastische Einschränkung der Leidensfähigkeit von Tieren auf Säugetiere und Vögel, deren Leiden für die im Buch darauf folgende Argumentation moralische Relevanz hat, nicht deutlich dargelegt. Fische, Amphibien oder Reptilien sind zum Beispiel ohne weiteres aus dieser Definition ausgeschlossen. Daher die Frage: Dürfen wir diese Tiere, deren Leiden Linzey nicht auf die selbe Stufe wie das Leiden von Säugetieren und Vögeln zu stellen scheint, ohne ethische Bedenken weiterhin quälen, ausnützen, essen? Darüber hinaus, was meint Linzey, wenn er sagt, dass zumindest bei Säugetieren das Leiden venünftigerweise angenommen werden könne? Die Frage, ob und wie wir zwischen der Leidensfähigkeit der verschiedenen Tierarten unterscheiden können, wird in Linzeys Buch nicht klar beantwortet. Nur bei Säugetieren und Vögeln die Leidensfähigkeit im Sinne von „suffering“ anzuerkennen, ist keine einleuchtende Entscheidung oder würde zumindest einer detaillierten Erklärung bedürfen. In Why Animal Suffering Matters wird sie nicht ausgeführt. Die zentrale Bedeutung dieser Überlegungen spiegelt sich auch in einem Thema wieder, das Andrew Linzey in diesem Buch nicht direkt aufgreift, nämlich die ethische Verpflichtung zu einer vegetarischen Diät. Der Autor deutet an, dass die Entscheidung, vegetarisch zu leben, eigentlich in diesem Kontext 4.2 Matthias Beck: MenschTier-Wesen. Zur ethischen Problematik von Hybriden, Chimären, Parthenoten 342 Seiten, Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2009, Euro 34,90 Die von dem katholischen Theologen und studierten Mediziner vorgelegte Monographie behandelt ein äußerst aktuelles und komplexes Thema: Die anthropologische und ethische Analyse von sogenannten Mensch-Tier-Mischwesen in embryonalen Stadien. Die Erzeugung von Chimären, Hybriden und anderen embryonalen Mischformen steht vor allem als alternativer Gewinnungsweg von embryonalen humanen Stammzellen in der Diskussion. Es geht darum, entweder die als ethisch problematisch bewertete Zerstörung von menschlichen Embryonen zu umgehen oder entwicklungsbiologisch neue Erkenntnisse zu erzielen. Das Buch ist in einem Dreischritt aufgebaut: Im ersten Teil werden die aktuellen naturwissenschaftlichen Grundlagen zu den verschiedenen Mensch-Tier-Mischformen in ihren frühen Entwicklungsstadien dargelegt. Dabei ist beeindruckend, dass es inzwischen eine breite Palette unterschiedlicher Formen gibt: Zum einen gibt es „klassische“ Klone nach der Dolly-Methode, zum anderen werden neue Formen des „altered nuclear transfer“ 60 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 60 von zentraler Bedeutung sei („We need to move from an anthropocentric – indeed, gastrocentric – view of animals“, 56). Der Leser könnte aber fragen, ob das moralische Verbot, Tiere zu essen, nur für Säugetiere und Vögel gelten solle, während zum Beispiel Fische als leidensunfähige (?) Wesen (z.B. 145) weiterhin gegessen werden dürften. Eine mögliche, vorläufige Lösung ist folgende: Linzey präsentiert seine Arbeit als einen ersten Baustein in einem größeren Plan, der das Leiden der Tiere – aller Tiere? – vermindern soll. In dieser Hinsicht ist Linzeys Argumentation für das Verbot von Fuchsjagd, Pelzproduktion und Robbenjagd nur der erste Schritt, um dieses Ziel zu erreichen. Aus Linzeys Perspektive scheint zwangsläufig zu folgen, dass ethische Bedenken auf das Leiden aller leidensfähigen Wesen zu erweitern sind, wobei die Kriterien für die Anerkennung der Leidensfähigkeit, oder des Grades von Leidensfähigkeit, präziser entwickelt werden müssten. Das Motto des Oxford Centre for Animal Ethics, das Andrew Linzey an der University of Oxford als Direktor leitet, ist das folgende: „Putting animals on the intellectual agenda.“ Mit seinem Buch über die ethische Relevanz der Leidensfähigkeit der Tiere hat Linzey einen beachtenswerten Beitrag geleistet, um die Diskussion über die Ausbeutung der Tiere auf die Tagesordnung zu setzen. „It is an attempt to meet people where they are – and take them further“, schreibt der Autor am Schluss. Zu wünschen ist, dass diesem wichtigen, ersten Schritt viele andere folgen. Cecilia Muratori diskutiert, bei denen die entstandenen Klone in der folgenden Entwicklung genetisch so stark eingeschränkt wären, dass sie sich nicht zu einem eigenständigen Lebewesen entwickeln könnten. Des Weiteren gibt es Hybride, welche von der Zeugung an aus verschiedenen Spezies-Genomen entstammen, sowie Chimären, welche Wesen mit Zellen oder Organen verschiedener Spezies sind. Schließlich stehen noch Parthenoten bzw. Mole zur Diskussion, die ebenfalls in der Forschung erzeugt werden sollen. Dabei handelt es sich um Wesen, die ausschließlich aus weiblichen oder männlichen Keimzellen entstammen. Weiterhin wird noch eine Methode diskutiert, bei der Ei- und Samenzellen direkt aus embryonalen Stammzellen gewonnen werden. Im zweiten Teil legt der Autor seine naturphilosophischen und theologischen Prämissen dar, die sich an drei Leitautoren orientieren: Aristoteles, Thomas von Aquin und Martin Heidegger. Die vorrangige Frage in der kombinierten Vorstellung der drei Autoren ist, inwiefern das Verständnis von Leben/Lebendigkeit ethische Orientierung bieten kann. Im letzten Teil versucht der Autor dann, die vorangegangenen theoretischen Überlegungen auf die Bewertung der verschiedenen konkreten Wesensformen anzuwenden. Es ist dabei wichtig anzumerken, dass sich die vorgelegte Bearbeitung auf zwei Aspekte konzentriert. Zum einen geht es ausschließlich um eine moraltheologische (eher katholisch, anthropozentrisch orientierte) Bewertung, ob es legitim ist, solche Wesen zu erzeugen. Diese Analyse klammert die säkulare Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:50 Uhr Literaturbericht Ethik-Diskussion weitgehend aus. Zum anderen geht es um die anthropologische (gemäß dem Verständnis des Autors: ontologische) Einordnung derartiger Mischwesen im frühen Entwicklungsstadium, die m.E. sogar vorrangig zu betrachten ist. Als Grundaxiom entwickelt Beck das von Heideggers Naturphilosophie entlehnte Prinzip der Bewegtheit des Lebendigen. Das Lebendige sei neu zu definieren – gerade unter Rücksicht auf neuere Erkenntnisse der Epigenetik und neuronaler Netzwerke – als „ein sich in Bewegung befindender dialogischer Prozess des ständigen Abgleichs, Ausgleichs und Angleichs der verschiedenen Faktoren untereinander“ (303). Der Autor veranschaulicht diese Problematik mit dem durchaus gerechtfertigten Verweis auf die vorherrschende semantische Verunsicherungen – wie soll man diese Wesen eigentlich benennen? Daher wirft er immer wieder zahlreiche komplexe Fragen auf, ob und wie man die unterschiedlichen Mischwesen nun gemäß den Kriterien der Form, Materie, der Gerichtetheit und inneren Geordnetheit den menschlichen Embryonen zuordnen müsse. Wenn dies zutrifft, wie im Fall der Dolly-Klone, der Embryonen aus künstlichen Keimzellen, der Chimären und der schwergeschädigten, aber trotzdem eine gewisse Zeit lebensund weiterentwicklungsfähigen Embryonen, so argumentiert er im Sinne eines absoluten Lebensschutzes, dass sich ihre Herstellung moralisch verbiete. Dem Autor dabei immer in seiner Argumentation zu folgen, ist kein leichtes Unterfangen, was u.a. daran liegen mag, dass sprachlich und argumentativ sehr hermetisch vorgegangen wird. Auch die des Öfteren auftretenden Redundanzen zwischen und innerhalb der Kapitel tragen nicht immer zur besseren Verständlichkeit bei. Es bleibt leider offen, inwiefern sich die vorgelegte Argumentation aus naturphilosophischer und moraltheologischer Sicht systematisch und inhaltlich von den SKIP-Argumenten zum moralischen Status des Embryos in der sekulär-philosophischen Debatte unterscheidet. SKIP steht für die Zusammenfassung der Hauptargumente, welche für einen ethisch begründeten Schutz menschlicher Embryonen plädieren. Dabei bedeuten: S = Spezieszugehörigkeit, K = Kontinuität in der Entwicklung, I = Identität zwischen Embryo und Person und P = Potentialität zur Entwicklung in eine Person. In dieser bereits seit längerem laufenden Debatte um die Einschlägigkeit und Plausibilität dieser Argumente ging und geht es auch immer um anthropologische Aspekte. Denn obwohl der Autor die Einschlägigkeit der SKIP-Argumente mehrfach für seine Problemstellung zurückweist, so ist doch auffällig, wie häufig er an entscheidenden Stellen mit dem „Potential“-Argument operiert. Hier könnte ein systematischer Vergleich zur säkularen Debatte weiterhelfen. Silke Schicktanz 5 Rechtsfragen und Rechtsentwicklung 5.1 Kristin Köpernik: Die Rechtsprechung zum Tierschutzrecht: 1972 bis 2008 262 Seiten, Frankfurt am Main: Verlag Peter Lang, 2010, Euro 54,80 Ausgangspunkt der von der Freien Universität Berlin abgenommenen rechtswissenschaftlichen Dissertation von Kristin Köpernik ist die 2002 eingeführte Staatszielbestimmung in Artikel 20a des deutschen Grundgesetzes (GG). Die Norm verpflichtet den Staat, die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmässigen Ordnung durch Gesetzgebung und Rechtsprechung zu schützen. Ziel der Autorin ist es einerseits, anhand höchstrichterlicher Jurisdiktion aufzuzeigen, inwieweit in den tierschutzrelevanten Entscheidungen seit Inkrafttreten des deutschen Tierschutzgesetzes (TierSchG) 1972 bis 2002 bereits Argumente für oder gegen eine Erhebung des Tierschutzes in den Rang eines verfassungsrechtlich geschützten Guts vorhanden waren. Anderseits soll analysiert werden, inwiefern sich die 2002 erfolgte GG-Änderung auf die Rechtsprechung ausgewirkt hat. Im ersten Kapitel erläutert Köpernik die für die zu behandelnden Fragen zentralen Begriffe Tierschutz und Staatsziel, um darauf aufbauend den tatsächlichen Inhalt und Umfang des Staatsziels Tierschutz im Sinne von Art. 20a GG darzulegen. Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 61 Die Bestimmung ist umfassend zu verstehen, weil der verfassungsmässige Schutz sämtliche Tierarten umspannt und nicht nur den Staat selbst, sondern sämtliche Institutionen des öffentlichen Rechts bindet. Auch genügt es nicht, dass der Gesetzgeber es vermeidet, gegen die Prinzipien des Tierschutzes (wonach Tiere vor Leiden und Schmerzen bewahrt werden sollen) zu verstossen. Vielmehr obliegt ihm die Pflicht zum Erlass positiver Massnahmen zum Schutz der Tiere. In einem weiteren Schritt zeigt die Autorin auf, wie die drei Staatsgewalten sich gegenseitig beeinflussen, wobei sie besonderes Augenmerk auf das Verhältnis der Judikative zur Legislative legt. Dabei wird deutlich, dass die Gerichte in engen Grenzen auch gesetzgeberisch tätig sind, etwa durch die Schliessung von Gesetzeslücken, und bis zu einem gewissen Grad als „informeller Gesetzgeber“ auch Einfluss auf die Legislative nehmen können. Den Hauptpunkt der Arbeit bildet die gründliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung zum Tierschutzgesetz seit dessen Inkrafttreten (1972). Dabei geht die Autorin – geordnet nach Themen wie etwa Tierhaltung, Tötung von Tieren oder Tierversuche – zunächst auf die diversen tierschutzrechtlichen Entscheidungen des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts bis zur Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz (2002) ein. Die Urteile werden dabei insbesondere im Hinblick auf Anhaltspunkte analysiert, die für die Frage relevant sind, ob dem Tierschutz Verfassungsrang zuzuerkennen sei. Anschliessend widmet sich Köpernik den seit 2002 ergangenen Entscheidungen sämtlicher deutscher Gerichte zu den jeweiligen Themen 61 17.11.2010 20:05:50 Uhr Literaturbericht und untersucht, wie die verfassungsrechtliche Verankerung des Tierschutzes die Rechtsprechung beeinflusst hat. Die Autorin gelangt zum Schluss, dass die Gerichte dem Tierschutz bereits vor 2002 einen sehr hohen Stellenwert zuwiesen. In vielen Entscheidungen wurde er indirekt bereits wie ein Verfassungsgut berücksichtigt, wobei namentlich im Bereich Tierversuche ein Grossteil der rechtlichen Ausführungen ihrer Meinung nach verfassungsdogmatisch nicht haltbar war. So etwa bedeutete die in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1978 festgelegte Beschränkung von Tierversuchen auf ein unumgängliches Mass einen Eingriff in die Forschungsfreiheit, der eigentlich nur unter Berufung auf andere Verfassungsgüter hätte erfolgen dürfen. Zudem stellt Köpernik fest, dass einzelne Themenkomplexe seit der Aufnahme des Tierschutzes in das GG von den Gerichten uneinheitlich behandelt werden. Auffallend ist dies vor allem im Bereich des Schächtens aus religiösen Gründen, für das gemäss § 4 Abs. 2 Nr. 2 TierSchG eine Ausnahmegenehmigung erforderlich ist. So halten gewisse Gerichte an der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts in einem Urteil von 2002 fest, das aber noch vor der Erhebung des Tierschutzes zum Staatsziel erging. Dieses besagt, der Antragssteller müsse lediglich substantiiert und nachvollziehbar das Vorliegen zwingender religiöser Vorschriften darlegen, wonach ausschliesslich der Verzehr von Fleisch betäubungslos geschlachteter Tiere erlaubt sei. Dies wird mitunter damit begründet, dass dem Tierschutz in besag- 5.2 Eveline Schneider Kayasseh: Haftung bei Verletzung oder Tötung eines Tieres – unter besonderer Berücksichtigung des schweizerischen und U.S.amerikanischen Rechts 287 Seiten, Zürich, Basel, Genf: Schulthess Juristische Medien AG, 2009, Euro 45,00 Ausgangspunkt der von der Universität Zürich abgenommenen Dissertation von Eveline Schneider Kayasseh ist die Frage nach der haftpflichtrechtlichen Ersatzleistung bei einer Verletzung oder Tötung von Tieren, insbesondere von Heimtieren. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt dabei auf der schweizerischen und US-amerikanischen Rechtslage, wobei regelmässig auch die Lehre und Rechtsprechung anderer Staaten, in erster Linie Deutschlands und Österreichs, vergleichend beleuchtet werden. Einleitend vermittelt die Autorin einen bis in die Frühantike zurückreichenden rechtshistorischen Überblick über die Entwicklung der Mensch-Tier-Beziehung und die Ersatzpflicht bei 62 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 62 tem Urteil bereits ein so hoher Stellenwert eingeräumt worden wäre, dass eine weitergehende Wirkung von Art. 20a GG nicht ersichtlich sei. Von anderen Gerichten hingegen wird der Nachweis über das Vorliegen zwingender Vorschriften gefordert oder dieses sogar objektiviert überprüft. Um das zum Teil stark divergierende staatliche Handeln zu vereinheitlichen, schlägt die Autorin verschiedene Modifikationen des Tierschutzgesetzes vor. Sie fordert etwa, dass der Gesetzgeber für jede Tierart spezielle Haltungsvorschriften aufstellt oder dass die Voraussetzungen für das Erteilen einer Genehmigung zum betäubungslosen Schlachten klarer formuliert werden. Zudem sind ihrer Ansicht nach einige Normen des Tierschutzgesetzes aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit der Staatzielbestimmung anzupassen. So seien beispielsweise die Haltung gewisser Wildtiere in Zirkussen oder die Hetzjagd nicht ohne weiteres mit Art. 20a GG vereinbar. Abschliessend sind alle tierschutzrechtlichen Entscheidungen von 1972 bis 2008 tabellarisch aufgelistet und nach Gesetzesartikel geordnet, sodass sich der Leser schnell einen guten Überblick über die diversen Urteile verschaffen kann. Insgesamt liegt eine hoch interessante und gut recherchierte Arbeit vor, die durch unzählige Quellenangaben ausgezeichnet dokumentiert ist. Für die Probleme im Zusammenhang mit dem noch relativ neuen Staatsziel bietet die Autorin praktikable Lösungsvorschläge, um dem hohen Stellenwert, der dem Tierschutz durch Art. 20a GG eingeräumt wurde, gerecht zu werden. Gieri Bolliger widerrechtlichen Schädigungen von Tieren durch Dritte. Aufgezeigt wird dabei, dass schon früheste Kulturen Tieren eine herausragende Bedeutung beigemessen haben. So etwa geht aus den Überlieferungen Herodots hervor, dass das Töten einer Katze im alten Ägypten für den Täter die Todesstrafe zur Folge hatte. Im Anschluss widmet sich Schneider Kayasseh dem geltenden Recht und der Frage nach dem juristischen Status von Tieren. Nach eidgenössischem Recht sind diese seit 2003 keine Sachen mehr (wie dies in Deutschland und Österreich schon länger der Fall ist). Die hierfür grundlegende Bestimmung von Art. 641a des Zivilgesetzbuchs (ZGB) hat jedoch in erster Linie deklaratorischen Charakter; Tiere stellen also auch in der Schweiz noch immer Rechtsobjekte und keine Rechtssubjekte dar. Auch gelten nach wie vor weitgehend die auf Sachen anwendbaren Regelungen. Anders als in der schweizerischen Gesetzgebung sind Tiere in den USA rechtlich noch immer den Sachen gleichgestellt, was dort allerdings zunehmend auf Kritik stösst. Der Hauptteil der Arbeit befasst sich mit den zivilrechtlichen Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen bei der Verletzung oder Tötung von Tieren. Hier manifestieren sich einige bedeutende Unterschiede zwischen der Schweiz und den USA. Besonderes Augenmerk gilt einerseits dem 2003 in der Schweiz Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:51 Uhr Literaturbericht in Kraft getretenen Art. 42 Abs. 3 des Obligationenrechts (OR), wonach einem geschädigten Tierhalter die angemessenen Heilungskosten für ein verletztes Tier auch dann zu ersetzen sind, wenn sie den materiellen Tierwert übersteigen. Die Autorin geht insbesondere auch darauf ein, was in diesem Zusammenhang als „angemessen“ zu betrachten ist. Die Regelung kommt jedoch nur bei ausschliesslich aus emotionalen – nicht aber aus finanziellen – Gründen gehaltenen Tieren zur Anwendung. In den USA hingegen ist es nicht üblich, dass über den Marktwert des Tieres hinausgehende Heilungskosten ersetzt werden. Anderseits kann der Halter eines verletzten oder getöteten Tieres in der Schweiz seit 2003 auch den emotionalen Wert der Mensch-Tier-Beziehung (sogenannter Affektionswert; Art. 43 Abs. 1bis OR) geltend machen. Dieser „Liebhaberwert“ ergibt sich aus der individuellen Gefühlsbeziehung des Eigentümers zum Tier und wird somit nach einem subjektiven Massstab ermittelt. Die Autorin zeigt auf, welche Faktoren für die Bemessung einbezogen werden müssen, wobei der Ersatz des Affektionswerts ihrer Meinung nach vor allem von der Intensität und Dauer der Beziehung zwischen dem Halter und seinem Tier abhängen und zwischen 500 und 8000 Franken betragen sollte. Bei der gründlichen Untersuchung der Bestimmung zeigt die Autorin die Problematik der unterschiedlichen Auffassungen zur Auslegung des Begriffs auf, stellt aber auch klar, dass der Gesetzgeber durch die Einführung von Art. 43 Abs. 1bis OR nicht die Mensch-Tier-Beziehung in die Nähe der Beziehung zwischen Menschen zu stellen, sondern vielmehr von der Beziehung zur Sache abzugrenzen beabsichtigte. Der bei der Einführung der Norm geäusserten Befürchtung, in der Schweiz könnten bald „amerikanische Verhältnisse“ herrschen und den geschädigten Tierhaltern unverhältnismässig hohe Summen zugesprochen werden, begegnet Schneider Kayasseh mit dem Einwand, dass in den USA selbst gar keine „amerikanischen Verhältnisse“ bestünden. Anders als in der Schweiz stellt die Berücksichtigung des emotionalen Werts der Mensch-Tier-Beziehung bei der Schadenersatzbemessung in den USA nämlich einen Ausnahmefall dar. Zwar sprechen Lehre und Praxis dem sogenannten „loss of companionship“, der zumindest in einzelnen Bundesstaaten bei der Tötung oder schweren Verletzung eines Angehörigen ein Element des Schadenersatzes bildet, das Potential eines selbstständigen Klagegrunds auch bei der Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 63 Tötung oder Verletzung von Tieren zu. Allerdings wurden entsprechende Klagen bisher meist abgewiesen. Werden Tierhaltern hohe Entschädigungen zugesprochen, ist dies in der Regel auf sogenannte „punitive damages“ zurückzuführen, also auf Strafschadenersatz, zu dessen Zahlung der Schadenverursacher im Falle seines besonders verwerflichen Verhaltens verpflichtet werden kann. In der Schweiz sind „punitive damages“ aufgrund ihres pönalen Charakters aber nicht mit den Grundsätzen der Schadens- und Ersatzbemessung vereinbar und daher ein Verstoss gegen die ordre public. Insgesamt betrachtet Schneider Kajasseh die neue Regelung von Art. 43 Abs. 1bis OR kritisch. Ihrer Ansicht nach hätte es zu mehr Klarheit geführt, den Affektionswert als separaten Schadensposten in Art. 42 OR aufzuführen, um diesen besser von der Genugtuung nach Art. 49 OR abzugrenzen. In einem weiteren Kapitel analysiert sie die Frage der vertraglichen Haftung am Beispiel des Tierarztes, wobei sie insbesondere auf in der Praxis bedeutsame Aspekte wie das Mass der anwendbaren Sorgfalt, die Aufklärungs- und die Dokumentationspflicht eingeht. Die tierärztliche Haftung in den USA beleuchtet die Autorin anhand des am häufigsten aufgerufenen Klagegrunds der „veterinary malpractice“. Bei einer abschliessenden Gegenüberstellung kommt die Autorin zum Resultat, dass sich die schweizerische Gesetzgebung gegenüber der amerikanischen als progressiver erweist. Als Gründe dafür nennt sie in erster Linie die Lösung der Tiere vom Sachstatus sowie die erwähnten Bestimmungen, wonach die Heilungskosten des Tieres auch über dessen Marktwert hinaus ersetzt werden und der geschädigte Tiereigentümer den Affektionswert geltend machen kann. Dies unterstreiche den hohen Wert der Mensch-Tier-Beziehung und helfe dabei, die Gesellschaft hierfür zu sensibilisieren. Insgesamt liegt eine gut recherchierte und insbesondere auch aufgrund ihres rechtsvergleichenden Ansatzes sehr wertvolle Abhandlung vor, die dem Leser einen breiten Überblick über die rechtliche Lage bezüglich der Haftung für verletzte oder getötete Tiere in den behandelten Staaten vermittelt. Schneider Kayasseh bringt die neuen Haftungsnormen gut verständlich näher und liefert vor allem auch dem Praktiker wertvolle Lösungsansätze. Gieri Bolliger 63 17.11.2010 20:05:51 Uhr Literaturbericht 5.3 Maria Biedermann: Überwachung und Kontrolle genehmigungspflichtiger Tierversuche vergleichend in Deutschland und Großbritannien 217 Seiten, Berlin: Mensch und Buch Verlag, 2009, Euro 38,00 Die Tierärztin Maria Biedermann untersucht und vergleicht im ihrem Dissertationsprojekt, wie die betriebsinterne und die behördliche Überwachung und Kontrolle genehmigungspflichtiger Tierversuchsvorhaben (regulated procedures) in Deutschland und in Großbritannien von statten gehen. Ziel der Doktorarbeit ist es, die Effizienz des 1986 mit der Einführung des Tierschutzbeauftragten grundlegend veränderten Überwachungssystems vor dem Hintergrund der erneut anstehenden Novellierung des Tierschutzrechts zu überprüfen. Das Überwachungssystem soll mit dem in Großbritannien verglichen werden, da Großbritannien in Tierschutzbelangen als vorbildlich gilt. Da beide Länder der Europäischen Union angehören, sind die Europa-rechtlichen Grundlagen dieselben: Richtlinie 86/609/ EWG des Rates vom 24. November 1986 zur Annäherung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere und das Europäische Übereinkommen zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere vom 18. März 1986 (ETS 123). Die Umsetzung erfolgt dagegen unterschiedlich. In Deutschland ist die Überwachung der Tierversuchsdurchführung und der Versuchstierhaltungen der nach dem jeweiligen Landesrecht zuständigen Behörde unterstellt (§ 15 Abs. 1 Tierschutzgesetz). In vier Bundesländern (Berlin, Hamburg, Saarland und Sachsen) obliegt die Überwachung der Genehmigungsbehörde, in den anderen Bundesländern ist das nachgeordnete Veterinäramt für die Überwachung zuständig. Die betriebsinterne Überwachung erfolgt in Deutschland durch Tierschutzbeauftragte, die jede Einrichtung, die Tierversuche durchführen will, bestellen muss (vgl. § 8 b Tierschutzgesetz). Der Tierschutzbeauftragte muss unter anderem für die Einhaltung von Vorschriften, Bedingungen und Auflagen im Interesse des Tierschutzes sorgen. Tierversuche wurden in Großbritannien aus dem Animal Welfare Act 2006 ausgeklammert. Die Anforderungen der Richtlinie 86/609/EWG wurden mit dem Animals (Scientific Procedures) Act 1986 umgesetzt. Die Genehmigung und Überwachung von Tierversuchen ist in Großbritannien zentral geregelt: Zuständige Behörde ist das Home Office (Innenministerium). Die hier ansässige Science and Research Group besteht aus der Animal Scientific Procedures Division, bei der die Anträge auf Genehmigung eingehen und geprüft werden, und dem Animal (Scientific Procedures) Inspectorate, welches die Tierversuchsabteilung bezüglich der Tierversuchsanträge berät und für die Überwachung vor Ort zuständig ist. Die betriebsinterne Kontrolle erfolgt in GB durch Ethical Review Processes. Ethical Review Processes 64 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 64 werden von mehreren Personen durchgeführt, die überwiegend der Einrichtung angehören. Sie sollen zu einer verbesserten Kommunikation und Kooperation zwischen allen Ebenen der Einrichtung führen. Außerdem sollen sie retrospektive Projektbeurteilungen vornehmen. Eine verpflichtende innerbetriebliche Kontrolle, wie sie in Deutschland nach § 8 b TierSchG vorgeschrieben ist, existiert jedoch im britischen Animals (Scientific Procedures) Act 1986 nicht. Neben der Auswertung der Literatur der letzten 20 Jahre hat Biedermann Daten mittels Fragebögen erhoben. Fragebögen wurden sowohl an die überwachenden Behörden als auch an die Personen, die für die betriebsinterne Kontrolle zuständig sind, verschickt. Die Beteiligung an der Fragenbogenaktion war unterschiedlich hoch. So füllten knapp die Hälfte der überwachenden deutschen Behörden (47%) den Fragebogen aus. Die Beteiligung der deutschen Tierschutzbeauftragten war mit 22% gering. Dies lag vermutlich daran, dass sich die Gesellschaft für Versuchstierkunde (GV-SOLAS) ihren Mitgliedern gegenüber gegen eine Teilnahme ausgesprochen hatte. Weshalb sie dies tat, kann nicht nachvollzogen werden. Die Fragebögen an das Home Office wurden komplett beantwortet zurückgesendet. Der Rücklauf der Fragebögen an die Ethical Review Processes war mit ca. 6 % sehr gering. Die britische Laboratory Animal Science Association (LASA) entschuldigte sich für die schwache Teilnahme. Diese könnte daran gelegen haben, dass es zu der Zeit der Umfrage zahlreiche andere Untersuchungen gegeben habe, die zu einer Überlastung geführt haben könnten. Die Auswertung der Fragebögen ergab, dass behördliche Überwachungsbesuche in beiden Ländern möglichst häufig durchgeführt werden und das wichtigste Kontrollmittel darstellen. Überwachungsbesuche und andere Überwachungsmaßnahmen sind jedoch in Deutschland aufgrund der unzureichenden Personalausstattung stark limitiert. Es findet durchschnittlich einmal jährlich ein Besuch in jeder deutschen Einrichtung statt, in Großbritannien hingegen im Durchschnitt 11 Besuche pro Jahr. In Großbritannien findet ca. die Hälfte aller Überwachungsbesuche unangemeldet statt. In Deutschland hingegen sind unangekündigte Begehungen eine Seltenheit. Nur nicht angekündigte Besuche ermöglichen einen authentischen Einblick in den Alltag der Einrichtung. Das britische Überwachungspersonal ist entsprechend qualifiziert. In den Bundesländern in Deutschland, in denen die Überwachung einer anderen Behörde obliegt als die Genehmigung, kann die Qualifikation des Überwachungspersonals jedoch Anlass zur Diskussion geben. Die Veterinärämter, die in allen Bundesländern außer in Berlin, Hamburg, Saarland und Sachsen für die Überwachung der Tierversuche zuständig sind, haben oft weder Zeit für die Überwachung von Tierversuchen noch verfügen sie über ausreichendes Wissen, da sie sich im Gegensatz zur genehmigenden Behörde nicht eingehend mit dem Thema beschäftigen können. Die teils geteilten Zuständigkeiten für Genehmigung und Überwachung und der uneinheitliche Vollzug auf Bundesebene in Deutschland werden zu Recht kritisiert. Die Mängel und Verstöße waren im Untersuchungszeitraum – den Jahren 2001 bis 2005 – in beiden Ländern mannigfaltig und reichten von leicht bis schwerwiegend. Biedermanns Untersuchung ergab, dass mehrfach nicht genehmigte oder vom Altexethik 2010 17.11.2010 20:05:51 Uhr Literaturbericht genehmigten Protokoll abweichende Tierversuche durchgeführt wurden. Außerdem führten solche Personen Eingriffe und Behandlungen durch, die hierzu keine Berechtigung hatten, etc. In beiden Staaten überwiegen bislang milde Konsequenzen wie Belehrungen und Verwarnungen. Geldbußen oder gar Haftstrafen sind zwar per Gesetz in beiden Staaten möglich, werden aber nur selten verhängt. Die innerbetriebliche Überwachung von Tierexperimenten wird von den Befragten als sehr wichtig erachtet, jedoch erfolgt sie in beiden Staaten nur bei einem geringen Teil der Versuche. In Deutschland spielt die hohe Arbeitsbelastung der Tierschutzbeauftragten wohl die entscheidende Rolle. Die in GB geforderte retrospektive Projektbeurteilung durch die britischen Ethical Review Processes kann einen wichtigen Beitrag zum Tierschutz leisten und findet dementsprechend relativ häufig statt. In Deutschland findet diese hingegen nur selten statt. Anmerkung der Rezensentin: Die genehmigende Behörde hat jedoch die Möglichkeit, eine retrospektive Projektbeurteilung vom Projektleiter zu fordern, indem sie das Verfassen eines Abschlussberichtes als Auflage im Genehmigungsbescheid aufnimmt. Sowohl die Tierschutzbeauftragten als auch die Mitglieder des Ethical Review Process sind auf die Unterstützung ihrer Einrichtung angewiesen. Obwohl sich die Befragten beider Länder vorwiegend zufrieden über den Zugang zu den Versuchsleitern, den durchführenden Personen und den jeweiligen Einrichtungsleitern äußerten und sie bei der Äußerung von Kritik meist nicht mit negativen Folgen rechnen müssten, findet das deutsche Benachteiligungsverbot anscheinend nicht immer Anwendung. Verbesserungsvorschläge werden in Großbritannien nicht immer ernst genommen und umgesetzt. Die Einbeziehung der Behörde bei groben oder andauernden Verstößen, scheint von den befragten Tierschutzbeauftragten oft als Verletzung des Dienstweges betrachtet zu werden. Somit lässt sich für die betriebsinterne Überwachung und Kontrolle feststellen, dass sie in Deutschland je nach Einrichtung und je nach Tierschutzbeauftragtem sehr unterschiedlich gehandhabt wird, während sie in Großbritannien aufgrund der unzureichenden gesetzlichen Regelung als nur mäßig effektiv gewertet werden kann. Deutlich wird jedoch, dass persönliches Engagement der überwachenden Personen einen entscheidenden Unterschied macht. Maria Biedermann kommt zu dem Schluss, dass für Deutschland insbesondere hinsichtlich der fachlichen Kompetenz die bundeseinheitliche Zuständigkeit der Genehmigungsbehörden Literatur Ach, Johann S. und Stephany, Martina (Hrsg.) (2009). Die Frage nach dem Tier. Interdisziplinäre Perspektiven auf das Mensch-Tier-Verhältnis. Münster: LIT Verlag. 108 Seiten. ISBN-13: 978-3643104434, € 19,90 Beck, Matthias (2009). Mensch-Tier-Wesen. Zur ethischen Problematik von Hybriden, Chimären, Parthenoten. Paderborn: Ferdinand Schöningh. 342 Seiten. ISBN-13: 9783506766670, € 34,90 Altexethik 2010 altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 65 auch für die Überwachung der von ihnen genehmigten Versuchsvorhaben empfehlenswert wäre. Außerdem sollten deutsche Einrichtungen wesentlich häufiger kontrolliert werden, wobei mindestens die Hälfte der Kontrollbesuche unangekündigt erfolgen sollte. Entsprechend qualifiziertes Personal in ausreichender Anzahl ist somit unerlässlich. Während der Begehungen sollten die Behördenvertreter beider Staaten häufiger die Durchführung von Versuchen überwachen, um sich ein Bild über die Qualifikation und praktischen Fähigkeiten der Durchführenden machen zu können. Wiederholte und/oder schwere Verstöße müssten deutlich schärfer geahndet werden. Die rechtlichen Mittel hierfür sind vorhanden, und es gilt sie auszuschöpfen. Um die betriebsinterne Kontrolle durch die Tierschutzbeauftragten zu verbessern, muss ihre Weisungsfreiheit gewährleistet sein. Außerdem müssen sie von ihrer Einrichtung vollumfänglich unterstützt werden. Persönliches Engagement und regelmäßige Anwesenheit in den Laboren sind essentielle Voraussetzung. Um in Großbritannien eine effektive betriebsinterne Kontrolle sicherzustellen, müsste diese gesetzlich verankert werden. Die Überwachung und Kontrolle von genehmigungspflichtigen Tierversuchen ist sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien verbesserungswürdig. Die föderal strukturierte behördliche Überwachung in Deutschland scheint weniger effizient als die zentral organisierte Überwachung durch das britische Home Office. Die in Deutschland gesetzlich vorgeschriebenen Tierschutzbeauftragten scheinen trotz Verbesserungspotentials einen effektiveren Beitrag zur betriebsinternen Überwachung zu leisten als die Ethical Review Processes in der UK. Maria Biedermann sei Dank für diese Arbeit, die die Vielzahl der Mängel und Verstöße im Bereich Tierversuche und die Defizite in deren Überwachung aufzeigt und sehr deutlich macht, dass weder die betriebsinterne noch die behördliche Kontrolle von Tierversuchsvorhaben in Deutschland derzeit ausreichend sind. Nun bleibt zu hoffen, dass das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz (BMELV) im Rahmen der Umsetzung der am 08. September 2010 vom Europäischen Parlament verabschiedeten neuen EU Tierversuchsrichtlinie (ersetzt Richtlinie 86/609/EWG) in nationales Recht und der damit verbundenen Überarbeitung des Tierschutzgesetzes die Empfehlungen aus dieser Arbeit aufgreift und gesetzlich verankert. Nur so können Versuchstiere besser geschützt werden! Kathrin Herrmann Bekoff, Marc (Hrsg.) (2010). Tugend und Leidenschaft im Tierreich. Gedanken zu einer neuen Sicht der Natur. Ausgewählte Essays. Bernau: Animal Learn. 400 Seiten. ISBN-13: 9783936188394, € 24,00 Biedermann, Maria (2009). Überwachung und Kontrolle genehmigungspflichtiger Tierversuche vergleichend in Deutschland und Großbritannien. Berlin: Mensch und Buch Verlag. 217 Seiten. ISBN-13: 978-3866645578, € 38,00 65 17.11.2010 20:05:51 Uhr Literaturbericht Bleibohm, Gunter und Hoos, Harald (2009). Totentanz der Tiere ‑ Schonungslose Bemerkungen zu Tierelend, Jagd und Kirche. Saarbrücken: Geistkirch. 174 Seiten. ISBN-13: 9783938889817, € 14,80 Blum, Deborah (2010). Die Entdeckung der Mutterliebe: Die legendären Affenexperimente des Harry Harlow. Weinheim, Basel: Beltz. 351 Seiten. ISBN-13: 978-3407858887, € 24,95 Brantz, Dorothee und Mauch, Christof (Hrsg.) (2010). Tierische Geschichte – Die Beziehung von Mensch und Tier in der Kultur der Moderne. 401 Seiten, Paderborn: Schöningh, ISBN13: 978-3506763822, € 39,90 Caspar, Johannes und Luy, Jörg (Hrsg.) (2010). Tierschutz bei der religiösen Schlachtung/Animal Welfare at Religious Slaughter. Die Ethik-Workshops des DIALREL-Projekts. Baden-Baden: Nomos. 272 Seiten. ISBN-13: 978-3832948986, € 59,00 Foer, Jonathan Safran (2010). Tiere essen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 400 Seiten, ISBN-13: 978-3462040449, € 19,95. Englische Ausgabe (2009). Eating Animals. New York: Little, Brown and Company, 341 Seiten, ISBN-13: 978-0316072670, € 11,50 Gigliotti, Carol (Hrsg.) (2009). Leonardo’s Choice. Genetic Technologies and Animals. Dordrecht: Springer. 256 Seiten. ISBN-13: 978-9048124787, € 114,99 Kaplan, Helmut F. (2009). Ich esse meine Freunde nicht oder Warum unser Umgang mit Tieren falsch ist. Berlin: trafo Wissenschaftsverlag.132 Seiten. ISBN-13: 978-3896269416, € 12,95 Kazez, Jean (2010). Animalkind. 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