PSYCHISCH KRANK UND SCHWANGER – GEHT DAS ? Leitliniengerechte Therapie psychischer Störungen in der Peripartalzeit Dr. med. Valenka Dorsch Dipl.-Psych. A. Meurers, Prof. Dr. med. A. Rohde Gynäkologische Psychosomatik, Universitätsfrauenklinik Bonn Psychische Erkrankung und Schwangerschaft oft Beratungsschwerpunkt Teratogenität und Fetotoxizität mindestens genauso wichtig: • Einfluss Schwangerschaft auf psychische Erkrankung (kein protektiver Effekt1,2) • Mutterschaft als Belastungsfaktor3 (life event, Verantwortung, Schlafentzug etc.) • individuelle Rezidivgefahr peri- und postpartal3 • Prophylaxe?4 1 Viguera AC et al. (2000) Am J Psychiatry 157:179-184 2 DiFlorio A et al. (2013) JAMA 70:168-175 3 Yonkers KA et al. (2011) Obstet Gynecol 117:961-977 4 Doyle K et al. (2012) Eur Psychiatry 27:563-569 FALLBEISPIEL Lithium mit Schwangerschaft nicht vereinbar? 1 Frau L., eine 36-jährige Lehrerin, seit vier Jahren verheiratet, hat Kinderwunsch. Seit sie Anfang zwanzig ist, leidet sie unter rezidivierenden Depressionen. Außerdem sind hypomanische Zustände bekannt, wobei aus der aktuellen Perspektive nicht ganz sicher zu klären war, ob es sich um hypomanische Nachschwankungen nach den depressiven Episoden handelt oder aber um eigenständige hypomanische Episoden und damit eine Bipolar II-Störung. Drei Jahre lang war Frau L. unter Lithium-Einnahme stabil, als der Kinderwunsch konkret wurde. Frau L. folgte dem Rat ihres Psychiaters, der die Beendigung der Lithium-Behandlung vor Eintritt der Schwangerschaft empfohlen hatte; Lithium wurde sehr langsam ausgeschlichen. Lithium mit Schwangerschaft nicht vereinbar? 2 Ca. 6 Monate nach dem vollständigen Absetzen trat eine schwere manische Episode auf, die zur mehrwöchigen stationären Behandlung führte. Eine Remission erfolgte erst unter einer Kombination von Quetiapin und Lithium. Mit dieser Kombination stellte sich Frau L. bei uns vor mit der Frage, ob sie darunter schwanger werden könnte. Folgende Komplikationen hat aus unserer Sicht die empfohlene Beendigung der LithiumProphylaxe für die Patientin gebracht: Das Paar war erheblich belastet durch die Erfahrung der manischen Symptomatik und der Notwendigkeit der stationären Behandlung. Nun lautet die Diagnose eindeutig Bipolar I. Lithium mit Schwangerschaft nicht vereinbar? 3 Derzeit ist eine Kombinationstherapie erforderlich, weil Frau L. nur darunter stabil wurde. Da andererseits „die biologische Uhr tickt“, muss sich das Paar jetzt der Frage stellen, ob sie unter dieser Kombinationsmedikation in eine Schwangerschaft gehen wollen. Ganz abgesehen davon, dass die lange Phase vorheriger psychischer Stabilität, die man sich für eine Schwangerschaft wünscht, durchbrochen wurde und noch nicht wieder erreicht ist. Es stellt sich die Frage, ob die Patientin bei Fortführung des Lithiums jemals die Entwicklung in diese Richtung gemacht hätte und ob sich dadurch nicht insgesamt die Verlaufsprognose verschlechtert. VERANTWORTUNG ÜBERNEHMEN helfen die aktuellen Leitlinien? Prinzipien für Schwangerschaft/Stillzeit 1. psychotrope Substanzen in Schwangerschaft und Stillzeit off-label 2. Aufklärung zu Risiken der Medikation (mögliches Fehlbildungsrisiko und Entwicklungsstörungen) 3. Nutzen-Risiko-Abwägung Medikation vs. unbehandelte Erkrankung 4. individuelle Verordnung nach differenzierter Anamnese und engmaschige Verlaufskontrollen http://www.leitlinie-bipolar.de/ Nutzen-Risiko-Abwägung Fortführen der Medikation mögliche embryotoxische oder fetotoxische Effekte Schwangerschaftsrisiken nicht ausschließbare Langzeitauswirkungen auf die Entwicklung des Kindes Absetzen der Medikation und Risiken einer unbehandelten Erkrankung Rezidivgefahr / Chronifizierung Verschlechterung der Krankheitsprognose durch Rezidiv Stress, Schlafstörungen, Nikotin- /Alkoholkonsum, Mangelernährung Notwendigkeit einer (stationären) Akutbehandlung (oft Polytherapie) Verunsicherung der Patientin in einer Lebenssituation, die eigentlich ein Gefühl von Sicherheit verlangt Prinzipien für Schwangerschaft/Stillzeit 5. partizipative Entscheidungsfindung mit den werdenden Eltern 6. wann immer möglich Monotherapie 5. niedrigstmögliche Dosis 5. ggf. therapeutisches Drug Monitoring Praktische Umsetzung? • "Peripartales Management" 6. Sensibilisierung für erste Symptome während der Schwangerschaft als Prädiktor für postnatale Exazerbation • Beratungsprogramm • 6-8 Wochen vor ET "Geburtsplan" • Dokumentation (Aufklärung, rechtliche Absicherung) • konkrete Handlungsanweisungen für Pat. und Angehörige (z.B. Medikationsdosis postpartal erhöhen, Reizabschirmung, Mitaufnahme des Vaters) Erfahrungen 2006-2014 (n=256) Gynäkologische Psychosomatik, UFK Bonn n=88 Beratung von Frauen mit psychiatrischer Vorgeschichte und Kinderwunsch n=206 Schwangerschaften psychisch kranker Frauen (n=45 nach Beratung in GynPsy) n=110 Peripartales Management (Geburtsplan) (n=82 Entbindung in UFK Bonn) Alter 33,5 Jahre (min 19; max 45) Erfahrungen 2006-2014 (n=256) Gynäkologische Psychosomatik, UFK Bonn n=46 Primiparae (56,1 %) ICD-10 F0 / F1 1,2 % ICD-10 F20 / 23 / 25 31,7 % ICD-10 F31 / 32 / 33 / 34 / 38 42,7 % ICD-10 F40 / 41 / 42 / 43 23,2 % ICD-10 F50 / 51 1,2 % Medikation während der Schwangerschaft (N=61, 74,4 %) Anzahl der Med.: 0 = 25,6 %; 1 = 63,4 %; 2 = 7,3 %, 3+ = 3,7 % Rezidive post partum von n=82 (peripartales Management und Entbindung) Rezidive mit stationärer Aufnahme: n=3 (3,7 %) • 3 Pat. mit Vordiagnose bipolar affektive Störung (F31, F25) • postpartum schizomanische Episode • n=1, Beginn noch in der Frauenklinik, • n=2, Beginn nach Entlassung Rezidive post partum (n=3) Evaluation möglicher Einflussfaktoren Frau M.: schizomanische Psychose nach erster Entbindung, stillte, niedrige Compliance bezüglich Reizabschirmung Frau V.: bipolare Pat. mit 13 gemischten Episoden, keine Medikation in der Schwangerschaft, stillte, nach Entbindung nur sehr geringe Dosis eines Neuroleptikums, konnte nicht von höherer Prophylaxe überzeugt werden Frau G.: bipolare Pat., schizomanische Episode während der Schwangerschaft, stillte, zuhause keine Compliance bezüglich Medikation und Reizabschirmung Psychisch krank und schwanger Was brauchen Betroffene und ihre Familien? • Beratung zu individuellem Risiko (Toxizität www.embryotox.de, Rezidiv) • shared-decision making, Einbeziehung von Partner/Familie • intensivierte gynäkologische und psychiatrische Betreuung (Risikoschwangerschaft!) • peripartales Management (Geburtsplanung) incl. Reizabschirmung und sozialer Unterstützung sowie Erhöhung der Medikation post partum (F31, F2X) • konkrete Handlungsanweisungen bei Auftreten von Symptomen PSYCHISCH KRANK UND SCHWANGER – DAS GEHT! Vielen Dank! Dr. med. Valenka M. Dorsch [email protected] weiterführende Links und Literatur in print (Nov 2014): Psychisch krank und schwanger – geht das?! Anke Rohde Valenka Dorsch Christof Schaefer www.embryotox.de Kohlhammer