Die Mensch-Tier-Beziehung unter ethischem Aspekt

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Literaturbericht 2009/2010
Die Mensch-Tier-Beziehung unter
ethischem Aspekt
Petra Mayr, Judith Benz-Schwarzburg, Regina Binder, Dieter Birnbacher, Silke Bitz,
Gieri Bolliger, Andreas Brenner, Arianna Ferrari, Claus Günzler, Kathrin Herrmann,
Erwin Lengauer, Cecilia Muratori, Silke Schicktanz, Kirsten Schmidt und Norbert Walz
Inhalt
Vorbemerkungen
1
Allgemeines zum Tierschutz
1.1 Jonathan Safran Foer: Tiere essen
1.2 Gunter Bleibohm und Harald Hoos: Totentanz der Tiere – Schonungslose Bemerkungen zu
Tierelend, Jagd und Kirche
1.3 Dorothee Brantz und Christof Mauch (Hrsg.): Tierische Geschichte – Die Beziehung
von Mensch und Tier in der Kultur der Moderne
1.4 Adrian R. Morrison: An Odyssey with Animals: A Veterinarian’s Reflections on
the Animal Rights & Welfare Debate
1.5 Karl Ludwig Schweisfurth: Tierisch gut: Vom Essen und Gegessen werden
2
Philosophische Ethik
2.1
2.2
2.3
2.4
2.5
Jean Kazez: Animalkind. What We Owe to Animals
Helmut F. Kaplan: Ich esse meine Freunde nicht oder Warum unser Umgang mit Tieren falsch ist
Robert W. Lurz (Hrsg.): The Philosophy of Animal Minds
Mark Rowlands: Animal Rights. Moral Theory and Practice
Nicole Shukin: Animal Capital. Rendering Life in Biopolitical Times
3
Ethik interdisziplinär
3.1 Carol Gigliotti (Hrsg.): Leonardo’s Choice. Genetic Technologies and Animals
3.2 Marc Bekoff (Hrsg.): Tugend und Leidenschaft im Tierreich. Gedanken zu einer neuen Sicht
der Natur.
3.3 Deborah Blum: Die Entdeckung der Mutterliebe: Die legendären Affenexperimente
des Harry Harlow
3.4 Johannes Caspar und Jörg Luy (Hrsg.): Tierschutz bei der religiösen Schlachtung / Animal Welfare
at Religious Slaughter. Die Ethik-Workshops des DIALREL-Projekts
3.5 Johann S. Ach und Martina Stephany (Hrsg.): Die Frage nach dem Tier. Interdisziplinäre
Perspektiven auf das Mensch-Tier-Verhältnis
3.6 David Mellor, Emily Patterson-Kane und Kevin J. Stafford: The Sciences of Animal Welfare
3.7 Dominick LaCapra: History and its Limits. Human, Animal, Violence
3.8 Carola Otterstedt und Michael Rosenberger (Hrsg.): Gefährten – Konkurrenten – Verwandte.
Die Mensch-Tier-Beziehung im wissenschaftlichen Diskurs
3.9 Mieke Roscher: Ein Königreich für Tiere. Die Geschichte der britischen Tierrechtsbewegung
3.10 Cary Wolfe: What is Posthumanism?
3.11Leo Tolstoi, Clara Wichmann, Élisée Reclus, Magnus Schwantje et al.:
Das Schlachten beenden! Zur Kritik der Gewalt an Tieren. Anarchistische, feministische,
pazifistische und linkssozialistische Traditionen
3.12 Andrew Linzey: The Link Between Animal Abuse and Human Violence
3.13 Richard Twine: Animals as Biotechnology. Ethics, Sustainability and Critical Animal Studies
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Literaturbericht
4
Theologische Ethik
4.1
4.2
Andrew Linzey: Why Animal Suffering Matters
Matthias Beck: Mensch-Tier-Wesen. Zur ethischen Problematik von Hybriden, Chimären,
Parthenoten
5
Rechtsfragen und Rechtsentwicklung
Literatur
5.1 Kristin Köpernik: Die Rechtsprechung zum Tierschutzrecht: 1972 bis 2008
5.2Eveline Schneider Kayasseh: Haftung bei Verletzung oder Tötung eines Tieres – unter besonderer
Berücksichtigung des schweizerischen und U.S.-amerikanischen Rechts
5.3 Maria Biedermann: Überwachung und Kontrolle genehmigungspflichtiger Tierversuche
vergleichend in Deutschland und Großbritannien
Vorbemerkungen
Die „Ethik des Essens“ ist in der Belletristik zum Thema geworden. Im letzten Jahr hat der amerikanische Autor David
Forster Wallace einen zynisch kritischen Essay mit dem Titel
Am Beispiel des Hummers (Literaturbericht, ALTEXethik 2009)
vorgelegt. Im August 2010 ist das Buch des amerikanischen
Schriftstellers Jonathan Safran Foer: Tiere essen in deutscher
Übersetzung erschienen. Und die deutsche Schriftstellerin Karen Duve schreibt an einem Band mit dem Titel Anständig essen, der Anfang 2011 erscheinen soll.
Allen drei Büchern ist eines gemeinsam: Sie kritisieren die
Verwendung von Tieren als Lebensmittel. Wallace tat es mit
einem Abscheu vor der dumpfen Brutalität und Völlerei an
Massenveranstaltungen. Duve erprobt im Selbstversuch alternative Formen der Ernährung vom Fleischverzicht bis hin
zum Verzicht auf alle tierischen Produkte. Und Foer liefert in
seinem Buch Tiere essen ein Sammelsurium seiner Methoden
der Erkenntnis auf dem Weg zum ethisch vertretbaren Essen:
Er recherchiert zur Geschichte der Landwirtschaft, unterfüttert
vieles mit persönlichen Anekdoten und Alltagserfahrungen, er
trägt aber auch statistische Fakten über Tierhaltung und ihre negativen Folgen für die Umwelt zusammen.
Der Diskurs um Nachhaltigkeit, Tier-Produktion und Konsum ist ein zentrales Thema in der wissenschaftlichen Literatur geworden – jenseits der Belletristik – , die erst vor kurzem
die Gewissens-Frage des Essens für sich entdeckt hat. Richard
Twine thematisiert in seinem Buch Animals as Biotechnology.
Ethics, Sustainability and Critical Animal Studies die aus der
Massentierhaltung und Massentierzucht resultierende Einstellung zu Tieren als Lieferanten von Lebensmitteln. Dieser Betrachtungsweise, die Tiere nahezu ausschließlich ökonomisch
über die Produktion von Gütern definiert, steht aber auch eine
mehr und mehr sensibilisierte Öffentlichkeit gegenüber, die diesen Missstand beklagt. Um dieser Öffentlichkeit und ihrem Bestreben, Tiere wieder als fühlende Lebewesen wahrzunehmen
und zu behandeln, gerecht zu werden, entwickelten sich die critical animal studies. Ihr Ziel ist es diese Missstände, die bislang
schon hinreichend beschrieben worden sind, kritisch zu politisieren. Twine macht auch auf wirtschaftspolitische Verwicklun28
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gen aufmerksam, die vielfach auf den ersten Blick nicht deutlich
werden. So etwa, dass mit Hilfe der Biotechnolgie ein weiterer
starker Anstieg der Fleischproduktion forciert wird. Einerseits
sollen damit die Ernährungsprobleme in den Entwicklungsländern gelöst werden. Andererseits gehe es darum, Vertrauen zu
schaffen in die Biotechnologie als Fortschrittssymbol.
In Animal Capital. Rendering Life in Biopolitical Times betrachtet auch Nicole Shukin die wirtschaftlich ausgerichteten Prozesse
der Tierproduktion und untersucht die damit verknüpfte Veränderung des Lebensbegriffes. Shukin entdeckt die „Warenhaftigkeit“
von Tieren auch in anderen Bereichen als der Nutztierhaltung, so
etwa in den Medien oder der Kunst. Ihre Analyse bewegt sich
auf der Schnittstelle einer marxistischen und posthumanistischen
Perspektive. Was unter Posthumanismus zu verstehen ist und welche Rolle Tiere in einer posthumanistischen Theorie einnehmen,
versucht Cary Wolfe mit seinem Buch What is Posthumanism?
zu klären. Posthumanistische Positionen wollen das humanistische Denken, das sich durch die Abgrenzung zum Tier definiert,
überwinden und somit anthropozentrische Strukturen auflösen.
Problematisch an der posthumanistischen Perspektive bleibt dabei allerdings, dass sie keine praktischen Handlungsanweisungen
für den Umgang mit Tieren liefern kann. Der Grund hierfür liegt
in den Prinzipien der posthumanistischen Theorie selbst. Wenn
Menschen gegenüber Tieren keine Sonderstellung mehr zugeschrieben wird, dann ist es auch nicht möglich, dass Menschen
Verhaltensnormen aussprechen, wie mit Tieren umzugehen sei.
Denn eben damit würde wieder die alte humanistische Tradition
mit der Sonderstellung des Menschen fortgeführt.
Dominick LaCapra kritisiert in seinem Band History and its
Limits. Human, Animal, Violence wie auch Cary Wolfe in What
is Posthumanism? das derzeit vorherrschende Paradigma der
Abgrenzung von Mensch und Tier. Mit dieser Kritik ist immer
auch eine Kritik am humanistischen Denken verbunden, da die
Mensch-Tier-Abgrenzung eine Konsequenz des Humanismus ist.
LaCapra verweist auf die Folgeprobleme, die aus einer solchen
Kategorisierung in Mensch und Tier entstehen. In der aktuellen
Tierrechtsdebatte sind diese darin zu sehen, dass für Menschen
prinzipiell andere Rechtsnormen gelten als für Tiere.
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Literaturbericht
Gentechnologische Veränderungen an Tieren haben in ethischer Hinsicht zweifellos eine besondere Brisanz, weil sie die
radikalste Form der „Verdinglichung“ von Lebewesen darstellen. In dem von Carol Gigliotti herausgegebenen Band
Leonardo’s Choice. Genetic Technologies and Animals wird
der Einfluss dieser neuen Technologie sowohl auf Menschen
als auch auf Tiere diskutiert. Der Herausgeberin ist gelungen,
was vielen Büchern versagt bleibt, in denen Texte aus vielen
Fachrichtungen zu einem Themenschwerpunkt Stellung beziehen: ein harmonisches Zusammenspiel unterschiedlichster
Disziplinen. Historischen, juristischen, philosophischen, verhaltensbiologischen oder sogar landschaftsarchitektonischen
Positionen gelingt gemeinsam eine kritisch distanzierte Analyse der gesellschaftlichen Bedeutung von einschneidenden Entwicklungen, wie sie in gentechnologischen Möglichkeiten an
Tieren zu betrachten sind.
Wie sehr über viele Jahre gelebte Traditionen im Umgang mit
Tieren als unumstößliche Normalität betrachtet werden, zeigt
die Agrarsoziologin Karin Jürgens in einem Aufsatz in Gefährten – Konkurrenten – Verwandte. Die Mensch-Tier-Beziehung
im wissenschaftlichen Diskurs. In dem von Carola Otterstedt
und Michael Rosenberger herausgegebenen Band beschreibt
sie, dass das Schlachten von Nutztieren normalerweise für
Landwirte als alltägliche Selbstverständlichkeit betrachtet wird.
Eine Ausnahmesituation ergebe sich allerdings dann, wenn
Tierseuchen auftreten, dann leide ein Großteil der Landwirte an
posttraumatischen Belastungsreaktionen. Zweifelsohne geht es
hier oftmals um die Existenz des Betriebs; doch erstaunlicherweise lassen sich die Belastungsreaktionen nicht alleine damit
erklären. Viele Landwirte erlebten den Verlust der Tiere in einer
ambivalenten Mischung als ökonomisches Defizit, aber auch
als Verlust eines Lebewesens. Ein wesentlicher Faktor, der zu
einer Entfremdung und Distanz zum Tier führt, ist Jürgens zufolge nicht zuletzt in der Arbeitsteiligkeit der modernen Landwirtschaft zu sehen.
Im gleichen Band entfaltet Jean-Claude Wolf seine „Ethik der
natürlichen Sympathie“, indem er eine auf Sympathie basierende
Verbundenheit zum Tier als motivierendes Element stark macht.
Der Philosoph führt aus, dass bereits frühe Tierschutztraditionen sich darauf beriefen, dass Wesen, die empfindungsfähig und
damit verwundbar sind, ethische Rücksichtnahme erfahren sollen. Darüber hinaus sei Sympathie bereits ohnehin die Grundlage in der täglichen Tierschutzpraxis. Wenn Tierquälereien bei
Menschen kein Mitleid mit dem gequälten Tier hervorrufen,
dann müsse man sich fragen, ob Menschen in ihrer „Fähigkeit
zur natürlichen Sympathie“ blockiert seien. In der Tat berührt
Wolf hier den zentralen Punkt, indem er sich fragt, wie es sich
erklären lässt, dass eben dieses verbindende Moment zwischen
Menschen und Tieren, – unsere gemeinsame Empfindsamkeit – ,
oftmals schlichtweg ignoriert werden kann.
pem
1 Allgemeines zum Tierschutz
1.1 Jonathan Safran Foer:
Tiere essen
400 Seiten, Köln: Kiepenheuer &
Witsch, 2010, Euro 19,95
Englische Ausgabe: Eating Animals,
341 Seiten, New York: Little, Brown
and Company, 2009, Euro 11,50
Der US-Amerikaner Jonathan Safran Foer, geboren 1977, studierte in
Princeton Philosophie und ist ein international bekannter Schriftsteller. Seit
seinem neunten Lebensjahr war er mal
Vegetarier, mal aß er auch Fleisch. Doch angesichts der bevorstehenden Geburt seines ersten Kindes wollte er für sich selbst
einige Fragen klären: Was ist Fleisch? Wo kommt es her? Wie
wird es produziert? Was sind die ökonomischen und ökologischen Auswirkungen? Gibt es Situationen, in denen es falsch
ist, Tiere zu essen? Wie werden für den Verzehr bestimmte
Tiere gezüchtet, gehalten und getötet? Soll ich mein Kind mit
Fleisch ernähren oder nicht? Drei Jahre trägt Foer Fakten aus
einschlägigen Studien zusammen, befragt Experten und Akteure – wobei er alle Seiten zu Wort kommen lässt. Er bricht sogar
in industrielle Tiermastbetriebe ein, um seine Nachforschungen
zu verifizieren.
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In Eating Animals konfrontiert Jonathan Safran Foer den Leser jedoch nicht nur mit den harten Fakten rund ums Geschäft
mit dem Fleisch und den Folgen der industriellen Fleischproduktion für die Tiere, unsere Umwelt und unsere Gesundheit.
Er nimmt auch die Geschichten unter die Lupe, mit denen wir
unser Essverhalten rechtfertigen und die dazu beitragen, dass
wir vor den Auswirkungen der Tierproduktionsindustrie die Augen verschließen.
Im Anhang der deutschen Ausgabe findet sich eine Übersicht
zur Sachlage in Deutschland inkl. genauer Quellenangaben. So
wird jedem Leser die „Hoffnung“ genommen, dass es sich bei
den im Buch geschilderten Fakten um nur für die USA zutreffende handeln könnte. Die landwirtschaftlichen Praktiken in
den USA und in Deutschland ähneln sich im Übrigen sehr. Circa 98 Prozent der in Deutschland zum Verzehr gehaltenen Tiere
stammen aus industriellen Massentierhaltungsbetrieben (Studie
des statistischen Bundesamtes 2008).
Foers leidenschaftlicher Appell für mehr Verantwortungsbewusstsein gegenüber unseren Tieren und unserer Umwelt
hat mir einmal mehr vor Augen geführt, dass gerade wir
Tierärzte mit unserem Wissen über die Schmerzen, Leiden
und Schäden, die durch die nicht artgemäße und nicht verhaltensgerechte Haltung entstehen, uns noch mehr für den
Schutz von Tieren einsetzen müssen, um unserer besonderen
Verantwortung und Verpflichtung gegenüber den Tieren und
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Literaturbericht
gegenüber der Öffentlichkeit nachzukommen. Es ist falsch,
dass die Grenzen für eine noch als zumutbar geltende Zucht
und Mast von landwirtschaftlichen Nutztieren nicht von Tierärzten vorgegeben werden, sondern von den Agrarproduzenten und deren Lobby, und damit also rein wirtschaftlich
ausgerichtet sind. Wir wissen, dass die tierschutzwidrigen
Zustände, die Foer in seinem Buch eingehend beschreibt,
auch in Deutschland Realität sind. Die globalen Auswirkungen der Ausbreitung der industriellen Massentierhaltung sind
vor allem auch im Hinblick auf lebensmittelinduzierte Krankheiten, Resistenz der Erreger gegen antimikrobielle Medikamente und mögliche Pandemien beängstigend. Es ist höchste
Zeit, dass wir vermehrt und mit vereinten Kräften gegen die
Ursachen dieses ethisch nicht vertretbaren Systems der industriellen Massentierhaltung vorgehen, anstatt weiter lediglich
die Symptome zu behandeln und damit die schlechten Haltungsbedingungen noch zu unterstützen.
1.2 Gunter Bleibohm und
Harald Hoos: Totentanz
der Tiere ‑ Schonungslose
Bemerkungen zu Tierelend,
Jagd und Kirche
174 Seiten, Saarbrücken: Geistkirch,
2009, Euro 14,80
Wer sein Handeln an sittlichen Idealen
ausrichtet, sich also Forderungen unterwirft, die über die allgemein anerkannten Pflichten hinausgehen, verdient
Respekt und findet Dialogbereitschaft,
wenn er sich argumentativ um Mitstreiter für seine Sache bemüht. Allerdings muss er der Versuchung widerstehen, die supererogatorischen Forderungen seines persönlichen Praxisideals
als allgemeingültige Richtlinie für jedermann misszuverstehen
und daraus dann Werturteile über den moralischen Zustand der
Menschheit herzuleiten. Dies gilt auch für den „konsequenten
Tierschutz“, dem das vorliegende Buch verpflichtet ist. Die
beiden Autoren stellen sich als Mitbegründer der Tierrechtsinitiative pro iure animalis vor, und so ließe sich eigentlich ein
argumentativer Beitrag zur hochkomplexen Debatte über den
Status von Tierrechten erwarten. Doch das scheint die Autoren
nicht zu interessieren, weil sie es vorziehen, die Verdrängung
„des herrschenden Tierleides zornig anzuprangern“ und „das
allgemeine Desinteresse der Menschen am Leid unserer Mitgeschöpfe wütend zu verachten.“ (11)
Zorn und Wut sind unzulässige Ratgeber, wenn es darum
geht, den Spielraum der ethischen Verbindlichkeit zu erweitern, und so bringt sich dieses Buch mit seiner Diktion von
vornherein um die Chance, theoretische Anregungen oder
praktische Impulse auszustrahlen. Dies ist bedauerlich, weil es
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Foers Buch hat eine Kraft, die sich schwer beschreiben lässt.
Vielleicht liegt sie darin, dass er ganz unbedarft an das Thema
Nutztierhaltung herangeht – nur mit dem vagen Gefühl, dass
damit etwas nicht in Ordnung sein könnte. Dann wird ihm aber
schnell klar, dass es nicht nur eine Beantwortung von persönlichen Fragen bleiben kann, sondern dass die Wahrheit ans Licht
der Öffentlichkeit gebracht werden muss. Die Tierproduktionsindustrie mit ihrem ökonomisch durchdachten tierquälerischen
Geschäftsmodell baut darauf, dass der Verbraucher so wenig
Einblick in ihre Praktiken erhält wie möglich. Das gilt es endlich zu ändern. Und dabei kann Foers Buch helfen, denn er
vermag mit seiner Dokumentation gleichermaßen den Verstand
und die Gefühle des Lesers zu berühren. Ich hoffe, dass auch in
Deutschland – ähnlich wie in den USA – eine breitere Debatte
zu den ethischen Grenzen unseres Konsumverhaltens angestoßen wird, die dann auch tatsächlich zu einem langfristigen gesellschaftlichen Wandel führt.
Kathrin Herrmann
Themenkreise aufgreift, die zwar seit langem erörtert werden,
aber weiterhin der sorgfältigen Analyse bedürfen. Zu Kirche
und Jagd, den beiden Hauptthemen des Buchs, ist das Reservoir an Argumenten noch keineswegs erschöpft, doch wer den
Beitrag der Kirche zur Geistesgeschichte auf „monotheistische
Glaubenshalluzinationen“ (25) reduziert und die Jagd exklusiv
als „Rechtfertigung eines Mordhobbys“ (88) begreift, signalisiert damit, dass es ihm nicht um einen Diskurs in der Sache
geht. Bestätigt wird dies immer wieder durch die Adjektive
„absurd“ und „pervers“, die zur Bewertung kritisierter Sichtweisen herangezogen werden.
Kurzum, das hochemotionale Gemisch aus Verdruss und
Verachtung – zu beiden Haltungen bekennen sich die Autoren
ausdrücklich – überlagert die einschlägig wichtige Thematik
und macht dieses Buch für die Fachwelt wertlos und für den
Tierfreund eher abschreckend als anregend. Supererogatorische
Forderungen nutzen der Tierethikdebatte nur dann, wenn sie die
Geduld mit dem naturgemäß bedächtigen Tempo des ethischen
Fortschritts implizieren. Goethe schreibt in den Maximen und
Reflexionen dazu: „Es ist nichts inkonsequenter als die höchste
Konsequenz, weil sie unnatürliche Phänomene hervorbringt, die
zuletzt umschlagen.“
In diesem Buch ist ebendies geschehen. Zwischen einem düsteren Eingangskapitel mit einer apodiktisch inszenierten Endzeitvision und einem pathetischen Schlusskapitel unter dem
Titel „Anklage und Abrechnung“ finden sich unsystematisch
gereihte Statements, autobiographische Einsprengsel mit elitärem Anspruch (43 ff.), gelegentliche satirische Versuche (halbwegs gelungen auf 73-77) und fiktive Erzählungen aus der Sicht
leidender Tiere. Letztere erreichen den engagierten Tierfreund
noch am ehesten, ändern aber nichts an dem gallig‑bitteren
Grundton, der das ganze Potpourri durchzieht. Empfehlen lässt
sich dieses Buch in keinerlei Hinsicht, und wenn es doch irgend-
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Literaturbericht
einen Wert in sich trägt, dann liegt dieser darin, ex contrario die
aufklärerische Aufgabe der Wissenschaften zu unterstreichen.
Solange die beachtlichen Fortschritte, die beispielsweise in der
ethischen und rechtlichen Bewertung von Tierversuchen erzielt
worden sind, nicht an den praktischen Tierschutz vermittelt werden, können Polemiken wie die vorliegende einem angemaßten
Universalanspruch mit hoher Animosität freien Lauf lassen.
1.3 Dorothee Brantz und
Christof Mauch (Hrsg.):
Tierische Geschichte – Die
Beziehung von Mensch und
Tier in der Kultur der Moderne
401 Seiten, Paderborn: Schöningh,
2010, Euro 39,90
Das Buch thematisiert, dass Tiere in
Geschichtsbüchern nur als Randerscheinung auftreten, obgleich sie im
Rahmen der menschlichen Gesellschaften schon immer eine bedeutende Rolle innehatten. So gehen die Autoren etwa den Fragen nach, wo wir ohne Tiere heute
wären, wie man ohne Reittiere Gebiete erkundet hätte oder wo
Kunst, Literatur und Philosophie ohne das Motiv Tier und die
Medizin ohne Tierversuche wären.
Autoren aus Europa und den USA beleuchten die Bedeutung des Tieres und der Tier-Mensch-Beziehung in der Kulturgeschichte und zeigen den Zusammenhang zwischen der
Geschichte der Tiere und den politischen, gesellschaftlichen,
kulturellen und wissenschaftlichen Entwicklungsprozessen auf.
Das Werk ist ein Sammelband aus zahlreichen Einzelbeiträgen,
deren Verfasser die historische und moderne Beziehung zwischen Mensch und Tier aus unterschiedlichen Blickwinkeln und
Disziplinen darstellen. In vier Teilen widmen sich die Autoren
den Überbegriffen Kulturtiere – Tierkulturen, Im Reich der wilden Tiere, Tierische Diskurse – Recht, Politik, Wissenschaft und
schließlich dem Komplex Kulturwissenschaftliche Betrachtungen. Die einzelnen Beiträge sind teilweise mit schwarzweißen
Zeichnungen bebildert.
Dass Tiere schon immer eine Faszination auf den Menschen
ausübten, zeigt sich unter anderem in der Darstellung zu Darwins Forschungen bezüglich der Evolutions- und Auslesetheorien. Jedoch äußerte sich schon damals das Interesse an Tieren
eher in ihrer Nutzung als dem Bestreben, sie als fühlende Lebewesen zu schützen, wenngleich es auch Bewegungen gab, die
wie die heutigen Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen die
Etablierung eines umfassenden Schutzstatus für Tiere zum Ziel
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Hier wartet eine zentrale tierschutzpädagogische Herausforderung. Der noch jungen Tierrechtsinitiative pro iure animalis
ist zu wünschen, dass sie den Anschluss an die ethische Debatte
findet, sich von ungezügelten Emotionen ebenso verabschiedet
wie von praxislähmenden Visionen und in ernsthafter Weise zu
dem Thema zurückfindet, das sie im Namen trägt.
Claus Günzler
hatten. Wie das bei vielen Menschen der Fall ist, so war auch
Darwins Verhältnis zu Tieren widersprüchlich. Zum einen liebte
er seinen Hund und stellte dessen intellektuelle und emotionale
Fähigkeiten als vergleichbar mit denen des Menschen dar (227).
Auf der anderen Seite war er ein begeisterter Jäger und ging
der Frage nach, welche Hunde man für welchen Zweck züchten
sollte. Weder das Erschießen von Tieren noch die Nutzung von
Hunden zum Zweck des Jagens anderer Tiere stellte er in Frage.
So bezeichnete Darwin die Vogeljagd als „Himmel auf Erden“
(233) und in einem Brief schrieb er: „Es hätte Neid und Verdruss in Dir erregt, ihn (Darwins Hund) zu beobachten, wie er
eine Kette von Rebhühnern aufstöberte, und die Art, wie er das
Platzkommando befolgte, wenn ich meine Hand erhob.“ (234)
Darwins Studien zur natürlichen Auslese und Zucht und die
eigens hierfür eingeführten exotischen Tiere gaben den Tiergärten und heutigen Zoos möglicherweise besonderen Antrieb, wie
man aus folgender Beschreibung schließen kann:
„Dass die Debatte um den Darwinismus und die Gründungswelle der bürgerlichen Tiergärten im deutschen Sprachraum und
die Ankunft der ersten Menschenaffen ebenda um 1860 zeitlich
zusammenfielen, war zunächst ein historischer Zufall. Bald aber
entwickelte diese Konstellation ihre eigene Dynamik (...). Zeitungsartikel über die Ankunft von Menschenaffen in Zoos in
den 1870er Jahren berichteten immer wieder von Zehntausenden von Besuchern.“ (263, 264)
Der Sammelband ist lesenswert, vermittelt er doch die oftmals nicht bewusst wahrgenommene Bedeutung der Tiere für
uns Menschen damals wie heute. Gleichzeitig regen die zahlreichen Beiträge unterschiedlichster Fachdisziplinen an, den
Blick für neue Sichtweisen zu öffnen oder sogar das Verhältnis
des Menschen Tieren gegenüber zu reflektieren. Die Nutzung
von Tieren in zahlreichen Bereichen sowie das Herrschaftsdenken des Menschen über Tiere schreiben eine lange Geschichte, wie aus den Beiträgen der Autoren zu schließen ist. Dieses
„Herrschaftsdenken“ wird in unserer modernen Gesellschaft als
Normalität betrachtet. Dennoch scheint es erstrebenswert, dieses Dogma zu überdenken, wofür der Leser einige Anregungen
in Form von Negativbeispielen für die Degradierung des Tieres
zur menschlichen Zweckerfüllung erhält.
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Literaturbericht
1.4 Adrian R. Morrison:
An Odyssey with Animals:
A Veterinarian’s Reflections on
the Animal Rights & Welfare
Debate
288 Seiten, New York: Oxford
University Press, 2009, Euro 34,99
Die Mensch-Tier-Beziehung ist in unserer Gesellschaft komplexer denn
je zuvor: Tiere werden nicht nur als
Heimtiere gehalten und als Nahrungsmittellieferanten genutzt, sondern in zunehmendem Maß auch
für Zwecke der biomedizinischen Forschung verwendet, was insbesondere in den USA zu erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Tierrechtsaktivisten einerseits und Forschern andererseits
geführt hat. So hat die biomedizinische Scientific Community
(Advocacy Network der Society for Neuroscience) kürzlich eine
Unterschriftenkampagne gegen das von P. Singer und P. Cavalieri initiierte „Great Ape Project“ lanciert. Ein vorläufiger Höhepunkt im Kampf gegen die Forderungen der Tierrechtsbewegung
ist Morrisons Buch „An Odyssey with Animals“. Aus der Sicht
des Autors, der Tierarzt, emeritierter Professor für Verhaltensneurobiologie an der University Pennsylvania und ein bekannter
Schlafforscher ist, sind Tiere „a renewable resource“ (8) und die
Tierrechtsbewegung „an attack on humanity“ (120).
Morrison belegt akribisch und durchwegs auch etwas larmoyant, wie er selbst und seine Kollegen durch „radikale“
Tierschützer eingeschüchtert und in ihrer Arbeit zum Wohle
des Menschen behindert wurden. Er versucht, mit Hilfe historischer, philosophischer und biologischer Argumente seine unerschütterliche Überzeugung zu untermauern, dass der
Dienst an der Menschheit das vorrangige, wenn nicht gar das
ausschließliche Anliegen von Wissenschaft und Gesellschaft
sein müsse. Freilich betont der Autor, durchaus dem Anliegen
des Tierschutzes verpflichtet zu sein, und er räumt immerhin
ein, dass die Durchführung von Tierversuchen einer Regelung
durch den Gesetzgeber bedarf, um Missstände hintanzuhalten.
Allerdings muss man sich fragen, wo nach den Vorstellungen Morrisons Raum für Tierschutzüberlegungen bleibt. Das
Weltbild des Autors geht von einer unüberbrückbaren Kluft
zwischen Mensch und Tier aus und rückt die Interessen des
Menschen absolut und unverbrüchlich in den Mittelpunkt: „I
still hold strongly to the view that there is a distinct division
between animals and humans, created by our own evolutionary heritage as well as by our religious heritage in the West, at
least.“ (224) Eine solche zutiefst anthropozentrische und im
Übrigen auch gegenüber fremden Kulturen anmaßende Sichtweise entzieht naturgemäß jeder Güterabwägung den Boden
und lässt es weder zu, die ethische Vertretbarkeit einzelner
tierexperimenteller Vorhaben zu hinterfragen, noch über absolute Leidensobergrenzen zu diskutieren. In dem Bestreben, die
Leserschaft von dieser Sicht der Dinge zu überzeugen, werden
auch Klischees bemüht, die nahe legen, dass Tiere mitunter
freiwillig an Tierversuchen mitwirken: „Some monkeys will
actually jump into the testing chair for the excitement of doing
something different and new.“ (92)
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Morrison liegt viel daran zu betonen, dass er Tiere im Allgemeinen und Katzen – bzw. eine Katze, seinen „buddy Buster“ – im Besonderen liebt. Nicht sentimentale Tierliebe aber
ist es, was die Tierschutz- und Tierrechtsbewegung einfordert.
Mangelnde Zuneigung, Gleichgültigkeit, ja nicht einmal Gefühlskälte gereichen jemandem zum Vorwurf, so lange er die
Interessen der Tiere bzw. des Tierschutzes anerkennt und respektiert. Und das bedeutet eben, den Menschen nicht zum Maß
aller Dinge zu machen.
Es ist die (vermeintliche) Kluft zwischen Mensch und Tier,
mit der Morrison seine Tätigkeit (vor sich selbst) rechtfertigt:
“Our ability as humans [is] to reflect on our future, and to anticipate our eventual death. If animals had these cognitive abilities, I personally could not use them in ways that would lead to
their deaths.” (138) Aber: Können wir denn wirklich so sicher
sein, wozu Tiere fähig sind? Und sollten wir es nicht – mit
Thomas Huxley – im Zweifel vorziehen, „zugunsten dessen zu
irren, dessen Ausdrucksverhalten für uns zu fremdartig ist, um
uns seine Sicht der Dinge verständlich zu machen“?
Man könnte noch Verständnis aufbringen, wenn sich der Autor darauf beschränken würde, die Verwendung von Tieren zu
Zwecken der (bio-)medizinischen Forschung zu rechtfertigen.
Immerhin sind die Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten in der Bedürfnis- und damit auch in der Wertehierarchie
besonders hoch angesiedelt, sodass eine Interessenabwägung
im Bereich dieses Forschungszweiges tatsächlich häufig zugunsten des Menschen ausfallen wird: Sophie Petit-Zeman
bringt auf den Punkt, dass es eher gerechtfertigt ist, Tiere in
der medizinischen Forschung zu verwenden, als sie zu essen:
„I can survive perfectly well without eating meat (and so can
you) but we can’t get far alleviating illness and disease without
research using animals“ („Confessions of a vegetarian vivisector“, The Guardian, 7.8.2006).
Morrison hingegen geht einen großen Schritt weiter: „My
view is that animals can serve as food for the mind as well as
for the body (...) “. (93) Die Nutzung von Tieren zum Zweck der
Fleischgewinnung ist nach Morrison uneingeschränkt gerechtfertigt, auch wenn der (übermäßige) Fleischkonsum der Menschheit
zumindest global betrachtet eher zum Nachteil als zum Nutzen
gereicht. Vollends unglaubwürdig wird Morrisons Bekenntnis
zum Tierschutz jedoch spätestens dann, wenn er die Haltung von
Legehennen in Käfigbatterien befürwortet, weil die Tiere in dieser
hygienischsten aller Haltungsformen vor dem Überlebenskampf
geschützt sind und weniger von Ekto- und Endoparasiten geplagt
werden als in der Freilandhaltung (188f.). So erstaunt es nicht,
dass das Buch auch außerhalb der US-amerikanischen Scientific
Community begeistert aufgenommen und von der American Farm
Bureau Federation sogar zu einem Sonderpreis vertrieben wird
(http://agwired.com/2009/07/27/new-book-on-animal-rights-vsanimal-welfare/). Das Ergebnis von Morrisons Bemühungen ist
nach der Auffassung dieser Organisation „a thought-provoking,
intelligent and fair-minded discussion of a charged subject – of
the past and present of animals’ relationships with humans, and
how and why we should be able to use them as we do.“ Ein weiteres Buch also, das sich in die Reihe jener Versuche einreiht, das
zu rechtfertigen, was wir immer schon getan haben.
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Literaturbericht
1.5 Karl Ludwig Schweisfurth:
Tierisch gut: Vom Essen und
Gegessen werden
251 Seiten, Frankfurt: Westend
Verlag, 2010, Euro 17,95
„Immer mehr Menschen auf der Erde
essen immer mehr Fleisch. Das bedeutet immer mehr Tiere, die wir unsichtbar
hinter uns herziehen. Gemeinsam essen
wir die Erde kahl.“ So lauten die Worte
des Autos Karl Ludwig Schweisfurth
im Bucheinband. Damit nimmt er sich des immensen Verzehrs
von Tieren an und der daraus resultierenden Folgen für unseren
Planeten, von Hunger in manchen Teilen der Erde über die Bodenvernichtung bis hin zur Problematik des Klimawandels. Karl
Ludwig Schweisfurth ist selbst gelernter Metzger und ehemaliger Geschäftsführer des Fleischwarenunternehmens Herta. Die
moderne Landwirtschaft und Fleischproduktion bezeichnet der
Autor als monströsen Fehlschlag, aus denen er mit seinem Werk
Auswege aufzeigen möchte. In Glonn bei München hat er die
Herrmannsdorfer Landwerkstätten gegründet, die auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit beruhen. Die Tierhaltung erfolgt dort nach
ökologischen, wirtschaftlichen und ethischen Kriterien zugleich.
Das Buch Tierisch gut – Vom Essen und Gegessen werden
ist in zahlreiche übersichtliche Kapitel gegliedert. Es ist in IchForm verfasst und lebendig geschrieben, so dass es sich trotz des
kontrovers diskutierten Themas der Tiernutzung wie ein Roman
liest. Das Verhältnis Ludwig Schweisfurths zu Fleisch und Tieren
kommt in seiner Aussage zum Wegwerfen von tierischen Speiseresten zum Ausdruck. „…es hat mich zeitlebens verstört, wenn
gutes, köstliches Fleisch vom Teller weg entsorgt wird. Ich habe
dann häufig … meinem Nachbarn oder gern auch meiner Nachbarin eine Fettkruste oder einen mit Fleisch behangenen Knochen
vom Teller genommen und die Reste mit Wohlbehagen verspeist.
Wenn dann pikierte Nachfragen kommen, pflege ich zu sagen:
‚Ich habe es den Tieren versprochen. Sie gestatten, dass ich nicht
wortbrüchig werde‘.“ (41) Dieses Verhalten drückt einerseits Respekt vor Tieren aus, andererseits wird ihre Tötung als Nahrungsmittel nicht in Frage gestellt. In den weiteren Ausführungen wird
deutlich, dass der Autor für einen bewussteren Konsum und eine
bedachtere Produktion von Fleisch appelliert. „Eine große, eine
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entscheidende Wende zum Besseren – sowohl für die Tiere als
auch für die Fleischkonsumenten – wird es nicht geben, solange
nicht zweierlei gelingt: Die Rechte von Rind, Schwein, Huhn,
Lamm, Pute auf ein Leben vor dem Tod durchzusetzen und das
Lebensmittel Fleisch einem Marktgesetz zu entreißen, das – unter Missachtung von Tier- und Menschengesundheit – das Diktat
‚Kostensenkung um jeden Preis‘ aufrechterhält.“ (119)
Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen Schweisfurths zu den gesundheitsschädlichen Folgen des
Fleischverzehrs. Er führt eine Ende März 2009 veröffentlichte
Langzeitstudie des National Institute of Health in den USA an,
die seiner Ansicht nach bestätigt, was lange bekannt ist: „Zuviel Fleischkonsum ist ungesund. 545.000 Amerikaner zwischen
50 und 71 Jahren ließen ihre Essgewohnheiten wissenschaftlich
protokollieren, und das Ergebnis lässt einen frösteln. Bei den
71.000 während der zehnjährigen Untersuchungszeit Verstorbenen hätte ein geringerer Fleischkonsum die frühen Todesfälle
verhindert. Männer, die täglich rund 250 Gramm Fleisch aßen
(die Untersuchung hob auf ‚rotes’ Fleisch ab, also auf Schweine-, Rind- und Lammfleisch) hatten im Vergleich zu anderen,
die es mit 150 Gramm wöchentlich gut sein ließen, ein um
22 Prozent erhöhtes Krebsrisiko; das Herzinfarkt und Schlaganfallrisiko lag um 27 Prozent höher als bei der Vergleichsgruppe.
Bei starken Fleischesserinnen war das Herztodrisiko sogar um
50 Prozent erhöht.“ (120f.)
Die lesenswerte Lektüre basiert auf den langjährigen praktischen Erfahrungen eines Tiernutzers, der praktikabel aufzeigt,
wie ein nachhaltiges Wirtschaften im Hinblick auf Tierhaltung
und -nutzung möglich ist. Damit spricht Schweisfurth nicht ausschließlich Tierschützer an, sondern neben umdenkungswilligen
Verbrauchern auch andere landwirtschaftliche Betriebe, die in
den Ausführungen des Autors Motivation für eine Umgestaltung
ihres Betriebes nach tierethischen Grundlagen finden können.
Eingebettet in die Erzählungen sind fachliche Informationen,
die eine wertvolle Grundlage für jeden interessierten, dem Tierschutz grundsätzlich aufgeschlossenen Menschen liefern. Industriellen Landwirtschaftsbetrieben kann das Buch als Anregung für
ein Umdenken dahingehend dienen, dass kurzfristig maximaler
Profit nicht nur auf Kosten wehrloser und fühlender Tiere geht,
sondern auch im Hinblick auf einen Erhalt unserer Umwelt und
damit unserer eigenen Lebensressourcen schädlich ist.
Silke Bitz
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Literaturbericht
2 Philosophische Ethik
2.1 Jean Kazez: Animalkind.
What We Owe to Animals
216 Seiten, Malden: Wiley-Blackwell,
2010, Euro 61,99
Die menschliche Wahrnehmung von
Tieren wird von einer auffälligen
Ambivalenz, einer „double vision of
animals“ (9), bestimmt. Einerseits bewundern wir Tiere als autonome Lebewesen mit einer uns fremden Lebensweise. Andererseits sehen wir sie als
Ressourcen mit einem reinen Nutzwert. Entsprechend schwankt
auch die Qualität der Mensch-Tier-Beziehung zwischen zwei
Polen: Tiere sind Freund oder Nahrung, Bello oder Fleisch.
Jean Kazez nähert sich dieser spannungsvollen Beziehung in
Animalkind. What We Owe to Animals zunächst über Beispiele
für den Umgang mit Tieren in verschiedenen historischen und
gesellschaftlichen Kontexten. Beim Blick auf die gemeinsame
Geschichte von Mensch und Tier im ersten Teil des Buches
(Before) zeigt sich, dass die Ambivalenz der Mensch-TierBeziehung schon lange vor der modernen Tierrechtsbewegung
erkannt und in Mythen und religiösen Schriften thematisiert
wurde. In vielen davon deutet sich bereits ein Unbehagen gegenüber der Ausbeutung und Konsumierung von Tieren an. Ein
Überblick über philosophische Positionen von der Antike bis
ins 18. Jahrhundert macht nicht nur deutlich, dass Menschen
schon immer tierethische Fragen gestellt haben, sondern auch,
dass immer wieder die Möglichkeit versäumt wurde, philosophische Ansätze für die Sorge um tierliche Belange zu öffnen.
Im zweiten Teil des Buches (The Nature of the Beast) stellt
Kazez einige psychologische und ethologische Untersuchungen
zu potentiellen kognitiven Unterschieden zwischen Mensch und
Tier vor. Vor diesem empirischen Hintergrund ist es sehr wahrscheinlich, dass weder Bewusstsein noch Denken rein menschliche Eigenschaften sind: „As we learn more about animals
and ourselves, we are confronted with more continuity than the
line-drawers like to contemplate. It’s not just that animals have
more ‚human‘ abilities, but that we are more ‚animal‘.“ (74)
Allerdings bestehen durchaus noch unübersehbare graduelle
Unterschiede, etwa im Hinblick auf Selbstbewusstsein, Sprachfähigkeit und moralische Handlungsfähigkeit.
Die entscheidende Frage nach der moralischen Bedeutung
dieser Unterschiede, mit der Kazez sich im dritten Teil (All
Due Respect) beschäftigt, stellt sich in besonders reiner Form
in Rettungssituationen, bei denen das Leben von Menschen und
Tieren auf dem Spiel steht. Für Kazez ist es kein Ausdruck von
Speziesismus, dem Leben von Menschen einen höheren Wert
zuzuschreiben als dem von Tieren, wenn eine direkte Entscheidung zwischen beiden unvermeidlich ist. Denn der intrinsische
Wert eines Lebewesens hängt ebenso wie der Respekt, den wir
ihm schulden, von seinen Möglichkeiten (capabilities) ab. Und
die spezifischen menschlichen Möglichkeiten müssen uns insgesamt wertvoller erscheinen als die tierlichen: „we must make
judgments, because real-world choices depend on doing so. (…)
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If we’re biased in placing ourselves on a higher rung than other
animals, it’s a bias we can’t avoid.“ (87f.) Kazez plädiert für
einen hierarchischen Mittelweg zwischen radikalem Egalitarismus und dem Ausschluss aller nicht-menschlichen Lebewesen
aus der Moralsphäre. Tiere müssen moralisch berücksichtigt
werden, aber nicht in gleichem Maße wie Menschen. „Animals
deserve consideration in proportion to their cognitive, emotional, and social complexity.“ (93) Mit Hilfe dieses Kriteriums
können nach Kazez auch andere tierethische Fragen beantwortet
werden. So beurteilt sie die Tötung von Tieren als moralisch
gerechtfertigt, wenn damit das Leben von Menschen gerettet
werden kann. „Mr. Caveman“, der paläolithische Jäger, darf seinen Speer auf einen Auerochsen werfen, um sich und seine Familie zu ernähren, da diese aufgrund ihrer Möglichkeiten mehr
Respekt verdienen als das Tier. Allerdings ist dieses Argument
heute in vielen Teilen der Welt angesichts der industrialisierten
Tierhaltung einerseits und der Möglichkeit einer vegetarischen
Ernährung andererseits nicht mehr stichhaltig.
Im vierten Teil (Moral Disorders) untersucht Kazez, wann die
moralisch zulässige Nutzung von Tieren in eine moralisch unzulässige Ausbeutung umschlägt. Sie kommt zu dem Ergebnis,
dass viele moralische Probleme im Umgang mit Tieren durch
einen Mangel an Ausgewogenheit entstehen. Offensichtlich haben wir die Verhältnismäßigkeit zwischen dem Gewinn für den
Menschen und dem Verlust für das Tier aus den Augen verloren,
wenn wir Tiere für ein flüchtiges ästhetisches oder kulinarisches
Vergnügen töten. Die moralische Bewertung von Tierversuchen
ist dagegen weniger klar. Meist werden entweder Nutzen oder
Kosten einseitig betont, je nachdem ob Forscher oder Versuchstiere verteidigt werden sollen. Um möglichst beiden Seiten gerecht zu werden, untersucht Kazez zwei Extrembeispiele tierexperimenteller Forschung: die Entwicklung des Polio-Impfstoffs
und Harlows Deprivationsexperimente mit Rhesusaffen. Im ersten Fall müssen Tierversuche nach Kazez als notwendiges Übel
angesehen werden. Im zweiten Fall ist jedoch der Erkenntnisgewinn gegenüber dem Tierleid unverhältnismäßig gering.
Im abschließenden fünften Teil (Next) bezieht Kazez das Problem des Artensterbens in ihre Überlegungen ein. Für Kazez
schließen sich die Sorge um das individuelle tierliche Wohlergehen und um die Aufrechterhaltung der Biodiversität nicht aus,
sondern entspringen vielmehr dem gleichen Gefühl der Bewunderung und des Respekts für fremde Lebensformen: „You can
decline the hamburger to save the cow, but just as reasonably,
to save the tiger.“ (167) Sowohl der bessere Umgang mit Nutzund Versuchstieren und die Verringerung der Tiernutzung insgesamt als auch der Schutz von Wildtieren sind Ziele, denen wir
uns in einem allmählichen Prozess annähern sollten.
Kazez’ Buch hebt sich positiv von vielen anderen populärphilosophischen Darstellungen tierethischer Probleme ab, da es
wohltuend ausgewogen und pragmatisch ist. Statt einer lautstarken Verkündung von Antworten findet man das aufrichtige Ringen um einen fragilen Mittelweg, auf dem sowohl die menschlichen als auch die nicht-menschlichen Beteiligten so weit wie
möglich respektiert werden. Kazez’ größter Verdienst ist, dass
sie immer wieder eindrücklich darauf hinweist, dass zwischen
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Literaturbericht
menschlichen und tierlichen Interessen tatsächlich ein Konflikt
besteht, für den es keine einfachen Lösungen gibt. Es handelt
sich nicht um einen Scheinkonflikt, der eindeutig zugunsten von
Mensch oder Tier entschieden werden kann. Die Mensch-TierBeziehung bewegt sich im Spannungsfeld von Problemen, die
nur durch sorgfältiges Abwägen der jeweils auf dem Spiel stehenden Güter gelöst werden können.
Aus tierethischer Sicht kann man einige argumentative
Schwächen kritisieren. So ist der stark hierarchische Blick moralisch sicher nicht so leicht zu begründen, wie Kazez anzunehmen scheint. Zudem bringt Kazez an einigen Stellen praktische
oder ästhetische Überlegungen als Argumente für oder gegen
die Gültigkeit moralischer Schlüsse vor. Diese Argumentationsstrategie ist jedoch eine unausweichliche Folge der Tatsache,
dass moralische Forderungen nur dann eine Bedeutung besitzen
können, wenn sie tatsächlich umsetzbar sind. Eine grundlegende Verbesserung der Mensch-Tier-Beziehung kann nicht durch
die radikale Lebensänderung einiger weniger Menschen zustande kommen, sondern nur durch die graduelle Veränderung des
2.2 Helmut F. Kaplan: Ich
esse meine Freunde nicht oder
Warum unser Umgang mit
Tieren falsch ist
132 Seiten, Berlin: trafo
Wissenschaftsverlag, 2009,
Euro 12,95
Helmut F. Kaplan ist in der Tierethik
kein unbeschriebenes Blatt. Der österreichische Psychologe und Philosoph
(geb. 1952) veröffentlichte seit Mitte der 1980er Jahre eine stattliche Anzahl an Büchern und Artikeln zu tierethischen Themen.
Er versuchte darin v. a. die utilitaristische Tierethik von Peter
Singer mit der Tierrechtsposition von Tom Regan zu verbinden.
Sein neues Buch „Ich esse meine Freunde nicht“ will zentrale
Begriffe der Tierrechtsbewegung allgemeinverständlich erläutern und eine Alternative zu religiös-esoterischen und rein akademischen Abhandlungen bieten. Zwar fühlt sich Kaplan der
abendländischen argumentativen Philosophie verpflichtet, aber
deren „akademischer Wasserkopf“ verhindert die Ausbildung
einer „Einfachen Ethik“, um die es Kaplan geht.
Das Buch gliedert sich in einen praktischen und einen theoretischen Teil, wobei der theoretische Teil aus Ergänzungen und
Ausführungen zu den im praktischen Teil angeführten Themen
besteht. Kaplan will – einem alten pädagogischen Grundsatz
zufolge − die Menschen dort abholen, wo sie sich mit ihren
moralischen Überzeugungen befinden. Deshalb beginnt er mit
der Widerlegung einiger alltagsweltlicher Argumente für das
Fleischessen wie z. B. „Tiere zu töten ist unvermeidlich“ oder
„Fleischessen ist moralisch unbedenklich, weil es gesund ist“.
Diese oft unreflektierten und vorgeschobenen Begründungen
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Verhaltens vieler. Und da Menschen keine Heiligen sind, ist
damit zugleich eine Abschwächung der Anforderungen an den
Einzelnen verbunden: „For most people, being good is a work
in progress, never to be completed.“ (178)
Die von Kazez diskutierten Argumente, Fragen und Probleme sowie die von ihr angebotenen Lösungen sind für Leser,
die sich bereits intensiver mit tierethischen Fragen beschäftigt
haben, nicht neu. Trotzdem ist Animalkind nicht nur ein guter,
leicht lesbarer Einstieg für alle, die gerade beginnen, die gegenwärtigen Formen der Nutzung von Tieren in Frage zu stellen.
Es bietet auch eine ermutigende Lektüre für „Teilzeitvegetarier“, die zwar (noch) nicht für einschneidende Veränderungen
bereit sind, aber bereits erste Schritte zu einer Verbesserung der
Mensch-Tier-Beziehung unternommen haben. Sie bekommen
eindrücklich vermittelt, dass jeder Schritt zählt: „If the really
important thing is the benefit to animals, do not scoff at reducing
consumption as a positive step. The point is not to be perfect but
to prevent (as much as you can) harm to animals.“ (179f.)
Kirsten Schmidt
werden von Kaplan einer argumentativen Kritik unterzogen; sie
ist nützlich in der Auseinandersetzung mit dem Fleischverzehr
und dient als Vorbereitung zu den systematischen Ausführungen zur Tierethik. Basisunterscheidung für die systematischen
Ausführungen zur Tierethik ist dabei die von Singer populär
gemachte Trennung von empfindungsfähigen und nicht-empfindungsfähigen Lebewesen. Denn es ist „sinnvoll zu fragen, was
eine Beutelratte fühlt, wenn sie ertrinkt“, aber es ergibt „keinen
vergleichbaren Sinn (...) zu fragen, was ein Baum fühlt, wenn er
abstirbt.“ (24) Da empfindungsfähige Wesen eine „Innenseite“
aufweisen, daher Wünsche und Interessen ausbilden, sind sie in
moralischer Hinsicht anders zu bewerten als Lebewesen, denen
keine „Innenseite“ nachzuweisen ist. Aus dem Vorhandensein
von Wünschen empfindungsfähiger Lebewesen folgt für Menschen, dass sie moralische Pflichten ihnen gegenüber haben.
Den moralischen Status von Lebewesen koppelt Kaplan an
die Empfindungsfähigkeit, aber nicht ausschließlich an die
Leidensfähigkeit (Pathozentrismus), obwohl er der Leidensfähigkeit eine bedeutende Stellung einräumt (91ff.). Autonomie,
Selbstbewusstsein und Rationalität sind für ihn ebenfalls Kriterien, die einen moralischen Status begründen. Er insistiert,
dass in der Ethik die Bedeutung von Fakten allgemein zu gering
eingeschätzt wird – wohl um die allseits gefürchteten „naturalistischen Fehlschlüsse“ zu vermeiden, also die Gefahr aus dem
biologisch vorgefundenen Sein ein ethisches Sollen abzuleiten.
Ihm zufolge wurde daher bisher evolutionsbiologischen Tatsachen ein zu geringes Interesse entgegengebracht. Nur durch die
naturwissenschaftliche verbürgte „evolutionäre Kontinuität“
ist aber argumentativ abgesichert, dass Empfindungsfähigkeit,
Autonomie, Selbstbewusstsein und Rationalität auch einem
großen Teil der Säugetiere zukommt und dadurch das speziesistisch verstandene Prinzip der Menschenwürde ins Wanken
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Literaturbericht
gerät: „Darwins Erkenntnisse sollten dazu führen, dass diese
Form von Menschenwürde – mit ihren verheerenden Folgen für
Tiere – als das gesehen wird, was sie ist: eine höchst unplausible
und unglaubwürdige Sache.“ (53) Der Idee der Menschenwürde
wird von Kaplan jedwede rationale Begründung abgesprochen
− ihre „Scheinbegründungen“ (59) werden daher einer scharfen
Kritik unterzogen.
Kaplan baut hingegen − Peter Singer folgend − die Ethik auf
dem Gleichheitsprinzip der Interessen auf: In allen moralischen
Überlegungen sollen wir den ähnlichen Interessen aller, die von
unseren Handlungen betroffen sind, gleiches Gewicht geben.
Dieses zunächst unscheinbare Prinzip entwickelt seine Radikalität dadurch, dass es die Speziesgrenzen durchbricht und auch
Tieren Interessen zubilligt. Dadurch wird der Anthropozentrismus der abendländischen Ethik in Frage gestellt. Fleischessen
z. B. wird als eine Verletzung der Lebensinteressen von Tieren
gekennzeichnet; das vergleichsweise unelementare Interesse von
Menschen am Genuss von Fleisch wird mit dem bedeutenden
Interesse von Tieren an ihrem Weiterleben kontrastiert. Da die
utilitaristische Denkweise (von Singer) aber dazu führen kann,
dass die Interessen einzelner Individuen auf der Strecke bleiben,
dadurch, dass sie in der Waagschale mit den Interessen vieler
Individuen zu wenig Gewicht haben können, kombiniert Kaplan
das Gleichheitsprinzip der Interessen mit der Goldenen Regel.
Nur die Goldene Regel – also das Prinzip, welches besagt,
dass ich andere so behandeln soll, wie ich selbst behandelt
werden möchte – garantiere eine Anteil nehmende und somit
verinnerlichte moralische Position, da die Goldene Regel die
Interessen der anderen durch einen gedanklichen Perspektivenwechsel mit den eigenen Interessen zu vermitteln suche. Kaplan
bezeichnet die Goldene Regel auch als „Ethische Weltformel“.
Wie würde ich mit den Eigenschaften des anderen oder in der
Situation des anderen behandelt werden wollen? Die Kritik an
der Goldenen Regel, dass beim Mensch-Tier-Verhältnis keine
Anwendbarkeit möglich sei, führt der Psychologe Kaplan indes
auf eine Abwehr aufkommenden Entsetzens zurück: „Das wirkliche Problem bei der Anwendung der Goldenen Regel auf Tiere
(...) ist, dass uns dies so leicht gelingt – und dass das Ergebnis
oft so schauerlich ist: Wer sich auch nur oberflächlich über das,
was auf Tiertransporten, was in Tierfabriken, in Schlachthäusern usw. passiert, kundig macht und sich dann seinen Hund
oder seine Katze in diesen Situationen vorstellt (...) der droht
vor Mitleid und Entsetzen verrückt zu werden.“ (80) Damit
rührt Kaplan an einer zentralen Stelle unseres Umgangs mit Tieren, nämlich der Frage, welche psychologischen Mechanismen
es möglich machen, dass industriell organisierte Grausamkeit
an Tieren in so großem Ausmaß möglich ist.
Kaplans Buch liest sich als eine gelungene Einführung in die
tierethischen Problemkreise. Es stellt nahezu alle relevanten
Positionen, Namen und Begriffe in relativ zugänglicher Weise
vor. Die Literaturangaben sind ausführlich und auf dem neusten
Stand. Sein Konzept einer „Einfachen Ethik“ verführt jedoch
Kaplan an manchen Stellen dazu, komplexe Argumentationsstränge auf griffige Formeln zu reduzieren.
Norbert Walz
2.3 Robert W. Lurz (Hrsg.): The
Philosophy of Animal Minds
ihrer evolutionären Geschichte und den Umwelten, in denen sie
leben – besitzen oder besitzen könnten. Traditionell ist es hier
in der Philosophie bisher meist darum gegangen, ob Tiere (ohne Sprache) denken können. Zweitens nähern sich Epistemologische Ansätze dem Thema im Gegensatz dazu von der Frage
aus, wie unser Wissen vom Geist der Tiere zu verstehen ist und
zustande kommt. Hier ist entweder normativ von Interesse, was
unsere Zuschreibungen mentaler Zustände an Tiere rechtfertigt,
oder es wird deskriptiv untersucht, wie wir de facto dazu kommen, Tieren solche Zustände zu unterstellen.
Lurz führt weitere zentrale Begriffe ein und weist dann auf
wichtige inhaltliche Unterschiede verschiedener philosophischer Ansätze hin. Auch hier folgt er einer Zweiteilung, nach
der sich viele philosophische Positionen maßgeblich darin
unterscheiden, ob sie sich auf mentale Repräsentationen oder
intentionale Zustände zweiter Stufe bei Tieren konzentrieren
und deren Vorliegen für entscheidend halten („higher-order representational (HOR) approach“) oder ob sie Bewusstseins- und
Wahrnehmungszustände erster Stufe in den Mittelpunkt rücken
(„first-order representational (FOR) approach“). Nach dem
HOR-Ansatz verfügt ein Lebewesen nur dann über Bewusstsein, wenn es auch über ein Bewusstsein darüber verfügt, dass
es Bewusstsein hat. Manche Autoren der vorliegenden Textsammlung stimmen dem, so Lurz, zu und sehen zumindest bei
308 Seiten, Cambridge: Cambridge
University Press, 2009, Euro 23,37
In den letzten zehn Jahren hat das philosophische Interesse am Geist der
Tiere enorm zugenommen, so Robert
W. Lurz in seiner Einführung zu The
Philosophy of Animal Minds. Unzählige Publikationen und Konferenzen
hätten sich diesem Thema gewidmet:
„The level of interest and publication has reached a critical mass
and has sustained itself long enough that it is now appropriate
to say that the philosophy of animal minds is a field in its own
right.“ (1) Als Editor versammelt er in seinem Buch nun eine
Reihe aktueller Aufsätze der namhaftesten zeitgenössischen
Philosophen, um den Fortgang der Debatte zu präsentieren.
Lurz macht in seiner kurzen Einführung deutlich, wie die einzelnen Beiträge kategorisiert wurden. Philosophische Fragen
zum Geist der Tiere folgen normalerweise zwei (sich nicht ausschließenden) Ansätzen. Erstens einem metaphysischen Ansatz,
der danach fragt, welche Art von Geist Tiere – in Übereinstimmung mit ihrem Verhalten, der Beschaffenheit ihres Gehirns,
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Literaturbericht
einigen Tieren in neueren empirischen Studien Evidenz für ein
Verständnis vom Innenleben anderer, für Gedankenlesen und
Metakognition. Vertreter der FOR-Theorie, die Bewusstseinsund Wahrnehmungszustände erster Stufe in den Mittelpunkt
rückt, gehen hingegen davon aus, dass – unabhängig von solchen metakognitiven Kompetenzen – Wahrnehmungen an sich
bereits mit Bewusstsein gekoppelt sind, etwa mit einem Körperbewusstsein.
Lurz ordnet die Essays seiner Textsammlung einerseits inhaltlich, folgt aber auch andererseits den vorgestellten Unterscheidungen. Dale Jamieson What do animals think? und Eric
Saidel Attributing mental representations to animals eröffnen
die Diskussion um epistemische Fragen der Zuschreibbarkeit
mentaler Zustände wie Überzeugungen und Wünsche an Tiere.
Die nächsten drei Essays fokussieren auf die repräsentationale
Basis des Denkens bei Tieren und beziehen sich vorrangig auf
deren mentale Repräsentation von konkreten Dingen in ihrer
Umwelt: Michael Rescola: Chrysippus’ dog as a case study in
non-linguistic cognition, Michael Tetzlaff und Georges Rey:
Systematicity and intentional realism in honeybee navigation und Peter Carruthers: Invertebrate concepts confront the
generality constraint. Hier geht es maßgeblich um die Frage,
ob Tiere in Satz-artigen mentalen Repräsentationen bzw. in einer Art gedanklicher Sprache denken oder eher in ikonischen
Repräsentationen, also etwa bildhaft in Form von mentalen
Landkarten. Besonders interessant ist hier Tetzlaffs und Reys
Ansatz, die mentalen Repräsentationen, welche der Navigation und Kommunikation von Honigbienen zu Grunde liegen,
als systematisch vorliegende, Satz-artige Repräsentationen zu
verstehen.
Die nächsten zwei Essays von Elisabeth Camp A language
of baboon thought? und Andrew McAninch, Grant Goodrich
und Colin Allen Animal communication and neo-expressivism
setzen die Diskussion um konzeptuelle, sprach-analoge Fähigkeiten fort und wenden sich den Fähigkeiten von Affen zu.
Camp sieht bedeutende Unterschiede hinsichtlich der syntaktischen Strukturen, denen Lautäußerungen und Repräsentationen
bei Affen im Vergleich zum Menschen folgen. Diejenigen der
Affen hätten viel stärker semantische Funktionen, während das
linguistische System des Menschen kompositionellen Relationen folge, die deutlich genereller und abstrakter gestaltet seien.
McAninch, Goodrich und Allen problematisieren hingegen die
vorherrschende Unterscheidung, dass Vokalisationen entweder
expressiv oder referentiell seien. Eine Lautäußerung habe stattdessen immer beide Funktionen.
Die folgenden beiden Aufsätze von José Luis Bermudez:
Mindreading in the animal kingdom und Joëlle Proust: The
representational basis of brute metacognition: a proposal beschäftigen sich nicht länger mit der Wahrnehmung der Tiere
in Bezug auf Dinge ihrer Umwelt, sondern widmen sich deren
Verständnis mentaler Zustände. Drei weitere Autoren nehmen
das Bewusstsein, das Selbstbewusstsein und die Emotionen bei
Tieren in den Blick: Rocco J. Gennaro: Animals, consciousness,
and I-thoughts, David DeGrazia: Self-awareness in animals,
Robert C. Roberts: The sophistication of non-human emotion).
Hier wenden sich die Texte auch stärker den in der Einleitung
unterschiedenen epistemischen Fragen zu. Gennaro verteidigt
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den HOR-Ansatz, während DeGrazia hilfreiche Unterscheidungen mit Blick auf die Kategorie des Selbstbewußtseins einführt:
„Bodily self-awareness“ ist demnach bei vielen Tieren zu finden, „social self-awareness“ und „introspective self-awareness“
aber auch zumindest bei einigen Arten wie Walen und Delphinen, Affen und Menschenaffen. Roberts schließlich verweist
auf Unterschiede zwischen Menschen und nicht-menschlichen
Tieren, wenn es um komplexe Emotionen geht. Während diese Unterschiede einerseits nicht übersehen werden dürfen, sind
doch auch bei nicht-menschlichen Tieren einige der in seinem
Essay spezifizierten Dimensionen von Emotionen in einem erstaunlichen Grad entwickelt (236).
Die letzten beiden Texte wenden sich dann gänzlich epistemischen, d.h. auch methodologischen Fragen der Erforschung
des Geistes der Tiere zu: Elliott Sober: Parsimony and models
of animal minds, Simon Fitzpatrick: The primate mindreading
controversy: a case study in simplicity and methodology in
animal psychology. Hier wird beispielsweise ausgeführt, dass
Interpretationen, die auf höhere intentionale Zustände Bezug
nehmen, tatsächlich gemäß Morgans Kanon „sparsamere“ und
deshalb wissenschaftlich angemessenere Beschreibungen dessen darstellen können, was Tiere leisten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Textsammlung
ihrem Ziel gerecht wird: Im Vergleich zu ähnlichen Büchern
werden hier tatsächlich aktuelle Aufsätze vorgestellt, die sowohl
auf ältere Positionen zurückgreifen als auch neuere empirische
Daten diskutieren und Perspektiven der zukünftigen Forschung
aufzeigen. Sicherlich ist dieses Buch damit interessant für Philosophen und Naturwissenschaftler.
Allerdings bleiben die Autoren – typisch für die Analytische
Philosophie – bei der Frage stehen, ob Tiere über bestimmte
mentale Kompetenzen verfügen und wie wir diese beschreiben und erfassen können. Warum diese Frage mit Blick auf das
Mensch-Tier-Verhältnis von Bedeutung ist, wird leider nicht erwähnt. Warum aber sollen wir uns mit Fragen nach dem Geist
der Tiere, nach deren komplexen sozialen, kognitiven und emotionalen Fähigkeiten überhaupt beschäftigen? Ist es auch für
unser Verhältnis zu Tieren und unseren Umgang mit Tieren von
Relevanz, dass sie etwa über Bewusstsein und Selbstbewusstsein, über Erinnerungsvermögen, komplexe Emotionen und soziales Wissen verfügen und uns hinsichtlich solcher Fähigkeiten
bisweilen sehr ähnlich sind? Solchen weiterführenden, vorrangig ethischen Fragen wird in dieser Textsammlung weder in einem eigenen thematischen Block noch in einer abschließenden
Schlussbemerkung nachgegangen (obwohl beispielsweise mit
Jamieson und DeGrazia durchaus Autoren zu Wort kommen, in
deren Forschung die Tierethik sonst einen festen Platz hat). Im
Literaturverzeichnis sind Referenzen, in denen der moralische
Status von Tieren eine Rolle spielt, kaum vorhanden. Wer also an tierethischen Fragen interessiert ist, mag enttäuscht sein.
Eine Verbindung von der Theoretischen zur Praktischen Philosophie, von der Philosophie des Geistes zur Ethik leistet dieses
Buch leider nicht.
Mit Blick auf die Themen, die diskutiert werden, hat man
aber eine umfangreiche Sammlung von Texten vor sich, deren argumentatives Niveau sehr hoch ist. Der Editor bemüht
sich deshalb um eine klare und hilfreiche Einführung und der
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überforderte oder fachfremde Leser kann auf einen Glossar zurückgreifen, in dem die wichtigsten Fachbegriffe der Debatte
erklärt werden. Wer sich eine ausführlichere Einführung in die
Thematik wünscht, greift vielleicht aber besser auf die wesentlich umfangreichere Einführung in Perler und Wilds Geist der
Tiere (Suhrkamp, 2005) zurück. Diese Textsammlung präsentiert in deutscher Übersetzung ebenfalls einige der bei Lurz
vertretenen Autoren, stellt aber vor allem die klassischen und
damit bereits älteren Texte zusammen, auf die sich Lurz und
seine Autoren oft berufen.
2.4 Mark Rowlands:
Animal Rights. Moral Theory
and Practice
240 Seiten, Chippenham and
Eastbourne: Palgrave Macmillan,
2. Auflage, 2009, Euro 21,99
Mark Rowlands, in Florida/Miami lehrender Professor für Philosophie mit
dem Forschungsschwerpunkt Philosophy of Mind, erwarb sich bereits 1998
mit der ersten Auflage von Animal
Rights im Bereich der englischsprachigen Tierethik hohe Anerkennung. Im deutschsprachigen philosophisch-akademischen
Diskurs wurde hingegen seltsamerweise bis jetzt nur sein populärwissenschaftliches Buch Animals Like Us (vgl. 4) wahrgenommen. Auch die zweite Auflage von Animal Rights mit sieben überarbeiteten Kapiteln steht für das gleiche engagierte Ziel
wie die erste Auflage: die Begründung von Tierrechten durch
den moralischen Kontraktualismus. Dies ist ein ambitioniertes
Programm, denn wie Rowlands selbstkritisch in Animal Rights
ausführt, gilt für viele Ethiker eine solche Verknüpfung als theoretisch nicht kompatibel mit einem direkten moralischen Status
von Tieren, da Tiere nicht in der Lage sind Pflichten zu übernehmen, wie dies im Kontraktualismus zwischen den Vertragspartnern (Menschen) der Fall ist. Tiere als nicht ausreichend
rationale Lebewesen können die klassischen Kriterien als Vertragspartner der Moral nicht erfüllen. Allenfalls kann ihnen ein
indirekter moralischer Status zugesprochen werden, konzipiert
als eine Ausweitung im Interesse von menschlichen Rechtsubjekten mit direkten Status (vgl. 119).
Bevor Rowlands in Kapitel sechs sein kontraktualistisches
Argumentationskonzept darlegt, widmet er sich in den Kapiteln drei bis fünf einer differenzierten Kritik von bereits etablierten Formen der Tierethik im Kontext von Peter Singers
Utilitarismus, Tom Regans Animal Rights as Natural Rights
und neueren Ansätzen von Tugendethik und Tieren. Argumentative Grundlagenarbeit beginnt – nach einem konzisen theoretischen Überblick in Kapitel eins – im Science-Fiction-Kapitel
zwei. Dieser Teil behandelt ein inzwischen verbreitetes Gedankenszenario mit Aliens à la Independence Day. Dieses Szenario
soll helfen, Klarheit über die zugrunde gelegten moralischen
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Die philosophischen Diskussionen zum Geist der Tiere
sind an sich bereits sehr komplex, in englischer Sprache aber
sicherlich eher für Leser zugänglich, die ein Vorwissen mitbringen. Zum Einstieg in die Tierphilosophie empfiehlt sich
deshalb neben Perler und Wilds übersetzten Texten vor allem
Markus Wilds knappe Tierphilosophie zur Einführung (Junius,
2008). Wild wird der Debatte ebenfalls in ihrer Komplexität
gerecht, schafft es aber, diese zusammenhängender darzustellen und den Leser dabei von einfacheren zu spezifischeren Fragestellungen zu führen.
Judith Benz-Schwarzburg
Prinzipien zu schaffen, die Menschen anwenden, wenn sie Tiere zu ihren Zwecken verwenden. Die hochintelligenten Aliens,
genannt „Namuhs“, züchten nach einer erfolgreichen Invasion auf der Erde Menschen zur Fleischproduktion. Versucht
man nun ihr Verhalten nach Kriterien der Moral zu bewerten,
so lassen sich zwei Prinzipien erkennen. Die „Namuhs“ handeln erstens nach dem moralischen Prinzip, jedes ihrer Mitglieder mit Respekt und gleicher Anerkennung zu behandeln.
Auf der metaethischen Ebene lässt sich aus ihrem Verhalten
ein zweites Prinzip ableiten: Demzufolge darf kein moralischer Unterschied gemacht werden, ohne dass ein relavanter
natürlicher Unterschied vorhanden ist (vgl.12). Was ist damit
aber gemeint? Rowlands deckt damit einen Speziesismus auf.
Der einzige natürliche Unterschied, der auch moralisch relevant wird, wäre die Tatsache, dass Menschen nicht der Spezies
der „Namuhs“ angehören und deshalb auch keine moralische
Berücksichtigung verdienen. Mit seinem imaginären Diskurs
mit den „Namuhs“ versucht Rowlands nun die moralische Irrelevanz bestimmter Merkmale, wie der Zugehörigkeit zu einer
Spezies, der phänotypischen Eigenschaften oder der Intelligenz
eines Lebewesens, darzulegen (vgl.17).
Besondere Beachtung verdienen hier die Ausführungen zur
moralischen (Ir)Relevanz von Intelligenz. Diese Fragestellung
findet sich im Zentrum aktueller (bio-)ethischer Diskurse bei
Grenzfällen als the argument from marginal cases (23). Dieses zeigt, wie problematisch es sein kann, Eigenschaften oder
Fähigkeiten von Menschen als Grundlage moralischer Rücksichtnahme zu betrachten. Bestimmte Fähigkeiten, die als explizit menschlich betrachtet wurden, wie etwa die Fähigkeit
Zukunftspläne zu entwerfen, sind nicht bei allen Menschen
anzutreffen. So können etwa Kinder oder Menschen mit geistigen Behinderungen nicht in die Zukunft planen. Umgekehrt
können aber bestimmte Tiere in die Zukunft planen. Dies hat
zur Folge, dass etwa Menschen, die die zur moralischen Unterscheidung vorgeschlagene Eigenschaft nicht haben, als „Grenzfälle“ betrachtet werden. Rowlands großer Verdienst besteht
darin, dieses Dilemma hervorragend klar herauszuarbeiten. Der
erste argumentative Teil besteht darin, dass die Eigenschaft X
– verteidigt von Gruppe G – das Kriterium für moralische Berücksichtigung darstellt. Teil zwei beschreibt nun das Problem,
dass einige Mitglieder von G nicht die Eigenschaft X besitzen.
Die logische Folgerung in Teil drei wäre nun, dass diese MitAltexethik 2010
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Literaturbericht
glieder von Gruppe G entweder keine moralischen Ansprüche
haben oder dass die Eigenschaft X als das relevante Kriterium
verworfen werden muss (23). Kapitel eins schließt mit der tierethischen Kernthese des gesamten Buches: „treating individuals
with equal consideration and respect“ (29).
Im Kapitel drei Utilitarianism and Animals wird insbesondere Peter Singer mit seinem bisher meist zitierten tierethischen
Aufsatz All Animals are Equal (vgl. 32) von 1974 und seinem
darauf folgenden Klassiker von 1975 Animal Liberation scharf
kritisiert. Singer und den Vertretern verschiedener anderer Spielarten des Utilitarismus wird „an inadequate understanding of
the concept of equal consideration“ (32) angelastet. Rowlands
beginnt hier mit den klassischen Formen des hedonistischen und
präferenztheoretischen Utilitarismus und zeigt überzeugend die
Probleme von Gerechtigkeit bei einer rein konsequentialistischen aggregation of interests (46).
Etwas zu kurz wird jedoch die derzeit viel stärker diskutierte
Form des Regel-Utilitarismus als nicht tragfähiges tierethisches
Modell abgetan (51-52). Kapitel vier beginnt mit dem für manche etwas überraschenden Titel Tom Regan: Animal Rights as
Natural Rights (58). Rowlands vorderhand doch massive Kritik,
Regans Theorie aufgrund ihrer metaphysischen Basis nicht akzeptieren zu können (vgl. 59), wird sowohl ausgesprochen differenzierend als auch überzeugend an zentralen Begriffen von
Regans Theorie dargelegt. Während die Begriffsbestimmung
von “Individuals are subject-of-a-life if they have beliefs and
desires; perception, memory, and a sense of the future, including their own future; an emotional life together with feeling of
pleasure and pain; preference and welfare-interests; (…)” (59)
als metaphysisch neutral zu bezeichnen ist, gilt dies wohl nicht
für Regans Konzept von Werten. Rowland kritisiert hierbei,
dass der Begriff des Inhärenten Wertes inkommensurabel mit
dem Begriff des inneren Wertes sei, da beide nicht einfach miteinander verglichen werden können, weil sie sich nicht durch
den gleichen Maßstab bewerten lassen. (vgl. 62)
Hier überzeugen Rowlands kritische Unterkapitel namens Inherent value is mysterious (86), ad hoc (89) und unnecessary
(93), in denen er dieser Problematik gezielt nachgeht. Mit dem
kompakten Kapitel fünf zur Tugendethik Virtue Ethics and Animals und Conclusion (117) leitet Rowlands zu seinem von ihm
2.5 Nicole Shukin: Animal
Capital. Rendering Life in
Biopolitical Times
306 Seiten, Minneapolis:
University of Minnesota Press, 2009,
Euro 24,99
Erschienen in der Reihe Posthumanities, herausgegeben von Cary Wolfe
(siehe Rezension in diesem ALTEXethik: Cary Wolfe: What is PosthuAltexethik 2010
altex_ethik_2010_027_066_Litbericht.indd 39
verteidigten kontraktualistischen Ansatz über. Während beim
orthodox view (129) des Kontraktualismus in der Tradition von
Hobbes keine Chance auf direkte Berücksichtigung von Tieren
besteht, werden in Animal Rights unter Hinweis auf theoretische
Vorarbeiten des politischen Philosophen Will Kymlicka sowohl
Elemente von Immanuel Kants „Moral Law“ (126) als auch
John Rawls’ „A Theory of Justice“ (131 ff.) und „Political Liberalism“ zur Begründung von Tierrechten verwendet. Hierfür
wird das zentrale gerechtigkeitstheoretische Element von John
Rawls, der sogenannte Schleier des Nichtwissens („Niemand
weiß seinen Platz in der Gesellschaft, seinen sozialen Status,
seine Intelligenz, seine Stärken etc…“; vgl. 135) auch auf die
mögliche Inklusion von Tieren im sozialen Kontrakt verwendet.
Während John Rawls in seinem 1971 erschienen Klassiker „A
Theory of Justice“ zu zeigen versuchte, dass Tieren nicht die
gleichen Rechte zustehen wie Menschen (vgl.154), wird von
Rowlands insbesondere am Beispiel von Contractarianism and
vegetarianism (162) klar und überzeugend die Argumentation
für eine nicht speziesistische Gerechtigkeitstheorie und ihre
praktischen Implikationen erarbeitet.
Besondere Erwähnung verdient noch das letzte und wohl theoretisch anspruchvollste Kapitel sieben zu Animal Minds (176
ff.). Hier behandelt Rowlands als einer der weltweit führenden
naturalistischen Philosophen des Geistes in faszinierend komprimierter Form die wichtigsten Kritiker von Animal Minds.
Sowohl die Einwände gegen das higher-order thought model
of consciousness bei Tieren als auch die Probleme der Einheit
des Mentalen und des Zusammenhangs zwischen den verschiedenen Spielarten von Überzeugungen werden Schritt für Schritt
abgearbeitet. Rowlands zeigt ohne Polemik, dass diese Kritiken
nicht nur wenig überzeugend, sondern oftmals nur einfache Behauptungen sind, die als Argumente getarnt werden (vgl. 218).
Obwohl in Animal Rights einige zusätzliche aktuelle bibliographische Hinweise hilfreich wären (es gibt nur knapp drei Seiten
Bibliographie), verdient dieses theoretisch anspruchsvolle, aber
trotzdem sehr klar argumentierende Werk den Status eines modernen Klassikers und sollte sich insbesondere durch eine nunmehr preisgünstige Paperback-Version über die akademischen
Bibliotheken hinaus einen festen Platz in den Bücherregalen
erarbeiten.
Erwin Lengauer
manism?), befasst sich das Buch Animal Capital. Rendering
Life in Biopolitical Times mit der Schnittstelle zwischen Posthumanismus und kritischer Auseinandersetzung mit marxistischen und post-marxistischen Theorien rund um das Tier in
der Reproduktion der Hegemonie des Kapitals (7). Der Begriff „biopolitisch“ im Titel deutet schon darauf hin, dass sich
die kritische Analyse Shukins von der biopolitischen Tradition Michel Foucaults inspirieren lässt, die durch die Theorie
bzw. Interpretation der neuen Hegemonie-Formen von Michael Hardt und Antonio Negri (Empire. Die neue Weltordnung) ergänzt wird. Shukins Integration der posthumanisti39
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Literaturbericht
schen Perspektive, laut der der Mensch keine Sonderstellung
mehr hat, ist herausfordernd.
Das Ziel des Buches besteht in der Tat darin, zu zeigen, dass
die Logik der Biomacht nicht (mehr) ausschließlich den Menschen betrifft, sondern sich auf das ganze Reich des Lebendigen
erstreckt: Im Unterschied zur marxistischen Theorie wird die
Ideologie nicht mehr auf der Ebene der Super-Struktur der Ideen geortet, sondern im Körper selbst als biologische Urquelle
für das Lebendige und damit auf einer prae-ideologischen bzw.
strukturellen Ebene (25) angesiedelt. Aus dieser Perspektive
wird auch die Doppeldeutigkeit des Verbs „rendering“ im Titel
klar, das zum einen „Wiedergabe“ bedeutet, und zwar die Kunst
der Übersetzung bzw. Reproduktion eines Gegenstandes oder
eines Werkes. Zum anderen bezieht es sich auf die Bearbeitung
oder das Recycling von tierischen Resten in industriellen Prozessen. Durch die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen
Verfahren, bei denen Tiere und tierische Reste bzw. Komponenten verarbeitet werden, wird deutlich, dass einerseits Kapitalismus in der materiellen Produktion von Tieren involviert ist und
andererseits das Bild bzw. die immaterielle Vorstellung des Tieres in Kunst und Medien dadurch auch modifiziert wird. Damit
wird die Komplizenschaft zwischen Kunst und Medien mit der
Industrie verdeutlicht, die tatsächlich in der Praxis unterschiedliche, zum Teil widersprüchliche Formen annehmen kann.
Im Buch werden unterschiedliche Tierbilder und Tiernutzungen unter dieser neuen Logik des „Rendering“ analysiert:
Während Shukin ihre neue Auffassung im ersten Kapitel noch
einmal ausführlicher und mit einigen Beispielen erklärt, sind die
anderen Kapitel der Analyse konkreter Bilder und Vorstellungen von Tieren gewidmet. Im Kapitel 2 setzt sich Shukin mit
dem tierischen Kapital in Verfilmungen, Industrie-Produkten
und Maschinen rund um das Thema Mobilität auseinander. Zwischen dem Fließband in Lebensmittelfabriken bzw. Schlachthäusern, die den Auto-Montage-Bändern ähnlich sind, und der
Filmrolle im Kino, die aus Material mit tierischen Bestandteilen
(Gelatine) besteht, zieht sie eine Parallele: Alle Prozesse gelten
als Ausdruck der ideologischen Zeit des kapitalistischen Fordismus. Im Unterschied dazu wird die postfordistische neo-liberale
Zeit durch den Gebrauch der Metapher der Tier-Maschine am
Besten dargestellt: Das Auto steht paradigmatisch in der natürlichen Umgebung auf der Ebene mit Tieren.
Kapitel 3 ist der Analyse der Verwendung von Tierbildern
im Bereich der Telekommunikation gewidmet: Durch eine kurze Rekonstruktion der Rolle der Tier-Bilder in der Geschichte
(z.B. in Galvanis Erklärung der Elektrizität in Lebewesen) sowie der Edison-Verfilmungsexperimente, die interessanterweise
auch das Phänomen der Effekte der Elektrizität auf Tieren zum
Thema hatten (in der ersten Verfilmung wird ein elektrischer
Einschlag am Elefant gezeigt), zieht Shukin eine interessante
interpretative Linie hin bis zum Gebrauch der heutigen Ikonografie des Tieres in einer bekannten Werbung einer kanadischen
Telekommunikationsfirma. In deren Mittelpunkt steht eine Art
„Ästhetik des Verbrauches“ durch eine kapitalistische Interpre-
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tation der emotionalen Verbindung zwischen Mensch und Tier.
Im Kapitel 4 befasst sich Shukin mit der Konstruktion der
Pandemie-Gefahr in den Dokumenten der WHO, in der medialen Betrachtung der Vogelgrippe und in der „Ökologie der
Angst“ von Mike Davis und mit der damit zusammenhängenden Betrachtung der biologischen und damit auch ideologischen
Grenzen zwischen Mensch und Tier. Auch wenn die Vogelgrippe zum Anlass für katastrophale Spekulationen über die Entwicklung bzw. Zerstörung der Welt-Ökonomie wird, so wird
hier gezeigt, wie diese Betrachtungen tatsächlich die Rhetorik
des Neo-Liberalismus verstärken. Sie stützen sich zum einen
auf die Idee einer globalisierten Welt und zum anderen verstärken sie die Idee der biologischen gefährlichen Verwandtschaft
zwischen Menschen und Tieren; einer Verwandtschaft, die es
auszuklammern gilt. In der globalisierten Welt wird der Mensch
im Namen dieser Kontaminationsgefahr durch Tiere allen Menschen gleichgesetzt. Gleichzeitig wird aber der typische Mensch
aus dem Westen von einigen Menschen kulturell abgegrenzt, da
in der Rhetorik der Information auf unterschiedliche Kulturen
(vor allem kleine Bauernhöfe im Osten) hingewiesen wird, die
in gefährlicher Intimität mit Tieren leben, indem sie bspw. bestimmte hygienische Maßnahmen nicht beachten, oder dass die
Zahl der mit Tieren zusammenlebenden Menschen hoch ist, wie
bspw. in China (209). Gefährlich sind hier für Shukin die praktischen Konsequenzen solcher Rhetorik, weil Tiere und infizierte Menschen diskriminiert bzw. auch präventiv getötet werden
können (186).
Im Postskript erklärt Shukin, wie in den letzten zwei Jahrzehnten der BSE-Skandal eine materielle Krise in der „EiweißKette“ des Spätkapitalismus verursacht hat. Diese ist gleichzeitig zu einer Krise geworden, die die digitalen Technologien und
visuellen Medien in ihrer Betrachtung der Tierbilder verursacht
haben, und zwar eine Krise der Symbole. Diese gesamte Krise
hat aber nur zu einer strukturellen Re-Organisation in der Landwirtschaft geführt, jedoch zu keiner tiefen Veränderung. Shukin
beendet ihr Buch mit der Hoffnung auf eine Herausforderung
zu diesem neuen Verständnis, wobei die Erfahrung der letzten
Jahrzehnte die Widerstandskraft des Kapitalismus gezeigt hat.
Alles in Allem bietet die Analyse Shukins interessante Blickwinkel über die historischen Zusammenhänge der zeitgenössischen Tier-Ikonografie in ihrem breiten kulturellen Kontext.
Bemerkenswert ist die ausführliche Rekonstruktion der Quellen
und Inspirationsmuster alter wie neuer Verwendung tierischen
Materials und seiner Symbole. Weniger klar bleibt aber der
Zusammenhang zwischen der Analyse der Beispiele und dem
ausführlichen theoretischen Teil. Der Leser bleibt mit der Frage zurück, ob solche Analysen nicht auch ohne eine explizite
Zustimmung zur Theorie der Empire von Hardt und Negri, die
allerdings auch nicht so ausführlich diskutiert worden ist, sowie
ohne Bezug auf einige – sehr allgemein erklärte – neo- bzw.
postmarxistische Interpretationen des Fetischismus der Waren
doch zu den gleichen Ergebnissen gekommen wäre.
Arianna Ferrari
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Literaturbericht
3 Ethik interdisziplinär
3.1 Carol Gigliotti (Hrsg.):
Leonardo’s Choice. Genetic
Technologies and Animals
256 Seiten, Dordrecht: Springer, 2009,
Euro 120,73
Der von Carol Gigliotti herausgegebene Sammelband Leonardo’s Choice. Genetic Technologies and Animals
zeigt, dass das in der Tierethik viel
diskutierte Thema Gentechnik immer
noch Überraschungen bereithält. Dazu trägt vor allem die Auswahl der
Autoren bei, die ganz unterschiedliche akademische Traditionen und Perspektiven repräsentieren – von Philosophie,
Kulturtheorie, Kunst und Literaturwissenschaft über Verhaltensbiologie, Recht und Geschichte bis zur Landschaftsarchitektur. Die Beiträge (zwölf Artikel und ein Dialog) verbindet
die Frage nach dem Einfluss neuer Technologien auf menschliche und nicht-menschliche Lebewesen. Der Biotechnologie
kommt dabei eine besonders kritische Rolle zu, weil durch
sie biologische Materialität im Sinne von Informationseinheiten neu definiert und so eine neue Stufe der Verdinglichung
des Tieres erreicht wird. Für Gigliotti liegt die Bedeutung
des Bandes daher vor allem darin, die zunehmende Blindheit
gegenüber der tierlichen Subjektivität zu kritisieren, die besonders im Gebrauch von Tieren in der gentechnischen Forschung zum Ausdruck kommt.
Im ersten Teil des Bandes werden mögliche Wege zu einer
Verbesserung der Mensch-Tier-Beziehung aufgezeigt. Es ist
bezeichnend, dass ein Artikel des Philosophen und Tierrechtsaktivisten Steven Best am Anfang steht, denn sein postmoderner, von tiefer Sorge über eine ungewisse Zukunft geprägter
Blick durchzieht auch die meisten anderen Beiträge. Nach
Best ist die Wissenschaft in der globalen Welt zu einer aktiven
Kraft geworden, die unsere Interpretation des Lebens und sogar die Natur des Lebens selbst verändern kann. Die entscheidende Frage ist, ob wir diese Entwicklung dazu nutzen, um
bestehende Missstände im Umgang mit anderen Lebewesen
weiter zu zementieren oder um unsere moralischen Werte und
unsere Vorstellungen über den Ablauf demokratischer Prozesse grundlegend zu verändern. Nur im Kontext einer von Dialog und Kommunikation geprägten „postmodern metascience“
(15) könnten Gentechnik und Wissenschaft ihr durchaus vorhandenes positives Potential entfalten.
Wie Vincent J. Guihans Analyse des genetischen Diskurses
im 20. Jahrhundert zeigt, hat Darwins Origin of Species zu
einer Vielzahl von Diskursverschiebungen geführt. Auf der
einen Seite wurden Darwins Erkenntnisse als wissenschaftliche Grundlage für eugenische Bestrebungen bei Mensch und
Tier und für einen rassistischen „discourse of species“ benutzt,
„in which human beings are marginalized as though they were animals in an effort to exploit them economically“ (29).
Auf der anderen Seite entspann sich aus dem Wissen um die
grundsätzliche Ähnlichkeit von Mensch und Tier mit der TierAltexethik 2010
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rechtsbewegung ein Gegendiskurs, der gleiche Rechte für alle
fühlenden Wesen einfordert.
Im Rahmen eines tugendethischen Ansatzes fordert Beth
Carruthers eine radikale Veränderung unseres Handelns in der
Welt. Eine anhaltende Verbesserung der Mensch-Tier-Beziehung kann für sie nicht durch eine bloße Erweiterung der Moralsphäre herbeigeführt werden. Denn solange diese weiterhin
auf einer Ontologie der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Menschen und allen übrigen Lebewesen beruht, wird die
Zuschreibung von moralischer Bedeutung für nicht-menschliche Wesen immer instabil sein und im Hinblick auf menschliche Interessen Ausnahmen zulassen. Carruthers plädiert daher
für eine alternative gemeinsame Ontologie (shared ontology)
welche die unauflöslichen Beziehungen und Abhängigkeiten
zwischen allen Lebewesen betont.
Der zweite Teil des Bandes setzt sich kritisch mit aktuellen Kunstprojekten auseinander, die gentechnische Methoden
einsetzen, um neue Lebewesen zu erzeugen. Die Autoren sind
sich einig, dass diese Form der transgenen Kunst kein probates Mittel ist, auf die modernen Technologien zu reagieren. So
macht etwa Carol Gigliotti gravierende Widersprüche zwischen Selbstverständnis und Handeln der Künstler aus: Während diese ihre Arbeit häufig als Kritik am Anthropozentrismus
verstehen, bedienen sie sich gleichzeitig der Machtposition
des Menschen, um Tiere technisch zu manipulieren und als
(Kunst-) Objekte zu verwenden. Im Vergleich mit bio- oder
ökozentrischen Ansätzen ist transgene Kunst für Gigliotti daher keineswegs radikal, weil sie den Menschen weiterhin in
den Mittelpunkt stellt und so hinter den kreativen Möglichkeiten der Kunst als kritischer Instanz zurück bleibt.
Auch der anschließende kontroverse Dialog zwischen Gigliotti und dem Kulturwissenschaftler Steve Baker greift das
Problem der ethischen Verantwortung des Künstlers auf. Dabei relativiert Bakers postmoderner Blick die Kritik Gigliottis durch den Verweis auf die zentrale Bedeutung der Ambiguität künstlerischer Projekte. Caroline Seck Langill zeigt in
einem historischen Rückblick, wie sich die wissenschaftliche
Wahrnehmung von Lebewesen seit dem 18. Jh. verändert hat.
Untersucht werden heute nicht mehr ganzheitliche Subjekte,
sondern „postvitale Körper“, die auf ihren genetischen Code
reduziert und damit unbegrenzt manipulierbar geworden sind.
Vor diesem Hintergrund betont Langill einerseits die große
gesellschaftliche und moralische Bedeutung, die die künstlerische Auseinandersetzung mit neuen Technologien haben kann.
Aber auch sie wendet sich gegen den direkten Einsatz gentechnischer Methoden in der Kunst, da eine kritische Distanz des
Künstlers zu den von ihm selbst angewandten Technologien
nicht möglich ist.
Die Verhaltensbiologin Lynda Birke kritisiert am Beispiel
des von Eduardo Kac erzeugten grün fluoreszierenden Kaninchens Alba, das auch als GFP Bunny bekannt ist, unterschiedliche Aspekte der transgenen Kunst. Im Gegensatz zu
Forschungsrichtungen wie der kognitiven Ethologie verhilft
uns Alba ihrer Meinung nach nicht zu substantiellen Einsichten über die Kommunikation und Interaktion zwischen
41
17.11.2010 20:05:46 Uhr
Literaturbericht
Spezies, sondern stellt vielmehr eine neue Form der Trivialisierung von Tieren dar. Darüber hinaus wird durch den
reduktionistischen Ansatz, der sowohl der Gentechnik selbst
als auch ihrer Anwendung in der Kunst zugrunde liegt, nicht
nur die Kreativität und Komplexität biologischer Prozesse
verschleiert; er ist auch ethisch problematisch, da er eine
fragmentierte Sicht des Organismus als bloße Ansammlung
von Einzelteilen fördert.
Die Juristin Taimie L. Bryant diskutiert den ungewissen
rechtlichen Status der transgenen Kunst, der dazu führt, dass
der Schutz lebender „Kunstobjekte“ aufgrund der rechtlichen
Privilegierung der Wissenschaft nur schwer durchzusetzen
ist. Gesetze, so Bryants ernüchternde Einschätzung, schützen
vor allem die Interessen derjenigen, die die Natur ausbeuten
wollen. Die transgene Kunst kann ihr Ziel, zu einem Umdenken im Hinblick auf die Mensch-Tier-Beziehung beizutragen,
nicht erreichen. Denn durch die Entscheidung des Künstlers
für transgene und gegen andere Formen der repräsentationalen
Kunst muss er seine Expressionsmöglichkeiten auf die genetische Veränderung von nicht-menschlichen Lebewesen beschränken. Damit nimmt er zwangsläufig die gesetzlich legitimierte anthropozentrische Haltung ein, die er kritisieren will.
Im abschließenden dritten Teil wird das Problem der genetischen Veränderung der Speziesidentität im Spiegel seiner literarischen und visuellen Darstellung diskutiert. Ausgangspunkt
für die Überlegungen von Traci Warkentin ist der tierliche
Körper, der im biotechnologischen Zeitalter zu verschwinden
droht. Durch den Vergleich mit der dystopischen Zukunftsvision in Margaret Atwoods Roman Oryx und Crake zeigt
Warkentin, wie Organismen bereits heute durch gentechnische
Eingriffe zu Biofabriken für die Produktion von Organen oder
Fleisch reduziert werden. Die Fragmentierung des Körpers
durch diese mechanische Reduktion erscheint uns vor allem
deshalb verstörend, weil sie eine Verletzung der tierlichen
Integrität darstellt und die Behandlung von Lebewesen als
ethisch bedeutungslose Artefakte legitimiert.
Der Vergleich des Romans Die Insel des Dr. Moreau von
H. G. Wells mit unterschiedlichen Verfilmungen des Buchs
zeigt, so die Literaturwissenschaftlerin Susan McHugh, warum gerade transgene Tiere in unserer Imagination als „psychic subjects of genetics“ (174) operieren. Während Moreau
ursprünglich als Vivisektionist beschrieben wird, erschafft er
in der modernen Filmfassung Mensch-Tier-Chimären durch
gentechnische Eingriffe. Die wenigen geglückten Versuche
Moreaus stehen nach McHugh für eine neue „theriomorphic
aesthetic of genetics“ (174): „animals in the process become a
means of interrogating the relationships of genetic science to
cultural representation, modeling other aesthetics of genetics
that challenge the premise of human singularity“ (186).
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Der Geschichtswissenschaftler David Delafenêtre gibt einen
historischen Überblick über die Praxis der „kosmetischen Chirurgie“ an Hunden (d.h. das Kupieren von Ohren und Schwänzen) und über die rechtliche Durchsetzung eines Verbotes dieser Eingriffe in Australien und Neuseeland. Das Thema führt
nur scheinbar weg von den zuvor diskutierten Problemen der
Gentechnik. Denn zum einen steht auch beim Kupieren unsere ästhetische Wahrnehmung des Tieres im Mittelpunkt. Und
zum anderen können chirurgische Eingriffe ebenso wie gentechnische die tierliche Integrität verletzen.
Die Landschaftsarchitektin Kelty Miyoshi McKinnon nähert
sich dem Problem des Einflusses der Gentechnik auf Tier und
Mensch über das Beispiel des geklonten Schafes Dolly, das als
Metapher nicht nur für das sprichwörtliche Opferlamm, sondern auch für ewige Jugend und die Hoffnung auf eine Errettung aussterbender Tierarten steht. In Anlehnung an Gregory
Bateson beschreibt McKinnon die Entfernung des Schafes aus
seinem angestammten sozialen, ökologischen und physiologischen Kontext – Herde, Territorium und Körper – und interpretiert sie als Zeichen für die „distancing abstraction of contemporary genetic manipulation“ (215).
Carol Freeman setzt sich kritisch mit Versuchen auseinander, mit Hilfe gentechnischer Methoden ausgestorbene Tierarten wie Quagga (eine ausgestorbene Zebraform) und Beutelwolf zu neuem Leben zu erwecken. Wie Freeman zeigt, ist die
Präsentation solcher Projekte häufig „strategically selective,
vague or sensational, and ignore[s] or mask[s] the problems
that could arise for the animals themselves” (249). Dabei fällt
vor allem auf, wie selten das individuelle Tier über seine Rolle
als Zwischenstufe im Prozess der Entwicklung eines phänotypisch urtümlichen Exemplars hinaus Erwähnung findet. Für
Freeman sind die beschriebenen Vorhaben daher letztlich Ausdruck einer speziesistischen Haltung.
Die Stärke von Leonardo’s Choice liegt in der Vielfalt der
Perspektiven, die die üblichen Pfade der tierethischen Diskussion verlassen und den Leser zum Weiterdenken anregen.
Dabei ist besonders bemerkenswert, dass viele der Texte dem
häufig vernachlässigten Zusammenhang zwischen Ethik und
Ästhetik (sei es im Bereich der transgenen Kunst, der Literatur
oder der selektiven Zucht) nachgehen. Und obwohl die meisten Autoren sowohl der gentechnischen Veränderung von Tieren als auch der transgenen Kunst eher ablehnend gegenüber
stehen, formulieren sie ihre Kritik bis auf wenige Ausnahmen
in einer überaus konstruktiven Weise, die nicht Wissenschaft
und Kunst als solche in Frage stellt, sondern den dort vorherrschenden Reduktionismus und Anthropozentrismus. Gigliottis
Textsammlung ist damit in hervorragender Weise dazu geeignet, der tierethischen Auseinandersetzung mit der Gentechnik
dringend benötigte neue Impulse zu liefern. Kirsten Schmidt
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Literaturbericht
3.2 Marc Bekoff (Hrsg.):
Tugend und Leidenschaft im
Tierreich. Gedanken zu einer
neuen Sicht der Natur.
400 Seiten, Bernau: Animal Learn
Verlag, 2010, Euro 24,00
Mit dem zweiten, in deutscher Sprache
im Animal Learn Verlag erschienenen
Buch hat Marc Bekoff eine umfangreiche Textsammlung zu kognitiven,
emotionalen und sozialen Fähigkeiten
bei Tieren vorgelegt. Viele der hier zusammengestellten Aufsätze
widmen sich Bekoffs vorrangigem Forschungsinteresse, den komplexen Verhaltensweisen beim Haushund und seinen wildlebenden
Verwandten.
Neu sind vor allem die Einleitung, die Vorbemerkungen und
das Nachwort der Sammlung, die bereits 2006 als amerikanische
Originalausgabe unter dem Titel Animal Passions and Beastly
Virtues erschienen ist. Die einzelnen Essays hingegen sind Nachdrucke von z.T. zusammen mit Co-Autoren in Fachjournalen oder
Büchern erschienenen Texten Bekoffs aus seiner bereits über drei
Jahrzehnte umfassenden Forschungstätigkeit.
An Teil I des Buches, Emotionen, Kognition und tierisches
Selbst, schließt sich Teil II zum Sozialverhalten von Hunden und
Kojoten an. Teil III konzentriert sich auf die Themenfelder Sozialspiel, soziale Entwicklung und soziale Kommunikation, worunter
Bekoff auch Kooperation, Fairness und Gerechtigkeit bei Tieren
fasst. Teil IV schließlich beschäftigt sich mit Wechselbeziehungen
zwischen Menschen und Tieren. Hier geht es um Interaktionsweisen
und Einflüsse des Menschen auf das Verhalten von Tieren. Auch
Themen der Tierschutz-Praxis werden diskutiert, etwa Fragen
nach den Auswirkungen der Umsiedlung von SchwarzschwanzPräriehunden auf deren Verhalten oder Konflikte zwischen diesen
Tieren, Haushunden und Menschen.
Teil V nimmt abschließend Ethik, Mitgefühl, Naturschutz und
Aktivismus in den Blick und verspricht die auch im Buchtitel angekündigte neue Sicht auf die Natur, bevor Bekoff im Nachwort
über Achtung gegenüber Tieren und der Erde: Alte Gehirne in
neuen Problemsituationen schreibt. Während die Ethologie und
die gesamte (westliche) Geistesgeschichte dazu neigt, Tiere als die
Besitzer stammesgeschichtlich älterer Gehirne vom Homo sapiens
abzugrenzen, meint Bekoff mit dem Bergriff „Alte Gehirne“ etwas, was uns mit Tieren verbindet. Angesprochen sind die gemeinsame Abstammungsgeschichte und ein Gefühl der evolutionären,
kognitiven und emotionalen Verwandtschaft. Nicht allein das Verhalten des Tieres, wie es sich flexibel an neue Problemsituationen
anpasst, ist hier ethologisch von Interesse, sondern die Art und
Weise, wie der Mensch zukünftig mit den (selbstgeschaffenen)
Tierschutz- und Umweltproblemen umgeht – in dem Wissen, dass
wir letztendlich alle im selben Boot sitzen: „Wir müssen unseren
alten Gehirnen erlauben, das zu tun, was ihnen natürlich erscheint:
Uns zu tiefen, gegenseitigen, mitfühlenden und respektvollen Beziehungen zur Natur zurückzuführen.“ (378)
Bekoffs Publikation besticht durch ihre Kombination aus sachlich wissenschaftlichen Forschungsergebnissen und dem Mut des
Autors zu einem tief empfundenen und vom Leser gut nachvollziehbaren Verantwortungsgefühl für das Wohlergehen und die
Rechte von Tieren. Bekoff gründete zusammen mit Jane Goodall – die regelmäßig, wie auch in diesem Buch, die Vorworte für
Bekoffs Publikationen schreibt – die Vereinigung Ethologists for
the Ethical Treatment of Animals. Da ihn als Ethologe maßgeblich seine Achtung vor Tieren prägt, führt er außerdem den Begriff
der Tiefenethologie ein, „um einige der Tiefenökologie zugrunde
liegende Vorstellungen auszudrücken. Die Tiefenökologie betont,
dass Menschen nicht nur anerkennen müssen, dass sie ein wesentlicher Bestandteil der Natur sind, sondern auch, dass sie eine einzigartige Verantwortung für die Natur haben. Als Tiefenethologe,
in der Tradition der Ökopsychologie, versuche ich als Sehender
der Gesehene zu werden. Ich werde zum Kojoten. Ich werde zum
Pinguin.“ Nur so könne man „entdecken, wie es sein könnte, ein
bestimmtes Individuum zu sein, wie es seine Umgebung wahrnimmt und wie es sich in bestimmten Situationen verhält.“ (24)
Jeder, der sich der Verhaltensforschung oder der Kognition bei
Tieren aus einer strengeren wissenschaftlichen Perspektive nähert
und dem das Schreckgespenst des ungerechtfertigten Anthropomorphismus im Nacken sitzt, mag Bekoffs Texte kritisch betrachten. Er führt seine Gedanken jedoch mit einer derartigen Direktheit
und Natürlichkeit aus, dass sie unmittelbar einleuchtend erscheinen. Als Meister der Zunft, den eine unter Kollegen so schnell
nicht wieder zu findende Lebens- und Forschungserfahrung auszeichnet, kann sich Bekoff solche Gedankengänge leisten und dem
einen oder anderen damit sogar noch eine Lektion in Sachen Wissenschaftsverständnis erteilen. Wer hat eigentlich behauptet, dass
ein Wissenschaftler keine Begeisterung für sein Forschungsthema
in sich tragen darf? Und wer hat gesagt, dass es ausreicht, sich mit
Sachinformationen über die Welt zufrieden zu geben?
Bekoff will eine Wissenschaft, in der sich der Verhaltensforscher auf die sensorische und motorische Welt der Tiere einlässt,
in der auch die Gefühlswelt und die Tugenden der Tiere wissenschaftlich erforscht werden und der Forscher den Mut hat, auf die
Verantwortung des Menschen für die Natur hinzuweisen. Ganz am
Ende seines Buches zitiert er den Physiker und Nobelpreisträger
Erwin Schrödinger1, der das traditionelle Wissenschaftsverständnis ebenfalls in Frage stellte, weil es ein unzureichendes Bild der
Welt zeichne: „Es liefert viele sachbezogene Informationen und
bringt all unsere Erfahrung in eine fabelhafte, zusammenhängende
Reihenfolge, doch es bleibt schrecklich still in Bezug auf alles,
was unserem Herzen nahe steht, auf alles, was wirklich zählt.“
(378) Auf ähnliche Art kritisiert Bekoff die Selbstbeschränkungen in der Naturwissenschaft – etwa einen falsch verstandenen
reduktionistischen Behaviorismus oder einen exklusiven Wissenschaftsbegriffs, der die Ethik ausklammert. Sein Buch bietet damit
nicht nur einen umfassenden Überblick über mehr als dreißig Jahre
Forschung und es ist auch nicht allein mit Blick auf ethologische
Erkenntnisse von Interesse. Es verweist zugleich auf die Notwendigkeit eines neuen wissenschaftstheoretischen Verständnisses.
Judith Benz-Schwarzburg
1 Bei Bekoff wird dieses Zitat fälschlicher Weise Max Schrödinger zugeschrieben, vielleicht durch eine Verwechslung der zwei berühmten Physiker Max Born
und Erwin Schrödinger. Tatsächlich stammt es aus Nature and the Greeks (1954) von Erwin Rudolf Josef Alexander Schrödinger (s. canto edition von Nature
and the Greeks and Science and Humanism, Cambridge University Press, 1996, 95).
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Literaturbericht
3.3 Deborah Blum:
Die Entdeckung der
Mutterliebe: Die legendären
Affenexperimente
des Harry Harlow
351 Seiten, Weinheim, Basel:
Beltz, 2010, Euro 24,95
Deborah Blum, Pulitzer-Preisträgerin
und Professorin für Wissenschaftsjournalismus, breitet in ihrem Buch
die Karriere des wohl umstrittensten
Primatenforschers aller Zeiten aus. Er führte Experimente mit
unter Isolation und Depression leidenden Affenbabys durch,
denen im Versuch nichts außer laborkonstruierten Ersatzmüttern als Trost und Schutz gelassen wurde. Grausam – und ein
einzigartiges Stück Wissenschaftsgeschichte, so der Ansatz der
Autorin. Die Psychologie der 1940er Jahre war von behavioristischen Größen wie Watson und Skinner geprägt. Mütter hatten
in deren Verständnis ihre Kinder zu ernähren und waren sonst
eine Gefahr, da sie Krankheitserreger übertrugen und das Kind
verweichlichten. Sie durften in Krankenhäusern nicht zu ihren
Kindern. Waisenkinder wurden versorgt, nicht geliebt. Dass
dies eine echte emotionale Beziehung zerstört, die zudem für
die Entwicklung des Kindes von Bedeutung ist, lag jenseits jeder etablierten Theorie. Harry Harlow sollte in dieser Hinsicht
die Entwicklungspsychologie revolutionieren. In den ersten
Kapiteln ihres Buches gibt Blum einen ausführlichen Überblick über Kindheit, Jugend und Studium Harlows, über die
psychologische Forschung der Zeit und über die anfänglichen
Misserfolge des jungen Professors an der University of Wisconsin.
Erst ab dem sechsten Kapitel kommt sie auf Harlows berühmte Experimente zur Mutterliebe zu sprechen. Die in seinem Labor von ihren Müttern getrennten und von Hand aufgezogenen
jungen Affen hatten eine Obsession für Kuscheldecken entwickelt. Man hatte unreflektiert das humanmedizinische Ideal
des sauberen, steril verpackten und von der Umwelt isolierten
Säuglings auf die Tierhaltung übertragen – und verhaltensauffällige, hospitalisierte Lebewesen erzeugt. Dass den Tieren die
Mutter fehlte war klar. Man wollte nun herausfinden, welche
Art von Mutter sie wofür brauchten, und vor allem wie sehr.
Harlows Mitarbeiter entwickelten laborkonstruierte Ersatzmütter und wiesen in der Folge nach, dass die Jungen flauschige Stoffmütter mit erkennbarem Gesicht kalten und kantigen Drahtgestell-Müttern vorzogen, selbst wenn letztere die
Milch spendeten. Nahm man ihnen die Stoffpuppen weg, dann
kreischten sie, kauerten sich am Boden zusammen, schaukelten sich hin und her, saugten an den eigenen Händen und
suchten verzweifelt nach ihren Ersatzmüttern. Harlows Labor führte diese Art von Experimenten mit dem Einsatz von
„Monstermüttern“ fort. Diese rüttelten die Jungen permanent
durch, bliesen sie mit Luft an, schleuderten sie mit einer mechanischen Klappe von sich weg oder drückten stumpfe Nägel
gegen sie. Je mehr die Jungen abgewiesen wurden, umso mehr
suchten sie den Kontakt (229 ff.). Doch selbst diese Versuche
waren steigerungsfähig.
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Es folgten Experimente zur totalen Isolation in komplett
leeren Räumen. 30 Tage, sechs Monate und schließlich ein
Jahr darin erzeugten, so Blum, „tatsächlich Psychopathologie“
(241). „Diese semiparalysierten Affen waren […] zu normalen
sexuellen Beziehungen – und zu Beziehungen überhaupt – außerstande. Als das Laborteam einen Weg herausgefunden hatte, die funktionsgestörten Weibchen in einer „empfänglichen“
Position zu halten, erzeugten sie bei bereits instabilen Affen einige Schwangerschaften.“ Doch die Affenmütter, die selbst nie
irgendeine Form von Mutterliebe kennengelernt hatten, empfanden keine Liebe für ihre Jungen. Sie ignorierten, misshandelten und töteten sie: „Eine drückte das Gesicht ihres Kindes
auf den Boden und kaute seine Füße und Finger ab. Eine andere nahm den Kopf ihres Babys in ihr Maul und zerquetschte
ihn. Das war das Ende der erzwungenen Schwangerschaften.“
(241 f.) Es war aber nicht das Ende von Harlows Studien, die
selbst Kollegen heute als „brutal“ bezeichnen (318). Man entwickelte den „vertical chamber apparatus“, eine spitz zulaufende Box mit glatten Wänden, aus der es kein Entrinnen gab.
Nach Wochen in diesem Trichter waren die Tiere gebrochen
und die Forscher hatten ein Depressionsmodell vollkommener
Hilflosigkeit und Verzweiflung geschaffen. Im Versuch den
Schaden zu beheben wurden Baby-„Peer“-Therapeuten eingesetzt, die in ihrem unermüdlichen Bedürfnis nach Kontakt die
Mehrheit der depressiven Affen ganz langsam in ein normales
Leben zurückführen konnten – was auch immer „normal“ in
Harlows Labor bedeutete (244 ff.).
Harlow erntete zu Lebzeiten nach Jahren der Zurückweisung schließlich große Anerkennung, wurde Präsident der
American Psychological Association und bekam die Nationale
Wissenschaftsmedaille verliehen. In den letzten Jahren seiner
Forschung und nach seinem Tod wurde aber, so Blum im vorletzten Kapitel ihres Buches, Kritik immer lauter. Feministinnen wollten sich nicht auf das Bild der bedingungslos liebenden Mutter festschreiben lassen und die Tierschutzbewegung
begann ihre Höflichkeit Tierexperimentatoren gegenüber abzulegen.
Blum gelingt es, Harlow in seiner persönlichen Zerrissenheit
darzustellen. Je depressiver er selbst wird, je einsamer und hilfloser er sich fühlt, umso verbissener wird sein Interesse an den
Auswirkungen von Hilflosigkeit, Isolation und Depression. Als
politisch unkorrekter Exzentriker fand er deutliche Worte für
das Leiden der Tiere. Er selbst bezeichnete die Monstermütter
als solche und erklärte die vertikale Kammer zur „Fallgrube
der Verzweiflung“ – entgegen aller Bedenken seiner Kollegen,
die allmählich um die Außenwirkung ihrer Forschung besorgt
waren (243). Die ethische Dimension seiner Versuche hat er
wohl dennoch nie wirklich begriffen.
Blums großartige wissenschaftsgeschichtliche Recherche
zeigt auch, dass Harlow begann, die Liebe zu erforschen,
als Politik und Psychologie gleichermaßen reif dafür waren.
Während Skinner noch den „Baby Tender“ propagierte, eine
Glasbox, in der Säuglinge ohne Kontakt zur Außenwelt aufzubewahren seinen, beobachteten andere bereits aufmerksam die
Verhaltensauffälligkeiten von alleingelassenen Waisen- und
Krankenhauskindern. Katharine Wolf, Mary Salter Ainsworth,
John Bowlby oder René Spitz kritisierten etwa, dass die SteAltexethik 2010
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Literaturbericht
rilisierung der Umgebung des Kindes „gleichzeitig auch die
Kinderpsyche sterilisiere“ (62). Sie entwickelten Bindungstheorien, die die Interaktion von Mutter und Kind betonten
(z.B. 72 ff., 185 ff.) oder beschrieben die stumpfe Apathie bei
vernachlässigten Säuglingen als „anaklitische Depression“
(239). Harry Bakwin, ein New Yorker Kinderarzt, publizierte
bereits in den 1940er Jahren, dass Babys emotionalen Kontakt bräuchten. Die Schilder in seinem Krankenhaus, die dazu
aufforderten, die Hände zweimal vor dem Betreten der Kinderstation zu waschen, gaben plötzlich die Anweisung: „Diese
Kinderstation nicht betreten, ohne ein Baby auf den Arm zu
nehmen.“ (63) Bestätigten Harlows Experimente also lediglich etwas, was sowieso im Kommen war? Waren kontrollierte Versuche an Affenbabys nötig, um etwas zu beweisen, was
Mütter und Krankenschwestern sowieso schon lange wussten
und was andere Wissenschaftler aus der Verhaltensforschung
am Kind ablasen? Für Bill Mason, der die Stellvertreter-Mütter mitentwickelte, waren Harlows erste Versuche „eine Art
Demonstration mit feststehenden Ergebnissen“ (171).
Ging es Harlow um den Gewinn völlig neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse oder darum, Kollegen und Öffentlichkeit mit
etwas zu provozieren, das sie nicht länger ignorieren konnten?
Sicherlich war es auch Taktik und Strategie, den Stellvertreter-Puppen Köpfe aufzusetzen. Zwar wollte Harlow, dass die
Stoffmutter zurückschaut, wenn der Affe sie anblickt. Aber er
wollte auch, dass sie den menschlichen Beobachter anschaut:
„sie musste den Menschen etwas bedeuten […], damit sie über
Beziehungen und Liebe nachdachten“ (174). Auf Kritik, dass
seinen Versuchen die statistische Tiefe fehle, antwortete er:
„Die Studie braucht keine komplizierten Statistiken. Es war
einfach so.“ (183) Er freute sich darüber, dass die Psychologie vom „gesundem Menschenverstand überholt würde“ und
meinte zu seinen Kollegen, dass Mütter und Väter längst wussten, was er bewies (199).
In gewisser Weise ist Harlow auf die Forschungsstandards
seiner Zeit hereingefallen. Er meinte, seine neuen Ideen nur
mit den bewährten, letztendlich typisch behavioristischen Forschungsmethoden am Tiermodell beweisen zu müssen. Und
er teilt die augenscheinliche Immunität seiner Gegenspieler
Watson und Skinner, wenn es um ethische Grenzen im Versuch geht. Beides arbeitet Blum leider nicht deutlich heraus.
Ist Mutterliebe quantifizierbar? Muss ein isoliertes Jungtier
erst irreparabel geschädigt oder tot sein, bevor wir den offensichtlichen Schluss ziehen können, dass das Bedürfnis nach
einer Mutter „sehr stark“ ist? Tatsächlich muten viele der Ergebnisse aus Harlows Versuchen erstaunlich trivial an: Kinder
lieben ihre Mütter bedingungslos, sie brauchen Halt und Trost,
soziale Hilfsnetzwerke und Unterstützung bei der Gründung
von Beziehungen. Sie müssen lernen loszulassen, soziale Intelligenz erwerben und diese im Spiel einüben. Ihre Abhängig-
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keit macht sie verletzbar und soziale Fähigkeiten verkümmern,
wenn sie nicht genutzt werden.
Eines der „wunderschönen, für den gesunden Menschenverstand logischen Ergebnisse“ der Versuche sei, so Blum, dass
jeder letztendlich „die Dinge“ (gemeint sind Trauma, Leid und
Depression) „nach seinen Möglichkeiten bewältigt“ (249).
Blums Quintessenz des Harlowschen Vermächtnisses: „Liebe [kann] der beste – und der schlimmste Teil unseres Lebens
sein.“ (254) Ist das nicht etwas wenig? Blum meint, dass uns
diese Erkenntnisse erst heute selbstverständlich erscheinen.
Die Problematik dieses Buches besteht im Unterton der
Rechtfertigung der Versuche aus der Abgrenzung zum Zeitgeist heraus und der möglichen Überbetonung ihrer Bedeutung
für eine Psychologie, die Emotionen zu schätzen weiß. Ohne Harlow wäre die Mutterliebe nicht entdeckt worden. Dies
mag bezweifelt werden. Erst im Epilog lässt Blum außerdem
Raum für ethische Kritik und erst in den letzten Sätzen findet
sie eigene klare Worte: „Wenn es je einen legitimen wissenschaftlichen Bedarf gab, Affenbabys in vertikale Kammern zu
stecken, dann gehört dieses Bedürfnis der Vergangenheit an.
(…) Einmal ist mehr als genug.“ (331)
Man wünscht sich für dieses Buch den engagiertesten Journalismus, der möglich ist. Objektivität einem ethisch brisanten
Stoff gegenüber hat die ethische Dimension deutlich zu berücksichtigen. Die Übersetzerin wählte für das Buch den Untertitel „Die legendären Affenexperimente des Harry Harlow“.
Eine spannungsreichere Formulierung, wie etwa „Die umstrittenen Affenexperimente des Harry Harlow“ hätte den Unterton
dieser Biographie tatsächlich weniger gut getroffen. Vordergründig soll Harlow als Person mit schwarzen wie weißen Seiten gezeichnet werden, selbst hierfür wird er aber erstaunlich
positiv gewendet.
Allerdings ist der perfiden Logik dieser Versuche wirklich
schwer beizukommen. Laut Blum hat Harlow „couragiert“ die
Liebe „in all ihren Facetten“ untersucht, „die beste Mutterliebe und die schlechteste“ erfasst. „Er untersuchte emotionalen
Schaden und bestand darauf, auch emotionale Heilung zu erforschen.“ Den Bogen seiner Forschung habe er beschrieben
als „Liebe erschaffen, Liebe zerstören, Liebe zurückerobern“
(315). Blum gesteht Harlow hier womöglich zu viel zu. Seine
umstrittenen Versuche zielten fast ausschließlich darauf ab, die
fehlende Liebe, die zerstörte Liebe oder den Einfluss einer pathologischen Mutter auf ihr Kind zu erforschen und als reales
Modell zu erschaffen. Wenn er also Liebe erschaffen hat, dann
anscheinend, um sie zu zerstören. Welche perfide Vorstellung
von Wissenschaftlichkeit behauptet, dass man, um die Mutterliebe zu beweisen, einem Kind die Mutterliebe entziehen
muss? Und wie kann man der Mutterliebe zu einer gebührenden Anerkennung verhelfen wollen, ohne sie selbst entsprechend zu würdigen?
Judith Benz-Schwarzburg
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Literaturbericht
3.4 Johannes Caspar und
Jörg Luy (Hrsg.): Tierschutz bei
der religiösen Schlachtung /
Animal Welfare at Religious
Slaughter. Die Ethik-Workshops
des DIALREL-Projekts
272 Seiten, Baden-Baden: Nomos,
2010, Euro 59,00
Der Band dokumentiert die EthikWorkshops des sogenannten DIALREL-Projekts (ein EU-Projekt zur
Förderung des Dialoges zur rituellen Schlachtung), das sich
in den Jahren 2006 bis 2009 unter interdisziplinärer und internationaler Beteiligung dem umstrittenen Problem der betäubungslosen religiösen Schlachtung widmete. Entsprechend
der überwiegend rechtswissenschaftlichen Zusammensetzung
der Arbeitsgruppen dominieren rechtswissenschaftliche und
speziell verfassungsrechtliche Beiträge, insbesondere vor dem
Hintergrund der in den europäischen Rechtsordnungen ausgesprochen unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Abwägungen zwischen Tierschutzbelangen und dem Grundrecht auf freie
Religionsausübung. Über diese Unterschiede und ihre historischen Hintergründe informiert eine Reihe von Länderberichten,
die damit zugleich das Spektrum der Optionen für einen sachgemäßen und wertadäquaten Ausgleich zwischen Tierschutz und
Religionsfreiheit illustrieren.
Die dokumentierten Workshops und damit auch der Band
selbst sind nicht nur wissenschaftlich, sondern vor allem auch
politisch motiviert. Der Band will eine Revision der relevanten
Bestimmungen des deutschen Tierschutzgesetzes anregen, die
die Ausnahmen für den ansonsten geltenden Betäubungszwang
enger als bisher fasst und zusätzlich durch flankierende gesetzliche Bestimmungen absichert (z. B. durch eine Kennzeichnungspflicht für Fleisch aus betäubungslosen Schlachtungen).
Nach der in Deutschland gegenwärtig bestehenden Rechtslage
sind Ausnahmen vom Betäubungsgebot immer dann genehmigungsfähig, wenn zwingende Vorschriften den Angehörigen
einer Religionsgemeinschaft das betäubungslose Schlachten
vorschreiben. Der der Dokumentation vorangestellte Vorschlag
für eine Gesetzesrevision wurde – worüber die Herausgeber
offenbar selbst überrascht waren – im Kreis der Workshopteilnehmer nahezu einstimmig verabschiedet, wobei allerdings ihre
Feststellung, dass dieser Vorschlag „ethisch optimiert“ sei, vom
Rezensenten in Frage gestellt wird.
Vor dem Hintergrund der Aufgeheiztheit der seit Beginn der
Tierschutzbewegung im frühen 19. Jahrhundert andauernden
Debatte über die von islamischen und jüdischen Fundamentalisten geforderte betäubungslose Schlachtung (vorwiegend
von Schafen und Rindern) übernimmt der Band zunächst eine
wichtige Aufklärungsfunktion. Zahlreiche Beiträge weisen darauf hin, dass das Ausmaß des Normenkonflikts zwischen Tierschutz und Religionsfreiheit weithin überschätzt wird. Erstens
werden mittlerweile auch Schlachtungen unter Betäubung von
vielen orthodoxen Gruppen als den religiösen Vorschriften entsprechend anerkannt. Zweitens steht mit dem Verfahren der reversiblen Betäubung eine Schlachtmethode zur Verfügung, die
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für beide Seiten akzeptabel sein sollte. Bei diesem Verfahren
werden die Schlachttiere vor dem Ausbluten soweit betäubt,
dass während des Ausblutens vollständige Empfindungslosigkeit gewährleistet ist. Die Elektrokurzzeitbetäubung löscht das
Schmerzempfinden für die zur vollständigen Entblutung ausreichende Zeitspanne aus, ohne den Tod des Tieres herbeizuführen. Versuche haben gezeigt, dass das Tier, verzichtet man
auf die anschließende Schlachtung, nach einiger Zeit aufsteht
und sich wie gewohnt weiter bewegt. Auf diese Weise könnte
sowohl dem Tierschutz als auch dem Grundsatz der Orthodoxen
Genüge getan werden, kein Fleisch von vor der Schlachtung gestorbenen Tieren zu verzehren.
Die Frage stellt sich, warum sich die Arbeitsgruppe nicht zu
dem Vorschlag durchgerungen hat, diese – beiden Seiten entgegenkommende – Lösung zu forcieren und eine Beschränkung
der Ausnahmebedingungen nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TSchG auf
das Verfahren der reversiblen Betäubung zu fordern. Dieses
Verfahren wird seit etwa 1975 in Neuseeland praktiziert, u.a.
um den islamischen Markt beliefern zu können. Statt die religiöse Schlachtung ausschließlich bei vorangehender reversibler
Betäubung zuzulassen, knüpft der Revisionsvorschlag stattdessen an die bestehende Rechtslage an, die jenen ultraorthodoxen Gruppen (vor allem im jüdischen Bereich) Zugeständnisse
macht, die auch eine reversible Betäubung als mit den von ihnen
vertretenen Reinheitsgeboten unvereinbar ansehen. Nicht alle,
aber doch die meisten Mitglieder der Arbeitsgruppe halten es
für vertretbar, eine betäubungslose Schlachtung in dem Umfang
zuzulassen, in dem es der Fleischbedarf dieser Gruppen erfordert. Ihr Votum geht lediglich dahin, zu verhindern, dass – wie
es offenbar gegenwärtig der Fall ist – sehr viel mehr Tiere betäubungslos geschlachtet werden, als diesem Bedarf entspricht, so
dass erhebliche Mengen von bei Halal- bzw. Koscher-Schlachtungen anfallenden und weiterhin als „unrein“ geltenden Teilen
auf dem allgemeinen Fleischmarkt ohne entsprechende Kennzeichnung angeboten werden.
Dieser Vorschlag mag pragmatisch motiviert sein, erscheint
jedoch unter ethischen Gesichtspunkten bestenfalls halbherzig.
Selbstverständlich sind auch dann, wenn man fundamentalistischen Glaubensüberzeugungen nicht viel abgewinnen kann,
die Gefühle der Gläubigen zu achten, die sich an wörtlichen
Auslegungen ihrer heiligen Schriften orientieren. Unbestritten
ist auch, dass sich – wie der Kirchenjurist Peter Unruh in einem der umfassendsten und präzisesten Beiträge argumentiert
– das Recht auf Religionsfreiheit rechtlich und ethisch nicht nur
auf die Kultfreiheit erstreckt, sondern auch die Ausübung der
religiösen Überzeugungen außerhalb des Kultus umfasst. Andererseits aber kann dieses Recht – abgesehen von religiösen
Schlachtungen, die wesentlicher Bestandteil von Kulthandlungen sind – nicht so weit reichen, dass es, sofern die religiösen
Vorschriften lediglich den Verzehr „unreinen“ Fleischs verbieten, zwangsläufig auch die entsprechenden religiösen Schlachtungen im Inland legitimiert. Zu fragen ist vielmehr, ob es den
Angehörigen der ultraorthodoxen Gruppen zumutbar wäre, auf
nach den entsprechenden Reinheitsgeboten geschlachtetes, aber
möglicherweise teureres Importfleisch zurückzugreifen. Eine
solche Regelung besteht in der Schweiz, in der das betäubungslose Schlachten von Tieren seit 1893 ausnahmslos verboten
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Literaturbericht
ist. Den damit nicht einverstandenen religiösen Gemeinschaften wird aber eine begrenzte Einfuhrberechtigung erteilt, die
sicherstellt, dass nicht mehr Halal- und Koscherfleisch als aus
Gründung der Achtung der religiösen Bedürfnisse notwendig
eingeführt wird.
Natürlich ist auch diese Lösung letztlich unbefriedigend, da
sie das Problem der betäubungslosen Schlachtung lediglich ins
Ausland verlagert. Dieses Problem ist jedoch nicht wegzudiskutieren. Es ist umstritten, ob die Belastung der Tiere durch den
betäubungslos erlittenen Schnitt und das anschließende Ausbluten erheblich ist. (Die Autoren des Tierschutzkommentars von
Hirt u. a. zitieren die Expertenschätzung, dass bei optimaler
Schnittführung bis zum Erlöschen des Empfindungsvermögens
beim Schaf ungefähr 14 Sekunden, beim Rind durchschnittlich
39 Sekunden vergehen.) Dennoch ist durch physiologische Befunde gut belegt, dass insbesondere die vorangehende Fixierung
der Tiere und die Anwendung des auch in Deutschland eingesetzten sog. Weinbergschen Apparats, in dem die Tiere um 180
Grad auf den Rücken gedreht werden, als so belastend gelten
3.5 Johann S. Ach und
Martina Stephany (Hrsg.):
Die Frage nach dem Tier.
Interdisziplinäre Perspektiven
auf das Mensch-Tier-Verhältnis
108 Seiten, Münster: LIT Verlag,
2009, Euro 19,90
Es gibt Begriffe, die nahezu untrennbar
mit der Frage nach dem moralisch richtigen Umgang mit Tieren verschmolzen sind. Der Begriff Speziesismus ist
ein solcher. Peter Singer hat ihn populär gemacht und damit die
Diskriminierung von Tieren als eine Diskriminierung aufgrund
ihrer Spezies benannt. Im tierethischen Diskurs ist das nicht neu.
Eine neue und erweiterte Untersuchung des Begriffs findet sich
dagegen bei der Sozialwissenschaftlerin Birgit Mütherich. In ihrem Aufsatz „Soziologische Aspekte des Tierschutzes“ geht sie
der Frage nach, ob es in Gesellschaften eine Verbindung zwischen der Gewaltbereitschaft gegenüber Tieren mit der gegenüber Menschen gibt. Wie so oft bei Forschungsfragen, die sich
eng an Alltagsbeobachtungen anlehnen, scheint die Antwort auf
der Hand zu liegen: Ja, es gibt diesen Zusammenhang.
Mütherich zitiert Studien aus den USA, die belegen, dass ein
Großteil von Serienmördern zunächst durch grausame Tierquälerei auffällig wurde. Tierquälerei, die rückblickend biographisch
betrachtet als Einübung von Empathielosigkeit gedeutet werden
kann. Fehlende Empathie wird zwar einerseits gesellschaftlich
nicht gewünscht, andererseits setzt das gesellschaftliche Leitbild von Konkurrenz und Durchsetzungsfähigkeit zumindest
reduziertes Mitleidsempfinden voraus. „Wo das Gefälle von
Macht und Ohnmacht, Wert und Unwert als natürliches Konzept
ausgegeben wird und die Aussichten auf soziale Anerkennung
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müssen, dass sie die gegenwärtige Gesetzeslage – insbesondere
auf dem Hintergrund der mittlerweile erfolgten Anerkennung
des Tierschutzes als Staatsziel – als einseitig und unausgewogen erscheinen lassen.
Man vermisst in diesem Band eine Stellungnahme zu den
fundamentalistischen Überzeugungen, die die Konflikte mit
den legitimen Tierschutzinteressen allererst heraufbeschwören. Auch wenn es sich das Rechtssystem versagt, inhaltliche
Kritik an diesen Überzeugungen zu üben, wäre es aus ethischer
Sicht dennoch vordringlich, an die religiösen Lehrer der entsprechenden Gruppen zu appellieren, die von ihnen vertretenen
Doktrinen der gewachsenen Sensibilisierung für den Tierschutz
anzupassen. Wie die zeitgenössische bioethische Debatte in der
islamischen und jüdischen Welt zeigt, ist auch eine nach fundamentalistischer Methodik verfahrende Theologie keineswegs
auf eine einzige Lesart der Quellen festgelegt. Auch Theologen
stehen nicht außerhalb der ethischen Kritik. An ihnen wäre es,
die von ihnen verkündeten Dogmen zu humanisieren.
Dieter Birnbacher
und Teilhabe immer weiter reduziert und statt dessen auf eine
Art neosozialdarwinistischen Kampf zwischen Siegern und Verlierern übertragen werden, wird Mitleidlosigkeit zum Ausdruck
von Stärke erklärt.“ (84)
Das mag auch erklären, weshalb im Umgang mit Tieren nicht
selten eine Art Teilnahmslosigkeit herrscht. Dieter Birnbacher
macht in seinem Aufsatz mit dem Titel „Haben Tiere Rechte?“
darauf aufmerksam, dass in Deutschland einzig die Philosophin
Ursula Wolf die Möglichkeit in Erwägung zieht, dass Menschen
auch verletzten Wildtieren aus ihrer Umgebung helfen könnten
(vgl. 54). Während das Tierschutzgesetz (TschG) ein Recht auf
Nichtschädigung von Tieren festschreibt, die sich in menschlicher Obhut befinden, kollidiert die Versorgung verletzter, wild
lebender Tiere mit vielen Naturethiken, denen – so ist zu vermuten – letztlich das sozialdarwinistische Prinzip von Natur als Ideal zugrunde liegt. Birnbacher plädiert – über das aktuelle TschG
hinausgreifend – für juridische subjektive Rechte zugunsten
von Tieren. Im Gegensatz zu ihrem aktuellen Schutz im TschG,
der Menschen die Pflicht zum entsprechenden Umgang mit Tieren auferlegt, haben subjektive Rechte einen entscheidenden
Vorteil: „Eine Zuschreibung subjektiver Rechte geht über den
objektiven Rechtschutz hinaus, indem sie der zu schützenden
Entität zugleich die Befugnis einräumt, in eigener Sache gegen
einen unzureichenden objektiven Rechtschutz zu klagen – im
Fall von Tieren vermittels geeigneter Vertreter wie etwa Tierschutzvereinen.“ (60) Die Umsetzung dieses Gedankens wäre
sicher eine Fortentwicklung im Bereich des Tierschutzes.
Eher einen Schritt zurück macht in dieser Hinsicht Heike
Baranzke in ihrem Aufsatz „Sind alle Tiere gleich? Vom reduktionistischen Antispeziesismus zur selbstreflexiven Verantwortungsethik.“ Einerseits kritisiert sie zu Recht den über
das Ziel hinausschießenden Antispeziesismus in der aktuellen
Debatte, der das Menschsein lediglich biologisch definiert und
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Literaturbericht
dabei zu vergessen scheint, dass es allein Menschen möglich ist,
moralische Regeln für Ihresgleichen und für andere Wesen zu
formulieren. Andererseits kommt die Theologin zu einem ihrer
Profession entsprechenden, in doppelter Hinsicht anthropozentrischen Schluss: Erstens spricht sie Tieren lediglich eine Rolle
als abhängige Fürsorgebittsteller zu, wie das in der katholischen
Tradition üblich ist. Zweitens müssen sich die Fürsorgebittsteller zusätzlich utilitaristischen Nutzungsinteressen von Menschen beugen. (vgl. 26) Ein Ergebnis, das den aktuellen Status
Quo, wie er im TschG verankert ist, manifestiert.
Einer nicht-speziesistischen Ethik, wie sie auch Peter Singer
vertritt, schließt sich Johann S. Ach in seinem Aufsatz „Transgene Tiere. Anmerkungen zur Herstellung, Nutzung und Haltung
transgener Tiere aus tierethischer Perspektive“ an. Er diskutiert
die brisante Frage, wie die Herstellung von empfindungsunfähigen Lebewesen zu bewerten sei, und kommt vor dem Hintergrund
des Prinzips der gleichen Interessenabwägung zum Ergebnis,
dass die Nutzung von empfindungslosen transgenen Tieren nur
dann zu rechtfertigen sei, wenn auch die Bereitschaft vorliege,
die gleiche Handlung an empfindungslosen Menschen vorzunehmen. Ach schließt sich auch hier wieder Singers Prinzipien an.
Der vorliegende Band ist das Ergebnis einer Ringvorlesung
aus dem Wintersemester 2006/07 des Centrums für Bioethik in
Münster. Daher haben einige Beiträge mittlerweile zumindest in
Teilen an Aktualität eingebüßt. So etwa der Aufsatz „Tierärztliche und juristische Fragen zu innerethischen Dilemmata – Aspekte des tierschutzethischen Forschungsbedarfs“ von Jörg Luy
3.6 David Mellor, Emily
Patterson-Kane und Kevin
J. Stafford: The Sciences of
Animal Welfare
224 Seiten, New York: John Wiley &
Sons, 2009, Euro 47,99
Das Buch The Sciences of Animal Welfare vermittelt eine Darstellung und
Analyse der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Denkweise bezüglich des Tierschutzes sowie der jeweiligen Einstellung der
Gesellschaft gegenüber Tieren. Es geht der Frage nach, wie die
Wissenschaft des Tierschutzes Einfluss auf den Umgang mit
Tieren nimmt. The Sciences of Animal Welfare ist als englischsprachiges Buch in der Tierschutzreihe der universitären Vereinigung für Tierschutz in England (UFAW; Universities Federation for Animal Welfare) erschienen. Die Autoren David Mellor,
Emily Patterson-Kane und Kevin Stafford sind im Bereich des
wissenschaftlichen Tierschutzes tätig. David Mellor ist Professor für Tierschutz, Angewandte Physiologie und Bioethik an
der Universität Massey in Neuseeland. Emily Patterson-Kane
ist Tierschutzwissenschaftlerin bei der Veterinärmedizinischen
Vereinigung in Illinois, USA. Kevin Stafford ist Professor für
Veterinärethologie an der neuseeländischen Universität Mas48
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und Goetz Hildebrandt. Die Autoren verweisen darin u.a. auf
das bis 2009 laufende Projekt DIALREL. Dazu ist mittlerweile
ein Buch erschienen. (Siehe die Besprechung des Titels „Tierschutz bei der religiösen Schlachtung. Die Ethik-Workshops des
DIALREL“ von Johannes Caspar und Jörg Luy im Literaturbericht dieses ALTEXethik Heftes). Ebenfalls nicht mehr ganz
neu sind die Forschungen des Auftakttextes zum „Wohlergehen
der Tiere“ des Verhaltensbiologen Norbert Sachser, der u.a.
biochemische Stressparameter im Blut von Meerschweinchen
misst. Gleichwohl sind die Ergebnisse gerade im Bereich der
Nutz- und Versuchstierhaltung von großer Bedeutung, zumal
die Haltung von Versuchstieren in einer gut strukturierten Umgebung an Bedeutung gewinnt.
Der Beitrag „Der Mensch im Tier – Anthropomorphisierung und Funktionalisierung von Tieren im Zeichentrickfilm“
von Martina Stephany wirft noch einmal einen soziologischen
Blick auf das ambivalente Verhältnis, das Menschen mit Tieren verbindet. Im Zeichentrickfilm geschieht erstaunlicherweise oft das, was in der Forschung lange als Sakrileg galt: Tiere
werden vermenschlicht und umgekehrt erhalten Menschen Attribute von Tieren. Diese Verwischung der Grenzen, mit denen
der Zeichentrickfilm spielt, spiegelt sich auch in der Wissenschaft wider. In der Biologie wird die Trennschärfe der Grenze
zwischen Mensch und Tier seit einiger Zeit in Frage gestellt.
Über die ethischen Konsequenzen daraus herrscht allerdings
noch Uneinigkeit.
Petra Mayr
sey. Gegliedert ist das Werk in folgende fünf Kapitel Einleitung, Wege aus der Vergangenheit, Bewertung des Tierschutzes,
Menschlicher Einfluss und Tierschutz sowie Denken außerhalb
des vorgesteckten Rahmens. Die einzelnen Kapitel sind jeweils
wiederum übersichtlich in Unterkapitel aufgeteilt und mit einigen schwarzweißen Fotos anschaulich gestaltet.
Die Autoren haben es sich zur Kernaufgabe gemacht, mittels
multidisziplinärer Zusammenarbeit neue Erkenntnisse zu gewinnen, uns zum Denken in eine neue Richtung anzuregen und
damit einen Beitrag zur Verbesserung der Situation der Tiere zu
leisten. In diesem Zusammenhang werden die grundlegenden
Annahmen, die wir über Tiere und deren funktionelle Fähigkeiten haben, in Frage gestellt, sie sollen neu diskutiert werden.
Auf diese Weise werden in dem Werk vom bisherigen Denkmuster abweichende, neue Ansätze verfolgende Möglichkeiten
einer Wissenschaft des Tierschutzes aufgezeigt.
Nach Ausführungen der Autoren geht man sowohl in der Psychologie des Menschen als auch der Tiere davon aus, dass das
Vorhandensein positiver Erfahrungen ein gutes Leben ausmacht.
Basierend darauf könnte das Fehlen positiver Erfahrungen in
ein System zur Bewertung des Tierschutzes einfließen (vgl.77).
Eine solche Bewertung des Status des Tierschutzes ist den weiteren Erläuterungen zufolge in allen Situationen notwendig, in
denen Tiere für menschliche Zwecke genutzt werden (vgl.78).
Ein Beispiel für die Schwierigkeiten, die für ein Management
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Literaturbericht
des täglichen Zusammenspiels von Mensch und Tier bestehen,
wird anhand von Verhaltensbeobachtungen bei Tieren erläutert:
Bei Haustieren, insbesondere bei Hunden und Katzen, werden
häufig Trennungsängste beobachtet, beispielsweise wenn eine
Bezugsperson abwesend ist. Für manche Tiere kann diese Angst
schwerwiegend sein. Interessanterweise berichten Hundehalter
in solchen Fällen ausschließlich von Verhaltensproblemen des
Tieres, was die Hauptursache dafür ist, dass Tierhalter ihr Tier
in ein Tierheim bringen oder sogar einschläfern lassen (vgl.127).
Wie die Autoren erläutern, befindet sich die Erforschung der
Verhaltensweisen und der Behandlung von entsprechenden Problemen noch in den Kinderschuhen. Ebenso unklar ist bislang,
in welchem Umfang der Umgang des Menschen mit den Haustieren im positiven oder negativen Sinne eine Rolle spielt.
Den Ausführungen zufolge wurde in zahlreichen Studien
mittels EEG die elektrische Aktivität des Gehirns von Säugetieren untersucht, um die verschiedenen Schlafphasen zu studieren. Weiter wird der Frage nachgegangen, welchen Einfluss
das Unbewusste auf das Wohlbefinden von ungeborenen Tieren
während ihrer neurobiologischen Entwicklung hat. So sind nach
Auffassung der Autoren mindestens acht Faktoren zu verzeichnen, die hemmend auf das fötale EEG wirken, was während
der zweiten Schwangerschaftshälfte zur Aufrechterhaltung eines Unbewusstseins-Zustands ähnlich wie im Schlaf beitragen
könnte (vgl.169). Nach Ansicht der Autoren existieren zahlreiche Nachweise für das fehlende Bewusstsein bei Säugetieren
vor der Geburt bzw. bei Vögeln vor dem Schlüpfen. Dies widerspricht jedoch der Auffassung vieler Menschen. David Mellor et al. halten weitere experimentelle Studien für erforderlich,
3.7 Dominick LaCapra:
History and its Limits.
Human, Animal, Violence
230 Seiten, Ithaca und London:
Cornell University Press, 2009,
Euro 19,99
In History and its Limits greift die theoretische Überlegung LaCapras, die
Geschichtsschreibung
(Historiographie) und das Verständnis einer Rolle
und einem Ziel der Geschichte insgesamt durch den neu geprägten Begriff der „intellektuellen
Geschichte“ aufzufassen. Für LaCapra besteht das Ziel einer
intellektuellen Geschichte in der systematischen Auseinandersetzung mit Texten und Kontexten bzw. in der Kontextualisierung, d.h. in der Erklärung des komplizierten Zusammenhanges zwischen einem historischen Singular (der ein Text,
ein Individuum, eine Gruppe oder ein Ereignis sein kann) und
einem transhistorischen Phänomen (wie Ideen, Wertvorstellungen und Bilder, die das singuläre Element beeinflussen
und mitkonstruieren). Neben dieser Auffassung, die ausführlich in der Einführung, im ersten und im letztem Kapitel auch
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um zur Klärung dieser kontroversen Sichtweisen beizutragen
(vgl.179).
Das Buch kann als lesenswert empfohlen werden. Es eignet
sich nicht nur als Lektüre für den Personenkreis, der sich mit
dem wissenschaftlichen Tierschutz befasst, sondern ebenso für
interessierte Laien, die stichhaltige Argumente suchen, um die
Situation der vom Menschen vielfach ausgebeuteten Tiere verbessern zu können. Zwar sollte das Recht auf Anerkennung der
Würde der Tiere und ein Leben ohne Leiden eine moralische
Selbstverständlichkeit sein, doch liegt die Realität fern dieser
theoretischen Vorgabe. Faktisch verlangt die Politik Beweise
für die Leidensfähigkeit der Tiere. Solange diese nicht erbracht
sind, wird in Abrede gestellt, dass Tiere fühlende Lebewesen
sind, und die Chancen auf eine Verankerung von tierschutzrelevanten Bestimmungen in rechtsverbindlichen Dokumenten sind
nicht gegeben. Insofern liefert das Buch insbesondere für Menschen, die in wissenschaftlichen Kreisen oder auf politischer
Ebene für die Stärkung der Rechte der Tiere eintreten, zum
einen hilfreiche Anhaltspunkte und zum anderen pragmatische
Lösungsvorschläge zur Zielerreichung. Allerdings können einige Beispiele, die die Autoren zur Erläuterung beispielsweise des
Bewusstseins von Tieren anführen, als tierschutzwidrig betrachtet werden. Denn einige Erkenntnisse stammen aus Studien an
Tieren, beispielsweise neurologischen Untersuchungen, was
beim Leser die Frage aufwerfen kann, weshalb Tieren Stress
und Leid zugefügt wird, um herauszufinden, ob und in welcher
Art ein erwachsenes Tier oder ein noch ungeborenes Tier bestimmte Erfahrungen wahrnehmen.
Silke Bitz
im Zusammenhang mit anderen Theorien in der zeitgenössischen Geschichtsauffassung erklärt wird, beschäftigt sich LaCapra mit prägnanten und hochaktuellen Diskussionen und
neuen Trends in den kulturwissenschaftlichen Studien sowie
in der Philosophie. Das Buch ist sehr vielfältig und empfehlenswert. Es bietet zahlreiche Überlegungen hinsichtlich der
Bedeutung und der politischen sowie sozialen Implikationen
der Geschichtsschreibung.
Den roten Faden dieses Buches stellen die Gewalt und das
Trauma der Gewaltopfer dar. In dieser Rezension konzentriere ich mich auf das 6. Kapitel, in dem sich LaCapra mit
Interpretationen der Mensch-Tier-Dichotomie in der zeitgenössischen Debatte auseinandersetzt. Der Titel des Kapitels
„Reopening the Question of the Human and the Animal“ deutet schon auf die Absicht, die Frage nach Mensch und Tier
neu zu diskutieren, die die zeitgenössische Kontinentalphilosophie seit Jacques Derrida zum Teil geprägt hat. Im Mittelpunkt der Kontroverse steht nicht nur die Kritik an der im
Humanismus verwurzelten Dichotomie als ontologisch unüberwindbare Barriere zwischen Menschen und den anderen
Tieren, sondern auch die dekonstruktionistische Kritik an der
tierethischen Rechtsdebatte. Die Projektion der Tiere in eine
von dem Menschen separaten Sphäre führt laut LaCapra zu
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einem Widerspruch: Zum einen wird das Andere (Tier) auf
einen infra-ethischen Status reduziert, indem es als einfaches
Material oder instrumentelles Wesen beschrieben wird, zum
anderen wird der Mensch auf einen super-ethischen Status
gehoben, indem er oft als Opfer bzw. als etwas Enigmatisches
beschrieben wird (154). Diese Unterscheidung und damit Abgrenzung der ethischen und politischen Sphäre der Betrachtung derjenigen und der anderen Wesen wird häufig in widersprüchlicher Art und Weise verwirklicht und vermischt sich
mit Grenzziehungen auch im zwischenmenschlichen Bereich:
Für LaCapra anregend ist deswegen die zeitgenössische Kritik an den kulturellen Implikationen des Anthropozentrismus,
auch wenn er im Zusammenhang mit anderen Kategorien der
Diskriminierung gebraucht wird, wie z.B. Gender, Rasse oder
Klasse.
In seiner akribischen Analyse der unterschiedlichen Perspektiven kommt LaCapra zu interessanten Ergebnissen, die
innovativ in der heutigen Diskussion sind: Am Rande bemerkt er beispielsweise, dass intrinsisch aus der sozialkonstruktivistischen Perspektive, laut der die Natur (und damit
auch das Tier) nicht rein objektiv beschreibbar, sondern eine
menschliche soziale Konstruktion ist, die Gefahr besteht, die
Auffassung von nicht-menschlichen Lebewesen als einfaches
Material indirekt zu fordern: Der Mensch wird durch seine
quasi-divinische schöpferische Kraft beschrieben, indem er
die Natur konstruiert und damit noch einmal eine Sonderstellung im Vergleich zu anderen Lebewesen erhält (162).
Parallel dazu kann eine übertriebene Betonung des Mitleids
bzw. der ethischen und kreativen Fähigkeiten des Menschen
dazu führen, die legitimen Grenzen der Eingriffe an Tieren
nicht wahrzunehmen (er diskutiert in einer Fußnote das Problem der Tierversuche). Interessant ist auch seine Kritik an
Giorgio Agamben, der heutzutage teilweise als wichtiger
Theoretiker der Mensch-Tier-Dichotomie gesehen wird mit
dessen philosophischem Projekt er sich ausführlich beschäftigt. Agambens Dichotomie wird meines Erachtens berechtigt
vorgeworfen, den Mensch und das Tier als zu abstrakten und
allgemeinen Topos zu diskutieren, ohne jeglichen direkten
Bezug auf empirische Daten über Fähigkeiten von Tieren und
ohne Bezug zur aktuellen Tiernutzung. Die Argumentation
Agambens ist extrem entkontextualisiert, was für LaCapra
sehr problematisch erscheint. LaCapra kritisiert Agambens
Anlehnung an Heidegger bei der Unterscheidung zwischen
Mensch und Tier, die sich an „Welt-offenem Dasein“ (Menschen) und an „in-seiner-Umwelt-eingeschlossenem Dasein“
(Tiere) orientiert. Offen bleibt auch der Zusammenhang zwischen Agambens Theorie und den praktischen Implikationen
für die Nutzung und Missachtung von Tieren.
Ähnlichkeiten mit dieser Perspektive sind auch in der Frage nach dem Tier bei John Maxwell Coetzee zu finden. In seinem Roman The Lives of Animals werden die Schattenseiten
der „Vernunft“ bzw. des Rationalitätsideales aufgezeigt. Hier
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wird dem Verstand des Philosophen die schöpferische Kraft
des Dichters bzw. Schriftstellers gegenübergestellt, der Gefühle gegenüber Tieren entwickelt. Dennoch bleibt die Auffassung Coetzees anders als die Agambens: Elisabeth Costello, die Hauptfigur, versucht immer wieder, einen ethischen
und emotionalen Standpunkt in Bezug auf Tiere weiter zu
entwickeln. Auch wenn sie sich in Widersprüche verwickelt,
wirkt ihr Mitleid und ihre ausgeprägte Empathie performativ
und sehr konkret, vor allem bei der Beschreibung des tierischen Leidens beim Schlachten (177-178).
Das Problem der Gewalt gegen Tiere ist nicht nur in tiefen
Gefühlen verwurzelt, sondern auch in der Wahrnehmung von
Aufopferung und in der Möglichkeit, einen Sinn im Leiden zu
sehen. Es ist deshalb laut LaCapra nicht überraschend, dass
eine Auseinandersetzung mit der Geschichte von Abraham
und Isaak in der relationalen Auffassung Coetzees keinen
Platz findet, wohl aber bei Derrida, der diese Geschichte als
paradigmatisches Beispiel der Sonderstellung des Menschen
in der Natur interpretiert, in deren Mittelpunkt die Idee der
Einzigartigkeit des Geschenkes Gottes an den Menschen und
damit des Objekts der Opfer steht.
Am Ende seines Kapitels wendet LaCapra seine Kritik den
postmarxistischen Strömungen der aktuellen Debatte zu, insbesondere der Theorie des Werks Empire (Untertitel: Die neue
Weltordnung). Dieses Buch wurde von dem italienischen,
marxistischen Philosophen Antonio Negri und dem amerikanischen Literaturkritiker Michael Hardt geschrieben, denen
vorgeworfen wird, ein Gegenbeispiel für die Neudiskussion
der Frage nach dem Tier zu liefern. Empire verkörpert die
letzte Spur von Anthropozentrismus, in dem in einer von LaCapra zitierten Passage der Verweis auf Tiere auf eine idealistische, billig-sentimentalische Art geschieht, ohne jeglichen
Bezug auf ökologische Fragen. Dagegen braucht die heutige
Reflexion ein lebhaftes theoretisches Engagement rund um
das Tier, das in einem komplexen Netzwerk von Diskursen zu
betrachten ist, und zwar im Zusammenhang mit einer Theorie
über den Staat, die Herrschaft und die Machtstrukturen.
Hauptverdienst dieses Buches bezüglich des theoretischen
Umgangs mit dem Tier ist zweifellos seine vorurteilslose
Analyse der wichtigsten Elemente der heutigen kritischen
Debatte. Die Aufhebung der Notwendigkeit der Kontextualisierung erscheint als äußerst wichtiger Punkt für die theoretische Diskussion: Wenn man tatsächlich die Frage nach dem
Tier erneut diskutieren möchte, müsste man sich auch konkreten Beispielen von Eingriffen und Nutzungen in unserer
technologisierten Gesellschaft sowie auch neuen Ergebnissen
zu den Fähigkeiten der Tiere zuwenden, die die ethologische
Forschung zunehmend anbietet. Für eine neue Tier-Philosophie und „intellektuelle Tier-Geschichte“ im Sinne LaCapras
braucht man deshalb mehr Geschichtsschreibung und Politik
sowie mehr Empirie.
Arianna Ferrari
Altexethik 2010
17.11.2010 20:05:48 Uhr
Literaturbericht
3.8 Carola Otterstedt
und Michael Rosenberger
(Hrsg.): Gefährten –
Konkurrenten – Verwandte.
Die Mensch-Tier-Beziehung im
wissenschaftlichen Diskurs
398 Seiten, Vandenhoeck & Ruprecht,
2009, Euro 39,90
Das Thema „Mensch-Tier-Beziehung“
erfreut sich gegenwärtig einer Hochkonjunktur, das zeigt der von der
Kulturwissenschaftlerin Carola Otterstedt und dem Theologen
Michael Rosenberger herausgegebene Sammelband. Das Buch
beleuchtet die Vielfalt der Mensch-Tier-Beziehungen aus natur-,
kultur- und sozialwissenschaftlicher Perspektive und versucht
sich damit dem vielschichtigen Phänomen der „Mensch-TierBeziehung“ auf transdisziplinäre Weise anzunähern.
Die den Band einleitenden Beiträge beleuchten die MenschTier-Beziehung aus evolutionärer, zoologischer und ethologischer Sicht. Kurt Kotrschal unternimmt den Versuch, eine evolutionäre Theorie der Mensch-Tier-Beziehung zu entwerfen. Die
Antwort auf die Frage, weshalb Menschen mit Tieren in Beziehung treten wollen und können, ist nach diesem Ansatz darin zu
suchen, dass die Sozialfähigkeit von Menschen und Wirbeltieren
eine ähnliche stammesgeschichtliche Entwicklung durchlaufen
hat und folglich durch analoge Strukturen und Mechanismen
gekennzeichnet ist. Die Ethologin Willa Bohnert setzt sich mit
den Bedürfnissen von Tieren auseinander. Sie betont, dass sehr
gute Kenntnisse des Normalverhaltens der jeweiligen Tierart eine Grundvoraussetzung für die Beurteilung der Befindlichkeit
der Tiere und insbesondere auch für das Erkennen von Verhaltensstörungen darstellen, und erinnert damit daran, dass Wissen
eine Grundvoraussetzung für praktizierten Tierschutz ist.
Der Zoologe Josef H. Reichholf weist darauf hin, dass Tiere
in entscheidender Weise zur Menschwerdung beigetragen haben
und dass die Evolution ohne die engen Beziehungen zu Tieren
anders verlaufen wäre. Heute aber ist die Partnerschaft zwischen Mensch und Tier gekippt: „Seit Jahrzehnten konkurrieren
Menschen und Nutztiere direkt um Lebensraum und Nahrung
auf der Erde. Die Gier nach Fleisch erweist sich als stärker. Ihr
werden die Lebensinteressen von Millionen hungernden Menschen untergeordnet. Allein die [Tierhaltung] erzeugt weit mehr
Treibhausgase (…) als alle sonstigen Aktivitäten des Menschen
(…). Damit hat das Mensch-Tier-Verhältnis eine gänzlich neue
Dimension von globaler Bedeutung erreicht.“ (23f.) Der Kontrast zwischen exotischen Tieren in Terrarien, Aquarien oder
Käfigen einerseits und „der schrecklichen Intensivtierhaltung
andererseits, die jenes Billigfleisch produziert, das als Schnäppchen im Supermarkt gejagt wird“ (24), illustriert nach Reichholf
jene Ambivalenz, die der Kulturphilosoph Jost Hermand in seinem bereits 1984 erschienenen Essay Gehätschelt und gefressen
pointiert zum Ausdruck gebracht hat.
Ein weiterer Schwerpunkt des Bandes ist psychologischen Aspekten der Mensch-Tier-Beziehung gewidmet. Erhard Olbrich
gibt einen Überblick über die wichtigsten Ansätze zur Erklärung
der Mensch-Tier-Beziehung (Biophilie-Hypothese, Hypothesen
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aus der Persönlichkeits- und der Motivationspsychologie) und
streicht die Bedeutung der Empathie für die gelebte Beziehung
zu Tieren hervor. Dagegen stellt Andrea Beetz das aus der Humanpsychologie übernommene Konzept der Bindung in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen und legt dar, dass die Beziehung zu
Heimtieren durchaus die für den Bindungsbegriff konstitutiven
Merkmale erfüllen kann. Obwohl der Bindung zu einem Tier
grundsätzlich eine andere Qualität zukommt als einer Bindung zu
einem Menschen, besitzt die Bindungstheorie nach Beetz einen
hohen Erklärungswert für die Mensch-Tier-Beziehung.
Die Psychologin und Psychotherapeutin Monika A. Vernooij
geht von der Einsicht aus, dass auch Altruismus im Allgemeinen und Tierliebe im Besonderen egozentrisch sein können und
untersucht die Rolle von Heimtieren im Spiegel menschlicher
Bedürfnisbefriedigung. Die Autorin kommt in ihrem Beitrag
zum Ergebnis, dass der Tierhaltung in allen Bedürfnisbereichen mehr oder weniger große Bedeutung zukommt, wobei die
Funktionen des Tieres in Abhängigkeit von der individuellen
Bedürfnislage des jeweiligen Halters sehr unterschiedlich sein
können. Heimtiere können im Zusammenhang mit menschlichen Bedürfnissen eine Substitutionsfunktion erfüllen und
nicht nur als Ersatz für Personen bzw. für persönliche Beziehungen, sondern auch als Substitut für Selbst-, Identitäts- und
Systemaspekte dienen.
Wenngleich Tiere seit der Frühen Neuzeit nachweislich auch
als wichtige soziale Interaktionspartner anerkannt sind, konstatiert Olbrich, dass sie im vorherrschenden Paradigma des Gesundheitswesens keinen Platz haben. Stefanie Böttger behandelt
die viel versprechenden Möglichkeiten tiergestützter Therapie
im Rahmen der neurologischen Rehabilitation. Anke Prothmann
zeigt einzelne Einsatzbereiche tiergestützter Intervention im
Bereich der Humanmedizin auf und plädiert dafür, den Einsatz
von Tieren im Gesundheitssystem künftig deutlich umfangreicher zu etablieren.
Die Soziologin Helga Milz analysiert die Mensch-Tier-Beziehung im Kontext von Öffentlichkeit, Gesellschaft und Politik
und gelangt zu der ernüchternden Erkenntnis, dass der Tierschutz in unserer Gesellschaft nicht selten zum „Symbol und
Deckmantel für grausame Verfahren“ wird: „Legaler Tierschutz
eliminiert nicht die Legitimation von Massakern an Tiermassen.
Sie verdanken sich einem Etikettenschwindel, weil „wichtige
Gründe“ die Bestimmungen des Tierschutzes laufend außer
Kraft setzen.“ (237)
Aus der Sicht der Agrarsoziologie weist Karin Jürgens darauf
hin, dass die Bewältigung massenhafter Tiertötungen im Zusammenhang mit Tierseuchen neue empirische und forschungstheoretische Einblicke in die Mensch-Nutztier-Beziehung vermittelt
habe. Während Nutztierhalter das Schlachten meist als „vertraute
Selbstverständlichkeit“ empfinden, stellt das Keulen von – zum
Teil gesunden – Tierbeständen einen Tabubruch in der MenschNutztier-Beziehung dar, der bei den betroffenen Landwirten
nicht selten zu akuten posttraumatischen Belastungsstörungen
führt. Nach Jürgens wird die Einstellung der Nutztierhalter von
der Ambivalenz zwischen dem Subjektcharakter des Tieres und
dem Objektcharakter des Viehs geprägt. Die Beziehung zwischen
Tierhaltern und Nutztieren kann zweifellos nicht losgelöst vom
gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang analysiert werden. Al51
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Literaturbericht
lein mit dem modernen Produktionsprozess, der durch Arbeitsteilung und Massentierhaltung zur Entfremdung zwischen Mensch
und Nutztier und in der Folge zu einer Entsubjektivierung der
Tiere führt, kann die zunehmend gleichgültige Einstellung vieler
Nutztierhalter aber dennoch vollständig erklärt werden.
„In der Geschichte ist viel zu wenig von Tieren die Rede“ –
dieses Diktum aus der Feder Elias Canettis nimmt die Historikerin Aline Steinbrecher zum Anlass, sich mit der Rolle des Tieres
in der Geschichtsschreibung bzw. in der Geschichtswissenschaft
auseinanderzusetzen. Obwohl Tiere in der Menschheitsgeschichte omnipräsent sind, spielen sie in der Geschichtswissenschaft
kaum eine Rolle, weil sich die historische Forschung lange Zeit
auf die Analyse politischer und religiöser Machtverhältnisse konzentrierte und in erster Linie als Geschichte des weißen Mannes
und der Nationalstaaten verstanden wurde. Erst mit dem Aufstieg
der Sozialgeschichte bzw. dem wachsenden Interesse an der Alltagsgeschichte wird zunehmend auch die zeittypische Rolle der
Tiere thematisiert. Eine Tiergeschichtsschreibung im eigentlichen Sinn allerdings stößt auf spezifische methodische Probleme:
Um eine Tiergeschichte schreiben zu können, ist es erforderlich,
Tiere als Akteure und Subjekte der Geschichte zu begreifen und
die Beschaffenheit der Quellen zu reflektieren.
Die im letzten Drittel des Bandes versammelten Beiträge
befassen sich mit einschlägigen kulturwissenschaftlichen Fragestellungen. Carola Otterstedt stellt fest, dass die MenschTier-Beziehung in den jeweiligen Gesamtkontext religiöser,
kultureller und gesellschaftlicher Entwicklung eingebettet ist.
Sie behandelt die Mensch-Tier-Beziehung in den Weltreligionen und weist darauf hin, dass Globalisierung und multikulturelle Gesellschaftsformen spezifische Auswirkungen auf die
Mensch-Tier-Beziehung haben. Antoine F. Goetschel gibt einen
3.9 Mieke Roscher:
Ein Königreich für Tiere.
Die Geschichte der britischen
Tierrechtsbewegung
581 Seiten, Marburg: Tectum Verlag,
2009, Euro 29,90
Dass Großbritannien früher als andere Länder auf legislativer Ebene den
Tierschutz verankerte, ist weitgehend
bekannt. Weniger bekannt sind die
gesellschaftlichen und ökonomischen
Voraussetzungen, welche zu diesem Durchbruch führten.
Dieses Defizit hilft die Bremer Kulturwissenschaftlerin Mieke Roscher zu beheben. In ihrer umfassenden Studie, die
Sozialgeschichte, Quellenstudium, ökonomische Untersuchungen und philosophische wie theologische Argumente zusammenbringt, wird die aus verschiedensten Gruppierungen
bestehende britische Tierrechtsbewegung sichtbar und verständlich. Zugleich zeichnet sich so ein Bild der führenden
Industriegesellschaft ihrer Zeit, das sich durch einen erstaun52
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Überblick über das Tier im Recht und geht auf spezifische rechtliche Rahmenbedingungen für die tiergestützte Arbeit in geriatrischen Institutionen ein.
Zwei Beiträge aus dem Bereich der Tierethik beschließen den
Band: Michael Rosenberger vertritt in seinem Beitrag über die
Eckpunkte einer modernen theologischen Tierethik die Auffassung, dass eine christliche Tierethik auf das „emotional ungeheuer stark besetzte Konzept der Würde“ nicht verzichten könne. Der christliche Glaube mahnt nach Rosenberger, sich wieder
auf die Schicksalsgemeinschaft zwischen Mensch und Tier zu
besinnen und „das Tier ins Boot zu holen“ (387). Die philosophische Ethik hingegen ist aufgerufen, eine universale Tierethik
zu entwerfen: In diesem Sinne plädiert Jean-Claude Wolf für
eine „Ethik der natürlichen Sympathie“, die auf Einfühlung und
empathischem Verstehen beruht und sich der Vernunft als Korrektiv bedient. Im „vielstimmigen Chor der tierethischen Ansätze“ zeichnet sich nach Wolf ein Grundkonsens ab: „Insbesondere kann das Resultat, dass mindestens alle empfindungsfähigen
Wesen einen moralischen Status haben, der direkte Beachtung
fordert, als gesichert gelten.“ (365) Die künftige Aufgabe der
Tierethik besteht nach Wolf darin, tierschützerische Forderungen zu formulieren und durchzusetzen, „die sich auch ohne spezielle weltanschauliche oder besonders umstrittene Annahmen
(wie die Würde, die Rechte oder gar die Lebensrechte von Tieren) plausibel machen lassen“ (365). Insgesamt zeigt der Band
das Bemühen der Autorinnen und Autoren im vergleichsweise
jungen Wissenschaftsbereich der Anthrozoologie die Theoriebildung voranzutreiben. Aus den zum Teil neuen und überraschenden Einsichten ergeben sich zahlreiche Impulse für künftige Forschungsarbeiten.
Regina Binder
lichen Facettenreichtum auszeichnet. Die Vielfarbigkeit der
britischen Gesellschaft seit dem Ende des 18. Jahrhunderts
kontrastiert dabei nicht nur mit der Eintönigkeit derjenigen
des Deutschen Reiches, die Roscher kurz beleuchtet, sondern
besticht auch im Vergleich mit der Gegenwart.
Es sind, wie Roscher herausstreicht, vor allem die enormen
Verwerfungen, welche die stürmische Industrialisierung mit
sich bringt, die in Großbritannien eine geradezu explosionsartige Debattenkultur zur Folge hatte. Dass dies den Beteiligten nicht nur intellektuelle Freude, sondern auch heftigste
Auseinandersetzungen bescherte, kann man sich leicht vorstellen, wenn man sich die Gruppierungen anschaut, die, aus
zum Teil höchst unterschiedlichen Gründen, sich der Sache
der Tiere annahmen.
Die frühesten Tierrechtsbewegungen entstammen dem Evangelikalismus, also jener Bewegung des britischen Protestantismus, der den Erbsünden-Glauben wach hielt und daraus Ansätze
der moralischen Läuterung und Verbesserung entwickelte. Zum
Teil direkt aus dem Evangelikalismus bzw. aus seinem Umkreis
entstanden gemeinnützige Vereinigungen. Diese Charities, die
übrigens auch heute noch eine wichtige Rolle in der britischen
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Literaturbericht
Gesellschaft übernehmen, entwickelten ein breites Betätigungsspektrum, das weit über die religiöse Erziehung und Bildung
hinausging und sich sehr bald konkreter gesellschaftlicher und
politischer Themen annahm: Dem Kampf gegen den Alkoholismus als Form der gesundheitlichen und moralischen Gefährdung, dem Kampf gegen die Sklaverei als Form der Missachtung der Gleichgeschöpflichkeit aller Menschen und eben auch
dem Kampf gegen das Tierleid.
Das Engagement für die Tiere speiste sich bei den Evangelikalen aus der Anerkennung der Tierseele. Damit korrigierten sie
nicht nur die vorherrschende christliche Lehre von der Alleinbeseelung des Menschen, sondern verringerten zugleich die Kluft,
welche sich zwischen dem Menschen und der nichtmenschlichen Schöpfung durch den vermeintlichen Verfügungsauftrag
des „Machet Euch die Erde untertan“ aufgetan hatte. Die Anerkennung der Tierseele konnte nicht ohne Folgen für das praktische Leben des evangelikal denkenden Gläubigen bleiben.
So setzte sich die 1739 gegründete Methodistenkirche gegen
Tierkämpfe zur Wehr, da diese, wie ihr Begründer John Wesley
argumentierte, den Respekt vor dem Tier vermissen lassen. Aus
eben diesem Grunde wurde Wesley auch Vegetarier.
Einflussreicher als die Methodisten wurden jedoch die Quäker. Von dem Gedanken der Gewaltfreiheit getragen, waren die
Quäker davon überzeugt, dass ein christliches Zusammenleben
so lange nicht möglich sei, wie Formen von Gewalt geduldet
würden. Entsprechend kämpften die Quäker ebenso für die
Abschaffung der Sklaverei wie für ein Verbot der Vivisektion.
Beide Anliegen bildeten aus Quäkersicht eine Einheit, weswegen die Quäkerassoziation „Society of Friends“ sich in ihren Pamphleten zugleich für eine Freundschaft der Menschen
untereinander (Abolition, Abschaffung der Sklaverei) und für
eine Freundschaft der Menschen mit den Tieren (Antivivisektion) aussprechen konnte. Die wirtschaftlich erfolgreichen und
meist gut ausgebildeten Quäker konnten ihren Anliegen publizistisch den gehörigen Nachdruck verleihen und gesellschaftlichen Einfluss gewinnen. Die Abschaffung der Sklaverei im
Jahre 1833, an der Quäker wesentlichen Anteil hatten, verlieh
ihnen weiteres Ansehen.
Zugleich nutzten sie das durch den Abolitionskampf sensibilisierte moralische Gewissen der britischen Gesellschaft für
ihre Tierrechtsanliegen. Diese wurden von Quäkern auf mehreren Ebenen verfochten: Neben der kirchlichen Arbeit engagierten sich immer mehr Quäker in den entsprechenden Vereinigungen, an vorderster Front in der 1824 gegründeten Royal
Society for the Prevention of Cruelty to Animals (RSPCA). Eine wichtige Rolle sollte schließlich auch die 1847 – allerdings
nicht von Quäkern – gegründete Vegetarian Society bekommen, die den Fleischverzehr als der Spiritualität hinderlich
ansah. Die vielen religiösen Gruppierungen, die sich für die
Antivivisektion, für ein Verbot von Tiersport oder sogar gegen den Einsatz von Arbeitstieren einsetzte, kamen dabei darin
überein, dass diese Verhaltensweisen letztlich das menschliche
Seelenheil in Gefahr brächten.
Dieses Argument spielte bei den vielen kirchlich ungebundenen Gruppierungen keine Rolle, hier stand der Emanzipations-
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gedanke im Vordergrund. Es war daher auch kein Zufall, dass
hier Frauen eine zentrale Rolle einnahmen. Der Kampf gegen
den Ausschluss der Frauen aus dem öffentlichen Leben, der sich
am augenfälligsten im fehlenden Frauenwahlrecht zeigte, vereinte viele Frauen auch in der Antivivisektions-Bewegung. Die
Emanzipationsdefizite der britischen Gesellschaft wurden als
Ausdruck ihrer patriachalen Struktur gesehen. Aus diesem Ansatz heraus entwickelte sich auch die Kritik an der männlichen
Medizin, die über die Propagierung von Reihenuntersuchungen
und Impfprogrammen für die Unterdrückung der Frauen und,
durch die damit in Verbindung stehende Vivisektion, für das
Leiden der Tiere gebrandmarkt wurde.
Die Tierrechtsaktivistin Anna Kingsford (1846-1888) studierte sogar Medizin, um in ihrem Kampf gegen die Vivisektion die
wissenschaftlichen Argumente der (männlichen) Medizin besser und überzeugender kontern zu können. Diesem Ziel diente
auch ihre an der Sorbonne vorgelegte Doktorarbeit zu einer vegetarischen Ernährung, die in englischer Übersetzung zu einem
Bestseller wurde. Kingsford wirkte in ihrem kurzen Leben auf
nahezu allen Ebenen im Kampf gegen das Tierleid: als Medizinerin, als Buch- und Zeitschriftenautorin, als Vortragsrednerin
und als beherzte Aktivistin. So schreckte sie nicht davor zurück,
sich als Vivisektionsobjekt anzubieten, um damit Tierleben zu
retten. Ein Vorschlag, der gleichwohl von den entsprechenden
Labors empört abgelehnt wurde.
Unerschrockenheit zeichnete auch France Power Cobbe
(1822-1904) aus, die als Journalistin und Buchautorin das Tier
in das Bewusstsein der britischen Öffentlichkeit brachte. So
schrieb sie unter anderem eine auch von Darwin beachtete Arbeit zur Vernunft bei Tieren und einen Roman, in dem Engel
Vivisektionen an Menschen vornehmen. Cobbe, die die wichtige Victoria Street Society gründete, verstand es immer wieder,
Exponenten des kulturellen Lebens Großbritanniens in die Diskussion um das Tier zu verwickeln oder direkt für ihr Anliegen
in Anspruch zu nehmen.
Auffallend an dem frauendominierten Antivivisektionskampf
ist die Vielfalt seiner Mittel: Neben der Publizistik, die ebenso die wissenschaftliche Arbeit wie den Zeitschriften- und
Zeitungsartikel und das Pamphlet umfasste, spielten Demonstrationen und öffentliche Anprangerungen von Vivisektoren
eine wichtige Rolle. Einen vorläufigen Höhepunkt bildete das
Brown-Dog-Denkmal, mit dem 1906 in London an die Opfer
der Vivisektion erinnert wurde.
Aus philosophischer Sicht ernüchternd fällt in Roschers Untersuchung die Bedeutung der Philosophie ins Auge. Durch
Bentham und Mill verfügte Großbritannien bekanntlich über
starke Argumente im Kampf gegen das Tierleid. In der konkreten politischen Arbeit der Aktivisten spielten diese offenbar nur
eine untergeordnete Rolle. Dafür verstanden es die Tierrechtsbewegungen sehr gut an moralische Empfindungen, die sie zum
Teil durch ihre Beschreibungen des Tierleids selbst verändert
hatten, anzuknüpfen. Die Praxis, so lässt sich aus Roschers
Buch lernen, wird offensichtlich weniger durch die Theorie als
viel mehr durch die Empfindung verändert.
Andreas Brenner
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Literaturbericht
3.10 Cary Wolfe:
What is Posthumanism?
358 Seiten, Minneapolis: University of
Minnesota Press, 2010, Euro 20,99
Der Professor für Englische Literatur
an der Rice University, Cary Wolfe,
beschäftigt sich seit über einem Jahrzehnt mit Fragen zur Mensch-TierDichotomie in unserer Kultur. In diesem Buch setzt er die fundamentalen
Grundsteine eines posthumanistischen
Denkens. Als Herausgeber der Reihe Posthumanities, in der
dieses Buch auch veröffentlicht wird, macht er seinen Standpunkt deutlich (siehe Rezension des Buches von Nicole Shukin:
Animal Capital. Rendering Life in Biopolitical Times in diesem
ALTEXethik). Der Posthumanismus stellt sich als neue Sichtweise dar, um natürliche Prozesse wie etwa Kognition zu deuten und dabei auf eine nicht-anthropozentrische Art und Weise
vorzugehen. Das Hauptziel dieser Perspektive besteht in der
Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Kulturformen, die
entweder Tiere direkt nutzen (bspw. in der Kunst) oder die über
Tiere schreiben (Literatur und Medien).
Posthumanistisches Denken bedeutet, die Traditionen Humanismus und Aufklärung zu kritisieren, die von „anthropologischen Universalheiten“ (vgl. Foucault) geprägt worden sind,
und die Auffassung der festen metaphysischen Prinzipien und
des dualistischen Denkens zu überwinden: Es handelt sich um
eine Art kulturelle Revolution, die die dichotomische Logik
durch eine systemische Logik ersetzt, in der der Mensch keine Sonderstellung in der Natur mehr hat. Referenztheorien für
den Posthumanismus sind Derridas Überlegungen über Tiere („animots“), die kybernetische Theorie insbesondere von
Humberto Maturana, Francisco Varela und Niklas Luhmanns
Systemtheorie.
Wolfe befasst sich in diesem Buch konsequent mit dem Projekt einer neuen posthumanistischen kulturellen Perspektive. Er
zeigt dabei, was es konkret bedeutet, posthumanistisch zu denken
und zu arbeiten. Einer ausführlichen Einführung, in der er den
Begriff „Posthumanismus“ historisch erklärt, folgen zwei Teile,
die sich mit Theorien, Disziplinen und Ethik (1. Teil) sowie mit
Medien, Kultur und Praktiken (2. Teil) auseinandersetzen. Das
Buch ist reich an Überlegungen, Beispielen und Erklärungen,
die in einer kurzen Rezension nicht ausführlich diskutiert werden können. Ich werde mich auf die meines Erachtens bedeutendsten und problematischsten Punkte konzentrieren.
Die Hauptidee Wolfes ist die Notwendigkeit der Überwindung traditioneller metaphysischer Konstrukte, die noch
Überbleibsel unserer Kultur sind, und uns daran hindern, tatsächlich über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier neu
nachzudenken, um uns und die Tiere wirklich zu befreien.
Während Derrida sich in seinem Plädoyer für die Zerstörung
des alten Denkens der Subjektivität nicht so sehr mit dem
Zusammenhang zwischen der theoretischen Dynamik dieser Dekonstruktion und den historischen und soziologischen
Konditionen einer erneuten Subjektivität beschäftigt, sieht
Wolfe in Kapitel 1 in der Theorie Luhmanns eine fruchtbare
Erweiterung: Hier verliert das Subjekt (sei es als Individuum
oder als Gruppe) seine zentrale Rolle in der Gesellschaft und
wird durch Kommunikation ersetzt. Dieser Auffassung zufolge ist auch eine Erneuerung des Bereiches „animal studies“
zu überlegen: Diese Studien sind nicht als eine Disziplin im
klassischen Sinne zu betrachten. Sie sollen die Frage nach
dem Tier transdisziplinär bzw. durch zahlreiche Blickwinkel
(ein Netzwerk von Beobachtern erster und zweiter Ordnung)
klären (Kapitel 4). Im zweiten Kapitel wird das dekonstruktivistische Programm gegen die repräsentationalistische Metaphysik der Kognitionswissenschaften verteidigt: Es gibt
keine direkte und eindeutige Verbindung zwischen Sprache
und Realität. Von daher verleiht die (menschliche) Sprachfähigkeit dem Menschen keine besondere ontologische Stellung in der Natur.
Im dritten Kapitel setzt sich Wolfe kritisch mit der gesamten
bioethischen Tradition auseinander, die als paradigmatisches
Beispiel der Entwicklung einer Biomacht gesehen wird. Problematisch sind dabei nicht nur die Institutionalisierungsprozesse
der Analyse ethischer Fragestellungen, die eindeutig von einer
Suche nach Kompromissen und häufig sogar von Heuchelei gekennzeichnet sind. Bei der Mehrheit der Autoren sind sie zudem von einer anthropozentrischen und aufklärerischen Logik
geprägt, die starr auf Kategorien wie „Recht“ oder „InteressenTräger“ fixiert bleibt.
Eine neue Ethik und Politik über Mensch und Tier muss
aufhören, Fragen nach dem moralischen Status durch die Suche nach relevanten Merkmalen zu begründen. Für sie besteht
die menschliche Natur aus Fleisch und Blut, wie der Titel des
dritten Kapitels andeutet: Posthumanismus zeichnet sich durch
eine Wiedervereinigung der materiellen und biologischen Natur des Menschen aus, der als Teil des gesamten Lebendigen
gesehen wird, zusammen mit der Wahrnehmung der Einbettung des Menschen auch in der technischen Welt. Dadurch
wird zum einen die Mensch-Tier-Dichotomie als ontologische
Kluft aufgelöst, zum anderen konstituiert sich die Subjektivität
des Menschen auch in Anlehnung an das Technische, an die
von ihm geschaffene Welt. Damit grenzt sich diese Auffassung
deutlich von den aktuellen transhumanistischen und posthumanen Perspektiven ab, die stark für die bewusste Überwindung
des heutigen biologischen Zustandes des Menschen durch neue
Technologien plädieren1.
Die Auffassung Wolfes zu den konkreten ethischen und politischen Problemen des Umgangs mit Tieren bleibt dem Dekonstruktionismus treu: Die Notwendigkeit der Überwindung der
Aufklärung und die Kritik an der pragmatischen Bioethik machen es uns unmöglich, eindeutige und feste Richtlinien über
konkrete Nutzungen und Eingriffe an Tieren zu formulieren.
Die Kritik an der pragmatischen Bioethik stellt sich in einer
1 Für eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Bedeutungen von „Posthuman“ und „Transhuman“ vgl. u.a. Andy Miah (2008). A critical history of
Posthumanism. In: Bert Gordijn and Ruth Chadwick (Eds.), Medical Enhancement and Posthumanity. Amsterdam Dordrecht: Springer.
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Literaturbericht
Position der Wachsamkeit gegen jegliche Form von Speziesismus. Was dies aber im Konkreten bedeutet, ist explizit offen
gelassen, weil Richtlinien, eindeutige Stellungnahmen usw.
Zeichen der humanistischen Logik wären. Nicht überraschend
ist deshalb die Beschreibung der „Klassiker“ der Tierethik wie
Tom Regan, Peter Singer, aber auch Martha Nussbaum, als
„posthumanistische Humanisten“: Posthumanistisch, weil sie
auf unterschiedliche Weise gegen Speziesismus gekämpft haben, „Humanisten“, weil sie diesen Kampf mit Hilfe der humanistischen Kategorien des „Rechts“ bzw. „Interessen“ bzw.
„Gerechtigkeit“ geführt haben (125 Schemata). Authentisch
3.11 Leo Tolstoi, Clara
Wichmann, Èlisée Reclus,
Magnus Schwantje et al.:
Das Schlachten beenden!
Zur Kritik der Gewalt an
Tieren. Anarchistische,
feministische, pazifistische und
linkssozialistische Traditionen
180 Seiten, Heidelberg: Verlag
Graswurzelrevolution, 2010,
Euro 14,90
Manche Bücher widersetzen sich in erfrischender Weise dem
Zeitgeist. Das tun sie gerade deshalb, weil ihre Autoren einer
anderen Zeit entstammen und die Thesen nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Für die aktuelle Diskussion liegt aber gerade
darin eine Bereicherung. Die Frage der Tierethik nach dem
adäquaten Umgang mit Tieren wird in der Philosophie derzeit
eher analytisch getrennt behandelt, also weniger in einen größeren Zusammenhang mit anderen Lebenseinstellungen und
Fragen nach einem guten und richtigen Leben gestellt. Das
Schlachten beenden! Zur Kritik der Gewalt an Tieren erinnert dagegen an eine Strömung, die unseren oftmals brutalen
Umgang mit anderen Lebewesen in einen politischen Zusammenhang stellt.
Man darf also keine Lektüre über explizit tierethische Positionen, einer Bewertung ihrer logischen Konsistenz und letztlich ein Abwägen ihres Für oder Wider erwarten. Hier liegt ein
grundlegender Unterschied zwischen dem vorliegenden Band
und vielen tierethischen Positionen, wie sie die Philosophie bietet. Es geht hier nicht um eine Lebenseinstellung von vielen,
nämlich wie man sich Tieren gegenüber verhält. Stattdessen
taucht man ein in die zuweilen skurrile Geschichte des Klassenkampfes, die sich in erster Linie an den Strukturen von Macht
und Herrschaft aufreibt. Macht und Herrschaftsstrukturen, deren Diagnose nicht etwa beim Menschen endet, sondern auch
im Umgang mit Tieren dieselben Strukturprinzipien von Unterdrückung und Ausbeutung erkennt.
In der linkssozialistischen Tradition entspringt die Motivation, Tiere weder zu quälen, noch zu töten oder sie zu verspeisen,
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„posthumanistische Posthumane“ sind dagegen Niklas Luhmann, Humberto Maturana und Francisco Varela, Jacques Derrida, Bruno Latour und Donna Haraway: Alle haben gegen die
Sonderstellung des Menschen in der Gesellschaft bzw. in der
Natur theoretisch argumentiert.
Problematisch bleibt meines Erachtens wie schon bei Derrida die Art und Weise, wie man dieses Denken, das notwendigerweise keine eindeutige Stellung bezieht, in der Gesellschaft
jenseits eines allgemeinen Aufrufs zu einem neuen Denken und
einer neuen Kultur praktisch umsetzt.
Arianna Ferrari
einem politischen Bewusstsein: „Tolstois Vegetarismus zielte
nicht allein auf die Vermeidung der Grausamkeiten gegen Tiere, wie er sie beispielsweise im Schlachthof Tula erlebt hatte,
sondern hatte eine starke soziale, gleichmacherische (was ich
hier ganz positiv verstanden wissen will) Dimension. Oft wird
das Fleischessen in einem Atemzug mit der Beschäftigung von
Bediensteten genannt. Er schämt sich, bedient zu werden usw.“
(55) Nach seinem Besuch eines russischen Schlachthauses in
Tula ist Leo Tolstoi schockiert über die Realität des angeblich „humanen“ Tötens, das mit dem Beginn der industriellen
Massenschlachtung propagiert wurde. Bemerkenswert ist dabei, dass Tolstoi die Perspektive wechselt. Er empfindet nicht
nur Mitleid für die Leiden der Tiere, sondern nimmt auch die
Gewalt wahr, der sich die Schlachter bei ihrer Arbeit aussetzen
müssen, wenn sie ein Tier töten. Es sind gerade solche Passagen, die jenseits der Frage nach dem adäquaten Umgang mit
Tieren das Buch lesenwert machen.
Auch wenn die Sprache der Autoren, die vor gut hundert Jahren gelebt haben, nicht mehr zeitgemäß ist, so finden sich doch
in ihren Argumentationen vielfach Inhalte, die an Aktualität
keineswegs eingebüßt haben. So schreibt der Anarchist Élisée
Reclus im Jahr 1901 in seinem Aufsatz zur vegetarischen Lebensweise: „Es ist eines der traurigsten Ergebnisse unserer Gewohnheit Fleisch zu essen, dass die dem Appetit des Menschen
geopferten Tiere mit System und Methode zu scheußlichen, unförmigen Wesen erklärt und ihre Intelligenz und ihr moralischer
Wert herabgemindert wurden.“ (87)
Schon 1920 erklärt die Juristin Clara Wichmann, dass Tierschutz nur dann gewährleistet werden könne, wenn Tieren als
empfindenden Wesen eigene Rechte zuerkannt würden. Auch
hier ist in ihrer Begründung der Perspektivenwechsel in die Rolle des abhängigen und unterdrückten Tieres interessant. Wichmann macht nämlich deutlich, dass aus der Sicht von Heimtieren, etwa der Perspektive eines Hundes, das Verhältnis zu
seinem Besitzer als die zentrale Beziehung des Tieres in seinem
Leben zu betrachten sei. Diesem Sachverhalt werde in juristischer Hinsicht jedoch nicht Rechnung getragen, da es sich beim
Besitz eines Heimtieres lediglich um ein sachenrechtliches Verhältnis handele. Eine wesentliche Essenz dieses Buches ist der
Spiegel auf die aktuelle Diskussion.
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Literaturbericht
Der Blickwinkel von Unterdrückung und Ausbeutung scheint
einer, der der Frage nach dem aktuellen Status von Tieren noch
am ehesten gerecht zu werden scheint. Dieser Blickwinkel setzt
eine hohe Identifikation mit dem Anderen, also dem Tier voraus. Diese Identifikation geht weit über das hinaus, was einzelne Kriterien wie Leidensfähigkeit oder Bewusstsein, mit denen vielfach in aktuellen tierethischen Positionen argumentiert
wird, erreichen können. Einzelne Kriterien können naturgemäß
immer nur punktuelle Verbindungen schaffen, sie schließen
damit aber andere mögliche Verbindungslinien aus. Das kann
häufig widersprüchlich sein. Wer Tiere etwa aufgrund ihrer Leidensfähigkeit für ethisch relevant hält, hat kein Argument in der
Hand, dass sie nicht getötet werden sollten. Das widerspricht
3.12 Andrew Linzey:
The Link between
Animal Abuse and Human
Violence
346 Seiten, Brighton, Portland: Sussex
Acedemic Press, 2009, Euro 19,43
Der Band befasst sich mit der Darstellung des in Wissenschaftskreisen diskutierten Zusammenhangs zwischen
dem Missbrauch von Tieren durch den
Menschen einerseits und der zwischenmenschlichen Gewaltbereitschaft andererseits.
Der Herausgeber ist Theologe und Professor am Zentrum für
Tierethik in Oxford. Das Werk umfasst 27 Einzelartikel von
Autoren unterschiedlicher Fachdisziplinen. Der Leser erhält einen umfangreichen Überblick über den Stand der Forschung.
So werden beispielsweise bemerkenswerte Parallelen zwischen
dem Missbrauch von Tieren und der oft beobachteten Missachtung gegenüber älteren Menschen gezogen. Beleuchtet werden
darüber hinaus Zusammenhänge zwischen Tiermissbrauch und
Kindesmissbrauch und der Einfluss von familiären Verhältnissen auf den Missbrauch von Tieren. Auch werden mögliche Faktoren diskutiert, die dazu beitragen könnten, dass ein
Mensch zu einem Serienmörder wird. Neben diesen eher soziologischen bzw. psychologischen Betrachtungen werden auch
ethische Fragestellungen und die Rolle rechtlicher Regelungen
angesprochen.
Das Buch gliedert sich in acht Kapitel, die die einzelnen
Themenkomplexe abhandeln. Ein zweifellos zentrales Kapitel ist Kapitel zwei mit dem Titel „Emotionale Entwicklung
und emotionaler Missbrauch“. Hier beschreibt etwa die Psychologin Andrea Beetz die Entwicklung der Empathiefähigkeit und die Einflüsse, die dafür verantwortlich sind, wenn
diese nicht gelingt.
Im Band werden verschiedene Thesen zur Entstehung von
Gewaltbereitschaft diskutiert. Eine Hypothese über die Entstehung der Gewalt geht davon aus, dass Grausamkeit gegen Tie-
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allerdings der Intuition. Man kann nicht am guten (leidens- und
schmerzfreien) Leben eines Tieres interessiert sein und zugleich
in seinem Tod kein Unrecht sehen.
Die Perspektive von Unterdrückung und Ausbeutung betont
die Ähnlichkeiten zwischen Menschen und Tieren und nicht
die Differenzen. Es ist die Form der Empathie, die in diesem
Band zum Ausdruck kommt, die in der akademischen Diskussion leider nur selten zu finden ist. Ein besserer Umgang mit
Tieren setzt geradezu voraus, sich in die Situation eines anderen
Lebewesens zu versetzen. In dieser Hinsicht ist der Band Das
Schlachten beenden! Zur Kritik der Gewalt an Tieren ein höchst
bemerkenswertes Lehrstück.
Petra Mayr
re in der Kindheit oder im Jugendalter mit großer Wahrscheinlichkeit auch spätere zwischenmenschliche Gewalt vorhersagt.
Eine andere Hypothese sieht in der Gewalt gegen Tiere nur
einen Ausdruck grundsätzlicher krimineller Verhaltensweisen.
In einer Studie wurden die den Hypothesen zugrunde liegenden
Ursachen untersucht. 20 männliche wegen Mordes inhaftierte
Sexualstraftäter, 20 an einem entsprechenden Behandlungsund Bewertungsprogramm teilnehmende Sexualstraftäter sowie als Kontrollgruppe 20 männliche Studenten wurden in
Altersgruppen unterteilt und gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. Darin wurden Fragen zu zentralen Themenbereichen
der Sozialisation der Probanden, wie etwa zur Kindheit, zur
Jugend, zu Tiermissbrauch und ähnlichem gestellt. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Straftäter, die sich des Mordes schuldig gemacht hatten, in ihrer Sozialisation verstärkt auch gegenüber Tieren Gewalt angewendet hatten, im Gegensatz zu
den Straftätern, die nicht gemordet hatten sowie zur Kontrollgruppe. Dieses Ergebnis stützt die erste Hypothese, dass früherer Tiermissbrauch in Zusammenhang mit späterer Gewalt
an Menschen stehen kann. Auch die zweite Hypothese konnte
verifiziert werden. Die Entwicklung von Gewaltbereitschaft
gegen Tiere kann unter anderem mit unsozialem Verhalten wie
Diebstahl oder Eigentumszerstörung in Verbindung gebracht
werden, was die Annahme allgemein vorhandener krimineller
Verhaltensmuster bestätigt (145).
Für Erklärungsmöglichkeiten zur Gewaltbereitschaft gegenüber Tieren sind aber nicht die Ausnahmefälle von Gewalttätigkeit, wie sie Mörder darstellen, so bedeutsam. Es ist vielmehr die fast alltägliche Sozialisierung zur Empathielosigkeit,
die legal stattfindet. Im letzten Kapitel mit dem Titel „Der
Missbrauch von Wildtieren“ werden beispielhaft für die – oft
traditionell anhaftende – Desensibilisierung von Menschen
gegenüber dem Schmerzempfinden von Tieren die englische
Fuchsjagd oder die Jagd auf andere Wildtiere sowie auf Delfine in Japan angeführt.
Da der Sammelband ein Kernproblem thematisiert und aufarbeitet, das sowohl hinsichtlich des Tierschutzes als auch der
zwischenmenschlichen Gewalt von großer Relevanz ist, kann
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Literaturbericht
es Lesern unterschiedlichster Fachdisziplinen empfohlen werden. Psychologen, Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen
oder Behörden, die mit dem rechtlichen Vollzug des Tier- und
Menschenschutz befasst sind, kann es als Lehrbuch und Hilfestellung dienen, dem Missbrauch von Tieren und Menschen
3.13 Richard Twine:
Animals as Biotechnology.
Ethics, Sustainability and
Critical Animal Studies
222 Seiten, London, Washington
D.C.: Earthscan, 2010, Euro 63,99
Mit diesem Buch hat Richard Twine,
Senior Research Associate am CESAGEN (ESRC Centre for Economic and
Social Aspects of Genomics) in Lancaster, Großbritannien, eine exzellente,
vielfältige und geschlossene Analyse der ethischen, philosophischen, sozialen und politisch-ökonomischen Aspekte der biotechnologischen Veränderung und Verwendung von Nutztieren
geliefert. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Spannung
zwischen dem zunehmend „molekularisierten“ Verständnis von
Tieren einerseits, demzufolge Tiere ausschließlich als mit molekularbiologischen Verfahren verbesserte Lieferanten wertvoller Materialen wie Fleisch, Milch oder Eier betrachtet werden.
Andererseits ist die Öffentlichkeit zunehmend sensibilisiert für
die Bedürfnisse von Tieren als fühlende Lebewesen. In der Einführung verfolgt Twine die Schritte von der Diskussion um die
Fleischindustrie bis hin zu den critical animal studies: Diese
Disziplin ist neu aus einer kritischen Analyse der Mängel in der
soziologischen und bioethischen Literatur über Tiere entstanden
und zielt insbesondere auf zwei Punkte ab:
Zum einen versuchen die critical animal studies die soziologische Perspektive wieder zu politisieren, indem die Analyse
von einer rein deskriptiven zu einer praktisch-kritischen (und
von daher auch normativen) Ebene der Betrachtung wechselt.
Zum anderen setzen sich die critical animal studies kritischer
mit dem Erbe des Dualismus und des Anthropozentrismus in
der philosophischen Tradition auseinander. Fokus des Buches ist
ein neues Verständnis der Mensch-Tier-Beziehung, die aus dem
Umgang mit zeitgenössischen Theorien wie Akteur-NetzwerkTheorie (Bruno Latour) und Posthumanismus (siehe bspw. die
Rezension des Buches von Cary Wolfe: What is Posthumanism?
in der vorliegenden ALTEXethik-Ausgabe) resultiert: Diese
Theorien betonen die Ko-Produktion von Subjektivität zwischen Menschen und Tieren im Kontext neuer Technologien.
Sie ermöglichen damit den Gedanken, dass in der Gestaltung
der Mensch-Tier-Beziehung auch Tiere – und nicht nur Menschen – eine aktive Rolle spielen können.
Das Buch gliedert sich in drei Teile. Der erste und kürzeste
Teil nimmt den bioethischen Diskurs um das Tier unter die Lupe
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auf verschiedene Weise entgegenzuwirken oder vorzubeugen.
Ein umfangreicher Index erlaubt die Suche nach Stichworten,
so dass sich das Buch auch als Nachschlagewerk eignet. Insgesamt ist es als wertvolle Lektüre zu einem bislang wenig
beachteten gesellschaftlichem Problem zu empfehlen.
Silke Bitz
und dient als Hintergrund und theoretische Fundierung des ganzen Buches. Twine erklärt ausführlich und gut dokumentiert, wie
sich die Bioethik relativ rasch von einer ihrer ersten Deutungen
als Disziplin abgelöst hat, die sich kritisch, interdisziplinär und
selbst-reflektiert mit unterschiedlichen Deutungen von „Bios“
auseinandersetzt. Eine Definition, wie sie auch von Van Raessler Potter, der den Begriff in den 70er Jahren in den Diskurs
brachte, vorgenommen wurde. Dagegen wird heute unter dem
Begriff „Bioethik“ zunehmend die Anwendung philosophischer
Prinzipien auf die Medizinethik verstanden. Damit hat der Begriff trotz des Versuches, andere Traditionen (wie Fürsorgeethik,
Tugendethik und Feminismus) zu integrieren, lange Zeit unter
der Beherrschung durch die angelsächsische analytische Tradition gelitten. Die Bioethik hat entgegen ihrem ursprünglichen
Verständnis nie wirklich kritisch dualistisches Denken und
Anthropozentrismus in Frage gestellt. Außerdem hat dieses für
Twine begrenzte Verständnis von Bioethik zunehmend dazu
geführt, dass zusammenhängende Themen wie die Gesundheit
und der Umgang mit der Umwelt separat behandelt und von
daher in ihrem komplexen Zusammenwirken vernachlässigt
werden. Als Plädoyer für die Anerkennung dieser Komplexität
setzt sich Twine auch mit der Frage nach „Animal Enhancement“ auseinander und zeigt dabei, wie Deutungen dessen, was
„Verbesserung“ beinhaltet und was konkret an Tieren geforscht
wird, noch ausführlicher zu hinterfragen sind.
Der zweite Teil ist der Kapitalisierung von Tieren in der heutigen landwirtschaftlichen Produktion gewidmet. Anhand der
Analyse institutioneller Dokumente, der Webseiten von Unternehmen und selbst-geführter Interviews mit relevanten Akteuren der Tierindustrie gelingt es Twine, die Motivationen und
Argumente dieser Akteure herauszuarbeiten. Es wird gezeigt,
wie die Mensch-Tier-Beziehung nicht nur im Zusammenhang
mit sozialen Beziehungen steht, sondern auch, wie sie sich mit
den Mechanismen des Kapitalismus verflicht, insbesondere mit
der Vision von Biotechnologie als Mittel zur Gewährleistung
von Fortschritt und damit von Wachstum. Ausgangspunkt dieser neuen Deutung ist die heute dominierende Vorstellung von
wissensbasierter Ökonomie (knowledge-based economy). Diese
hat die Erwartungen gegenüber der Biotechnologie beeinflusst,
indem sie als Basis für eine neue Wachstumsepoche in der TierIndustrie diente.
Besonders wertvoll ist Twines Analyse der ökonomischen
Faktoren in der Entwicklung der DNA-Verifikation (Kommerzialisierung unterschiedlicher genetischer Tests zur Etablierung
des ökonomischen Wertes einer Tierrasse). Vor dem Hintergrund des beherrschenden Wachstums-Diskurses bilden sich
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Literaturbericht
spezifische neue Konstellationen der Zusammenarbeit zwischen
Unternehmen, wie bspw. zwischen der Firma Viagen, die in der
Tierzucht tätig ist, und der Firma MMI Genomics, die dagegen
eher auf dem Haustiermarkt ist. Damit verändern sich auch teilweise ursprüngliche Ziele. Technologische Mittel werden dann
auch für andere Verwendungen (wie bspw. für die Zucht und
Zertifizierung reinrassiger Haustiere) gezielt weiterentwickelt,
weil diese neue Profitmöglichkeiten eröffnen.
Im dritten Teil seines Buches setzt sich Twine mit der zunehmenden Wechselwirkung des Diskurses um Nachhaltigkeit,
Tier-Produktion und Konsum auseinander. Klimawandel als
ethisches und politisches Thema ist relativ neu und stellt derzeit die größte Bedrohung für die kapitalistischen Erwartungen
und Wachstumsnarrativen dar. Auch wenn die Umwelteffekte
der Tierproduktion schon früher thematisiert wurden, so sind
es insbesondere die neuen Veröffentlichungen über die Auswirkungen der Tier-Industrien auf Klimawandel und Umweltverschmutzung, mit denen sich die Wissenschaftler und Industrien
vehement für einen grünen Kapitalismus einsetzten. In diesem
gilt die Biotechnologie als Schlüssel für eine Lösung dieser Probleme. Die Idee der „livestock revolution“, also eine signifikan-
te Zunahme der Fleisch-Produktion und des Fleisch-Konsums
bis 2050, wird dazu verwendet, um einerseits eine Lösung für
politische Probleme wie die vor allem in den Entwicklungsländern zunehmende Bevölkerung anzubieten und andererseits, um
das Vertrauen in Biotechnologien als Symbole für Wachstum
und Fortschritt zu verstärken.
Im letzten Kapitel diskutiert Twine eine Alternative zu dieser
„livestock revolution“, indem er sich auf Kritik an der Idee des
ökonomischen Wachstums stützt und die Notwendigkeit betont,
das heutige Verständnis von Konsum zu verändern und sich von
der Logik einer „win-win“-Lösung zu verabschieden. Diese
andere „Revolution“ kann durch die Beschäftigung mit alternativen, sozial verträglichen Formen von Konsum wie bspw.
Vegetarismus und Veganismus profitieren, da der Verzicht auf
tierische Produkte eine neue Deutung der Mensch-Tier-Beziehung verkörpert.
Das Buch ist aufgrund seiner vielfältigen und gut dokumentierten Analyse sehr empfehlenswert für alle, die sich Gedanken
um die ethische, politische und umweltökonomische Vertretbarkeit der Tier-Industrie in unserem molekularbiologischen Zeitalter machen.
Arianna Ferrari
4 Theologische Ethik
4.1 Andrew Linzey: Why
Animal Suffering Matters
224 Seiten, Oxford: University Press,
2009, Euro 24,99
Die Frage, ob Tiere leidensfähig sind
oder nicht, ist keineswegs ein verstaubtes philosophisches Problem. Andrew
Linzey zeigt in seinem Buch Why Animal Suffering Matters, wie wichtig es
noch immer ist zu betonen, dass Tiere
leidensfähige Wesen sind und dass diese Leidensfähigkeit ins Zentrum unserer ethischen Überlegungen
zum Status der Tiere zu stellen ist. Linzey macht das aus einer
originellen Perspektive, die der „animal theology“, zu deren Entstehung er schon vor vielen Jahren wesentlich beigetragen hat
(siehe vor allem Animal Theology, SCM Press, London, 1994).
Das Leiden der Tiere – so lautet eine Hauptthese des Buches (z.B.
39) – sei aus theologischer Sicht relevant, da es eine Komponente
im Leiden aller unschuldigen tierischen und menschlichen Wesen
gibt, die dieses Leiden dem Leiden von Christus ähnlich macht.
Deshalb plädiert Linzey dafür, dass das Leiden der Tiere anerkannt wird und dass dieses Leiden so stark wie möglich vermindert werden soll. Diese zwei Forderungen sollen für Christen „auf
der Tagesordnung“ stehen. Mit anderen Worten: Christen sollen
nach Linzey anerkennen, dass „animal suffering matters“.
Das Buch richtet sich aber nicht nur an gläubige Christen,
wie Linzey mehrmals betont: Es wendet sich an erster Stelle an
Studenten vor dem Diplom, die die ersten Schritte im Bereich
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der Diskussion über die ethische Begründung des menschlichen
Verhaltens gegenüber Tieren gehen wollen. Die strikt theologischen Argumente, wie eben das Christus-ähnliche Leiden aller
unschuldigen Wesen, bleiben deswegen mehr oder wenig am
Rande der Untersuchung, die das Leiden der Tiere auch mithilfe philosophischer Argumente als moralisch relevant beweisen
möchte. Die von Linzey vorgeschlagene Argumentation soll alle Leser seines Buches überzeugen, dass das Leiden der Tiere
jedes Mal in Betracht gezogen werden muss, wenn der Mensch
Tätigkeiten ausübt, die den Tieren Schmerzen zufügen.
In der einleitenden Untersuchung (Kapitel 1) fasst Linzey die
Hauptargumente zusammen, die häufig verwendet werden, um
moralisch relevante Differenzen zwischen Menschen und Tieren
zu begründen, unter anderen die in der Geschichte der Philosophie immer wiederkehrenden Thesen, dass Tiere unvernünftige,
sprachlose Wesen seien, dass Tiere nicht frei handeln könnten
oder sogar dass Tiere keine (unsterbliche) Seele wie Menschen
hätten. Die Folge sei immer, dass das Leiden der Tiere nicht
mit dem Leiden der Menschen gleichzusetzen sei. Aber auch
wenn wir zugeben, dass Tiere in der Tat keine frei handelnden,
vernünftigen Wesen sind, die ihr Bestreben nicht sprachlich äußern können, dann – so Linzeys Schlussfolgerung – folgt daraus keineswegs die Erlaubnis für Menschen, mit den Tieren so
umzugehen, wie sie möchten. Wenn Tiere aus moralischer Sicht
unschuldig sind, dann wird die Verantwortung der Menschen
gegenüber Tieren größer und nicht kleiner. Eben wegen dieser
Unschuld, dieser Verletzbarkeit, behauptet Linzey, dass Tiere
und Kinder aus ethischer Sicht ähnlich zu betrachtende Fälle
seien: „These beings are more readily subject to us.“ (35)
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Literaturbericht
In den Kapiteln zwei bis fünf wählt Linzey als Beispiel drei
vom Menschen ausgeübte Tätigkeiten aus, die Tieren Leiden
verursachen. An praktischen Beispielen will er zeigen, warum
das Leiden der Tiere eine zentrale Rolle in der moralischen Beurteilung dieser Tätigkeiten spielen muss und warum und wie
menschliche Verantwortung gegenüber unschuldigen Tieren
aussehen soll. Es handelt sich dabei um 1) die Jagd mit Hunden, mit dem Schwerpunkt auf der Fuchsjagd (ein für englische
Leser aktuelles Thema), 2) die industrielle Pelzproduktion und
3) die Robbenjagd. In diesen drei Fällen wird den Tieren großes
Leiden zugefügt, und die moralische Relevanz dieses Leidens
ist Linzeys Ausgangspunkt. An dieser Stelle ist es interessant
zu bemerken, dass ein wichtiger, von der englischen Staatsregierung in Auftrag gegebener Bericht über Fuchsjagd (Report
of the Committee of Inquiry into Hunting with Dogs in England and Wales, chaired by Lord Burns, London, 2000. Siehe
z.B. 81), die Existenz jeglichen Leidens bei Tieren während der
Jagd anzuzweifeln scheint. Leiden Tiere wirklich? Und wenn
nicht, stellt dann die Fuchsjagd, genau wie die Pelzindustrie
und die Robbenjagd, noch ein moralisches Problem dar? Linzey
behauptet, dass es von zentraler Relevanz sei, die Existenz dieses Leidens anzuerkennen und die Fuchsjagd auf der Basis der
Wirklichkeit der Schmerzen, die sie verursacht, zu beurteilen.
Mit genauem Bezug auf medizinisches und juristisches Datenmaterial sowie unter Berufung auf wichtige Aspekte der
heutigen philosophischen und theologischen Debatte über den
Status von Tieren führt Andrew Linzey die Leser überzeugend
zu dem Schluss, dass die Regierungen die Fuchsjagd, die Pelzproduktion und die Robbenjagd verbieten sollen. Es ist wichtig,
betont Linzey, die Änderungen unserer ethischen Haltung gegenüber Tieren gesetzlich zu steuern „ (…) we need to reject
the institutionalisation of animal suffering.“ (157) Die Staatsregierungen haben also eine moralische Verpflichtung, das Leiden
der Tiere konsequent zu vermindern.
Die Schlussfolgerung von Andrew Linzey ist einleuchtend:
Die von ihm detailliert dargestellten Beispiele zeigen deutlich,
dass das Leiden der Tiere in den drei erwähnten Fällen zu ethischen Bedenken führt, die wir als Konsumenten, aber auch vor
allem unsere Regierungen unbedingt in Betracht ziehen sollten.
Im Folgenden möchte ich auf einige Aspekte von Linzeys
Argumentation hinweisen, die meines Erachtens erklärungsbedürftig sind. Das sei aber nicht im Sinne einer Kritik, sondern
als Anregung für die Entwicklung einer Debatte über diese Studie des britischen Theologen zu verstehen – eine Debatte, die
das Buch in der Tat anregen möchte (Kapitel 1).
Wie Linzey am Schluss in einer Reihe von Bemerkungen behauptet, könnte man ihm vorwerfen, dass er anhand von drei
relativ unverfänglichen Fällen argumentiert. Kann man dieselben Beweise verwenden, um zum Beispiel gegen die Schlachtindustrie tout court zu plädieren? Linzey schreibt: „These cases
constitute object lessons in how unseriously humans take their
responsibility to animals. That doesn’t mean, of course, that they
should be the limit of our concern for suffering animals; on the
contrary, all suffering inflicted on animals can and should be exposed to similar critiques.“ (156) In den Kapiteln zwei bis fünf
besteht Linzey aber auf der Tatsache, dass die Jagd, die Pelzindustrie und die Robbenjagd den Tieren unnötiges Leid zufüAltexethik 2010
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gen – unnötig, weil Menschen keine erheblichen Nachteile aus
dem Verzicht dieser Aktivitäten entstehen würden. Linzey meint
(Kapitel 5), dass es unmöglich sei, Robben zu töten, ohne ihnen
große Schmerzen zuzufügen. Der Leser fragt sich: Falls es möglich sein oder werden sollte, Robben schmerzfrei zu schlachten, bliebe die Schlussfolgerung noch gültig, die Robbenjagd
sei zu verbieten? Stellt das Leiden der Tiere grundsätzlich ein
moralisch relevantes Problem dar, oder nur im Fall von unnötig
verursachtem Leid? Ist es grundsätzlich moralisch verwerflich,
Unschuldige zu töten oder nicht (siehe dazu auch Linzeys Auseinandersetzung mit Peter Singer, 152 ff.)? Mit anderen Worten:
Ist es grundsätzlich ungerecht, Tieren Leiden zuzufügen, oder
nur in den Fällen, in denen das Leiden der Tiere im Rahmen der
Ausübung einer sogenannten „Sportart“, der Jagd, oder der Produktion von Luxusartikeln, wie zum Beispiel Pelzen, verursacht
wird? Diese, wie mir scheint, zentrale Frage bleibt im Hintergrund von Linzeys Argumentation, sie wird zwar am Ende des
Buches direkt gestellt, aber auch da nicht ausführlich behandelt.
Linzey deutet nur an, dass in allen Fällen ähnlich argumentiert
werden könnte, wenn Tieren Leiden zugefügt wird: Ob dieselben
Beweise verwendet werden können, ohne auf das Argument vom
„unnötigen Leid“ zu rekurrieren, ist nicht deutlich.
Als besonders irreführend erweist sich die Verwendung des
Ausdrucks „humane slaughter“ (z.B. 122 und 133): Zum einen,
weil nicht erklärt wird, wie „menschenwürdiges Schlachten“ zu
definieren ist, ob es einfach Schlachten ohne (große?) Schmerzen bedeutet. Zum anderen, weil dieser Ausdruck andeutet, dass
„humane slaughter“ ethisch erlaubt sein könnte. Wer andere
Werke von Andrew Linzey und insbesondere Animal Theology
gelesen hat, weiss, dass er nicht meint, dass man Tiere ethisch
sorglos weiterhin schlachten und nutzen dürfe, wenn man ihr
Leiden vermindern könnte. Eben darum macht Linzey im
letzten Kapitel von Why Animal Suffering Matters darauf aufmerksam, dass Autoren wie z. B. Ros Godlovitch nicht nur das
Leiden der Tiere, sondern auch den Wert ihres Lebens in den
Mittelpunkt ihrer Überlegung stellen (158). Wer allein auf das
Leiden abhebt, könnte das folgende unangenehme Problem bekommen: Falls das Leiden eliminiert oder deutlich vermindert
werden könnte, dann könnte die – schmerzfreie! – Ausbeutung
von Tieren nicht mehr gestoppt werden. Ausführlichere Erklärungen zu diesem Punkt würden die Argumentation von Linzey
deutlich stärken.
Das Leiden als zentrales Argument führt zu einer noch grundsätzlicheren Frage: Sind alle Tiere in gleichem Maße leidensfähig? Oder können einige Tierarten mehr leiden als andere?
Linzey versucht, auf diese Frage schon am Anfang des Buches
zu antworten, wo er eine m. E. höchstproblematische Definition
vom „Tier“ vorschlägt: „What is important is the recognition
(informed by scientific evidence) that mammals, at least, experience both pain and suffering. ‚Animal‘ refers to mammals and
birds where such suffering may be reasonably supposed. Whether suffering extends wider than the class of beings here envisaged is an important question, but its resolution in no way affects
my argument.“ (10, siehe auch 71) Diese Definition hängt mit
der Unterscheidung zwischen „suffering“ und „pain“ zusammen: Laut Linzey ist unter „suffering“ die mentale Dimension
der Schmerzempfindung (pain) zu verstehen. Ob und wo genau
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Literaturbericht
die Grenze zwischen rein körperlicher Schmerzempfindung und
der mentalen Ebene dieses Leidens gezogen werden kann, ist
ein schwerwiegendes Problem, das nicht in Betracht gezogen
wird. Deshalb werden die Gründe für diese drastische Einschränkung der Leidensfähigkeit von Tieren auf Säugetiere und
Vögel, deren Leiden für die im Buch darauf folgende Argumentation moralische Relevanz hat, nicht deutlich dargelegt. Fische,
Amphibien oder Reptilien sind zum Beispiel ohne weiteres aus
dieser Definition ausgeschlossen. Daher die Frage: Dürfen wir
diese Tiere, deren Leiden Linzey nicht auf die selbe Stufe wie
das Leiden von Säugetieren und Vögeln zu stellen scheint, ohne
ethische Bedenken weiterhin quälen, ausnützen, essen? Darüber hinaus, was meint Linzey, wenn er sagt, dass zumindest bei
Säugetieren das Leiden venünftigerweise angenommen werden
könne? Die Frage, ob und wie wir zwischen der Leidensfähigkeit der verschiedenen Tierarten unterscheiden können, wird in
Linzeys Buch nicht klar beantwortet. Nur bei Säugetieren und
Vögeln die Leidensfähigkeit im Sinne von „suffering“ anzuerkennen, ist keine einleuchtende Entscheidung oder würde zumindest einer detaillierten Erklärung bedürfen. In Why Animal
Suffering Matters wird sie nicht ausgeführt.
Die zentrale Bedeutung dieser Überlegungen spiegelt sich
auch in einem Thema wieder, das Andrew Linzey in diesem
Buch nicht direkt aufgreift, nämlich die ethische Verpflichtung
zu einer vegetarischen Diät. Der Autor deutet an, dass die Entscheidung, vegetarisch zu leben, eigentlich in diesem Kontext
4.2 Matthias Beck: MenschTier-Wesen. Zur ethischen
Problematik von Hybriden,
Chimären, Parthenoten
342 Seiten, Paderborn: Ferdinand
Schöningh, 2009, Euro 34,90
Die von dem katholischen Theologen
und studierten Mediziner vorgelegte
Monographie behandelt ein äußerst aktuelles und komplexes Thema: Die anthropologische und ethische Analyse von
sogenannten Mensch-Tier-Mischwesen in embryonalen Stadien.
Die Erzeugung von Chimären, Hybriden und anderen embryonalen Mischformen steht vor allem als alternativer Gewinnungsweg von embryonalen humanen Stammzellen in der Diskussion.
Es geht darum, entweder die als ethisch problematisch bewertete
Zerstörung von menschlichen Embryonen zu umgehen oder entwicklungsbiologisch neue Erkenntnisse zu erzielen.
Das Buch ist in einem Dreischritt aufgebaut: Im ersten Teil
werden die aktuellen naturwissenschaftlichen Grundlagen zu
den verschiedenen Mensch-Tier-Mischformen in ihren frühen
Entwicklungsstadien dargelegt. Dabei ist beeindruckend, dass
es inzwischen eine breite Palette unterschiedlicher Formen gibt:
Zum einen gibt es „klassische“ Klone nach der Dolly-Methode,
zum anderen werden neue Formen des „altered nuclear transfer“
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von zentraler Bedeutung sei („We need to move from an anthropocentric – indeed, gastrocentric – view of animals“, 56).
Der Leser könnte aber fragen, ob das moralische Verbot, Tiere
zu essen, nur für Säugetiere und Vögel gelten solle, während
zum Beispiel Fische als leidensunfähige (?) Wesen (z.B. 145)
weiterhin gegessen werden dürften.
Eine mögliche, vorläufige Lösung ist folgende: Linzey präsentiert seine Arbeit als einen ersten Baustein in einem größeren
Plan, der das Leiden der Tiere – aller Tiere? – vermindern soll.
In dieser Hinsicht ist Linzeys Argumentation für das Verbot von
Fuchsjagd, Pelzproduktion und Robbenjagd nur der erste Schritt,
um dieses Ziel zu erreichen. Aus Linzeys Perspektive scheint
zwangsläufig zu folgen, dass ethische Bedenken auf das Leiden
aller leidensfähigen Wesen zu erweitern sind, wobei die Kriterien
für die Anerkennung der Leidensfähigkeit, oder des Grades von
Leidensfähigkeit, präziser entwickelt werden müssten.
Das Motto des Oxford Centre for Animal Ethics, das Andrew
Linzey an der University of Oxford als Direktor leitet, ist das folgende: „Putting animals on the intellectual agenda.“ Mit seinem
Buch über die ethische Relevanz der Leidensfähigkeit der Tiere
hat Linzey einen beachtenswerten Beitrag geleistet, um die Diskussion über die Ausbeutung der Tiere auf die Tagesordnung zu
setzen. „It is an attempt to meet people where they are – and take
them further“, schreibt der Autor am Schluss. Zu wünschen ist,
dass diesem wichtigen, ersten Schritt viele andere folgen.
Cecilia Muratori
diskutiert, bei denen die entstandenen Klone in der folgenden
Entwicklung genetisch so stark eingeschränkt wären, dass sie
sich nicht zu einem eigenständigen Lebewesen entwickeln könnten. Des Weiteren gibt es Hybride, welche von der Zeugung an
aus verschiedenen Spezies-Genomen entstammen, sowie Chimären, welche Wesen mit Zellen oder Organen verschiedener
Spezies sind. Schließlich stehen noch Parthenoten bzw. Mole
zur Diskussion, die ebenfalls in der Forschung erzeugt werden
sollen. Dabei handelt es sich um Wesen, die ausschließlich aus
weiblichen oder männlichen Keimzellen entstammen. Weiterhin
wird noch eine Methode diskutiert, bei der Ei- und Samenzellen
direkt aus embryonalen Stammzellen gewonnen werden.
Im zweiten Teil legt der Autor seine naturphilosophischen und
theologischen Prämissen dar, die sich an drei Leitautoren orientieren: Aristoteles, Thomas von Aquin und Martin Heidegger.
Die vorrangige Frage in der kombinierten Vorstellung der drei
Autoren ist, inwiefern das Verständnis von Leben/Lebendigkeit
ethische Orientierung bieten kann. Im letzten Teil versucht der
Autor dann, die vorangegangenen theoretischen Überlegungen
auf die Bewertung der verschiedenen konkreten Wesensformen
anzuwenden.
Es ist dabei wichtig anzumerken, dass sich die vorgelegte
Bearbeitung auf zwei Aspekte konzentriert. Zum einen geht
es ausschließlich um eine moraltheologische (eher katholisch,
anthropozentrisch orientierte) Bewertung, ob es legitim ist, solche Wesen zu erzeugen. Diese Analyse klammert die säkulare
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Literaturbericht
Ethik-Diskussion weitgehend aus. Zum anderen geht es um die
anthropologische (gemäß dem Verständnis des Autors: ontologische) Einordnung derartiger Mischwesen im frühen Entwicklungsstadium, die m.E. sogar vorrangig zu betrachten ist.
Als Grundaxiom entwickelt Beck das von Heideggers Naturphilosophie entlehnte Prinzip der Bewegtheit des Lebendigen.
Das Lebendige sei neu zu definieren – gerade unter Rücksicht
auf neuere Erkenntnisse der Epigenetik und neuronaler Netzwerke – als „ein sich in Bewegung befindender dialogischer
Prozess des ständigen Abgleichs, Ausgleichs und Angleichs
der verschiedenen Faktoren untereinander“ (303). Der Autor
veranschaulicht diese Problematik mit dem durchaus gerechtfertigten Verweis auf die vorherrschende semantische Verunsicherungen – wie soll man diese Wesen eigentlich benennen?
Daher wirft er immer wieder zahlreiche komplexe Fragen auf,
ob und wie man die unterschiedlichen Mischwesen nun gemäß den Kriterien der Form, Materie, der Gerichtetheit und
inneren Geordnetheit den menschlichen Embryonen zuordnen
müsse. Wenn dies zutrifft, wie im Fall der Dolly-Klone, der
Embryonen aus künstlichen Keimzellen, der Chimären und der
schwergeschädigten, aber trotzdem eine gewisse Zeit lebensund weiterentwicklungsfähigen Embryonen, so argumentiert er
im Sinne eines absoluten Lebensschutzes, dass sich ihre Herstellung moralisch verbiete.
Dem Autor dabei immer in seiner Argumentation zu folgen,
ist kein leichtes Unterfangen, was u.a. daran liegen mag, dass
sprachlich und argumentativ sehr hermetisch vorgegangen
wird. Auch die des Öfteren auftretenden Redundanzen zwischen und innerhalb der Kapitel tragen nicht immer zur besseren Verständlichkeit bei. Es bleibt leider offen, inwiefern sich
die vorgelegte Argumentation aus naturphilosophischer und
moraltheologischer Sicht systematisch und inhaltlich von den
SKIP-Argumenten zum moralischen Status des Embryos in der
sekulär-philosophischen Debatte unterscheidet. SKIP steht für
die Zusammenfassung der Hauptargumente, welche für einen
ethisch begründeten Schutz menschlicher Embryonen plädieren. Dabei bedeuten: S = Spezieszugehörigkeit, K = Kontinuität
in der Entwicklung, I = Identität zwischen Embryo und Person
und P = Potentialität zur Entwicklung in eine Person. In dieser
bereits seit längerem laufenden Debatte um die Einschlägigkeit
und Plausibilität dieser Argumente ging und geht es auch immer um anthropologische Aspekte. Denn obwohl der Autor die
Einschlägigkeit der SKIP-Argumente mehrfach für seine Problemstellung zurückweist, so ist doch auffällig, wie häufig er an
entscheidenden Stellen mit dem „Potential“-Argument operiert.
Hier könnte ein systematischer Vergleich zur säkularen Debatte
weiterhelfen.
Silke Schicktanz
5 Rechtsfragen und Rechtsentwicklung
5.1 Kristin Köpernik:
Die Rechtsprechung zum
Tierschutzrecht: 1972 bis 2008
262 Seiten, Frankfurt am Main:
Verlag Peter Lang, 2010, Euro 54,80
Ausgangspunkt der von der Freien
Universität Berlin abgenommenen
rechtswissenschaftlichen Dissertation von Kristin Köpernik ist die 2002
eingeführte Staatszielbestimmung in
Artikel 20a des deutschen Grundgesetzes (GG). Die Norm verpflichtet den Staat, die natürlichen Lebensgrundlagen und die
Tiere im Rahmen der verfassungsmässigen Ordnung durch Gesetzgebung und Rechtsprechung zu schützen. Ziel der Autorin
ist es einerseits, anhand höchstrichterlicher Jurisdiktion aufzuzeigen, inwieweit in den tierschutzrelevanten Entscheidungen
seit Inkrafttreten des deutschen Tierschutzgesetzes (TierSchG)
1972 bis 2002 bereits Argumente für oder gegen eine Erhebung des Tierschutzes in den Rang eines verfassungsrechtlich
geschützten Guts vorhanden waren. Anderseits soll analysiert
werden, inwiefern sich die 2002 erfolgte GG-Änderung auf die
Rechtsprechung ausgewirkt hat.
Im ersten Kapitel erläutert Köpernik die für die zu behandelnden Fragen zentralen Begriffe Tierschutz und Staatsziel,
um darauf aufbauend den tatsächlichen Inhalt und Umfang des
Staatsziels Tierschutz im Sinne von Art. 20a GG darzulegen.
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Die Bestimmung ist umfassend zu verstehen, weil der verfassungsmässige Schutz sämtliche Tierarten umspannt und nicht
nur den Staat selbst, sondern sämtliche Institutionen des öffentlichen Rechts bindet. Auch genügt es nicht, dass der Gesetzgeber es vermeidet, gegen die Prinzipien des Tierschutzes
(wonach Tiere vor Leiden und Schmerzen bewahrt werden sollen) zu verstossen. Vielmehr obliegt ihm die Pflicht zum Erlass
positiver Massnahmen zum Schutz der Tiere.
In einem weiteren Schritt zeigt die Autorin auf, wie die drei
Staatsgewalten sich gegenseitig beeinflussen, wobei sie besonderes Augenmerk auf das Verhältnis der Judikative zur Legislative
legt. Dabei wird deutlich, dass die Gerichte in engen Grenzen
auch gesetzgeberisch tätig sind, etwa durch die Schliessung von
Gesetzeslücken, und bis zu einem gewissen Grad als „informeller
Gesetzgeber“ auch Einfluss auf die Legislative nehmen können.
Den Hauptpunkt der Arbeit bildet die gründliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung zum Tierschutzgesetz seit dessen Inkrafttreten (1972). Dabei geht die Autorin – geordnet nach
Themen wie etwa Tierhaltung, Tötung von Tieren oder Tierversuche – zunächst auf die diversen tierschutzrechtlichen Entscheidungen des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts bis zur Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz
(2002) ein. Die Urteile werden dabei insbesondere im Hinblick
auf Anhaltspunkte analysiert, die für die Frage relevant sind, ob
dem Tierschutz Verfassungsrang zuzuerkennen sei. Anschliessend widmet sich Köpernik den seit 2002 ergangenen Entscheidungen sämtlicher deutscher Gerichte zu den jeweiligen Themen
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Literaturbericht
und untersucht, wie die verfassungsrechtliche Verankerung des
Tierschutzes die Rechtsprechung beeinflusst hat.
Die Autorin gelangt zum Schluss, dass die Gerichte dem Tierschutz bereits vor 2002 einen sehr hohen Stellenwert zuwiesen.
In vielen Entscheidungen wurde er indirekt bereits wie ein Verfassungsgut berücksichtigt, wobei namentlich im Bereich Tierversuche ein Grossteil der rechtlichen Ausführungen ihrer Meinung nach verfassungsdogmatisch nicht haltbar war. So etwa
bedeutete die in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
aus dem Jahre 1978 festgelegte Beschränkung von Tierversuchen auf ein unumgängliches Mass einen Eingriff in die Forschungsfreiheit, der eigentlich nur unter Berufung auf andere
Verfassungsgüter hätte erfolgen dürfen.
Zudem stellt Köpernik fest, dass einzelne Themenkomplexe
seit der Aufnahme des Tierschutzes in das GG von den Gerichten uneinheitlich behandelt werden. Auffallend ist dies vor allem im Bereich des Schächtens aus religiösen Gründen, für das
gemäss § 4 Abs. 2 Nr. 2 TierSchG eine Ausnahmegenehmigung
erforderlich ist. So halten gewisse Gerichte an der Auslegung
des Bundesverfassungsgerichts in einem Urteil von 2002 fest,
das aber noch vor der Erhebung des Tierschutzes zum Staatsziel
erging. Dieses besagt, der Antragssteller müsse lediglich substantiiert und nachvollziehbar das Vorliegen zwingender religiöser Vorschriften darlegen, wonach ausschliesslich der Verzehr
von Fleisch betäubungslos geschlachteter Tiere erlaubt sei. Dies
wird mitunter damit begründet, dass dem Tierschutz in besag-
5.2 Eveline Schneider
Kayasseh: Haftung bei
Verletzung oder Tötung eines
Tieres – unter besonderer
Berücksichtigung des
schweizerischen und U.S.amerikanischen Rechts
287 Seiten, Zürich, Basel, Genf:
Schulthess Juristische Medien AG,
2009, Euro 45,00
Ausgangspunkt der von der Universität
Zürich abgenommenen Dissertation von Eveline Schneider Kayasseh ist die Frage nach der haftpflichtrechtlichen Ersatzleistung bei einer Verletzung oder Tötung von Tieren, insbesondere
von Heimtieren. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt dabei auf der
schweizerischen und US-amerikanischen Rechtslage, wobei regelmässig auch die Lehre und Rechtsprechung anderer Staaten,
in erster Linie Deutschlands und Österreichs, vergleichend beleuchtet werden.
Einleitend vermittelt die Autorin einen bis in die Frühantike
zurückreichenden rechtshistorischen Überblick über die Entwicklung der Mensch-Tier-Beziehung und die Ersatzpflicht bei
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tem Urteil bereits ein so hoher Stellenwert eingeräumt worden
wäre, dass eine weitergehende Wirkung von Art. 20a GG nicht
ersichtlich sei. Von anderen Gerichten hingegen wird der Nachweis über das Vorliegen zwingender Vorschriften gefordert oder
dieses sogar objektiviert überprüft.
Um das zum Teil stark divergierende staatliche Handeln zu
vereinheitlichen, schlägt die Autorin verschiedene Modifikationen des Tierschutzgesetzes vor. Sie fordert etwa, dass der
Gesetzgeber für jede Tierart spezielle Haltungsvorschriften
aufstellt oder dass die Voraussetzungen für das Erteilen einer
Genehmigung zum betäubungslosen Schlachten klarer formuliert werden. Zudem sind ihrer Ansicht nach einige Normen
des Tierschutzgesetzes aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit der
Staatzielbestimmung anzupassen. So seien beispielsweise die
Haltung gewisser Wildtiere in Zirkussen oder die Hetzjagd
nicht ohne weiteres mit Art. 20a GG vereinbar.
Abschliessend sind alle tierschutzrechtlichen Entscheidungen
von 1972 bis 2008 tabellarisch aufgelistet und nach Gesetzesartikel geordnet, sodass sich der Leser schnell einen guten Überblick über die diversen Urteile verschaffen kann. Insgesamt
liegt eine hoch interessante und gut recherchierte Arbeit vor, die
durch unzählige Quellenangaben ausgezeichnet dokumentiert
ist. Für die Probleme im Zusammenhang mit dem noch relativ neuen Staatsziel bietet die Autorin praktikable Lösungsvorschläge, um dem hohen Stellenwert, der dem Tierschutz durch
Art. 20a GG eingeräumt wurde, gerecht zu werden.
Gieri Bolliger
widerrechtlichen Schädigungen von Tieren durch Dritte. Aufgezeigt wird dabei, dass schon früheste Kulturen Tieren eine
herausragende Bedeutung beigemessen haben. So etwa geht
aus den Überlieferungen Herodots hervor, dass das Töten einer
Katze im alten Ägypten für den Täter die Todesstrafe zur Folge
hatte.
Im Anschluss widmet sich Schneider Kayasseh dem geltenden
Recht und der Frage nach dem juristischen Status von Tieren.
Nach eidgenössischem Recht sind diese seit 2003 keine Sachen
mehr (wie dies in Deutschland und Österreich schon länger der
Fall ist). Die hierfür grundlegende Bestimmung von Art. 641a
des Zivilgesetzbuchs (ZGB) hat jedoch in erster Linie deklaratorischen Charakter; Tiere stellen also auch in der Schweiz
noch immer Rechtsobjekte und keine Rechtssubjekte dar. Auch
gelten nach wie vor weitgehend die auf Sachen anwendbaren
Regelungen. Anders als in der schweizerischen Gesetzgebung
sind Tiere in den USA rechtlich noch immer den Sachen gleichgestellt, was dort allerdings zunehmend auf Kritik stösst.
Der Hauptteil der Arbeit befasst sich mit den zivilrechtlichen
Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen bei der Verletzung
oder Tötung von Tieren. Hier manifestieren sich einige bedeutende Unterschiede zwischen der Schweiz und den USA. Besonderes Augenmerk gilt einerseits dem 2003 in der Schweiz
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Literaturbericht
in Kraft getretenen Art. 42 Abs. 3 des Obligationenrechts (OR),
wonach einem geschädigten Tierhalter die angemessenen Heilungskosten für ein verletztes Tier auch dann zu ersetzen sind,
wenn sie den materiellen Tierwert übersteigen. Die Autorin geht
insbesondere auch darauf ein, was in diesem Zusammenhang
als „angemessen“ zu betrachten ist. Die Regelung kommt jedoch nur bei ausschliesslich aus emotionalen – nicht aber aus
finanziellen – Gründen gehaltenen Tieren zur Anwendung. In
den USA hingegen ist es nicht üblich, dass über den Marktwert
des Tieres hinausgehende Heilungskosten ersetzt werden.
Anderseits kann der Halter eines verletzten oder getöteten
Tieres in der Schweiz seit 2003 auch den emotionalen Wert der
Mensch-Tier-Beziehung (sogenannter Affektionswert; Art. 43
Abs. 1bis OR) geltend machen. Dieser „Liebhaberwert“ ergibt
sich aus der individuellen Gefühlsbeziehung des Eigentümers
zum Tier und wird somit nach einem subjektiven Massstab
ermittelt. Die Autorin zeigt auf, welche Faktoren für die Bemessung einbezogen werden müssen, wobei der Ersatz des Affektionswerts ihrer Meinung nach vor allem von der Intensität
und Dauer der Beziehung zwischen dem Halter und seinem Tier
abhängen und zwischen 500 und 8000 Franken betragen sollte.
Bei der gründlichen Untersuchung der Bestimmung zeigt
die Autorin die Problematik der unterschiedlichen Auffassungen zur Auslegung des Begriffs auf, stellt aber auch klar, dass
der Gesetzgeber durch die Einführung von Art. 43 Abs. 1bis
OR nicht die Mensch-Tier-Beziehung in die Nähe der Beziehung zwischen Menschen zu stellen, sondern vielmehr von der
Beziehung zur Sache abzugrenzen beabsichtigte. Der bei der
Einführung der Norm geäusserten Befürchtung, in der Schweiz
könnten bald „amerikanische Verhältnisse“ herrschen und den
geschädigten Tierhaltern unverhältnismässig hohe Summen
zugesprochen werden, begegnet Schneider Kayasseh mit dem
Einwand, dass in den USA selbst gar keine „amerikanischen
Verhältnisse“ bestünden. Anders als in der Schweiz stellt die
Berücksichtigung des emotionalen Werts der Mensch-Tier-Beziehung bei der Schadenersatzbemessung in den USA nämlich
einen Ausnahmefall dar. Zwar sprechen Lehre und Praxis dem
sogenannten „loss of companionship“, der zumindest in einzelnen Bundesstaaten bei der Tötung oder schweren Verletzung
eines Angehörigen ein Element des Schadenersatzes bildet,
das Potential eines selbstständigen Klagegrunds auch bei der
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Tötung oder Verletzung von Tieren zu. Allerdings wurden entsprechende Klagen bisher meist abgewiesen. Werden Tierhaltern hohe Entschädigungen zugesprochen, ist dies in der Regel
auf sogenannte „punitive damages“ zurückzuführen, also auf
Strafschadenersatz, zu dessen Zahlung der Schadenverursacher
im Falle seines besonders verwerflichen Verhaltens verpflichtet werden kann. In der Schweiz sind „punitive damages“ aufgrund ihres pönalen Charakters aber nicht mit den Grundsätzen
der Schadens- und Ersatzbemessung vereinbar und daher ein
Verstoss gegen die ordre public.
Insgesamt betrachtet Schneider Kajasseh die neue Regelung
von Art. 43 Abs. 1bis OR kritisch. Ihrer Ansicht nach hätte es
zu mehr Klarheit geführt, den Affektionswert als separaten
Schadensposten in Art. 42 OR aufzuführen, um diesen besser
von der Genugtuung nach Art. 49 OR abzugrenzen. In einem
weiteren Kapitel analysiert sie die Frage der vertraglichen Haftung am Beispiel des Tierarztes, wobei sie insbesondere auf in
der Praxis bedeutsame Aspekte wie das Mass der anwendbaren Sorgfalt, die Aufklärungs- und die Dokumentationspflicht
eingeht. Die tierärztliche Haftung in den USA beleuchtet die
Autorin anhand des am häufigsten aufgerufenen Klagegrunds
der „veterinary malpractice“.
Bei einer abschliessenden Gegenüberstellung kommt die Autorin zum Resultat, dass sich die schweizerische Gesetzgebung
gegenüber der amerikanischen als progressiver erweist. Als
Gründe dafür nennt sie in erster Linie die Lösung der Tiere vom
Sachstatus sowie die erwähnten Bestimmungen, wonach die
Heilungskosten des Tieres auch über dessen Marktwert hinaus
ersetzt werden und der geschädigte Tiereigentümer den Affektionswert geltend machen kann. Dies unterstreiche den hohen
Wert der Mensch-Tier-Beziehung und helfe dabei, die Gesellschaft hierfür zu sensibilisieren.
Insgesamt liegt eine gut recherchierte und insbesondere auch
aufgrund ihres rechtsvergleichenden Ansatzes sehr wertvolle
Abhandlung vor, die dem Leser einen breiten Überblick über
die rechtliche Lage bezüglich der Haftung für verletzte oder
getötete Tiere in den behandelten Staaten vermittelt. Schneider
Kayasseh bringt die neuen Haftungsnormen gut verständlich
näher und liefert vor allem auch dem Praktiker wertvolle Lösungsansätze.
Gieri Bolliger
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Literaturbericht
5.3 Maria Biedermann:
Überwachung und Kontrolle
genehmigungspflichtiger
Tierversuche vergleichend
in Deutschland und
Großbritannien
217 Seiten, Berlin: Mensch und Buch
Verlag, 2009, Euro 38,00
Die Tierärztin Maria Biedermann
untersucht und vergleicht im ihrem
Dissertationsprojekt, wie die betriebsinterne und die behördliche Überwachung und Kontrolle genehmigungspflichtiger Tierversuchsvorhaben (regulated
procedures) in Deutschland und in Großbritannien von statten
gehen. Ziel der Doktorarbeit ist es, die Effizienz des 1986 mit
der Einführung des Tierschutzbeauftragten grundlegend veränderten Überwachungssystems vor dem Hintergrund der erneut
anstehenden Novellierung des Tierschutzrechts zu überprüfen.
Das Überwachungssystem soll mit dem in Großbritannien verglichen werden, da Großbritannien in Tierschutzbelangen als
vorbildlich gilt.
Da beide Länder der Europäischen Union angehören, sind die
Europa-rechtlichen Grundlagen dieselben: Richtlinie 86/609/
EWG des Rates vom 24. November 1986 zur Annäherung der
Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten zum
Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke
verwendeten Tiere und das Europäische Übereinkommen zum
Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke
verwendeten Wirbeltiere vom 18. März 1986 (ETS 123). Die
Umsetzung erfolgt dagegen unterschiedlich.
In Deutschland ist die Überwachung der Tierversuchsdurchführung und der Versuchstierhaltungen der nach dem jeweiligen Landesrecht zuständigen Behörde unterstellt (§ 15 Abs.
1 Tierschutzgesetz). In vier Bundesländern (Berlin, Hamburg,
Saarland und Sachsen) obliegt die Überwachung der Genehmigungsbehörde, in den anderen Bundesländern ist das nachgeordnete Veterinäramt für die Überwachung zuständig. Die
betriebsinterne Überwachung erfolgt in Deutschland durch
Tierschutzbeauftragte, die jede Einrichtung, die Tierversuche
durchführen will, bestellen muss (vgl. § 8 b Tierschutzgesetz). Der Tierschutzbeauftragte muss unter anderem für die
Einhaltung von Vorschriften, Bedingungen und Auflagen im
Interesse des Tierschutzes sorgen. Tierversuche wurden in
Großbritannien aus dem Animal Welfare Act 2006 ausgeklammert. Die Anforderungen der Richtlinie 86/609/EWG wurden
mit dem Animals (Scientific Procedures) Act 1986 umgesetzt.
Die Genehmigung und Überwachung von Tierversuchen ist in
Großbritannien zentral geregelt: Zuständige Behörde ist das
Home Office (Innenministerium). Die hier ansässige Science
and Research Group besteht aus der Animal Scientific Procedures Division, bei der die Anträge auf Genehmigung eingehen
und geprüft werden, und dem Animal (Scientific Procedures)
Inspectorate, welches die Tierversuchsabteilung bezüglich
der Tierversuchsanträge berät und für die Überwachung vor
Ort zuständig ist. Die betriebsinterne Kontrolle erfolgt in GB
durch Ethical Review Processes. Ethical Review Processes
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werden von mehreren Personen durchgeführt, die überwiegend
der Einrichtung angehören. Sie sollen zu einer verbesserten
Kommunikation und Kooperation zwischen allen Ebenen der
Einrichtung führen. Außerdem sollen sie retrospektive Projektbeurteilungen vornehmen. Eine verpflichtende innerbetriebliche Kontrolle, wie sie in Deutschland nach § 8 b TierSchG
vorgeschrieben ist, existiert jedoch im britischen Animals (Scientific Procedures) Act 1986 nicht.
Neben der Auswertung der Literatur der letzten 20 Jahre hat
Biedermann Daten mittels Fragebögen erhoben. Fragebögen
wurden sowohl an die überwachenden Behörden als auch an
die Personen, die für die betriebsinterne Kontrolle zuständig
sind, verschickt. Die Beteiligung an der Fragenbogenaktion war
unterschiedlich hoch. So füllten knapp die Hälfte der überwachenden deutschen Behörden (47%) den Fragebogen aus. Die
Beteiligung der deutschen Tierschutzbeauftragten war mit 22%
gering. Dies lag vermutlich daran, dass sich die Gesellschaft für
Versuchstierkunde (GV-SOLAS) ihren Mitgliedern gegenüber
gegen eine Teilnahme ausgesprochen hatte. Weshalb sie dies
tat, kann nicht nachvollzogen werden. Die Fragebögen an das
Home Office wurden komplett beantwortet zurückgesendet. Der
Rücklauf der Fragebögen an die Ethical Review Processes war
mit ca. 6 % sehr gering. Die britische Laboratory Animal Science Association (LASA) entschuldigte sich für die schwache
Teilnahme. Diese könnte daran gelegen haben, dass es zu der
Zeit der Umfrage zahlreiche andere Untersuchungen gegeben
habe, die zu einer Überlastung geführt haben könnten.
Die Auswertung der Fragebögen ergab, dass behördliche
Überwachungsbesuche in beiden Ländern möglichst häufig
durchgeführt werden und das wichtigste Kontrollmittel darstellen. Überwachungsbesuche und andere Überwachungsmaßnahmen sind jedoch in Deutschland aufgrund der unzureichenden
Personalausstattung stark limitiert. Es findet durchschnittlich
einmal jährlich ein Besuch in jeder deutschen Einrichtung
statt, in Großbritannien hingegen im Durchschnitt 11 Besuche
pro Jahr. In Großbritannien findet ca. die Hälfte aller Überwachungsbesuche unangemeldet statt. In Deutschland hingegen
sind unangekündigte Begehungen eine Seltenheit. Nur nicht angekündigte Besuche ermöglichen einen authentischen Einblick
in den Alltag der Einrichtung. Das britische Überwachungspersonal ist entsprechend qualifiziert. In den Bundesländern
in Deutschland, in denen die Überwachung einer anderen Behörde obliegt als die Genehmigung, kann die Qualifikation des
Überwachungspersonals jedoch Anlass zur Diskussion geben.
Die Veterinärämter, die in allen Bundesländern außer in Berlin,
Hamburg, Saarland und Sachsen für die Überwachung der Tierversuche zuständig sind, haben oft weder Zeit für die Überwachung von Tierversuchen noch verfügen sie über ausreichendes
Wissen, da sie sich im Gegensatz zur genehmigenden Behörde
nicht eingehend mit dem Thema beschäftigen können. Die teils
geteilten Zuständigkeiten für Genehmigung und Überwachung
und der uneinheitliche Vollzug auf Bundesebene in Deutschland
werden zu Recht kritisiert.
Die Mängel und Verstöße waren im Untersuchungszeitraum
– den Jahren 2001 bis 2005 – in beiden Ländern mannigfaltig
und reichten von leicht bis schwerwiegend. Biedermanns Untersuchung ergab, dass mehrfach nicht genehmigte oder vom
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Literaturbericht
genehmigten Protokoll abweichende Tierversuche durchgeführt wurden. Außerdem führten solche Personen Eingriffe und
Behandlungen durch, die hierzu keine Berechtigung hatten,
etc. In beiden Staaten überwiegen bislang milde Konsequenzen wie Belehrungen und Verwarnungen. Geldbußen oder gar
Haftstrafen sind zwar per Gesetz in beiden Staaten möglich,
werden aber nur selten verhängt. Die innerbetriebliche Überwachung von Tierexperimenten wird von den Befragten als
sehr wichtig erachtet, jedoch erfolgt sie in beiden Staaten nur
bei einem geringen Teil der Versuche. In Deutschland spielt
die hohe Arbeitsbelastung der Tierschutzbeauftragten wohl die
entscheidende Rolle.
Die in GB geforderte retrospektive Projektbeurteilung durch
die britischen Ethical Review Processes kann einen wichtigen
Beitrag zum Tierschutz leisten und findet dementsprechend
relativ häufig statt. In Deutschland findet diese hingegen nur
selten statt. Anmerkung der Rezensentin: Die genehmigende
Behörde hat jedoch die Möglichkeit, eine retrospektive Projektbeurteilung vom Projektleiter zu fordern, indem sie das
Verfassen eines Abschlussberichtes als Auflage im Genehmigungsbescheid aufnimmt.
Sowohl die Tierschutzbeauftragten als auch die Mitglieder des
Ethical Review Process sind auf die Unterstützung ihrer Einrichtung angewiesen. Obwohl sich die Befragten beider Länder
vorwiegend zufrieden über den Zugang zu den Versuchsleitern,
den durchführenden Personen und den jeweiligen Einrichtungsleitern äußerten und sie bei der Äußerung von Kritik meist nicht
mit negativen Folgen rechnen müssten, findet das deutsche Benachteiligungsverbot anscheinend nicht immer Anwendung.
Verbesserungsvorschläge werden in Großbritannien nicht immer
ernst genommen und umgesetzt. Die Einbeziehung der Behörde
bei groben oder andauernden Verstößen, scheint von den befragten Tierschutzbeauftragten oft als Verletzung des Dienstweges
betrachtet zu werden. Somit lässt sich für die betriebsinterne
Überwachung und Kontrolle feststellen, dass sie in Deutschland
je nach Einrichtung und je nach Tierschutzbeauftragtem sehr
unterschiedlich gehandhabt wird, während sie in Großbritannien
aufgrund der unzureichenden gesetzlichen Regelung als nur mäßig effektiv gewertet werden kann. Deutlich wird jedoch, dass
persönliches Engagement der überwachenden Personen einen
entscheidenden Unterschied macht.
Maria Biedermann kommt zu dem Schluss, dass für Deutschland insbesondere hinsichtlich der fachlichen Kompetenz die
bundeseinheitliche Zuständigkeit der Genehmigungsbehörden
Literatur
Ach, Johann S. und Stephany, Martina (Hrsg.) (2009). Die
Frage nach dem Tier. Interdisziplinäre Perspektiven auf das
Mensch-Tier-Verhältnis. Münster: LIT Verlag. 108 Seiten.
ISBN-13: 978-3643104434, € 19,90
Beck, Matthias (2009). Mensch-Tier-Wesen. Zur ethischen
Problematik von Hybriden, Chimären, Parthenoten. Paderborn: Ferdinand Schöningh. 342 Seiten. ISBN-13: 9783506766670, € 34,90
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auch für die Überwachung der von ihnen genehmigten Versuchsvorhaben empfehlenswert wäre. Außerdem sollten deutsche Einrichtungen wesentlich häufiger kontrolliert werden, wobei mindestens die Hälfte der Kontrollbesuche unangekündigt erfolgen
sollte. Entsprechend qualifiziertes Personal in ausreichender
Anzahl ist somit unerlässlich. Während der Begehungen sollten
die Behördenvertreter beider Staaten häufiger die Durchführung
von Versuchen überwachen, um sich ein Bild über die Qualifikation und praktischen Fähigkeiten der Durchführenden machen
zu können. Wiederholte und/oder schwere Verstöße müssten
deutlich schärfer geahndet werden. Die rechtlichen Mittel hierfür sind vorhanden, und es gilt sie auszuschöpfen.
Um die betriebsinterne Kontrolle durch die Tierschutzbeauftragten zu verbessern, muss ihre Weisungsfreiheit gewährleistet sein. Außerdem müssen sie von ihrer Einrichtung
vollumfänglich unterstützt werden. Persönliches Engagement
und regelmäßige Anwesenheit in den Laboren sind essentielle Voraussetzung. Um in Großbritannien eine effektive betriebsinterne Kontrolle sicherzustellen, müsste diese gesetzlich verankert werden.
Die Überwachung und Kontrolle von genehmigungspflichtigen Tierversuchen ist sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien verbesserungswürdig. Die föderal strukturierte behördliche Überwachung in Deutschland scheint weniger effizient
als die zentral organisierte Überwachung durch das britische
Home Office. Die in Deutschland gesetzlich vorgeschriebenen
Tierschutzbeauftragten scheinen trotz Verbesserungspotentials
einen effektiveren Beitrag zur betriebsinternen Überwachung
zu leisten als die Ethical Review Processes in der UK.
Maria Biedermann sei Dank für diese Arbeit, die die Vielzahl der Mängel und Verstöße im Bereich Tierversuche und
die Defizite in deren Überwachung aufzeigt und sehr deutlich
macht, dass weder die betriebsinterne noch die behördliche
Kontrolle von Tierversuchsvorhaben in Deutschland derzeit
ausreichend sind. Nun bleibt zu hoffen, dass das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz
(BMELV) im Rahmen der Umsetzung der am 08. September
2010 vom Europäischen Parlament verabschiedeten neuen EU
Tierversuchsrichtlinie (ersetzt Richtlinie 86/609/EWG) in nationales Recht und der damit verbundenen Überarbeitung des
Tierschutzgesetzes die Empfehlungen aus dieser Arbeit aufgreift und gesetzlich verankert. Nur so können Versuchstiere
besser geschützt werden!
Kathrin Herrmann
Bekoff, Marc (Hrsg.) (2010). Tugend und Leidenschaft im Tierreich. Gedanken zu einer neuen Sicht der Natur. Ausgewählte
Essays. Bernau: Animal Learn. 400 Seiten. ISBN-13: 9783936188394, € 24,00
Biedermann, Maria (2009). Überwachung und Kontrolle genehmigungspflichtiger Tierversuche vergleichend in Deutschland
und Großbritannien. Berlin: Mensch und Buch Verlag. 217
Seiten. ISBN-13: 978-3866645578, € 38,00
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Literaturbericht
Bleibohm, Gunter und Hoos, Harald (2009). Totentanz der
Tiere ‑ Schonungslose Bemerkungen zu Tierelend, Jagd und
Kirche. Saarbrücken: Geistkirch. 174 Seiten. ISBN-13: 9783938889817, € 14,80
Blum, Deborah (2010). Die Entdeckung der Mutterliebe: Die
legendären Affenexperimente des Harry Harlow. Weinheim, Basel: Beltz. 351 Seiten. ISBN-13: 978-3407858887,
€ 24,95
Brantz, Dorothee und Mauch, Christof (Hrsg.) (2010). Tierische
Geschichte – Die Beziehung von Mensch und Tier in der Kultur der Moderne. 401 Seiten, Paderborn: Schöningh, ISBN13: 978-3506763822, € 39,90
Caspar, Johannes und Luy, Jörg (Hrsg.) (2010). Tierschutz
bei der religiösen Schlachtung/Animal Welfare at Religious
Slaughter. Die Ethik-Workshops des DIALREL-Projekts. Baden-Baden: Nomos. 272 Seiten. ISBN-13: 978-3832948986,
€ 59,00
Foer, Jonathan Safran (2010). Tiere essen. Köln: Kiepenheuer
& Witsch, 400 Seiten, ISBN-13: 978-3462040449, € 19,95.
Englische Ausgabe (2009). Eating Animals. New York: Little,
Brown and Company, 341 Seiten, ISBN-13: 978-0316072670,
€ 11,50
Gigliotti, Carol (Hrsg.) (2009). Leonardo’s Choice. Genetic
Technologies and Animals. Dordrecht: Springer. 256 Seiten.
ISBN-13: 978-9048124787, € 114,99
Kaplan, Helmut F. (2009). Ich esse meine Freunde nicht oder
Warum unser Umgang mit Tieren falsch ist. Berlin: trafo
Wissenschaftsverlag.132 Seiten. ISBN-13: 978-3896269416,
€ 12,95
Kazez, Jean (2010). Animalkind. What We Owe to Animals.
Malden: Wiley-Blackwell. 216 Seiten. ISBN-13: 9781405199377, € 19,99
Köpernik, Kristin (2010). Die Rechtsprechung zum Tierschutzrecht: 1972 bis 2008 unter besonderer Berücksichtigung der
Staatszielbestimmung des Art. 20a GG. Frankfurt: Peter Lang.
262 Seiten. ISBN-13: 978-3631608555, € 54,80
LaCapra, Dominick (2009). History and its Limits. Human,
Animal, Violence. Ithaca und London: Cornell University
Press. 230 Seiten. ISBN-13: 978-0801475153, € 19,99
Linzey, Andrew (2009). Why Animal Suffering Matters. Oxford:
University Press. 224 Seiten. ISBN-13: 978-0195379778,
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Linzey, Andrew (Hrsg.) (2009). The Link between Animal Abuse
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Korrespondenzadresse
Dr. phil. Petra Mayr
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Deutschland
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Altexethik 2010
17.11.2010 20:05:51 Uhr
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