Allgemeine Psychologie II Prof. Dietrich Albert WS 2003 / 2004 VO 01, 21.10.2003 WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 1 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Paar-Assoziations-Lernen • Fiktiver Datensatz einer Versuchperson aus einem Experiment nach der Antizipationsmethode (C richtige Antwort, E falsche Antwort) WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 2 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Paar-Assoziations-Lernen • Zur Charakterisierung des Lernfortschritts im Experiment kann man die sogenannte (empirische) Lernkurve betrachten • Auf der Abszisse wird die Durchgangsnummer abgetragen • Auf der Ordinate wird in Abhängigkeit von der Durchgangsnummer die relative Häufigkeit einer falschen (bzw. richtigen) Antwort angegeben • Für jeden Durchgang wird hierzu das Verhältnis der Anzahl falsch (bzw. richtig) beantworteten Items zur Gesamtzahl der Items bestimmt WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 3 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Paar-Assoziations-Lernen • Typische Lernkurve aus einem Experiment nach der Antizipationsmethode bei zwei Reaktionsalternativen WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 4 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Paar-Assoziations-Lernen • Typische Lernkurve aus einem Experiment nach der Antizipationsmethode bei zwei Reaktionsalternativen WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 5 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Paar-Assoziations-Lernen • Theoretische Beschreibung der Lernkurve • Ziel der psychologischen Theorienbildung im Bereich der Gedächtnisforschung ist eine theoretische Charakterisierung der empirisch oft replizierten Form der Lernkurve • Im Rahmen eines “curve fitting” Ansatzes (d.h. ohne theoretische Begründung) wurden hierfür verschiedene (parametrisierte) funktionale Zusammenhänge vorgeschlagen, wie beispielsweise eine logarithmische Funktion, eine Exponentialfunktion bzw. eine Potenzfunktion WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 6 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Paar-Assoziations-Lernen • Theoretische Beschreibung der Lernkurve • Durch “curve fitting” kann eine deskriptive Charakterisierung der Lernkurve erreicht werden, die beispielsweise die Kommunikation der Wissenschaftler über die beobachteten Daten erleichtert, es wird dadurch aber keine psychologische Erklärung der Lernkurve geliefert • Wir werden später, ausgehend von grundlegenden Annahmen zur Art der beteiligten Lernprozesse, die funktionale Form der durch diese psychologischen Theorien jeweils vorhergesagte Lernkurve ableiten WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 7 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Paar-Assoziations-Lernen • Häufig replizierte Befunde • Die Lernleistung wird beeinträchtigt durch ein hohes Maß an Ähnlichkeit bei den Reiz-Items, nicht aber durch die Ähnlichkeit zwischen den Reaktions-Items • Einfluss auf die Lernleistung hat auch die Bedeutungshaltigkeit der Items • Die nachfolgende Abbildung zeigt den Einfluss niedriger (N) bzw. hoher (H) Bedeutungshaltigkeit der Reiz- bzw. Reaktionskomponente auf die resultierende Lernkurve WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 8 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Paar-Assoziations-Lernen • Einfluss der Bedeutungshaltigkeit (Cieutat et al., 1958) WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 9 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Paar-Assoziations-Lernen • Mit dem PAL sind drei Aspekte verbunden • Erlernen der Diskrimination der Reizkomponenten • Erlernen der Reaktionen • Erlernen der Assoziationen, d.h. der korrekten Zuordnungen von Reiz und Reaktion • Besonderes Interesse hat folgende Frage gefunden • Bildet sich die Assoziation über die Durchgänge kontinuierlich stärker heraus, oder wird sie nach dem Alles-Oder-Nichts-Prinzip gebildet? WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 10 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Paar-Assoziations-Lernen • Die Frage, ob Paar-Assoziations-Lernen graduell oder diskret ist, kann auf verschiedene Weise beantwortet werden • Rock (1957) hat einen Versuchsaufbau konstruiert, in dem er die Annahme eines diskreten Lernprozesses durch unmittelbare experimentelle Manipulation des Lernmaterials testete • Auf der Grundlage formaler psychologischer Theorien des PaarAssoziations-Lernens können die kritischen empirischen Vorhersagen ermittelt werden, anhand derer sich die beiden Annahmen dann experimentell unterscheiden lassen WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 11 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Paar-Assoziations-Lernen • Das Experiment von Rock (1957) • Versuchsanordnung • Mit einer Kontrollgruppe wurde ein herkömmliches Experiment zum Paar-Assoziations-Lernen nach der LernPrüf-Methode durchgeführt (Einzel- oder Doppelbuchstaben gepaart mit ein- oder zweistelligen Zahlen) • Bei einer Experimentalgruppe wurde dasselbe Lernmaterial verwendet, jedoch wurde jedes falsch beantwortete Paar im darauf folgenden Durchgang durch ein neues Paar ersetzt (Substitutionsverfahren) WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 12 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Paar-Assoziations-Lernen • Das Experiment von Rock (1957) • Vorhersage • Unter der Annahme eines graduellen Prozesses der Bildung der Assoziation, sollte die Experimentalgruppe schlechtere Leistung erzielen als die Kontrollgruppe • Unter der Annahme eines diskreten Prozesses der Bildung der Assoziation, sollten beide Gruppen dieselbe Leistung erzielen • Ergebnis • Beide Gruppen benötigten im Mittel gleich viele Wiederholungen bis zum Erreichen des Lernkriteriums WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 13 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Paar-Assoziations-Lernen • Das Experiment von Rock (1957) • Diskussion • Die Ergebnisse sind mehrmals repliziert worden, die daraus gezogene Schlussfolgerung, dass PaarAssoziations-Lernen sich nach dem Alles-Oder-NichtsPrinzip vollziehe, sind jedoch grundlegend kritisiert worden (z.B. Postman, 1963) • Im experimentellen Versuchsplan kann die Schwierigkeit der Liste als Konfundierungsquelle betrachtet werden • Die Versuchspersonen werden eher bei schwierigen Items Fehler machen, die in der Experimentalgruppe dann durch neue Items ersetzt werden WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 14 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Paar-Assoziations-Lernen • Das Experiment von Rock (1957) • Diskussion • Die neuen Items werden im Mittel leichter zu lernen sein, als die herausgenommenen Items • Die Lernliste in der Experimentalgruppe wies somit letztlich eine geringere Schwierigkeit auf, als die in der Kontrollgruppe verwendete ursprüngliche Lernliste • Wurde in der Kontrollgruppe eine Lernliste verwendet, wie sie in der Experimentalgruppe am Schluss zu lernen war, dann ließ sich eine Verzögerung des Lernens durch das Substitutionsverfahren nachweisen WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 15 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Paar-Assoziations-Lernen • Psychologische Theorien • Im Anschluss an die Besprechung experimenteller Paradigmen und Befunde der Gedächtnisforschung werden wir formale Theorien kennenlernen, mit denen die Frage einer graduellen bzw. diskreten Bildung anhand von Daten einfacher Experimente zum PaarAssoziations-Lernen grundsätzlich entschieden werden kann • Kintsch (1963) konnte zeigen, dass eine derartige Theorie eine präzise Vorhersage der Lernverzögerung bei Anwendung des Substitutionsverfahrens, und somit der Ergebnisse von Rock (1957), erlaubt WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 16 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Serielles Lernen • Das Paradigma wurde erstmals von Ebbinghaus (1885) verwendet • Vorgehensweise • Eine Liste mehrerer Items wird wiederholt und unverändert zum Einprägen vorgegeben • Die Versuchsperson hat die Aufgabe die Items in der Reihenfolge ihrer Darbietung wiederzugeben • Als Reize werden häufig Wörter oder KVK-Trigramme verwendet WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 17 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Serielles Lernen • Abhängige Variablen • Erlernungsmethode • Anzahl der Wiederholungen bis zur vollständig korrekten Wiedergabe einer Liste • Ersparnismethode • Ersparnis an Wiederholungen beim Wiederlernen einer Liste, die bestimmte Zeit vorher bereits vollständig wiedergegeben werden konnte, bis zur erneuten vollständigen Wiedergabe WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 18 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Serielles Lernen • Welchen Effekt hat die Länge der zu erlernenden Liste? • Ebbinghaus (1885) konnte 6-7 KVK-Trigramme nach nur einmaliger Darbietung korrekt wiedergeben • Im Selbstversuch benötigte Ebbinghaus bei 12 Items durchschnittlich 16.6 Wiederholungen, bei 15 Items 30 Wiederholungen, bei 24 Items 44 Wiederholungen und bei 31 Items 55 Wiederholungen • Die Verlängerung der Liste führt also zu einer unverhältnismäßig großen Steigerung des erforderlichen Lernaufwandes WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 19 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Serielles Lernen • Welchen Effekt hat die Länge der zu erlernenden Liste? WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 20 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Serielles Lernen • Welchen Effekt hat die Länge der zu erlernenden Liste? • Die Zahl von Items, die man beim seriellen Lernen nach einmaliger Darbietung korrekt wiedergeben kann, wird auch als (unmittelbare) Gedächtnisspanne (memory span) bezeichnet • Es hat sich gezeigt, dass in vielen Zusammenhängen die Gedächtnisspanne relativ konstant bei etwa 7 Items (bzw. Informationseinheiten) liegt Miller, G.A. (1956). The magical number seven, plus or minus two: Some limits on our capacity for processing information. Psychological Review, 63, 81-97. WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 21 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Serielles Lernen • Welchen Effekt hat die Länge der zu erlernenden Liste? • Bei KVK-Trigrammen ist die Behaltensleistung annähernd proportional zur Anzahl der Wiederholungen • In der folgenden Abbildung wird die von Ebbinghaus (1885) gefundene Ersparnis in Sekunden beim Wiederlernen einer Liste von 16 Items nach 24 Stunden (im Vergleich zum erstmaligen Lernen bis zum Kriterium; entspricht keiner vorhergehenden Wiederholung) angegeben, in Abhängigkeit von der Anzahl x der vorangehenden Wiederholungen WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 22 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Serielles Lernen • Welchen Effekt hat die Anzahl von Wiederholungen? WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 23 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Serielles Lernen • Weitere Fragestellungen und Befunde • Es hat sich gezeigt, dass eine Verteilung der Lerndurchgänge über eine größere Zeitspanne gegen über “massiertem” Lernen einen geringeren Lernaufwand erfordert (Ersparnismethode) • Eine zentrale Fragestellung betraf die Identifizierung des so genannten “funktionalen Reizes” (über den “nominalen Reiz” – also das Item – hinausgehende situative Gegebenheiten), der f¨ur das Einprägen einer Liste beim seriellen Lernen verantwortlich ist • Diese, im Rahmen der behavioristischen Tradition, formulierte Fragestellung konnte jedoch nicht zufriedenstellend beantwortet werden WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 24 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Serielles Lernen • Serieller Positionseffekt • Ein äußerst reliabler Befund im Zusammenhang mit dem seriellen Lernen ist der serielle Positionseffekt • Wird eine serielle Liste bis zu einem Kriterium gelernt, so betrachtet man für jedes Item die Zahl der Fehler und trägt diese gegen die serielle Position des Items in der Liste ab • Die resultierende serielle Positionskurve (oder Stellenwertkurve) zeigt einen charakteristischen, umgekehrt u-förmigen Verlauf, der relativ invariant unter experimentellen Bedingungvariationen ist WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 25 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Serielles Lernen • Serieller Positionseffekt (Hovland, 1938) WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 26 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Serielles Lernen • Serieller Positionseffekt • Die Ergebnisse eines Experiments von McCrary & Hunter (1953) bilden ein Beispiel für die Invarianz des seriellen Positionseffektes • Es wurde eine Liste mit 14 sinnarmen Silben (S) und eine Liste mit 14 gebräuchlichen Namen (N) gelernt • Die jeweiligen seriellen Positionkurven unterschieden sich deutlich, da die Namen offensichtlich leichter zu lernen waren als die sinnarmen Silben • Normiert man die Kurven jedoch auf die jeweils resultierende Gesamtfehlerzahl, so liegen diese praktisch übereinander WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 27 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Serielles Lernen • Serieller Positionseffekt (McCrary & Hunter, 1957) absolute Fehlerzahl: N Namen, S sinnarme Silben WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 28 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Serielles Lernen • Serieller Positionseffekt (McCrary & Hunter, 1957) absolute Fehlerzahl: N Namen, S sinnarme Silben WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 29 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Serielles Lernen • Die bemerkenswerte Konstanz des seriellen Positionseffekts wird dadurch begründet, dass er kein Phänomen des seriellen Lernens, sondern von allgemeinerer Natur sei (Murdock, 1960) • Er wird auf Strategien bei der Reizverarbeitung zurückgeführt, bei denen die Endpunkte einer geordneten Sequenz bevorzugt werden • Derselbe Zusammenhang tritt auf, wenn Reize zu diskriminieren sind, die auf einem Kontinuum (räumlich, zeitlich oder sensorisch) angeordnet sind (z.B. bei der Diskrimination von Tönen bezüglich der Tonhöhe, von Linien unterschiedlicher Länge . . . ) WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 30 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Freies Reproduzieren • Im Gegensatz zum seriellen Lernen spielt die Reihenfolge der Items der Lernliste keine Rolle • Bei der Vorgabe der Lernliste werden die Items in verschiedenen Lerndurchgänge in veränderter (z.B. randomisierter) Reihenfolge vorgegeben • Bei der Wiedergabe ist die Versuchsperson nicht an die Abfolge der Items bei der Vorgabe gebunden • Vorteil • Effekte der Gruppierung von Items bei der Wiedergabe können Aufschluss über strukturelle Aspekte des Gedächtnisses liefern WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 31 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Freies Reproduzieren • Betrachtet man die Wahrscheinlichkeit der korrekten Reproduktion eines Items in Abhängigkeit von seiner Position in der Liste, so zeigt sich ebenfalls ein ausgeprägter Positionseffekt • Die jeweils am Beginn der Liste präsentierten Items werden mit erhöhter Wahrscheinlichkeit wiedergegeben (“primacy effect”) • Die jeweils am Ende der Liste präsentierten Items werden mit erhöhter Wahrscheinlichkeit wiedergegeben (“recency effect”) • Der “recency effect” erweist sich als relativ unabhängig von der Listenlänge und der Darbietungsrate der Items und ist ausgeprägter als der “primacy effect” WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 32 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Freies Reproduzieren • “Primacy Effect” und “Recency Effect” (Murdock, 1962) WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 33 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Freies Reproduzieren • Das Auftreten von “primacy effect” und “recency effect” wurden als Indiz für die eine Abgrenzung unterschiedlicher Strukturen innerhalb des Gedächtnisses gewertet (Kurzzeitgedächtnis vs. Langzeitgedächtnis) • Diese Interpretation wird aus heutiger Sicht nicht mehr geteilt • Wir werden diese Problematik im Rahmen der Besprechung struktureller Aspekte des Gedächtnisses aus kognitiver Perspektive wieder aufgreifen WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 34 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Freies Reproduzieren • Anders als beim seriellen Lernen und beim Paar-Assoziations-Lernen hat eine hohe Ähnlichkeit der Items beim freien Reproduzieren einen positiven Einfluss auf die Lernleistung • Organisationsgesichtspunkte des Lernmaterials können das Einprägen und Reproduzieren erleichtern • In einer Untersuchung von Miller & Selfridge (1950) wurden Listen Von Wörtern vorgegeben, die sich, ausgehend von einer Liste zufällig ausgewählter Wörter über verschiedene Approximationsstufen an einen natürlichsprachlichen Text annähern WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 35 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Freies Reproduzieren • Miller & Selfridge (1950) verwendeten für jede der Approximationsstufen 0 bis 7 an die statistische Struktur der englischen Sprache Listen von 10, 20, 30 und 50 Wörtern und normalen Text der entsprechenden Länge • Die Listen wurden den Versuchspersonen jeweils vorgelesen • Unmittelbar nach der Darbietung sollten die Passagen möglichst in der richtigen Wortreihenfolge schriftlich reproduziert werden • Die Reihenfolge der Reproduktion war jedoch kein Auswertungsgesichtspunkt WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 36 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Freies Reproduzieren • Ergebnisse von Miller & Selfridge (1950) WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 37 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Freies Reproduzieren • Ergebnisse von Miller & Selfridge (1950) • Die Reproduktionsleistung nahm f¨ur niedrige Approximationsstufen mit dem Ordnungsgrad zu • Ungefähr ab der Approximationsstufe 4 trat keine Leistungsverbesserung mehr auf • Schlussfolgerungen von Miller & Selfridge (1950) • Die vertrauten Beziehungen innerhalb relativ kurzer Sequenzen erleichtern das Lernen, wobei die eigentliche Sinnhaltigkeit weniger entscheidend ist WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 38 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Freies Reproduzieren • Kritik an den Schlussfolgerungen von Miller & Selfridge (1950) • Wenn die Reproduktionsreihenfolge ein Kriterium ist und wenn Prosatexte und Textapproximationen in Hinblick auf Silbenlänge und Worthäufigkeit parallelisiert werden, dann verbessert sich die Reproduktionsleistung mit zunehmendem Ordnungsgrad weiter (z.B. Marks & Jack, 1952; Coleman, 1963) • Der Text wird signifikant besser reproduziert als die Wortfolge der höchsten Approximationsstufe, mit der größten Leistungssteigerung zwischen diesen beiden Bedingungen WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 39 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Wiedererkennen • Neben dem Erinnern und Reproduzieren von vorher eingeprägten Inhalten spielt auch deren Wiedererkennen eine entscheidende Rolle • Zur Prüfung dieser Gedächtnisleistung wird beim Paradigma des Wiedererkennens in der Lernphase eine Liste von Items vorgegeben • In der Testphase werden sowohl “alte”, in der Lernliste enthaltene Items und “neue”, zuvor nicht gelernte Items (Ablenkungsitems, Störreize, Distraktoren) dargeboten • Die Distraktoren sind stets von derselben Art wie die Lernitems und unterscheiden sich f¨ur verschiedene Durchgänge eines Experiments WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 40 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Wiedererkennen • Varianten des Paradigmas • Es werden Lernitems und Distraktoren sukzessive in zufälliger Reihenfolge dargeboten und Aufgabe der Versuchsperson ist es zu entscheiden, ob das jeweils präsentierte Item in der Lernliste enthalten war, oder nicht • In einer Variante mit Mehrfachwahl (Multiple-Choice-Variante) gilt es ein Item der Lernliste zu identifizieren, das stets zusammen mit einem oder mehreren Distraktoren präsentiert wird WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 41 Gedächtnis: Paradigmen und Befunde Wiedererkennen • Die Wiedererkennensleistung hängt in entscheidendem Maße von der Ähnlichkeit von Lernitems und Distraktoren ab • Bower & Glass (1976) verglichen die Wiedererkennensleistung bei einer Lernliste unter Verwendung von hierzu ähnlichen bzw. unähnlichen Distraktoren • Ähnliche Distraktoren wurden viermal häufiger als unähnliche Distraktoren fälschlicherweise als “altes”, bereits gelerntes Item bezeichnet • Gleichzeitig beeinträchtigte eine hohe Ähnlichkeit auch die eingeschätzte Sicherheit der im Experiment abzugebenden Urteile WS 2003 / 2004, Prof. Dietrich Albert 42