Klimawandel – vom Menschen verursacht? 8. Symposium Mensch – Umwelt der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt gehalten am 25. März 2004 in Erfurt Herausgegeben von Detlev Möller Manuskript erscheint 2005 in der Acta Academiae Scientiarum (ISSN 0941-9875) Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 2 INHALT Detlev Möller: Einführung: Klimaschutz und Luftreinhaltung. 3 Martin Claußen: Klimaänderungen: Mögliche Ursachen in Vergangenheit und Zukunft. 11 Wilhelm Kuttler: Das Stadtklima. 28 Manfred Stock: Folgen und Wirkungen von Klimaveränderungen auf die Gesellschaft. 72 Detlev Möller: Wieviel Chemie ist im Klima? Eine chemische Klimatologie 106 Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 3 Einführung: Klimaschutz und Luftreinhaltung Introduction: climate protection and air pollution control Detlev Möller Brandenburgische Technische Universität Cottbus, Lehrstuhl für Luftchemie und Luftreinhaltung KLIMA Wohl kaum ein anderes Thema als die Frage nach dem Klimawandel charakterisiert besser das Spannungsfeld zwischen Mensch und Umwelt. Der Begriff Klimawandel (welcher sich in den letzten Jahren als populärer Term eingebürgert hat) soll hier synonym mit dem Begriff Klimaänderung (ein mehr wissenschaftlicher Terminus) verwandt werden. Eine Klimaänderung3 ist die Differenz zwischen zwei Klimazuständen. Ein Klimazustand ist durch den statistischen Zustands des Klimasystems beschrieben. An dieser Stelle4 soll nicht erläutert werden, was wir unter einem Klimasystem zu verstehen haben. Eine Klimaschwankung kann demzufolge als eine periodische Klimaänderung definiert werden, unabhängig von der jeweiligen Zeitskala. Das Klima ist eine Funktion von Raum und Zeit – und es ändert sich ständig. Das Klimasystem ist zu komplex, um es mathematisch eindeutig beschreiben zu können. Das gilt mit großer Wahrscheinlichkeit auch für die Zukunft. Unser Wissen über viele Einzelprozesse in diesem System ist noch unvollkommen. Dennoch wurden in den vergangenen 20 Jahren in der Klimaforschung große Fortschritte erzielt und die Beschreibung der prinzipiellen Prozesse kann als gesichert gelten. Einem Wissenschaftler muß nicht erläutert werden, daß Aussagen zu derart komplexen Zusammenhängen mit einer Unsicherheit behaftet sind, die klein aber auch groß sein kann, ja oftmals ist der Wert der Unsicherheit unbekannt. In den Naturwissenschaften gibt es entweder richtige oder falsche Aussagen. Hier geht es nicht um Glauben oder Nichtglauben; grundsätzlich ist es unangebracht, zu sagen „ich glaube das nicht“. Von einem guten Wissenschaftler wird erwartet, daß er nur Aussagen macht, die nach den „anerkannten Regeln wissenschaftlichen Arbeitens“ gewonnen wurden. Dem Nichtwissenschaftler muß dabei erklärt werden, daß man verschiedene Größen mit einer bestimmbaren Genauigkeit (oder Ungenauigkeit) messen kann; wenn das von verschiedenen Wissenschaftlern unabhängig wiederholt und bestätigt wird, kann der gemessene Wert erheblich gesichert werden und den wahren Wert repräsentieren. Die Beschreibung eines Prozesse aber, eines Zusammenhanges oder einer Ursache-Wirkungsbeziehung erfordert grundsätzlich die Interpretation der (wahren) Meßwerte. Die dabei gewonnene Aussage kann grundsätzlich falsch sein (z.B. es gibt keine Klimaänderung), sie kann phänomenologisch richtig sein (es gibt eine Klimaänderung), aber quantitativ falsch (z.B. die globale mittlere bodennahe Temperatur steigt in den nächsten 50 Jahren um 6 °C an) sein. Die letzte Aussage 3 4 Im am 9. Mai 1992 in New York verabschiedeten Rahmenabkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderunmgen (unterschrieben von 34 Staaten) wird Klimaänderung als „Änderungen des Klimas, die unmittelbar oder mittelbar auf menschliche Tätigkeiten zurückzuführen sind, welche die Zusammensetzung der Erdatmosphäre verändern, und die zu den über vergleichbare Zeiträume beobachteten natürlichen Klimaschwankungen hinzukommen“ definiert. Diese Definition ist eingrenzend, da sie natürliche Prozesse nur im Sinne einer Klimaschwankung aber nicht Klimaänderung beinhaltet. Beobachtet kann nur eine Klimaänderung werden, die auf alle Ursachen zurückzuführen ist. Siehe die Beiträge von M. Claussen und D. Möller im weiteren. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 4 betrifft bereits eine Prognose. Es wäre eher ein Zufall, wenn eine Prognose genau eintrifft. Komplexe Systeme entwickeln sich generell unbestimmbar, d.h. eine Prognosegleichung hat mehrere (viele) Lösungen. Hingegen ist die Aussage, daß in den vergangenen 100 Jahren ein Temperaturanstieg von 0,6 °C eintrat, als gesichert anzusehen. Die damit verknüpfte Aussage, daß dieser Anstieg vom Menschen versursacht ist, erscheint nun bereits wesentlich unsicherer, obwohl führende Klimatologen diesem Kausalzusammenhang eine Wahrscheinlichkeit von 90% beimessen. Diese Zahl erscheint mir hingegen eine Schätzung zu sein. Obwohl auch ich diesen Zusammenhang für hoch wahrscheinlich halte, wüßte ich keine Methode, die Wahrscheinlichkeit dieses komplexen Zusammenhang mathematisch zu bestimmen. KLIMAWANDEL Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WGBU)5 hat in einem Gutachten (vom 25.11.2003) betont, daß gefährliche Klimaänderungen6 nur noch vermeidbar sind, wenn die Reduktion von Treibhausgasen deutlich stärker als bisher verfolgt wird. Insbesondere muß der vom Menschen verursachte Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) bis 2050 global um etwa 45-60% gegenüber 1990 gesenkt werden. Dies bedeutet, dass die Industrieländer ihren Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um mindestens 20% verringern müssen. Gemäß Kyoto-Protokoll haben sie sich nur dazu verpflichtet, bis 2012 die Emissionen um 5,2% bezogen auf 1990 zu senken. Nach einer früheren Aussage eines Beiratmitgliedes7 würde eine Einhaltung des Kyoto-Protokoll – wenn es denn überhaupt verwirklicht wird – den Effekt eines Temperaturrückgangs um 0,1 K haben (also keinen Effekt). Der WBGU weist darauf hin, daß nur noch eine globale Erwärmung um weitere 1,4 °C tolerierbar ist. Ab einer Erwärmung um mehr als 2 °C (und einer Änderungsrate von mehr als 0,2 °C pro Jahrzehnt) werden gefährliche Klimaänderungen4 sehr wahrscheinlich. Ohne eine konsequente Klimaschutzpolitik wird diese Grenze im 21. Jahrhundert überschritten. Zu den Folgen gefährlicher Klimaänderungen zählt der WBGU beispielsweise zunehmende Gesundheitsgefährdungen durch Ausbreitung von Malaria, eine erhöhte Gefahr von Ernteausfällen in der Landwirtschaft, die Verknappung von Süßwasser durch Häufung von Dürren oder den Beginn einer Kaltphase im atlantisch-europäischen Raum durch den Ausfall des Golfstroms. Allein für 2002 werden die globalen Schäden durch extreme Wetterereignisse auf 55 Mrd. US-Dollar geschätzt8; eine Zunahme um global 1°C soll jährliche Schäden von bis zu 2000 Milliarden US$ im Jahre 2050 verursachen, wovon allein auf Deutschland 137 Mrd. US$ entfallen würden9. Hierin besteht das Dilemma der Klima- und Umweltforschung, nur Aussagen im Konjunktiv zu treffen (... es ist sehr wahrscheinlich, daß...). Zumeist lassen sich beliebig viele Gegenargumente sammeln, daß es nicht sehr wahrscheinlich ist. Derartige Dispute verlaufen sowohl in Detailfragen (z.B. in der Annahme von Absorptions- oder Rückstreukoeffizienten oder Bandbreitensättigungen) als auch in generellen Fragen (es gibt keinen Treibhauseffekt...). Dem Laien und auch Nichtfachmann (was eigentlich alle Nichtklimatologen und Nichtatmosphärenphysiker sind, somit auch der Autor, der ja „nur“ Atmosphärenchemiker ist) stehen weder die Erfahrung, das Wissen und die Daten zur Verfügung, um sich der einen oder anderen Meinung anzuschließen. Das ist im Grunde genommen unwesentlich, denn wer kann schon die täglichen Nachrichten aus aller Welt überprüfen oder die Aussage des Hausarztes, 5 6 7 8 9 Ihm gehören neun Professoren und Professorinnen an; Vorsitzender ist Hartmut Graßl. Hier ergibt sich ein weiteres Dilemma: was ist eine gefährliche Klimaänderung? Hans-Joachim Schellnhuber in der Berliner Morgenpost vom 16.12.2001, S. 30. Diese Feststellung besagt noch nicht, daß die Schäden auf einen vom Menschen verursachten Klimawandel zurückgeführt werden können (siehe Diskussion zum Extremwetter im Beitrag M. Claussen) Wochenbericht 42/04 des Deutsches Institut für Wirtschaft (DIW) Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 5 man solle endlich Sport treiben, sonst käme bald ein Herzinfarkt. Also ist der Mensch fast immer darauf angewiesen, es „zu glauben oder nicht zu glauben“ – wir haben hier den Unterschied zur weiter oben gemachten Aussage zu beachten, daß wir uns nicht mehr auf der Ebene einer gleichberechtigten Diskussion befinden. Problematisch wird es aber für Politiker und andere Entscheidungsmacher, die ohne Fachwissen gesellschaftlich oder wirtschaftlich relevante Entscheidungen treffen müssen. Dieser Personengruppe bleibt weiter nichts üblich, als Vertrauen zu den Aussagen der Wissenschaftler zu haben und deren Aussagen zu akzeptieren. Sie sollten sich dabei bei sehr wichtigen Fragen nicht auf einzelne Wissenschaftler stützen, sondern auf kollektive Aussagen der führenden Experten. Gänzlich falsch wäre es nun, die Aussagen der verschiedenen Wissenschaftler zu mitteln, denn das hat keinerlei wissenschaftliche Berechtigung. In der Wissenschaft gibt es (s.o.) entweder eine richtige oder eine falsche Antwort – dazwischen existiert nichts. Neben dem Klimawandel (der ja in erster Linie auf den „Treibhauseffekt“, also eine Erwärmung zurückgeführt wird) können als weitere „große Umweltthemen“ des 20. Jahrhunderts genannt werden: • • • • • • Winter-Smog (Schwefeldioxid und Staub), Schwermetallbelastung (vor allem Blei), „saurer Regen“, Waldsterben, Sommer-Smog (troposphärisches Ozon), „Ozonloch“ (stratosphärisches Ozon). Was ist davon geblieben? Stellt die Beantwortung dieser Frage zugleich eine Antwort auf die gelösten Probleme dar? Bei genauerem Hinsehen stellt man fest, daß einige Probleme (Smog, Blei, saurer Regen) gelöst wurden, aber noch nicht weltweit. Einige Probleme stehen einfach nicht mehr im Mittelpunkt der (politischen und öffentlichen) Aufmerksamkeit, wie die Waldschäden und das troposphärische Ozon, obwohl beide (wieder) zunehmen. Letzteres ist eigentlich kaum zu erklären und nur „wissenschaftspolitisch“ zu verstehen in dem Sinne, daß in den vergangenen Jahrzehnten große Mengen an Geld für die Forschung zu den Ursachen ausgegeben wurde, aber das Problem dennoch nicht so beschrieben werden konnte, um eine Lösung zu erreichen. Bei weiterem Hinsehen bemerkt man, daß alle diese Probleme mit der Luftverschmutzung im Zusammenhang stehen oder anders ausgedrückt, mit der Änderung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre. Die Erkenntnis, daß durch die zunehmende Verschmutzung der Luft mit Spurenstoffen (beispielsweise Schwefeldioxid und Ozon) alle genannten Umweltprobleme verursacht und verstärkt wurden, ist aus heutiger Sicht trivial. Auch wissen wir, daß die meisten atmosphärischen Umweltprobleme miteinander verknüpft sind, allerdings in einer komplexen (im mathematischen Sinne nicht-linearen) Weise. So ist es keineswegs trivial, einfach den Umkehrschluß zu ziehen und mit einer sich verringernden Luftverschmutzung – also Luftreinhaltung – eine Lösung dieser Probleme zu erhoffen. KLIMASCHUTZ Sind Klimaschutz und Luftreinhaltung in einen unmittelbaren Zusammenhang zu bringen oder handelt es sich es sich nicht vielmehr um eine „Parole“ im Sinne einer Zielvorgabe? Können das Klima überhaupt geschützt und die Luft rein gehalten werden? Der Ausdruck „reine Luft behalten“ ist die desubstantivierte Reinhaltung der Luft, was wiederum die semantische Auflösung des deutschen Wortes Luftreinhaltung – übrigens kaum direkt in andere Sprachen übersetzbar – bedeutet. Es wird deutlich, daß eine genaue Begriffsbestimmung zunächst wichtig ist, wenn sowohl Experten untereinander (es gibt unterschiedli- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 6 che Definitionen des Klimabegriffs) als auch mit Laien und Politikern kommunizieren. Es ist eine Erfahrung jeden Umweltforschers, daß Mißverständnisse immer eine Folge unterschiedlicher Auffassungen sind. Dieses „Problem“ sei an dieser Stelle durch eine kurze Darlegung, was wir unter „reiner Luft“ verstehen wollen, charakterisiert. Gemeinhin wird darunter die (chemische Zusammensetzung der) Luft fernab von Industrie- und Siedlungsgebieten verstanden, also beispielsweise einer Südseeinsel, die natürlich weitgehend unbewohnt und nur mit einer Messstation versehen sein sollte. Etwas extremer (und im wissenschaftlichen Sinne exakter) sollte unter „reiner Luft“ die Luft an einem gegebenen Ort vor Einwirkung durch den Menschen verstanden werden, die dann als „natürliche Luft“ (Referenzzustand) bezeichnet wird, wohingegen die durch menschliche Aktivitäten (anthropogen) zusätzlich in die Luft gebrachten Stoffe als Luftverschmutzung charakterisiert werden, also „reale Luft = natürliche Luft + Luftverschmutzung“. Man muss nicht lange nachdenken, um festzustellen, dass diese Gleichung zu schematisch ist, um daraus die Aufgaben für Luftreinhaltung und Klimaschutz abzuleiten. Schließen wir anthropogene (also menschliche) Faktoren aus, so wird die (natürliche) Luftzusammensetzung durch geophysikalische und –chemische Prozesse (Vulkanismus, Gewitter, Sonneneinstrahlung und andere extraterrestische Phänomene, Windeinfluss auf die Erdoberfläche, also Bildung von Bodenstaub und Seesalz) als auch biochemische Prozesse (alle Stoffumwandlungen von Organismen) bestimmt. Hier nähern wir uns dem Problem: wir haben also definitiv den Menschen aus dieser Aufzählung (als biochemischer Organismus) ausgeschlossen und ihn damit „unnatürlich“ gemacht. Darauf zurückzukommen wird notwendig sein. Der evolutionäre Entwicklungszustand dieser biogeochemischen und kosmischen Faktoren charakterisiert das jeweils herrschende Klima (im Sinne einer mittleren Gesamtheit einschließlich seiner statistischen Charakteristik) und damit das Klimasystem. Es ist dabei äußerst wichtig, die Varianz um diese mittlere Größe und deren zeitliches Verhalten zu erkennen, eine Forschungsaufgabe, die in unserer Zeit durch die anthropogene Überlagerung des Meßsignals sehr erschwert ist und unsere Aussagen unsicher machen (siehe die Beiträge von Martin Claussen). Wir wissen heute, daß die Zusammensetzung der Atmosphäre ganz wesentlich durch die Biosphäre bestimmt wird (und umgekehrt): die Evolution des einen Reservoirs spiegelt die Geschichte des anderen wider. Wir wissen auch, daß abiotische Faktoren (Evolution der Erde und schließlich des Weltalls) sowohl periodischen Schwankungen als auch Langzeittrends unterliegen (siehe den Beitrag von Martin Claussen) aber auch zu unvorhersehbaren („katastrophalen“) Ereignissen führen können. So ist bekannt, daß nach Vulkaneruptionen (selbst in Gebieten kontinuierlicher nichteruptiver Vulkantätigkeit) viele Spurenstoffe in der Luft in Konzentrationen vielfach höher als in industriellen Ballungsgebieten angetroffen werden. Auch tropische Regenwälder können biogene Emissionen aufweisen, die denen von Städten nicht nachstehen. Man wird die Luftqualität (ein neutraler Begriff) dieser Gebiete nicht als Luftverschmutzung (ein negativer Begriff) bezeichnen wollen, da dieser Begriff ausschließlich mit menschlichen Aktivitäten verbunden ist. „Luftverschmutzung“ charakterisiert also die Abweichung in der chemischen Zusammensetzung von natürlicher („reiner“) Luft als Folge menschlicher Aktivitäten. Die chemische Luftzusammensetzung, luftchemische Prozesse und (Schlüssel-)Parameter bestimmen somit auch das Klimasystem. Die „Chemie“ somit nicht als ein Klimaelement zu betrachten (siehe den Beitrag von Detlev Möller), hieße, das Erdklima nicht verstehen zu können. Umgekehrt muß gefragt werden, wann der Mensch (und niemand wird bestreiten, das er kein biologisches Wesen ist), seine Rolle als „reiner Naturbestandteil“ aufgegeben hat, d.h. ab wann menschliche Aktivitäten „unnatürlich“ sind. Oder mit anderen Worten, ab wann der Mensch einen Klimawandel verursacht. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 7 Spätestens hier bemerken wir, wie wenig hilfreich die Begriffe „rein“, „natürlich“, „verschmutzt“ und „anthropogen“ sind im Versuch, das Klima zu charakerisieren, denn den Menschen aus dem Klimasystem (und damit der Klimadefinition) auszuschließen, hieße, unser Erdsystem unverständlich zu machen. Solange der Mensch sich in den natürlichen Stoff- und Energiehaushalt einpaßte, war er ein „natürliches“ Wesen und beeinflußte seine Umgebung nicht anders als jede andere tierische Population. Aber bereits das erste von ihm erzeugte (und dann immer mehr kontrollierte) Feuer (um Heizen und Kochen zu können sowie Licht zu haben) veränderte die natürlichen Stoffumsätze (wir müssen annehmen, daß die Luftqualität im Sinne eines lokalen Klimas in den Höhlen der Urmenschen und auch Städten des Mittelalters schauderhaft war). Die nächsten Schritte im Eingriff des Naturhaushalts waren der Ackerbau und schließlich die völlige Waldrodung in weiten Gebieten Südeuropas und des vorderen Orients vor mehr als 2000 Jahren. Es liegt auf der Hand, daß alleine die seit Jahrtausenden anhaltende Änderung der Landnutzung große klimatische Änderungen zur Folge hatte (als bestimmende Klimafaktoren seien beispielshaft genannt: biogene Emissionen, Bodenstaub, Wasserhaushalt, Albedo). Mineralurgische und vor allem metallurgische Stoffumwandlungen führten bereits vor mehr als 5000 Jahren zu Stofffreisetzungen (Emissionen), wenngleich auch zunächst wohl nur auf lokaler Skala. Die Freisetzung von Schwermetallen läßt sich jedoch bis zum Beginn der Erzverhüttung vor 3000 Jahren durch Ablagerungen in grönländischen Eisbohrkernen zurückverfolgen. Auch war mit Sicherheit die „Luftverschmutzung“ mittelalterlicher Städte (davon zeugen beispielsweise Berichte aus London und Chemnitz) – was Staub und Kohleverbrennungsprodukte betrifft – um ein Vielfaches höher als im 20. Jahrhundert, obwohl das „Stadtklima“ (siehe den Beitrag von Wilhelm Kuttler) auch in Zukunft vom „Landklima“ abweichen wird. Die sogenannte industrielle Revolution (welche eine Folge der Entwicklung von Dampfmaschine, Dynamo und Verbrennungsmotor ist und damit einer industriemäßigen Anwendung des Feuers) hatte zwar in der zweiten Hälfte der 19. Jahrhunderts den Beginn des globalen Industriezeitalters eingeleitet und auch den nun „sichtbaren“ exponentiellen Anstieg der Emissionen von Luftspurenstoffen (der übrigens sichtbar gekoppelt ist mit dem Anstieg der Weltbevölkerung), aber nicht erst den Übergang von reiner in verschmutzte Luft. Wie erwähnt, wurde der Zustand Luftverschmutzung schon im Mittelalter beschrieben und der Zustand „reine natürliche“ Luft bereits in der Antike verlassen. Somit müssen wir auch den Zustand Klimawandel als eine mit der menschlichen Gesellschaft verbundene stetige Erscheinung begreifen. Das Industriezeitalter und insbesondere die zweite Hälfte der 20. Jahrhunderts zeichnen sich jedoch durch die geographische Ausbreitung der „Luftverschmutzung“ und des „Klimawandels“ zu einem globalen Phänomen aus. Die heutige Populationsdichte und die Abtrennung anthropogener Stoff- und Energieflüsse von der Zeitskala der natürlichen Zyklen führen damit zum Problem der zeitlichen Adaptation. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Biosphäre sich an jede chemische und physikalische Zustandsänderung (was durchaus im Sinne einer Katastrophe erfolgen kann) anpaßt. Erst mit der teilweisen Abkopplung des Menschen von der Biosphäre ist eine Beurteilung/Bewertung unserer Umwelt entstanden, die – grob gesagt – zwischen den Bereichen positiv und negativ liegt. Insofern sind die Begriffe Umweltschutz, Naturschutz und Klimaschutz nicht treffend, denn wir schützen (und können es gar nicht, außer wir führen die menschliche Population auf die Stufe der Sammler und Jäger zurück) weder Klima, Natur oder gar Umwelt – wir gestalten es. Wie bereits gesagt, ändert die globale Menschheit seit mehr als 2000 Jahren die Umwelt, die Natur und das Klima. Allerdings erst vor wenigen Jahrzehnten sind wir uns dessen bewußt geworden. Paul Crutzen hat diesen anthropogenen Zeitabschnitt der Neuzeit (Holozän) vor einigen Jahren treffend als Anthropozän benannt. Wladimir Ivanowitsch Vernadskij führte um 1930 den Begriff der Noosphäre ein als eine neue Dimension der Biosphäre, welche sich unter dem Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 8 evolutionärem Einfluß des Menschen auf natürliche Prozesse entwickelt (eine schöne Definition). Wir versuchen deshalb, unsere Aktivitäten dahingehend zu ändern, um weniger Ressourcen zu verbrauchen und weniger Abfall zu produzieren. Wir versuchen, das Selbstreinigungspotential der Natur zu erhalten und wir haben das langfristige Ziel, uns in globale biogeochemische Stoffzyklen einzupassen (Stichwort Solarzeitalter) – als nachhaltige Entwicklung bezeichnet. Das scheint nach heutigem Kenntnisstand alles möglich zu sein und es dürfte auch die einzige globale Überlebensstrategie der Menschheit sein. Aus dieser globalen und langfristigen Sicht erscheinen folgende Detailfragen dennoch wichtig: • • • • • • • Wieviele Menschen „verkraftet“ die Erde (und einzelne Regionen) mit einer o.g. nachhaltigen Entwicklung? Wie ändert sich das Klima in Abhängigkeit von der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre (wo liegen die Grenzkonzentrationen für eine Klimastabilität)? Welche Eingriffe in die Landnutzung führen zu welchen Klimakonsequenzen? Wie sind die Zeitkonstanten der Klimaänderung in Beziehung zu welchen Ursachen? Welche Klimafolgen werden durch welche Klimaänderungen verursacht? Wie kann der Mensch Klimafolgen tolerieren oder sich ihnen anpassen? Was sind die notwendigen (globalen) gesellschaftlichen Entscheidungen, um eine Klimakastrophe zu verhindern? KLIMAFORSCHUNG In der englischen Sprache wird „Luftreinhaltung“ am treffendsten mit Air Pollution Control bezeichnet, also „Kontrolle der Luftverschmutzung“. Control (oder Kontrolle) heißt dabei nicht Rückführung des (realen) Luftzustandes auf den natürlichen Wert sondern Einhaltung eines (vom Gesetzgeber) vorgegebenen Grenzwertes, wobei es in der Vergangenheit (und mit Sicherheit auch in der Zukunft) notwendig war, durch geeignete technische Maßnahmen der Luftreinhaltung (besser gesagt Luftreinigung) zunächst eine Reduzierung von Emissionen zu erzielen (beispielsweise Schwefeldioxid, flüchtige organische Verbindungen, Fluorchlorkohlenwasserstoffe usw.). Das Ziel ist also nicht reine Luft im oben beschriebenen Sinne, sondern eine vom Menschen modifizierte Luft(zusammensetzung), die tolerierbar ist; im englischen treffend als clean air act bezeichnet. Tolerierbar bedeutet, nach dem Stand unseres Wissens sind keine nachteiligen Wirkungen auf den Menschen und dessen Umwelt zu erwarten (zum Beispiel ein gefährlicher Klimawandel) – eine ungute Definition, denn wer vermag schon mit Sicherheit zu sagen, was keine nachteilige Wirkung ist. So ist ein verändertes Klima zunächst weder Wirkung noch Schaden. Aber die primären (beispielsweise veränderte Niederschläge) und sekundären (beispielsweise veränderte Landnutzung) Folgen einer Klimaänderung können erhebliche gesellschaftliche Wirkungen und Schäden nach sich ziehen (siehe den Beitrag von Manfred Stock). Die Frage, ob die Grenzwerte tatsächlich dieser Forderung entsprechen kann (noch) nicht endgültig beantwortet werden. Auch wirken nicht nur einzelne Spurenstoffe, sondern zumeist alle Spurenstoffe, die in unterschiedlicher Gewichtung zu verschiedenen Wirkungspotentialen (wie Klimantrieb, Azidität, Oxidationskapazität) beitragen. Zum weiteren sind längst nicht alle Spurenstoffe in ihrer Wirkung beschrieben, denn vom Gesetzgeber in entsprechende Paragraphen gezwängt worden. Hier ist auch weniger der Gesetzgeber gefragt als vielmehr die Wissenschaft, welche sich diesen Fragen immer wieder aus neuen (!) Blickwinkeln nähern muß. Wegen der Komplexität der Beziehungen hat sich aus den in der Vergangenheit weitgehend singulär angelegten Umweltforschungsprogrammen schließlich die Erdsystemforschung entwickelt. Erdsystemforschung ist dabei als ein Modewort nichts anderes als Klimaforschung Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 9 im Humboldt´schen Sinne, d.h. die komplexe Wechselwirkung aller (physikalischen und chemischen) atmosphärischen Parameter in Wechselwirkung mit den anderen (Geo-)Sphären und der Biosphäre als auch dem Menschen zu untersuchen. Wir begreifen also, der Mensch verändert das (chemische und physikalische) Klima und es nicht zu tun, hieße, ihn auf eine vergangene Entwicklungsstufe zurückzuführen. Die Frage muß also nicht nur lauten, wie wir Klimaschutz machen, also einen tolerierbaren Klimazustand beibehalten, sondern vor allem, wie wir trotz eines Klimawandels eine nachhaltige Entwicklung der menschlichen Gesellschaft gewährleisten. Hier kommen nun tatsächlich soziologische und ökonomische Fragestellungen (und schließlich philosophische) mit ins Spiel, weil in der Definition (ist diese überhaupt möglich?) der Nachhaltigkeit die Schwierigkeiten liegen. Belassen wir es dabei, darunter ein Klima zu verstehen, daß eine positive Entwicklung der Menschheit ermöglicht. Es wird nicht anders gehen, als daß der Mensch sich auch an (physikalische und chemische) Faktoren des Klimas anpaßt indem er sich als ein (biologischer) Teil des Klimasystems versteht (siehe den Beitrag von Manfred Stock). In diesem Sinne brauchen wir keine Luftreinhaltung mehr, aber Klimaforschung, die immer wieder nach dem gegenwärtigen Klimastatus fragt und versucht, die Klimafaktoren (also Klimaelemente im erweiterten Sinne) besser zu quantifizieren. Eine Prognose des Klimas in diesem Sinne ist eine ständige gesellschaftliche Aufgabe, die mit hoher Priorität gefördert werden muß, da sie von grundlegender Bedeutung für die weitere Existenz der Menschheit ist, welche damit langfristige Anpassungsstategien entwickeln kann. Die Aufgabe der Zukunft lautet also Klimakontrolle. Diesem Anliegen entsprechen entsprechend aber gegenwärtig (leider) weder die staatliche Umweltüberwachung noch die Forschungsförderpolitik. LUFTREINHALTUNG Am 11. Dezember 1997 wurde im Rahmen der 3. Vertragsstaatenkonferenz das sogenannte „Kyoto-Protokoll verabschiedet. An dieser Fortentwicklung der Klimarahmenkonvention von 1992 beteiligten sich 160 Staaten. Dabei wurden erstmals auch rechtsverbindliche Begrenzungs- und Reduktionsverpflichtungen für die Industrieländer festlegt. Demnach müssen die Industrieländer ihre Emissionen von sechs Schlüssel-Treibhausgasen10 bis zum Jahr 2010 im Mittel um 5% gesenkt haben (bezogen auf die Werte von 1990). Berechnet wird dabei jeweils ein Mittelwert aus den letzten fünf Jahren. Bis zum Jahr 2005, so legt das Kyoto-Protokoll fest, sollen die Vertragsstaaten immerhin schon einen vorzeigbaren Fortschritt vorweisen können. Gemessen werden die Emissionen von Kohlendioxid, Methan, und Stickoxiden, außerdem die Abgabe von drei besonders langlebigen Fluorkohlenwasserstoffverbindungen. Die US-Regierung lehnt das Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz auch nach dessen Ratifizierung in der russischen Staatsduma (am 22.10.2004) weiterhin ab. Der stellvertretende Außenamtssprecher Adam Ereli sagte kürzlich11, die Position der Regierung habe sich nicht geändert: "Wir denken nicht, daß das Kyoto-Protokoll für die Vereinigten Staaten eine realistische Option ist, und wir haben nicht die Absicht, es zu unterzeichnen oder zu ratifizieren". Ungeachtet der Ratifizierung im russischen Parlament lehnt auch Australien das Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz weiterhin ab. Umweltminister Ian Campbell erklärte am 21.11.2004 in Sydney, seine Regierung glaube nach wie vor nicht an die Wirksamkeit des Protokolls beim Kampf gegen die Erderwärmung: "Australien will stattdessen ein umfassendes Abkommen mit allen Treibhausgasproduzenten". Deutschland übernimmt im Rahmen der EGLastenverteilung die Verpflichtung für den Zeitraum von 2008 bis 2012 seine Treibhausgas10 Kohlendioxid (CO2): z.B. aus Verbrennung von Kohle, Gas, Erdöl, Holz. Methan (CH4): z.B. aus: Viehzucht, Reisanbau, Deponien. Lachgas (Distickstoffoxyd N2O): Stickstoffdüngung, Deponien. Perfluorierte Kohlenwasserstoffe (PFC): Aluminium-Produktion. Halogenierte Fluorkohlenwasserstoffe (HFC): Kühlmittel, chem. Industrie. Schwefelhexafluorid (SF6): durch Hochspannungsleitungen. 11 Tagesschau am 24.11.2004 Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 10 emissionen um 21% gegenüber dem Niveau von 1990 zu reduzieren (Deutsche Reduktionsverpflichtung). Bisher konnte Deutschland bereits eine Reduktion von ca. 19% erreichen. Es wurde oft das Adjektiv global verwendet. Es geht heute um das Erdklima, also das globale Klima. Es spielt keine Rolle12, an welcher Stelle der Erde Treibhausgase emittiert oder reduziert werden, einzig der Wert der globalen mittleren atmosphärischen Konzentration ist von Bedeutung. Die Bestrebungen Deutschlands sind deshalb global völlig belanglos – vielleicht (und hoffentlich) haben sie aber einen Vorbildeffekt, der sich jedoch kaum von selbst infolge der sozialen Unterschiede umsetzen wird. Einzig globales Handeln kann zum Erfolg führen – das liegt in der Verantwortung der sog. (reichen) Industrienationen. QUINTESSENZ Im Sinne von Thesen seien hier einige Schlußfolgerungen zusammengefaßt; der Leser wird in den folgenden Beiträgen dazu ausreichend Hintergrundmaterial und weitergehende Erläuterung finden: • • • • • • Das Klima ist eine komplexe Größe, die neben pysikalischen und meteorologischen Parametern auch luftchemische Größen umfaßt. Das Klimasystem – welches unser Klima bestimmt – umfaßt neben der Atmosphäre alle anderen angrenzenden Reservoire einschließlich der Biosphäre. Die Menscheit beeinflußt und ändert das Klima seit Jahrtausenden; unser gegenwärtiges Problem resultiert aus einem raum-zeitlichen Aspekt: der globalen Wirkungsskala und der schnellen zeitlichen Änderung. Eine Klimakontrolle im 21. Jahrhundert ist wenig wahrscheinlich: wir müssen mit einer drastischen Änderung des Klimazustands und damit „gefährlichen“ Klimafolgen rechnen. Eine Klimastabilisierung auf einen zukünftigen Klimazustand wird erst nach Beendigung des Zeitalters der Verbrennung fossiler Rohstoffe erreicht werden. Langfristig (bis zum Energiesystemwechsel einschließlich der entsprechenden Nachwirkzeit) muß die Menscheit sich an einen Klimawandel anpassen und entsprechende Strategien entwickeln. KORRESPONDENZ-ADRESSE: Univ.-Prof. Dr. habil. Detlev Möller Brandenburgische Technische Universität Institut für Boden, Wasser und Luft Lehrstuhl Luftchemie und Luftreinhaltung Postfach 10 13 44 03044 Cottbus 12 Weil die Verweilzeit (Lebensdauer) dieser Stoffe viele Jahre beträgt und damit eine weitgehend globale Verteilung erfolgt. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 11 Klimaänderungen: Mögliche Ursachen in Vergangenheit und Zukunft Climate changes: possible reasons in past and future Martin Claußen1, 2 1 2 Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung Universität Potsdam, Institut für Physik ZUSAMMENFASSUNG In diesem Übersichtsartikel werden zwei Klimadefinitionen, die meteorologische und die systemanalytische, vorgestellt. Verschiedene Ursachen für Klimaänderungen werden vergleichend diskutiert: die extern angetriebene Klimavariabilität und die ohne äußeren Anstoß, aufgrund von internen Instabilitäten im System ausgelöste, freie oder interne Klimavariabilität. Sowohl die angetriebene als auch die freie Klimavariabilität kann sich durch periodische, zufällig periodische und abrupte Klimaänderungen bemerkbar machen. Abschließend werden die verschiedenen Möglichkeiten der Klimavorhersage betrachtet. ABSTRACT In this overview two definitions of climate are presented, from the meteorological point of view and from the climate system's point of view. The origin of climate change is discussed, i.e., externally forced variability and free, or internal variability that is caused without external trigger by internal instabilities of the system. Both, forced and free variability can appear as periodic, randomly quasi-periodic, and abrupt climate change. Finally, various possibilities of climate forecast are considered. WAS IST KLIMA? Die meteorologische Klimadefinition In der älteren Literatur wird Klima als "die Gesamtheit aller meteorologischen Erscheinungen" definiert, "die den mittleren Zustand der Atmosphäre an irgend einer Stelle der Erdoberfläche charakterisieren" (Hann 1883). Wenn wir den momentanen Zustand der Atmosphäre an einem Ort als Wetter bezeichnen, dann ist Klima nach dieser Definition gleichbedeutend mit mittlerem Wetter. Die World Meteorological Organization (WMO) hat für die Zeitspanne, über die der Mittelwert des Wetters berechnet werden sollte, auf 30 Jahre festgelegt. Daher werden für Klimavergleiche häufig die Zeiträume 1931–1960 bzw. 1961–1990 gewählt. Man findet in der Literatur aber auch andere Mittelungszeiträume. Im Laufe des letzten Jahrhunderts wurde der Klimabegriff dahingehend erweitert, dass neben dem Mittelwert auch die höheren statistischen Momente in die Klimadefinition einbezogen werden. Nach der neueren Definition beschreibt Klima das "statistische Verhalten der Atmosphäre, das für eine relativ große zeitliche Größenordnung charakteristisch ist." (Hantel et al. 1987). Die Klimavariablen, auch manchmal Klimaelemente genannt, werden als statistische Kenngrößen angegeben wie zum Beispiel Jahres- oder Monatsmittel (Jahresmitteltemperatur, mittlere Jahresniederschlagssumme, usw.) oder als Eintrittswahrscheinlichkeit und Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 12 Häufigkeit von Ereignissen (mittlere Andauer von Dürren, Surmhäufigkeit, Häufigkeit von Starkniederschlägen, usw.). Da Klima sich sowohl räumlich wie auch zeitlich ändert, gehören zur Angabe der Klimaelemente auch Ort und Mittelungszeitraum, für welche die statistischen Kenngrößen gelten. Die systemanalytische Klimadefinition Die meteorologische Klimadefinition – vom Autor 'meteorologisch' genannt, weil sie sich auf meteorologische Kenngrößen bezieht – hat sich in der Klimatologie, der eher beschreibenden Wissenschaft des Klimas, bewährt. Zum Verständnis der Klimadynamik, also der Prozesse, die den mittleren Zustand und die Variabilität der Atmosphäre über längere Zeiträume bestimmen, reicht die meteorologische Definition nicht aus, denn die längerfristigen Veränderungen der Atmosphäre werden wesentlich durch die Wechselwirkung der Atmosphäre mit dem Ozean, der Vegetation und den Eismassen geprägt. Aus diesem Grunde wird in der Klimadynamik, wie in den modernen Lehrbüchern der Meteorologie und der Klimaphysik nachzulesen ist (zum Beispiel Kraus 2000, Peixoto und Oort 1992), das Klima über den Zustand und das statistische Verhalten des Klimasystems definiert. Das Klimasystem (Abb. 1) besteht aus verschiedenen Untersystemen: der Atmosphäre, der Hydrosphäre (dazu gehören Ozean, Flüsse, Seen, Regen, Grundwasser), der Kryosphäre (Inlandeismassen, Meereis, Schnee, Permafrost), der marinen und terrestrischen Biosphäre, dem Erdreich, und, wenn die Klimaentwicklung über viele Jahrtausende betrachtet wird, der Erdkruste und dem oberen Erdmantel. Diese Unterteilung erfolgt im Wesentlichen aufgrund der beteiligten Medien (gasförmig, flüssig, fest) und der Zeitskalen, die für typische Änderungen in den Untersystemen beobachtet werden können. Die Untersysteme sind über Energie-, Impuls- und Stoffflüsse miteinander gekoppelt. Zu den Stoffflüssen muss auch der Transport chemischer Substanzen und deren Umwandlungsprozesse hinzugerechnet werden, soweit diese Substanzen – wie zum Beispiel Treibhausgase oder Nährstoffe der Biosphäre – direkt oder indirekt mit dem Energiekreislauf in Verbindung stehen. Abb. 1: Schematische Darstellung des Klimasystems und seiner Untersysteme sowie der die Untersysteme verbindenden Flüsse Fig. 1: Schematic presentation of the climate system and its subsystems including the fluxes Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 13 Die Definition des Klimasystems wird nicht aus übergeordneten Prinzipien abgeleitet, sondern ist als eine pragmatische Eingrenzung des zu untersuchenden Gegenstandes durch Unterteilung in System und dessen Umgebung zu interpretieren. Die Abgrenzung des Klimasystems zur Umgebung wird so vorgenommen, dass kein wesentlicher Massenfluss zwischen dem System und der Umgebung auf den für die Untersuchung relevanten Zeitskalen stattfindet. Kraus (2000) zählt auch die Anthroposphäre, die Welt menschlichen Handels, zum Klimasystem. Dies erscheint mir unpragmatisch, da sich das menschliche Handeln, insbesondere Kultur und Psychologie, der thermodynamischen Beschreibung entzieht. Die Summe von Klimasystem und Anthroposphäre wird in der Literatur auch als Erdsystem definiert (Schellnhuber und Wenzel 1998, Schellnhuber 1999, Claußen 1998, 2001), wobei in diesem Zusammenhang statt Klimasystem synonym die Begriffe Natursphäre oder Ökosphäre gebraucht werden. KLIMAANTRIEB Abb. 2 zeigt skizzenhaft die Variabilität der bodennahen Lufttemperatur so, wie sie in vielen Klimaarchiven – Ablagerungen im Eis, im Erdreich oder im See- oder Meeresboden, aus denen das Klima rekonstruiert wird – zu finden ist. Eine Anzahl von Maxima ragen aus dem kontinuierlichen Spektrum, der Hintergrundsvariabilität, heraus. Manche dieser Maxima können als direkte Antwort des Klimasystems auf äußere Klimaantriebe verstanden werden, als erzwungene oder angetriebene Klimavariabilität. Andere Maxima entstehen durch Instabilitäten innerhalb des Klimasystems bei konstantem Klimaantrieb. Diese Art der Klimaänderungen wird freie oder interne Klimavariabilität genannt (Lorenz 1979). Betrachten wir zunächst die bisher bekannten und vermuteten Klimaantriebe, die vom Autor in drei Gruppen unterteilt werden: astronomische, tektonische und anthropogene Antriebe. Abb. 2: Idealisierte schematische Darstellung des Spektrums atmosphärischer Temperaturvarianz nach Crowley und North (1992) Fig. 2: Idealized schema of the spectrum of temperature varaiances, after Crowley and North (1992) Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 14 Astronomischer Antrieb Leuchtkraft der Sonne Die Leuchtkraft der Sonne und damit der solare Energiefluss ändert sich auf nahezu allen Zeitskalen. Die Sonne wird, wie sämtliche Sterne, im Laufe ihres Lebens immer heißer, und der solare Energiefluss, der das Klimasystem der Erde erreicht, nimmt stetig zu. Vor etwa 3,5 Milliarden Jahren, als sich das Leben auf unserem Planeten zu entwickeln begann, war der solare Energiefluss etwa 35% schwächer als heute. Für die Betrachtung der Klimadynamik im Laufe der letzten Jahrtausende sind die Schwankungen der Sonne im Bereich von etwa 11, 22, 78, 211 und vermutlich auch 1500 und 2500 Jahren interessant. Der solare Energiefluss einschließlich seiner Schwankungen kann erst in den letzten etwa 20 Jahren von Satelliten aus direkt gemessen werden. Für die Zeit davor werden die solaren Schwankungen aus Beobachtungen der Änderungen der Sonnenflecken oder aus Messungen der kosmogenen Isotope 14C und 10Be, die sich in verschiedenen Klimaarchiven finden, abgeschätzt (Lean et al. 1995, Bard et al. 2000). Wie sich die Schwankungen des solaren Energieflusses bemerkbar machen, darüber gibt es verschiedene Theorien, die im dritten Sachstandsbericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change – Ramaswamy et al. 2001, S. 380 ff.) vergleichend bewertet werden. Die einfachste Erklärung, nach der die Schwankungen im solaren Energieangebot den Energiehaushalt der bodennahen Luftschicht direkt beeinflussen, scheint sich bei der Erklärung der Temperaturschankungen der letzten 1000 Jahre zu bewähren (Cubasch et al. 1997, Brovkin et al. 1999, Crowley 2000, Bauer et al. 2003) Kosmische Partikelstrahlung und Erdmagnetfeld Die kosmische Partikelstrahlung hat sich im Laufe der Erdgeschichte geändert, zum Beispiel beim Ausbruch einer Super Nova oder wenn das Sonnensystem – vermutlich mit einer Periode von etwa 200 Millionen Jahren – den Spiralarm einer Galaxis kreuzt (Shaviv 2002). Bei der Betrachtung der letzten Jahrhunderte und Jahrtausende wird davon ausgegangen, dass die kosmische Partikelstrahlung konstant ist. Allerdings ändert sich der Fluss kosmischer Partikel in die Erdatmosphäre dadurch, dass Intensität und Form des Magnetfeldes der Erde, das die kosmische Partikelstrahlung abschirmt, schwanken. Dies geschieht durch solare Aktivitäten (Sonnenwind) oder durch Vorgänge im Erdinnern, die das Erdmagnetfeld induzieren (letzterer Antrieb müsste daher konsequenterweise dem tektonischen Antrieb zugeordnet werden). Die Klimarelevanz kosmischer Partikelstrahlung wird zur Zeit kontrovers diskutiert. Es gibt Untersuchungen, die eine Korrelation zwischen aus direkten Messungen – diese jedoch nur einen sehr kurzen Zeitraum – und aus indirekten Messungen mit Hilfe kosmogener Isotope abgeschätzten Schwankungen der kosmischen Partikelstrahlung und meteorologischer Parameter, wie Temperatur, Niederschlag oder Bewölkung ableiten (zum Beispiel Svensmark und Friis-Christensen 1997). Jedoch ist der physikalische Wirkungspfad bisher nicht geklärt (Kernthaler et al. 1999). Zudem haben Sun und Bradley (2002) unlängst festgestellt, dass die von Svensmark und Friis-Christensen gefundene Korrelation nicht mehr existiert, wenn Daten aus weiter zurückliegenden Zeiten in die statistische Analyse mit einbezogen werden. In manchen Fällen ist die hohe Korrelation zwischen Änderung kosmischer Partikelstrahlung und atmosphärischer Klimaelemente leider auch auf fehlerhafte, zum Teil unwissenschaftliche Behandlung der Daten zurückzuführen (Laut 2003). Interessanterweise zeigen Kristjansson et al. (2002), dass in dem Zeitabschnitt, für den eine Korrelation gefunden wurde, die Korrelation des solaren Energieflusses mit der Bewölkung deutlich größer ist, als die der kosmischen Partikelstrahlung mit der Bewölkung. Dies spricht für die im vorigen Abschnitt Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 15 geäußerte Vermutung, Änderungen im solaren Energiefluss seien der wichtigere solare Klimaantrieb. Asteroiden Die Erde wurde im Laufe ihrer Geschichte häufiger von einem Asteroiden getroffen. Der Aufschlag großer extraterrestischer Körper hinterlässt deutliche Spuren nicht nur in der Erdoberfläche, sondern auch im Klima (Gersonde et al. 1997). Unser Erdsystem scheint allerdings stabil genug zu sein, dass selbst Einschläge größerer Asteroide von mehreren Kilometern Durchmesser, wie zum Beispiel vor gut 65 Millionen Jahren geschehen, nicht sämtliches Leben auf der Erde vernichten und unser Klima lebensfeindlich verändern. Für die gegenwärtige Klimadiskussion spielt dieser Faktor keine Rolle. Die Erdbahn um die Sonne Dynamisch betrachtet ist die Erde ein rotierender Kreisel, auf den die Anziehungskräfte der Sonne, des Mondes und der größeren Planeten wirken. Da diese Anziehungskräfte nicht im Massenmittelpunkt der Erde angreifen, entstehen Drehmomente, so dass der Erdkreisel taumelt. Dies macht sich durch Schwankungen in der Exzentrizität („Ellipsenförmigkeit“) der Erdbahn, der Schiefe der Ekliptik (Neigung der Erdachse gegenüber der durch die Erdbahn um die Sonne aufgespannten Fläche) und der Lage der Äquinoktien (Länge des Winterhalbjahres im Vergleich zum Sommerhalbjahr und Zeitpunkt, an dem die Erde der Sonne am nächsten steht) bemerkbar. Die Schwankungen der Exzentrizität zeigen maximale Änderungen bei Perioden von 412.000 Jahren und etwa 100.000 Jahre. Die Schiefe der Ekliptik ändert sich mit einer Periode von etwa 41.000 Jahren und die Lage der Äquinoktien mit einer Doppelperiode von etwa 23.000 und 19.000 Jahren (Berger 1978). Das Signal der Ekliptikänderungen und der Präzession der Äquinoktien ist in den Klimaarchiven so klar zu erkennen, dass man diese präzise berechenbaren astronomischen Änderungen in vielen Fällen dazu benutzt hat, um die Klimaarchive zu datieren, also die Tiefe, in der ein Klimasignal gefunden wird, einem bestimmten Zeitpunkt zuzuordnen. Die Schwankungen der Exzentrizität erzeugen nur geringe Änderungen in der global gemittelten Einstrahlung und der geografischen Verteilung. Jedoch ist die 100.000 jährige Periode die bei weitem stärkste (Abb. 3). Abb. 3: Rekonstruktion der Temperaturschwankungen und Messungen der CO2-Schwankungen in der Antarktis während der letzten 400.000 Jahre (gezeichnet nach Petit et al. 1999) Fig. 3: Reconstruction of temperature variations and measurements of CO2 variations in Antarctic ice cores over the last 400000 years (after Petit et al. 1999) Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 16 Warum das Klimasystem so stark disproportional (nichtlinear) auf diese eher marginale Antriebsschwankung reagiert, ist bis heute noch nicht zufriedenstellend geklärt. Eine Übersicht der gängigen Theorien zur Erklärung des 100.000-jährigen Klimazyklusses bietet das Lehrbuch von Saltzman (2002). Änderung der Erdrotation Um die Liste bekannter astronomischer Antriebe zu vollständigen, sei die Änderung der Erdrotation erwähnt. Die Erdrotation nimmt im Laufe der Erdgeschichte allmählich ab und damit die Tageslänge zu. Vor gut 1 Milliarden Jahre dauerte ein Tag nur etwa 21 Stunden. Die Änderung der Tageslänge beeinflusst die Struktur der großräumigen Zirkulation in der Atmosphäre und im Ozean. Allerdings spielt dieser Effekt nur bei der Betrachtung der sehr langfristigen Klimaentwicklung eine Rolle. Tektonische Änderungen Plattentektonik Langsame Konvektionsbewegungen im Erdmantel führen zu tektonischen Prozessen, wie Kontinentaldrift, Auffaltung von Gebirgen, Änderung des Ausgasens von CO2 , Wasser und anderen Stoffen aus dem Erdinneren. Sie spielen als langsame Prozesse für die langfristige Klimadynamik (zum Beispiel Wechsel zwischen Eiszeitalter und Heißzeiten im Laufe der Jahrmillionen) ein prägende Rolle (Crowley und North 1992). Ob ein Inlandeisschild existieren kann – dies definiert eine Eiszeit – hängt wesentlich von der Größe und der Lage der Kontinente zu einem der beiden Pole ab. Die Existenz des grönländischen und antarktischen Eisschildes zeigt, dass wir uns gegenwärtig in einer Eiszeit befinden, der quartären Eiszeit, allerdings in der Warmphase der Eiszeit. Die Warmphase und die Kaltphase einer Eiszeit werden auch als Interglazial beziehungsweise Glazial bezeichnet Vulkanismus Für kurzfristige klimatische Einflüsse ist die an tektonische Prozesse gekoppelte Vulkantätigkeit mitverantwortlich. Durch Vulkanaktivität gelangen gasförmige und partikelförmige Spurenstoffe in die Atmosphäre, die den Strahlungshaushalt der Atmosphäre ändern. Die Vulkanaktivität ändert sich unregelmäßig und kann nicht vorrausgesagt werden. Der Zeitpunkt einzelner Vulkanausbrüche kann anhand von historischen Aufzeichnungen oder direkt durch Ascheschichten in datierbaren marinen und terrestrischen Ablagerungen bestimmt werden (siehe in Crowley 2000). Die Rekonstruktion der Intensität eines Vulkanausbruches und der damit verbundenen Emission von Stoffen ist jedoch mit großer Unsicherheit verbunden. Der Effekt einzelner starker Vulkanausbrüche lässt sich in den Klimaarchiven als kurzfristige, nicht länger als etwa drei Jahre andauernde Abkühlung wiederfinden. Für Klimabetrachtungen ist daher nicht der einzelne Vulkanausbruch interessant, sondern ob Vulkanausbrüche gehäuft auftreten oder über eine längere Zeit ausbleiben. Anthropogener Einfluss Treibhausgasemissionen Der Mensch hat die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre geändert, und zwar im Wesentlichen durch Emission von Treibhausgasen, Ruß und aerosolbildende Substanzen. Die Zunahme der CO2-Konzentration in der Luft um gut 30% während der letzten etwa 150 Jahre Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 17 ist zum allergrößten Teil auf die Verbrennung fossilen Kohlenstoffs zurückzuführen (Prentice et al. 2001). Zurzeit werden dadurch etwa 6 Milliarden Tonnen Kohlenstoff pro Jahr oder umgerechnet 22 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr in die Atmosphäre emittiert. Damit ist die anthropogene Emission von CO2 etwa 50 bis 100mal stärker als das natürliche Ausgasen aus dem Erdinneren. In der Tat lässt sich mindestens für die letzten 420.000 Jahre kein solch drastischer Anstieg wie der zurzeit gemessene in den Klimaarchiven nachweisen. Vermutlich gab es vor etwa 55 Millionen Jahren einen vergleichbaren CO2-Emissionsstoß (Schrag und McCarthy 2002). Auch die atmosphärische CO2-Konzentration ist auf Werte angestiegen, wie sie seit mindestens 420.000 Jahren vermutlich sogar der letzten 20 Millionen Jahre nicht vorgekommen sind. Treibhausgase in der Atmosphäre absorbieren die Wärmestrahlung der Erdoberfläche und strahlen ihrerseits in den Weltraum und in Richtung Erdoberfläche aus. Letzterer Teil wird wieder von der Erdoberfläche absorbiert, so dass die Atmosphäre insgesamt wärmer ist als ohne Treibhausgase. Zwischen Treibhausgasemission und Treibhauseffekt besteht kein linearer Zusammenhang, da die meisten Absorptionsbanden der natürlichen Treihausgase nahezu gesättigt sind. Deshalb leisten lediglich die Flügelbereiche der Absorptionsbanden natürlicher Treibhausgase und die noch nicht gesättigten Absorptionsbanden einiger anthropogener Treihausgase (wie zum Beispiel die FCKWs) einen Beitrag. Aber dieser Beitrag hat immer noch beachtliche Auswirkungen. Der natürliche, vom Menschen unbeeinflusste Treibhauseffekt beträgt etwa 33oC (Änderung der globalen bodennahen Mitteltemperatur einer Erde mit gegenüber einer Erde ohne Treibhauseffekt), wenn man die durch den Treibhauseffekt angestoßenen Wechselwirkungen im Klimasystem (siehe Abschnitt 3.2) hinzurechnet. Der durch die anthropogene Treibhausgasemission ausgelöste „zusätzliche“ Treibhauseffekt ist dagegen gering, etwa 1oC bei einer Verdoppelung der vorindustriellen Treibhausgaskonzentration, wenn man nur die Wirkung dieses zusätzlichen Treibhauseffektes betrachtet. Wenn man die durch den zusätzlichen Treibhauseffekt angestoßenen verstärkenden und abschwächenden Wechselwirkungsprozesse im Klimasystem hinzurechnet, ergeben sich aus Klimamodellrechnungen ungefähr 3.5 oC +/–1.5oC (Cubasch et al. 2001). Dies ist eine kräftige Temperaturerhöhung, wenn man bedenkt, dass der Unterschied in der globalen Mitteltemperatur zwischen dem Höhepunkt der letzten Vereisung vor gut 21.000 Jahren und dem heutigen Klima etwa 4oC bis 5oC beträgt. Betrachtet man die verschiedenen Abschätzungen möglicher CO2Emissionen, so ist eine Verdoppelung der vorindustriellen CO2-Konzentration innerhalb der nächsten hundert Jahren eine eher konservative, vorsichtige Schätzung (Prentice et al. 2001). Landnutzung Seit Jahrtausenden hat der Mensch die Landoberfläche durch Landnutzung in stetig steigendem Maße geändert. Abschätzungen zufolge sind zurzeit 1/3 bis 1/2 der gesamten Landoberfläche direkt davon betroffen (Vitousek et al. 1997). Durch die Landnutzung wird die Struktur der Landoberfläche geändert; landwirtschaftliche Flächen sind in vielen Fällen heller als Waldflächen und zeigen auch ein anderes Verdunstungsverhalten. Obwohl die Wechselwirkungsprozesse zwischen Landoberfläche und bodennahem Klima im Detail sehr komplex sind – manche Prozesse führen zur Erwärmung, manche zur Abkühlung, und in unterschiedlichen Klimazonen dominieren verschiedene Prozesse – , zeigt sich im globalen Mittel eine leichte Abkühlung der bodennahen Luftschicht, und zwar im Wesentlichen aufgrund der Zunahme des Reflexionsvermögens solarer Strahlung (Claußen et al. 2003). Klimasimulationen über die letzten 1000 Jahre zeigen, dass die kleine Eiszeit bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts andauerte, obwohl die natürlichen Antriebe wie Änderung des solaren Energieflusses und Vulkanaktivität, aber auch die anthropogene CO2-Emission eine Erwärmung erwarten lassen (Abb. 4, Bauer et al. 2003 ). Dieser Effekt ist in dem Klimamodell der Landnutzung zuzuschreiben. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 18 Neben der Änderung der Struktur der Landoberfläche trägt die Landnutzung auch zur CO2Emission bei, zum Beispiel durch Brandrodung. Die derzeitige mit der Landnutzung einhergehende Kohlenstoffemission wird auf etwa 2 Milliarden Tonnen pro Jahr abgeschätzt. Abb. 4: Abschätzung der bodennahen Temperatur im Mittel über die Nordhemisphäre im Verlauf der letzten 1000 Jahre. Schwarze Kurve: Rekonstruktion aus Klimaarchiven (gepunktete Kurve: Jones et al. 1998; strichpunktierte Kurve: Mann et al. 1999), hellgraue Kurve: Modellrechnung mit natürlichem Antrieb (Änderung des solaren Energieflusses und Vulkanaktivität), dunkelgraue Kurve: Modellrechnung mit natürlichen und anthropogenem Antrieb (CO2-Emission und Landnutzung); geändert nach Bauer et al. (2003) Fig. 4: Assessment of North hemispheric mean surface temperature within the last 1000 years. Black line: Reconstruction from climate archives (dotted line: Jones et al. 1998; dashed line: Mann et al. 1999), light grey line: model calculation with natural forcing (change of solar activity and volcanism), dark grey line: model calculation with natural and anthropogenic forcing (CO2 emission and land use); changed after Bauer et al. (2003) Änderung der Klimaantriebe während der letzten Jahrhunderte Aus den obigen Abschnitten wird deutlich, dass – sieht man von interner Klimavariabilität ab – im Wesentlichen nur Änderungen im solaren Energiefluss und der Vulkanaktivität sowie die menschlichen Aktivitäten die Klimaänderungen der letzten Jahrhunderte angestoßen haben können. Für den Einfluss kosmischer Strahlung fehlt ein überzeugender Beleg (statistische Zusammenhänge können Hinweise geben, aber nicht erklären). Klimasimulationen (Crowley 2000, Bauer et al. 2003), in den die verschiedenen natürlichen Antriebe aus Rekonstruktionen vorgegeben wurden, zeigen qualitativ das gleiche Bild (Abb. 4 als Beispiel): Die Klimaentwicklung der letzten 1000 Jahre lässt sich nicht ohne die Variabilität der natürlichen Antriebe reproduzieren, und ebenso die Klimaentwicklung der letzten 100 Jahre nicht ohne Hinzunahme der anthropogenen Faktoren. Mehr noch: es ist erkennbar, dass wahrscheinlich vor Beginn der industriellen Revolution vor gut 150 Jahren die natürlichen Klimaantriebe dominierten und seit gut 100 Jahren der anthropogene Antrieb. Insbesondere die Erwärmung der bodennahen Atmosphäre während der letzten Jahrzehnte ist zum größten Teil auf die anthropogene Treibhausgasemission zurückzuführen. INTERNE KLIMAVARIABLITÄT UND WECHSELWIRKUNGSPROZESSE Auch wenn der Klimaantrieb konstant bliebe, wenn sich zum Beispiel die Erde relativ zur Sonne nicht bewegte, entstünde Klimavariabilität, die interne oder freie Klimavariabilität. Ein anschauliches Beispiel für freie Variabilität in einem Laborexperiment ist mit Pfeffer bestreutes Öl in einer heißen Pfanne. Bei geringer Heizung der Pfanne entstehen streifenartige oder Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 19 wabenförmige Muster. Bei heißerer Pfanne bewegen sich diese Muster schwingungsartig, ohne dass der Antrieb selbst schwanken würde und schließlich entsteht bei hinreichend heißer Pfanne eine turbulente Bewegung; das Öl bruzzelt. Die in der Natur beobachteten und rekonstruierten Klimaschwankungen sind im Allgemeinen eine Kombination aus beidem, aus erzwungener und freier Variabilität. Um eine Vorstellung von der freien Klimavariabilität zu bekommen, sollen hier die dynamischen Eigenschaften einzelner Klimasystemkomponenten und die beobachteten Perioden – die Zeitskalen – der Bewegungsvorgänge in den Klimasystemkomponenten skizziert werden. Diese Skizze ist eine Zusammenfassung ausführlicherer Diskussionen in Peixoto und Oort (1992) und Saltzman (2002). Typische Zeitskalen der Bewegung der einzelnen Klimasystemkomponenten Die Atmosphäre ist die gasförmige Komponente im Klimasystem, ein Gemisch bestehend im Wesentlichen aus Stickstoff und Sauerstoff und einem geringen Anteil von Spurengasen wie Argon, Kohlendioxid, Ozon. Der Wasserdampfanteil in der Atmosphäre, der räumlich und zeitlich stark variiert, beträgt wenige Volumenprozent. Der größte Teil, etwa dreiviertel der Masse der Atmosphäre befindet sich in der Troposphäre, der unteren, gut 10 km mächtigen, Schicht der Atmosphäre. Die Troposphäre wird manchmal auch als Wetterschicht bezeichnet. Relativ – im Verhältnis zum Wasser – geringe Wärmekapazität und hohe Beweglichkeit kennzeichnen die Energie- und Impulsbilanz der Troposphäre. Das Wetter – ein typisches Beispiel für interne Variabilität, da der Wetterverlauf nicht von außen taktiert wird – ändert sich innerhalb weniger Tagen, oder anders formuliert, die dominante Zeitskala der Bewegungsvorgänge in der Troposphäre liegt im Bereich von einigen Tagen. In den Tropen treten auch Wetterphänomene mit einer Zeitskala von 2 Monaten auf. In der Stratosphäre, der etwa 20 km mächtigen Schicht oberhalb der Troposphäre, liegen die Zeitskalen der im Wesentlichen wellenartigen Bewegung bei 100 Tagen bis zu etwa 2 Jahren. Die Hydrosphäre umfasst die flüssige Wasserphase im Klimasystem, also im Wesentlichen den Ozean, aber auch Regen, Flüsse, Seen und Grundwasser. Wie die Atmosphäre, so ist auch der Ozean ein geschichtetes Medium. Die typische Zeitskala für die Wärmeausbreitung im oberen Teil des Ozeans, der so genannten etwa 100 – 200 Meter mächtigen Deckschicht, beträgt einige Monate. Im tropischen Pazifik treten in Schwingungen der äquatorialen Wassermassen das so genannte El-Nino-Phänomen mit einer Zeitskala von einigen Jahren auf. Um den Ozean in seiner gesamten vertikalen Mächtigkeit von der Deckschicht bis in den tiefen Ozean vollständig zu durchmischen, so dass sich ein neuer Gleichgewichtszustand einstellt, braucht es einige 1000 Jahre. Als Kryosphäre wird die feste Wasserphase im Klimasystem bezeichnet. Dazu gehört das Meereis, das neben dem ausgeprägten Jahresgang – dies ist der erzwungene Anteil der Variabilität – typische Zeitskalen der Bewegung, zum Beispiel der maximalen Ausdehnung des Wintereises, von 5 bis 10 Jahren aufweist. Die Gebirgsgletscher und die großen Inlandeismassen sind zähfließende Medien, wobei die Gebirgs- oder Talgletscher mit Zeitskalen von 10 bis 104 Jahren sich rascher bewegen können als die Inlandeismassen mit Zeitskalen von 103 bis 105 Jahren. Die große Spanne der kryosphärischen Zeitskalen erklärt sich daher, dass Gletscher und Inlandeismassen langsam anwachsen, aber rasch abbrechen und abschmelzen können. Die Biosphäre umfasst den belebten Teil im Klimasystem auf dem Land und im Wasser. Die Zeitskalen der marinen Biosphäre werden durch den Wechsel der Lichtverhältnisse und durch die Bewegung des Ozeans geprägt. In der terrestrischen Biosphäre unterscheiden wir drei Zeitskalenbereiche. Die Blattspaltöffnungen, die Stomata, über die die Pflanzen das CO2 mittels der Photosynthese aufnehmen, können sich neuen Umweltbedingungen, insbesondere dem Wechsel des Sonnenlichts, innerhalb weniger Minuten anpassen. Ändert sich der mittlere Zustand der Atmosphäre, ändert sich zunächst die Zusammensetzung eines Pflanzenbestan- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 20 des. Diese so genannte Sukzession findet innerhalb von wenigen Jahren oder Jahrzehnten statt. Bei langandauernden Änderungen der Atmosphäre bilden sich innerhalb von einigen hundert Jahren neue Makroökosysteme. Die typischen Zeitskalen der Austauschprozesse – im Wesentlichen Erwärmung und Abkühlung des Bodens sowie Versickern von Wasser – im oberen Erdreich, der Pedosphäre, betragen für die ersten Meter etwa einige Tage bis Jahre und wachsen für die Grundwasserneubildung auf 104 Jahre an. Erosionsprozesse haben Zeitskalen von über 105 Jahre. Beim Aufbau von Inlandeismassen wird die Erdkruste in den oberen Erdmantel eingedrückt. Diese vertikale Ausgleichsbewegung der Lithosphäre verläuft auf Zeitskalen von 104 Jahren. Wechselwirkung zwischen den Klimasystemkomponenten Sämtliche Klimasystemkomponenten stehen direkt oder indirekt über den Austausch von Energie, Impuls und Stoffen miteinander in Wechselwirkung. Da die Klimasystemkomponenten deutlich unterschiedliche Zeitskalen der Bewegung aufweisen, führt diese Wechselwirkung zu einer Hintergrundsvariabilität, die, wie in Abb. 2 dargestellt, mit abnehmender Frequenz kontinuierlich zunimmt. Dies geschieht durch das Aufintegrieren schneller Veränderungen in den unterschiedlich trägen Klimasystemkomponenten (Hasselmann 1976). Zum Beispiel können sich die Wetterfluktuationen über endliche Zeitintervalle zufälligerweise zu einer Anomalie addieren, die im Ozean dann eine Temperaturanomalie erzeugt, die erheblich länger andauert als die Wetterfluktuation selbst. Eine weitere wichtige Eigenschaft der Wechselwirkungsprozesse zwischen den Klimasystemkomponenten besteht darin, einmal angestoßene Klimaänderungen verstärken oder abschwächen zu können. Hierbei spielt insbesondere der Wasserkreislauf eine bedeutende Rolle, der über die bei der Umwandlung zwischen den drei Phasen des Wassers (Dampf, flüssiges Wasser, Eis) benötigte oder freigesetzte Energie eng mit dem Energiekreislauf verknüpft ist. Um ein Beispiel zu nennen: Jede Temperaturänderung in der Atmosphäre wirkt sich auf die Wasseraufnahmefähigkeit der Luft aus. Steigt aufgrund erhöhter CO2-Konzentration in der Atmosphäre über den Treibhauseffekt die Temperatur der bodennahen Luftschicht, kann mehr Wasser aus dem Ozean in die Atmosphäre verdunsten. Der Wasserdampfgehalt der Luft nimmt zu. Da Wasserdampf ebenfalls ein Treibhausgas ist – das bei weitem wichtigste, natürlich vorkommende Treibhausgas –, wird der „trockene“ (durch CO2-Änderungen angestoßene) Treibhauseffekt noch durch den 'feuchten' (mit Wasserdampf einhergehenden) Treibhauseffekt verstärkt. Andere Prozesse des Wasserkreislaufes, wie zum Beispiel die Wolkenbildung, können Temperaturänderungen verstärken oder abschwächen. Wolken vermindern einerseits die Wärmeausstrahlung der Erdoberfläche in den Weltraum, andererseits reflektieren sie die Sonnenstrahlung. Wie bereits im Abschnitt 2.3.1 erwähnt, überwiegen die durch den anthropogenen (trockenen) Treibhauseffekt ausgelösten verstärkenden Rückkopplungsprozesse die abschwächenden, wobei der feuchte Treibhauseffekt hieran den größten verstärkenden Effekt hat. Auch die Schwankungen der CO2-Konzentration in der Atmosphäre sind im natürlichen, vom Menschen unbeeinflussten Klimasystem als Teil des natürlichen Kohlenstoffkreislaufes, ein Produkt interner Austauschprozesse – die im Wesentlichen zwischen Atmosphäre, Vegetation und Ozean stattfinden, wenn Zeitskalen über Jahrtausende betrachtet werden – sowie der Verwitterung und dem Ausgasen aus dem Erdinneren auf längeren Zeitskalen. Die manchmal in der populärwissenschaftlichen Literatur vertretene Meinung, Klima und atmosphärische CO2-Konzentration seien voneinander entkoppelt, ist im Sinne der Klimadynamik ein Widerspruch in sich. Die atmosphärische CO2-Konzentration ist wie die Temperatur oder die Strömungsgeschwindigkeit im Ozean oder die Fläche des Meereises ein Klimaelement. Die Änderungen der CO2-Konzentration in der Atmosphäre kann zum Teil als verstärkender Rückkopplungsprozess interpretiert werden. Eine Zunahme von CO2 in der Atmosphäre Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 21 lässt die bodennahe Temperatur ansteigen, was dazu führt, dass mehr CO2 aus dem wärmeren Ozean entweicht und so den trockenen Treibhauseffekt verstärkt. Allerdings ist dies nur ein kleiner Teil der Rückkopplungsprozesse, denn die CO2-Konzentration in der Atmosphäre hängt auch von chemischen Umwandlungsprozessen im Ozean ab und von der Dynamik des in der terrestrischen Biomasse gebundenen Kohlenstoffs. Warum die Temperatur und die CO2-Konzentration in der Atmosphäre sich während der letzten mindestens 400.000 Jahre im großen und ganzen nahezu parallel entwickelt haben (Petit et al. 1999, siehe Abb. 3) und warum während der letzten etwa 8.000 Jahre vor der industriellen Revolution die atmosphärische CO2-Konzentration trotz einer allmählichen globalen Abkühlung leicht angestiegen ist, ist bis heute noch nicht vollständig verstanden (Brovkin et al. 2002). Die Wechselwirkung zwischen Atmosphäre und Vegetation ist – sieht man von den menschlichen Eingriffen der Landnutzung ab – ebenfalls ein natürlicher Rückkopplungsprozess, der Klimaänderungen verstärken kann. Änderungen des bodennahen Klimas beeinflussen die Wachstumsbedingungen der Pflanzen und dies führt, wie im Abschnitt 2.3.3 erwähnt, zu Änderungen der Strahlungs- und Verdunstungseigenschaften der Landoberfläche, die wiederum das bodennahe Klima bestimmen. Diese so genannte biogeophysikalische Wechselwirkung kann die Wüstenbildung in Nordafrika steuern (siehe unten). Die Verschiebung der Baumgrenze in der Arktis hat einen erheblichen Einfluss auf die Meereisbedeckung oder gar das Vordringen von Inlandeismassen (Otterman et al. 1984). Da die schneebedeckte Tundra erheblich heller ist als die schneebedeckten Waldflächen der Taiga, kann die Taiga im Frühling und Frühsommer mehr Sonnenenergie absorbieren und so ein für sich günstigeres Klima schaffen. Ein wärmeres Klima ist dagegen ungünstig für die Ausbreitung von Eismassen, die sich also zurückziehen. Umgekehrt führt eine Abkühlung zu einem Rückzug der Waldflächen und damit zu einer weiteren Abkühlung der Region. Klimasprünge In den Klimaarchiven finden sich zahlreiche Beispiele rascher Klimaänderungen, so genannter Klimasprünge, die als interne Variabilität, angeregt durch plötzlich auftretende Instabilitäten im Klimasystem, interpretiert werden können oder als nichtlinare Reaktion auf Antriebsänderungen. Zu den ersteren zählen vermutlich die Dansgaard-Oeschger-Zyklen und die Heinrich-Ereignisse, die während des letzten Glazials auftraten (Abb. 5) und die mit Änderungen der Jahresmitteltemperatur über Grönland und Nordeuropa von mehreren Kelvin innerhalb weniger Jahre einhergingen. Die Dansgaard-Oeschger-Zyklen werden als rasche Übergänge in der thermohalinen (durch Unterschiede im Salzgehalt und der Temperatur angetriebene) Ozeanzirkulation und damit des meridionalen Wärmetransports im Atlantik interpretiert (Ganopolski und Rahmstorf 2001). Als Heinrich-Ereignis wird das Kalben größerer Massen des nordamerikanischen Inlandeises in den Nordatlantik während des letzten Glazials vor gut 70–20.000 Jahren bezeichnet. Die durch Abrieb ins Eis aufgenommenen größeren und kleineren Steine werden mit den Eisbergen durch die Ozeanströmung weit in den Nordatlantik hinausgetragen, wo sie auf den Ozeanboden sinken, sobald die Eisberge schmelzen. Die Schichten eisverfrachteter Sedimente werden nach ihrem Entdecker HeinrichSchichten genannt (Heinrich 1988). Rätselhaft bleibt die Regelmäßigkeit des Auftretens der Dansgaard-Oeschger-Zyklen und Heinrich-Ereignisse. Ein Beispiel für eine nichtlineare, abrupte Reaktion auf sich allmählich ändernde Klimaantriebe ist die Wüstenbildung in Nordafrika. Im frühen und mittleren Holozän vor gut 11.500 bis 6000 Jahren war die Sahara wesentlich grüner als heute. Während dieser Zeit und noch bis heute hat sich der externe Antrieb, im Wesentlichen die Änderung der Erdbahn um die Sonne, welche die regionale Verteilung der Einstrahlung und damit den Temperaturkontrast zwischen Kontinent und Ozean und so letztlich die Stärke des Sommermonsuns steuert, stetig und allmählich geändert. Rekonstruktionen der Vegetationszonen Nordafrikas und des Staubein- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 22 trags aus Nordafrika in den Nordatlantik (deMenocal et al. 2000) deuten jedoch darauf hin, dass sich die Vegetationsverhältnisse im frühen Holozän wenig veränderten und dass sich die Sahara vor etwa 5.500 Jahren innerhalb weniger hundert Jahren, also im Verhältnis zur Antriebsänderung abrupt, ausgedehnt hat. Dies hängt vermutlich mit einer stark nichtlinearen Wechselwirkung zwischen Monsun- und Vegetationsänderung zusammen (Brovkin et al. 1998, Claußen et al. 1999, Wang and Eltahir 2000), die – so die Theorie – dazu führt, dass die Savanne bei hinreichend feuchtem Klima einen 'grünen' Gleichgewichtszustand anstrebt. Bei zu trockenem Klima ist die Wüste der stabile Zustand. Ändert sich der Sommermonsun, so verharrt das System Vegetation-Atmosphäre in einem der Zustände, Wüste oder Savanne, bis ein Schwellenwert des Sommermonsuns erreicht wird, der das System in den jeweils anderen Zustand springen lässt. Abb. 5: Änderung der Temperatur in Grönland über die letzten 100.000 Jahre. Zu sehen sind die starken Temperaturschwankungen während der letzten Eiszeit, die um etwa 21.000 Jahren vor heute ihren Höhepunkt erreichte. Die gegenwärtige Warmphase begann etwa vor 11.500 Jahren. Die Temperaturschwankungen wurden nicht direkt gemessen, sondern anhand der Isotopenzusammensetzung des Sauerstoffs der im grönländischen Eis eingeschlossenen Wassermolekülen rekonstruiert (nach Ganopolski und Rahmstorf 2001) Fig. 5: Temperature change in Greenland within the last 100000 years. Strong temperature changes during the last glacial time are clearly seen with a maximum around 21000 years ago. The present warm phase started about 11500 years ago. Temparature changes have not been measured direct but reconstructed from the isotopic composition of oxygen in water molecules in Greenland ice (after Ganopolski and Rahmstorf 2001) IST DAS KLIMA VORHERSAGBAR? Die verschiedenen Arten der Klimavorhersage Angesichts der komplexen Klimadynamik stellt sich die Frage, ob Klimaänderungen überhaupt vorhersagbar sind. Dazu muss geklärt werden, wie der Begriff „Klimavorhersage“ definiert wird. In der Klimaphysik wird zwischen zwei Arten der Klimavorhersage unterschieden (Lorenz 1975). Zum einen kennen wir die Klimavorhersage erster Art, bei der von einem bestimmten Zeitpunkt ausgehend die weitere Klimaentwicklung berechnet wird. Diese Klimavorhersage entspricht vom Prinzip her der Wettervorhersage, nur mit dem Unterschied, dass bei der Klimavorhersage erster Art die statistischen Kenngrößen des Klimasystems für einen bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft berechnet werden und bei der Wettervorhersage der momentane Zustand der Atmosphäre. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 23 Bei der Klimavorhersage erster Art wird davon ausgegangen, dass die Entwicklung der Randbedingungen bekannt ist. Es wird also im Wesentlichen die interne Klimavariabilität prognostiziert. Bei der Klimavorhersage der zweiten Art dagegen steht nicht die Klimaentwicklung oder das Klima zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft im Vordergrund, sondern die Reaktion des Klimasystems auf Veränderungen verschiedener externer Antriebe. Es soll die dynamische Struktur des Klimasystems und die Belastbarkeit des Systems gegenüber Störungen erkundet werden. Für die Diskussion der Klimaentwicklung in diesem Jahrhundert spielt die Klimavorhersage erster Art eine untergeordnete Rolle, da eine Vorhersage der Entwicklung externer Antriebe, zum Beispiel des Vulkanismus oder der anthropogenen Treibhausgasemissionen, nur in sehr begrenztem Maße möglich ist. Selbst für die mögliche Entwicklung des vermutlich zurzeit stärksten Klimaantriebs, der anthropogenen Treibhausgasemissionen, liegen gegenwärtig nur Plausibilitätsbetrachtungen vor, aber keine Abschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit möglicher Emisionsszenarien. Daher wird in der Klimaforschung oft von Projektionen oder Klimaszenarien gesprochen – gemeint ist damit die Klimavorhersage zweiter Art. Chaos und Klimavorhersage In der Diskussion um Klimaänderungen und deren Vorhersagbarkeit hört man hin und wieder, dass das Klimasystem chaotisch und daher die zeitliche Entwicklung des Klimasystems prinzipiell nicht vorhersagbar sei. In der Tat gibt es Hinweise darauf, dass manche Klimasystemkomponenten oder Teile von Klimasystemkomponenten, wie zum Beispiel die Atmosphäre der mittleren Breiten, chaotisches Verhalten zeigt. So liefert ein Wettervorhersagemodell für einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit viele Tage im Voraus deutlich unterschiedliche Prognosen, selbst wenn sich die Anfangswerte, also das Wetter des Zeitpunktes, von dem die Prognose gestartet wurde, nur minimal unterscheiden. Jedoch bedeutet das chaotische Verhalten des Wetters − bzw. das Versagen der Wettervorhersage über Zeiträume von mehr als ein paar Tagen − nicht, dass die viel langsamere Entwicklung der statistischen Parameter des Wetters, und damit des Klimas, nicht vorhersagbar wäre. Zum einen gewinnen über längere Zeiträume die Dynamik der trägeren Komponenten des Klimasystems und die Klimaantriebe gegenüber der internen Variabilität an Einfluss auf das statistische Verhalten der Atmosphäre. Zum anderen wissen wir, dass in Systemen mit vielen Komponenten, die für sich nicht vorhersagbar sind, das Verhalten der Gesamtheit dieser Komponenten sehr wohl vorhersagbar ist. Um zwei bekannte Beispiele zu nennen: In einem Gas interessiert uns nicht die Bewegung der einzelnen Moleküle, sondern die statistischen Eigenschaften wie Temperatur und Druck. Und zwischen Druck und Temperatur eines gibt es wohlbekannte Gesetzmäßigkeiten. Auch die Bewegung eines Pfefferkörnchens in der bruzzelnden Ölpfanne des zu Anfang des Abschnitts 3 beschriebenen Laborexperimentes lässt sich nicht nur über eine sehr kurze Zeit von vielleicht einigen Millisekunden vorhersagen; das räumlich und zeitlich gemittelte vertikale Temperaturprofil sowie die Temperaturvarianz des bruzzelnden Öls, aber auch der Zeitpunkt des Auftretens der ersten Strömungsmuster und der Umschlag in die turbulente Bewegung lassen sich als Funktion der Heizrate genau vorhersagen. Das Studium einfacher nichtlinearer dynamischer Systeme, die im Vordergrund der Chaostheorie stehen, hat die Klimadynamik außerordentlich befruchtet. Zum Beispiel wurde entdeckt, dass sich in chaotischen Systemen zufälliger Weise über längere Zeit periodische Bewegungen ausbilden können. Wie lange eine solche periodische Bewegung andauert, ist ebenfalls purer Zufall. Eine Vorhersage aufgrund der statistischen Analyse der Periodizität der bisher beobachteten Bewegung kann zufälligerweise funktionieren, muss aber nicht. Auch in der Klimatologie gibt es dazu einige Beispiele. Allerdings ist die Situation in der Klimadynamik erheblich komplizierter, weil es ja tatsächlich periodische Klimaantriebe gibt, die sich in der Klimavariabilität wiederfinden können, wenn sich das Klimasystem in einem bestimm- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 24 ten Klimazustand befindet und aus der Klimavariabilität verschwinden, sobald sich der Klimazustand ändert. Nicht sämtliche aus der Chaostheorie bekannten Phänomene sind auf die Klimadynamik übertragbar. Das Bild des Flügelschlags eines Schmetterlings, der einen Hurrikan auslösen kann, ist ein sehr anregendes, aber für die Klimadynamik in letzter Konsequenz irreführendes Paradigma. In der Atmosphäre schlagen unzählig viele Schmetterlinge ihre Flügel, nicht nur einer. Oder anders ausgedrückt: Lokal kann die Atmosphäre (aber auch die anderen Klimasystemkomponenten) chaotisch erscheinen, aber insgesamt verhält sich die Atmosphäre wie ein träges Zufallssystem, also ein System, in dem unzählige Schmetterlinge für eine turbulente Bewegung sorgen. Die mittleren Eigenschaften träger Zufallssysteme lassen sich, wie bereits gesagt, durchaus vorhersagen. SCHLUSSFOLGERUNGEN Klima ist die Statistik des Wetters, oder systemanalytisch betrachtet, die Statistik der Zustandsänderungen des Klimasystems. Daraus folgt, dass einzelne Wetterereignisse für sich genommen nicht als Signale einer Klimaänderung bewertet werden dürfen. Erst wenn eine lange Beobachtungsreihe von Wetterereignissen vorliegt, lässt sich ein Klimatrend statistisch signifikant berechnen und mit anderen Klimatrends vergleichen. Um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Die Starkniederschläge, die im Sommer 2002 zur Hochwasserkatastrophe im Elbeeinzugsgebiet geführt haben, sind, für sich betrachtet, kein Klimaänderungssignal. Allerdings ist tatsächlich eine Zunahme der Anzahl der Monate mit extremen Niederschlägen in Deutschland zu verzeichnen (Grieser et al. 2003). Auch in Brandenburg, einer Region mit zurzeit zunehmender Trockenheit während der Sommermonate, fällt der Niederschlag seit etwa 30 bis 40 Jahren kaum noch als Regen, sondern als Schauer, also als Starkniederschlag (Werner und Gerstengarbe 2003). Der Zusammenhang zwischen der Zunahme von Niederschlägen in vielen Regionen der Erde und der Zunahme von Starkniederschlägen in manchen Regionen einerseits sowie der Erwärmung der bodennahen Luftschicht andererseits erscheint physikalisch plausibel und wird von vielen Klimamodellen wiedergegeben (Stocker et al. 2001). Insofern ist die Befürchtung berechtigt, dass bei einer durch die anthropogene Treibhausgasemission angestoßenen Erwärmung der Atmosphäre die Extremniederschläge zunehmen, obgleich das einzelne Extremereignis niemals als Beweis für diese Vermutung angeführt werden kann. Klima ist nichts Konstantes, es ändert sich ständig und auf allen Zeitskalen. Gerade die langsamen Klimaänderungen hinterlassen die deutlichsten Spuren in den Klimaarchiven. Klimaänderungen können durch Schwankungen im Klimaantrieb angestoßen werden. Da unterschiedliche Klimaantriebe auf verschiedenen Zeitskalen wirken, dürfen Klimaänderungen auf verschiedenen Zeitskalen nicht direkt mit einander verglichen werden. Der Wechsel von Warmphasen (Interglazialen) und Kaltphasen (Glazialen) im Laufe der letzten Jahrhunderttausende hat wenig zu tun mit der Erwärmung der bodennahen Luftschicht während der letzten hundert Jahre. Auch die bisher wenig verstandene, in manchen Zeiten hohe und in anderen Zeiten völlig fehlende Korrelation zwischen Temperatur und atmosphärischer CO2Konzentration entsteht als Wechselwirkung innerhalb des natürlichen Kohlenstoffkreislaufes und sagt wenig über die zurzeit durch die anthropogene CO2-Emission angestoßene Erwärmung. Klima kann sich auch bei konstantem Antrieb aufgrund von internen Instabilitäten ändern – sozusagen 'ohne ersichtlichen Grund'. Das bedeutet, dass sich nicht hinter jeder regelmäßigen Klimaschwankung eine Antriebsänderung verbergen muss. Die Trennung von angetriebener und interner Klimavariabilität sowie die Trennung des Anteils natürlicher und anthropogener Antriebsänderungen an der Klimavariabilität ist eine der großen Herausforderungen der aktuellen Klimaforschung. Nach dem gegenwärtigen Verständnis der Klimaprozesse und Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 25 der Klimasystemdynamik müssen wir davon ausgehen, dass der Einfluss der Sonne und des Vulkanismus als Klimaantrieb der letzten hundert Jahre deutlich schwächer war und vermutlich in den nächsten hundert Jahren schwächer sein wird als der des Menschen. Klima lässt sich vorhersagen – allerdings sind die Grenzen der Vorhersagbarkeit noch nicht vollständig ausgelotet. Für die Diskussion über künftige Klimaänderungen spielt die Vorhersage der tatsächlichen Klimaentwicklung (zurzeit) nur eine untergeordnete Rolle, da die Entwicklung der Klimaantriebe nicht vorhergesagt, sondern nur aus Plausibilitätsbetrachtungen als mögliche Szenarien vorgegeben werden kann. Daher geht es bei der Klimavorhersage der nächsten hundert Jahre um so genannte Klimaszenarien oder Projektionen, also mögliche Klimaentwicklungen unter verschiedenen Belastungszuständen. Die Suche nach Klimaüberraschungen stellt eine weitere Herausforderung an die Klimaforschung dar. In den Klimaarchiven finden sich zahlreiche Anzeichen für Klimasprünge. Es gilt herauszufinden, unter welchen natürlichen und anthropogenen Belastungen und in welchen Regionen der Erde es zu Klimaüberraschungen kommen kann. Im Hinblick auf die Vermeidung von für uns und unsere nachfolgenden Generationen extrem ungünstigen Klimaentwicklungen, aber auch im Hinblick auf die Anpassung an mögliche Klimaänderungen, ist es außerordentlich wichtig, die Klimasystemdynamik und damit die Belastbarkeit des Klimasystems zu erkunden. Dies kann erfolgreich nur in interdisziplinärer Zusammenarbeit von empirisch orientierten Fachrichtungen wie Paläoklimatologie und Geologie und der theoretisch orientierten Klimamodellierung geschehen. Da der Mensch nicht nur vom Wetter und Klima betroffen ist, sondern das Klima selbst beeinflusst, kann die umfassende Erforschung des Klimawandels nicht mehr nur eine rein naturwissenschaftliche Aufgabe sein. Sozio-ökonomische Aspekte, zum Beispiel die gesellschaftliche Wahrnehmung von und die Reaktion auf Klimaänderungen, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle (Stehr and vonStorch 1995). Doch dies ist, wie man in Brandenburg sagt, ein weites Feld und wird in anderen Aufsätzen in dieser Reihe diskutiert werden. DANKSAGUNG Ein Teil dieses Übersichtsartikels entstand in der Diskussion mit Ulrich Cubasch (Freie Universität Berlin), Hans von Storch (Forschungszentrum Geesthacht), Reinhard Zellner (Universität Essen). LITERATUR Bard E, Raisbeck G, Yiou F, Jouzel J (2000) solar irradiance during the last 1200 years based on cosmogenic nuclides. Tellus 52B: 985–992 Bauer E, Claußen M, Brovkin V (2003): Assessing climate forcings of the Earth system for the past millennium. Geophys Rev Lett 30(6): doi: 10.1029/20026L016639 Berger A (1978) Long-term variations of daily insolation and Quaternary climatic change. 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Wiss. zu Erfurt. 28 Stadtklima Urban climate Wilhelm Kuttler Universität Duisburg-Essen ZUSAMMENFASSUNG Nach einer kurzer Darstellung der Raum- und Zeitskalen des Stadtklimas sowie der Behandlung seiner geschichtlichen Entwicklung wird die Charakteristika des städtischen Klimas im Vergleich zum nicht versiegelten Umland am Beispiel mitteleuropäischer Ballungsräume vorgestellt. Anschließend werden die Voraussetzungen und Ursachen des Stadtklimas diskutiert: die Umwandlung des natürlichen Untergrundes in versiegelte Flächen, die anthropogene Wärmefreisetzung sowie die Emission von Luftverunreinigungen. Wichtige Einflußgrößen, wie das Verhalten der thermischen und hydrologischen Eigenschaften städtischer Oberflächen, die im Mikro- und Mesoskalabereich die stadtklimatisch wirksam werdenden Komponenten steuern, werden an Beispielen erläutert. Die hieraus für die Energiebilanz städtischer Oberflächen resultierenden Beträge werden für den Bodenwärmestrom (thermische Speichergröße) sowie für die sensiblen und latenten turbulenten Wärmeflußdichten quantifiziert. Danach werden ausgewählte Klimaelemente in städtischen Räumen, die lufthygienische Problematik in Städten sowie human-biometeorologische Aspekte der Stadtklimatologie charakterisiert. Es wird zunächst der Aufbau der Stadtatmosphäre und die städtische Strahlungs- und Wärmebilanz geschildert. Anschließend werden der städtische Wärmeinseleffekt sowie das bodennahe Windfeld und die städtischen Luftfeuchtigkeitsverhältnisse behandelt und StadtUmlandunterschiede exemplarisch erläutert. Planerische Möglichkeiten zur Verbesserung des Klimas in unseren Städten werden vorgestellt und ihre Wirksamkeit abgeschätzt. Zum Abschluß wird die Rolle des Stadtklimas innerhalb der aktuellen Diskussion rund um die Problematik der globalen Klimaentwicklung beleuchtet und anhand der Ergebnisse bisheriger Untersuchungen positioniert. ABSTRACT After referring to the spatial and temporal scales as well as to the historical developments in urban climate, the methods of measuring urban climate parameters are introduced and the characteristics of the urban climate in relation to its rural surroundings. Examples are given for some central-European cities. The premises and causes of the urban climate are discussed: the conversion of natural ground cover into sealed surfaces, anthropogenic heat release and emissions of air pollutants. The importance of factors like the behaviour of thermal and hydrological properties of urban surfaces which influence urban climate in the micro- and mesoscale are described by means of some examples. Implications for the resulting energy balance of urban surfaces are quantified in terms of the sub-surface heat flux, the sensible and latent heat flux densities. Following is giving an overview of urban climatology concerned with the manifestations of selected climate elements in an urban environment, with air hygienic problems in cities and with human-biometeorological aspects of urban climatology. Initially, the structure of the urban atmosphere and urban radiation and energy balances are described. Then this contribution deals with the urban heat island effect, the near-surface wind field, urban humidity conditions and the differences between towns and surrounding areas on Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 29 the basis of examples. Planning possibilities for improving the climate in our cities are presented, together with an assessment of the effectiveness of the various measures. Finally, the role of the urban climate in the current discussion of global climate change problems is considered and placed in context on the basis of previous studies. EINLEITUNG Der städtische Siedlungsraum verursacht im Vergleich zu seiner nicht bebauten Umgebung klimatische und lufthygienische Veränderungen, die allgemein unter dem Begriff Stadtklima zusammengefaßt werden. Hierunter versteht man ein mit der Bebauung in Wechselwirkung stehendes Klima, das zusätzlich durch Abwärme und anthropogene Emissionen modifiziert wird. Vielerorts ist der städtische Lebensraum mit Einbußen an Umweltqualität verbunden, wodurch es zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Stadtbewohner kommen kann. Der heiße Sommer 2003 hat beispielsweise auch die negativen Seiten des Klimas in zahlreichen Städten Europas durch hohe und lang andauernde thermische Belastungen, die kaum durch die natürliche nächtliche Abkühlung gemindert werden konnten, deutlich vor Augen geführt. Auch wenn es sich für die mittleren Breiten hierbei klimatologisch um ein seltenes Ereignis handelt, dürften sich unter der Annahme eines globalen Temperaturanstiegs die Stadtklimaeffekte weltweit verschärfen. Da im Verlauf des 21. Jahrhunderts mehr als 70% der Erdbevölkerung in Städten – darunter in 27 Megastädten mit jeweils 10 Mio. Einwohnern – leben wird (Birg 1996), muß davon ausgegangen werden, daß immer mehr Menschen den meist nachteiligen stadtklimatischen Auswirkungen ausgesetzt sein werden. Diese Entwicklung zu verhindern oder zumindest positiv zu beeinflussen, dazu sind Wissenschaft und Stadtplanung weltweit aufgerufen. HISTORISCHE UND DISZIPLINÄRE EINORDNUNG Das Stadtklima und seine Stellung in der Klimatologie Die Stadtklimatologie ist als raumbezogene Wissenschaft der Mikro- und Mesoklimatologie zuzurechnen, jener Fachdisziplin, die sich mit der Analyse des lokalen und regionalen Klimas beschäftigt. Je nach Größe der zu untersuchenden Städte und des Umfangs der zugrunde liegenden Fragestellungen sind Prozesse innerhalb der atmosphärischen Grenzschicht zu behandeln, deren horizontale und vertikale Maßstäbe mehrere Größenordnungen umfassen können. Das Spektrum stadtklimatischer Arbeiten kann beispielsweise die Bestimmung der Oberflächenenergiebilanz einer Hauswand oder Straßendecke ebenso umfassen wie die dreidimensionale quantitative und qualitative Analyse regional wirksamer Belüftungssysteme ganzer Siedlungsbereiche. Tab. 1 enthält eine exemplarische Aufstellung stadtklimatischer Prozesse mit entsprechenden Größenskalen. Ergänzend wurden Angaben zu den üblicherweise in der räumlichen Planung verwendeten Kartenmaßstäben hinzugefügt. Die Stadtklimatologie ist auch Teil der Umweltmeteorologie1, die sich mit den stofflichen und energetischen Wechselwirkungen zwischen der Atmosphäre und der anthropogenen Lebensumwelt beschäftigt (Kuttler und Dütemeyer 2003, Mayer und Matzarakis 2003). Das 1 Die Umweltmeteorologie ist als Teilgebiet der angewandten Meteorologie aufzufassen. Die Analyse der genannten Wechselwirkungen umfaßt die physikalischen und chemischen Zustände und Prozesse der Atmosphäre „in ihrer Auswirkung auf den Menschen ebenso, wie die anthropogenen Eingriffe und deren Folgen auf die atmosphärische Umwelt. Ziel der umweltmeteorologischen Forschung ist es, Lösungswege zur Vermeidung bzw. Verbesserung von schädlichen Umwelteinflüssen aufzuzeigen. Die Umweltmeteorologie bedient sich dabei einer über den interdisziplinären Ansatz hinausgehenden transdisziplinären Arbeitsweise“ Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 30 generell einen Siedlungsraum charakterisierende Stadtklima setzt sich aus einer Vielzahl eigenständiger Mikroklimate zusammen, die durch die unterschiedliche städtische Flächennutzung verursacht wird und in ihrer Gesamtheit letztlich das Klima eines Siedlungsraumes bildet (Helbig 1987). Tab. 1: Skaleneinteilung atmosphärischer Phänomene in der Mikro- und Meso-Skala sowie zugeordnete Größen der räumlichen Planung (nach Höschele 1984; hier in der Zusammenstellung von Matzarakis 2001, ergänzt) Table 1: Subscaling of atmospheric processes within micro and macro scale and related parameters of spatial planning (after Höschele 1984, changed according to the list of Matzarakis 2001) Horizontale Erstreckung 200 km 20 km 2 km 200 m 20 m Atmosphärische Phänomene Gebirgseinflüsse, Land-/Seewind, Wolkencluster städtische Wärmeinsel, Gewitterzellen Kühlturmschwaden, Konvektion, Tornados Skalenbezeichnung Meso-Skala β Planungsebene Landesplanung Üblicher Kartenmaßstab 1:500 000 Meso-Skala γ Regionalplanung 1:50 000 Mikro-Skala α Standort-, Flächennutzungs-planung 1:10 000 Staubtromben, Thermik, Bauwerkseffekte Kleinräumige Turbulenz, Bauwerkseffekte Mikro-Skala β Bebauungsplanung 1:500 Mikro-Skala γ Im Vergleich zum Umland sind die stadtklimatischen Besonderheiten ganzjährig zu beobachten. Sie bilden sich jedoch am ausgeprägtesten während autochthoner, das heißt windschwacher sonnenscheinreicher Wetterlagen heraus, jenen als ´eigenbürtig` zu bezeichnenden Witterungsabschnitten, die vornehmlich bei antizyklonalen Großwetterlagen entstehen und durch ausgeprägte Tagesgänge der meisten meteorologischen Elemente gekennzeichnet sind. Dadurch ist das jeweilige Auftreten der stärksten stadtklimatischen Unterschiede im Allgemeinen an die Dauer weniger Tage gebunden. In Mitteleuropa weisen durchschnittlich etwa 20 % der Tage und 30 % der Nächte eines Jahres die Charakteristika von Strahlungswetter auf (Wilmers 1976). Zu der erwähnten räumlichen Abgrenzung ergibt sich somit auch eine zeitliche Abhängigkeit des Stadtklimas, die an die Dauer der meist nach Tagen zu bemessenden Witterungsabschnitte gebunden ist. Obwohl die stadtklimatischen Auswirkungen in erster Linie die Mikro- bis Mesoskala betreffen, wird durch die Freisetzung strahlungsbeeinflussender und langlebiger Luftinhaltsstoffe (z. B. CO2, CH4) neben dem regionalen auch das globale Klima beeinträchtigt (Houghton u.a. 2001). In welchem Maße der globale Temperaturanstieg auf das städtische Klima zurückwirkt, wird später behandelt. Stadtklimauntersuchungen sind entweder Bestandteil der Grundlagenforschung oder anwendungsorientiert ausgerichtet. Der planungsrelevante Aspekt hat in den vergangenen Jahrzehnten auch dadurch an Bedeutung gewonnen, daß die Faktoren „Klima“ und „Luft“ in zahlreiche gesetzliche Regelwerke Eingang fanden. Geschichtliche Aspekte Die Anfänge der Stadtklimatologie lassen sich zeitlich relativ weit – sogar bis ins Altertum – zurückverfolgen. Erste Arbeiten auf diesem Gebiet werden Vitruvius (75-26 v.Chr) „Stadtplanung und Klimabedingungen“ und Horaz (ca. 24 v.Chr.) „Luftverschmutzung in Rom“ zugeschrieben (Zusammenstellung bei Yoshino 1990, 1991,Möller 2003). Dabei wurden insbesondere Probleme der Stadtplanung in Zusammenhang mit den klimatischen und lufthy- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 31 gienischen Einflüssen behandelt, und zwar ausgehend von Untersuchungen in der Stadt Rom, später – im Mittelalter – in der vor allem unter der Erhöhten Belastung mit anthropogenen atmosphärischen Spurenstoffen in erheblichem Maße leidenden Stadt London. Hier widmete sich als einer der ersten John Evelyn (1620–1706) in Einzelstudien der „Luftverpestung“ in ihrer Abhängigkeit zu den vorherrschenden Windrichtungen, dem Problem der „Stadttemperatur“ und des city fogs. Im Jahre 1661 faßte dieser seine Ergebnisse in der weithin bekannt gewordenen Monographie „Fumifugium“ zusammen. Auf ersten systematischen Messungen beruhende Untersuchungen der stadtklimatischen Verhältnisse von London gehen hingegen auf den englischen Chemiker und Apotheker Luke Howard (1772–1864) zurück, der für die damaligen Verhältnisse schon mit großer Genauigkeit die thermischen Unterschiede zwischen London und seiner Umgebung in ihrer zeitlichen und räumlichen Abhängigkeit untersuchte und deren Zustandekommen erklärte. Howard belegte anhand umfangreicher Messungen, daß das Londoner Stadtgebiet eine höhere Lufttemperatur aufwies als das unbebaute Umland. Danach belief sich die Überwärmung in den Wintermonaten auf (umgerechnet) 1 K, in den Sommermonaten auf 0,6 K. Er schloß daraus, daß diese Lufttemperaturunterschiede vornehmlich auf den intensiven Verbrauch des Brennstoffs Kohle für Heiz- und Kochzwecke zurückzuführen seien. Auch konnte Howard auf der Grundlage seiner Beobachtungen zum winterlichen Nebelproblem – der Begriff city-fog wurde von ihm geprägt2 – die stark verrauchte Londoner Innenstadt von dem häufiger nebelfreien Umland abgrenzen (Howard 1833). Aufbauend auf den von Howard durchgeführten Untersuchungen schlossen sich in der Folgezeit zahlreiche Arbeiten zur Erforschung des Stadtklimas – insbesondere auch in Deutschland – an. Das in der Folgezeit immer umfangreicher werdende Datenmaterial erlaubte es schließlich dem Benediktinerpater Albert Kratzer im Jahre 1937, einen ersten und für die damalige Zeit äußerst umfassenden Überblick über den Wissensstand dieser noch relativ jungen Forschungsdisziplin zu geben. So konnte Kratzer in seiner Dissertation über „Das Stadtklima“ bereits auf 225 Publikationen zurückgreifen. Diese Monographie erlebte 1956 unter Verwendung von bereits 533 Literaturzitaten eine zweite, stark erweiterte Auflage und galt weltweit lange Zeit als wichtigstes Grundlagenwerk der Stadtklimatologie (Kratzer 1956). Es dauerte Jahrzehnte, bis 1981 erneut eine Monographie zur Stadtklimatologie mit dem Titel „The Urban Climate“ des Deutsch-Amerikaners Helmut Landsberg (1981) erschien, in der neben der städtischen Luftqualität auch erste Planungsprobleme aufgegriffen wurden. Eine vertiefende Behandlung dieser beiden vom Stadtklima nicht zu trennenden Aspekte erfolgte letztlich in dem anwendungsorientiert ausgerichteten Kompendium „Stadtklima und Luftreinhaltung“ (Helbig u.a. 1999). STADTKLIMATISCHE EIGENSCHAFTEN; NACHWEISE UND METHODEN Charakteristika des Stadtklimas Das Erscheinungsbild des Stadtklimas setzt sich aus zahlreichen Komponenten zusammen, an denen alle Klimaelemente mehr oder weniger beteiligt sind. Bevor hierauf näher eingegangen wird, sollen die wichtigsten Unterschiede zwischen Stadt und Umland am Beispiel westeuropäischer Großstadtbedingungen im Überblick kurz referiert werden (Tab. 2). Nähert man sich einer Stadt, so kündigt meist schon von weitem eine gut sichtbare Dunstglocke die erhöhte atmosphärische Belastung mit anthropogenen Spurenstoffen an. Hierdurch erfolgt eine Abschwächung der Globalstrahlung (K↓). In den frühen Jahren der Industrialisierung war dieser Einfluß in den Ballungsräumen wesentlich stärker ausgeprägt als der in Tab. 2 angegebene Wert. Die Werte von K↓ variieren sowohl in Abhängigkeit von der an die Jahres2 Der Begriff smog (smoke + fog) wurde 1905 auf einem Lonmdoner Hygienekongreß geprägt (McCormack, BM (1971): Introduction of the Scientific Study of Atmospheric Pollution. Dordrecht) Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 32 zeiten gebundenen erhöhten atmosphärischen Belastung mit anthropogenen Spurenstoffen als auch der Sonnenstandshöhe (Deklination, Azimut). Grundsätzlich ist aufgrund der Streuprozesse in der Stadtatmosphäre davon auszugehen, daß der Anteil der diffusen Strahlung (D) höher ist als derjenige der direkten Strahlung (I). Der höhere Anteil an D kommt dabei zum Beispiel der Innenraumbeleuchtung von Gebäuden zugute. Da im Allgemeinen die Partikel in der Stadtluft größere Durchmesser aufweisen als die in sauberer Luft, erscheint der Himmel an Strahlungstagen aufgrund der unterschiedlich stark wellenlängenabhängigen Reflexion und Streuung über Städten weniger intensiv blau als über dem Umland. Die kurzwellige Reflexion (K↑) an den städtischen Oberflächen ist von deren Farbe, Struktur und Geometrie abhängig und erreicht – bei Abwesenheit von Schnee – vergleichbare Werte wie die des nicht bewaldeten Umlands. In mediterranen Städten können allerdings – wegen der dort meist weiß getünchten Häuser – die Oberflächenalbeden durchaus höher als die Umlandwerte sein, was sich in erheblichem Maße auf die Strahlungsbilanz (Q )٭auswirkt. Aber auch hier hängt der Unterschied zwischen städtischen und ländlichen Werten jeweils von der Farbe – und damit von der Flächennutzung – des Umlands ab. Im Gegensatz zu K↓ sind die Werte der aus dem Halbraum über der Stadt zum Boden gerichteten langwelligen atmosphärischen Gegenstrahlung (L↓) im Allgemeinen erhöht. Das ist nicht nur auf die stärkere Absorption und Re-Emission infrarotaktiver Gase und Partikel in der Stadtluft zurückzuführen, sondern auch darauf, daß die Stadtatmosphäre insbesondere bei schwachem übergeordnetem Gradientwind wärmer ist als die Umlandluft. Hierdurch wird eine stärkere langwellige Ausstrahlung auch in Richtung bebaute Fläche verursacht. Tab. 2: Veränderungen des Stadtklimas einer Großstadt in den mittleren Breiten gegenüber dem nicht bebauten Umland (nach verschiedenen Autoren; hier in der Fassung nach Hupfer und Kuttler 1998; verändert) Table 2: Changes of urban megacity climate in midlatitudes in comparison to the non-builded rural environment (after different authors, here compiled and changed after Hupfer und Kuttler 1998) Einflußgrößen Globalstrahlung (horizontale Fläche) Veränderungen bis -10 % Albedo Gegenstrahlung UV-Strahlung im Sommer im Winter Sonnenscheindauer im Sommer im Winter ± bis +10 % Sensibler Wärmestrom Wärmespeicherung im Untergrund und Bauwerken Lufttemperatur - Jahresmittel - Winterminima - in Einzelfällen a Spitzen höher bis -5 % bis -30 % bis -8 % bis -10 % bis +50 % bis +40 % ∼+2K bis + 10 K bis + 15 K Einflußgrößen Wind Geschwindigkeit Richtungsböigkeit Böigkeit Veränderungen - bis -20 % stark variierend erhöht Luftfeuchtigkeit Nebel Großstadt Kleinstadt Niederschlag Regen Schnee Tauabsatz Luftverunreinigungen CO, NOx, NOy, VOC O3 Bioklima Vegetationsperiode ± bis zu zehn Tage länger Dauer der Frostperiode bis -30 % - weniger mehr - mehr (leeseitig) weniger weniger - mehr wenigera Die ultraviolette Strahlung (UVges ; 100 nm < λ < 400 nm) führt zu günstigen (Initiierung der Synthese von Vitamin D3), in hohen Dosen aber auch zu gesundheitsschädigenden Wirkungen (Auslösung von Erythemen sowie Hautkrebserkrankungen). Sie wird in der ver- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 33 schmutzten Stadtatmosphäre bevorzugt ausgefiltert und weist insbesondere in den Wintermonaten deutlich niedrigere Werte zum Umland auf (Abnahmen um bis zu Faktor 10; Landsberg 1981). Die Sonnenscheindauer ist in städtischen Straßenschluchten generell wegen der durch die Bebauung verursachten größeren Verschattung verkürzt, wobei Extremwerte durch ungünstige Ausrichtung, Höhe und Bestandsdichte der Gebäude erreicht werden. Die turbulenten Ströme der fühlbaren Wärme (QH) und der latenten Wärme (QE) sind in Stadtgebieten deutlich modifiziert, und zwar wiederum in starker Abhängigkeit zur jeweiligen Flächennutzung, der vorherrschenden Witterung sowie von der Tages- und Jahreszeit. Durchschnittswerte, die sich auf Stadtoberflächen beziehen, zeigen, daß das mittlere BowenVerhältnis (Bo = QH/QE) meist deutlich über 1 liegt, wodurch der überragende Einfluß von QH auf die Erwärmung der Stadtatmosphäre dokumentiert wird. Die tagsüber in den Baumaterialien von Gebäuden, Straßen und Plätzen gespeicherte Wärme (QB; „Tagspeicher“) stellt aufgrund der überwiegend hohen Werte ein wichtiges Glied in der städtischen Energiebilanz dar. Im Ergebnis sind die städtischen Lufttemperaturen vergleichsweise zum Umland im Jahresmittel um 1 bis 2 K erhöht. Jedoch bestimmen Stadtgröße und –struktur sowie Wetterlage und Jahreszeit erhebliche Abweichungen von diesen Werten, die im Einzelfall und über kurze Zeit nachts durchaus 10 K bis 15 K betragen können. Die Windgeschwindigkeit ist in den Städten gegenüber dem Umland im Durchschnitt geringer. Das liegt daran, daß die durch die Bebauung verursachte Erhöhung der Bodenrauigkeit die Strömung behindert. Dadurch nimmt der atmosphärische Austauschkoeffizient A für Eigenschaftstransporte (A = ρL Kturb.; mit Kturb. = turbulenter Diffusionskoeffizient und ρL = Dichte der Luft) im Allgemeinen niedrige Werte an, wodurch sich z. B. die Luftqualität verschlechtern und die nächtliche Überwärmung in den Straßenschluchten kaum abgeführt werden kann. Allerdings ist die Geschwindigkeitsböigkeit an Gebäudekanten sowie in Nachlaufwirbeln hinter Gebäuden erhöht, während die Richtungsböigkeit stark variiert. Die relative Luftfeuchtigkeit weist in Städten wegen der eingeschränkten Evapotranspiration (Evaporation + Transpiration) im Allgemeinen niedrigere Werte auf, was sich insbesondere tagsüber bemerkbar macht. Nachts jedoch können höhere städtische Oberflächentemperaturen Tauabsatz vergleichsweise zum kühleren Umland verzögern oder sogar gänzlich verhindern, wodurch sich gleich hohe oder höhere relative Luftfeuchtigkeitswerte in den städtischen Gebieten einstellen. Allerdings sind die Verhältnisse in starkem Maße von den jeweiligen mikroskaligen Standortbedingungen abhängig. Nebel ist in Großstädten – zumindest in den vergangenen Jahren – seltener anzutreffen als im Umland, was auf die höheren Lufttemperaturen und die geringere Luftfeuchtigkeit zurückzuführen sein dürfte. Niederschläge hingegen sind insbesondere in Lee städtischer Siedlungsräume erhöht. Die Zusammensetzung der städtischen Luft hat sich durch die Dominanz von KfzEmissionen im Vergleich zu früheren Jahren, die hauptsächlich durch Industrie- und Hausbrandemissionen (Staub und SO2) geprägt waren, stark verändert. Heute spielen in der städtischen Belastung mit anthropogenen atmosphärischen Spurenstoffen – trotz Einführung des Katalysators – NO, NO2, O3 und Kohlenwasserstoffe (VOC) sowie insbesondere Feinstäube und Ruß eine herausragende Rolle. Abschließend bleibt im Rahmen dieses einführenden Überblicks festzustellen, daß die genannten Klima- und Lufthygienekomponenten in vielfältiger Weise positiv, aber auch negativ auf die in Städten lebenden Bewohner sowie Pflanzen und Tiere einwirken. Während unter human-biometeorologischen Gesichtspunkten im Bereich des thermischen und lufthygienischen Sektors eher Nachteile für die Stadtbewohner zu erwarten sind, führen z. B. bei Pflanzen die höheren Stadttemperaturen zu einer Veränderung der Aspektwechsel durch vorgezogene Blüh- und Reifephasen sowie zu einer deutlichen Verlängerung der Vegetationsperioden im Vergleich zum Umland. Wie das für die Stadt Wien in Abb. 1 dargestellte Beispiel zeigt, Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 34 öffnen sich aufgrund der städtischen Überwärmung und der Straßenbeleuchtung die ersten Blüten im Stadtzentrum um etwa 25 Tage eher als im Umland. Damit können Pflanzen als Standortklimaanzeiger neben physikalisch-chemischen Messungen auch für stadtklimatische Untersuchungen genutzt werden. Abb. 1: Stadtphänologie einer Großstadt (Wien): Isophanen des Blühbeginns von forsythia suspenesa als temperaturabhängigem Standortklimaanzeiger. Die Datumslinie 70 entspricht dem Kalenderdatum 11. März 1988, die Datumslinie 95 dem 5. April 1988 (nach Bernhofer 1991, zit. in Larcher 2001). Wegen der städtischen Überwärmung und der Straßenbeleuchtung öffnen sie sich früher als im Umland. Der Vegetationszeitraum mit Tagesmitteln über 5 °C dauert in der Innenstadt durchschnittlich 265 Tage, an der Stadtgrenze (gestrichelte Linie) hingegen im Mittel nicht mehr als 245 Tage (Auer 1989) (hier nach Larcher 2001) Fig. 1: Urban phenology of the City Vienna: isophanes of flowering of forsythia suspenesa being temperature depending climate “sensor”. The date line 70 is according to the date March 11, 1988, the date line 95 to April 5, 1988 (after Bernhofer 1991, cit. in Larcher 2001). Due to urban heating and illumination flowering is earlier than in the surounding. The inner urban growthing periode with daily mean above 5° C last about 265 days, at city border (dotted line), however, no more than 245 days (Auer 1989), here after Larcher 2001 Nachweis von Stadtklimaeffekten Der qualitative und quantitative Nachweis des in Städten auftretenden „Sonderklimas“ leidet grundsätzlich darunter, das bestehende städtische Klima ausschließlich auf stadtbedingte Ursachen zurückführen zu können. Es muß berücksichtigt werden, daß es sich bei den Messwerten an einem städtischen Standort um einen zusammengesetzten Wert (W) handelt, der aus wenigstens drei Einzelkomponenten besteht, die in unterschiedlichem Maße an seinem Zustandekommen beteiligt sind (Lowry 1977). Es sind dies • eine globalklimatische, durch die geografische Lage großräumig vorgegebene Wirkgröße („Hintergrundwert“ H), • eine durch die Topografie bestimmte regionale Beeinflussung („Topografiewert“ T) sowie • einen auf die Verstädterung zurückzuführenden Einfluß („Verstädterungswert“ V). In Gl. (1) ist dieser Sachverhalt dargestellt, wobei ergänzend der Witterungstyp (i), der Meßzeitpunkt (t) sowie die genaue räumliche Zuordnung des Meßstandortes im Stadtgebiet (x) bekannt sein müssen. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. Witx = Hitx + Titx + Vitx 35 (1) Um den klimatischen Einfluß zu ermitteln, der ausschließlich auf die Verstädterung zurückzuführen ist, wäre es notwendig, den zum aktuellen Zeitpunkt während einer bestimmten Wetterlage an einem festgelegten Standort gemessenen Wert Wit(akt)x (´Aktualwert`) von demjenigen Meßwert abzuziehen, der bei gleicher Wetter- und Standortlage sowie in der Zwischenzeit nicht verändertem Globalklima vor Errichtung der Stadt, das heißt in der präurbanen Phase („Präurbanwert“), gemessen wurde (Wit(präurb)x ). Stünden zwischen diesen Anfangs- und Endwerten in zeitlich hoher Auflösung Einzeldaten für den gleichen Standort zur Verfügung, ließe sich eine Zeitreihe der klimatischen Entwicklung des Standortes ermitteln. Eine derartige Vorgehensweise zur Bestimmung des verstädterungsbedingten Klimaeffektes ist meistens nicht möglich, da die entsprechenden Daten fehlen. Einzige Ausnahme dürfte in diesem Zusammenhang die Stadt Columbia, Maryland, sein, deren Entwicklung von 200 Einwohnern (1968) auf 20.000 Einwohner (1975) mit ununterbrochen gemessenen Klimadaten an gleichen Standorten belegt werden konnte (Landsberg 1979). In allen anderen Fällen, für die präurbane Werte nicht zur Verfügung stehen, muß entweder auf • die Analyse von Vergleichsmessungen (präurban/urban) im Windkanal bzw. durch numerische Simulation, • Regressionsanalysen einzelner Klimaparameter in Abhängigkeit von der Zeit oder • aktuelle Geländemessungen an mindestens zwei Stationen, die die städtische und ländliche Situation repräsentieren bzw. auf mobile Messungen mit einem Fahrzeug auf Routen innerhalb und außerhalb eines Stadtgebietes zurückgegriffen werden. Üblicherweise wird dem letztgenannten Punkt der Vorzug bei Stadtklimaanalysen gegeben, wobei jedoch darauf zu achten ist, daß der ländliche Stationsstandort weder durch den Stadteffekt (zum Beispiel durch die städtische Abluftfahne) noch durch unterschiedliche Höhen- oder Tallage, See- oder Waldnähe beeinflußt wird. Zeitreihen, die mindestens ein Jahr umfassen, erlauben darüber hinaus eine wetterlagen- und jahreszeitenabhängige Auswertung. Stadtklimatische Erfassungsmethoden Zur Erfassung der klimatischen und lufthygienischen Parameter wird in der Regel auf ein differenziertes, die jeweilige Fragestellung berücksichtigendes Methodenspektrum zurückgegriffen. Grundsätzlich gibt es keine spezielle, auf die Lösung stadtklimatischer Probleme bezogene Untersuchungsmethodik. Vielmehr wird sich im Bedarfsfall derjenigen Analysetechniken bedient, die bei umweltmeteorologischen Untersuchungen im Mikro-/Mesobereich Anwendung finden. Das in Abb. 2 gezeigte Schema setzt sich aus insgesamt vier Untersuchungsschritten zusammen, die letztlich das methodische Vorgehen bestimmen sollten. Hierbei handelt es sich um • die fachwissenschaftliche Auswertung vorhandenen Datenmaterials, • Datenerhebungen im Gelände durch In Situ-Messungen und Beobachtung bzw. Einsatz von Fernerkundungsverfahren sowie pflanzenphänologische Untersuchungen und Bioindikation, • die Anwendung physikalischer beziehungsweise numerischer Modellsimulationen zur Diagnose und Prognose sowie • die Bewertung der Ergebnisse mit Hilfe von Qualitätsstandards. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 36 Abb. 2: Klimatische und lufthygienische Untersuchungsmethoden in der Umweltmeteorologie (VDI 3787, Bl. 9 2002) Fig. 2: Climatic and hygienic investigations belong environmental meteorology (VDI 3787, Bl. 9 2002) In einem ersten Schritt einer Stadtklimauntersuchung sollte geprüft werden, ob bereits vorhandenes Datenmaterial (topographische und thematische Karten, Pläne, Tabellen usw.) über das Untersuchungsgebiet vorliegt, auf das zurückgegriffen werden kann. Aufbauend auf der Analyse vorhandener Daten ist dann zu entscheiden, ob es für die Problemlösung notwendig ist, Messungen im Gelände vorzunehmen oder auf Simulationen zurückzugreifen, die auf physikalischen (im Windkanal durchzuführende) bzw. mathematischen Modellen beruhen (Manier 1998). Grundsätzlich ist bei der Durchführung von Geländemessungen auf die Wahl repräsentativer Meßstandorte für die zu erfassenden meteorologischen und lufthygienischen Größen zu achten. Das kann wegen der Heterogenität städtischer Flächennutzungen und der meist nur in begrenztem Umfang zur Verfügung stehenden Temporärstationen nur über eine sinnvolle Generalisierung und Aufteilung des Stadtkörpers in Gebiete gleichartigen klimatischen beziehungsweise lufthygienischen Verhaltens erreicht werden. Derartig generierte räumliche Einheiten nennt man Klimatope beziehungsweise Aerotope (Scherer u.a. 1999), wofür im angloamerikanischen Sprachgebrauch der Begriff urban terrain zone verwendet wird (Ellefsen 1990/91). In-situ-Messungen an Temporärstationen besitzen den Vorteil, daß ortsbezogene Daten mit hoher zeitlicher Auflösung erhoben werden können. Bei Vorhandensein eines aus mehreren Stationen bestehenden Meßnetzes sind über die singulären Standortwerte auch raum-zeitliche Daten zu gewinnen. Diese können jedoch dreidimensional kaum aufgelöst werden, wenn nicht durch Vertikalsondierungen innerhalb der bodennahen Atmosphäre zusätzliche Informationen zur Verfügung stehen. Die über derartige Meßnetze ermittelten Daten lassen sich in erster Linie zur Lösung diagnostischer Probleme heranziehen; eine Prognosefähigkeit besitzen sie allerdings kaum. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 37 Geländemessungen können sowohl durch standortbezogene Vor-Ort-Messungen erfolgen (zum Beispiel an dafür eingerichteten Meßstationen) als auch mit Hilfe von Fernerkundungsverfahren (siehe unten) durchgeführt werden. Ergänzt werden beide Verfahren gegebenenfalls durch die Anwendung indirekter Verfahren, wie die Pflanzen-Phänologie sowie aktive und passive Bioindikation. Ferner ist festzulegen, welche Meßgrößen an welchen Standorten, über welcher Oberfläche, in welcher Höhe über Grund, mit welchen Instrumenten und in welcher zeitlichen Auflösung über welchen Zeitraum erfaßt werden sollen (Reuter und Hoffmann 1998). Häufig muß dabei von den jeweiligen Standardmeßhöhen abgewichen werden. Ist die Luftqualität an Einzelstandorten zu erfassen, können aktive oder passive Probenahmeverfahren eingesetzt werden (Moriske 2000). Aktive Verfahren zeichnen sich dadurch aus, daß Luft mittels einer Pumpe durch ein Meßgerät geleitet wird. Unterschieden werden dabei kontinuierliche Messungen, die aus einer selbstständig erfolgenden Probennahme, analytischen Bestimmung sowie anschließenden Meßwerterzeugung vor Ort bestehen, von diskontinuierlichen Verfahren, bei denen die Probennahme von der Analyse getrennt ist. Mit Hilfe von Passivverfahren werden „Immissionsraten“ bestimmt. Da sich die Meßdauer bei den letztgenannten Verfahren im Allgemeinen über mehrere Tage erstreckt, ist eine Verknüpfung der lufthygienischen mit meteorologischen Daten kaum möglich. Über die Vor- und Nachteile von aktiven und passiven Probenahmeverfahren informiert Tab. 3. Kontinuierliche Immissionsmessungen erfordern in der Regel einen hohen apparativen, logistischen und damit kostenintensiven Aufwand. Sie werden deshalb seltener eingesetzt als diskontinuierliche Verfahren, die zwar wesentlich kostengünstiger, aus den oben genannten Gründen jedoch auch ungenauer sind (Möller 2003). Tab. 3: Vor- und Nachteile aktiver und passiver Probennahmeverfahren im Vergleich (Moriske 2000) Table 3: Ad- and disadvantages of active and passive air sampling (Moriske 2000) Aktive Verfahren Vorteile Nachteile Passive Verfahren Prinzip aktive Ansaugung der Luft mittels Pumpen passive Erfassung durch Diffusion hohe zeitliche Auflösung - flexible und mobile ProbenErfassung von Kurzzeitspitzenwerten nahmetechnik Kontinuierliches Messen - hohe räumliche Auflösung (in der Regel) hohe Genauigkeit und (preiswerte Methode) - keine Geräuschentwicklung Präzision geringe Nachweisgrenzen - Unabhängigkeit vom Stromnetz hoher Kostenaufwand - geringe zeitliche Auflösung Regelmäßige Wartung und Kontrolle - Genauigkeit und Präzision hängen von UmgebungseinGeräuschentwicklung flüssen und der Geräte- bzw. elektrischer Anschluß Aufhängekonstruktion ab (in der Regel) nur stationärer Betrieb - direkter Vergleich mit Grenzwerten nur bedingt möglich Ein grundsätzliches Problem der an Temporärstationen gewonnenen meteorologischen und lufthygienischen Daten stellt deren geringe räumliche Repräsentanz dar. Um flächenhafte Aussagen treffen zu können, sind deshalb weitere Methoden – zum Beispiel mobile Meßwerterfassungen oder Modellsimulationen – anzuwenden. Mobile Meßwerterfassungen, insbesondere zum Nachweis meteorologischer Parameter (vor allem Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit) sind schon seit langer Zeit Bestandteil der Stadtklimaforschung (Überblick in Persson 1997). Hingegen werden lufthygienische Messungen mit diesen Verfahren erst seit einigen Jahren erfolgreich durchgeführt (Mayer und Haustein 1994, Kuttler und Wacker 2001). Mobile Messungen erfolgen meist mit Hilfe geeigneter Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 38 Fahrzeuge, die mit geringer Geschwindigkeit und entsprechender Meßausrüstung festgelegte Routen durch repräsentative Flächennutzungen in der Regel während schwachwindiger Strahlungswetterlagen befahren. Erfolgen derartige Meßfahrten über mehrere Stunden, müssen vom Tagesgang abhängige Einflüsse durch geeignete Korrekturverfahren kompensiert werden. Die geringe zeitliche Repräsentativität mobiler Messungen kann durch Wiederholungsfahrten erhöht werden (Kuttler u.a. 1996). Im Rahmen stadtklimatologischer Untersuchungen kann der Nachweis der ländlichstädtischen Belüftung einen besonderen Stellenwert einnehmen. Um zum Beispiel festzustellen, ob Kaltluft- oder sogar Frischlufttransporte zwischen Umland und Stadt über Luftleitbahnen während schwachgradientiger Wetterlagen erfolgen (Matzarakis und Mayer 1992), werden dazu optische Tracer (Raucherzeuger) oder chemische Tracer (z. B. SF6, CF4, C2F6; Eggert 1999, Weber und Kuttler 2003) in die bodennahe Atmosphäre des Kaltluftentstehungsgebietes emittiert und im städtischen Bereich (Zielgebiet) detektiert. Soll auch die Qualität der transportierten Luft ermittelt werden, ist es notwendig, lufthygienische Messungen mit einem mobilen Meßlabor innerhalb der Luftleitbahnen vorzunehmen. Mit Hilfe von Fernerkundungsverfahren, die boden- oder luftgestützt arbeiten, lassen sich sowohl meteorologische als auch lufthygienische Größen nachweisen. Methodisch nutzt man dabei entweder die Wechselwirkung von Schallwellen (beispielsweise SODAR, RASS) oder elektromagnetische Strahlung verschiedener Wellenlängen (RADAR; UV-, VIS- oder IRBereich) mit festen, flüssigen beziehungsweise gasförmigen Bestandteilen der Atmosphäre oder aber dem Erdboden (Emeis 2000, Foken 2003). Der Einsatz akustisch arbeitender Geräte kann wegen der häufig nicht unerheblichen Geräuschemissionen zu Konflikten – insbesondere bei Nachtmessungen – mit der Bevölkerung führen. Verfahrensbedingt beziehen sich die Ergebnisse der Fernerkundungsmethodik nicht auf Einzelpunkte, sondern auf Meßstrecken, Volumina oder Flächen. In der Stadtklimaforschung ist die Verwendung von Infrarotthermalaufnahmen zum Nachweis von Oberflächenstrahlungstemperaturen und daraus abgeleiteter Größen seit langer Zeit Tradition (Parlow 2003). Die meist unter Einsatz der Falschfarbenfotografie hergestellten Karten erlauben – je nach Pixelgröße – hoch aufgelöste flächendeckende Darstellungen der Temperaturverhältnisse für die Aufnahmezeitpunkte. Hierbei – wie auch bei anderen flächendeckend arbeitenden Verfahren – muß allerdings berücksichtigt werden, daß es sich um die zweidimensionale Projektion eines dreidimensionalen, gerade in Stadtgebieten äußerst heterogen genutzten Raumes handelt. Ferner muß bedacht werden, daß die durch ein Thermalbild repräsentierten Oberflächentemperaturen in Bezug auf den langwelligen Emissionsgrad (ε) nicht automatisch differenziert werden und somit den auf dem materialspezifischen ε-Wert beruhenden Unterschied zwischen Ausstrahlungs- und Oberflächentemperatur entstehen lassen. Diese Differenz kann sich im Einzelfall durchaus auf einige Kelvin belaufen und damit bei der Auswertung Interpretationsprobleme verursachen. Auch ist es kaum möglich, aus Thermalbildaufnahmen flächenbezogene Lufttemperaturen für die bodennahe Atmosphäre abzuleiten. Dennoch können Thermalbildkarten im Rahmen einer Stadtklimauntersuchung als zusätzlich angewandte Hilfsmittel wertvolle Dienste leisten, da eine Generalisierung und eine eventuelle Zusammenfassung thermisch ähnlich reagierender Flächen leichter möglich ist und diese somit für die eventuelle Planung eines Meßnetzes herangezogen werden kann. Die unbestreitbaren Vorteile der Anwendung physikalischer oder numerischer Modellsimulationen sind in der Erzeugung meist hoch aufgelöster dreidimensionaler Datenfelder zu sehen, woraus Raumaussagen abgeleitet und bei Bedarf auch verschiedene Planungsszenarien dargestellt werden können. Der Nachteil des Einsatzes von Modellsimulationen ist allerdings, daß viele der verwendeten Größen parametrisiert werden müssen und deshalb nur ein unvollkommenes Bild der Realität widerspiegeln (Groß und Etling 2003). Insbesondere in der praxisorientierten Stadtklimatologie spielt die möglichst objektive Bewertung der Meß-, Berechnungs- oder Beobachtungsergebnisse gerade im Rahmen human- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 39 biometeorologischer Aspekte eine wichtige Rolle (siehe Abschnitt 6). Die Ziele einer derartigen Evaluation liegen vor allem in der begründeten Ausweisung klimatischer und/oder lufthygienischer Belastungs- beziehungsweise Ausgleichsräume, in der Klassifizierung der Empfindlichkeit einer Fläche gegenüber bestimmten Nutzungen oder der Inwertsetzung eines klimatisch-lufthygienischen Phänomens in Hinblick auf die vorausschauende Optimierung von Flächennutzungen (Matzarakis 2001, Mayer und Matzarakis 2003). Hinsichtlich der Bewertungsverfahren unterscheidet man relative von absoluten Bewertungen. Bei der relativen Evaluation werden räumliche beziehungsweise zeitliche Unterschiede von gemessenen Größen festgestellt, ohne daß diese auf Standards bezogen werden. Eine absolute Bewertung orientiert sich hingegen an entsprechenden Prüfgrößen, die rechtsverbindlichen Charakter tragen können. URSACHEN DES STADTKLIMAS Die Ursachen des städtischen Klimas sind sowohl auf makroskalige als auch auf mikro- und mesoskalige Einflussgrößen zurückzuführen. Zur Gruppe der makroskalig wirksam werdenden Faktoren zählen • die Breitenlage bzw. Klimazone, • die Oberflächenformen und deren Beschaffenheit (Relief- und Topografieverhältnisse) sowie • die Entfernung zu großen Wasserkörpern. Die Gruppe der mikro- bis mesoskalig wirksamen Einflußgrößen besteht in erster Linie aus • • • • • • • der Stadtgröße, der Einwohnerzahl, der Art der städtischen und ländlichen Flächennutzungen, die kleinräumigen topografischen städtischen und ländlichen Verhältnisse, der Höhe des Versiegelungsgrads des Bodens, der Intensität der dreidimensionalen Strukturierung eines Stadtkörpers sowie der Emissionsstärke gasförmiger, fester und flüssiger Luftbeimengungen sowie fühlbarer und latenter Abwärme aus technischen Prozessen (Qanthr). Die Einflüsse der eher großräumig wirkenden Faktoren treten im Allgemeinen hinter diejenigen der Meso- und Mikroskala zurück, wie Wienert (2002) anhand der Auswertung umfangreichen statistischen Materials belegen konnte. Wichtige stadtklimatische Steuerungsgrößen stellen neben der Größe und Struktur von Städten somit in erster Linie die auf dem thermischen und hydrologischen Verhalten der städtischen Baukörper beruhenden Oberflächenenergiebilanzen, die Zuordnung und Mischung von bebauten und nicht bebauten Flächen, die Abwärme- und Wasseremissionen sowie die Freisetzungsstärke von Luftverunreinigungen dar. Hierauf soll nachfolgend eingegangen werden. Quantifizierung der stadtklimatischen Wirkungsfaktoren Thermische und hydrologische Eigenschaften städtischer Oberflächen Ein Charakteristikum städtischer Oberflächen ist deren Versiegelung. Hierunter versteht man eine mehr oder weniger vollständige Abdichtung der Oberflächen durch undurchlässige Stoffe, so daß Flüssigkeiten, insbesondere Wasser, aber auch Gase nicht mehr zwischen Bo- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 40 den und Atmosphäre ausgetauscht werden können. Unterschieden wird eine Überflur- von einer Unterflurversiegelung. Bei letzterer handelt es sich um die Einschränkung von Energieund Stofftransporten innerhalb des Untergrundes. Tunnel für Untergrundbahnen, Kanal- und Leitungssysteme, Tiefgaragen aber auch Untergrundpassagen und –geschäftsstraßen sind Beispiele dafür. Der Begriff Versiegelung ist nicht eindeutig definiert. Allgemein faßt man hierunter Siedlungsflächen zusammen, d.h. Gebäude- und Verkehrswegeflächen sowie Plätze, ohne daß eine weitere Differenzierung durch die Angabe von Porositäts- bzw. Wasserdurchlässigkeitswerten erfolgt. Einzelne Versiegelungsstufen sind mit entsprechenden Beispielwerten in Tab. 4 enthalten. Als Versiegelungsgrad wird das Verhältnis von versiegelter Fläche zur entsprechenden Gesamtstadtfläche bezeichnet. Der durchschnittliche Anteil der versiegelten Flächen in Deutschland stieg von 7,7 % (1950/51) auf 12,2 % (1997) der Staatsfläche an. Mittelwerte des Versiegelungsgrades deutscher Großstädte (z. B. Essen) erreichen Werte von bis zu 0,6, während in Innenstädten und reinen Industriegebieten solche von bis zu 1 auftreten. Entsiegelungsmaßnahmen während der vergangenen Jahre haben allerdings in einigen Städten wieder zu einem größeren Freiflächenanteil geführt. Tab. 4: Beschreibung der Versiegelungsstufen (nach Wessolek und Renger 1998) Table 4: Description of different sealing levels (after Wessolek und Renger 1998) Versiegelungsstufe (in %) Flächencharakteristik I Mäßige Versiegelung, Einfamilienhaussiedlungen, Kleingartengebiete, Zeilenhaussiedlungen Mittelwert 30 % = Stufe I Mittlere Versiegelung, Blockrandbebauung, Nachkriegsbaugebiete Mittelwert 60 % = Stufe II Starke Versiegelung, städtische Baugebiete mit Blockbebauung, ältere Industrieanlagen Mittelwert 80 % = Stufe III Sehr starke Versiegelung, unzerstörte Blockbaugebiete der Innenstadtbezirke und Industrieflächen, die in jüngerer Zeit entstanden oder verändert worden sind Mittelwert 90 % = Stufe IV 10 - 50 II 45 - 75 III 70 - 90 IV 85 - 100 Versiegelte und nicht versiegelte Flächen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer thermischen und hydrologischen Reaktionen in starkem Maße voneinander und beeinflussen deshalb in besonderer Weise die klimatischen Verhältnisse von Siedlungsgebieten. a) Thermische Eigenschaften städtischer Oberflächen Farbe, Zusammensetzung, Bedeckung, Versiegelungsgrad, Oberflächenrauigkeit, Wasserversorgung sowie Ausrichtung zum solaren Strahlungseinfall entscheiden darüber, wie viel Energie über die städtischen Oberflächen aufgenommen, in der Bausubstanz ´gespeichert` bzw. von dieser an die Atmosphäre abgegeben wird. Damit bestimmt die Strahlungsbilanz (Q )٭der Oberflächen das jeweilige thermische Mikroklima. (Tab. 5). So werden beispielsweise extreme Werte für Stahl erreicht, der in Verbindung mit Beton vielfach verwendeter Baustoff in Städten ist. Stahlbetonbauten erreichen die höchsten Wärmespeicherfähigkeiten künstlicher Materialien. Die Bodenfeuchte spielt für den Wärmehaushalt ebenfalls eine wichtige Rolle, wie der Vergleich eines trockenen mit einem wassergesättigten (Lehm-)Boden zeigt. Die thermischen Eigenschaften erhöhen sich in feuchtem Boden zum Teil erheblich. Für das thermische Bodenklima resultiert daraus, daß Temperaturände- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 41 rungen zwar schneller und in größere Tiefen vordringen als in trockenen Substraten, an der Oberfläche sich jedoch – bedingt durch den Energieaufwand für die Evaporation – niedrigere Temperaturen einstellen. Dadurch wird letztendlich jedoch weniger Energie über L↑ und QH an die Atmosphäre abgegeben und in den Boden transportiert. Tab. 5: Thermische Eigenschaften künstlicher und natürlicher Materialien (nach Zusammenstellungen aus Oke 1990, Hupfer und Kuttler 1998, Zmarsly u.a. 2002) Table 5: Thermic properties of artificial and natural materials (after compilations by Oke 1990, Hupfer and Kuttler 1998, Zmarsly u.a. 2002) Material Dichte (g cm-3 ⋅103) spez. Wärmekapazität (J kg-1K-1 ⋅103) 0,92 0,88 0,88 0,84 0,75 0,92 1,42 1,88 0,50 0,67 1,05 0,88 1,80 0,89 Wärmekapazitätsdichte (J m-3K-1⋅ 106) 1,94 0,28 2,11 2,25 1,37 1,77 0,45 1,52 3,93 1,66 1,49 0,02 0,29 1,42 Wärmeleitfähigkeitskoeffizient (W m-1K-1) Asphalt 2,11 0,75 Gasbeton 0,32 0,08 Schwerbeton 2,40 1,51 Naturstein 2,68 2,19 Backsteinb 1,83 0,83 Lehmziegelb 1,92 0,84 Weichholz 0,32 0,09 Hartholz 0,81 0,19 Stahl 7,85 53,30 Glas 2,48 0,74 Gipsplatteb 1,42 0,27 Polystyrol 0,02 0,03 Kork 0,16 0,05 Lehmboden, 1,60 0,25 trocken (40% Poren2,00 1,55 3,10 1,58 volumen) Wasser, 4° C 1,00 4,18 4,18 0,57 unbewegt Luft, 10° C 0,0012 1,01 0,0012 0,025 unbewegt Luft, turbulent 0,0012 1,01 0,0012 ≈ 125 a Die Eigenschaften aller aufgeführten Größen sind temperaturabhängig b durchschnittlich Temperaturleitfähigkeitskoef. (m2s-1⋅10-6) 0,38 0,29 0,72 4,93 0,61 0,47 0,20 0,13 13,60 0,44 0,18 1,50 0,17 0,18 Wärmeein dringkoeffizient (J m-2s-0,5 K-1) 1205 150 1785 2220 1065 1220 200 535 14475 1110 635 25 120 600 0,51 2210 0,14 1545 20,50 5 10 ⋅ 106 390 Asphaltoberflächen stellen in Städten typische Flächenversiegelungsmaterialien dar und zeichnen sich im Vergleich zu natürlichem Boden (trockener Lehmboden) über eine dreimal so hohe Wärmeleitfähigkeit, doppelt so hohe Temperaturleitfähigkeit und einen über dreimal so hohen Wärmeeindringkoeffizienten aus. Sie absorbieren aufgrund ihrer überwiegend dunklen Farbe viel Strahlungsenergie, die sowohl über die langwellige Ausstrahlung (L↑) und den turbulenten sensiblen Wärmestrom (QH) in die Luft gelangt als auch über die Wärmeleitung in die Tiefe (QB) transportiert wird und dort solange verbleibt (Wärmereservoir), bis der Temperaturgradient sein Vorzeichen ändert. Asphaltoberflächen heizen sich im Vergleich zu natürlichen Materialien bei starker sommerlicher Einstrahlung dann am stärksten auf, wenn sie trocken sind, da kein Energietransport über die Verdunstung (QE) stattfindet. Dadurch steht der Betrag der Strahlungsbilanz ausschließlich für die turbulente Lufterwärmung und die Bodenerwärmung zur Verfügung. Das unterscheidet eine derartige Oberfläche von natürlichem Boden, der meistens Feuchtigkeit enthält und diese unter Aufwand von Energie in die Atmosphäre transportiert. Dieser Anteil steht dann der Luft- und Bodenerwärmung nicht zur Verfügung, so daß natürliche Bodenoberflächen in der Regel kühler sind. Das Temperaturverhalten einer trockenen sommerwarmen Asphaltoberfläche wird exemplarisch in Abb. 3 dargestellt. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 42 Abb. 3: Tagesgang der Luft-, Asphaltoberflächenund Bodentemperatu-ren am 11.08.94 in Wien (Anandakumar 1999) Fig. 3: Diurnal variation of air, asphalt and soil temperature on August 8, 1994 in Vienna (Anandakumar 1999) In Bezug auf die Lufttemperatur ist festzustellen, daß diese den ganzen Tag über – insbesondere zur Mittagszeit – deutlich niedriger ist als die Oberflächentemperatur. Daraus resultiert ein von der Oberfläche in die Atmosphäre gerichteter Energietransport, der tagsüber und nachts die Luft mit Wärme versorgt, und zwar sowohl über die langwellige Ausstrahlung als auch über den turbulenten sensiblen Wärmestrom. Es stellt sich aber auch zwischen Oberfläche und Boden (- 8 cm) ein Temperaturgradient ein, der allerdings im Tagesgang das Vorzeichen und damit die Richtung ändert. Zwischen 10 Uhr und 18 Uhr ist dieser Gradient von der Oberfläche in den Boden gerichtet, wodurch ein Wärmetransport in die Tiefe erfolgt. In den Abend-, Nacht- und Morgenstunden (zwischen 18 Uhr und 10 Uhr) hingegen sind die Untergrundtemperaturen höher als die der Oberfläche, so daß die Richtung des Temperaturgradienten wechselt, wodurch Wärme nach oben geleitet wird. Dieser Wärmetransport sorgt dafür, daß auch nachts relativ hohe Oberflächentemperaturen – in diesem Fall zwischen 24 ˚C und 26 ˚C – erhalten bleiben. Die nächtliche Abkühlung über asphaltierten Flächen ist somit stark eingeschränkt. Das kann gerade in dicht bebauten und damit schlecht durchlüfteten Gebieten zu hohen nächtlichen Temperaturen führen. Tab. 6: Oberflächenstrahlungstemperaturen verschiedener Flächennutzungen in Köln um 20 Uhr und um 3 Uhr während der Strahlungsnacht vom 30.06./01.07.1993 (Grundlage: IR-Thermalbefliegung, ε = 1,0) Table 6: Surface radiation temperatures of different surfaces used in Cologne at 20:00 abd 03:00 during a clear night on 30.06./01.07.1993 (base: IR thermic flighting, ε = 1,0) Oberfläche Hauptstraße, Innenstadt Hauptstraße, Umland Gebäude, Innenstadt Gebäude, Umland Gleisanlage Friedhof Rhein Wald Acker TO (20 MEZ) /K 22 20 21 21 21 19 18 17 14 TO (3 MEZ) /K 17 13 17 13 12 12 18 11 9 ∆ TO (20-3) /K 5 7 4 8 9 7 0 6 5 Mit Hilfe von Infrarot-Thermalbildern läßt sich dieser Abkühlungsprozeß für verschiedene Nutzungen flächenhaft darstellen, wenn Aufnahmen zu verschiedenen Zeiten durchgeführt wurden und diese miteinander verglichen werden. Beispiele hierfür sind Tab. 6 zu entnehmen. Hiernach ergeben sich für den Abendtermin (20 Uhr, MEZ) die höchsten Werte für die Nutzungstypen Hauptstraßen und Häuser in der Innenstadt sowie für Gleisanlagen. Am stärksten kühlen sich bis zum Vergleichstermin (3 Uhr, MEZ) Gleisanlagen ab (9 K) sowie Straßen und Gebäude im Umland (7 K resp. 8 K). Im Vergleich dieser Nutzungen zum 20 Uhr Termin zeigt sich jedoch, daß die in der Innenstadt verlaufenden Straßen und gelegenen Gebäude eine Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 43 wesentlich höhere Temperaturhaltefähigkeit besitzen. Die Innenstadtgebäude kühlen sich vergleichsweise nur halb so stark ab, wie die im Umland befindlichen. Die kältesten Flächen zum 3 Uhr Termin sind Äcker und Wälder, wo Kaltluft gebildet werden kann. Größere Wasserkörper (Rheinwasser) weisen hingegen meist keine Temperaturänderungen zwischen den beiden Terminen auf und bleiben nachts von den hier dargestellten Oberflächen am wärmsten. b) Hydrologische Eigenschaften städtischer Oberflächen Unter hydrologischen Eigenschaften städtischer Oberflächen sollen Abfluß, Infiltration (Eindringen von Wasser in den Untergrund), kapillarer Aufstieg von Wasser, Verdunstung sowie Versickerung (Durchgang von Sickerwasser durch ungesättigte Bodenhorizonte) von Niederschlagswasser verstanden werden. Diese Eigenschaften werden u.a. von der Versiegelung, dem Porenvolumen (Hohlraumanteil am Bodenvolumen) sowie der Porosität (Bruchteil des Porenvolumens am Boden) bestimmt. Der Oberflächenabfluß hängt außer vom Gefälle und Versiegelungsgrad auch von der materialspezifischen Benetzungskapazität ab. Eine starke Benetzung der Oberfläche führt zu einem verzögerten Abflußbeginn insbesondere dann, wenn nach starker Einstrahlung und Erwärmung der Versiegelungsmaterialien anschließend fallende Niederschläge z.T. sofort verdunsten. Hierbei können Werte von bis zu 0,6 mm – im Vergleich zu kühlerer Witterung – erreicht werden (Wessolek und Facklam 1997). Tab. 7: Wasserhaushaltskomponentena versiegelter Flächen in Berlin (Meßperiode April 1985 bis März 1986), nach Wessolek (2001) Table 7: Wtare budget parametera of sealed surfaces in Berlin (measurement periode April 1985 until March 1986), after Wessolek (2001) Niederschlag mm %Nd Abfluß mm %Nd Versickerung mm %Nd Verdunstung mm %Nd Kunststeinplattenb 631 100 104 16 319 51 208 33 Betonverbundsteine 631 100 103 16 379 60 149 24 Rasengittersteine 631 100 32 5 318 50 282 45 Straße (Asphalt) 631 100 455 72 51 8 126 20 a Die potentielle Verdunstung (nach Haude) belief sich in dem angegebenen Zeitraum auf 650 mm b mit Mosaikpflaster (Gehweg) Für die Infiltration von Wasser in den versiegelten Untergrund sind Anzahl und Durchlässigkeit von Fugen und Rissen des abdichtenden Materials maßgeblich. Sind diese z. B. durch tonreichen Straßenstaub an der Oberfläche verstopft, so muß von geringeren Infiltrationsraten ausgegangen werden als bei durchlässigen, mit Sand gefüllten Öffnungen. Für vier verschiedene typisch städtische Oberflächen enthält Tab. 7 die sich über ein Jahr ergebenden Wasserhaushaltskomponenten. Hieran zeigt sich auch die außerordentlich große Variabilität auf kleinem Raum. In Bezug auf den Abfluß weisen Asphaltflächen mit 72% des Niederschlags den größten Wert auf, während über Rasengittersteinflächen (typisch für befestigte Stellplätze) nur 5% abfließen. Bei der Versickerung kehren sich die Verhältnisse jedoch um: Während in den Asphalt nur 8% eindringen, sind es bei den anderen Materialien, die durch mehr oder weniger große Öffnungen mit dem Untergrund verbunden sind, bis zu 60%. Eine stadtklimatisch außerordentlich wichtige Größe stellt die Verdunstung dar. Wie den Werten für die genannten Oberflächen entnommen werden kann, werden zwischen 20% (Asphalt) und maximal 45% (Rasengittersteine) des Jahresniederschlags verdunstet. Damit ist ein erheblicher Energieaufwand verbunden (qv,W 20° C = 2,45 MJ kg-1), der für die Erwärmung der Atmosphäre (L↑ ; QH ) dann nicht mehr zur Verfügung steht. Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Veranschlagt man für Berlin eine durchschnittliche Jahressumme der Strahlungsbilanz von 440 kWh m-2 a-1, dann belaufen sich die für die Verdunstung (E) aufzuwendenden Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 44 latenten Wärmeströme QE der Asphaltfläche (E = 126 mm) auf rund 85 kWh m-2 a-1 und für die Rasengittersteinfläche (E = 282 mm) auf rund 191 kWh m-2 a-1. Entsprechend werden für die Asphaltfläche nur 19%, für die Oberfläche aus Rasengittersteinen hingegen 43% der Jahressumme der Strahlungsbilanz für die Verdunstung aufgewendet. Das bedeutet, daß über Straßen 81% der Strahlungsbilanz für die Lufterwärmung (QH) und den Bodenwärmestrom (QB), über Rasengittersteinen jedoch nur 57 % der Jahresenergie hierfür zur Verfügung stehen. Die niedrigen Luft- und Strahlungstemperaturen über den verdunstungsaktiveren Flächen sind ein Beleg dafür. Neben den klimatischen Auswirkungen spielen versiegelte oder teilversiegelte Oberflächen eine herausragende Rolle für die Grundwasserneubildung in Stadtökosystemen. Messungen innerhalb städtischer Flächennutzungen belegen, daß in Stadtgebieten mit erheblichen Unterschieden gerechnet werden muß. So können Versiegelungsmaterialien mit hohen Fugenanteilen (Betonverbund- und Grasbetonsteine) sowie auf Böden aufgebrachte Verdunstungssperrschichten (z. B. Kies) höhere Grundwasserneubildungsraten aufweisen als freie Ackerflächen. Das liegt daran, daß einsickerndes Wasser durch die teilweise erfolgte Oberflächenversiegelung stärker gegen Verdunstung geschützt ist als unbedeckte natürliche Oberflächen (Wessolek 2001). Diese Ergebnisse zeigen, daß ein Stadtgebiet hinsichtlich der Grundwasserneubildungsrate sehr differenziert betrachtet werden muß. Anthropogene Wärmestromdichten Unter dem Begriff anthropogene Wärmeproduktion (Qanthr) wird die aus dem Betrieb von Kraftfahrzeugen, Kraftwerken, Industrieanlagen und der Gebäudeklimatisierung (Heizen und Kühlen) resultierende thermische Emission verstanden. Gelegentlich wird hierunter auch die durch den Metabolismus der Organismen – in diesem Fall der Stadtbewohner – freigesetzte Wärme (QMet) subsumiert. Diese macht allerdings nur einen vernachlässigbaren Anteil an der Gesamtsumme von Qanthr aus, wie folgende Abschätzung zeigt: Berücksichtigt man z. B. einen „mittleren Aktivitätszustand“ von etwa 200 Watt pro Person unter Berücksichtigung einer Großstadt mit 600.000 Einwohnern bei einer Stadtfläche von 200 km2, dann wird durch QMet eine mittlere flächenbezogene Wärmestromdichte von nur 0,6 W m-2 erreicht. Das bedeutet, daß selbst hohe Einwohnerdichten in städtischen Gebieten nicht in der Lage sind, ausschließlich durch den Metabolismus verursachte, hohe, das thermische Stadtklima beeinflussende Werte zu erzielen. Für die Innenraumklimatologie, die hier nicht behandelt wird, stellt hingegen die durch den menschlichen Stoffwechsel produzierte Wärme einen wichtigen Faktor dar, der bei der Gebäudeklimatisierung berücksichtigt wird. Die auf technischen Prozessen beruhenden anthropogenen Wärmestromdichten können jedoch in Abhängigkeit vom Typus sowie von der geografischen Breite und topografischen Lage eines städtischen Siedlungskörpers sehr unterschiedliche Werte annehmen. So werden z. B. große Werte sowohl durch hohe Einwohnerdichten als auch durch hohen Pro-KopfEnergieverbrauch verursacht (Tab. 8). Auch stellen sich Tages-, Wochen- und Jahresgänge je nach Aktivität des Wirtschafts- und Privatlebens der Bevölkerung ein. Untersuchungen zum Tagesgang des Energieverbrauchs in verschiedenen nordamerikanischen Städten haben z. B. gezeigt, daß je nach geographischer Lage der Städte die anthropogenen Wärmestromdichten morgens und abends zwischen 25 % und 50 % höher sein können als das Tagesmittel (Sailor u.a. 2003). Besonders hohe Qanthr – Werte lassen sich im Allgemeinen in winterkalten Ballungsräumen beobachten, in denen ein großer Teil des Energieeinsatzes zur Gebäudeerwärmung benötigt wird. Effektive Wanddämmungen reduzieren allerdings den Energieverbrauch in erheblichem Maße. Aber auch für sommerheiße Siedlungsgebiete kann ein hoher Energieverbrauch nachgewiesen werden, der nicht nur zur Gebäudekühlung aufgewendet wird. So berichten Ichinose u.a. (1999) über extrem hohe anthropogene Wärmestromdichten, die sie für den Innenstadtbereich von Tokio ermittelten. Hier lagen die Qanthr -Werte tagsüber bei Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 45 über 400 W m-2 und erreichten im Maximum sogar 1590 W m-2, wobei mehr als die Hälfte dieser Wärmestromdichten allein auf den Warmwasserverbrauch von Hotels entfiel. Energieeinsparungen beim Betrieb von Klimaanlagen ergeben sich dann, wenn z. B. die Albedo der Gebäudeaußenfassaden und -dächer erhöht wird. Für helle Gebäude nordamerikanischer Städte konnte auf der Basis numerischer Modellsimulationen ein um bis zu 15 % geringerer Energieverbrauch in den Sommermonaten gegenüber dunklen, die Sonnenstrahlung stark absorbierenden Gebäudehüllen nachgewiesen werden (Akbari u.a. 1999). Tab. 8: Pro-Kopf-Energieverbrauch (GJ), Flußdichten der anthropogenen Wärmeproduktion (Qanthr) und der natürlichen Strahlungsbilanz (Q*) in W m-2 ausgewählter Städte (nach Zusammenstellungen aus Helbig 1987, Oke 1990, Steinecke 1999, Ichinose u.a. 1999) Table 8: Per capita energy consumption (GJ), flux densities of man-made heat production (Qanthr) and natural radiations budget (Q*) in W m-2 of selected cities (after compilations by Helbig 1987, Oke 1990, Steinecke 1999, Ichinose et al. 1999) Stadt (geogr. Breite) Fairbanks (64° N) Reykjavík (64° N) Sheffield (53° N) Berlin (West) (52 ° N) Vancouver (49° N) Budapest (47° N) Jahr Fläche (km2) 19651970 1992 37 Einwohner (106) 0,03 Einwohnerdichte (km-2) 810 38 0,1 2680 1952 48 0,5 1967 234 1970 ProKopfVerbr. 740 Qanthr Q* Q anthr Q* ⋅ 100 19 18 106 1100 35 90 39 10420 58 19 56 34 2,3 9830 67 21 57 37 112 0,6 5360 112 19 57 33 1970 113 1,3 11500 118 Montreal (40° N) 1961 78 1,1 14102 221 Manhattan (40° N) 1967 59 1,7 28810 128 Tokyo (35° N) 1989 612 8,1 13235 70 Los Angeles (34° N) 196570 3500 7,0 2000 331 43 32 51 99 57 153 117 40 198 31 25 40 21 46 100 52 92 13 93 59 100 17 108 93 190 62 1177 126 53 25 235 19 Hongkong (22° N) 1971 1046 3,9 3730 34 4 ~ 110 4 Singapur (1° N) 1972 568 2,1 3700 25 3 ~ 110 3 Emission von luftverunreinigenden Stoffen Die Luftqualität in Städten wird durch zahlreiche Emissionsquellen sowie durch die vom bodennahen atmosphärischen Austausch abhängige Transmission bestimmt. Wichtigste Verursachergruppen anthropogener gas- und partikelförmiger Luftbeimengungen sind der Kraftfahrzeugverkehr, Industrie und Gewerbe, Kraftwerke sowie öffentliche und private Gebäude, wobei Abhängigkeiten zum Industrialisierungsgrad, zur Wirtschaftsstruktur sowie zur geografischen und topografischen Lage der Ballungsräume bestehen. In einigen Ländern prägen Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 46 darüber hinaus Emissionen, die der Biomasseverbrennung entstammen, sowie herantransportierter Staub aus Wüstengebieten (Indien, China) oder anderen winderosionsanfälligen Flächen die Luftqualität von Ballungsräumen. Zu den gegenwärtig wichtigsten Indikatoren der luftverschmutzten Stadtatmosphäre zählen NO, NO2, NOy, CO, CO2, NMVOC, O3, SO2, Staub und Ruß. Tab. 9 enthält für ausgewählte Quellsektoren Angaben zur Emissionssituation in Deutschland. Tab. 9: Jahresemissionen ausgewählter Spurenstoffe nach verschiedenen Sektoren in Deutschland (vorläufige Angaben für 2001), nach UBA (2002) Table 9: Yearly emissions of selected trace substances from different sources in Germany (preliminary datra from 2001), after UBA (2002) Spurenst./ Quelle NOx 1592 kt kt %a CO 4797 kt kt % SO2 650 kt kt % Staub 247 kt kt % NMVOCb 1606 kt kt % CO2 871 Mt1) kt % Kfz-Verkehr 835 52 2289 48 20 3 34 14 297 18 167 19 Industriefeu- 189 12 658 14 150 23 6 2 7d <1 135 16 erung.c Kraft- und 272 17 104 2 326 50 26 10 6 <1 343 39 Fernheizw. Haushalte 88 6 852 18 70 11 13 5 60 4 131 16 a relative Angaben beziehen sich auf entsprechende Jahressummen (ergeben nicht zwangsläufig 100 %, da nur ausgewählte Sektoren betrachtet wurden) b NMVOC = non methane volatile organic compounds (flüchtige organische Verbindungen außer Methan) c Ohne Industrieprozesse, die im Falle von Staub und NMVOC hohe Werte einnehmen d Ohne Lösemittelverwendung, die an der Emission dieses Spurenstoffs zu 62% beteiligt ist Hiernach sind über 50% der NOx-, fast 50 % der CO- sowie beinahe 20% der NMVOCFreisetzungen auf den Kfz-Verkehr zurückzuführen. Unter anderem dienen die letztgenannten Spurenstoffe als Vorläufergase des sich sekundär in der Atmosphäre bildenden O3. Für die genannten Spurenstoffe (Ausnahme: Ozon) durchgeführte Zeitreihenanalysen belegen – insbesondere für das vergangene Jahrzehnt – einen z. T. erheblichen Rückgang der Emissionen, was auf den Einbau wirksamer Filteranlagen in Abluftkaminen, auf eine Änderung des Energieverbrauchsverhaltens der Bevölkerung und auf die Einführung des Katalysators für Kraftfahrzeuge zurückzuführen sein dürfte (UBA 2002). AUFBAU DER STADTATMOSPHÄRE Sowohl die Struktur und räumliche Anordnung von Gebäuden als auch die für Stadtgebiete typischen Stoff- und Energieströme führen zur Modifikation der Planetaren Grenzschicht (engl. planetary boundary layer, PBL) im Siedlungsbereich. Unter den klimatisch optimalen Verhältnissen einer windschwachen strahlungsreichen Wetterlage stellen sich die Unterschiede zwischen einer Stadt- und Umlandatmosphäre besonders gut heraus. Die PBL des flachen und homogenen Umlandes einer Stadt läßt sich in eine Bodenschicht (Prandtlschicht, engl. Surface Layer, SL) und die darüber liegende Mischungsschicht (Ekmanschicht, engl. Mixing Layer, ML) unterteilen (z. B. Stull 1988). Die Mächtigkeit der Bodenschicht wird in der Regel mit etwa 10 % der Grenzschichthöhe abgeschätzt (vgl. Abb. 4a). In ihr gelten die Flußdichten von Impuls, Wärme und Feuchte als quasikonstant, auch dominiert die Schubspannung noch über die Gradient- und Corioliskraft. Die bauliche Komplexität eines Stadtkörpers führt zu einer feineren vertikalen Untergliederung der Stadtatmosphäre. Diese ist weitgehend abhängig von der Art, Größe, Flächendichte und Ausrichtung (Längs- und Querachsenlage) der Bebauung. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 47 Abb. 4: Modifikation der Planetaren Grenzschicht (PBL) durch einen Stadtkörper nach Oke (1997) Fig. 4: Modification of the planetary boundary layer (PBL) by the city, after Oke (1997) Im Allgemeinen bildet die von der Bodenoberfläche bis zum mittleren Dachniveau definierte Stadthindernisschicht (engl. urban canopy layer, UCL) den unteren Teilbereich der sogenannten Stadtreibungsschicht (engl. urban roughness sublayer, URS; vgl. Abb. 4b). Die Strömung innerhalb der URS ist stark lokal geprägt und wird durch die spezifische Anordnung einzelner Rauigkeitselemente (Abb. 4c) charakterisiert (Rotach 1999). Oberhalb der URS nehmen diese Einflüsse auf das Strömungsfeld ab, so daß ein weitgehend homogenes Turbulenzfeld vorliegt. In Analogie zur Bodenschicht des Umlandes kann wiederum eine Quasikonstanz der turbulenten Flußdichten angenommen werden (z.B. Roth 2000). Den Abschluß nach oben bildet die städtische Mischungsschicht (engl. urban mixing layer, UML), deren Mächtigkeit im Durchschnitt ein bis zwei Kilometer beträgt. Hier schwindet allmählich der Einfluß der Schubspannung zugunsten der Zunahme von Gradient- und Corioliskraft. Erst in der freien Atmosphäre (engl. free atmosphere, FA), die über dem städtischen „Störkörper“ in einer größeren Höhe als über dem Umland beginnt, läßt sich ein Stadteffekt kaum noch nachweisen. Die vorgenannte schematische Gliederung der Stadtatmosphäre kann durch die vorherrschende Windströmung modifiziert werden. So entwickelt sich luvseitig vom Rauigkeitssprung Umland-Stadt in Abhängigkeit von der Stärke der Wechselwirkungen mit der Unterlage ihre Mächtigkeit, erreicht im Idealfall ein Maximum über der Stadt und paßt sich leeseitig nach Überschreiten der Bebauungsgrenzen wieder den vom Umland vorgegebenen Oberflächenverhältnissen an. Allerdings kann oberhalb der Umlandbodenschicht (engl. rural layer, BL) die städtische Abluftfahne (engl. urban plume, UP) bei entsprechenden Windverhältnissen noch mehrere Kilometer fortbestehen und - turbulenzbedingt - auch den Boden erreichen, bevor sie endgültig aufgelöst wird. In Einzelfällen kann das dazu führen, das weitab von den Siedlungsgebieten stadtklimatische Verhältnisse im Umland auftreten. Unter windarmen Strahlungswetterbedingungen weist die Stadtatmosphäre mit ihrem Schichtenaufbau eine gut strukturierte Abhängigkeit im Tagesgang auf, wobei tagsüber durch Konvektion die Mischungsschicht wesentlich mächtiger ist als nachts. Das beeinflußt auch die Ausbreitung von Luftbeimengungen und damit deren Konzentrationen. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 48 KOMPONENTEN DER STADTKLIMATISCHEN GRÖSSEN Städtische Energiebilanz Die städtische Energiebilanz, die sich aus dem Strahlungs- und Wärmehaushalt zusammensetzt, unterliegt zahlreichen Einflüssen, die innerhalb der städtischen Grenzschicht sowohl auf die reflektierenden, streuenden und absorbierenden gas- und partikelförmigen sowie flüssigen Luftbeimengungen zurückzuführen sind, als auch durch Art, Gliederung, Nutzungsstruktur und Exposition der Oberflächen geprägt werden. Unter der Voraussetzung von Austauscharmut und Niederschlagsfreiheit setzt sich die städtische Energiebilanz an der Grenzfläche Boden/Luft aus den in Gl. 1 genannten Einzelgliedern zusammen: Q* + Qanthr + QMet + QH + QE + QB = 0 (W m-2) (2) mit Q* der Strahlungsbilanz, Qanthr der anthropogenen Wärmeflußdichte, QMet der metabolischen Wärmeflußdichte, QH der turbulenten fühlbaren Wärmeflußdichte, QE der turbulenten latenten Wärmeflußdichte und QB der Bodenwärmeflußdichte (alle Einheiten in W m-2). Nach dem Energieerhaltungssatz muß die Summe der einzelnen Glieder der Energiebilanz ausgeglichen sein und wird deshalb gleich zu Null gesetzt. Experimentelle Befunde der vergangenen Jahre haben jedoch gezeigt, daß die Energiebilanzgleichung nicht vollständig geschlossen werden kann, d.h., daß ein Restglied bestehen bleibt. Dieses kann eine Größenordnung von bis zu 40% annehmen. Als Gründe werden sowohl meßtechnische als auch meßmethodische Einflüsse angeführt (Foken 1998, Weber 2004). Die Bestimmung der turbulenten Flußdichten läßt sich im städtischen Bereich am genauesten über die direkte und zeitlich hoch aufgelöste Messung turbulenter Fluktuationen der Windvektoren sowie der atmosphärischen Größen wie Temperatur, Wasserdampf oder Luftbeimengungen mit Hilfe der Eddy-Kovarianzmethode durchführen (z. B. Nemitz u.a. 2002, Foken 2003). Die Messungen sollten oberhalb des Gebäudeniveaus, also außerhalb der URS, durchgeführt werden. Der Bodenwärmestrom kann dann als Residuum aus der Energiebilanzgleichung (vgl. Gl. 2) bestimmt werden. Aufgrund der meist komplexen Stadtstrukturen stehen für den Wärmeumsatz jedoch oftmals weitere aktive Flächen zur Verfügung (z. B. in Straßenschluchten auch hochgelegene Hauswände). Deshalb wird QB in der Stadt zu ∆QS erweitert, um die Wärmespeicherung zwischen Bodenoberfläche und mittlerem Dachniveau und damit unterhalb der Messhöhe der Eddy-Kovarianzmessungen zu berücksichtigen (vgl. Grimmond und Oke 1999). Zur Erläuterung der physikalischen Ursachen von Energieflüssen werden nachfolgend die Gleichungen zur Bestimmung der Energieflüsse allerdings anhand des Gradientansatzes vorgestellt (Zmarsly u.a. 2002). Aufgrund meßmethodischer Einschränkungen ist dieser allerdings in der Stadt nur bedingt anwendbar. Nachfolgend wird die Berechnung von Wärmeflußdichten nach dem Gradientansatz gezeigt. Für die turbulente fühlbare Wärmeflußdichte QH gilt: QH = - ζL KL ∆Θ/∆z (W m-2) (3) mit ζL der Wärmekapazitätsdichte der Luft bei konstantem Druck (J m-3 K-1), KL dem turbulenten Diffusionskoeffizienten für die fühlbare Wärmeflußdichte (m2 s-1) sowie ∆Θ/∆z dem vertikalen Gradienten der potentiellen Temperatur (K m-1). Die turbulente latente Wärmeflußdichte QE kann nach Gl. (4) QE = - ρW qV KW ∆s/∆z (W m-2) (4) Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 49 mit ρW der Wasserdampfdichte (kg m-3), qV der spezifischen Verdunstungswärme (J kg-1), KW dem turbulenten Diffusionskoeffizienten für Wasserdampf in Luft (m2 s-1) sowie ∆s/∆z dem vertikalen Gradienten der spezifischen Feuchte (kg kg-1 m-1) berechnet werden. Die Bodenwärmeflußdichte QB schließlich resultiert aus Gl. (5) QB = - λ ∆T/∆z (W m-2) (5) mit λ dem Wärmeleitfähigkeitskoeffizienten des Bodens (W m-1 K-1) und ∆T/∆z dem vertikalen Temperaturgradienten im Boden (K m-1). Die Strahlungsbilanz Q* setzt sich nach Gl. (6) aus Q* = K↓ - K↑ + L↓ -L↑ - L↑refl. (W m-2) (6) zusammen; mit K↓ der direkten (I) und diffusen (D) Globalstrahlung (W m-2), K↑ der kurzwelligen Reflexion (= K↓⋅α) (W m-2), L↓ der langwelligen atmosphärischen Gegenstrahlung (W m-2), L↑ der langwelligen Ausstrahlung (W m-2), L↑refl. der langwelligen Reflexion (= L↓(1-ε)) (W m-2), ε dem langwelligen Emissionsgrad (1) und α der kurzwelligen Albedo (1). Die Strahlungsbilanz Q* ist nicht nur als Ergebnis der Bilanzierung der Strahlungsflußdichten (Gl. 6) aufzufassen, sondern sie stellt gleichzeitig auch die Ausgangsgröße für die Energiebilanz dar (Gl. 2). Die Richtung der Strahlungsflußdichten wird durch die Vorzeichen angegeben, wobei diese positiv sind, wenn sie zu den Bezugsflächen gerichtet sind, und negativ, wenn sie von diesen weggerichtet sind. Bei den Wärmeflußdichten müssen zusätzlich die Vorzeichen der vorherrschenden Gradienten berücksichtigt werden, so daß bei negativen Gradienten die Vorzeichen der Flüsse positiv, im anderen Falle negativ sind. Werden lange Betrachtungszeiträume zugrundegelegt, unterscheiden sich in der Summe die städtische und ländliche Bilanz nur geringfügig. Die Differenzen der Einzelterme sind zwar groß, im Ergebnis kompensieren sie sich jedoch annähernd. Werden hingegen kleine Zeitintervalle betrachtet, fallen die Unterschiede stärker ins Gewicht (Helbig 1987). Insgesamt zeichnet sich die städtische Strahlungsbilanz im Allgemeinen dadurch aus, daß sich in Abhängigkeit von der Luftverschmutzung die kurzwelligen Strahlungsflußdichten im Vergleich zum Umland verringern (Kuttler und Schaefers 2000), im langwelligen Bereich jedoch erhöhen. In summa resultieren daraus im Allgemeinen etwas niedrigere Werte im versiegelten als im nicht versiegelten Bereich. Zugleich ist allerdings die kurzwellige Albedo der oft durch dunkle Oberflächen und Mehrfachreflexionen im dreidimensionalen Baukörper geprägten Stadt geringer (vgl. Helbig u.a. 1999). Die langwelligen Strahlungsflußdichten werden durch die Temperatur der Oberflächen und der Atmosphäre (auch durch die Luftfeuchtigkeit und weitere infrarotaktive Spurenstoffe) sowie die entsprechenden langwelligen Emissionsgrade (ε) bestimmt. Auf die langwellige effektive Ausstrahlung (-L↑+L↓-L↑refl) wirkt sich in Straßenschluchten neben den meist höheren Oberflächentemperaturen insbesondere der Himmelssichtfaktor (engl. sky view factor, SVF; vgl. Abb. 4) aus, der sich aus dem Quotienten der aktuellen Himmelssicht zum potentiell freien Himmel ergibt (Blankenstein und Kuttler 2004). Wie sich die Energiebilanz eines Vorort- von der eines Umlandstandortes unterscheidet, ist Tab. 10 zu entnehmen. In diesem Beispiel wurde QMet nicht berücksichtigt und für Qanthr angenommen, daß dieser Term in den anderen Gliedern enthalten ist. Nach diesem Beispiel beläuft sich die Strahlungsbilanz des Vorortes auf 91% des Umlandes. QH erreicht im bebauten Gebiet 160%, während QE am Vorortstandort infolge geringerer Verdunstung deutlich reduziert ist. Hingegen ist die Bodenwärmeflußdichte QB im Vorort um fast 400% erhöht, was auf die große thermische Speicherfähigkeit der Gebäude und andere versiegelte Flächen Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 50 zurückgeführt werden kann. Diese Speicherung kann als Hauptursache der im folgenden Kapitel beschriebenen städtischen Überwärmung bezeichnet werden. Tab. 10: Größen der Energiebilanz eines Vorort- und Umlandstandortes im Großraum Vancouver B.C. (49° N; Mittelwerte von 30 Sommertagen), nach Cleugh und Oke (1986) Table 10: Values of energy budget of suburban and rural sites in the great area of Vancouver B.C. (49°N, means of 20 summer days), after Cleugh and Oke (1986) Größen Vorortstandort Umlandstandort Albedo in % Strahlungsbilanz Q* Fühlbarer Wärmestrom QH Latenter Wärmestrom QE Bowen-Verhältnis Bo QE/Q* Bodenwärmestrom QB a = 100% 13 136,5 W m-2 a 74,1 W m-2 = 54 % 48,6 W m-2 = 36 % 1,52 0,36 13,8 W m-2 = 10 % 20 150,5 W m-2 a 46,4 W m-2 = 31 % 100,6 W m-2 = 67 % 0,46 0,67 3,5 W m-2 = 2 % (Stadt/Land) 100 % 65 91 160 48 330 54 394 Zusammenfassend kann für dieses Beispiel festgestellt werden, daß innerhalb der bebauten Fläche nur 36 % von Q* für QE aufgewendet wird, während dieser Anteil im Umland mit 67 % deutlich höher ist. Auch zeigt sich, daß QH im Vorort einen wesentlich höheren Anteil an der Energiebilanz aufweist als am Umlandstandort. Auch das Bowen-Verhältnis Bo erreicht im Vorort Werte > 1 und ist – in diesem Fall - mehr als dreimal so hoch wie im vegetationsbedeckten Umland. Neuere Untersuchungen zu diesem Problem belegen die Größenordnung der hier dargestellten Werte (z. B. Christen u.a. 2003). Städtische Überwärmung Die im Vergleich zum Umland höheren Luft- und Oberflächentemperaturen in Siedlungsgebieten (∆T = TStadt - TUmland) sind auf die unterschiedlich starke Ausprägung der einzelnen Glieder der natürlichen Energiebilanz sowie auf die zusätzliche Freisetzung anthropogener Wärme Qanthr zurückzuführen. Der hierfür verwendete Begriff „städtische Wärmeinsel“ (engl. urban heat island, UHI) beschreibt stark generalisierend das Faktum einer inselartig ausgebildeten städtischen Überwärmung, die von einem kühleren Freiland umgeben wird. Wärmeinseln sind in mitteleuropäischen Städten wegen der vorher genannten Gründe hauptsächlich bei ruhigem Strahlungswetter nachts ausgebildet. Grundsätzlich lassen sich verschiedene Typen städtischer Überwärmungen - räumlich und zeitlich durchaus voneinander getrennt auftretend – unterscheiden (Hupfer und Kuttler 1998). Hierzu zählen die Bodenwärmeinsel, die Stadthindernisschichtwärmeinsel (UHI der UCL) und die Stadtgrenzschichtwärmeinsel (UHI der UBL; s. Abb. 4b). Die vom Untergrund her beeinflußte Bodenwärmeinsel wird durch die Höhe der Oberflächentemperaturen bestimmt. Da dieser Wärmeinseltyp im wesentlichen deckungsgleich mit der Verbreitung der bebauten Gebiete ist, kann sie als flächenscharf ausgebildet angesehen werden. Ihr Nachweis erfolgt anhand der Messung von Oberflächentemperaturen. Die Stadthindernisschichtwärmeinsel (UHI der UCL), die sich auf den Luftraum zwischen Boden und mittlerer Dachhöhe bezieht, ist auf die Oberflächenvergrößerung und Energiefreisetzung (QH, Qanthr), eine erhöhte atmosphärische Gegenstrahlung (L↓) sowie eine verringerte effektive Ausstrahlung durch die Horizonteinschränkung (SVF) in Straßenschluchten zurückzuführen. Nachgewiesen wird sie mit Hilfe von stationär oder mobil durchgeführten Lufttemperaturmessungen. Dieser Wärmeinseltyp fällt in seiner Verbreitung nur noch grob mit der bebauten Fläche zusammen, da es sich hierbei um ein überwärmtes Luftvolumen handelt, das Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 51 schon bei geringer Luftbewegung, zum Beispiel auch durch zufließende Umlandkaltluft (Flurwind), einer dreidimensionalen Deformation unterliegt. Darüber schließt sich die Stadtgrenzschichtwärmeinsel (UHI der UBL) an, deren Entstehung auf turbulenten Wärmetransporten von unten, aber auch von oben beruht. Dieser Wärmeinseltyp kann sich bereits schon soweit in die Atmosphäre erstrecken, daß seine Ausbreitung dem übergeordneten Wind unterliegt und zu der erwähnten leewärtigen Abdrift der Abluftfahne UP führt. Der Nachweis dieses Wärmeinseltyps erfolgt zum Beispiel durch Messungen der entsprechenden Parameter mittels Vertikalsondierungen oder Fernerkundungsverfahren. Grundsätzlich läßt das Auftreten städtischer Wärmeinseln neben der Wetterlagenabhängigkeit eine enge Bindung an den jeweiligen Meßstandort sowie die Tages- und Jahreszeit erkennen. Zu dessen Erläuterung werden Daten aus dem Bereich der Stadthindernisschichtwärmeinsel in der UCL für eine mitteleuropäische Großstadt (Abb. 5) herangezogen. Abb. 5: Stündliche Differenzen der Lufttemperaturen (K) zwischen einer Innenstadt- und einer Freilandstation (∆ TS –U) in der UCL (Großraum Düsseldorf; Meßhöhe: 2 m ü. Gr.; Meßperiode 1/93–1/9), nach Kuttler (1997) Fig. 5: Hourly differences of air temperature (K) between inner city and open land station in UCL (great area Düsseldorf, measurement level 2m, periode 1/93–1/94), after Kuttler (1997) Die größten UHI-Intensitäten treten erwartungsgemäß in der zweiten Nachthälfte der Sommermonate Juni bis August auf, wobei sich die Wetterlagenabhängigkeit in der zellulär auftretenden Überwärmungsstrukur widerspiegelt. Im Vergleich zur Nacht ergeben sich zur Mittagszeit hingegen während aller Monate des Jahres keine oder nur schwach positive Temperaturunterschiede zwischen Stadt und Umland (Parlow 2003)). Im Juli kommt es sogar zu einer Umkehr der Verhältnisse (zwischen 11 Uhr und 14 Uhr), wobei die leicht negative Temperaturdifferenz auf eine etwas stärkere Erwärmung des Umlandes hindeutet. Diese überwiegend während starker Einstrahlung auftretende Situation ist auf den Schattenwurf der Gebäude, auf die Verlagerung der maßgeblichen Strahlungsreferenzflächen vom Straßen- ins Dachniveau und auf die Ableitung von Wärme in die Baumaterialien (∆QS, QB) zurückzuführen. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 52 Abb. 6: Abhängigkeit der maximalen städtischen Wärmeinselintensität vom Logarithmus der Stadtbevölkerung für Städte in Nordamerika, Westeuropa, Japan und Korea (nach einer Zusammenstellung aus Matzarakis 2001) Fig. 6: Dependence of maximum urban heat island itensity from logarithm of inhabitants for cities ion Northern America, Western Europa, Japan and Korea (after compilations by Matzarakis 2001) 14 12 Nordamerika UHImax (K) 10 8 6 Westeuropa Korea 4 Japan 2 0 1*103 1,0E+03 4 1*10 1,0E+04 5 1*10 1,0E+05 6 1*10 1,0E+06 7 1*10 1,0E+07 P Grundsätzlich lassen sich für die Intensität der städtischen Wärmeinseln negative Abhängigkeiten zur Höhe der Windgeschwindigkeit und zum Wolkenbedeckungsgrad, positive Zusammenhänge hingegen zur stabilen Schichtung der Umlandatmosphäre erkennen. Neben den genannten meteorologischen Einflußgrößen steuern aber auch die spezifischen städtischen Oberflächenbedeckungen sowie die meist an die Einwohnerzahl gekoppelte Stadtgröße die städtische Überwärmung (Abb. 3). Es zeigt sich, daß die Abhängigkeit der maximalen UHI von der Bevölkerungsdichte positiv ist (0,74 < R2 < 0,98). Die verschiedenen Steigungsmaße der Regressionsgeraden hängen mit den jeweiligen Bauweisen und landestypischen Wirtschaftsformen zusammen. Die extremen Unterschiede im Verlauf der Regressionsgeraden kleiner und großer asiatischer Städte dürften darauf beruhen, daß in kleineren Städten mehr Holz als Baumaterial verwendet wird, eine eher ländliche Lebensweise üblich ist und eine im Vergleich zu den Millionenstädten andere Flächennutzung im Umland vorherrscht. Bodennahes Windfeld Bebaute Gebiete zeichnen sich im Vergleich zum flachen Umland auch durch eine Modifikation des horizontalen und vertikalen Windfeldes aus. Die Gründe hierfür sind sowohl in der größeren Bodenreibung durch die städtischen Strömungshindernisse zu sehen als auch in der Beeinträchtigung des Luftdruckfeldes durch die städtische Wärmeinsel. Zu den Charakteristika der Luftströmung in Siedlungsgebieten zählen im Allgemeinen • • • • • niedrigere Windgeschwindigkeiten, häufigeres Auftreten von Windstillen, höhere Anzahl an Schwachwindstunden, Zunahme der mechanischen und thermischen Turbulenz sowie der Böigkeit und eine durch die Feingliederung der Oberfläche vorgegebene, meist starke Beeinflussung der Windrichtungen als Folge der Kanalisierung durch Straßenschluchten. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 53 Die gegenüber dem Umland auftretenden geringeren Windgeschwindigkeiten rufen in der Regel bodennah ein konvergentes zyklonales Strömungsmuster hervor, woraus aufsteigende Luftströmungen resultieren. Die stadtbedingten Windgeschwindigkeitsveränderungen sollen am Beispiel des Großraums Düsseldorf kurz erläutert werden (Tab. 11a). Den Daten ist zu entnehmen, dass sich die Geschwindigkeitswerte im Vergleich zum Umland um bis zur Hälfte reduzieren können. Interessanterweise treten niedrigere Geschwindigkeiten nicht nur in dicht bebauten Gebieten auf, sondern finden sich auch in Grünflächen (Windbremsung durch Bäume und Sträucher) – ein für die Gestaltung von Städten in Hinblick auf die bodennahe Austauschproblematik nicht zu vernachlässigendes Problem. Besonders deutlich ergeben sich flächennutzungsabhängige Unterschiede, wenn die Anzahl von Schwachwindstunden betrachtet wird (Tab. 11b). Hier treten städtische Grünflächen mit den höchsten Summenwerten auf; gefolgt von den Klimatopen Innenstadt (rheinfern) und den Industriegebieten. Die Gegenüberstellung von „rheinfernen“ und „rheinnahen“ Standorten belegt außerdem, daß in Flußnähe Schwachwindperioden wesentlich seltener sind, was auf die Austauschgunst dieses Klimatops zurückzuführen ist (geringere Rauigkeitslängen, Kanalisierung). Tab. 11: (a) Mittlere stündliche Windgeschwindigkeiten ( u ) sowie (b) Anzahl, Summe und maximale Dauer von Schwachwindepisoden ( u ≤ 1,5 m s-1) in verschiedenen Klimatopen der Stadt Düsseldorf (Meßperiode: 1/93–1/94; Meßhöhe: 4–6 m ü. Gr.; nach Kuttler 2000; verändert) Table 11: (a) Averaged hourly wind speeds ( u ) and (b) number, sum and maximum duration of low wind episodes ( u ≤ 1,5 m s-1) in different micro climates in the city Düsseldorf (measurement periode 1/93 – 1/94; Measurement level 4–6 m above ground, changed after Kuttler (2000) (a) (in m s-1) (%)b (b) ≤6 > 6 bis 9 10 bis 19 20 bis 29 30 bis 39 > 40 Summe: u Andauerc (in h) Freiland Vorort Industriegebiet Grünfläche 3,5 2,4 2,1 1,7 Innenstadt, rheinfern Innenstadt, rheinnah 2,6 100 69 60 49 57 71 54 Episodendauer (in h) der Fallzahlen; Standorte wie oben mit Angabe 20 153 201 252 231 130 198 17 68 54 82 104 66 71 2 77 129 138 110 59 95 1 7 17 23 13 3 22 0 0 0 5 1 0 5 0 1 1 4 3 2 5 40 306 402 504 462 260 396 74 42 42 60 45 2,5 Aue 1,9 22 2,0 Gewerbegebiet 71 74 171 82 80 8 1 0 342 31 a Kuppe bezogen auf Freilandwert (= 100%) c Höchstdauer einer Schwachwindepisode b Städte weisen allerdings nicht immer eine im Verhältnis zum Umland niedrigere Windgeschwindigkeit auf, wie es vorab für die durchschnittlichen Verhältnisse beschrieben wurde. Wird nämlich die Differenz der Windgeschwindigkeiten zwischen Stadt und Umland (∆u = uS – uU) in Abhängigkeit von der Umlandwindgeschwindigkeit analysiert (Abb. 7), dann stellt sich heraus, daß es einen Grenzwert gibt, der zu einem Vorzeichenwechsel führt. Dieser liegt im dargestellten Beispiel bei ≤ 4 m s-1 (im Mittel ab 1,5 m s-1). Offensichtlich ist es so, daß bei niedrigeren Umlandwindgeschwindigkeiten in der Stadt relativ höhere Werte auftreten können. Der Grund dürfte auch in der städtischen Wärmeinsel zu suchen sein, die sich gerade bei Schwachwindlagen besonders stark ausprägt. Weitere Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 54 Klarheit schafft hier ein Vergleich des Tagesganges der positiven Windgeschwindigkeitsdifferenzen ∆u mit den entsprechenden Temperaturdifferenzen zwischen Stadt und Umland UHI (Abb. 8). Abb. 7: Abhängigkeit der Windgeschwindigkeitsdifferenzen Stadt und Umland (∆u Stadt – Umland) von der Umlandwindgeschwindigkeit (nach Daten aus Dütemeyer 2000) Fig. 7: Dependence of wind speed urban-rural differences (∆u Stadt – Umland) from the rural wind speed (after data by Dütemeyer 2000) 3 ∆u S-U / m s -1 2 1 0 -1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 -2 -3 y = -0,52x + 0,73 -4 R = 0,70 2 -5 -1 uU / m s Abb. 8: Häufigkeit der positiven Windgeschwindigkeitsdifferenzen (∆u Stadt – Umland) in Tagen als Funktion der diurnalen Wärmeinselintensität (∆T Stadt – Umland) in Düsseldorf (Meßperiode: 1/93 – 1/94), nach Hupfer und Kuttler (1998) Fig. 8: Frequency of positive wind speed urban-rural differences (∆u Stadt – Umland) in days as function of of diurnal heat island itensity (∆T Stadt – Umland) in Düsseldorf (measurement periode: 1/93 – 1/94), after Hupfer und Kuttler (1998) Es zeigt sich, daß etwa zwischen 22 und 5 Uhr MEZ nicht nur die stärksten UHIIntensitäten auftreten, sondern mit diesen auch die größte Häufigkeit der Windgeschwindigkeitsüberhöhung im Stadtgebiet zusammenfällt. Während im Umland zu dieser Zeit meist eine bodennahe Temperaturinversion vorherrscht, zeichnet sich die Innenstadt wegen der Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 55 durch den Wärmeinseleffekt verursachten thermischen Turbulenz durch labile beziehungsweise neutrale atmosphärische Schichtungsverhältnisse aus. Der hierdurch verbesserte Austausch kann zu einer leicht höheren Windgeschwindigkeit im Stadtbereich führen. Verfügt die Stadt über geeignete Ventilationsbahnen, die die Verbindung zum Umland herstellen, kann Umlandkaltluft dem Stadtkörper zugeführt werden. Derartige als Flurwinde bezeichnete Windströmungen (Barlag und Kuttler 1990/91) können jedoch nur dann die klimatischen und lufthygienischen Verhältnisse in Innenstadtgebieten verbessern, wenn die Umlandkaltluft möglichst tief ins Stadtinnere vordringen kann. Dazu bedarf es in erster Linie rauigkeitsarmer Luftleitbahnen (Mayer u.a. 1994), zu denen zum Beispiel Ein- und Ausfallstraßen, Bahntrassen (Weber und Kuttler 2003), Grünflächen sowie Fließ- beziehungsweise Stillgewässer zählen (vgl. Kuttler 2000). Luftfeuchtigkeits- und Niederschlagsverhältnisse Die städtischen Luftfeuchtigkeits- und Niederschlagsverhältnisse sind vor dem Hintergrund der in Gl. 6 dargestellten städtischen Wasserbilanz zu sehen, die sich in der Fassung von Helbig (1987) aus folgenden Einzelgliedern zusammensetzt: P + F + W + ET + ∆R + ∆S + ∆A = 0 (mm Zeiteinheit-1) (7) mit P dem Niederschlag, F der Wasserfreisetzung durch Verbrennungsprozesse, W der kanalisierten Wasserzufuhr aus Flüssen oder Staubecken, ET der Evapotranspiration, ∆R dem Nettoabfluß, ∆S der Nettowasserspeicherung und ∆A der Nettofeuchteadvektion. Alle Einheiten in mm Zeiteinheit-1. Von den hier genannten Quellen- und Senkentermen werden F und W durch den Menschen im wesentlichen direkt beeinflußt, während ET, ∆R und ∆S über den Anteil der versiegelten Fläche beziehungsweise durch die Oberflächenverdichtung einer eher indirekten anthropogenen Steuerung unterliegen. Über die Höhe der Wasserfreisetzung durch Verbrennungsprozesse F und deren Anteil an der Gesamtsumme (Gl. 7) finden sich in der Literatur widersprüchliche Angaben. Einerseits wird diesem Faktor ein relativ großer Einfluß beigemessen (Mayer u.a. 2003), andererseits wird die Beeinträchtigung als marginal angesehen (Arnfield 2003, Grimmond u.a. 1986). Dieses Problem kann hier nicht gelöst werden; eine Abhängigkeit von der jeweiligen Stadtgröße und den Nutzungsstrukturen ist anzunehmen. Luftfeuchtigkeit Im Gegensatz zu Untersuchungen zum thermischen Verhalten von Stadtkörpern liegen bislang nur wenige Arbeiten vor, die über das Verhalten der Luftfeuchtigkeit im besiedelten Bereich erschöpfend Auskunft geben. Erschwerend kommt hinzu, daß die geographische Lage und Jahreszeiten einen eher großräumig gesteuerten Einfluß auf die Verteilung dieses Klimaelementes haben. Wie bei allen Stadtklimauntersuchungen hängen auch in diesen Fällen die Ergebnisse davon ab, an welchen Standorten und bei welcher Wetterlage letztendlich gemessen wurde. Nachfolgend werden die Luftfeuchtigkeitsverhältnisse exemplarisch für drei Standorte im Großraum München dargestellt (Mayer u.a. 2003), die für die Wohngebietssituation und die Aufenthaltsdauer der Bewohner als typisch angesehen werden können. Für dieses Beispiel wird auf den Dampfdruck VP als konservative Größe und nicht auf die relative Feuchte zurückgegriffen, da sich letztere invers zur Lufttemperatur verhält und deshalb nicht für eine Diskussion über Luftfeuchteunterschiede zwischen Stadt und Umland geeignet ist. Bei den Standorten handelt es sich um: - Stadtzentrum, Innenhof (SVF = 0,25; Versiegelungsanteil der Umgebung: 80%) Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. - 56 Stadtzentrum, Park (SVFSommer = 0,15, SVFWinter = 0,65; Versiegelungsanteil der Umgebung: 20%) Stadtrand, Grünfläche (kurz gehaltener Rasen, SVFSommer = 0,55; SVFWinter = 0,80; Versiegelungsanteil der Umgebung: 5%). Die Luftfeuchteverhältnisse werden als städtischer Feuchteüberschuß (engl. Urban Moisture Excess, UME) auf der Basis der Differenzen zwischen Stadtzentrum, Innenhof und Stadtrand, Grünfläche (∆VP = VPStadtzentrum – VPStadtrand) für einen mittleren Tagesgang im Sommer und Winter dargestellt. Wie Abb. 9a zeigt, weist der städtische Feuchtigkeitsüberschuß UME im Sommer einen gut strukturierten, im Winter (Abb. 9b) hingegen kaum einen Tagesgang auf. Im Sommer ergeben sich zwei Maxima positiver Feuchtedifferenzen, und zwar tagsüber und nachts, die durch Minima morgens (8 Uhr) und abends (20 Uhr) voneinander getrennt sind. Dabei ist die Ausbildung des Tagesganges (Abb. 9a) im Wesentlichen auf die relativ starken diurnalen Feuchteschwankungen des Umlandstandortes zurückzuführen. Während im Umland zum Beispiel die Luftfeuchtigkeit morgens (zwischen 4 und 8 Uhr) hohe Werte aufweist, ändert sich die Luftfeuchtigkeit am Innenstadtstandort während dieses Zeitabschnittes kaum. Abb. 9a: Mittlere Tagesgänge der städtischen Feuchteinsel UME und der städtischen Wärmeinsel UHI in 2 m Höhe ü. Gr. im Augus, nach Mayer u.a. (2003) Fig. 9a: Mean diurnal variation of urban moisture island UME and urban heat island UHI at 2m level in August, after Mayer et al. (2003) 7 UHI: Stadtzentrum, Innenhof - Stadtzentrum, Park UHI: Stadtzentrum, Innenhof - südlicher Stadtrand, Grünfläche 6 UME: Stadtzentrum, Innenhof - Stadtzentrum, Park UME: Stadtzentrum, Innenhof - südlicher Stadtrand, Grünfläche UHI / K, UME / hPa 5 4 3 2 1 0 August 1981 -1 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 MEZ Erst nach 8 Uhr nimmt die Luftfeuchtigkeit am Umlandstandort deutlich ab, während sie sich im Stadtzentrum leicht erhöht und erst wesentlich später und auch langsamer dort wieder niedrigere Werte annimmt. Die im Vergleich zum Innenstadtstandort größere Tagesamplitude im Umland dürfte auf die hier wesentlich stärker einflußnehmenden Faktoren der bodennahen atmosphärischen Schichtungs- und damit Austauschverhältnisse zurückzuführen sein als im Stadtzentrum. Während im Umland morgens bei noch stabiler Schichtung die einsetzende Evapotranspiration zuerst einmal für einen Anstieg der Luftfeuchtigkeit sorgt, nimmt diese nach 8 Uhr durch die beginnende Konvektion ab. Abends steigt der Dampfdruck in der bodennahen Umlandat- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 57 mosphäre bei zunehmender Stabilisierung trotz abnehmender Evapotranspiration zunächst wieder an, um dann nachts endgültig niedrige Werte durch weiter nachlassende – letztendlich eingestellte – Verdunstung und eventuell Tauabsatz zu erreichen. Die Luftfeuchtigkeit am Innenstadtstandort unterliegt hingegen nur geringen Tagesschwankungen, da die atmosphärischen Schichtungsverhältnisse hier nur schwachen Schwankungen ausgesetzt sind und - wegen der höheren Temperaturen - die Evapotranspiration, auch nachts wirksam sein kann. Abb. 9 enthält ergänzend zu den UME-Werten die Daten zur Ausbildung der städtischen Wärmeinsel UHI. Danach ergibt sich folgendes Bild: Während im Sommer (Abb. 9a) für die zweite Nachthälfte eine enge positive Abhängigkeit zwischen beiden Größen vorherrscht, läßt sich für den restlichen Teil des Tages ein nur noch loser Zusammenhang zwischen beiden Größen erkennen. Im Winter (Abb. 9b) besteht zwischen der UME und der UHI jedoch ein sehr enger Zusammenhang (R2 = 0,9). Abb. 9b: Mittlere Tagesgänge der städtischen Feuchteinsel UME und der städtischen Wärmeinsel UHI in 2 m Höhe ü. Gr. im Januar, nach Mayer u.a. (2003) Abb 9b: Mean diurnal variation of urban moisture island UME and urban heat island UHI at 2m level in January, after Mayer et al. (2003) 7 Januar 1982 6 UHI: Stadtzentrum, Innenhof - Stadtzentrum, Park UHI / K, UME / hPa 5 UHI: Stadtzentrum, Innenhof - südlicher Stadtrand, Grünfläche UME: Stadtzentrum, Innenhof - Stadtzentrum, Park 4 UME: Stadtzentrum, Innenhof - südlicher Stadtrand, Grünfläche 3 2 1 0 -1 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 MEZ Auf Basis der vorgenannten Ergebnisse bleibt festzustellen, daß es in der Stadt im Sommer feuchter ist als im Umland, während im Winter die Unterschiede zwischen beiden Standorten verschwinden. Differenziertere Ergebnisse liegen bei ausschließlicher Analyse der Luftfeuchteverhältnsse während Strahlungswetterlagen vor. Bei Vorherrschen dieser Witterung dürfte die Stadtatmosphäre tagsüber trockener und nachts feuchter sein als das Umland (Tapper 1990). Die Gründe, die zum städtischen Feuchteüberschuß UME führen, dürften allgemein darauf beruhen (Mayer u.a. 2003), daß • • wegen der städtischen Wärmeinsel UHI auch nachts Verdunstung auftreten kann, es in der Stadt nachts seltener und schwächer ausgeprägt zu Tauabsatz kommt als im Umland, Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. • • 58 in der UBL nachts vom Umland feuchtere Luft über die Advektion in die Stadt transportiert werden kann, wo durch turbulenten Luftmassenaustausch zwischen UBL und UCL der oberflächennahen Schicht Feuchtigkeit zugeführt wird und in der Stadt durch verschiedene technische Prozesse Wasser freigesetzt wird und in die Atmosphäre gelangt. Niederschlagsverhältnisse Auch für die städtischen Niederschlagsverhältnisse liegt bisher – trotz verschiedentlich durchgeführter Meßkampagnen (vgl. Lowry 1998) - zu wenig Datenmaterial vor, um ein abschließendes Bild in bezug auf dieses Klimaelement in Stadtgebieten zu zeichnen. Vielfach werden in diesem Zusammenhang Modellaussagen bemüht. Generell wird davon ausgegangen, daß Stadtgebiete die Entstehungsprozesse und die räumliche Verteilung insbesondere von sommerlichen Konvektionsregen beeinflussen, jedoch selbst keinen oder nur geringen zusätzlichen Niederschlag erzeugen. Grundsätzlich werden drei Prozesse unterschieden, die auf die städtische Niederschlagsstruktur Einfluß nehmen. Allerdings läßt sich der jeweilige Anteil der genannten Faktoren am Ergebnis des Gesamtprozesses nicht immer eindeutig ermitteln. Als niederschlagsverändernde Prozesse durch Stadtgebiete ergeben sich nach Schütz (1995): • Beeinflussung der Wolkendynamik durch den Wärmeeinseleffekt und die städtische Oberflächenrauigkeit, • Eingriffe in wolkenphysikalische Prozesse durch Partikelemission aus verschiedenen Quellen und • Modifizierung der Grenzschichtprozesse durch rauigkeitsbedingte Tropfenablenkung im bodennahen Windfeld. Im Einzelnen resultiert daraus folgendes: Die städtische Wärmeinsel und die Rauigkeit verursachen sowohl ein Anheben als auch Umfließen der auf eine Stadt zuströmenden Luft. Dadurch kommt es zu lateraler Konvergenz in Lee, die durch vertikale Divergenz ausgeglichen wird. Die Eignung von Partikeln als Wolkenkondensationskerne (CCN), die urban-industriellen Gebieten entstammen, hängt von ihrer Größe und Oberflächenbeschaffenheit ab. Atmosphärische Spurenstoffe, die aus löslichen oder oberflächenaktiven Stoffen bestehen und die sich Partikeln anlagern, können ebenfalls die Niederschlagsbildung beeinflussen (Möller 2003). Die Veränderung der Größenspektren und oberflächenchemischen Eigenschaften kann erheblich die Kondensationsfähigkeit der Atmosphäre beeinflussen; so führen mehr kleine CCN zu mehr Bewölkung mit kleinen Tröpfchen (höhere optische Dicke) und weniger Niederschlag (Twomey-Effekt). Darüber hinaus bedingen größere Rauigkeitslängen Auslenkungen der fallenden Niederschlagstropfen von der Lotrechten, die insbesondere bei kleintropfigem Regen mehrere hundert Meter in Windrichtung betragen können. Dieser Effekt kommt einem „Auskämmen“ durch Strömungshindernisse sehr nahe. Von den hier genannten Einflußgrössen, die für die städtische Niederschlagsmodifikation als wesentlich angesehen werden, weist die städtische Überwärmung offenbar den größten Einfluß auf. So ist zum Beispiel die Zahl der sommerlichen konvektiv bedingten Niederschläge (Starkregen, Gewitter) über bebautem Gebiet deutlich erhöht (Landsberg 1981). Zugleich tritt nach Braham u.a. (1981) und Schütz (1996) zum ansonsten typischen Nachmittagsmaximum des Konvektionsniederschlages ein sekundäres Maximum in den späten Nacht- oder frühen Morgenstunden auf, wenn die städtische Wärmeinsel am stärksten ausgeprägt ist. Durch die dargestellten Faktoren dürfte es zu einer Umverteilung der Regenspenden kommen, Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 59 wobei insbesondere in Lee von Stadtgebieten höhere Niederschlagssummen zu erwarten sind als an anderen Stellen (Changnon 1981). Im Gegensatz zu den genannten niederschlagsverstärkenden oder sogar -auslösenden Faktoren ergab eine Analyse satellitengestützter Auswertungen von Abluftfahnen großer Ballungsräume (Rosenfeld 2000), daß industriell verschmutzte Luft mit r < 14 µm offensichtlich wesentlich kleinere Partikeln enthält als natürliche Wolken mit Kondensationskerngrößen r > 25 µm. Die kleineren Partikeln sollen die Nukleation stark hemmen beziehungsweise letztlich sogar unterbinden, wodurch eine Regentropfenentstehung verhindert oder zumindest eingeschränkt wird. Das würde bedeuten, daß Städte oder Industriegebiete eher zu einer Unterdrückung der Niederschlagsbildung führen, anstatt diese zu verstärken. Es bleibt abzuwarten, ob die aus den genannten Satellitenmessungen gezogenen Schlüsse auch durch Daten entsprechender Niederschlagsmeßnetze bestätigt werden können, was allerdings sehr aufwendig ist. Zudem kommt eine andere, ebenfalls satellitengestützte neuere Analyse des Niederschlagsaufkommens in der Umgebung nordamerikanischer Städte zu einem gegenteiligen Ergebnis (Shepherd u.a. 2002). Auch die Verteilung der festen Niederschläge wird durch Stadtgebiete beeinflußt. So ist zum Beispiel die Zahl der Tage mit einer Schneedecke gegenüber dem Umland gelegentlich reduziert. Dies wird unter anderem auf den Wärmeinseleffekt und die Schneeräumung zurückgeführt. Zusammen mit dem höheren Anteil vertikaler, nicht schneebedeckter Flächen und der schnelleren Verschmutzung der städtischen Schneedecke bewirkt dies während der betreffenden Wetterlagen deutliche Unterschiede der kurzwelligen Albedo zwischen Stadt und Umland, die den Wärmeinseleffekt unterstützen (Mayer und Noack 1980). Wesentlich eindeutiger als die Beeinflussung von Niederschlägen durch große Siedlungsgebiete ist das Auftreten räumlich meist eng begrenzt auftretender so genannter „Stadt- oder Industrieschneefälle“ (Harlfinger u.a. 2000), die bisher beispielsweise in Berlin, Mannheim, Freiburg/Brsg., Basel, Bern und Graz nachgewiesen werden konnten. Diese anthropogenen Schneefälle, die auf wenigen Quadratkilometern zu einer Schneedecke von mehreren Zentimetern führen können, werden durch Wasserdampfemittenten (Industrieemissionen) ausgelöst. Sie treten überwiegend in den frühen Morgenstunden bei Vorherrschen antizyklonaler Wetterlagen, stark ausgebildeter Temperaturinversion in den unteren Atmosphärenschichten, hoher Luftfeuchtigkeit und geringer Windgeschwindigkeit auf. Luftqualitätssituation Die Luftverschmutzung von Städten stellt ein weltweites Problem dar. Während in den westlichen Industrieländern überwiegend der Kraftfahrzeugverkehr als wichtigste Emissionsquelle auszumachen ist, wird die Luftqualität in den weniger entwickelten Ländern zusätzlich durch Industrieemissionen beeinträchtigt. Auch tragen die Biomasseverbrennung und die Aufwirbelung von Bodenpartikeln in winderosionsanfälligen Gebieten zur Luftbelastung bei. In vielen Großstädten der Erde werden die von der WHO festgesetzten Immissionsgrenzwerte gas- und partikelförmiger Luftbeimengungen erheblich überschritten. Luftverunreinigungen unterliegen nach ihrer Emission der atmosphärischen Transmission. Je nach Vorherrschen der meteorologischen Austauschverhältnisse werden sie dabei angereichert oder verdünnt, chemisch umgewandelt oder abgelagert (Möller 2003). Die Höhe der Luftverschmutzungskonzentrationen weist zeitliche und räumliche Abhängigkeiten auf, die allerdings nicht nur meteorologisch gesteuert sind. Trendanalysen für einzelne Luftverschmutzungsindikatoren lassen sich für die meisten Großstädte der weniger entwickelten Länder noch nicht in gewünschtem Maße vornehmen, da die bisherigen Meßreihen meist zu kurz sind. In Schwellenländern allerdings, die einer beschleunigten wirtschaftlichen Entwicklung unterliegen (zum Beispiel China und Rußland), nehmen die Luftverschmutzungskonzentrationen insbesondere bedingt durch den stark an- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 60 wachsenden Kfz-Verkehr zu. In den westlichen Industrieländern weisen die Zeitreihenentwicklungen der wichtigsten Spurenstoffe unterschiedliche Ergebnisse auf. So läßt sich zum Beispiel für das überwiegend industriebürtige SO2 feststellen, daß es als Luftverschmutzer nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Ebenso haben die Konzentrationen der überwiegend dem Kfz-Verkehr entstammenden Spurenstoffe NO und NO2 in den vergangenen Jahren leicht abgenommen, obwohl kein eindeutiger Trend festzustellen ist. Gerade an den höchstbelasteten, verkehrsnahen Meßstationen bleibt die Abnahme hinter den Erwartungen zurück. Da gleichzeitig der gesetzliche Jahresgrenzwert für NO2 durch EU-weite Anpassung an die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation WHO z. B. in Deutschland bis 2010 deutlich sinkt, bleibt die Einhaltung von Grenzwerten an städtischen „Brennpunkten“ auch in Zukunft fraglich, was insbesondere auch für die Feinstäube gilt (Zenger 2002). Für die sekundäre Luftverunreinigung O3 läßt sich – dem NOX-Trend vergleichbar - bisher keine eindeutige Entwicklung nachweisen. Die derzeitige Immissionssituation soll am Beispiel eines großen mitteleuropäischen Ballungsraumes, des Rhein-Ruhr-Gebietes, an repräsentativen Luftverschmutzungsindikatoren erläutert werden (Tab. 12). Tab. 12: Jahresmittelwerte ( x ) und 98%-Wertea ausgewählter atmosphärischer Spurenstoffkonzentrationen für das Rhein-Ruhr-Gebietb sowie Verkehrsc – und Waldstationend. Meßperiode: 1999–2002, nach Landesumweltamt NRW. - = keine Messung Table 13: Yearly averages ( x ) and 98% percentilea of selected trace gases for the Rhine-Ruhr areab and trafficc as well forestd stations. measurement periode 1999-2002, after Landesumweltamt NRW. – means no measurements Spurenstoff (in µg m-3) 98 %-Wert x Waldstationen 98 %-Wert x 98 %-Wert 8 30 8 25 5 8 f) 38 87 47 102 24 59 17 125 48 195 4 8 SST CO x Verkehrsstationen e) SO2 NO Rhein-Ruhr-Gebiet e) e) NO2e) 0,4 31 1,4 68 0,8 46 2,4 88 - - 11 38 O3g) 34 115 58 126 a 98%-Wert: Die dargestellten Werte werden nur von 2% aller Meßwerte überschritten. b Mittelwerte von 37 Stationen (Bonn bis Wesel und Unna bis Krefeld), ohne Verkehrsstationen und Sondermeßstationen. c Mittelwerte der Meßstationen Düsseldorf-Mörsenbroich und Essen-Ost d Mittelwerte der Meßstationen Eggegebirge, Eifel und Rothaargebirge e Mittelwerte aus Halbstundenmittelwerten berechnet, Temperaturbezug 20° C f SST = Schwebstaub; Mittelwerte aus Tagesmittelwerten berechnet, Temperaturbezug 0° C g Mittelwerte aus Stundenmittelwerten berechnet, Temperaturbezug 20° C Das hier aufgeführte SO2, welches jahrzehntelang zu den dominierenden Luftverunreinigungen dieses Raumes zählte, spielt als nunmehr „klassisch“ zu bezeichnender Spurenstoff wegen seines niedrigen Konzentrationsniveaus für die Kennzeichnung der Luftqualität keine Rolle mehr. Auch die anderen Spurenstoffe, die stärker durch den Straßenverkehr verursacht werden, weisen mittlerweile Durchschnittswerte auf, die - bis auf den 98%-Wert von Staub zu keinen Überschreitungen der entsprechenden Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit (22. BImSchV vom 11.09.2002) führen. Für die Verkehrsstandorte ergibt sich jedoch ein etwas anderes Bild: Im Vergleich zum „Gebietsmittel Rhein-Ruhr“ resultiert eine zum Teil erheblich höhere Belastung insbesondere durch NO (um den Faktor 2,6 höher), CO (2,0) und NO2 (1,5). Grenzwertüberschreitungen werden an Straßen sowohl für NO (Jahresmittelwert) als auch für Schwebstaub (Jahresmittel- und 98%-Wert) nachgewiesen. Größendifferenzierte Messungen des Feinstaubes (PM2,5 und PM10) weisen als Verursacher auch den Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 61 Straßenverkehr aus, der sowohl direkt durch die Emission von Ruß (kleinere Partikeln) als auch indirekt durch die Aufwirbelung von Straßenstaub (größere Partikeln) daran beteiligt ist. Entsprechende Grenzwertüberschreitungen stellen vielerorts ein Problem dar. Im Vergleich zu den genannten „Gebietsmittelwerten“ sind die Konzentrationen der hier gewählten Luftverschmutzungsindikatoren in den so genannten Reinluftgebieten („Waldstandorte“) des Rhein-Ruhr-Raumes bis auf das Ozon erwartungsgemäß niedrig. Die deutlich höheren Ozonkonzentrationen sind auf verschiedene Ursachen zurückzuführen: Einerseits auf das in unbelasteter Luft häufig anzutreffende höhere NO2/NO-Verhältnis (hier: 2,8), das vergleichsweise im Ballungsraum nur den Wert von 1,8 erreicht, wodurch der wesentlich geringere Einfluß des ozonabbauenden NO in Waldgebieten verdeutlicht wird. Andererseits werden von Pflanzen bei hoher Einstrahlung biogene Kohlenwasserstoffe (Terpene, Isoprene) freigesetzt (Straßburger 2004; Wildt u.a. 2001), wodurch sich die Konzentration an Ozonvorläufergasen erhöht. In lufthygienisch belasteten Gebieten weisen die Ozonkonzentrationen einen vom Sonnenstand und der Temperatur abhängigen ausgeprägten Tagesgang auf, der durch ein nächtliches Minimum und ein frühnachmittägliches Maximum charakterisiert ist. Gelegentlich jedoch kann das Nachtminimum durch Auftreten eines Sekundärmaximums unterbrochen sein (Reitebuch u.a. 2000). In Reinluftgebieten hingegen lassen die Ozonkonzentrationen nur eine geringe Abhängigkeit vom Tagesgang erkennen und verharren während sommerlichen Strahlungswetters auf einem weitgehend hohen Konzentrationsniveau (Kuttler und Zmarsly 1995). Die Ozondosis, die aus der Konzentration durch Multiplikation mit der Wirkdauer berechnet wird, ist deshalb in Reinluftgebieten meistens höher als in verkehrsbestimmten Ballungsräumen. Daß Reinluftgebiete im Allgemeinen gleichwohl eine bessere Luftqualität zuerkannt bekommen (Deutscher Bäderverband 1998), liegt daran, daß hier im Gegensatz zu den Ballungsräumen das Auftreten hoher Ozonkonzentrationen nicht an ebenfalls hohe Immissionswerte anderer Luftverschmutzungsindikatoren gebunden ist. Die vorgenannte Darstellung der Immissionssituation beruht auf der Auswertung von Messungen, die an Einzelstandorten erhoben wurden (vgl. die Hinweise in den Fußnoten in Tab. 12). Derartige Stationen liefern im Rahmen eines installierten Meßnetzes allerdings ausschließlich Punktdaten, die für die nahe Standortumgebung als repräsentativ angesehen werden können. Damit ist zwar eine hohe zeitliche, nicht jedoch eine gewünschte hohe räumliche Auflösung der Datenkollektive verbunden. Für Stadtgebiete, zu deren Charakteristika heterogene Oberflächenbedeckungen bei räumlich stark wechselnden Bevölkerungsdichten mit ausgeprägtem inhomogenen Auftreten der Luftqualität zählen, stellen an Einzelpunkten erhobene Daten dann einen Nachteil dar, wenn flächenbezogene Aussagen hinsichtlich der Luftqualität benötigt werden (Kuttler und Wacker 2001). Eine stärker auf den Flächenbezug ausgerichtete Methode stellt die mobile Aufnahme von Horizontalprofilen dar, deren Routenführung sich an der repräsentativen Flächennutzungsstruktur einer Stadt zu orientieren. Exemplarisch enthält Abb. 10 die auf verschiedenen Meßfahrten beruhenden Immissionskonzentrationen typischer Straßenzüge in der Stadt Gelsenkirchen. Erwartungsgemäß weisen Autobahnen und Bundesstraßen die höchsten CO-, NO- und NO2-Konzentrationen auf, gefolgt von Hauptstraßen in Wohngebieten. Die niedrigsten Spurenstoffwerte werden auf Nebenstraßen beobachtet. Dem chemischen Verhalten des sekundären Spurenstoffes O3 entsprechend, sind dessen Konzentrationen, bezogen auf die dargestellten Straßentypen, gegenläufig. Derartig gewonnene Werte können – zusammen mit den an Feststationen ermittelten Daten – durch Einsatz numerischer Modellanalysen flächenmäßig bezogene Angaben zur Luftqualität liefern, die darüber hinaus auch zu Prognosezwecken verwendet werden können (vgl. Junk u.a. 2004). Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 62 Abb. 10: Mittlere Immissionskonzentrationen atmosphärischer Spurenstoffe in verschiedenen Straßentypen Gelsenkirchens. Streckenabschnittsmittelwerte der Meßfahrten vom 16.06., 08.07., 24.08., 02.09.1999 jeweils zwischen 10 und 16 Uhr (Kuttler und Barlag 2002) Fig. 10: Mean air trace gas concentrations in different types of streets in Gelsenkirchen. Mean values of mobile area measurements at 16.06., 08.07., 24.08., 02.09.1999 between 10:00 and 16:00 (Kuttler and Barlag 2002) 1,4 - NO [µg/m³] 300 1,2 NO2 [µg/m³] 250 O3 [µg/m³] 200 CO [mg/m³] 1,0 0,8 150 0,6 100 0,4 50 0,2 0 CO-Konzentration / mg m-³ NO-, NO2- und O3-Konzentration / µg m ³ 350 0,0 Bundesstraße BAB 2 und 42 Hauptstraße224 Wohngebiet HauptstraßeStraße Nebenstraße- NebenstraßeFreiraum Gewerbegebiet Wohngbiet Freiraum HUMAN-BIOMETEOROLOGISCHE ASPEKTE Die Meßergebnisse stadtklimatischer Größen sind für den anwendungsbezogenen Bereich nur dann zu verwerten, wenn diese unter anthropozentrischen Gesichtspunkten einer Beurteilung unterzogen werden, um dadurch begründet klimatisch-lufthygienische Gunst- von Ungunsträumen zu unterscheiden. Hierfür kann auf verschiedene human-biometeorologische Bewertungsmöglichkeiten zurückgegriffen werden, durch die normierte Aussagen zu den drei Wirkungskomplexen (photoaktinisch, thermisch, lufthygienisch) gemacht werden können. Auf darüber hinausgehende gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Lärm, Gerüche oder starken Wind, die in Einzelfällen durchaus bedeutend sein können, wird an dieser Stelle nicht eingegangen. Photoaktinischer Wirkungskomplex Eine strahlungsklimatische gesundheitliche Beeinträchtigung des Menschen, insbesondere durch hohe UV-Strahlungsstromdichten (im Spektralbereich 100 nm < λ < 400 nm) dürfte unter den gegenwärtigen mitteleuropäischen Klimaverhältnissen noch kein spezifisch städtisches Problem darstellen. Das könnte sich jedoch ändern, wenn es vor dem Hintergrund einer weiteren Abnahme der stratosphärischen Ozonkonzentrationen zu einem Anstieg der erythemauslösenden beziehungsweise melanominduzierenden ultravioletten Strahlung kommt. Anders als bei den weiter unten zu besprechenden Wirkungskomplexen liegt bei der UVBestrahlung zwar im Vergleich zum Umland für den Menschen grundsätzlich keine ungünstigere Situation in der Stadt vor, jedoch bedingt die hier höhere Dichte sich im Freien aufhaltender Personen eine besondere Verantwortung sowie Möglichkeiten, durch planerische Maßnahmen für Beschattung (Bäume, Überdachungen, Arkaden usw.) zu sorgen. Daher wird auf diesen Komplex im Folgenden kurz eingegangen. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 63 Zur einfachen Anwendung eines Qualtitätsanzeigers für die ultraviolette Strahlung wurde ein UV–Index (UVI) für den in Deutschland am häufigsten auftretenden Hauttypen II (blond, hellhäutig) eingeführt (Gl. 8), mit dessen Hilfe die Strahlungsbelastung und die Möglichkeit des Auftretens eines Sonnenbrandes abgeschätzt und darüber hinaus - bei Überschreitung der Expositionszeiten - Schutzmaßnahmen empfohlen werden können (Staiger u.a.1997). Der UVI lautet: UVI = Eer · 40 W-1 m2 (8) mit Eer der erythemwirksamen Bestrahlungsstärke (W m-2) und 40 W-1 m2 als empirischer Faktor. Durch die Faktorenmultiplikation in Gl. 8 wird sichergestellt, daß der Wertebereich des UVI zwischen 0 (Minimum) und 12 (höchste Belastung) liegt. Der Term Eer kann zum Beispiel nach den von der Strahlenschutzkommission (SSK 1995) gemachten Vorgaben berechnet werden. Danach weisen UVI–Werte von 1 eine niedrige Belastung auf, bei der ein Sonnenbrand für den genannten Hauttypen unwahrscheinlich ist und Schutzmaßnahmen demzufolge nicht erforderlich sind. Bei Index-Werten von mehr als 8 ist die Belastung allerdings als sehr hoch einzustufen, ein Sonnenbrand beispielsweise in weniger als 20 Minuten möglich und Schutzmaßnahmen unbedingt zu empfehlen. In Deutschland können an strahlungsreichen Sommertagen UVI–Werte von bis zu 8 erreicht werden. Der UVI wird zum Beispiel vom Deutschen Wetterdienst berechnet und findet über die tägliche Routinevorhersage in den Medien Verbreitung, so daß von der Bevölkerung eigenverantwortlich Vorsorge vor zu starker Sonnenstrahlung getroffen werden kann. Flächenbezogen berechnete UVIWerte können von Seiten der Stadtplanung dazu herangezogen werden, öffentliche Freiflächen in Abhängigkeit von der Nutzung und der Aufenthaltsdauer der Bevölkerung durch bauliche Maßnahmen zukünftig vor zu starker Sonnenstrahlung zu schützen. Thermischer Wirkungskomplex Zahlreiche epidemiologische Studien belegen den statistisch positiven Zusammenhang zwischen Morbiditäts- /Mortalitätsraten und thermischer Belastung (z.B. Kan u.a. 2003, Jendritzky u.a. 2004). Zur Bewertung des thermischen Milieus stehen verschiedene Kenngrößen zur Verfügung, die im wesentlichen auf der Energiebilanz des Menschen (Gl. 9; hier in der Fassung von Höppe 1984) beruhen. M + W + Q* + QH + QL + QSW + QRe + QN + QS = 0 (W Person-1) (9) mit M dem Gesamtenergieumsatz, W der mechanischen Leistung (Arbeitsleistung nach außen), Q* der Strahlungsbilanz, QH dem turbulenten Fluß fühlbarer Wärme, QL dem turbulenten Fluß latenter Wärme infolge epidermaler Wasserdampfdiffusion ohne Schweißdrüsenbeteiligung (perspiratio insensibilis), QSW dem turbulenten Fluß latenter Wärme durch Schweißverdunstung, QRe dem Atemwärmefluß, QN dem fühlbaren Wärmefluß durch Anpassung von Nahrung an die Körperkerntemperatur und QS dem Speicherwärmefluß durch Veränderung der Körpertemperatur. Alle Einheiten in W Person-1. Unter Berücksichtigung der Energiebilanz des Menschen wurden verschiedene anwendungsorientierte Bewertungsmethoden entwickelt (VDI 1998). Unter anderem handelt es sich hierbei um: Das so genannte PMV (engl. predicted mean vote = mittlerer vorhergesagter Wert), die Physiologische Äquivalente Temperatur (engl. physiological equivalent temperature, PET) und die gefühlte Temperatur (engl. perceived temperature, pt). Der PMV ist ein gruppenbezogener psycho-physischer Wert, der rangmäßig denjenigen Prozentsatz einer Probandengruppe angibt, der sich bei Exposition der jeweiligen thermischen Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 64 Bedingungen subjektiv unbehaglich fühlt. Das daraus hervorgehende Klima-Michel-Modell (KMM; Jendritzky u.a. 1990) kann für einen „Norm-Menschen“ unter Berücksichtigung verschiedener bekleidungsabhängiger, meteorologischer und geografischer Eingangsgrößen die thermische Behaglichkeit berechnen und anhand einer von –4 (sehr kalt) über 0 (behaglich) bis +4 (sehr heiß) reichenden Skala eine entsprechende Wertungsklassifizierung vornehmen. Im Gegensatz zum PMV stellt der PET eine Bewertungsmöglichkeit dar, die mit der Maßeinheit Grad Celsius versehen wurde, um beim Anwender Verständnisschwierigkeiten auszuschließen, die sich eventuell bei der Verwendung abstrakter Größen – wie beim PMV – einstellen. Während für die Berechnung des PMV die außenklimatischen Bedingungen zugrundegelegt werden, bezieht der PET die außenklimatischen Verhältnisse auf ein Innenraumklima mit vorgegebenem Dampfdruck und unveränderlichen Isolationswerten der Bekleidung einer sitzenden Standardperson, die einer leichten Bürotätigkeit nachgeht (Höppe und Mayer 1987). Tab. 13: Zuordnung von PMV-, PET- und pt-Schwellenwerten zu gleichem thermischen Empfinden und entsprechender physiologischer Belastungsstufea (kombiniert nach verschiedenen Verfassern; aus Kuttler 1999) Table 13: Relation of PMV, PET und pt thresholds to similar thermic feeling and equivalent physiological loading levelsa (combined from different authors, after Kuttler 1999) a PMV -3,5 PET 4 °C pt -39 °C thermisches Empfinden sehr kalt physiologische Belastungsstufe extreme Kältebelastung -2,5 8 °C -26 °C kalt starke Kältebelastung -1,5 13 °C -13 °C kühl mäßige Kältebelastung -0,5 18 °C 0 °C leicht kühl schwache Kältebelastung ±0 20 °C 20 °C behaglich keine Wärmebelastung 0,5 23 °C 26 °C leicht warm schwache Wärmebelastung 1,5 29 °C 32 °C warm mäßige Wärmebelastung 2,5 35 °C 38 °C heiß starke Wärmebelastung 41 °C 3,5 extreme Wärmebelastung sehr heiß Die Festlegung der Schwellenwerte erfolgte jeweils auf Basis der unterschiedlichen Definitionen der Eingangsgrößen; siehe hierzu Kuttler (1999) Die gefühlte Temperatur (pt) schließlich, die auch aus dem KMM berechnet wird, verwendet ebenfalls die Maßeinheit Grad Celsius und simuliert Außenbedingungen mit sich den aktuellen Verhältnissen anpassenden Wasserdampfdrücken und entsprechenden Isolationswerten der Bekleidung, um den permanenten thermischen Komfort einer spazierengehenden Standardperson zu gewährleisten. Eine Zuordnung von PMV-, PET- und pt-Werten zu dem entsprechenden thermischen Empfinden und der daraus abgeleiteten physiologischen Belastung enthält – unter jeweiliger Berücksichtigung der entsprechenden Definition und Eingangsgrößen – Tab. 13. Mit Hilfe dieser Größen sind flächendeckende Aussagen zum thermischen Wirkungskomplex möglich. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 65 Lufthygienischer Wirkungskomplex Unter dem lufthygienischen Wirkungskomplex wird der Einfluß der in der Atmosphäre enthaltenen Luftinhaltsstoffe auf die menschliche Gesundheit verstanden. Eine Bewertung der Wirkung ist weitgehend in verschiedenen Regelwerken und Gesetzen festgelegt. Unterschieden werden in diesem Zusammenhang • Genehmigungs- und Schutzstandards, in denen die Grenzen nicht mehr zumutbarer Umweltbelastung im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG bestimmt werden, • Wirkungsstandards, die wirkungsbezogene Werte für Mensch, Tier und Pflanze enthalten und • Vorsorge- und Planungsstandards, die über den Weg einer politischen Entscheidung auch regional unterschiedlich verbindlich gemacht werden. Die hieraus resultierenden Kriterien weisen allerdings zahlreiche Mängel auf, die mit Mayer (1990) wie folgt zusammengefaßt werden können. Nicht für alle Spurenstoffe existieren Grenzwerte. Auch wird die Kombinationswirkung verschiedener gleichzeitig auftretender Spurenstoffe kaum berücksichtigt. Darüber hinaus beziehen sich die meisten der genannten Bewertungskriterien grundsätzlich auf die Durchschnittsbevölkerung und schließen gesundheitlich labile Gruppen (z. B. Kleinkinder, alte Menschen) weitgehend aus. Auch wird mit diesen Standards der Mobilität und damit der Aufenthaltsdauer der Stadtbewohner kaum Rechnung getragen, das heißt, die entsprechende Dosis von Luftinhaltsstoffen, der die Menschen in zeitlicher Abhängigkeit ausgesetzt sind, wird für die Bewertung vernachlässigt. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die summarische Bewertung städtischer Luftverunreinigungen eine wichtige Rolle bei planerischen Entscheidungsprozessen spielt. Zwar läßt sich eine derartige Gesamtbewertung der Luftqualität durch die Berücksichtigung einzelner Luftschadstoffe vornehmen, der Nachteil ist jedoch, daß nur eine bestimmte Auswahl an Leitsubstanzen berücksichtigt wird. In diesem Zusammenhang sind Luftbelastungsindizes (LBI), bei denen es sich um die Angabe des Anteils einzelner Spurenstoffe an ihren jeweiligen Grenzwerten, jedoch unabhängig von ihrer Wirkung, handelt, von Luftqualitätsindizes (LQI) zu unterscheiden, deren Wirkungsbezug auf toxikologischen und epidemiologischen Untersuchungen basiert (Mayer u.a. 2002). Auf die LQI kann hier nicht näher eingegangen werden. Die planungsbezogenen Luftbelastungsindizes (LBI1 = Jahresmittelwert; LBI2 = Kurzzeitbelastung) können mit Hilfe von Gl. (10) und Gl. (11) berechnet werden, wobei sich die im Nenner stehenden Werte auf EUGrenzwerte beziehen. LBI1 = C( PM10 ) C( NO 2 ) C( Benzol) 1 C(SO 2 ) + + + 4 20 µg m −3 40 µg m −3 40 µg m −3 5 µg m −3 (10) mit C dem arithmetischen Jahresmittelwert der Konzentration des jeweiligen Spurenstoffs (µg m-3), LBI2 = 1 N (SO 2 ) N ( NO 2 ) N ( PM10 ) N (CO ) + + + 4 24 18 35 1 (11) mit N der tatsächlichen Anzahl jährlicher Überschreitungen des jeweiligen EUKurzzeitgrenzwertes. Da es für CO keinen EU-Jahresgrenzwert gibt, wurde in Gl. (10) stattdessen Benzol aufgenommen. Ozon wurde nicht berücksichtigt, weil es sich mit raumplanerischen Mitteln zumindest nicht auf lokaler Ebene beeinflussen läßt. Anhand eines Bewertungs- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 66 schemas, das sich von „sehr geringer Luftbelastung“ (LBI1, LBI2 < 0,2) bis zu „starker Luftbelastung“ (LBI1, LBI2 > 0,8) erstreckt, können für die genannten Indikatoren summarische Aussagen zur Lufthygiene gemacht werden. STEUERUNG STADTKLIMATISCHER PROZESSE Die Verbesserung von Klima und Luft in Ballungsräumen und Städten sollte von der Vorstellung getragen sein, ein „ideales Stadtklima“ durch planerische Eingriffe für die Stadtbewohner anzustreben. Hierunter wird „ein räumlich und zeitlich variabler Zustand der Atmosphäre in städtischen Bereichen (verstanden), bei dem sich möglichst keine anthropogenen Schadstoffe in der Luft befinden und den Stadtbewohnern im bodennahen Bereich eine möglichst große Vielfalt an städtischen Mikroklimaten unter Vermeidung von Extremen geboten wird“ (Mayer 19899. Eine derartige Forderung läßt sich in strengem Sinne nur dort realisieren, wo Neugründungen von Städten vorgesehen sind und bereits in der Planungsphase Stadtklimatologen in enger Abstimmung mit den Entscheidungsträgern zusammenarbeiten. Das dürfte in großem Stil zum Beispiel auf den asiatischen, insbesondere auf den chinesischen Raum zutreffen, wo in den nächsten Jahrzehnten eine Vielzahl von Millionenstädten geplant ist. Realistischerweise gilt dies für bestehende Siedlungsräume nicht. Hier kann es allenfalls Aufgabe der Stadtplanung sein, diesem Ideal durch Maßnahmen zur Minimierung der Belastungen und zu stadtklimatisch wirksamen Umfeldverbesserungen möglichst nahe zu kommen, so daß zumindest ein „tolerierbares Stadtklima“ angestrebt werden kann. Die derzeit in einigen deutschen Großstädten zu beobachtende Bevölkerungsabwanderung eröffnet die Möglichkeit, bestehende Stadtstrukturen zukunftsweisend auf neue Anforderungen auszurichten und dabei stadtklimatische Erkenntnisse in den Planungsvollzug zu integrieren. Das sollte als Chance gesehen werden, freiwerdenden Wohnraum auch stadtklimatologisch sinnvoll umzuwidmen. Von Barlag (1997) werden in diesem Zusammenhang verschiedene Handlungsfelder genannt, auf die hier Bezug genommen werden soll. Dabei sind flächenbezogene von verkehrsund objektorientierten Maßnahmen zu unterscheiden. Zu den flächenbezogenen Maßnahmen zählen zum Beispiel eine Auflockerung der Bebauungsstruktur, die Schaffung oder Sicherung klimarelevanter naturbelassener Freiflächen sowie die Erhaltung bzw. strukturelle Verbesserung von Luftleitbahnen über die Umlandfrischluft in das bebaute Gebiet geführt werden kann. Neben Wasserflächen (Kuttler 1991) spielen in diesem Zusammenhang innerstädtische Grünflächen eine besondere Rolle. Bei optimaler Gestaltung verhindern oder reduzieren diese thermische Belastung, wenn ein Luftaustausch zwischen ihnen und der bebauten Fläche gewährleistet ist. Klimameliorierende Eigenschaften mit Fernwirkung werden von Horbert (2000) allerdings nur solchen Grünflächen zuerkannt, die eine Mindestgröße von 50 ha aufweisen. Aber auch kleinere Flächen können umweltverbessernd wirken, wenn diese über ein Verbundsystem (Luftleitbahnen) optimal miteinander vernetzt sind. Die Schaffung zusätzlicher Grünflächen sollte bei Nutzungsänderungen (Industriebrachen, Bebauungslücken, ungenutzte Bahnlinien, Verlegung von Parkraum unter die Erde etc.) ebenso ins Auge gefaßt werden, wie die Möglichkeit der Begrünung von Hausfassaden und Dachflächen, die nicht nur für das Einzelobjekt, sondern auch darüber hinaus positive Wirkungen auf das Stadtklima haben (Höschele und Schmidt 1974). Zu den verkehrsorientierten Maßnahmen zählen eine weitere Reduzierung der KfzEmissionen bzw. der verstärkte Einsatz emissionsarmer Fahrzeuge (Hybrid-, Elektro- und Wasserstoffantrieb), die Vermeidung unnötiger Individualfahrten, ein optimales Verkehrsmanagement, das durch entsprechende Leitsysteme einen möglichst kontinuierlichen Verkehrsfluß sichert, ein Ausbau des öffentlichen Nahverkehrssystems mit Erhöhung der Takt- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 67 frequenz und - bei der Anlage neuer Wohngebiete – diese so zu gestalten, daß der Gebrauch des Kfz für Versorgungsfahrten grundsätzlich minimiert werden kann. Zu den objektorientierten Maßnahmen zählen eine Einschränkung des Energieverbrauchs für den Gebäudebetrieb (Heizen, Kühlen, Lüften, Beleuchten) durch klimagerechtes Bauen (Kuttler 1993). Hierunter ist eine optimale Standortwahl von Neubaugebieten mit entsprechender Gebäudekonzeption, -ausrichtung, -form, -anordnung und -wärmedämmung zu verstehen. Da nach wie vor ein großer Teil der Primärenergie für die Hausbeheizung aufgewendet werden muß, ist auf energiesparenden Wärmeschutz bei Gebäuden zu achten. STADTKLIMA UND GLOBALE KLIMAENTWICKLUNG Vor dem Hintergrund einer für das 21. Jahrhundert vorausgesagten Verdoppelung der atmosphärischen CO2-Konzentration wird für Europa davon ausgegangen, daß es zu einer durchschnittlichen, regional jedoch durchaus unterschiedlich erfolgenden Erwärmung von etwa 2 K gegenüber dem Vergleichsjahr 1985 kommt (Houghton u.a. 2001). Unter Zugrundelegung der Ergebnisse verschiedener numerischer Modellanalysen (Wagner 1994, Groß 1996) soll der globale Einfluß auf die thermischen und lufthygienischen Verhältnisse mitteleuropäischer Großstädte exemplarisch kurz dargestellt werden. Tab. 14: Klimatologische Ereignistage (in mittlere Anzahl Jahr-1) für den Ballungsraum Berlin unter gegenwärtigen und veränderten Klimabedingungen (Szenario A für Ende 21. Jahrhunderts), verändert nach Wagner (1994) Table 14: Climatological event days (in mean number year-1) for the Berlin area present and with changed climate status (scenartio A end of 21th century), chaged after Wagner (1994) Klimatologische Ereignistage Gegenwart Modellierung Änderung Extrem heiße Tage tMax ≥ 39 °C 0,01 0,04 + 0,03 Heiße Tage tMax ≥ 30 °C 5,4 11,7 + 6,3 Sommertage tMax ≥ 25 °C 27,2 41,8 + 14,6 Frosttage tMin ≤ 0 °C 56,6 38,6 - 18,0 Eistage tMax ≤ 0 °C 22,0 8,8 - 13,2 0,7 0,11 Extrem kalte Tage tMax ≤ -10 °C - 0,59 Wie sich die thermischen Bedingungen als Folge der Modellszenarien für Berlin verändern werden, zeigt Tab. 14 anhand der Darstellung ausgewählter klimatologischer Ereignistage. So wird zum Beispiel die Winterstrenge (Anzahl der Eis- und Frosttage) abnehmen, die Sommerwärme (heiße Tage und Sommertage) hingegen zunehmen. Daraus dürfte eine Energieeinsparung im Winter wegen reduzierter Beheizung von Gebäuden resultieren, der im Sommer hingegen ein gesteigerter Betrieb von Klimaanlagen wegen des zunehmenden Bedarfs an Kühlung gegenübersteht, Letzteres allerdings nur, wenn die Anzahl der Gebäudeklimaanlagen erhöht wird. Für die Stadt Essen konnte zum Beispiel anhand des Stromverbrauchs berechnet werden, daß durch den winterlichen Minderverbrauch der Jahresverbrauch um 8% zurückgehen wird. Ein Teil dieser Einsparung würde allerdings durch verstärkten Betrieb von Klimaanlagen in den warmen Monaten wieder aufgezehrt, so daß die Jahresstromeinsparung nur noch bei 5% liegt (Kuttler 2001). In subtropischen Ländern spielt der winterliche Energieeinsatz hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Wichtige Steuerungsgröße im Energieverbrauch stellt hier die sommerliche Raumkühlung dar. Dieser dürfte sich, nach Untersuchungen im Großraum Los Angeles, im Vergleich zu 1985 um ein Drittel erhöhen (Oke 1994). Der höhere Verbrauch dürfte zu einer zusätzlichen städtischen Überwärmung, stärkeren Luftbelastung durch anthropogene Spurenstoffe und Verringerung der für die Energiebereitstellung notwendigen Ressourcen führen. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 68 Die genannten Beispiele aus den beiden Klimazonen belegen, daß der regionale Aspekt einer globalen Klimaveränderung einen großen Einfluß auf den Energieverbrauch haben wird. Doch auch der bodennahe atmosphärische Austausch wird durch eine prognostizierte globale Erwärmung verändert. Für Berlin konnte Groß (1996) exemplarisch nachweisen, daß es zu einem häufigeren Auftreten hochreichender Temperaturinversionen (> 300 m) kommen wird, und zwar im Vergleich zu 1985 um mehr als 20%. Die Anzahl flacher bzw. geringmächtiger Inversionen dürfte nach den vorliegenden Modellaussagen abnehmen. Da mächtigere Inversionen im Vergleich zu flachen Inversionen eine größere Erhaltungsneigung aufweisen, dürfte sich hierdurch das Problem der Luftverunreinigung aufgrund der längeren Dauer derartiger Episoden verschärfen. Um sowohl der sommerlichen Überwärmung als auch dem prognostizierten Anstieg sekundärer Luftverunreinigungen entgegenzuwirken, sollte der Anteil an Grünflächen in den Städten erhöht werden, da diese durch Reduktion der Oberflächen- und Lufttemperaturen nicht nur den thermischen Komfort erhöhen, sondern auch zu Energieeinsparungen durch Beschattung und Verdunstung führen, sowie in Küstenstädten dem Windschutz dienen. Würde bei der intensiven Begrünung städtischer Areale ferner darauf geachtet, daß nur solche Pflanzen Verwendung fänden, die hinsichtlich der Freisetzung biogener VOC (BVOC, insb. Isopren, Monoterpene) zur Gruppe der so genannten emissionsarmen Spezies zählen (Freisetzung von < 2 µg g-1 h-1 (g = Gramm Blatttrockenmasse) an Isopren sowie < 1 µg g-1 h-1 an Monoterpenen; Taha 1996), dann würde einer pflanzenbedingten Produktion an Ozonvorläufergasen dadurch kein Vorschub geleistet. AUSBLICK Die Stadtklimatologie hat sich insbesondere in Deutschland während der vergangenen Jahrzehnte als eine wichtige Teildisziplin der Umweltmeteorologie etabliert. Neben der Weiterentwicklung der Grundlagenforschung beruht die zunehmende Bedeutung dieses Fachgebietes in erster Linie auf seinem Anwendungsbezug, der beinahe sämtliche Ebenen der räumlichen Planung umfaßt. Messungen und Modellrechnungen fällt dabei eine besonders große Rolle zu. Zukünftig werden umfangreiche Aufgaben von der Stadtklimatologie zu bewältigen sein; nicht nur in den westlichen Industrieländern, wo es aufgrund der Bevölkerungsdynamik zu einem Umbau der Ballungszentren kommen wird, sondern auch in den Megastädten der Schwellen- und Entwicklungsländer, deren umweltmeteorologische Probleme im Bereich Klima und Luft zum Wohle ihrer Bewohner gelöst werden müssen. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 69 LITERATUR 22. BImSchV (2002): Verordnung über Immissionswerte für Schadstoffe der Luft vom 11.09.2002 (BGBL. 1 2002, S. 3626 Arnfield J (2003): Two Decades of Urban Climate Research: A Review of Turbulence, Exchanges of Energy and Water, and the Urban Heat Island. Int J Climatol 23, 1-26 Barlag AB (1997): Möglichkeiten der Einflußnahme auf das Stadtklima. VDI -Berichte 1330, 127-146 Barlag AB, Kuttler W (1990/91): The Significance of Country Breezes for Urban Planning. 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Wiss. zu Erfurt. 72 Klimafolgenforschung: Mögliche Auswirkungen von Klimaänderungen auf die Gesellschaft Climate impact research: possible impacts of climate changes on society Manfred Stock Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ZUSAMMENFASSUNG Die Klimafolgenforschung verknüpft eine Vielzahl von Disziplinen aus Natur- und Gesellschaftswissenschaften, verwendet deren Methoden sowie insbesondere solche, die fachübergreifend sind, wie Computersimulationen. Es ergeben sich daraus neue Erkenntnisse zu den klimarelevanten Wechselwirkungen im Erdsystem unter Beteiligung der Menschheit. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse, wie gefährlichen Auswirkungen auf die Gesellschaft begegnet werden kann. Dabei geht es nicht um Prognosen, sondern um Indikatoren zur Wahrnehmung kritischer Bereiche, wo bestehenden Verwundbarkeiten gegenüber Klimaänderungen durch Verringerung von Belastungen und Wahrnehmung von Anpassungspotenzialen begegnet werden kann. Beispiele dazu sind u.a. aufgezeigte Möglichkeiten zum Umbau des Energiesystems und zur Auseinandersetzung mit dem globalen Problem der Wasserversorgung. Fortschritte, Möglichkeiten und Grenzen der heutigen Klimafolgenforschung werden anhand einiger Fallstudien aufgezeigt. Die Beispiele behandeln die Auswirkungen des Klimawandels auf Seengebiete in aller Welt, Europas Küsten, Landschaften in den USA, Südamerika und in Deutschland und auf die dort lebenden Menschen. Nur in Ausnahmefällen werden Prognosen versucht, die neben der Klimaänderung auch Szenarien der zukünftig betroffenen Gesellschaft einbeziehen. Überwiegend wird stattdessen anhand eines zukünftigen Klimaszenarios analysiert, wie verwundbar die heutigen Strukturen in einer Region sind. Ziel ist die Identifikation von Schwachstellen und von Maßnahmen um diese zu beseitigen. In der Regel werden dazu einerseits globale Klimaszenarien und andererseits regional spezifische Wirtschaftsstrukturen betrachtet. Inzwischen werden aber zunehmend regionalisierte Modelle und Szenarien zur genaueren Beschreibung der Klimaänderung herangezogen, da die konkreten Auswirkungen vielfach nur damit realitätsnah genug ermittelt werden können. Dies wird am Beispiel der Brandenburg-Studie näher beleuchtet. ABSTRACT Climate Impact Research combines a number of scientific disciplines from natural as well as from economic and social sciences. Integrating methods are developed and used in addition to the various disciplinary ones. New results are produced about climate relevant interactions within an Earth system, which includes human societies. These results point out how to cope with possible negative impacts on society. That’s not a question of prediction but of perception. Where are the necessities for a conversion of energy systems, where the adaptive capacities of society to reduce vulnerability with respect to critical impacts of climate change, e.g. concerning water supply? Some case studies are described to show progress, potentials and limits of present day climate impact research. The examples given cover impacts on Lakes worldwide, Europe’s cost lines, landscapes in the USA, South America and in Germany and on the people living there. Forecasts using not only future scenarios of climatic but of societal change as well are rare. It is rather state of the art to use future climate scenarios to analyse Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 73 the vulnerability of today’s regional structures. The objective is to identify weak points and measures to eliminate them. Mostly the analysis is based on the consideration of global climate scenarios on one hand and regionally specific economic patterns on the other. But now regionalized climate models and scenarios are used more and more to describe climate change. In most impact studies more accurate and concrete results are obtained and this is demonstrated in the Brandenburg study. PROBLEMSTELLUNG UND GRUNDLAGEN Klimaänderungen: Wirkungen, Folgen und Optionen Interdisziplinäre Positionierung der Klimafolgenforschung Die Klimafolgenforschung ist ein relativ junger Zweig der Forschungslandschaft. Als das 1988 gegründete „Intergovernmental Panel on Climate Change“ seinen ersten Bericht zum Stand des Wissens beim Klimawandel vorlegte (IPCC 1990), erschien das mögliche Ausmaß einer Veränderung des Erdklimas durch anthropogen freigesetzte Treibhausgase wahrscheinlich genug, um konkret nach möglichen Folgen dieser Veränderung zu fragen. Dies brachte zuerst ein weltweit bestehendes Defizit zu Tage. Nur punktuell gab es naturwissenschaftliche Ergebnisse zu Veränderungen bei Ökosystemen, z.B. zum Einfluss erhöhter CO2 Konzentrationen auf das Pflanzenwachstum (Kimball 1983) oder von Klimaänderungen auf terrestrische Ökosysteme (Emanuel 1985) und die Landwirtschaft (Parry 1989). Zu einer umfassenderen und vergleichenden Abschätzung möglicher Auswirkungen auf die menschliche Zivilisation fehlten Methoden, Daten und Forschungseinrichtungen. Seitdem hat sich einiges getan. Es gibt inzwischen ein Vielzahl an Beobachtungen zu Auswirkungen der laufenden Klimaänderung sowie signifikante Indizien dafür, dass der Mensch inzwischen einen wesentlichen Anteil daran hat (Claußen 2003). Dies bedeutet eine neue Qualität gegenüber den früheren Klimaänderungen der Erdgeschichte, man spricht vom Klimawandel als Teil des „Globalen Wandels“ (WBGU 1996). Zur Frage möglicher zukünftiger Auswirkungen gibt es inzwischen einige orientierende Aussagen, das Gesamtbild ist aber immer noch lückenhaft. Ein Problem der Klimafolgenforschung ist, dass die in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen erforschten Wechselwirkungsprozesse stark miteinander gekoppelt sind, die Disziplinen hingegen kaum. Abb. 1: Bestandteile und Wechselwirkungsprozesse im Erdsystem mit Klimasystem und Gesellschaft. Fig. 1: Compartments and relationships in the Earth and climate system with the society Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 74 In der Praxis ist interdisziplinäre Zusammenarbeit nach disziplinär orientierten Arbeitseinheiten organisiert, die selbständig erarbeitete Ergebnisse und Daten untereinander austauschen. Um die Passfähigkeit der Daten im Rahmen der gemeinsam bearbeiteten Fragestellung und damit die wissenschaftliche Seriosität des Gesamtergebnisses sicherzustellen, ist eine Festlegung auf ein gemeinsames Bezugssystem nötig, in dem für jedes Arbeitsgebiet Position und Wechselwirkung mit anderen definiert ist. In der Klimafolgenforschung ist der Bezug das Klimasystem mit Verknüpfungen zur Gesellschaft, wie sie für die jeweils untersuchte Frage relevant sind. Abb. 1 zeigt solche Verknüpfungen über Stoff-, Impuls- und Energieflüsse. Das Klimasystem mit seinen Subsystemen, Atmosphäre, Ozean, Eisflächen, Umweltsysteme und Umweltressourcen deckt sich weitgehend bis einige km unter der Erdoberfläche mit dem System Erde. Die Erforschung dieses Systems erfordert in erster Linie eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der Naturwissenschaften. Bei der Frage der anthropogenen Ursachen von Klimaänderungen, wie Treibhausgasemissionen oder Landnutzung, und erst recht bei der Frage möglicher Auswirkungen erweitert sich das Erdsystem um zivilisatorische Komponenten und es sind daher außerdem wirtschafts- und sozialwissenschaftliche (sozioökonomische) Disziplinen und ihre Methoden unabdingbar. Bereits in den Anfängen der Klimafolgenforschung wurde deutlich, dass ein interdisziplinäres Arbeiten an einer gemeinsamen Fragestellung, indem eine Disziplin mit den von einer anderen erzielten Ergebnissen sequenziell weiterarbeitet, der Realität komplexer Systeme nur bedingt gerecht werden kann. Aus der Analyse der Wechselwirkungen im Erdsystem ergeben sich Notwendigkeit und Form neuer transdisziplinärer Methoden zur Überwindung bestehender kommunikativer Barrieren und methodischer Inkompatibilitäten. Klimafolgen als Ergebnis von Wechselwirkungen im komplexen Erdsystem Einen Zugang zur Analyse des Erdsystems ermöglicht die (disziplingerechte) Aufteilung in Teilsysteme, wie Ökosysteme, Gesellschaftssysteme, Märkte oder das Klimasystem. Zu erfassen sind die in den Teilsystemen ablaufenden Prozesse, sowie die zwischen ihnen stattfindenden Austauschprozesse von Energie, Waren, Stoffen und Informationen. Die Systeme verändern sich infolge dieser Austauschprozesse selbst wieder. Diese Wechselwirkungen führen zu komplexen Beziehungen zwischen Ursachen und Folgen. Mehrere Ursachen führen mit- und gegeneinander wirkend zu einem Bündel von Folgen, wobei die lineare Beziehung „aus A folgt B“ verwischt werden kann. Entstandene Folgen werden später zu Ursachen weiterer Folgen (Henne-Ei-Beziehung) und Wirkungen können direkt auftreten, oder indirekt durch die Hintertür als Nebenwirkungen anderer Prozesse. Abb. 2: Wechselwirkungsprozesse im Erdsystem zwischen sozialen Systemen S, Umwelt- und Ökosystemen U und dem Klimasystem K. Während und durch die Wechselwirkung verändert sich das Erdsystem vom heutigen Zustand (Index 0) mit der Zeit zu einem anderen zukünftigen Zustand (Index 1). Fig. 2: Interactions within the Earth system among social systems S, environmental and ecosystems U and the climate system K. While and via the relationship the Earth system is changing from present state (0) to another futire state (index 1) with time. Abb. 2 skizziert links die gegenwärtigen (Index 0) für die Analyse von Klimafolgen relevanten Wechselwirkungen zwischen drei Systemen, dem sozioökonomischen System S mit Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 75 Märkten und Akteuren, dem Klimasystem K und den Umwelt- und Ökosystemen U. Die Wirkungen eines Systems auf ein anderes sind als Pfeil dargestellt. Es handelt sich um sechs Arten der Wechselwirkung, die im folgenden charakterisiert werden: 1. Ressourcennutzung: Umweltressourcen werden vielfältig wirtschaftlich genutzt, z.B. als Trinkwasser, Holz, Nahrungsmittel, Bodenschätze, Energieträger, Erholungsraum oder Siedlungsgebiet. Die Nutzung kann zu Umweltschäden führen (2). Eine nachhaltige Nutzung soll irreversible Schädigungen vermeiden. 2. Nutzungsbedingte Umweltveränderungen: Durch Nutzung bedingte Eingriffe in die Umwelt können Rückwirkungen auf Qualität, Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit der Ressourcennutzung haben, im Beispiel ‚Trinkwasser’ also auf Wasserqualität und über dadurch erforderliche Reinigungsmaßnahmen auf Wasserverfügbarkeit und Preis. Im Zusammenhang mit Klimafolgen spielt ferner der expansive Flächenverbrauch der Gesellschaft eine Rolle. 3. Nutzungsbedingte Klimaveränderung: Je nach Intensität und Art der Energienutzung in Wirtschaft und Gesellschaft werden Treibhausgase in die Atmosphäre freigesetzt und ebenso aus Landnutzungsänderungen durch Rodung oder Trockenlegung sowie aus landwirtschaftlicher Nutzung. Parallel dazu werden die klimatischen Eigenschaften der Erdoberfläche infolge Landnutzung verändert (Wirkungskette (2)+(6)). Beides kann das Klima mehr oder weniger stark verändern und dem versucht der Klimaschutz vorzubeugen. 4. Direkte Klimafolgen für die Gesellschaft: Bereits heute sind etwa 5 bis 10% des Bruttosozialprodukts der Industrienationen von Wetterschwankungen abhängig. Dies betrifft eine Vielzahl von Branchen, die damit auch auf den Klimawandel empfindlich reagieren können und die Klimafolgenforschung beschäftigt sich daher mit diesen Auswirkungen und ihrer zukünftigen Entwicklung. Die Wahrnehmungen zur Veränderlichkeit von Klima und Umwelt können des weiteren auch Verhaltensänderungen bewirken, z.B. zur Anpassung an unvermeidliche Folgen bei langfristigen Investitionsentscheidungen und Versicherungsoptionen, oder beim Klimaschutz (3). 5. Klimafolgen über Umweltveränderungen: Infolge von Klimaänderungen ändern sich verschiedene Umwelt- und Lebensbedingungen, zum Beispiel die regionale und saisonale Niederschlagsverteilung und zusammen mit Landnutzungsänderungen auch Wasserqualität und -verfügbarkeit. Diese Veränderungen der Umwelt wirken sich weiter auf die Ressourcennutzung aus (1). 6. Klimaveränderung durch Umweltveränderungen: Ökosysteme und Wasserressourcen können das lokale und regionale Klima beeinflussen. Umweltveränderungen durch den Menschen (2) durch Flächeninanspruchnahme und Bewirtschaftungsmaßnahmen in Ökosystemen verändern Klimafunktionen der Landschaft. Die Abholzung von Wäldern oder das Austrocknen von Wasserflächen kann z.B. Wüstenklima nach sich ziehen. Je nach Art, Intensität und Geschwindigkeit dieser Wechselwirkungen zwischen den Systemen zum heutigen Zeitpunkt (Index 0) wird die Zukunft der Systeme (Index 1) anders aussehen, werden Märkte vergehen und neue entstehen (S1), die Klimaänderung moderat oder drastisch ausfallen (K1) oder zum Beispiel Wasserressourcen entweder nachhaltig nutzbar oder frühzeitig verbraucht sein (U1). Die Entwicklung des Gesamtsystems zwischen Gegenwart und Zukunft lässt sich mit einem gekoppelten nichtlinearen Differentialgleichungssystem allgemein beschreiben: Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. S1 = s(S0, dU/dt, dK/dt) U1 = u(U0, dS/dt, dK/dt) K1 = k(K0, dS/dt, dU/dt) 76 (1) S, U und K sind Vektoren aus mehreren Variablen. Die konkrete Formulierung der Beziehungen der Variablen in den Gleichungen ist allerdings größtenteils noch nicht oder kaum bekannt und Gegenstand der Klimafolgenforschung. Sowohl die graphisch-verbale, wie auch die mathematische Beschreibung der Wirkungszusammenhänge zeigt, dass die Erforschung der Auswirkungen von Klimaänderungen auf die Gesellschaft sich nicht auf lineare Wirkungsbeziehungen (4) und (5) + (1) beschränken kann. Zur Komplexität der Wirkungszusammenhänge gehört die Dynamik, die zeitliche Veränderung der Systeme durch und während der Wirkung. Diese Dynamik kann gut in naturwissenschaftlichen Modellen abgebildet werden, die Klimaveränderungen mit der Zeit (K0→K1) oder Umweltveränderungen (U0→U1) simulieren. Vernachlässigt werden dabei aber in der Regel die während der Zeitspanne stattfindenden Wechselwirkungsprozesse der Teilsysteme untereinander (S-U-K-S). Vereinfacht gesagt wird so beispielsweise der Einfluss der Klimaänderung in 50 Jahren auf die heutige Gesellschaft untersucht (K1→S0) statt auf die dann entstandenen Strukturen (K1→S1). Einige Ökonomische Modelle hingegen erfassen explizit diese Wechselwirkungsprozesse der Teilsysteme (S-U-K-S) untereinander, da sie Optimierungsstrategien verfolgen. Sie haben dagegen wiederum Probleme, die Dynamik der Systementwicklung über einen Zeitraum zu erfassen, wie es für Klimaänderungen erforderlich ist. Die z.T. unterschiedliche Bewertung der Klimaproblematik durch Klimasystemforscher einerseits und Klimaökonomen andererseits hat hier eine Wurzel. Das Gleichungssystem (1) bringt beide Gesichtspunkte zwar unter einen Hut, doch die zu seiner Lösung erforderlichen integrierten Systemmodelle sind noch nicht verfügbar. Ziele der Klimafolgenforschung Die Klimafolgenforschung hat wissenschaftliche und anwendungsnahe Ziele. Übergeordnete wissenschaftliche Zielsetzung ist es, die klimarelevanten Wechselwirkungen im Erdsystem (unter Einschluss der Menschheit) und ihre jeweiligen Beiträge zur nichtlinearen Dynamik des Systems zu verstehen. Aus diesem Verständnis heraus ergeben sich praxisrelevante Aussagen darüber, welche Auswirkungen durch welche Klimaänderung unter welchen nichtklimatischen Randbedingungen sich zukünftig ergeben könnten. Es ist nicht Aufgabe oder Ziel der Klimafolgenforschung Prognosen abzugeben. Ziel ist es vielmehr, die heute bestehenden Alternativen und Optionen für Entscheidungen oder Handlungen im Lichte der aus ihnen sich möglicherweise ergebenden Auswirkungen, einschließlich sekundärer Nebenwirkungen, beurteilen zu können. Dies bedeutet, dass die Ermittlung von Auswirkungen darauf abzielt, diese als erwünscht, unerwünscht oder tolerierbar einstufen zu können. Ziel der anwendungsnahen Klimafolgenforschung ist es demzufolge, Methoden zur Entscheidungsfindung bereit zu stellen, für die Durchführung oder Unterlassung von Maßnahmen zur: • • • Vermeidung katastrophaler Klimaänderungen, Verminderung einschneidender Wirkungsmechanismen und Anpassung an die unausweichlichen Folgen. Aufgabe der Klimafolgenforschung ist daher die Bereitstellung von Methoden zur nachhaltigen Steuerung des komplexen Erdsystems (Schellnhuber 1998). Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 77 Ansätze und Methoden der Klimafolgenforschung Die Klimafolgenforschung verwendet Daten und Methoden aus den beteiligten Fachdisziplinen und integriert sie mit Hilfe übergreifender, verbindender Methoden. Integration der Methoden aus wissenschaftlichen Disziplinen Inter- bzw. transdisziplinäre Projekte bestehen in der Regel aus sehr unterschiedlichen Forschungsgruppen und diese sind sehr heterogen aus Natur-, Sozial- und auch Nichtwissenschaftlern (Stakeholdern) zusammengesetzt. Entsprechend vielgestaltig sind die zum Einsatz kommenden Methoden aus den wissenschaftlichen Fachdisziplinen. Tabelle 1: Beteiligung verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen an Projekten in der Klimafolgenforschung (exemplarisch). Die Gruppierung in Spalten erfolgt nach den Wechselwirkungen in Abb. 2. Table 1: Contribution of different scientific disciplins to projects in climate impact research (as an example). Grouping within columns is according to the relationships shown in Fig. 2. (1) (2) Ressourcen- Umweltnutzung veränderung infolge Ressourcennutzung Klimasystemforschung (3) Klimaveränderung infolge Ressourcennutzung (4) Direkte Klimafolgen für die Gesell-schaft (5) Indirekte Klimafolgen über Umweltveränderung (6) Klimaveränderung durch Umweltveränderung Klimasystemmodellierung Humanbiometeorologie Agrarklimatologie Klimasystemmodellierung Ökosystemmodellie-rung, Hydrologie, Limnologie Geologie, Archäologie, Paläontologie Umweltsystemforschung Forstwissenschaft Waldschadensforschung, Biodiversitätsforschung Sozioökonomische Forschung Weltwirtschaftsmodelle UmweltKlimapolitik, schutzpolitik, KlimaRechtsökonomie wissenschaft Übergreifende Wissenschaften Informatik, Informations- und Computerwissenschaften, Integrierte System-Analyse, Erdsystemanalyse, Geographie, Nichtlineare Dynamik, Mathematik, Statistik, Spieltheorie, Steuerungstheorie, Umweltpsychologie Kultursoziologie, Gesundheitssystemforschung Geschichtsforschung, Umweltökonome Tab. 1 gibt hierzu ohne Anspruch auf Vollständigkeit Beispiele, wie Gruppen von Fachdisziplinen (Zeilen) bestimmten Fragestellungen (Spalten) in einem Verbundprojekt oder Forschungsprogramm zur Klimafolgenforschung zugeordnet werden können. Besondere Bedeutung in der transdisziplinären Struktur haben übergreifende wissenschaftliche Ansätze und Methoden zur Verknüpfung der Einzelbereiche, wie z.B. die Informatik (siehe 2.3) oder die Umweltpsychologie. Bei der Integration der verschiedenen Beiträge in einem interdisziplinären Verbundprojekt sind unter anderem folgende Probleme zu lösen (Bronstert 1997): • Die verschiedenen Disziplinen oder Sektoren brauchen zur Abgrenzung und Verknüpfung der Arbeiten sowie zum Austausch von Daten und Ergebnissen gemeinsame Definitionen und eine gemeinsame Sprache. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. • • • • • 78 Unterschiedliche räumliche, zeitliche und funktionale Aggregationsebenen müssen aufeinander skalenbezogen abgestimmt (skaliert) werden. Unterschiedliche Niveaus der Analyse müssen über Makrovariable und Indikatoren aufeinander bezogen werden. Unsicherheiten und Unterschiede erfordern eine Diskussion von Randbedingungen, Fehlerausbreitung und Wahrscheinlichkeiten kombinierter Aussagen. Unterschiedliche normative Aspekte und Wertungen müssen klar von den wissenschaftlichen Fragestellungen abgegrenzt werden und beispielsweise in Gestalt von Schwell- oder Grenzwerten darauf Bezug nehmen. Der Anwendungsbezug erfordert eine flexible interaktive Variation von Annahmen und Szenarien, um die Sensitivität von Ergebnissen bei der Diskussion der Implikation mit Entscheidungsträgern sichtbar zu machen. Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass in inter- bzw. transdisziplinäre Projekten Ziele, Kommunikationsstrukturen und Interessen der Beteiligten sehr verschieden sind und sie unterschiedliche Anforderungen an das Projektmanagement stellen. Gleichwohl bleibt dieser Management-Prozess in der Regel unreflektiert und es fehlt an Methoden der Projektbegleitung. Hier kann eine gezielte umweltpsychologische Mediation Instrumente zur Steuerung von Forschergruppen und Forschungsprozessen bereit stellen und so das Projektziel gefährdende Reibungsverluste vermeiden. Ein Beispiel ist das Verbundforschungsprojekt GRANO, in dem Konzepte entwickelt und erprobt werden, die zu einer dauerhaft-umweltgerechten, also nachhaltigen Nutzung von Agrarlandschaften in ausgewählten Regionen Nordostdeutschlands beitragen sollen (Aenis 1999). Daten: Erhebung, Validierung und Anwendung Der Umgang mit Daten, als Ausgangsinformationen, Zwischen- oder Endergebnisse von Abschätzungen möglicher Auswirkungen mit verschiedenen Methoden und Modellen, ist wesentlicher Bestandteil der Klimafolgenforschung. Die Daten können quantitativer oder qualitativer Natur sein, sind sequentiell zeitlich geordnet oder räumlich als Teil eines Graphischen Informations-Systems (GIS), und ergeben Datensysteme hoher Inhomogenität. Die Datenbestände werden an verschiedenen Orten in Datenbanken verwaltet und zentrale Metadatenbanksysteme eröffnen den Zugang dazu, beispielsweise CERA-2 (Climate and Environmental Data Retrieval and Archive System, http://pik-potsdam.de/cera). Abb. 3: Geschwindigkeit (Y-Achse) und Stärke (X-Achse) von Klimaschwankungen in den vergangenen 850.000 Jahren auf der Nordhalbkugel (Sassin 1988). Steigende und fallende Temperaturwerte (langjährige Mittel) markieren den Übergang von unkritisch, kritisch und gefährlich für Ökosysteme. Fig. 3: Speed (y axes) and power (x axes) of climate variations within the last 850000 years on Northern hemisphere (Sassin 1988). Ascent and descent temperatures (longtime means) mark the transfer from uncritical, crititical and dangerous for ecosystems. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 79 Nützlich bei der Modellentwicklung und zur Validierung sind paläologische, historische und aktuelle Datenquellen. Veränderungen der Temperatur lassen sich für die vergangenen 200 bis 300 Jahre anhand von instrumentellen Messreihen, für die vergangenen 1000 Jahre anhand von Aufzeichnungen in Chroniken nachweisen. Wesentlich weiter zurück in die Vergangenheit reichen Temperaturdaten aus "Archiven der Natur", wie Eisbohrkerne, Baumringe oder Seesedimente. Abb. 3 zeigt eine Datenanalyse von Klimaschwankungen der letzten 850.000 Jahre aus solchen Archiven (Sassin 1988). Die untere Kurve markiert die Schwelle, ab der Klimafolgen in Ökosystemen feststellbar sind, die obere die Grenze, bis zu der Ökosysteme die Klimaänderungen noch überstanden haben. Oberhalb dieser Grenze liegt eine Gefahrenzone, in der offen ist, wie sich Ökosysteme verhalten werden. Schnelle Klimaänderungen sind schon bei relativ geringer Temperaturerhöhung kritischer als allmähliche Änderungen. Schwieriger als bei der Temperatur ist die Erfassung der Niederschlagsentwicklung und kaum erforscht ist schließlich die Frage, ob und wie sich mit dem Klima die Häufigkeit von Naturkatastrophen verändert hat. Aus historischen Archiven lassen sich zwei verschiedene Typen von Daten gewinnen, zum einen Schilderungen von Anomalien und Naturkatastrophen seit dem Mittelalter. Zum anderen findet man Aufzeichnungen der täglichen Witterung seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert. Einer der Pioniere war der Abt Kilian Leib, Prior des Klosters Rebdorf bei Eichstätt, Bayern, der vom April 1513 bis zum 31. Dezember 1531 das tägliche Wetter nahezu lückenlos festhielt. Er wertete seine Aufzeichnungen aus, um den Auswirkungen der Witterung auf Ernten und Preise nachzuspüren (Pfister 1999). Der klimatische Übergang vom sogenannten Klimaoptimum im Mittelalter zur Kleinen Eiszeit (15501850) ist durch eine Häufung von Wetteranomalien und eine große Variabilität gekennzeichnet. In den Aufzeichnungen finden sich Schilderungen sowohl von extremen Trockenperioden, wie von nasskalten Jahren und Flutkatastrophen. Abb. 4: Variation des Erntebeginns beim Riesling von Schloss Johannisberg (Rheingau) in den Jahren 1784 bis 2000 (graue Punkte). Die Linie zeigt das gleitende Dekadenmittel (Stock 2003). Fig. 4: Variation of beginning crop for riesling from castle Johannisberg (Rheingau) in the periode 1784-2000 (grey points). The solid line shows the decade average (Stock 2003). Ergiebiger sind Aufzeichnungen aus dem Weinbau, der hinsichtlich geografischer Ausdehnung der Anbaufläche, Phänologie, Qualität und Ertrag ein aufschlussreicher Klimaindikator ist. Im sogenannten Klimaoptimum des Mittelalters erstreckte sich der Weinbau in Deutschland sehr viel weiter nördlich als heute, so z.B. bis zum Zisterzienserkloster Bad Doberan an der Ostseeküste. Auch in England war der Weinbau damals weit verbreitet und erlebt heute Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 80 eine Renaissance. Beobachtet wurde, dass sich in den letzten fünfzehn Jahren die Anbaufläche in Südengland auf 250% erhöht hat (Palutikof 2000). Auch die Zunahme der Rotweinproduktion in verschiedenen Anbaugebieten kann als Indikator angesehen werden. In Deutschland verdreifachte sich der Anteil der Rotweinsorten auf den Anbauflächen gegenüber Weißwein in den letzten zwanzig Jahren (Quelle: Deutscher Weinbauverband). Im Bordeaux hat sich zwischen den Jahren 1960 und 2000 die Produktionsmenge roter AOC Weine versechsfacht (Jones, 2000). In den genannten Fällen spielt das Klima nur eine, wenn auch gewichtige, Rolle neben anderen ökonomischen Faktoren. Enger mit dem Klima verknüpfte Indikatoren sind die Zeitpunkte für Austrieb, Blüte, Reife- und Erntebeginn. Für diese Daten wird in den Weinbaugebieten über die letzten Jahrzehnte ein durchgängiger Trend zur Verfrühung beobachtet. Abb. 4 zeigt dazu das Beispiel einer langjährigen Reihe des Rieslings-Erntebeginns auf der Domäne Schloss Johannisberg (Rheingau) in den Jahren 1784 bis 2000 (Staab 2001). Integrierte Computermodelle und Simulation nachhaltiger Energienutzung Wie die Klimaforschung arbeitet auch die Klimafolgenforschung mit Modellen, die es ermöglichen den aktuellen Stand des Wissens, neue Hypothesen oder den Einfluss verschiedener gekoppelter Parameter auf das Resultat in Computersimulationen im Vergleich zu Beobachtungsdaten zu untersuchen. Mit Hilfe derartiger validierter Modelle lassen sich zukünftige Entwicklungen von Klimaänderungen und ihrer Auswirkungen abschätzen. Die Komplexität der zu untersuchenden Fragestellungen erfordert den Einsatz integrierter Modelle, die aus verschiedenen Teilen (ähnlich wie in Abb. 1) zusammengesetzt werden. Dazu gehören folgende Schritte: • • • • • • • • • • Formulierung einer wissenschaftlichen Fragestellung, Identifikation von Kriterien zur Evaluierung der Resultate und Aufteilung in geeignete überschaubare Arbeitspakete (Module), Erfassung der wesentlichen Prozessparameter und ihrer Beziehungen (Erhaltungssätze, Stoffparameter u.a.), der Eingangsdaten mit Annahmen und Unsicherheiten (Szenarien) und Schnittstellen zwischen den Modulen, Modulweise Beschreibung der Prozesse in Form mathematischer Modelle mit Differential- und Integralgleichungen oder regelbasierten qualitativen (Fuzzy) Beziehungen, Diskretisierung und Auswahl geeigneter Algorithmen und numerischer Näherungs- und Lösungsverfahren, Umsetzung der Module in Computerprogramme zu Simulationsrechnungen, Modulweise Parametervariation, Fehlerkontrolle, Bewertung der Simulationsergebnisse und Nachbesserung, Integration der Module zum integrierten Modell, wobei Softwaretools die Kombination ganz verschiedenartiger Computermodelle erleichtern oder einen definierten Datenaustausch zwischen ihnen ermöglichen (Flechsig 2001), Simulationsrechnungen und Parametervariationen, Fehlerkontrolle, Bewertung der Simulationsergebnisse und Nachbesserung des integrierten Modells oder einzelner Module bzw. Schnittstellen, Visualisierung, Parameterstudien, Aus- und Bewertung der Ergebnisse. Ein Beispiel für ein integriertes Modell des globalen Wandels ist das IMAGE Modell (Integrated Model to Assess the Greenhouse Effect, Alcamo 1998). IMAGE setzt sich aus Modulen zu den Teilsystemen Energie-Industrie, LandnutzungUmwelt und Atmosphäre-Ozean zusammen. Für Klimaschutzstrategien werden KostenNutzen-Analysen ausgehend von (Nordhaus 1991, Fankhauser 1993) in integrierte Modelle eingebaut. Ein erster wichtiger Beitrag ist das DICE-Modell (Dynamic Integrated Model of Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 81 Climate and the Economy, Nordhaus 1993), das eine globale Analyse vornimmt. Für die Klimaschutzverhandlungen sind aber geografisch explizite Modelle geeigneter, wie MERGE (Model for Evaluating Regional and Global Effects of GHG Reduction Policis, Manne 1993) oder das erwähnte IMAGE. Abb. 5: Leitplankenansatz und Berechnung von Energienutzungsalternativen mit dem MIND-Modell (WBGU 2003). Der BAU-Pfad (Business as usual) verlässt das Fenster tolerierbarer Klimaentwicklungen während ein entsprechender Umbau des Energiesystems einen Pfad im Klimafenster ergibt. Fig. 5: Limit aproach and calculation of alternative energy uses by the MIND model (WBGU 2003). The BAU trail (Business as usual) is escaping the window of tolerable climate change while the relevant rearrangment of the energy system results into a trail within the climate window. Einen innovativen Ansatz zur Berücksichtigung zentraler Variablen wie Bevölkerungsentwicklung, Wirtschaftswachstum, Entwicklung des Energiebedarfs und des technologischen Fortschritts innerhalb des Modellrahmen liefert das endogene Energiesystemmodell MIND (Model of Investment and Technological Development, Edenhofer 2002), welches an ein Klimamodell gekoppelt ist und innovative Techniken der Energieerzeugung oder der CO2Speicherung berücksichtigt. Damit lassen sich nachhaltige Pfade der Energienutzung unter Klimaschutzzielen ableiten (WBGU 2003). Da MIND ein Optimierungsmodell ist, verläuft im UmBAU-Fall in Abb. 5 die Temperaturentwicklung in Teilen direkt entlang der Grenze des Klimafensters. Es wurde eine Klimasensitivität von 2,5 °C Erwärmung bei Verdopplung der vorindustriellen CO2-Konzentration angenommen. Zugrunde liegt dem Klimafenster der sogenannte Leitplankenansatz, demzufolge kritische Belastbarkeitsgrenzen ökologischer und ökonomischer Systeme überschritten werden, wenn Klimaänderungen bestimmte, ein Toleranzfenster definierende, Schwellwerte für die Änderung der Temperatur (2 °C) und der dabei befolgten Geschwindigkeit (0,2 °C/Dekade) übersteigen (WBGU 1996). Analyse der Verwundbarkeit gegenüber Klimaänderungen Die Auswirkungen des globalen Klimawandels hängen von verschiedenen Faktoren ab, die in einer Region die Verwundbarkeit erhöhen oder verringern können und in Abb. 6 skizziert sind. Klimaänderungen können unterschiedliche Belastungsformen, wie Stürme, Sturmfluten, Hochwasser, Hitzewellen, Dürreperioden, u.s.w. für eine Region mit sich bringen. Verschiedene Regionen der Erde erfahren dabei unterschiedliche Formen und Stärken der Belastung. Die potenziellen Auswirkungen der Belastung hängen außer von dieser auch davon ab, welche Wirtschaftsstrukturen, Öko- und Sozialsysteme die Region prägen und wie empfindlich diese reagieren (Sensitivität). Die regionale Verwundbarkeit oder Robustheit (Resilienz) gegenüber Klimaänderungen ergibt sich aus den potenziellen Auswirkungen und deren Abpufferung infolge vorausschauendem Einsatz heute erkennbarer Anpassungspotenziale. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 82 Abb. 6: Elemente einer Verwundbarkeitsanalyse für Regionen im Klimawandel zur Ermittlung und Nutzung von Anpassungspotentialen (Klein 2001) Fig. 6: Elements of an injure analysis for regions with climate change for assessment and use of adapting potential (Klein 2001) Szenarien möglicher zukünftiger Belastungen Am Anfang der Untersuchungen steht die Auswahl eines globalen Klimaänderungsszenarios z.B. aus den Vorgaben des (IPCC 2001), wie sie als farbige Kurven in Abb. 7 wiedergegeben sind. Die Spanne für die globale Erwärmung bis zum Jahr 2100 beträgt 1,4 bis 5,8 K, dargestellt als grauer Fächer, der sich aus den Unsicherheiten der globalen Klimamodelle (GCM) ergibt. Abb. 7: Änderung der Temperaturdifferenz zu 1990 (globale Jahresmittelwerte) zwischen 1900 und 2100 für verschiedene Emissionsszenarien (IPCC 2001) Fig. 7: Changing temperature difference related to 1990 (global annual means) between 1900 and 2100 for different emission scenarios (IPCC 2001) Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 83 Aussagen zur zukünftigen Klimaentwicklung einer Region und damit zu den Belastungen lassen sich nicht direkt aus globalen Modellrechnungen ableiten, da deren räumliche Auflösung zu grob ist. Deshalb müssen die großräumigen Informationen aus dem Modell mit Hilfe spezieller Verfahren zu aussagekräftigen regionalen Informationen "herunterskaliert" werden. Die Sicherheit bzw. Unsicherheit der Aussagen ist bei den Verfahren recht unterschiedlich zu beurteilen, insbesondere bezüglich der auswirkungsrelevanten Niederschlagsentwicklung. Große Unsicherheiten bestehen noch bei Aussagen zur Entwicklung von Variabilität und extremen Wetterereignissen. Drei Methoden der Regionalisierung der Klimaentwicklung werden zur Zeit verfolgt und im folgenden beschrieben. a) Regionale Klimamodelle Es wird ein regionales Klimamodell mit kleiner räumlicher Auflösung auf der gleichen physikalischen Grundlage wie ein GCM entwickelt und in dieses entsprechend der Lage der Untersuchungsregion eingebettet (Machenhauer 1996). Die Informationen zwischen beiden Modellen werden über gemeinsame Schnittstellen ausgetauscht. Die physikalischen Prozesse werden hier am besten erfasst, soweit sie modellierbar sind. Jedoch beeinflussen die Modellfehler des GCM noch zu stark die regionalen Ergebnisse. Von Nachteil ist der außerordentlich hohe Rechenzeitbedarf, der nur Zeitscheibenexperimente begrenzter Dauer (z.Z. max. 10 Jahre) ermöglicht. Die Entwicklungsperspektiven der regionale Klimamodelle lassen erwarten, dass in wenigen Jahren Aussagen zur Entwicklung von Extremwettersituationen möglich sein werden. b) Statistisches "Downscaling" Mit Hilfe statistischer Verfahren wird versucht, ein Zusammenhang zwischen dem großräumigen und dem regionalen Verhalten einzelner meteorologischer Größen für bereits abgelaufene Zeiträume herzustellen. Dieser Zusammenhang wird auf die Zukunft übertragen und aus der zukünftigen großskaligen Entwicklung auf die regionale geschlossen (Zorita 1993). Vorteile liegen in der relativ einfachen Handhabung der Methodik und einem geringen Rechenzeitaufwand. Der Nachteil ist, dass Fehler des GCM voll in die Untersuchungsregion übertragen werden. c) Statistische Kopplung globaler Trendaussagen mit regionalen Beobachtungsdaten Aus globalen Klimamodellen ist man z.Z. in der Lage, für größere Regionen und einzelne meteorologische Größen, wie die Temperatur, relativ gesicherte Aussagen über deren zukünftige Entwicklung abzuleiten. Diese Trends lassen sich als generalisiertes GCM-Ergebnis ohne Informationsverlust in eine kleinräumige Untersuchungsregion transformieren. Mit Hilfe eines speziellen multivariaten statistischen Verfahrens werden beobachtete meteorologische Parameter der generalisierten Größe so zugeordnet, dass ein in sich physikalisch konsistentes Zukunftsszenarium des Regionalklimas entsteht (Gerstengarbe 1997, Werner 1997). Hier werden die Fehler des GCM für die Region auf ein Minimum reduziert und die Berechnung beliebig vieler Realisierung eines Szenariums ermöglicht eine hohe statistische Sicherheit der Aussagen zur Klimaentwicklung. Nachteilig ist, dass das Andauer-verhalten einzelner meteorologischer Größen unterschätzt werden kann. Diese dritte Methode scheint derzeit am besten für auswirkungsrelevante Trendaussagen geeignet zu sein und verbleibende Fehler bei Niederschlag und anderen Größen wurden auf unter 10% evaluiert. Für die anderen Verfahren ergeben sich wesentlich größere Fehler. Mit dieser Methode lassen sich detaillierte Analysen der möglichen regionalen Auswirkungen des Klimawandels durchführen (Gerstengarbe 2003). Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 84 Spezifische Sensitivitäten gegenüber Klimaänderungen Regionen und Wirtschaftszweige reagieren unterschiedlich empfindlich auf eine Belastung durch Klimaänderung. Diese spezifische Sensitivität ist, wie in Abb. 8 vereinfacht skizziert, durch kritische Schwell- und Grenzwerte charakterisiert (Bruckner 1999). Unterhalb eines Schwellwerts sind die Auswirkungen nicht signifikant, während sie oberhalb eines kritischen Grenzwertes die Belastbarkeit eines Systems übersteigt. In der Regel hat ein System mehrere Schwell- und Grenzwerte gegenüber unterschiedlichen Belastungsformen, wie hohe oder tiefe Temperaturen, geringe oder kräftige Niederschläge. Die Sensitivität von Gesellschaftsstrukturen hängt beispielsweise ab von der geographischen Lage (Küste, Gebirge, Flusstäler, Stadt, Land), der Wirtschaftskraft und der spezifischen demographischen, kulturellen und ökonomischen Strukturen. Abb. 8: Die Auswirkungen des Klimawandels (climate impact) hängen nicht-linear von der Belastung ab (climate change). Sie treten erst oberhalb eines kritischen Schwellwerts in Erscheinung, um bei Über-schreitung eines kritischen Grenzwertes drastisch anzustei-gen (Bruckner 1999) Fig. 8: Climate impacts depends non-linear from climate change. Only above a critical value they are observable and exeeding a critical threshold, they increase drastically (Bruckner 1999) Analyse potenzieller Auswirkungen a) Veränderungen und Verschiebungen klimatischer Bezugsgrößen Meeresspiegelanstieg Die Temperaturerhöhung gemäß Abb. 7 führt infolge Wärmeausdehnung zu einem Anstieg des Meeresspiegels im Bereich von 0,2 - 0,7 m im globalen Mittel in den nächsten 100 Jahren. Berücksichtigt man auch die unsicheren Veränderungen beim Inlandeis, so erweitert sich die Spanne auf 0,1 – 0,9 m (IPCC 2001). Die regionalen Unterschiede werden insbesondere durch Meeresströme und Stürme verstärkt und können beträchtlich sein. Auswirkungen sind erhöhte Küstenerosion, sowie Versalzung und Degradation von Böden. Klimazonen Nach jüngsten Untersuchungen unter anderem am PIK sind die in den letzten 100 Jahren zu beobachtenden Verschiebungen von Klimazonen beträchtlich. In Deutschland können sie regional z.T. bis zu vier Zonen ausmachen (Fraedrich 2001). Die Folgen dieses weltweit zu beobachtenden Phänomens sind verstärkter Anpassungsdruck und Artenschwund. Rückwirkungen auf das Klimasystem (Albedo, Kohlenstoff- und Wasserkreislauf, Permafrostböden, etc.) sind zu erwarten. Die Analyse der Auswirkungen auf natürliche Ökosysteme geben erste Hinweise für Anpassungsmaßnahmen in Wasserwirtschaft, Land- und Forstwirtschaft sowie Verkehr, Tourismus, Energie- und Bauwirtschaft. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 85 Nichtlineare Prozesse Als nichtlineares System kann das Klima unter bestimmten Voraussetzungen selbst auf kleine Änderungen stark und sogar sprunghaft reagieren. Veränderungen und Instabilitäten können ozeanische Strömungen (‚Golfstrom‘) oder die Wechselwirkungen von Atmosphäre und Ozean, wie El Niño Southern Oscillation (ENSO), North Atlantic Oscillation (NAO) oder Monsun zeigen. Eine Begleiterscheinung sind Veränderungen der Klimavariabilität. Großwetterlagen und Klimavariabilität Einige Veränderungen der Charakteristik von Großwetterlagen über die letzten drei Jahrzehnte wurden beobachtet. Daraus lässt sich noch zwar kein stringentes Bild zukünftig veränderter Klimavariabilität erkennen, jedoch zeichnet sich ab, dass gewohnte regional spezifische Praktiken und Erfahrungswerte, wie Baunormen oder Bauernregeln, zukünftig an geänderte Bedingungen angepasst werden müssen. Für die Auswirkungen bedeutsam sind in diesem Zusammenhang zu erwartende Veränderungen der Extreme. b) Extremwetterereignisse Die etwa 5 bis 10% des Bruttosozialprodukts westlicher Industrienationen, die Wettereinflüssen unterliegen, entsprechen etwa 300 Milliarden US$. Dabei spielen Wetterextreme eine große Rolle, die wahrscheinlich in einigen Regionen, aber nicht generell, häufiger und heftiger auftreten werden. Erste Trendanalysen deuten steigende Zahlen wetterbedingter Elementarereignisse (Stürme, Hochwasser, Lawinen, usw.) an. Dies ist überwiegend noch nicht statistisch signifikant, wohl aber die Zunahme der dabei verursachten Schäden, wie sie die Versicherer registrieren (Münchner Rück 1998-2002). Weitere – hier nicht näher erläuterte – Niederschlagsextreme sind Hagel, Eisregen, extreme Schneefälle (Lawinen). Hier kann punktuell auch eine Zunahme eintreten, aber die Daten sind aber unsicherer als beim Starkregen. 1. Starkregen: Beobachtet wird eine Verschiebung von Dauer- zu Starkregenereignissen sowie eine signifikante Veränderung bestimmter Großwetterlagen in Europa, die häufig mit extremen lokalen Niederschlägen im Sommer verbunden sind (Fricke 2002). Beispiele sind die Wettersituationen im Sommer 1997 bei der Oderflut oder der Elbeflut 2002. Der Klimawandel lässt bei den Folgen von Überschwemmungen, Sturzfluten und Erdrutschen eine Zunahme erwarten. Vereinzelt zeigen sich bereits entsprechende Verschärfungen in Hochwasserstatistiken (Caspary 2000). 2. Nebeltage: Die Anzahl der Nebeltage wird möglicherweise vereinzelt lokal bis regional häufiger, woanders seltener. 3. Stürme: Nachgewiesen wurden signifikante Veränderungen der Dauer von Großwetterlagen im Winter, die mit Weststürmen und starken Niederschlägen einhergehen (Werner 2000). Ereignisse wie der Sturm ‚Lothar’ oder die Lawinenkatastrophe von Galtür, beides 1999, sind damit verbunden. Erste statistische Nachweise für eine Zunahme von Stürmen liegen inzwischen vor. Seit den siebziger Jahren werden zunehmend höhere Wellen im Atlantik beobachtet (Grevemeyer 2000) und nach Modellrechnungen auch erwartet (Bauer et al. 2000). Die Seegangswellen nehmen mit dem Quadrat der Windgeschwindigkeit zu und sind somit ein empfindlicher Indikator für zunehmende Windstärken und –dauern. Durch den Klimawandel wird mit einer weiteren Zunahme gerechnet. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 86 4. Dürreperioden: Wassermangel und seine Begleiterscheinungen, wie Gesundheitsgefahren, Nahrungsknappheit und Bodenerosion sind schon heute eine große Bedrohung in einigen Regionen der Erde, wobei viele Faktoren neben dem Klima eine Rolle spielen. Auch hier werden in Zukunft durch den Klimawandel zum Teil dramatische Verschlechterungen erwartet. 5. Hitzewellen: Betroffen von Hitzewellen sind vor allem ältere und sehr junge Menschen sowie Personen, die an Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen leiden, während gesunde erwachsene Personen über Abwehrmechanismen gegen einen begrenzten Temperaturanstieg verfügen. Der Tod trifft in vielen Fällen ohnehin geschwächte Personen, bei denen der Zeitpunkt des Todes oft nur vorweggenommen wird. Entsprechend sinken die täglichen Todesraten in den Wochen nach einer Hitzewelle. Nach einer Studie in den USA betrifft dies 20-40% der Todesfälle während einer Hitzeperiode (McMichael 1996). Untersuchungen in BadenWürttemberg für die Zeit von 1968 bis 1993 zeigen einen Anstieg der Mortalitätsrate um 10% bei extremer Wärmebelastung und einen Rückgang um fast 3% in den darauf folgenden 40 Tagen (Jendritzky 1998). Hitzewellen haben deutlich stärkere Auswirkungen in Städten als in den sie umgebenden suburbanen und ländlichen Gebieten, da die Temperaturen in der Stadt Hitzeinseln ausbilden und eine nächtliche Abkühlung weitgehend ausbleibt. Dagegen bedrohen Wald- und Steppenbrände verstärkt naturnahe Gebiete. Ein mögliches Szenario für derartige Entwicklungen im Klimawandel lieferte der Extremsommer 2003. 6. Kälteextreme: Kälteextreme fordern bisher mehr Menschenleben als Hitzewellen. Sie werden zukünftig weniger häufig erwartet – daher ergibt sich in der Gesamtbilanz für Temperaturextreme eine Verringerung der Schäden durch den Klimawandel. Dennoch sind auch neue Kälterekorde wie in letzter Zeit in Sibirien nicht ausgeschlossen. Wahrnehmung und Verminderung von Verwundbarkeit durch Anpassung Die Untersuchungen in der Klimafolgenforschung stellen in der Regel Risiken und Gefahren des Klimawandels dar, indem sie seine potenziellen Auswirkungen ermitteln. Dem wird als Kritik entgegengehalten, dass neben negativen auch positive Effekte zu erwarten sind, die vernachlässigt werden. Positive Auswirkungen sind tatsächlich möglich und werden auch beobachtet, z.B. im Weinbau, die Wirkungszusammenhänge liegen dabei aber im Bereich der Schwellwerte von Abb. 8. Betrachtet man hingegen die Wirkungen im Bereich der höher liegenden kritischen Grenzwerte, dominieren die Gefahren und Negativeffekte. Die Wahrnehmung dieser Grenzwerte ermöglicht aber ihre Beeinflussung durch Nutzung von Anpassungspotentialen. Tab. 2 gibt Beispiele für Anpassungsmöglichkeiten in natürlichen und sozialen Systemen (Klein 1999, IPCC 2001). Während erstere nur sich nur reaktiv unter Ausnutzung der Evolutionsmechanismen anpassen können, haben Gesellschaftssysteme theoretisch die Möglichkeit zur vorausschauenden, antizipatorischen Anpassung an den Klimawandel. Dafür, wo Anpassungsmaßnahmen möglich, sinnvoll oder dringend geboten sind, kann die Klimafolgenforschung wertvolle Hinweise geben, indem sie insbesondere die Probleme von möglichen kritischen Auswirkungen analysiert. Die Nutzung möglicher Chancen durch den Klimawandel kann anschließend eine Analyse wert sein. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 87 Tabelle 2: Möglichkeiten der Anpassung an den Klimawandel mit Beispielen (nach Klein 1999) Table 2: Possibilites for adapting the climate change with examples (after Klein 1999) Antizipatorisch Natürliche Systeme Privat Soziale Systeme Öffentlich • • • • • • mehr Versicherungen Gebäudekonstruktionen auf Stelzen Neukonstuktion von Ölplattformen Frühwarnsysteme Neue Bauvorschriften und Konstruktionsnormen Anreize für Umsiedlungen Reaktiv • Änderungen der Wachstumsperiode • verändertes Artenspektrums in Ökosystemen • abnehmendeFeuchtgebiete • geänderte Bewirtschaftungsmaßnahmen • geänderte Versicherungs-prämien • mehr Klimaanlagen • • • Ausgleichszahlungen und Beihilfen Kontrolle von Bauvorschriften Küstenschutz und Deichverstärkung Ein Beispiel für eine länderspezifisch sehr unterschiedliche Verwundbarkeit gegenüber dem Klimawandel ist die Versorgung mit Trinkwasser. Die Regionen der Erde sind in davon schon heute sehr unterschiedlich betroffen und es stellt sich die Frage, wo die Probleme sich zukünftig unter dem Klimawandel verschärfen oder auch entspannen werden. Global sollte eine Erwärmung die Verdunstung und damit die Summe der Niederschläge erhöhen. Da aber auch mit erhöhter Variabilität zu rechnen ist, werden bestimmte Regionen in Fortsetzung eines schon jetzt erkennbaren Trends abnehmende Niederschläge, andere dagegen zunehmende erhalten. Zur Identifikation kritischer Regionen wurde eine auf Indikatoren basierende Methode entwickelt, die regional aufgelöst Veränderungen verschiedenster Art erkennen und bewerten lässt. Bezogen auf das Beispiel der Wasserproblematik wurde ein regional aufgelöster, zusammengesetzter Indikator der Kritikalität K(r) in folgender Weise definiert: Wasserentnahme K(r) = (2) Wasserverfügbarkeit · Anpassungspotenzial Die Methode und Ergebnisse wurde in Kapitel 3.1 des WBGU Jahresgutachtens beschrieben (WBGU 1998). Die Wasserentnahme wird bestimmt durch die regionale Bevölkerungsdichte, die in bezug auf Wassereffizienz und Wasserverschmutzung spezifischen Wirtschaftsformen, die Umweltbedingungen und die kulturellen Besonderheiten. Für die Wasserverfügbarkeit sind Klima, Klimavariabilität, Vegetation, Bodenbeschaffenheit und Hydro- und Topographie sowie wasserbauliche Maßnahmen von Bedeutung. Das schwieriger zu fassende Anpassungspotenzial hängt z.B. ab von der standortspezifischen Wirtschaftskraft, dem Know-how im Umgang mit Wasser, der Ver- und Entsorgungsinfrastruktur sowie der Effizienz und Stabilität der politischen Institutionen. Effiziente Strukturen der Raumordnung erhöhen dieses Potenzial ebenso, wie z.B. vorhandene Energieressourcen und Kapazitäten zu Meerwasserentsalzung. Für die den Einfluss des Klimas auf die Wasserproblematik, wurden neben Bevölkerungswachstum und Wirtschaftsentwicklung Szenarien für die Wasserverfügbarkeit entwickelt. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 88 Abb. 9: Kritikalität der Wasserproblematik im Klima-wandel (WBGU 1998). a) oben: globale Verteilung im Jahre 1995. b) unten: Veränderung zwischen 1995 und 2050 für ein Szenarium der Klimaänderung in Kombination mit anderen sozioökonomischen Faktoren. Rot: Verschlechterungen, grün: Verbesserungen, weiß: nicht signifikant Fig. 9: Criticality of water management with climate change (WBGU 1998). a) above: global distribution in 1995. b) below: change between 1995 and 2050 for a scenario of climate change in combination with other socioeconomic factors. red: decline. green: improvements. white: non- significant Abb. 9 zeigt das Ergebnis der Entwicklung bis zum Jahr 2025 für ein Szenarium, mit einem eher zurückhaltend eingeschätzten Problemlösungspotenzial und einer Klimaänderung gemäß dem Szenarium „business as usual“ (IS92a: IPCC 1996), was etwa im mittleren Bereich der in Abb. 7 gezeigten Kurven liegt. Abb. 9a (oben) zeigt die errechnete geographische Verteilung der Kritikalität für das Jahr 1995, Abb. 9b (unten) die Differenz dazu für das Jahr 2025. Positive Veränderungen zeigen z.B. Länder mit Erdölreserven, für die Meerwasserentsalzung eine Lösung ist. Zu den Gebieten, mit einer Verschlechterung der Wasserproblematik, zählt die Region Berlin-Brandenburg, für die in einer detaillierteren Studie genauer die Auswirkungen auf Wasser- Forst- und Landwirtschaft und mögliche Anpassungsmaßnahmen untersucht wurden (Gerstengarbe 2003). FALLSTUDIEN Fortschritte der Klimafolgenforschung Ausprägung und Auswirkungen des Klimawandels sind regional sehr differenziert mit teilweise sogar gegenläufigen Trends. Die Grundlagen zur unterschiedlichen Entwicklung der Klimaparameter sowie der regionalen Empfindlichkeiten und Anpassungsmöglichkeiten wurden im ersten Hauptteil dieses Beitrages erläutert. Konkrete Aussagen zu Klimafolgen erfordern detaillierte Fallstudien mit den spezifischen regionalen Besonderheiten. Je nach Verknüpfung von Ursachen und Folgen ist der regionale Bezug eher naturräumlich oder administrativ. Studien zur Wasserverfügbarkeit orientieren sich oft an Flusseinzugsgebieten, während bei der Wasserversorgung eher staatliche oder verwaltungstechnische Einheiten betrachtet werden. Insgesamt gab es im letzten Jahrzehnt bedeutende Fortschritte bei Methodik und Konkretisierung der Aussagen zu möglichen Klimafolgen. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 89 Entwicklung der Methoden bei regionalen Fallstudien Die Mehrzahl der Studien zur zukünftigen Klimaentwicklung und den sich daraus ergebenden Konsequenzen verwenden globale Emissionsszenarien und die Ergebnisse globaler Klimamodelle. Der Bezug zur Region erfolgt hauptsächlich über die jeweiligen spezifischen Verwundbarkeiten. Ein gutes Beispiel für dieses Vorgehen mit Informationen zur unterschiedlichen regionalen Betroffenheit durch den Klimawandel liefert der letzte Bericht der Arbeitsgruppe 2 des IPCC (IPCC 2001) und speziell das Kapitel 13 zu Europa (Kundzewicz 2001). Ein solcher global orientierter Ansatz liefert aufgrund der noch unzureichenden Auflösung der globalen Modelle eine eher grobe Vororientierung und sollte zur Ableitung konkreter Maßnahmen durch regionalisierte Methoden ergänzt werden. Einige Studien versuchten, insbesondere in einem frühen Entwicklungsstadium der Klimamodelle, ohne diese auszukommen, z.B. unter Verwendung extremer historischer Wetterdaten, wie in der weiter unten beschriebenen MINK-Studie (Rosenberg 1993). Inzwischen gibt es - zusätzlich zu diesen beiden Herangehensweisen - drei unterschiedlich weit entwickelte Verfahren zur Regionalisierung der Klimaänderungen, die im ersten Beitrag vorgestellt und diskutiert wurden. Die verschiedenen Methoden in der Reihenfolge ihres Entwicklungsstands sind: 1. Konstruktion eines artifiziellen zukünftigen Klimas aus extremen historischen Wetterdaten aus der Region, 2. Berechnung der Klimaänderung mit globalen Klimamodellen, deren regionale Auflösung aber für die Ableitung bestimmter Auswirkungen unzureichend ist, 3. Methoden zum statistischen ‚Downscaling’ globaler Ergebnisse in den regionalen Maßstab, 4. Simulation von Klimaszenarien mittels einer statistischen Kopplung globaler Trendrechnungen und regionaler Klimadatensätze mit dem Modell STAR (Werner 1997) und 5. Entwicklung regionaler Klimamodelle hoher Auflösung, angetrieben durch ein globales Modell. 6. Methode (0) wird nur noch in Ergänzung zu anderen Methoden verwendet, (1) ist derzeit Standard, wobei (2) demgegenüber nur in bestimmten Fällen punktuelle Vorteile bringt, z.B. bei der Analyse der Bedrohung von Küstenzonen. Methode (3) liefert derzeit die brauchbarsten Ergebnisse zu regionalen Auswirkungen und (4) wird voraussichtlich in wenigen Jahren der gültige Standard sein. Verschiedene Projekte haben das Ziel, die Ungenauigkeiten regionaler Klima- und Klimaänderungssimulationen einzugrenzen (Frei 2003, Keuler 2003). Organisationen, Programme und Projekte im Überblick Verschiedene Organisationen, Netzwerke, Projekte und Programme zu regionalen Studien über Klimafolgen sind in Tab. 3 aufgeführt, ohne damit einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Angegeben ist auch, welche der oben genannten Methoden in den Projekten zum Einsatz kommen. Orientierende Analysen, wie in ACACIA zeigen, dass selbst bei einem Szenarium mit geringer Erwärmung gravierende saisonalen Klimaveränderungen in Europa auftreten können (Parry 2000). Dies könnte bedeuten, dass es praktisch keine kalten Winter mehr gäbe und die Wahrscheinlichkeit mehrerer heißer Sommer in Folge häufig über 90% läge, gegenüber derzeit 10%. Dieses Phänomen würde sich weit über die Grenzen der traditionell warmen Regionen in Südeuropa erstrecken und nicht nur die Alpen, sondern auch ganz Skandinavien und den Nordwesten Russlands einbeziehen. Die Auswirkungen auf den Wasserzyklus kämen durch eine Erhöhung der winterlichen Niederschläge zum Ausdruck, während sich die Kontraste in der Sommerzeit verstärken würden: schlimmere Dürreperioden im ganzen Mittel- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 90 meerraum, im Norden hingegen im gleichen Zeitraum eine Zunahme der durchschnittlichen Regenmengen. Tabelle 3: Organisationen, Programmen und Projekten zu regionalen Fallstudien über die Auswirkungen von Klimaänderungen. Die in den Projekten eingesetzten Methoden (0) bis (4), gemäß Beschreibung in Abschnitt 2.1.1, kennzeichnet Spalte Meth. Die Liste soll einen Eindruck der vielfältigen Aktivitäten vermitteln und ist keine vollständige Auswahl. Table 3: Organisations, programmes and projects concerning regional case studies in climate impact research. Methods (0) until (4) described in chapter 2.1.1 are listed in columns “Meth”. The Table should give a presentation of various activities – it is not a complete selection. Kurzname Meth. ACACIA (1) BayFORKLIM (1) BrandenburgStudie (3) CLIMAS (1) CSIRO DEKLIM GICC (1) GLOWA GLOWA-Elbe (3)(4) IPCC (1) (2)(3) (4) KLIWA KRIM (DEKLIM) Living Lakes MINK (2) (1) (0) NCCSAP PIK PROCLIM PRUDENCE QUIRCS (DEKLIM) (4) SWECLIM TYNDALL UKCIP USGCRP WAVES (3) Beschreibung und Informationen A Consortium for the Application of Climate Impact Assessments, http://www.cgd.ucar.edu/cas/ACACIA/, Europa-Studie (Parry 2000): http://europa.eu.int/comm/research/rtdinfo/de/27/climat.html Forschungsverbund zu Klimaänderungen in Bayern und ihre Auswirkungen (bis 1998), (Enders 1999), http://www.bayforklim.uni-muenchen.de/ PIK-Studie zur klimatischen Entwicklung in Land Brandenburg bis 2055 (Gerstengarbe 2003), http://www.pik-potsdam.de/news/brdbg_studie.html U.S. Climate Assessment Project for the Southwest, (Carter 2003), http://www.ispe.arizona.edu/climas/index.html Australia's Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation, (CSIRO 2001), http://www.csiro.au Deutsches Klimaforschungsprogramm des BMBF, http://www.deklim.de Gestion et Impacts du Changement Climatique, (France 2000), http://medias.obs-mip.fr/gicc/index.html BMBF-Programm Globaler Wandel des Wasserkreislaufs, http://www.glowa.org/, mit: Projekten z.B. zum Elbe-Einzugsgebiet Auswirkungen des Globalen Wandels auf Umwelt und Gesellschaft im Elbe-Gebiet, (Wechsung 2004), http://www.glowa-elbe.de/ Intergovernmental Panel on Climate Change, (IPCC 2001), http://www.ipcc.ch/ Projekt Klimaveränderung und Konsequenzen für die Wasserwirtschaft der Länder Baden-Württemberg und Bayern; (KLIWA 2003), http://www.kliwa.de/ Klimawandel und präventives Risiko- und Küstenschutzmanagement an der deutschen Nordseeküste, (Schirmer 2003) http://www.krim.uni-bremen.de/ Tyndall: Climate Change and its Impact on the Living Lakes (Hulme 2003) Missouri, Iowa, Nebraska and Kansas study: regional climate change impact assessment (Rosenberg 1993) The Netherlands Climate Change Studies Assistance Programme, (Dorland 1999), http://nccsapnet.eriya.com/ Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, http://www.pik-potsdam.de/ Swiss forum for climate and global change issues, (Schweiz 1999) http://www.proclim.ch/HomePage.html Prediction of Regional scenarios and Uncertainties for Defining EuropeaN Climate change risks and Effects: EU- Project, (Christensen 2001), http://prudence.dmi.dk/ Quantification of Uncertainties In Regional Climate and climate change Simulations, (Keuler 2003), http://www.tu-cottbus.de/meteo/Quircs/home.html Swedish Regional Climate Modelling Programm, (Bergström 2001, Graham 2001) http://www.smhi.se/sweclim/ Tyndall Centre for Climate Change Research (http://www.tyndall.ac.uk/) UK Climate Impact Programme, (Harrison 2001), http://www.ukcip.org.uk/ U.S. Global Change Research Program, (USGCRP2000), http://www.usgcrp.gov/ Water Availability, Vulnerability of Ecosystems and Society in the Northeast of Brazil, BMBF Projekt (Gaiser 2002) Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 91 Ausgewählte Beispiele regionaler Fallstudien Klimaänderung und Küste Ein besonderer Fall sind die Küstenregionen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts ist das Niveau der Europa umgebenden Meere um 10 bis 20 cm gestiegen. Dieses Phänomen dürfte sich fortsetzen und bis zum Jahr 2050 ist mit weiteren 13 bis 68 cm zu rechnen (IPCC 2001). Der Anstieg der Wassermassen wird im Norden durch die Hebung Nordeuropas teilweise ausgeglichen werden, während der Süden und die Mitte des Kontinents langsam absenken, bis 2080 um voraussichtlich 5 cm. Daraus ergeben sich verschiedene Folgen für die Küstengebiete: Verlagerung von Sümpfen und überflutbaren Gebieten, Erosion der Küsten, Zunahme von Überschwemmungen und Sturmschäden, verschärfte Versalzungs- und Entwässerungsprobleme. Diese Aussichten sind beunruhigend, weil ein Drittel der europäischen Bevölkerung auf einem 50 km breiten Streifen entlang der Meere lebt - in manchen Ländern sind es sogar 100%, zum Beispiel in Dänemark. Die am stärksten gefährdeten Regionen sind jene, die schon jetzt unter dem Meeresspiegel liegen, wie der Westen der Niederlande (Dorland 1999). Vor diesem Hintergrund wurde 1991 das Bund-Länder-Programm „Klimaänderung und Küste“ gestartet, in dem die Frage der Verwundbarkeit von Küstenzonen untersucht wurde (Schellnhuber 1993, Sterr 2000). Aufbauend auf den Ergebnissen gibt es im Programm DEKLIM zur Frage der Gefährdung der deutschen Nordseeküste verschiedene Projekte, wie die Fallstudien Sylt (Daschkeit 2002) und Weserästuar (Projekt KLIMU, Schirmer 1999) und zu den Konsequenzen für ein integriertes Küstenzonenmanagement (Projekt KRIM, Schirmer 2003). Einen Überblick gibt ein Beitrag in dieser Serie (Daschkeit 2003). Die MINK-Studie: ein früher Blick in Nordamerikas Zukunft Die MINK-Studie, für die Staaten Missouri, Iowa, Nebraska und Kansas im Herzen der USA, war die als eine der ersten integrierten regionalen Fallstudien zu Klimafolgen wegweisend. In dieser Studie wurden 1988 bis 1991 die möglichen Auswirkungen einer Klimaänderung auf Landwirtschaft, Wälder, Wasserressourcen, Energieversorgung und Wirtschaftskraft der Region im Jahre 2030 untersucht (Rosenberg 1993). Als Referenzklima dienten die mittleren Klimaverhältnisse der Jahre 1951-80. Im Unterschied zu anderen, späteren Untersuchungen wurde das zukünftige Klima des Jahres 2030 nicht aus Rechnungen mit Klimamodellen ermittelt, sondern aus realen Wetterdaten der Dreißiger Jahre konstruiert. Basis waren tägliche Daten zu Temperatur und Niederschlag von 17 Wetterstationen der Region unter Einschluss von Variabilität und Wetterextremen. Strahlungsdaten und andere Klimaparameter lagen in niedrigerer Auflösung vor. Das konstruierte analoge Klimaszenarium für 2030 lag im Jahresmittel um ca. 1 °C über dem Referenzklima, während die jährlichen Niederschläge im Mittel der vier Staaten um 3 bis 15% niedriger ausfielen. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal dieser Studie gegenüber anderen ist, dass die Folgen der Klimaänderung nicht für die heutigen regionalen Verhältnisse, sondern für angenommene des Jahres 2030 untersucht wurden, abgeschätzt aus demographischen, ökonomischen und technologischen Projektionen. Zu diesem Punkt gab es hauptsächlich Kritik an der Studie wegen der dadurch zusätzlich ins Spiel kommenden Unsicherheiten in den Ergebnissen. Ein dritter Unterschied ist der Versuch einer integrierten Betrachtung regionaler Wechselwirkungen zwischen den betrachteten Wirtschaftszweigen mittels eines Input-Output-Modells. Viertens wurde zusätzlich angenommen, dass die Betroffenen die Klimawirkungen nicht passiv erdulden, sondern aktiv drohende Verluste durch Anpassung vermindern. In der Untersuchung zur Landwirtschaft wurden, verteilt über die Region, 50 repräsentative Farmen ausgewählt und ihre spezifischen Daten zu Bodenart, Wetterbedingungen und Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 92 Produktionsweise erfasst. Die Auswirkungen der Klimaänderung auf landwirtschaftliche Erträge, Verdunstungsraten und Wasserverbrauch wurden mit dem Getreidemodell EPIC in Abhängigkeit von Getreideart, Tagesklima und Bewirtschaftungsweise ermittelt. Aus den Einzelergebnissen der 50 Farmen wurden regional aggregierte Werte gewonnen. Im Ergebnis lagen die landwirtschaftlichen Erträge des Jahres 2030 bei Berücksichtigung der Klimawirkungen allein 22% unter den Referenzwerten, erhöhte CO2 Konzentrationen reduzieren die Verluste auf –8% und durch zusätzlich angepasste Bewirtschaftung können sich schließlich sogar 3% Steigerung ergeben. In den parallel durchgeführten Untersuchungen zu anderen Sektoren zeigte sich die Wasserwirtschaft als besonders problematisch, da hier politische Entscheidungsspielräume und mögliche Nutzungskonflikte eine große Rolle spielen. Beispielsweise hängen die landwirtschaftlichen Ertragsverluste wesentlich von Bewässerungsmaßnahmen ab und hier könnte ein Nutzungskonflikt mit der Wasserführung im Missouri auftreten. BayFORKLIM - Klimaänderungen und Auswirkungen in Bayern Im Bayerischen Forschungsverbund BayFORKLIM kooperierten von 1990 bis 1998 verschiedene bayerische Institutionen, um Klimaänderungen in Bayern und ihre Auswirkungen auf Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere und den Menschen zu untersuchen. Neben einer Analyse von Klimadaten der Vergangenheit ging es um die zukünftigen Auswirkungen der anthropogen verursachten Klimaänderungen (Enders 1999). a) Klimaentwicklung in Bayern: Vergangenheit und Zukunft In den letzten dreißig Jahren des letzten Jahrhunderts wurden einige relevante Veränderungen festgestellt: • • • • • • • • • die Nebelhäufigkeit hat im Bergland zu-, im Flachland dagegen überwiegend abgenommen, die Häufigkeit bzw. Mächtigkeit von Wolken und die Trübung durch Aerosole hat zugenommen, die Globalstrahlung, d.h. das kurzwellige Strahlungsangebot der Sonne, hat als Folge abgenommen, die Ozonschichtdicke hat im Mittel rund 3 % pro Jahrzehnt abgenommen und dadurch nahm die UV-Strahlung gegenüber der Zeit mit ungestörtem Ozon (also seit etwa 1967) stark zu Die regionale Klimavorhersage um 50 Jahre in die Zukunft beruht zum einen auf früheren Szenarien des IPCC über die künftigen Konzentrationen der wichtigsten Treibhausgase, zum andern stützt sie sich auf globale Klimasimulationen. Die Rechnungen in BayFORKLIM zeigten folgende Entwicklungen: Die Klimate der einzelnen Regionen Bayerns ändern sich nicht gleichartig. So könnte die zukünftige sommerliche Temperaturzunahme in Nordbayern um 2 Grad geringer ausfallen als am Bodensee. Generell wird die Temperatur im Winter nur geringfügig, der Niederschlag vor allem im Südwesten deutlich zunehmen. Für Franken dagegen sollte sich eher eine Niederschlagsabnahme ergeben. Der sommerliche Niederschlag wird vor allem im Südwesten Bayerns abnehmen. Mit der Niederschlags- und Temperaturänderung geht eine Zunahme des Abflusses im Winter einher, aber eine Abnahme im Sommer. Hochwassersituationen könnten im Winter häufiger werden, Anzahl und Dauer von Trockenperioden dagegen im Sommer größer. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. • b) 93 Die hohen UV-Werte der letzten Jahre werden speziell im Winter und Frühling noch für mehrere Jahrzehnte anhalten. Abschätzung von Auswirkungen der Klimaänderung Die Untersuchungen zu den Auswirkungen veränderter Klimabedingungen erfolgten in verschiedenen räumlichen Maßstäben regional bis lokal, z. B. zum Einfluss des Flughafens München II. Schwerpunkte waren der Klimaeinfluss auf Wald- und Landwirtschaft, sowie die Wirkung von UV-B auf terrestrische und aquatische Ökosysteme und schließlich auf den Menschen: • Für den alpinen Wald lässt das in der Vergangenheit gezeigte Anpassungs- und Beharrungsvermögen keine drastischen Änderungen in der Zukunft erwarten. Der Temperaturanstieg wird eine Verschiebung der heutigen Obergrenze von Waldgesellschaften um 50100 m zur Folge haben, wobei insbesondere die Buche begünstigt wird. Gehen die sommerlichen Niederschläge zurück, so wird der Anteil an Kiefern steigen, nehmen sie entgegen der Modellprognose zu, so steigt die Biomassenproduktion der Bergwälder unter stärkerer Zunahme der Buche. • Die photosynthetische CO2-Assimilation, die Biomasseproduktion von höheren Pflanzen und auch der Ernteertrag werden durch Änderungen der UV-Strahlung beeinflusst. Allerdings hat sich ergeben, dass eine Erhöhung der UV-Strahlung selbst im Rahmen eines pessimistischen Szenarios generell nicht zu deutlichen Änderungen der Biomasseproduktion bzw. des Ernteertrags führt. • Ähnliches gilt für am Anfang der Nahrungskette stehende Planktonorganismen, die im Stoffkreislauf von Seeökosystemen eine Schlüsselposition einnehmen. Bei ihnen sind zumindest in Oberflächennähe Gefährdungen nicht auszuschließen. • Beim Menschen tritt bereits jetzt eine dramatische Zunahme maligner Melanome zutage, die mit Sonnenbränden in der Kindheit und mit späterem exzessiven Sonnenbaden assoziiert ist, und noch zunehmen könnte. In BayFORKLIM wurden aussichtsreiche Maßnahmen zur Anpassung an diese zukünftige Entwicklung untersucht. c) Folgerungen aus der BayFORKLIM-Studie und Empfehlungen Die Folgerungen in BayFORKLIM waren: • Die über Jahrzehnte auch für den Menschen noch bedenkliche UV-Situation erfordert rasche und intensive Aufklärung und Vorsorge gegenüber einer weiteren Zunahme strahlungsbedingter Melanome. • Erhöhte Aufmerksamkeit sollte der weiteren Entwicklung der Niederschlagsverhältnisse gelten, wo nach den Szenarien im Winterhalbjahr im Alpenvorland verstärkte Hochwassersituationen auftreten können, während im Sommer schon jetzt relativ trockene Regionen wie Franken mit einer Abnahme von Niederschlag und Grundwasserneubildung rechnen müssen. • Aus allen anderen durch BayFORKLIM für ein 2xCO2-Szenario prognostizierten Änderungen ergab sich snach dem damaligen Wissensstand kein akuter Handlungsbedarf. • Letzteres könnte aber aus heutiger Sicht bei Anwendung regionalisierter Klimaszenarien anders aussehen. Aufgrund beschränkter Ressourcen und der nach dem damaligen Stand der Wissenschaft begrenzten Möglichkeiten der Methoden konnten in BayFORKLIM nicht alle kausalen Zusammenhänge im Wirkungsgefüge 'Klima - Umwelt - Mensch' adäquat betrachtet werden. Hier besteht daher inzwischen ein erneuter Untersuchungsbedarf, Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 94 z.B. zu Bergregionen und Flusseinzugsgebieten. Weiterführende Untersuchungen laufen derzeit im Programm „Klimaveränderung und Konsequenzen für die Wasserwirtschaft“ (KLIWA 2003). Bedrohung von Seen im Klimawandel – ein globales Problem Der Zustand des Bodensees im Hitzesommer 2003 lässt ahnen, welche Probleme mit der Klimaänderung auf große Seen der Erde zukommen können. Verendete Fische, stinkende Algenteppiche und abgestorbene Wasserpflanzen prägten neben einer teilweise lahm gelegten Schifffahrt das Bild. Der Pegel bei 2,65 m bei Konstanz (normal 3,74) war der niedrigste Wasserstand im September seit 136 Jahren (Odenwald 2003). Am britischen Tyndall Centre wurde eine Studie zu 23 Seen auf fünf Kontinenten vorgestellt, die zum internationalen Seen-Netzwerk ‚Living Lakes’ gehören (Hulme 2003). Grundlage der Analyse bilden Ergebnisse und Modelle zum Klimawandel aus dem letzten IPCC Bericht (IPCC 2001). Danach werden sich alle untersuchten Seen in den kommenden Jahrzehnten spürbar erwärmen (siehe Tab. 4). Tab. 4: Zusammenstellung der Temperatur- (°C) und Niederschlagsänderungen (%) im Winter (DJF) und im Sommer (JJA) für 23 Seen der Erde nach der Living Lakes Studie (Hulme 2003). Zugrundegelegt wurde der Studie eine globale Klimaänderung nach dem IPCC A2 Szenario für das Jahr 2080 relativ zum Zeitraum 19611990. Table 4: Compilation of changes in temperature (°C) and precipitation (%) in winter (DJF) and summer (JJA) for 23 lakes of the Earth after the Living Lakes Studie (Hulme 1003); based on a global climate change according scenario IPCC A2 for the year 2080 related to the periode 1961-1990. See Lage Norfolk/Suffolk, UK DJF Temp.Differenz 3.3 JJA Temp.Differenz 3.6 The Broads Bodensee Deutschland, Österreich, Schweiz 4.0 4.6 Lake La Nava Castile-León, Spanien 3.0 5.2 Milicz Ponds Slask, Polen 5.0 3.8 Nestos Lakes Hrysoupolis, Griechenland 3.5 5.4 Uluabat Lake Nordwest Turkei 3.2 5.2 Lake Larache Marokko 3.2 4.2 Lake Victoria Uganda, Kenia, Tanzania 2.6 3.5 Lake St Lucia KwaZulu Natal, Südafrica 2.5 2.9 Totes Meer Israel, Jordanien, Palästina 3.2 4.2 Lakes Peipsi, Vertsjarv Baltic Sea, Estonia, Russia 6.7 3.8 Lake Tengiz Kasachstan 5.7 5.6 Baikalsee Sibirien, Russland 5.6 5.3 Poyang Lake Yangtze River, China 4.4 3.3 Lake Biwa Shinga prefecture, Japan 3.3 3.2 DJF Nieder.Differenz 22 >> 17 > 2 >?< 19 > 5 >0< -3 >?< -18 < 21 >> 10 > -13 < 23 >> 24 >> 36 >> -2 >?< -4 JJA Nieder.Differenz -20 << -16 < -32 << -3 >0< -36 << -49 << -33 << 0 >?< -10 < 63 >?< 5 >?< >?< 8 > 13 > 14 Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. Mahakam Lakes East Kalimantan, Indonesien 2.4 2.5 Laguna de Bay Philippinen 2.2 2.4 Columbia River Wetlands Mono Lake British Columbia, Canada 4.4 4.9 California, USA 3.6 4.7 Laguna Chapal Mexiko 3.0 3.2 Laguna Fuquene Anden, Kolumbien 3.0 3.2 Pantanal Wetland Brazilien, Bolivien, Paraguay 3.0 3.8 Laguna Mar Chiquita Argentinien 3.2 2.4 > 2 >?< -4 >?< 12 > 16 >?< -18 >?< 12 >?< 3 >?< 5 >?< 95 >0< 7 > 9 > -7 < -19 >?< -8 < -3 >?< -8 >?< 10 > In tropischen Gewässern, wie dem Viktoriasee in Ostafrika, steigen die Temperaturen um mehr als 3 °C, der Bodensee erwärmt sich mit 4,6 °C sogar noch stärker und Seen in den hohen nördlichen Breiten trifft es mit ca. 6 °C am stärksten. Hinsichtlich der Niederschlagsentwicklung zeigt sich ein noch stärker differenziertes Bild. Einige Seen, beispielsweise der Baikal in Sibirien, werden höhere Niederschläge als bisher erhalten, während vielen dagegen gravierende Wasserverluste drohen, vor allem in Südeuropa oder in den Tropen. Negative Auswirkungen für Tier- und Pflanzenwelt und Millionen an und von den Seen lebenden Menschen können aber sowohl zu- wie abnehmende Niederschläge mit sich bringen. Der Baikal, tiefster und wasserreichster See der Erde, wird nach den Berechnungen im Winter deutlich kürzer gefroren sein und erreicht im Sommer Badetemperaturen. Die dadurch veränderte Temperaturschichtung kann in der Folge zur Unterbrechung der Nahrungskette führen, an deren Ende die Baikal-Robben stehen. Der infolge der Niederschlagszunahme zu erwartende höhere Pegel des Sees könnte sich nachteilig auf die für die Menschen am See liegenden Siedlungen, Infrastruktur- und Hafenanlagen auswirken. Weniger Regen bei gleichzeitig höheren Verdunstungsraten lassen beim Uluabat-See in der nordwestlichen Türkei zukünftig die Pegel sinken und dies gefährdet die hohe Artenvielfalt dieses Gewässers. Der Plattensee in Ungarn wird wahrscheinlich sogar ganz verschwinden. Europas größter Steppensee war im Rekordsommer 2003 im Mittel nur noch 2,30 m tief, statt der normalen 2,70 m. Am Viktoriasee könnten der Tyndall-Studie zufolge stark schwankende Wasserstände infolge von Trockenzeiten einerseits und heftigen Starkregenereignissen andererseits auftreten. Die unregelmäßig steigenden und fallenden Pegel des Sees führen zu Überflutungen von Agrarflächen und Verkehrswegen oder lassen den Fischfang zurückgehen. Nur wenige Gewässer könnten vom Klimawandel profitieren, wie Argentiniens größter See Mar Chiquita. Bereits in der Vergangenheit gab es eine Zunahme der Niederschläge, ein sich in die Zukunft wohl fortsetzender Prozess. Dem Verlust an Acker- und Siedlungsflächen durch steigende Pegel steht hier ein unerwarteter Vorteil gegenüber. Der bisher für Fische zu hohe Salzgehalt des Sees wurde verdünnt und Fische wanderten aus den Flüssen ein. Es entwickelte sich hier eine Fischereiwirtschaft, die nach den Berechnungen der Tyndall-Studie auch eine Zukunft haben dürfte. WAVES: Klimatisch verschärfter Wassermangel im semiariden Nordosten Brasiliens Die Bevölkerung in den semiariden Gebieten der Erde ist gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels besonders verwundbar und benötigt dringend Methoden zur nachhaltigen Bewirtschaftung von Wasserressourcen und Landnutzung. In einem interdisziplinären Verbundprojekt des BMBF arbeiteten verschiedene deutsche und brasilianische wissenschaftliche Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 96 und staatliche Einrichtungen zusammen, um solche Methoden für den Nordosten Brasiliens zu entwickeln. Für die Fallstudie wurden die Provinzen Piauí und Ceará ausgewählt. Hier traten bereits in jüngster Vergangenheit nachhaltige Klimafolgen in Erscheinung, wie extreme Dürren, dadurch bewirkte Ernteausfälle und in der Folge Migrationen in die städtischen Favelas des Südens oder in das Amazonasgebiet. Die auslösenden Klimaschwankungen stehen in Zusammenhang mit ENSO-Ereignissen (ENSO = El Niño Southern Oscillation). Im Projekt wurden unter Berücksichtigung dieser besonderen regionalen Klimaschwankungen unter anderem folgende Modelle und Methoden entwickelt und den brasilianischen Partnern zur Verfügung gestellt: • • • • • • Ein integriertes Modell zur strategischen Planung und nachhaltigen Bewirtschaftung von Wasserressourcen und semiariden landwirtschaftlich nutzbaren Flächen, in Verbindung mit einem geografischen Boden- und Landnutzungs-Informationssystem, Regionale, mit dem Modell STAR entwickelte Klimaszenarien zur langfristigen Planung bis 2050, Modelle und Datensätze zu Wasserverfügbarkeit, Wassermanagement, Wasserqualitätsbeurteilung und zur Abschätzung der Kosten von Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserversorgung, Ein Modell des regionalen Agrarsektors und seines Wasserbedarfs unter Berücksichtigung von Größe und technischer Ausstattung der Farmen, Verschiedene Indikatoren und Verfahren zur ackerspezifischen Beurteilung von Erosionsdynamik, Anbauoptionen und Bodenfeuchte in Abhängigkeit von Wetter-, Boden- und Vegetationsverhältnissen, Modelle zur Abschätzung der Lebensqualität auf Gemeindeebene und der Nettomigrationsraten. Eine ausführliche Beschreibung von Projekt, Methoden und Ergebnissen findet man bei (Gaiser 2002). Die im Projekt erarbeiteten differenzierten Hilfsmittel sollen die lokalen Experten, Entscheider und Landnutzer in die Lage versetzen, über die Entwicklung zukünftiger Strategien zur besseren Bewirtschaftung von Wasser- und Bodenressourcen im Klimawandel hinaus auch bereits die heute drängenden Probleme der Region anzugehen. Eine solche Auseinandersetzung mit den Gegenwartsverhältnissen zur Verminderung der Verwundbarkeit bzw. Steigerung des Anpassungspotenzials im Klimawandel kennzeichnet diese Art von Studien und unterscheidet sie von prognostisch in die Zukunft gerichteten Untersuchungen wie der früheren MINK-Studie. Es bietet sich aufgrund der bereits in der Projektlaufzeit zu erkennenden positiven Ansätze zur Umsetzung an, Methoden und Erkenntnisse in andere semiaride Regionen der Erde zu übertragen. Abzuwarten bleibt aber, wie nachhaltig die Maßnahmen in der Region auch nach Ende des Projektes wirken werden. Region Berlin-Brandenburg: Anpassungsstrategien an drohende Trockenheit Das aktuelle Klima im Osten Deutschlands ist deutlich trockener als der Westen. Mögliche Auswirkungen des Klimawandels auf die Region um Berlin wurden bereits vor einigen Jahren in einer Pilotstudie untersucht (Stock 1996). Dabei wurde das Modell STAR entwickelt und erstmals eingesetzt, wobei die methodischen Unsicherheiten noch wesentlich größer waren als heute. Damals wurde neben zwei Szenarien zunehmender Trockenheit auch die theoretische Möglichkeit in Betracht gezogen, dass es feuchter werden könnte. Inzwischen verdichten sich die Modellrechnungen unter Einbeziehung von Wahrscheinlichkeiten zu einem zukünftigen Klimaszenarium mit erhöhter Trockenheit. Die Untersuchungen stützen sich wesentlich auf Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 97 das laufende Projekt GLOWA-Elbe zu den Auswirkungen des globalen Wandels auf das Einzugsgebiet der Elbe (Wechsung 2004). Hinsichtlich der Klimafolgen in Brandenburg sind die Schwerpunkte Wasserressourcen, Wälder und Landwirtschaft (Gerstengarbe 2003). a) Klimaszenarien Das Basisszenarium beschreibt das herrschende Klima in der Region und seine Entwicklung zwischen 1951 und 2000 auf der Basis von 80 Stationen (Klimahaupt- und Niederschlagesstationen) mit täglich aufgezeichneten Klimaparametern. Brandenburg liegt im Bereich des gemäßigten, kontinentalen Klimas mit einer durchschnittlichen Jahresmitteltemperatur je nach Region zwischen 7,8 °C und 9,5 °C. Das Land gehört mit einer Jahresniederschlagssumme deutlich unter 600 mm (im Nordosten weniger als 500 mm) zu den trockensten Regionen Deutschlands. Dabei zeigen sich bereits in den letzten Jahrzehnten deutliche Trends: • • • • • • • b) die mittlere Tagestemperatur ist statistisch signifikant um knapp 1 °C gestiegen, wobei der Anstieg im Winterhalbjahr mit +1,6 °C deutlicher ausfällt als im Sommerhalbjahr (+0,6 °C) und für den Niederschlag eine Verschiebung vom Sommer (-12,8 mm) in den Winter (+10,4 mm) festzustellen ist. Das mit dem Modell STAR errechnete Zukunftsszenarium beschreibt die wahrscheinlichste Änderungsvariante für den Zeitraum bis 2055. Innerhalb der nächsten 50 Jahre sind demnach bei einem moderaten globalen Temperaturanstieg von 1,4 °C folgende Klimaänderungen im Vergleich zur aktuellen Situation zu erwarten: In Brandenburg werden die Temperaturen im Jahrzehnt um 2050 generell mehr als 2 °C über denen im vergangenen Referenzzeitraum liegen, bei nur schwach strukturierten räumlichen Differenzen. Der Niederschlag geht zurück und das Gebietsmittel der Jahressumme liegt um 2050 unter 450 mm im Nordosten und unter 400 mm im Süden Brandenburgs. Die Abnahme des Niederschlags ist räumlich stark differenziert und reicht von –17,8 mm (südöstlich von Berlin) bis zu -221 mm um Luckau (siehe Abb. 10). Dem steht eine Zunahme der Sonnenscheindauer gegenüber, mit einem höchsten Anstieg von mindestens 0.6 h pro Tag im Nordwesten und Südosten. Dementsprechend ergibt sich auch eine Abnahme der Bewölkung, die am deutlichsten im Rückgang der Anzahl trüber Tage erscheint. Für den Tourismus, der eine zunehmend größer werdende wirtschaftliche Bedeutung für die Region hat, verspricht dies positive Impulse. Andere Wirtschaftszweige und die Natur sind jedoch auch negativ betroffen. Auswirkungen auf Wasser- Land- und Forstwirtschaft Untersuchungen mit dem hydrologischen Modellsystem ArcEGMO für den Beobachtungszeitraum 1961 bis 1998 verdeutlichen, wie angespannt die hydrologische Situation im Land Brandenburg bereits ist und wie empfindlich der Wasserhaushalt auf zusätzliche, durch Klimaänderungen hervorgerufene „Störungen“ reagieren könnte. Die Zustandsanalyse zeigt, dass die Sickerwassermenge auf etwa 75 % der Gesamtfläche Brandenburgs insbesondere in Niederungsgebieten um bis zu 100 mm/Jahr abgenommen hat und wesentliche Ursachen für diesen Trend abnehmende Niederschläge und zunehmende Temperaturen sind, insbesondere in den 90er Jahren mit ihren „Jahrhundertsommern“. Legt man das zukünftige Klimaszenarium zu Grunde, so zeigen die Berechnungen, dass Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. • • • • • 98 bereits relativ geringe Änderungen von Temperatur und Niederschlag zu dramatischen Änderungen verschiedener Wasserhaushaltsgrößen führen, die Temperaturzunahme insbesondere die Verdunstung im Winter erhöht, mit den entsprechenden Auswirkungen auf den innerjährlichen Wasserausgleich, die Sickerwassermenge - als gegenüber Klimaänderungen empfindlichste Wasserhaushaltskomponente - flächendeckend und im langjährigen Mittel um mehr als die Hälfte gegenüber heute abnimmt, der weitere Rückgang der Niederschläge bei gleichzeitig zunehmender Verdunstung insbesondere im Sommer zu drastischen Folgen, wie einem weiteren Absinken des Grundwasserspiegels, sinkenden Wasserständen in den Flüssen und Problemen bei der Wasserverfügbarkeit und Wasserqualität führt, in Folge einer solchen klimatischen Änderung die in Brandenburg noch häufig anzutreffenden ausgedehnten Niederungen, Moore und Luchgebiete in ihrer vielfältigen Funktion verloren gehen könnten. Abb. 10: Region Berlin-Brandenburg – Entwicklung der Niederschlagsverteilung im Jahresmittel von der Vergangenheit (links: 1951-2000) in die Zukunft (Mitte: 2046-2055). Deutlich wird die Abnahme in der Differenzdarstellung (rechts) Fig. 10: Region Berlin-Brandenburg – development of precipitation distribution as annual mean from past (left: 1951-2000) to future (right: 2016-2055). Clearly seen is the decline in the difference presentation (right). Die Simulationen repräsentativer Waldstandorte in Brandenburg mit dem Waldsukzessionsmodell 4C zeigen ebenfalls, dass die Auswirkungen des für Brandenburg wahrscheinlichsten Klimaänderungsszenariums zu einem drastischen Rückgang des Grundwassereintrags der Wälder führt. Die zukünftigen Auswirkungen auf das Wachstum und damit auf die Kohlenstoffspeicherung fallen in den angepeilten 50 Jahren moderat aus. Es ist aber angesichts der sich verschärfenden Trockenheit davon auszugehen, dass der berechnete Holzzuwachs weniger dem Stammholz denn den Wurzeln zugute kommt. Die von der Forstwirtschaft betrachteten längeren Zeithorizonte und Aspekte der Waldbewirtschaftung müssen in zukünftigen Studien mit einbezogen werden. Dies betrifft vor allem den angelaufenen Waldumbau, bei dem die vorherrschenden Kiefernmonokulturen nach und nach durch naturnahe Mischwälder ersetzt werden sollen. Diese Maßnahme kann auch dem oben genannten erwarteten Rückgang der Grundwasserneubildung entgegenwirken, da Kie- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 99 fern ein sehr hohes Verdunstungspotential besitzen. Anpassungsmaßnahmen dieser Art wurden in der Studie noch nicht hinsichtlich ihrer Wirksamkeit untersucht. Das geringe Wasserdargebot während des Sommerhalbjahres ist auch der limitierende Faktor für das Wachstum der natürlichen Vegetation und der landwirtschaftlichen Nutzpflanzen. Gleichzeitig ist der Wasserverbrauch durch Industrie, Haushalte, Tourismus und Landwirtschaft gemessen am Wasserdargebot sehr hoch, so dass es zu Nutzungskonflikten z.B. zwischen Wasserwirtschaft und Naturschutz kommt. Abb. 11: Region Berlin-Brandenburg – Entwicklung der mittleren Grundwasserneubildung von der Vergangenheit in der Dekade (links: 1980-1990) in die Zukunft (rechts: 2040-2050). Die zunehmend hellere Färbung verdeutlicht die abnehmende Grundwasserneubildung. Fig. 11: Region Berlin-Brandenburg – development of mean ground water new formation from past (left: 19801990) to future (right: 2040-2050). The increasing light colour is showing the decreasing ground water new formation. Betrachtet man die in der Brandenburgstudie untersuchten Auswirkungen des eher als konservativ zu bezeichnenden Klimaänderungsszenariums, so wir deutlich, dass sich diese Konflikte zukünftig noch verstärken können. Für den Zeitraum 2040-2050 ändern sich nach Berechnungen mit dem Modell SWIM zu Wasserhaushalt und Landnutzung, bedingt durch niedrigere Niederschläge und höhere Temperaturen, folgende Parameter: • • • die Evapotranspiration um -13 %, der Gesamtabfluss um -24 % gegenüber den jetzigen Werten und die Grundwasserneubildung um -42 %. Die Verteilung der Grundwasserneubildung über die Landesfläche in Brandenburg zeigt Abb. 11 im Vergleich Vergangenheit zu Zukunft. In Ergänzung dazu zeigt Abb. 12 den Jahresgang von a) Niederschlag und b) Grundwasserneubildung, jeweils im Vergleich Vergangenheit zu Zukunft. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 100 Abb. 12: Jahresgänge der mittleren Niederschläge (a: oben) und der Grundwasserneubildung (b: unten). Der Rückgang zwischen dem vergangenen Jahrzehnt 1980-90 und dem zukünftigen 2040-50 erscheint beim Niederschlag moderat, ist dagegen bei der Grundwasserneubildung dramatisch Fig. 12: Annual cycles of mean precipitation (a. above) and ground water new formation (b: below). The decline between the decade 1980-1990 and the future decade 2040-2050 is looking moderate for precipitation but dramatic for ground water new formation. Diese Daten bestätigen die unabhängig davon mit einem hydrologischen Modell berechneten Änderungen. Die Ergebnisse der Rechnungen zeigen folgende Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Erträge in Brandenburg. Unter Berücksichtigung eines über den Szenarienzeitraum steigenden CO2–Düngeeffektes auf die Pflanzen werden sich unter den Szenarienbedingungen die Winterweizenerträge für den Zeitraum 2020-2030 um –17 % und für den Zeitraum 2040-2050 um –7 % gegenüber den heutigen Erträgen ändern, während die Maiserträge um +2 % für den ersten Szenarienzeitraum und +8 % für den zweiten Szenarienzeitraum steigen werden. Dieses Ergebnis deutet Möglichkeiten zur Anpassung an den Klimawandel durch veränderte Fruchtwahl an. Auch Weinbau könnte in Brandenburg mit gutem Erfolg betrieben werden. Eine weitere Maßnahme wäre die, hier nicht untersuchte Bewässerung, bei der Kosten und Nutzungskonflikte angesichts abnehmenden Wasserdargebots problematisch sein könnten. c) Resümee zur Brandenburgstudie Die Landschaft in Brandenburg wird geprägt durch ihre naturnahen Wälder, Seen und Feuchtgebiete auf der einen Seite und durch die menschliche Nutzung, z.B. durch die Landwirtschaft, auf der anderen. Um zukünftig Wassernutzungsprobleme zu vermeiden und die Landschaft in ihrer Vielfalt zu erhalten, ist es darum wichtig, Nutzugskonzepte zu erstellen, die allen Wassernutzern einschließlich der wenig durch den Menschen beeinflussten naturna- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 101 hen Regionen gerecht wird. Folgende Empfehlungen sollen vor dem Hintergrund der bereits angespannten hydrologischen Situation im Land Brandenburg helfen, auch in Zukunft einen intakten Wasserhaushalt und eine nachhaltige Trinkwasserversorgung sicherzustellen: • Die Klimaänderung kann in Fragen der Regionalentwicklung, insbesondere im Hinblick auf Landnutzung, Waldumbau und Landschaftswasserhaushalt nicht länger als unveränderlich betrachtet werden. • Die Auswirkungen klimatischer Änderungen dürfen bei hydrologisch relevanten, mittelbis langfristigen politischen Entscheidungen, wie z.B. dem Havelausbau, nicht außer Acht gelassen werden. Daher ist die Umsetzung wasserwirtschaftlicher Projekte, die in der Vergangenheit unter anderen klimatischen und volkswirtschaftlichen Bedingungen geplant wurden, kritisch zu überprüfen. • Zur Ableitung geeigneter Vorsorge-, Anpassungs- und Managementstrategien sind insbesondere disziplinübergreifende, ganzheitliche Projekte zu fördern. Die in der Studie dargestellten Auswirkungen einer moderaten globalen Klimaänderung auf den Landschaftswasserhaushalt und die forst- und landwirtschaftlichen Erträge in Brandenburg zeigen einen dringenden Handlungsbedarf bei heutigen Entscheidungen von wasserwirtschaftlicher Bedeutung. Nicht eingegangen sind extreme Ereignisse wie Starkniederschläge und lange Trockenperioden. Da sich aber im Rahmen der zu erwartenden Klimaänderungen die extremen Ereignisse in ihrer Häufigkeit und Intensität verstärken werden, soll die Erforschung ihrer Auswirkungen in Zukunft stärker in den Mittelpunkt gestellt werden. Resümee und Ausblick auf zu erwartende Entwicklungen Bei den regionalen Fallstudien zu Klimafolgen sind in den letzten zwei Jahrzehnten bedeutende methodische Fortschritte erzielt worden, mit stärker anwendungsbezogenen Aussagen. Die Untersuchungen lassen Schwachstellen in den bestehenden regionalen Strukturen von Landnutzung, Infrastruktur, Wirtschaft und Versorgung gegenüber Klimaänderungen erkennen und zeigen darüber hinaus konkrete Handlungsoptionen auf. Die Anwendungsnähe hat das Interesse von Öffentlichkeit und Entscheidungsträgern aus verschiedenen Bereichen an derartigen Studien gesteigert und es ist zu erwarten, das dieser Trend anhält. In nächster Zeit sind wesentliche neue Erkenntnisse aus noch laufenden Projekten wie GLOWA-Elbe zum Elbegebiet und KLIWA zum Raum Süddeutschland zu erwarten. Interessant an diesen Projekten ist der Vergleich zwischen verschiedenen Methoden der Regionalisierung. Inzwischen sind weitere Studien angelaufen, z.B. zur Verwundbarkeit Deutschlands im Auftrag des Umweltbundesamtes und zu Risiken und Anpassungsmöglichkeiten im Klimawandel in BadenWürttemberg (KLARA). Die Entwicklung ist bei den regionalen Fallstudien hinsichtlich verbesserter Methodik und damit stärkerer Anwendungsnähe noch im Fluss. Einen neuen Schub werden die Untersuchungen zu Auswirkungen des Klimawandels voraussichtlich mit verbesserter Genauigkeit regionaler Klimamodelle hoher Auflösung erhalten, was in etwa zwei bis drei Jahren der Fall sein könnte. Daran wird derzeit in verschiedenen Institutionen verstärkt geforscht. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND AUSBLICK Die Ergebnisse der Klimafolgenforschung zeigen, dass die Auswirkungen des globalen Klimawandels regional sehr unterschiedlich ausfallen und die spezifische Verwundbarkeit von der Stärke der Belastung durch regionale Klimaänderung, der Sensitivität und der Anpassungspotenziale abhängt. Die möglichen Folgen sind demnach nicht unabänderlich und auch nicht Gegenstand einer Prognose, sondern zeigen auf, wo kritische Grenzen der Belastungsfä- Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 102 higkeit der Gesellschaft bestehen und wie diesen durch geeignete Anpassungsmaßnahmen begegnet werden kann. In einem nächsten Beitrag soll dies anhand konkreter Fallstudien näher analysiert werden. LITERATUR Aenis TH, Wieland R (1999) Management interdisziplinärer Zusammenarbeit in Umweltprojekten - Erfahrungen aus 2 Jahren Kommunikationsforschung und Informationssystementwicklung in GRANO. In: Flake M, Seppelt R, Söndgerath D (Hrsg) Umweltsystemanalyse, Tagungsband Geoökon `99. TU-Braunschweig, S. 255260 Alcamo L, Leemans R, Kreilman E (Hrsg) 1998) Global Change Scenarios of the 21st Century: Results from the IMAGE 2.1 Model. 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A chemical climatology Detlev Möller Brandenburgische Technische Universität Cottbus ZUSAMMENFASSUNG Es wird eine historisch-kritische Betrachtung des Luft- und Klimabegriffs und der gegenwärtigen Forschungsanforderungen an die Beschreibung des Klimasystems sowie dessen Angrenzung zum Erdsystem gegeben. Auf die wichtigsten das Klima mitbestimmenden luftchemischen Prozesse, ihre Ursachen und Evolution wird eingegangen. Eine Prognose der Emissionen klimarelevanter Substanzen wird vorgestellt. ABSTRACT This contribution presents a historic-critical analysis of the air and climate term and the present research needs to describe the climate systems and its distinguishing from the Earth system. The most important atmospheric chemical processes, its causes and evolution will be presented. Finally, a prognosis of climate relevant substances is given. WAS IST KLIMA? In den vorangegangenen Beiträgen, insbesondere dem von M. Claußen, wurde bereits ausführlich auf die Klimadefinition eingegangen. Man muß dem entnehmen, daß verschiedene Klimadefinitionen im Gebrauch sind. Das ist a-priori ein Widerspruch, denn es gibt auf der Erde nur ein Klimasystem. Hier drückt sich ganz offenbar eine pragmatische Herangehensweise an die Erkennung und Beschreibung des Klimasystems durch a) unterschiedliche disziplinäre Sicht, b) verschiedene Zielstellung (beispielsweise Beschreibung von Teilsystemen) und/oder c) differenzierte Kenntnis der Systemzusammenhänge aus. Der Begriff des Klimas unterlag in der Geschichte der Menschheit – und damit der Erforschung der Luft und Atmosphäre – Wandlungen aber auch parallel existierenden Beschreibungen. Eine heute allgemein akzeptierte Definition ist die von der weltmeteorologischen Organisation (Abb. 1), allerdings zunächst ohne Berücksichtigung chemischer Parameter bei den sog. meteorologischen Elementen. Andererseits ist unter der Erklärung von „Luft“ explizit auf deren chemische Eigenschaften hingewiesen worden. Die Definition des Klimas ist also eng verbunden mit dem Wetter, das sich in der Atmosphäre (welche als die die Erde umgebende Luft definiert wird) durch die meteorologischen Elemente beschreiben läßt. Es wird zu zeigen sein, daß sich zwangslos ebenfalls ein chemisches Wetter und folglich eine chemische Klimatologie definieren lassen. Es ist dann nur noch ein kleiner Schritt, in die Klimatologie generell die chemische Charakteristik der Luft mit einzubeziehen. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 107 Climate Synthesis of weather conditions in a given area, characterized by long-term statistics (mean values, variances, probabilities of extreme values, etc.) of the meteorological elements in that area. Weather The state of the atmosphere mainly with respect to its effects upon life and human activities. As distinguished from climate, weather consists of the short-term (minutes to about 15 days) variations of the atmosphere state. Meteorological Elements Any one of the properties or conditions of the atmosphere which together specify the weather at a given place for any particular time (for example, air temperature, pressure, wind, humidity, thunderstorm and fog, aerosol, trace gases) Atmosphere The envelope of air surrounding the Earth and bound to it more or less permanently by virtue of the Earth's gravitational attraction; the system whose chemical properties, dynamic motions, and physical processes constitute the subject matter of meteorology. Chemistry (chemical weather) Abb. 1: Definition des Klimas nach der WMO (World Meteorological Organisation); geändert vom Autor. Man erkennt, daß Klima mit Wetter eng verbunden ist und das Wetter durch meteorologische Elemente (in die – was nicht in der WMO-Definition enthalten ist – auch luftchemische Größen mit einbezogen werden müssen; hier kursiv) beschrieben wird (daraus läßt sich ein chemisches Wetter – neben dem meteorologischen – definieren). Eingebunden sind die Prozesse in die Atmosphäre als ein Erdteilsystem. Fig. 1: Definition of climate after WMO (World Meteorological Organisation); changes by the author. It is seen that climate is closely related to weather and weather is described by meteorological elements (belong them – not given by the WMO definition – also air chemical parameters have to be included; in italic). Consequently, beside meteorological one can define a chemical weather. All processes are integrated within the atmosphere being a subsystem of the Earth. Wenn als Klima (und dahingehend sind sich alle Klimatologen einig) der langfristige Zustand der Atmosphäre (durch sein Mittel als auch dessen Abweichungen charakterisiert) bezeichnet wird, und die Atmosphäre wiederum durch die Luft (im Sinne eines Stoffgemisches) und die darin ablaufenden Prozesse charakterisiert wird, so wäre ein Trennung zwischen Chemie und Physik töricht bei dem Versuch einer Charakterisierung der Atmosphäre. In seinem in 12. Auflage in Berlin 1948 erschienenen Lehrbuch „Einführung in die allgemeine und anorganische Chemie“ hat Jean D´Ans in der Einleitung folgende bemerkenswerten Sätze festgehalten: Die Naturwissenschaften, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Materie zu erforschen..., sind die Chemie und Physik. Die Physiker haben sich mehr den Aufgaben zugewandt, die Wirkungen der Energien und die Erscheinungen, die die Körper unter deren Einfluß zeigen ... zu untersuchen ...., während die Chemiker die Wandlungen der Stoffe, die Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 108 zahllosen Formen ihres Auftretens ... erforschen....Kein Chemiker kann die Physik entbehren und kein Physiker kann ohne die Grundlagen der Chemie erfolgreich arbeiten.... Durch Suchen von Definitionen Physik und Chemie grundsätzlich scheiden zu wollen, geht nicht, da sie sich mit ein und derselben Aufgabe, der Erkennntis der Materie, befassen.... Aber Zweckmäßigkeitsgründe, .... , rechtfertigen die Unterscheidung von Physik und Chemie... Eine scharfe Grenze zwischen beiden legen zu wollen, ist ein vergebliches Bemühen. Die Grenze wird von dem jeweiligen Stand der beiden Wissenschaften, vom Standpunkt, von dem aus die Aufgaben angesehen werden, abhängen. Kurzer historischer Abriß Von der Luft Man kann annehmen, daß das Wetter (im Sinne atmosphärischer Phänomene) die Menscheit bereits zur Zeit der Jäger und Sammler beschäftigte, stellte es doch eine der wichtigsten Umweltbedingungen für deren Existenz dar. Bereits mehr als 100 Jahre vor Aristoteles kam der griechische Philosoph Anaxagoras (500-428 v. Chr.) als junger Mann von Klazomenai nach Athen und gab auf die Frage, wofür er geboren wurde, die Antwort: „... um die Sonne, den Mond und den Himmel zu beobachten“1. Mit seiner Meinung, daß die meteorologischen Phänomene durch die Sonne verursacht werden, stand er jedoch im Gegensatz zur damals herrschenden Meinung, die besagte, daß alle Prozesse auf dem Umwandlungszyklus zwischen den vier Elementen Boden, Wasser, Luft und Feuer beruhen. Diese von Empedocles von Acragas (495-435 v. Chr.) eingeführten Elemente wurden von Aristoteles (384-322 v. Chr.) durch ein fünftes, den Äther (das „Himmlische“ erklärend; im griechischen αιθέρας) erweitert2. Aristoteles, der große Ionische Philosoph und Lehrer Alexander des Großen, schrieb das Lehrbuch “Meteorologica”3. a) Vor der Entdeckung der Luftzusammensetzung Das griechische Wort µετέωρος wurde bereits wesentlich früher benutzt (etwa 600 Jahre v. Chr.) und bedeutet4 „in die Höhe heben“. Der Begriff „Atmosphäre“, aus dem Griechischen abgeleitet (άτµόσ = Dampf, Brodem, άτµις = Dampf, Dunst, σφαίρα = Kugel, Ball)5 wurde 1 2 3 4 5 Nach Diogenes Laertius: „Leben und Meinungen berühmter Philosophen”, übersetzt und kommentiert von Otto Apelt, Felix Meiner, Leipzig 1921 Ernst Haeckel nutzte den Begriff Aether in seinem Buch „Welträtsel“ (1899) als Synonym für imponderable (nichtmeßbare) Materie: „ Die Erkenntniß dieses unwägbaren Theiles der Materie ist in erster Linie Gegenstand der Physik. Nachdem man schon lange die Existenz eines äußerst feinen, den Raum außerhalb der Maße erfüllenden Mediums angenommen und diesen "Aether" zur Erklärung verschiedener Erscheinungen (vor Allem des Lichtes) verwendet hatte, ist uns die nähere Bekanntschaft mit diesem wunderbaren Stoffe erst in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gelungen, und zwar im Zusammenhang mit den erstaunlichen empirischen Entdeckungen auf dem Gebiete der Elektrizität, mit ihrer experimentellen Erkenntniß, ihrem theoretischen Verständniß und ihrer praktischen Verwerthung“. Aristoteles. Meteorologia. Eleganti Iacobi Fabri Stapulensis Paraphrasi explanata. Commentarioque Ioannis Coclaei Norici declarata ad foelices in philosophiae studiis succeßus calcographiae iamprimum demandata. Nürnberg, F. Peypus, 1512. Erste Ausgabe in Deutschland durch den großen französischen Humanisten Jacques Lefevre d'Estaples. Es enthält drei Kapitel über Geophysik, Astronomie, Hydrologie und Klimatologie. Bis zum ausgehenden Mittelalter verblieb es über 2000 Jahre die Grundanschauung zur Natur. µετέωρολογια [metéorologia] bedeutet nach Benselers Gr.-Dt. Schulwörterbuch (Leipzig und Berlin 1911) die „Lehre von überirdischen, himmlichen Dingen“, aber auch „erhabenes Gerede“, der „philosophische Schwindel“. In alten deutschen Büchern wird auch der Begriff “Dunstkreis” anstelle von “Atmosphäre” benutzt; zumeist wurden die Wörter Luftmeer und Luftozean (ebenso im Englischen) benutzt (Reimann, 1857; Umlauft 1891). Atmosphaera, Atmosphère. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 109 wahrscheinlich nicht vor Mitte des 18. Jahrhunderts systematisch benutzt. Bei Gehler (1787) findet man die synonymen Begriffe Luftkreis, Dunstkreis, Dunstkugel, Atmosphäre der Erde, Atmosphaera terrestris, Atmosphère de la terre. Der Begriff Atmosphäre (atmosphaera) soll erstmals 1638 in England von Astronomen im Zusammenhang mit Mondbeobachtungen6 genannt worden sein (Weekley 1967). Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) benutzte den Begriff „atmosphaera“ mehrfach in seinen Briefen7. Üblicher (bis Mitte des 19. Jahrhunderts) blieben in deutscher Sprache7 die Begriffe Luftkreis (die einen Himmelskörper oder eine Strecke desselben umgebende Luft) und Luftmeer8 (der Luftkreis als Meer gedacht), die aber auch bis in das 20. Jahrhundert hinein gebraucht wurden. Das Wort Luft9,10 (gr. άέριος = in der Luft hoch, dunstig; lat. aer) findet seine ursprüngliche Wurzel aus mittelalterlichen Texten als „Raum zwischen Erde und Himmel“11. Es ist möglich, daß „Luft“ im Wortstamm sich aus dem Begriff „Licht“ (deutsche Wurzel „luk“)12 entwickelte, welches zunächst von den Himmelskörpern und ihren Strahlen als atmosphärische Erscheinung erkannt wurde (lateinisch: lucis, luminis, lumen; griechisch: λυχνος). Das gemeingermanische Wort „Luft“ weist vielfältige Abarten13 und sogar ein im altenglischen ähnlich klingendes Wort lyft auf (nach Kluge 1999, Duden 1963, Pokorny 1953). Die frühe Verwendung des Wortes Luft für Wind14 kann man der Dichtung „Crist“ (991) entnehmen, die dem Verfassers Kynewulf zugeschrieben wird, welcher wahrscheinlich im 8. Jahrhundert im Norden Englands lebte: hû þät gestûn and se storm and seó stronge lyft brecað brâde gesceaft. Der Dichter Georg Rodolf Weckherlin (1584-1653) betont die „meteorologischen“ Elemente: der luft schiesz dunder, strahl und plitz. 6 7 8 9 10 11 12 13 14 z.B.: Boskovic, R. J. (1753) De luane atmosphaera dißertatio. Romae, Publ. G. Salomoni Sämtliche Schriften und Briefe (1662-1676): Reihe III. 2, S. 219, 220, 794, Hrsg. von der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschafen in Göttingen. Mathematischer, naturwissenschaftlicher und technischer Briefwechsel: Reihe VI, 1, S. 56-58, VI, 2, S. 190, 233, 249f, 255, 271; VI, 3, S. 58, 229, 525, Hrsg. vom Leibniz-Archiv der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover Im englischen ocean of air (s. z.B. Giberne 1890) Althochdeutsch: luft (auch altsächsich), aër, lufft, luht. Beziehungen des Wortes zu urverwandten Sprachen sind bis jetzt nicht aufgestellt, da die in der alten Sprache häufigste Bedeutung von Luft der Zugwind ist (Deutsches Wörterbuch „Grimm“). Luft stellt bemerkenswerterweise auch einen Familiennamen dar: Beispielsweise Hans Lufft (1528-1584), herausragender Buchdrucker in Wittenberg, druckte in der Kupfergasse die 1. Ausgabe der Bibelübersetzung Luthers (1534) und andere Reformationsschriften. Christa Luft (geb. 1938), DDR-Wirtschaftswissenschaftlerin und PDS-Bundestagsabgeordnete 1994-2002. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Band 12, Spalten 1237–1249 Alte Bezeichnungen: liecht, lioht (althochdeutsch), liehte (mittelhochdeutsch), lecht (mittelniederländisch und mittelniederdeutsch) Gothisch: luftus. Altnordisch: lopt. Niederländisch (mittelniederländisch: locht) und niederdeutsch: lucht. Schwedisch und dänisch: loft. So darf man vielleicht daran denken, daß Luft aus der Vorstellung des Packenden oder Ungestümen heraus sich entwickelt habe und daß Verwandtschaft zum sanskriptischen rabh-as = ungestüm, Gewalt sowie griech. λαβρος = heftig, ungestüm, vorliege. Auf kärntnisch heißt lüftig = rasch, schnell. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 110 Konrad von Megenberg (1309-1374), Rektor der Wiener Domschule und Domherr in Regensburg, schuf die erste deutsche Naturenzyklopädie, das „Buch der Natur“’ (eigentlich „Buch über die natürlichen Dinge“’), welches im wesentlichen eine Übersetzung aus dem Lateinischen ist, s. Abb. 2. Abb. 2: Seite mit dem Beginn des Kapitels „vom dem Luffte“ aus dem Band II (Über die sieben Planeten und vier Elemente, ein-schließlich verschiedener meteorologischer und atmo-sphärischer Phänomene) von Megenberg (Universitätsbib-liothek Heidelberg) digitale Volltextpresentation http://digi.ub.uni-heidelberg. de/cpg300) Fig. 2: Page with the beginning chapter „vom dem Luffte“ (on the air) from volume II (On the seven planets and four elements including different meteoro-logical and atmospheric phenomena) by Megenberg (University library Heidel-berg), digital full text represen-tation: http://digi.ub.uni-heidelberg. de/cpg300) Seine Quelle ist eine als "Thomas-IIIa" bezeichnete gekürzte und in ihrer thematischen Ordnung veränderte Fassung des „Liber de natura rerum“ des Thomas von Cantimpré. Darin wird die antike Darstellung der Luft als ein Element gegeben: Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 111 der luft ist daz næhst element nâch dem feur, wann dâ des feurs huot ain end hât, dâ hebt sich des luftes huot an und gêt umb und umb daz mer und umb die erden, reht als daz weiz in ainem ai gêt umb den totern. Man beachte das männliche Geschlecht „der Luft“ (im Laufe der Zeit wurden alle Geschlechter benutzt). Im Band 12 von 1889 des Deutschen Wörterbuchs „Grimm” wird das Megenberg-Zitat als einen Hinweis der gleichlautenten Verwendung von Luft, Luftkreis und Atmosphäre zitiert: luft, der luftkreis selbst, ohne dasz mehr die bewegung betont wird, die atmosphäre, nach der alten lehre von den elementen die erde umgebend. Die Wahrnehmung von schlechter Luft ist bereits aus dem frühen Mittelalter überliefert (s.n. Abschnitt). Allerdings muß man sich bewußt sein, daß die Luft (= Atmosphäre) bis zum Ende des 18. Jahrhundert (der Entdeckung der Luftbestandteile) als ein einheitlicher Körper angesehen wurde. In der frühen Antike wurde Luft mit Leere gleichgesetzt. Erst Heron von Alexandrien (10-75) hat durch pneumatische Experimente nachgewiesen, daß Luft ein (elastischer) Körper ist. Es vergingen jedoch 1500 Jahre, bis von Gallileo Gallilei (1564-1642) erstmals das Gewicht der Luft nachgewiesen wurde. Blaise Pascal (1623-1662), ein Zeitgenosse von Torricelli15, führte am Puy de Dome bei Clermont in Frankreich außerordentlich akkurate Messungen des Luftdrucks durch und erkannte die Abnahme des Luftdrucks mit der Höhe. Daraus schloß er auf ein Vakuum in großer Höhe. Wahrscheinlich kann man jedoch die Wahrnehmung von schlechter Luft bereits in der frühesten Menschheitsgeschichte annehmen. So wird beispielsweise im Werk Tao Te Ching („Der Weg des Lebens“ als Begründung des Taoismus) des Chinesen Lao Tzu (604-531 v.Chr.) auf die Luftqualität hingewiesen16: Heaven and earth do not act from (the impulse of) any wish to be benevolent; they deal with all things as the dogs of grass are dealt with. The sages do not act from (any wish to be) benevolent; they deal with the people as the dogs of grass are dealt with. May not the space between heaven and earth be compared to a bellows? 'Tis emptied, yet it loses not its power; 'Tis moved again, and sends forth air the more. Much speech to swift exhaustion lead we see; Your inner being guard, and keep it free. Die Ideen des Arztes Hippokrates von Kos (ca. 460 - ca. 377 v.Chr.) spielten eine besondere Rolle, zumal seine Thesen im Mittelalter, in der Renaissance und im Zeitalter der Aufklärung erneut Einfluß gewannen. Das Buch über den Zusammenhang von Klima, Wasser und Bodenbeschaffenheit in ihrer Auswirkung auf die physische und psychische Konstitution der Einwohner eines Landes gehört zu den ersten umfassenden Studien über die Wechselwirkungen von Klima und menschlichem Befinden (Abb. 3). Hippokrates ist bemüht zu zeigen, wie sich unser Wissen über klimatische Unterschiede dazu verwenden läßt, die Lebensgewohnheiten und Eigenschaften der Menschen an verschiedenen Orten zu erklären. Es wird der Einfluß bestimmter Umweltgegebenheiten auf den Gesundheitszustand (Kap. 1-11; medizinischer Teil) und auf den Körperbau und Charakter des Menschen (Kap.12-24; ethnographischer Teil) untersucht. Im ethnographischen Teil wird eine Theorie vom Einfluß klimatischer und anderer regionaler Faktoren auf den Charakter zur Geltung gebracht, die (in simplifizierter Form) nicht nur in der griechisch-römischen Antike, sondern auch noch im neuzeitlichen Europa fortgewirkt hat, und dies (mindestens) bis ins 19. Jahrhundert. 15 16 Evangelista Torricelli (1608-1647), welcher 1641/42 im Sekretariat Gallilei´s arbeitete, erzeugte als erster Mensch Vakuum und entdeckte das Prinzip eines Barometers im Jahr 1643 Sacred Books of the East (SBE), Vol. 39, Tao Te Ching by Lao-Tzu (1891), translated by J. Legge, Oxford University Press Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 112 Abb. 3: Titelblatt des Buches „Hippocratis Coi De aëre, aquis, & locis libellus. Eiusdem de flatibus. Graece & Latine Iano Cornario Zviccaviense Interprete. Basel: Hieronymus Froben und Johannes Herwagen August 1529“ (Von der Luft, den Ortschaften und dem Wasser; oft auch einfach betitelt: „Über die Umwelt“) Fig. 3: First page of the book „Hippocratis Coi De aëre, aquis, & locis libellus. Eiusdem de flatibus. Graece & Latine Iano Cornario Zviccaviense Interprete. (on the air, the locations and the water, often simple entitled “On the environment”) Der große jüdische Gelehrte, Philosoph und Mediziner Moses Maimonides (1135-1204) beschrieb nach der Antike als Erster den Zustand Luftverschmutzung in Städten und ihren Effekt auf Menschen (Rosner 1987). Aus dem 14. Jahrhundert sind die ersten Vorschriften zur Luftreinhaltung und zur Vermeidung von Ansteckung bei Epidemien bekannt: man sol [einem aussätzigen Straftäter] ... chainen andern tôt tun denn prennen. daz macht der luft, der von im gêt, der ist schedleich17 keine ferkensställe ... auf der strassen ..., sondern binnen hofs ... zu machen, auch dergestalt, dass ... den nachbaren kein böse luft noch gestank zugefügt werde18 Während die (qualitative) Beschreibung der Luftqualität mit Wörtern wie reine, unreine, gute, böse, stickige, verderbte, kalte, kühle, warme Luft seit „biblischen“ Zeiten verbal verwendet wird, wurden verschiedene Luftarten (auch Luftgattungen) erst durch Alchemisten entdeckt. Dabei handelte es sich noch lange nicht um eine Analyse der (atmosphärischen) Luft, sondern die Darstellung verschiedener Gase als Folge alchemistischer Experimente. Das Wort Gas war noch nicht bekannt. In seinem posthum 1652 in Amsterdam erschienenen Werk „Ortus medicinae i. e. initia physicae inaudita“ spricht van Helmont 19 ideo paradoxi licentia, in nominis egestate, halitum illum gas vocavi, non longe a chao veterum secretum20 17 18 19 20 Datierung vor 1328, Fundstelle in: Ruprecht, Freisinger Rechtsbuch, bearb. von Hans-Kurt Claussen, Weimar, Böhlau (1941), 360 S. Datierung: 1558, Fundstelle in: Polizei- und Landesordnungen. Köln [u.a.], Böhlau. (Quellen zur Neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands ; Bd. 2., 1. Reich und Territorien. Hrsg. und bearb. von Wolfgang Kunkel (1968), 751 S., S. 355 Johann Baptist (Jan) van Helmont (1577-1644) Physiker und Alchemist in Brüssel; glaubte, alle Stoffe lassen sich zu Luft und Wasser reduzieren. Ich habe diesen Hauch Gas genannt, da er von dem Chaos der Alten nicht weit entfernt ist. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 113 und begründet, warum eine neues Wort (Hunc spiritum, incognitum hactenus, novo nomine Gas voco) notwendig ist (S. 86): „dass unsere Naturkundige ein schicklicheres Wort, welches nicht so sehr das Gepräge der Alchymie an sich hätte, ausfündig machten.“ Offensichtlich bestand das Bedürfnis, die in chemischen Versuchen gefunden Dämpfe21, Dünste22 und Lüfte (Luftarten) durch ein neues Wort von der (atmosphärischen) Luft (die zu diesem Zeitpunkt noch als einheitlicher chemischer Körper angesehen wurde) zu unterscheiden. Der mittelalterliche Arzt und Alchemist Theophrast von Hohenheim23, der unter dem Namen Paracelsus bekannt wurde (Abb. 4), bezeichnete ganz im Sinne dieser Bedeutung den „atmosphärischen Raum“ als Chaos. Luft und Chaos waren für ihn synonym (Loewe 1936). Das ursprünglich griechische Wort χάος bezeichnet24 den leeren Raum und das Beginnende. Daß die „Leere“ nicht mit Nichts gleichgesetzt werden darf, entnimmt man u. a. den Kosmogonien, wonach die Welt aus dem Chaos geboren wurde, das Chaos also als kreativ, alle Gestaltungsmöglichkeiten in sich bergend angesehen wurde (Genz 1994). Abb. 4: Philippus Aureolus Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus. Nach seiner Lehre war in der Welt zunächst keinerlei Substanz vorhanden, erst durch Gottes Wort, durch das "fiat" sind "das corpus und sein geist gemacht worden". Fig. 4: Philippus Aureolus Theophrastus Bombastus von Hohenheim, called Paracelsus. After his thesis there were no substances st first in the world; only by god´s world throuht “fiat” have been created "das corpus und sein geist gemacht worden" (the body and its mind have been made). Aus dem ursprünglichen Chaos (oder mysterium magnum) gingen durch "separatio" die vier Elemente Wasser, Feuer, Erde und Luft hervor. Die Elemente bewirkten weitere Neubildungen und wurden anschließend zersetzt25: 21 22 23 24 25 Dampf (nach Deutsches Wörterbuch, Band 2, Spalte 714, gekürzt): ein dichter, sichtbarer, feuchter Rauch oder Dunst, schwerer als Luft, leichter als Qualm und Schwaden, fumus, vapor, exhalatio, ahd. dampf, mhd. tampf, dän., engl., niederl. und niederd. damp, altnord. dampi, poln. dim. Es gehört zu dem starken Verbum dimpfen rauchen. Verwandt scheint das ahd. daum, mhd. toum, das gleiche Bedeutung hat, das bair. und östreich. dam Ausdünstung, das schwed. dam aufgeregter wolkiger Staub. Dunst (nach Dt. Wörterb., Band 2, Spalte 1559, gekürzt): f. dünne, nasse oder trockene Flüssigkeit die in die Luft steigt, meist sichtbar ist, doch auch nur durch den Geruch empfunden wird; vergl. dampf, duft, brodem, qualm, schwadem. ahd. tunst, mhd., schwed. und dän. dunst m. Im goth. altsächs. altfries. niederd. niederl. kommt dunst nicht vor, das unter das goth. þinsan und das verlorne þinan dehnen gestellt wird. altnord. ags. engl. dust n. staub. [heute wird atmosphärischer Dunst im engl. als haze bezeichnet]. Paracelsus, eigentlich Philippus Aureolus Theophrastus Bombastus von Hohenheim (1493-1541) war der Erste, welcher in den Lebensvorgängen chemische Prozesse sah und die „Chemie“ in den Dienst der Medizin stellte. Das 16. und 17. Jahrhundert wird daher als das iatrochemisches Zeitalter bezeichnet. Berühmt geworden durch den Spruch „Alle Ding' sind Gift und nichts ohn' Gift; allein die Dosis macht, das ein Ding' kein Gift ist“ (zumeist im abgekürzten sola dosis facit venenum). In der Antike poet. auch für den Luftraum verwendet. Zu Lebzeiten Paracelsus wurden nur wenige Bücher veröffentlicht. Erst ab 1560 erschienen (teils in alchemisten Sammelwerken) die Aufsätze Paracelsus´s (mehrere Hundert), so „Liber Natura, sive Chaos veterum; generalem metallorum generationem, etc. demonstrans“. In: Liber vexacionen. John Stacy (1656) S. 83-89 (Bibl. Glasgow Universität, Verzeichnis MS Ferguson 237) Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 114 "dis mysterium magnum ist ein muter gewesen aller elementen und gleich in solchen auch ein grossmuter aller stern, beumen und der creaturen des fleischs ... und ein element ist ein muter, deren seind vier, luft, feur, wasser, erden; aus den vier mutern werden alle ding geboren der ganzen welt..." Paracelsus untersuchte das Kohlendioxid, spiritus sylvestris (erst von Helmont gas sylvestre benannt), und wies nach, daß es bei der Gärung, Verbrennung der Kohle, beim Brennen aus Kalkstein und aus Pottasche (K2CO3) bei Zusatz von Salzsäure entsteht. Er kannte, jedoch nur ganz unrein, Wasserstoff, Methan und Schwefeldioxid (vgl. Tab. 1). Die große Leistung Paracelcus war es, die Alchemie in den Dienst nach der Suche von Heilmitteln zu stellen. Wohl als Erster hat er die substanzbildenden Eigenschaften mehr chemisch als naturphilosophisch betrachtet und schuf damit den Vorbegriff des chemischen Elements (freilich erst von Boyle naturwissenschaftlich eingeführt). Lebensvorgänge, tellurische und kosmische Physik (für ihn wirkte in der Atmosphäre als besondere Substanz das „Chaos“) wurden bereits durch stoffliche Beziehungen26 miteinander verbunden (Bugge 1929). Man ist heute der Meinung, daß Helmont den Begriff Gas aus dem von Paracelsus – dessen Werke ihm gut bekannt waren – gebrauchten „Chaos“ nach niederländischer Aussprache bildete (durch Weglassen des „o“ wobei „ch“ wie „g“ ausgesprochen wird), s. Egli (1947). Allerdings könnte es auch sein, daß es aus den für Gas und Luft in der Alchemie gebräuchlichem Term Geist27 (spiritus) abgeleitet wurde. Kopp (1847) schreibt: „Woher das Wort zunächst gekommen ist, weisz man nicht; nach Juncker, den bekannten Schüler Stahl's, soll es aus Gäscht, dem bei der Gährung entstehenden, Schaume, abgeleitet sein.“ Lavoisier schrieb in seinem Werk Opuscules physiques et chimiques (2e éd., Paris, 1802, p. 5) « Gas vient du mot hollandais Ghoast, qui signifie Esprit. Les Anglais expriment la même idée par le mot Ghost, et les Allemands par le mot Geist qui se prononce Gaistre. Ces mots ont trop de rapport avec celui de Gas, pour qu'on puisse douter qu'il ne leur doive son origine » Im Deutschen Wörterbuch, Bd. 4 (1897) wird der Begriff „Gas“ folgendermaßem definiert: Gattungsname für Luftarten, oder luftförmige Flüssigkeiten wie die Wissenschaft den Begriff bestimmt, die sich von den Dämpfen unterscheiden durch die Unmöglichkeit oder Schwierigkeit sie in tropfbare Gestalt zu bringen; auch von der gewöhnlichen Luft sind sie verschieden und wurden im Gegensatz zu ihr zuerst erkannt, während dieselbe jetzt selber von der Wissenschaft als gasförmig, als ein Gasgemenge bezeichnet wird. Helmont soll (nach Gehlers 1845) „die gemeine Luft“ auch Gas, bestimmter gas ventosum genannt haben. Nach Gehlers (Deutsches Wörterbuch) wurden auch gas atmosphericum und Dunstkreisluft als Synonyme28 benutzt. Im „Oeconomische Encyclopädie, oder allgemeines System der Land- Haus- und Staats-Wirthschaft in alphabetischer Ordnung“ von J. G. Krünitz (1779, Bd. 16, S. 404) heißt es: Das Gas nennen Helmont und andere Chemiker die unsichtbaren flüchtigen Theile, welche von selbst aus 26 27 28 Allerdings verblieb auch er noch bei den drei Grundbestandteilen Schwefel (sulfur), Quecksilber (mercurius) und Salz (sal), denen die physikalischen Phänomene der Brennbarkeit (Öligkeit), Verflüssigung (Verflüchtigung) und Erstarrung (Festigkeit) entsprechen. Niederländisch und niedernorddeutsch: geest, ags. gâst (auch altfries.), gæst. Der Ursprung ist in Hauch und Atem zu suchen. Luther schrieb (Hiob 4, 9): der himel ist durchs wort des herrn gemacht und all sein heer durch den geist seines munds. Insofern ist die Synonymität zwischen Geist, Dampf, Atem, Hauch, Wind und Luftarten gegeben. Humboldt schrieb über Gasarten (Versuche über die chemische Zerlegung des Luftkreises. Braunschweig, 1799), „doch ist im Buche selber noch immer mehr von Luft als Gas die Rede (Deutsches Wörterbuch). Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 115 gewissen Körpern ausdampfen ... z. e. die Dämpfe der in eine spirituöse oder in eine faulige Gährung gerathenen Materien, tödtliche Dämpfe aus brennenden Kohlen, die Schwaden in Bergwerken« u. s. w. »und selbst den spiritus rector gewisser Substanzen, z. e. des Bisams«, denn es wurde zuerst unter die spiritus oder Geister der Dinge gezählt. b) Die Erkundung der chemischen Zusammensetzung der Luft Der englische Physiker und Chemiker Robert Boyle (1626-1691) verknüpfte die Chemie – bis dahin im wesentlichen als Alchemie betrieben – bei seinen Untersuchungen über Gase (Beziehungen zwischen Gasmenge, Druck und Temperatur) zum erstenmal mit der exakten Naturwissenschaft Physik. Neben seiner grundlegenden Prägung der Begriffe Element, chemische Verbindung und chemische Reaktion, schrieb er, daß Luft ein „confused aggregate of effluviums“ sei (Brimblecombe, 1996). Boyle schlug in seinem Buch “Memoirs for a General History of the Air” die Bildung und Untersuchung verschiedener Luftarten (Tab. 1) vor, hat aber nichts über dessen Realisierung geschrieben. Ramsay (1907) glaubte, daß die Zusammensetzung der Luft 100 Jahre früher erkundet worden wäre, wenn diese Experimente durchgeführt worden wären. Als eine große Behinderung in der wissenschaftlichen Untersuchung der Verbrennungsvorgänge unter Lufteinfluß stellte sich die Phlogiston-Theorie heraus. Der deutsche Chemiker Georg Ernst Stahl (1660-1734) entwickelte eine Theorie, wonach jeder brennbare Stoff eine flüchtige Substanz enthält, das phlogiston (gr. φλογιστός = verbrannt). Stoffe, die reich an Phlogiston sind (wie z.B. Holz im Unterschied zu Metallen), verbrennen nahezu vollständig. Es war der erste Versuch, den Prozeß der Oxidation zu erklären. Erst Antoine Lavoisier konnte am Ende des 18. Jahrhunderts – nach der Entdeckung der Luftbestandteile – zeigen, daß diese Theorie falsch ist. Die Entdecker der Luftbestandteile (s.w.u.), Black, Cavendish, Priestley, Gay-Lussac29 und Lavoisier, haben Luft auch als elastic fluid bezeichnet. Wie bereits erwähnt, wurden die Begriffe Luft und Gas weiterhin parallel verwendet. Die atmosphärische Luft (als Gasgemisch) wurde mit folgenden Bezeichungen belegt: atmosphärisches Gas, gemeine Luft, atmosphärische Luft, Gas atmosphaericum, Aër atmosphaericus vulgaris, communis, Gas ventosum, Gas atmosphérique, Air commun, Air de l'atmosphère. Die Entdeckung von gasförmigen Substanzen, die auch in der Luft enthalten sind, war im frühen 18. Jahrhundert eng mit den Untersuchungen zum Pflanzenwachstum verbunden. Daß die Luft sowohl einen Bestandteil enthält, der die Atmung und Verbrennung zu unterhalten als auch nicht zu unterhalten vermag, wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entdeckt. In der Zeit, als Stahl´s Phlogiston-Theorie publiziert wurde, hat ein heute nahezu vergessener Chemiker, John Mayow30, gezeigt, daß Luft ein Gas enthält (CO2), welches bei der Atmung und Verbrennung auftritt, which is fixed from calcified metals. Die Zeit der modernen Chemie kann mit den Arbeiten des Engländers Stephen Hales (1677-1761) zur Elastizität der Luft datiert werden. Er erklärte auch, daß viele feste Substanzen unterschiedliche Gas, die er airs nannte, enthalten. Hales31 führte 1738 sorgfältige Untersuchungen über die Absorption 29 30 31 Joseph Louis Gay-Lussac (1778-1850) Frz. Chemiker und Physiker. Prof. an der Sorbonne. 1804 Untersuchungen (u.a.) der Luftzusammensetzung bei zwei Ballonaufstiegen bis zu 7016 m. 1802 unabhängig von Jacques-Alexandre-César Charles (1746-1823), der es bereits 1787 fand, entdeckt, daß ein Gas bei konstantem Druck in einem festen Verhältnis zwischen Temperatur und Volumen expandiert. Charles unternahm 1783 als Erster ein Aufstieg mit einem wasserstoffgefüllten Ballon. (1643-1679) englischer Chemiker und Physiologe; zitiert nach: A. Mangin (1866) Das Reich der Luft. Berlin, S. 113 Stephen Hales (1738) Vegetable Statics, 3rd ed., London Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 116 von Wasser und dessen Verdunstung in die Atmosphäre durch. Er begriff, daß Luft und Licht notwendige Bedingungen für das Wachstum der Pflanzen sind. Der schottische Chemiker Joseph Black (1728-1799), ein Schüler Hales, hat wertvolle Untersuchungen über das Kohlendioxid, das er „fixe Luft“ nannte, durchgeführt und stellte fest, daß in diesem Gas eine Kerze nicht brennt und Lebewesen nicht existieren sowie daß es ein Produkt der Atmung ist. Senebier32 erkannte 178333, daß die Erholung von (schlechter) Luft, also CO2 (fixierte Luft) enthaltend, mit dessen Verbrauch durch Grünpflanzen unter Lichteinfluß zusammenhängt. Als Erster schlug Woodward34 die mineralische Düngung von Pflanzen vor (1733). Viel später (1840) erst wurde von Liebig35 vermutet, daß auch Nährstoffe aus der Luft in die Pfanze gelangen (in seinem berühmten Buch: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie). 1803 hat Saussure36 entdeckt, daß die Zunahme der Biomasse von Pflanzen nicht nur durch die Aufnahme von CO2 und Mineralien sondern auch durch Bindung von „Wasserkomponenten“ verbunden mit der Freisetzung von Sauerstoff während der Photosynthese erfolgt. 1838 hat Boussingault37 durch eine Serie eleganter Experimente über 5 Jahre nachgewiesen, daß Hülsenfrüchte einen höheren Stickstoffgehalt ausweisen als Getreide und daß die Luft die entsprechende Stickstoffquelle ist (ohne die Substanz zu spezifizieren). 1848 Liebig argumentierte (ohne einen exakten Nachweis zu erbringen), daß es sich um Ammoniak (NH3) handelt. Ein heftiger Streit zwischen Liebig und seinen Kollegen (insb. Lawes und Gilbert) führte zur Initiierung vieler chemischer Regenwasseruntersuchungen (s. später im Text Robert Smith). Es wird heute allgemein akzeptiert, daß die Entdeckung des Luftstickstoffs dem englischen Physiker Daniel Rutherford (1749-1819) zugeschrieben werden muß; seine 1772 vorgelegte Doktorschrift hat den Titel “Dissertation Inauguralis de aero fixo dicto, aut mephisto”. Die Entdeckung der verschiedenen Gase (Luftarten) war nicht immer unmittelbar gleichbedeutend mit der Erkenntnis, daß sie natürliche Bestandteile der (atmosphärischen) Luft sind. Erst mit den bemerkenswerten Untersuchungen der Chemiker Priestley38 und Scheele39 sowie dann Lavoisier40 und Cavendish41 begann das „Zeitalter der chemischen Erforschung der Luft“. Joseph Priestley hatte 1771 von der goodness der Luft (Luftgüte oder im heutigen Sprachgebrauch Luftqualität) gesprochen und bemerkt, daß „verletzte“ (injured) oder „erschöpfte“ (depleted) Luft durch grüne Pflanzen wieder „repariert“ (restored) wird. Seine Erkenntnisse schrieb er im Buch Experiments and Observations on Different Kinds of Airs (1774-1777) nieder. Am klarsten wurde dies von Carl Wilhelm Scheele in seiner 1777 erschienenen 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 Jean Senebier (1742-1809) Schweizer Botaniker und Naturalist sowie Priester in Genf „Recherches sur l'influence de la lumiere solaire pour metamorphoser l'air fixe en air pur par la vegetation. Avec des experiences et des considerations propres a faire connoitre la nature des substances aeriformes”, enthalten in Senebier (1788b) John Woodward (1665-1728) Profeßor am Gresham College in London Justus von Liebig (1803-1873) dt. Chemiker, Profeßor in Gießen 1824-1852, begründete die „Agriculturelchemische Theorie” und zusammen mit Wöhler die Radikal-Theorie Théodore de Saußure (1767-1845) Schweizer Botaniker und Naturalist in Genf Jean Baptiste Joseph Dieudonne Boußingault (1802-1887) Frz. Landwirtschafts-Chemiker Joseph Priestley (1733-1804) engl. Wißenschaftler, wegen seiner Sympathie mit der frz. Revolution in die USA (Philadelphia) 1794 übergesiedelt Carl Wilhelm Scheele (1742-1786) Schwedischer Apotheker in Gothenburg, Malmö und Stockholm, Mitglied der Schwed. Königl. Akademie der Wiß. 1775 Antoine Laurent de Lavoisier (1743-1794) frz. Chemiker (Vater der modernen Chemie) in Paris, fand den Tod auf der Guillotine Henry Cavendish (1731-1810) engl. Chemiker und Physiker in London Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 117 „Abhandlung von der Luft und dem Feuer“ ausgesprochen. Reinen Sauerstoff hat 1774 Priestley unabhängig neben Scheele hergestellt42. Er erkannte aber noch nicht, daß Luft ein Gemisch ist und bezeichnete den erhaltenen Sauerstoff als „gute Luft“. Lavoisier gründete auf diese Entdeckung seine Theorie der Verbrennung. Da er dieses Element (als Dephlogiston entsprechend der Phlogiston-Theorie bezeichnet) für einen wesentlichen Bestandteil von Säuren hielt, gab er ihm den Namen Oxygéne (oxygenium, gr. όξύς = sauer). Cavendish hatte bald danach hervorgehoben, daß es auch sauer schmeckende Substanzen gab, die keinen Sauerstoff enthielten. Scheele wies nach, daß ein Volumen Sauerstoff ein Volumen Kohlendioxid ergibt. Dem von Scheele als „verdorbene Luft“ bezeichneten Gas (von Priestley als „inflammable air“ bezeichnet) gab Lavoisier den Namen Azote, d.h. Stickgas oder Stickstoff. Priestley hat als Erster Quecksilber zum Absperren der Gase benutzt und ist der Entdecker einer Reihe wasserlöslicher Gase (NH3, HCl, SO2), die aber noch nicht in der Luft nachgewisen werden konnten. Scheele identifizierte auch Ammoniak in der Luft (alkalische Luft); die Formel wurde 1785 durch Berthollet aufgestellt. Die Luftuntersuchungen (besser gesagt, Studien zur Verbrennung und Veränderung der Substanzen in der Wechselwirkung mit der Luft und deren Bestandteilen) war der entscheidene Schritt zur Etablierung der Chemie als systematische Wissenschaft. Blagden43 berichtete Lavoisier über Cavendish´s Experimente im Jahr 1781 und zusammen mit Laplace44 wurden sie wiederholt mit dem Ziel, das Experiment umzukehren, d.h. Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu zersetzen (durch Überleiten über rotglühende Eisendrähte). Lavoisier (Cavendish verblieb zu seinen Lebzeiten ein Anhänger der Phlogiston Theorie) gab danach die richtige Erklärung für die Auflösung von Metallen in Säuren. Schließlich haben Lavoisier, Morveau45, Berthollet46 und Fourcroy47 eine neue chemische Nomenklatur im Jahr 1787 in Paris etabliert. Lavoisier schrieb 1793 das erste moderne Lehrbuch der Chemie: „Traité élémentaire de Chimie“. Wasserstoff (bereits Paracelsus im 16. Jahrhundert bekannt) wurde oftmals mit anderen brennbaren Gasen verwechselt. Erst 1766 gelang es Cavendish, Wasserstoff von anderen brennbaren Gasen zu unterscheiden und 1781 nachzuweisen, daß er zu Wasserdampf verbrennt. In Verbindung mit Lavoisiers Entdeckungen über die Rolle des Luftsauerstoffs (1777) wurde damit klar, daß Wasser eine Verbindung ist. Aber erst 1901 wurde durch Gautier48 erklärt, daß H2 ein Bestandteil atmosphärischer Luft ist, was 1902 durch spektroskopische Studien von Rayleigh bestätigt wurde. 42 43 44 45 46 47 48 Es gilt als erwiesen, daß Scheele den Sauerstoff als Erster um 1772 hergestellt hatte und eine exakte Beschreibung des Experiment und der Eigenschaften des gebildeten Gases lieferte (aus Tagebüchern ersichtlich). Oftmals wird Priestley die Priorität aus dem Grund zugeschrieben, weil dessen Werk einige Monate vor Scheeles Abhandlungen (die jedoch bereits Ende 1775 beim Verlag eingereicht wurden) erschien. Scheele hatte bereits im September 1772 in einem Brief an Lavoisier von seiner Entdeckung mit ausführlicher Beschreibung berichtet, der aber von diesem niemals zitiert wurde (man muß annehmen, ignoriert). Dieser Brief tauchte erst 100 Jahre später auf, „verschwand“ aber wieder in den 1930er Jahren. Im weiteren ist heute erwiesen, daß Scheele alle seine Entdeckungen dem damals bekannten Chemiker Bergmann mitteilte, die dieser wiederum vor Priestley´s Publikation in der Nova Acta in lateinischer Sprache veröffentlichte (Boklund 1966). Sir Charles Blagden (1748-1820) Engl. Physiker, Cavendish's Assistent von 1782-1789 Pierre-Simon (Marquis) de Laplace (1749-1827) Frz. Mathematiker Louis Bernard Guyton de Morveau (1737-1816) frz. Chemiker Claude Berthollet (1748-1822) frz. Chemiker, führte den Begriff „chem. Affinität“ ein Antoine François de Fourcroy (1755-1809) frz. Chemiker M.A. Gautier, Ann. de Chimie 22 (1901) Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 118 Tab. 1: Historische Bezeichnungen von Gasarten (Lüfte, Dämpfe, Gase); man bemerkt, daß Bezeichnungen mehrfach vergeben wurden, d.h. nicht eindeutig sind, L. = Luft Table 1: Historical terms (archaic chemical meanings) of kinds of gases (airs, vapours, gases); note that terms are used multiple, i.e. they are not unambiguous; L. = Luft (air) Bezeichnung An. Formel salpetrige L., nitröse L., Salpetergas, salpeterartige L. 1 NO phlogistierte salpetrige L. 2 N2O salpetersaure Luft, phlogistisirte Salpetersäure, Salpeterdämpfe 3 NO2 Luftsäure, (gemeine) Salpeterluft 4 HNO3 dephlogistisirte Salpeterluft 5 HNO2 alkalische L., urinöse L., laugensalzige L., flüchtig-alkalische L. 6 NH3 verdorbene L., unreine L., phlogistische L., Stickluft, Salpeterstoffgas, azotisches Gas, 7 N2 Stickgas kochsalzsaure L. 8 HCl dephlogistisierte Salzsäure 9 Cl2 vitriolische L., vitriolsaure L., Schwefelluft, schwefelsaures Gas, luftförmige phlogistisir- 10 SO2 te Vitriolsäure, unvollkommne Schwefelsäure in Dampfgestalt vitriolsaure L. 11 SO3 hepatische L., Leberluft, stinkende Schwefelluft, Schwefelleberluft, geschwefeltes 12 H2S Wasserstoffgas, gasförmiger sulphurisirter Wasserstoff reduzierte fixe L. 13 CO fixe L., künstliche Luft, mephitische Gas, Luftsäure, luftsaures Gas, Sauerluft, Kalkgas, 14 CO2 Kreidensäure, wildes Gas, weinigtes Gas, kohlengesäuertes Gas, mephitische Säure gute L., Dephlogiston, Lebensluft, reine L., einathembare L., reine L., Feuerluft, künstli- 15 O2 che reine L. Lebensluft, Empyrealluft, säurezeugendes Gas, Sauerluft, Sauerstoffgas brennbare L., phlogistische L., entzündbare L., entzündliche L., inflammable L., bren16 H2 nende L., Brennluft gephosphortes Wasserstoffgas, gasförmiger phosphorisirter Wasserstoff 17 PH3 flußspathsaure L., spathsaures Gas, spathgesäuertes Gas, Flußspathgas, luftige 18 HF Flußspathsäure schlechte Luft, Sumpfluft 19 CH4 vegetabilisch-saure L., Essigluft 20 CH3COOH 1 nitrous air. Gaz nitreux, Acide nitreux. Gas nitrosum, Acidum nitrosum. Salpeterhalbsaures, oxydirten Salpeterstoff. Auch bezeichnet (irrtümlicherweise auf Phosphor bezogen) als: phosphorisches Gas, Phosphorluft, Gas phosphoricum, Mephitis phosphorica, Air ou Gas phosphorique, 2 phlogisticated nitrous air 3 nitric acid air. Gas ou Air acide- nitreux. Gas acidum nitrosum, Acidum nitri phlogisticatum, Mephitis acida nitri 4 spirit of nitre, Acide nitrique, Gaz acide-nitreux. Gas acidum nitrosum 5 dephlogisticated nitrous air. Gaz nitreux oxygèné, Gaz nitrique, Oxide gaseux d'azote 6 alkaline air, volatile alkali, spirit of hatshorn. Gas alcali-volatil. Gas alcalinum volatile, Aer alcalinus, Mephitis urinosa. 7 mephitic air, phlogisticated air, inflammable air. Gas ou Air phlogistiqué, Gaz azotique. Aër phlogislicatus, vitiatus, Mephitis aëris, phlogistica, Gas phlogislicatum, Gas azoticum 8 (marine) acid air, muriatic air, spirit of salt. acidum salis 9 dephlogisticated marine acid (air), oxymuriatic air 10 vitriolic (acid) air, sulphurous acid (gas). Gaz acide sulfureux, Gas ou Air acide vitriolique, Acide de soufre aëriforme. Gas acidum sulfureum, Gas acidum vitriolicum, Gas acidum sulphureum volatile, Aer acidus vitriolicus, Acidum vitrioli phlogisticatum aëriforme, Mephitis acida sulphuris 11 vitriolic acid air 12 hepatic air, sulpuretted hydrogen. Air hepatique, Gas he-patique, Gaz hydrogène sulfuré. Aer hepaticus, Mephitis hepatica, Gas hepaticum Gas hydrogenium sulphuratum 13 reduced fixed air 14 fixed air, (mephetic) acid air, calcaire. Air fixe, Acide méphitique, Gas méphitique Acide crayeux, Gaz acide carbonique. Aer fixus, Aer factitius, Gas äereum, Gas mephiticum, calcareum, Gas silvestre, Gas vinosum, Mephitis vinosa, acidula, Acidum mephiticum, Acidum aëreum s. atmosphaericum, Acidum cretae, Gas acidum carbonicum 15 good, pure, vital, fire air; dephlogisticated air. Air dephlogistiqué, Gas ou, Gaz oxygène. Aer verus factitius, Aer vitalis, Aer purissimus, Aer dephlogisticatus, Gas dephlogisticatum, Gas oxygenium Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 16 17 18 19 20 119 aer inflammabilis, franz. air inflammable, wie man damals das wasserstoffgas nannte, auch (Ingenhouss) Gas inflammabile, Aer inflammabilis, Mephitis inflammabilis, Gas carbonum, Gas pingue (Helmont), Gas infiammable, Air inflammable, inflammable air Gaz hydrogène phosphorisé. Gas hydrogenium phosphorisatum, Gaz acide fluorique, Gas acidum fluoricum, , Gas fluoris mineralis, Gas acidum spathosum, Aer acidus spathosus, Mephitis fluoris mineralis, Gas acide spathique, Air acide spathique. carburetted hydrogen, marsh gas, swamp gas Gas acide aceteux. Gas acidum, acetosum, Aer acidus vegetabilis, Mephitis acetosa Tab. 2: Entdeckung atmosphärisch relevanter Spurenstoffe (Gase) Table 2: Dicovery of atmospheric relevant trace substances (gases) Jahr Gas Entdecker 1755 CO2 (Helmont und) Black 1766 / 1901 H2 Cavendish / Gautier 1772 / 1774 O2 Scheele / Priestley 1772 N2 Rutherford 1774 Cl2 Scheele 1776 SO2 a Priestley 1776 / 1786 NH3 / NH4+ Priestley /Scheele 1776 HCl Priestley Scheele / Berthollet 1777 / 1796 H2S a 1841 / O3 Schönbein 1863 / 1872 H2O2 Meißner / Schöne 1883 Ar Rayleigh 1884 Ra Raileigh und Ramsey 1898 Kr, Ne, Xe Ramsey und Travers a das Gas war bereits im Altertum bekannt in Luft ja nein / ja ja ja nein nein nein / ja nein nein ja ja ja ja ja Sowohl Obwohl Ammoniak bereits 1786 durch Scheele in der Luft nachgewiesen wurde (und auch durch Saussure zu Beginn des 19. Jahrhunderts) wurde noch bis um 1900 angenommen, daß es niemals „frei“ (als NH3) sondern lediglich gebunden als Ammonium (NH4+) existiert (Blücher 1900). Lavoisier und Priestley schlugen unabhängig voneinander für Salpersäure die Formel HNO3 in den Jahren 1784-1786 vor. Cavendish (1785) und Priestley (1788) beschreiben dessen Bildung in feuchter Luft unter dem Einfluß elektrischer Entladungen. Das kann wohl als erste „luftchemische Entdeckung“ gelten; freilich vergingen fast 200 Jahre bis zu unserem heutigen Wissen über die primäre NO-Bildung aus N2 + O2 bei hohen Temperaturen und dessen weitere Mehrstufen-Oxidation zu HNO3 bzw. Nitrat. Erst im 20. Jahrhunderts wurden alle diese Gase (NH3, HNO3, HNO2) direkt in der Luft nachgewiesen. Es ist bemerkenswert, daß der Ozean als NH3-Quelle bereits von Schloesing49 vorgeschlagen wurde, obwohl noch bis etwa 1990 eine kontroverse Diskussion bestand (Möller 2003). Cavendish hatte bereits Versuche unternommen, um festzustellen, ob Luftstickstoff ein einheitlicher Stoff sei und erwähnt, daß er einen außerordentlich kleinen Gasrest behielt (die Edelgase). Aber den Schluß, daß es sich hierbei um ein Element handelt, zog er nicht. Lord Rayleigh50 war der Erste, der beobachtete, daß Sauerstoff und andere Gase, die aus verschiedenen Quellen stammten, immer dieselbe Dichte besitzen, was für Luftstickstoff nicht zutrifft (den man für „rein“ hielt). Während „Luftstickstoff“ eine Dichte von 1,2572 g l-1 hatte, wurde für Stickstoff, der aus der Zersetzung stickstoffhaltiger Verbindungen erzeugt wurde, eine Dichte von 1,2505 g l-1 gemessen. Die Differenz von 7 mg lag weit über den möglichen experimentellen Fehlern. Es kam die Vermutung auf, daß Luftstickstoff noch durch ein schwereres 49 50 Jean Jacques Théophile Schloesing (1824-1919) frz. Prof. für Agriculturchemie John William Strutt (1842-1919, Lord Rayleigh 1873) englischer Physiker, Nobelpreis 1904 Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 120 Gas verunreinigt sei und 1894 erhielt Ramsay51 das Argon, das er nach spektroskopischen Untersuchungen für ein Element einer neuen Familie hielt. Nach Herstellung einer großen Menge Argon gelang ihm die Identifikation der weiteren Edelgase Neon, Krypton und Xenon. Somit waren die Entdeckung und Quantifizierung der immanenten Bestandteile der Luft abgeschlossen: N2, O2, H2O, CO2, Ar und andere Edelgase. c) Die Entdeckung der Luftspurenstoffe Um 1840 waren neben den beiden Hauptkomponenten52 der Luft, O2 und N2, die Nebenkomponenten CO2 und Spurenstoffe NH3 (Ammonium) und HNO3 (Nitrat) bekannt. Obwohl viele Gase, welche in der Atmosphäre sowohl natürlicher als auch anthropogener Herkunft sind, bereits bekannt waren (Tab. 2), muß bezweifelt werden, daß man sie zu der Zeit teauch als Luftbestandteile zu betrachtete. Liebig53 hatte mit seiner Begründung einer agrikulturchemischen Mineraltheorie als Erster auf die Bedeutung atmosphärischer Stoffeinträge für die Pflanzen hingewiesen (Liebig, 1827, 1840). Die überragende Autorität Liebig´s erlaubte es ihm, auch noch unbewiesene Behauptungen, beispielsweise über die Existenz der Salpetersäure und deren Bildung bei Gewittern, zu publizieren. Chemische Verbindungen im Regenwasser (Chlorid, Nitrat, Ammonium, Sulfate) wurden zwischen 1840 und 1850 bei zahlreichen Untersuchungen nachgewiesen. Von den komplizierten Umwandlungsprozessen und insbesondere gasförmigen Vorläufern der Regenwasserkomponenten war bis 1940 nichts bekannt (Drischel 1940). Die Arbeit des Russen Kossowitsch (1913) kann wohl als älteste über globale Stoffkreisläufe angesehen werden; er betont: „dass der Kreislauf des Chlors in der Jetztzeit hauptsächlich in einer mechanischen Fortbewegung zwischen dem festen Land, den Meeren und der Atmosphäre zum Ausdruck kommt, und zwar in Form jener einfachen Chlorverbindungen, in welchen wir das Chlor gegenwärtig auf der Erde vorwiegend beobachten“. Aristoteles hatte bereits Süßwasser von Salzwasser unterschieden und erklärt, daß der salzige Geschmack von „erdhaften Teilchen“, die im Meerwasser enthalten sind, stammt. Das Salz selbst gelangt nach Aristoteles ins Meer durch den Regen (Möller 2003): In dem herabströmenden Regenwasser sammelt sich eine Menge erdiger, in der Luft enthaltener Partikeln an, und namentlich im Herbst sind die Regengüsse salzhaltiger als sonst. Ozon (wie beim Sauerstoff aus dem gr. όξύς, όξέϊ = scharf, brennend, stechend) kann als das erste in der Atmosphäre entdeckte Spurengas gelten. In einem Brief an Justus von Liebig vom 5.9.1853 deutete Schönbein54 schon die wichtige Rolle an, die das Ozon in der Erdatmosphäre spielt55: Geneigt zu glauben, das atmosphaerische Ozon spiele im Haushalte der Erde eine wichtige Rolle, halte ich es fuer wuenschenswerth, dass moeglichst zahlreiche, sowie grosse Zeiträume als bedeutende Laenderstre- 51 52 53 54 55 William Ramsay (1852-1916) engl. Chemiker, Nobelpreis für Chemie 1904 Lavoisier hatte als Erster im Jahr 1778 die Zusammensetzung der Luft quantitativ bestimmt: 79,19% N2 (darin enthalten die noch unbekannten Edelgase und 20,1% O2; nahezu die gleichen Zahlen wurden durch Cavendish 1783 gefunden. Justus von Liebig (1803-1873) dt. Chemiker, Professor in Gießen von 1824-1852 Christian Friedrich Schönbein (1799-1868) Dt. Chemiker in Basel Justus von Liebig und Christian Friedrich Schoenbein: Briefwechsel 1853–1868. Hrsg. von Georg WA Kahlbaum. Leipzig Barth, 1900. S. 10. Natürlich wußte man bis in die 1960er Jahre nichts über die Rolle des troposphärischen Ozons im atmosphärischen Photooxidationshaushalt. Erst in den 1920er Jahren erkannte man die Rolle die stratosphärischen Ozons als „Schirm“ gegen die harte UV-Strahlung. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 121 cken umfassende, untereinander vergleichbare Beobachtungen ueber die Veraenderungen des Ozongehaltes der Atmosphaere angestellt werden... Wasserstoffperoxid (H2O2)56, heute als das wohl interessanteste atmosphärische Oxidationsmittel angesehen (Möller 1989, 2002b), wurde zuerst im Regenwasser von Meißner57 (1863) und dann von Schöne58 (1872) als Gas in der Luft nachgewiesen. Bis zu der Erkenntnis, daß atmosphärische Spurenstoffe nicht nur ein Ausdruck der belasteten Atmosphäre sind (s. den folgenden Abschnitt über den Rauch) sondern – bis auf wenige Ausnahmen – auch ein Resultat natürlicher bio- und geochemischer Prozesse war es noch ein langer Weg. Staub wurde bereits in der Antike (damals zumeist als „feste Körper“ und „Luftteilchen“, auch „Sonnenstäubchen“ bezeichnet) beschrieben. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden Jod und Phosphor als Bestandteile analysiert sowie Mikroorganismen und Pflanzenreste nachgewiesen. In den 1850er Jahren hatte Pasteur59 Luftproben gesammelt, um der Frage der spontanen Neubildung (Miasmenlehre) nachzugehen60. Ein wissenschaftliches Verstehen des atmosphärischen Staubes61 begann mit Graham´s62 Definition eines Kolloids im Jahr 1861. Erste direkte Beobachtungen in der Luft suspendierter Partikel erfolgten durch Tyndall63 (1870) und Aitken64. Aitken erkannte auch, daß das Vorhandensein dieser Staubteilchen (später Wolkenkondensationkerne genannt, CCN) eine notwendige Vorausetzung zur Niederschlagsbildung sind. Lord Rayleigh hatte erkannt, daß die blaue Farbe des Himmels eine Folge der Streuung der kleineren Wellenlängen (violetter Bereich) des Sonnenlichtes an den Staubteilchen ist (erst später wurde die Lichtstreuung auch an Luftmolekülen nachgewiesen). Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde erkannt, daß die grobe Teilchenfraktion Bodenstaub ist und wesentliche Anteile organischer Substanz enthält. Tissandier65 hat als Erster auf den auch kosmischen Ursprung atmosphärischen Aerosols66 hingewiesen. Die Erforschung der Luft – so kann man resümieren – erfolgte von den Anfängen bis zum beginnenden 20. Jahrhundert aus verschiedenen Aspekten: a) (Natur-)Philosophie: Erkennen der Welt und der Stellung des Menschen b) Astronomie: Sternbeobachtung und zwangsläufiges Erfassen atmosphärischer Phänomene c) Medizin: Zusammenhang zwischen menschlicher Gesundheit und Umwelteinflüssen d) Meteorologie: Wetterbeobachtung (zum Schutz vor Extremereignissen) e) Alchemie: (unsystematisches) Experimentieren mit Gasen f) Chemie: systematisches Studium von Stoffwandlungsprozessen Als eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin wurde die Luftchemie oder atmosphäri56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 entdeckt 1818 vom frz. Chemiker Louis-Jacques Thénard (1777–1857), Prof. in Paris Göttinger Nachrichten (1863) S. 264 Ueber das atmosphärische Wasserstoffhyperoxyd. Ber. Dt. Chem. Ges. 7, 1693-1708 Louis Pasteur (1822-1895) frz. Chemiker und Physiologe „Die in der Atmosphäre vorhandenen organisirten Körperchen, Prüfung der Lehre von der Urzeugung“, Leipzig, Verlag von W Engelmann, 1862 Obzwar gerade in der „Luftreinhaltung” der Begriff des Staubes (Schwebstaub, Feinstaub usw.) verwendet wird, sollte man alle Teilchen in der Atmosphäre oberhalb der Molekülgröße als atmosphärische Aerosopartikel bezeichnen, dabei aber Hydrometeore (wäßrige Teilchen) ausschließen. Thomas Graham (1805-1869) Prof. für Chemie in Glasgow und London John Tyndall (1820-1893) Prof. für Physik in London John Aitken (1839-1919) Schottischer Physiker und Meteorole Gaston Tißandier (1843-1899) frz. Ballonfahrer Den Begriff Aerosol hatte der dt. Meteorologe A. Schmaus (Kolloidchemie und Meteorologie. Meteorol. Ztschr. 37 (1920) 1-8) eingeführt Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 122 sche Chemie wurde erst nach 1950 etabliert (Möller 1999a). Lavoisier und Cavendish können aber wegen ihrer erstmaligen Luftanalysen (noch im 18. Jahrhundert durchgeführt) durchaus als Pioniere dieser Disziplin bezeichnet werden (Tab. 3). Um die Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Klimatologie (s. d. Abschnitt zum Klima) aus der Geographie und beginnenden Meteorologie zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin, insbesondere mit dem Beginn weltweiter systematischer meteorologischer Aufzeichnungen und dem zunehmenden physikalischen Verständnis atmosphärischer Prozesse (insbesondere der Entwicklung der Thermodynamik). Unabhängig davon begann aber zur gleichen Zeit ein wissenschaftliches Studium der chemischen Spurenstoffe (noch nicht ihrer chemischen Beziehungen untereinander!) insbesondere aus der Sicht der zunehmenden Luftverschmutzung, zu damaliger Zeit als Rauchplage bezeichnet. Tab. 3: Wichtige Punkte bei der Erforschung der Luft Table 3. Milestones in discovering the atmosphere Luft als „Element“ erste „Bioklimatologie” erste Phänomenologie der Luft Luft als Körper Luft als „Chaos“ und „Luftarten“ Gewicht der Luft Begriff „Gas“ Luftdruck: Vakuum und Barometer Druckabnahme mit der Höhe Druck, Volumen und Temperatur verknüpft Entdeckung von CO2 im Zusammenhang mit Pflanzenwachstum und Verbrennung Entdeckung von N2 in der Luft Entdeckung von O2 in der Luft Erste Luftanalysen Entdeckung des O3 in der Luft „Nährstoffe“ aus der Luft Rauchschäden durch SO2 chemische Klimatologie (Regenwasserchemie) Keime in der Luft Entdeckung der Edelgase in der Luft erste Beobachtung feinster Staubpartikel Anaximenes ( um 600 v.Chr.) Hippokrates (ca. 460 - ca. 377 v.Chr.) Aristoteles (384-322 v. Chr.) Heron (10-75) Paracelsus (1493-1541) Gallilei (1564-1642) Helmont (1577-1644) Torricelli (1608-1674) Pascal (1623-1662) Boyle (1626-1691) Mayow (1643-1679), Hales (1677-1761), Black (1728-1799), Senebier (1742-1809) Rutherford (1749-1819) Scheele (1742-1786), Priestley (1733-1804) Lavoisier (1743-1794), Cavendish (1731-1819), GayLussac (1778–1850), Humboldt (1769-1859) Schönbein (1799-1868) Liebig (1803-1873) Stöckhardt (1809-1886) Smith (1817-1884) Pasteur (1822-1895) Ramsay (1852-1916), Rayleigh (1842-1919) Aitken (1839-1919) Etwas über den Rauch Kaum ein anderes Wort ist sowohl treffender als auch älter, um den vom Menschen „gestörten“ Zustand der Luft (Atmosphäre) zu bezeichnen. Im Deutschen Wörterbuch heißt es (gekürzt): RAUCH, m. fumus, vapor, odor. mit seinem verbum riechen. altes gemeingermanisches Wort; goth. rauks ist nur zufällig nicht bezeugt, aber altnord. reykr, schwed. rök, dän. rog; ags. rêc, engl. reek; fries. rêk; alts. rôk, altnfr. rouc, ndd. ndl. roke, rook; ahd. rouh, mhd. rouch. Die Abwesenheit alles vergleichbaren auszerdeutschen läszt schlieszen, dasz wir es mit einem auf germanischem Boden eigens für germanische Verhältnisse gebildeten Worte zu thun haben, dasz also die allgemeine Bedeutung (unten 1) nicht auch die ursprüngliche sein kann. erwägt man, dasz alle Wörter des Hauses und seiner Theile eigene germanische Bildungen sind, die in den urverwandten Sprachen nichts entsprechendes haben, so steht zu vermuten, dasz auch rauch eigentlich zu solchen Hauswörtern gehört und seinem ältesten Begriffe nach nur Beziehung zu herd gehabt habe (die Bedeutung 2 wäre der Nachklang davon). Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 123 1. von etwas brennendem: der rauch des feuers, des tabaks, pulvers, der kanonen, der geschütze; Rauch von Holzfeuer, von Strohfeuer, von Kohlen; Rauch aus einem Kmine, einem Ofen, einer Esse, einer Pfeife; Rauch im Zimmer, im Hause, in der Küche; Rauch eines Hauses, einer Hütte, wenn er aus der Esse derselben empor steigt. 2. sinnbildlich für das haus, dessen mittelpunkt der stets brennende und rauchende herd ist; rechtsformeln: rauch und brod, eigen haus und nahrung Die inhaltliche (nicht sprachliche) enge Beziehung zu Dampf (Dämpfen) und Dunst (Dünsten) und Luft (Lüften) ist eindeutig. Aus modernen Sicht kann man diese drei Wörter auch mit einer (Aggregat-) Zustandsbeschreibung versehen: Rauch Dampf Luft (Gas) fest: Ruß und Staubpartikel aus menschlichen (Feuer-) Quellen flüssig: Wasserkondensat, imm weiteren für alle kondensierbaren Gase gasförmig: alle flüchtigen Stoffe, die nicht durch einfache Temperaturerniedrigung kondensierbar sind Die unmittelbare Verbindung zwischen Rauch und Feuer zeigen folgende schöne Zitate: wer das feur wil hon, der můsz den rauch leiden. Martin Luther (1483-1546) wo rauch, ist feüwr nach darbei, flamma fumo est proxima. Georgius Agricola (1494 – 1555) rouch, übel wîp, durkel dach füegent manic ungemach. „Renner 20291“ von Hugo von Trimberg (um 1300) In „Gehlers Physikalisches Wörterbuch“ (1787) wird bereits unter dem Stichwort Gas, atmosphärisches verbal das stoffliche Kreislaufgeschehen im Sinne von Emissionen angedeutet: Diese die Erde umgebende Materie ist in ihrem gewöhnlichen Zustande mit unzählbaren fremden Substanzen verbunden. Sie hält Wasser in sich aufgelöset, s. Dünste, und verbindet sich mittelst desselben mit Salzen; sie ist an manchen Orten mit Schwefel, faulen Ausflüssen, u. dgl. imprägnirt, auch schweben häufige erdigte Theilchen in ihr. Wenn man endlich auch alle diese fremden Substanzen von ihr trennet, so ist doch der zurückbleibende luftige Stoff selbst noch zusammengesetzt, und keinesweges, wie man ehedem glaubte, eine einfache elementarische Substanz. John Evelyn schrieb im 17. Jahrhundert im frühesten mit einer ausführlichen Beschreibung der Luftverschmutzung bekannten Buch67: It is this horrid Smoake which obscure our Church and makes our Palace look old, which fouls our Cloth and corrupts the Waters, so as the very Rain, and refreshing Dews which fall in the several Seasons, precipitate to impure vapour, which, with its black and tenacious quality, spots and contaminantes whatever is exposed to it. Dieser einleitende Abschnitt soll zeigen, daß die Menschheit seit ihrer Seßhaftwerdung („Zähmung des Feuers“) mit dem Rauch (als Symbol der Luftverschmutzung) verbunden war und diesen Zustand auch erkannte und (zunächst) akzeptierte. Erst bei unerträglichen Belästigungen wurden Verordnungen erlassen (früheste sind aus dem Mittelalter beispielsweise aus Chemnitz und London bekannt), die Rauchplage dadurch einzudämmen, indem Manufakturen aus der Stadt verlagert wurden oder der Kohleverbrauch begrenzt wurde. Die beginnende Holzverknappung im 18. Jahrhundert förderte allerdings wieder den Kohleverbrauch. 67 John Evelyn: FUMIFUGIUM or The Inconvenience of the AER and SMOAKE of LONDON dissipated. Together with Some Remedies Humbly Proposed. Zitiert nach Finlayson-Pitts und Pitts (1986) Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 124 Steinkohle wird schon von Theophrast (215 v.Chr.) erwähnt; sie wurde wahrscheinlich schon vor rund 2000 Jahren gelegentlich zum Schmieden, Gießen usw. verwendet. In China war die Steinkohle und ihre Brennbarkeit etwa um 280 n.Chr. bekannt. Die Römer benutzten die Steinkohle im kohlereichen Britannien zu Heizzwecken. Die Engländer heizten im 9. Jahrhundert bereits mit Steinkohle, um 1113 wurde im Aachener Gebiet das erste primitive Steinkohle-Bergwerk erstellt. In Belgien begann der Steinkohle-Bergbau etwa im 11. Jahrhundert, im Ruhrgebiet im 14. Jahrhundert und in Schlesien (Waldenburger Gebiet) im 16. Jahrhundert. Die Steinkohle-Förderung war damals recht bescheiden zu nennen; sie stieg erst etwa in den letzten 150 Jahren – nach Erfindung der Dampfmaschine und der Massenproduktion von Eisen und Stahl sowie der damit möglichen Mechanisierung der Abbaumethoden Untertage – gewaltig an. Die Erfindung der Dampfmaschine durch Thomas Newcomen (1663-1729) war somit eine Voraussetzung (sie diente zunächst nur zur Wasserförderung) für eine Steigerung der Kohleproduktion und zugleich ein Verbraucher von Steinkohle. Aber erst die Erfindung der doppelt wirkenden Dampfmaschine durch James Watt (1736-1819) im Jahre 1782, die kurze Zeit später auch mobil als Lokomotive (1804 von Richard Trevithich) und 1837 dann als verwendungsfähige Lokomotive von George Stephenson (1781-1848) Anwendung fand, stimulierten die Massenförderung von Steinkohle und damit den Beginn der signifikanten Emissionen in die Atmosphäre. Die Dampfmaschinenzeit war aber im wesentlichen auf das 19. Jahrhundert begrenzt. Eine zweite wichtige Erfindung im Jahr 1866, die Dynamomaschine von Werner von Siemens (1816-1892), aus der zwanglos der Elektromotor abgeleitet wurde, setzte die Elektrizität als universell verwendbare Energieform bis heute und mit Sicherheit auch zukünftig an dominierende Stelle. Die Erzeugung von Elektrizität setzte Kraftwerke immer größerer Dimensionen voraus, deren Dampferzeuger riesige Mengen an Kohle verbrauchten. Auch Erdöl war bereits im Altertum bekannt. Seine einzigartige Rolle als Treibstofflieferant erhielt es aber erst mit der Erfindung des ersten brauchbaren Verbrennungsmotors durch Nikolaus August Otto (1832-1891) im Jahr 1867 – zunächst noch auf Gasbasis – und des dann ersten Automobils, 1886 gleichzeitig von Carl Benz (1844-1929) und Gottlieb Wilhelm Daimler (1814-1900) gebaut. Diese dritte Etappe der industriellen Revolution führte nicht nur bis heute zu einer globalen Mobilität sondern (neben der „klassischen“ Emission SO2 aus der Kohleverbrennung) zu einer neuen bedeutenden anthropogenen Emission, den Kohlenwasserstoffen und anderen organischen Verbindungen (VOC). Im Unterschied zur Kohle aber wurde der globale Erdölverbrauch erst nach 1950 signifikant Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren Abbildungen großer Industrieanlagen mit rauchenden Schornsteinen ein beliebtes Motiv und Ausdruck sowohl eines selbstbewußten Bürgertums als auch der sich organisierenden Arbeiterklasse: Nur wenn der Schornstein raucht, gibt es auch Arbeit. Etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts begann eine zunehmend wissenschaftliche Betrachtung der Probleme der belasteten Luft. Eine Behandlung des sauren Regens erfolgte in einer bemerkenswert systematischen Weise schon 1852 in the Memoirs and Proceedings of the Manchester Literary and Philosophical Society „On the air and rain of Manchester“ von Robert Angus Smith68; er prägte den Begriff acid rain. In seinem 1872 in London erschienenen Buch „Air and Rain: The Beginning of a Chemical Climatology” mit dem erstmals verwendeten Begriff „Chemische Klimatologie“ unterschied er drei verschiedene Belastungstypen in Abhängigkeit von der Entfernung von der Stadt zum ländlichen 68 Robert Angus Smith (1817-1884) Schottischer Chemiker, der sich mit zahlreichen Umweltfragen befaßte. Er wurde 1863 Queen Victoria's erster sog. Alkali-Inspector (Alkali Acts Administration, mit dem Grenzwerte der HCl-Emission von Alkaliwerken gesetzt und deren Einhaltung auch kontrolliert wurde). Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 125 Gebiet hin: „... that with carbonate of ammonia in the fields at a distance, that with sulphate of ammonia in the suburbs and that with sulphuric acid or acid sulphate, in the town”. Als einen wohl ersten Kausalzusammenhang zwischen belasteter Luft, den Ursachen und Wirkungen dürfte die Beschreibung der klassischen Waldschäden (damals Rauchschäden genannt) durch Julius Adolf Stöckhardt69 (1809-1886) gelten, die auf durch Kohlehütten emittiertes SO2 (damals als gasförmige schweflige Säure bezeichnet) zurückgeführt wurde (Stöckhardt 1850, 1871; Schroeder und Reuß, 1883). Bereits um die Jahrhundertwende wurden Begriffe wie „Säuregehalt der Luft“, „Saures Niederschlagswasser“, „saurer Nebel“ und „Luftrecht“ wie selbstverständlich gebraucht (Wislicenus 1916). Die SO2-Emissionen aus den böhmischen Braunkohlekraftwerken führten in den 1970er Jahren schließlich zum völligen Absterben der Fichten in den Höhenlagen des Osterzgebirges (Däßler 1991). Hohe Konzentrationen von Schwefeldioxid, verbunden mit Nebel und hohem Aerosolgehalt führten 1952 in London zu der berüchtigten Katastrophe70, wobei innerhalb weniger Tage 4000 Menschen mehr verstarben als statistisch erwartet71 – dieses Ereignis führte zu einem extensiven Studium der atmosphärischen Schwefel-Chemie (Wilkins 1954) und prägte den Begriff London-Smog (auch Wintersmog genannt). Vegetationsschäden, die dann viel später (in den 1980er Jahren) unter dem Namen neuartige Waldschäden bekannt wurden, sind bereits 1944 im Großraum von Los Angeles festgestellt worden (Middleton u.a. 1950). Schon wenige Jahre später wurde von Haagen-Smit und Mitarbeitern (Haagen-Smit 1952; Haagen-Smit u.a. 1952, Haagen-Smit und Fox 1954) deren Ursache in der photochemischen Ozonbildung aus Kohlenwasserstoffen, die von Autos emittiert werden, beschrieben. Seit dieser Zeit wird vom Los-Angeles-Smog (auch als Sommersmog, photochemischer Smog oder Ozonsmog bezeichnet) gesprochen. Der Begriff smog wird aus den Wörtern smoke (Rauch) und fog (Nebel) abgeleitet. Er wurde aber schon weit früher geprägt, im Jahr 1905 auf dem Londoner Hygienekongreß (Guderian, 2000). Das Problem saurer Regen entstand im größeren Ausmaß in den 1960er Jahren, als ein weitverbreitetes Fischsterben in den Gewässern Skandinaviens beobachtet wurde (Odén 1976). Es wurde ebenfalls als eine begleitende Ursache der neuartigen Waldschäden, die in Mitteleuropa in den 1980er Jahren registriert wurden, angesehen (Ullrich and Pankrath 1983). Wie kaum ein anderes Umweltproblem wurde saurer Regen in das allgemeine Interesse gestellt und führte bis zur Mitte der 1990er Jahre zu einer weltweit stimulierten Forschung (Brimblecombe 1996). Stumm u.a. (1983) haben das Phänomen Versauerung treffend beschrieben als ein Ergebnis des „Budgets zwischen den in einem Reservoir existierenden Basen und Säuren“. Das Budget ist schließlich ein Gleichgewichtszustand infolge der Wechselwirkung aller biogeochemischen Kreisläufe einschließlich des Wasserkreislaufes. Folglich führt jede anthropogene Störung der Kreisläufe zu einer sich ändernden Azidität (Möller 1999b). Von dem Klima 69 70 71 Als ältestes ohne zeitliche Lücken bestehendes chemisches Institut in Deutschland gilt das Institut für Pflanzen- und Holzchemie in Tharandt (an der TU Dresden), gegründet 1847 von Stöckhardt, welcher den Lehrstuhl für landwirtschaftliche Chemie an der Tharandter Forstlichen Akademie erhielt (Wienhaus und Däßler 1991, Wienhaus 1999). Es wird bereits über frühere Umweltkatasrophen (Smogs) berichtet: Dezember 1930 in Maastal bei Lüttich erkrankten zahlreiche Menschen an Husten, Brustschmerzen, Erbrechen, Lungenschäden und Kreislaufversagen infolge einer Inversion; etwa 60 ältere Menschen sterben dadurch. Oktober 1948 in Donora (Washington, USA): 20 Tote und 700 Erkrankte (Ursache: saurer Nebel). Sachlicherweise muß festgehalten werden, daß die zusätzlichen Todesfälle auf natürliche Weise in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten aufgetreten wären. In den Sterbestatisken nach diesem Verschmutzungsereignis muß zwanglos eine Verringerung der Sterbefälle auftreten. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 126 Eine erste umfassende Definition wurde von Alexander von Humboldt (1769-1859) in seinem 1845 erschienenen berühmten Werk „Kosmos. Erster Band. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“ (Abb. 5) gegeben. Abb. 5: Seite 340 aus dem „Kosmos“ von Humboldt mit seiner berühmten Klima-definition im zweiten Absatz Fig. 5: Page 340 from „Kosmos“ by Humboldt with his famous climate definition ion the second paragraph Sie basiert auf den wenigen systematischen meteorologischen Untersuchungen und Beobachtungen, die bereits vorlagen seit Ende des 18. Jahrhunderts, den geographischvegetationskundlichen Kenntnissen, die vor allem auf den Forschungsreisen gesammelt wurden und den Luftuntersuchungen, d.h sie enthält physikalische, geographische, biologische und chemische Elemente. Sie beruht aber auch auf den naturphilosphischen Erkenntnissen der Alten. Mit dieser Definition wird seit Hippocratus der biologische Wirkungsfaktor72 (insb. auf den Menschen) als wesentliche Bezugsgröße für das Klima angesehen. So bemerkt bereits Johann Gottfried von Herder (1744-1803) in seinem Werk „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 7. Buch“, unter Fußnote 123: 72 Die Bioklimatologie im heutigen Sinne wurde von Carl Wilhelm Dorno (1865-1945) geschaffen, nachdem er seine 1907 begonnenen Untersuchungen zu den Faktoren des Hochgebirgsklimas auf die Gesundheit des Menschen in seinem Buch „Licht und Luft im Hochgebirge“ (1911) publizierte. Heute (nachdem sich in den 1930er Jahren die Balneologie als Bäderheilkunde etablierte) existiert auch die Medizinische Klimatologie als Disziplin. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 127 S. Hippokrates, »De aëre, locis et aqius«, vorzüglich den zweiten Teil der Abhandlung. Für mich der Hauptschriftsteller über das Klima. Der Königsberger Philosoph Immanuel Kant (1724-1804), der als größter Denker73 der Neuzeit gilt, hat mit seinem 1755 erschienenen Werk „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebäudes, nach Newtonischen Grundsätzen abgehandelt“ erstmals eine zusammenfassende Darstellung der Erdbeschreibung aus naturwissenschaftlicher (damals noch philosophisch genannt) Sicht vorgelegt. Kant kann auch als Begründer der (wissenschaftlichen) Geographie angesehen werden, wobei er den Raum-Zeit-Zusammenhang einführte74. Seine Vorlesungen zur physischen Geographie (wo auch auf den Luftkreis eingegangen wurde), erstmals 1756 gehalten, wurden aber erst 1803 als Mitschrift von D. F. Th. Rink (1770-1811) publiziert (Kautzleben 2004). Gerade die von Kant als allumfassende Wissenschaft strukturierte Geographie (in eine physische, mathematische und politische eingeteilt) stimulierte die Naturforscher des beginnenden 19. Jahrhunderts. Mit Humboldt und vor allem Lampadius75, einem Schüler Humboldts, begann die moderne Atmosphärenforschung. Lampadius schrieb im Vorwort des ersten (modernen) Lehrbuches der Meteorologie “Systematischer Grundriss der Atmosphärologie”, Freiberg 1806: ,,Bald nach meiner Ankunft in Freyberg wurde die Atmosphäre ein Gegenstand der Unterhaltung zwischen unserem vortrefflichen Mineralogen Hrn. Bergrath Werner und mir. Dieser würdige Gelehrte hatte schon stets in seinen Vorträgen, von der Nothwendigkeit die Atmosphäre als viertes Naturreich zu betrachten, gehandelt, und munterte mich auf - besonders als Beyhülfe für das geognostische Studium - über die Atmosphäre zu lehren." Humboldt hatte sich sehr darum bemüht, die Meteorologie zu institutionalisieren, was schließlich 1847 mit der Gründung des “Preußischen Meteorologischen Institutes” in Berlin gelang mit Mahlmann76 als ersten Direktor (der jedoch bald darauf verstarb), so daß Dove77 dessen Nachfolge für viele Jahre antrat. Kurze Zeit später wurden das “Physikalische Hauptobservatorium St. Petersburg” (1849)78 mit dem ersten Direktor Kupfer79 und die “Centralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus in Wien” (1851) gegründet. Mit der Schaffung der ersten globalen Karte der Temperatur- und Niederschlagsverteilung 73 74 75 76 77 78 79 Kant hatte in seinem „Streit der Fakultäten in drey Abschnitten“ trocken bemerkt (Kant 1798), daß bei der Einteilung der Fakultäten in die drei „oberen“ (die theologische, juristische und medizinische - die ihre Lehren aus der Bibel, dem Landesrecht und der Medizinalordnung anstelle vernünftigerweise aus der Vernunft, dem Naturrecht und der Physiologie ziehen) die „untere“, die philosophische, nicht weisungsgebunden ist sondern lediglich unter der Gesetzgebung der Vernunft steht. Ernst Haeckel hat Kant in seiner philosophischen Wirksamkeit als Philosophen mit der von Aristoteles im Mittelalter verglichen, kritisiert aber (zu Recht) dessen dualistische Weltanschaung mit teleologischer, d.h. zweckbestimmter Sicht („Schöpfungstheorie“) die zu inneren Widersprüchen in seinen Schriften führt (Haeckel, 1899, Anti-Kant, In: Die Welträtsel, Akademie-Verlag Berlin 1961, S 478-486 Wilhelm August Eberhard Lampadius (1772-1842) Prof. in Freiberg, Begründer der modernen Metallurgie Wilhelm Mahlmann (1812–1848) Dt. Meteorologe Heinrich Wilhelm Dove (1803-1879) Dt. Physiker, erster Ordinarius für Meteorologie an der Berliner Universität (1845), Direktor des königl. Preußischen Meteor. Inst., gilt als Schöpfer der vergl. Klimatologie Tatsächlich in dt. Sprache geführt; umbenannt in Main Geophysical Observatory (MGO) “Главная Геофизическая Обсерватория им. Воейкова” im Jahr 1924 (ГГО), wobei der Name A. I. Voeykov 1949 zugefügt wurde Adolf Yakovlevich Kupfer (Купфер, Адольф Яковлевич; Adolph Theodor Kupffer) (1799-1865) Rußlanddeutscher aus Kasan, Prof. für Physik, Mineralogie und Chemie in St. Petersburg, Mitglied der Akad. der Wiss. Rußlands Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 128 durch Dove80 im Jahr 184881 wurde die meteorologische Klimatologie begründet und die der damaligen Zeit weit vorauseilende Humboldt´sche Klimadefinition82 – die ja bereits den luftchemischen Wirkungskomplex im Sinne einer erst 150 Jahre später einsetzenden Immissionsklimatologie vorausnahm (Bernhardt 2003) – erheblich eingegrenzt. Mit der Anfang des 20. Jahrhunderts sich herausbildenden Bioklimatologie hat Loewy noch 1924 eine Begriffsbestimmung gegeben, die sich auf das Wohlbefinden des Menschen bezieht; er versteht ... im physiologischen Sinne unter Klima die Summe aller für einen Ort typischen atmosphärischen und terrestrischen Zustrände, durch die unser Befinden unmittlebar beeinflußt wird. Mit der beginnenden mathematischen Beschreibung der atmosphärischen Dynamik und Thermodynamik um 1850 (mit den Namen Helmholtz83, Ferrel84, Bezold85, Hann86, Margules87 und vieler anderer hier nicht genannter Wissenschaftler verbunden) etablierte sich die Meteorologie als wissenschaftliche Disziplion. Ein erstes Lehrbuch der Klimatologie wurde von Hann (1883) vorgelegt. Die theoretischen mathematischen Ansätze führten zwangsläufig zu einer Schwerpunktlegung des Klimabegriffs auf die quantifizierbaren meteorologischen Elemente. Hann führte die Definition des Klimas als „Gesamtheit meteorologischer Erscheinungen, die den mittleren Zustand der Atmosphäre an irgend einer Stelle der Erdoberfläche kennzeichnen“ ein. Diese Definition wurde prinzipiell von nachfolgenden großen Klimatologen wie Köppen (1906, 1923, 1931) und Schneider-Carius (1961) beibehalten und nur wenig modifiziert. Jedoch hatte Hann bereits in seinem in dritter Auflage 1908 erschienenen „Handbuch der Klimatologie“ unter den klimatologischen Elemente („Faktoren des Klimas“) auch die Zusammensetzung der atmosphärischen Luft beschrieben. So kann man – ohne daß es zu dieser Zeit explizit genannt wurde – bereits davon ausgehen, daß das chemische Wetter als ein Bestandteil des Klimas erkannt und akzeptiert wurde; die Schwierigkeit lag freilich darin, daß damals noch kein Spurengas quantitativ und routinemäßig gemessen werden konnte, eine Voraussetzung zur Erstellung einer (chemischen) Klimatologie. Köppen schreibt (1906): Mit dem Fortschritt des Wissens werden neue Gegenstände in die Zahl der klimatischen Elemente aufgenommen, wenn deren geographische Züge entschleiert werden. Erinnern wir uns, daß die Zusammensetzung der Hauptkomponenten der Luft und deren 80 81 82 83 84 85 86 87 Die engl. Zeitschrift Nature bezeichnete ihn in einem Nachruf als “Father of the Meteorology” in der Ausgabe vom 10. April 1879. Dove, H. W. (1848) Temperaturtafeln nebst Bemerkungen über die Verbeitung der Wärme auf der Oberfläche der Erde und ihre jährlichen periodischen Veränderungen. Eine in der Akademie der Wissenschaften gelesene Abhandlung. Berlin, Reimer, 116 S Humboldt´s Definition grenzt aber wiederum den Klimabegriff auf Elemente „die unsre Organe merklich afficiren“ ein, wobei wir heute wissen, daß zum Klima atmosphärische Zustände und Prozesse gehören, die nicht direkt auf den Menschen einwirken (z.B. stratosphärische Zirkulationen, die wesentlich unser Klima beeinflussen). Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz (1821–1894), Prof. für Physik, Anatomie und Physiologie in Berlin, Königsberg, Bonn und Heidelberg William Ferrel (1817-1891) USA-Mathematiker im Selbststudium der Werke von Bernoulli, Euler and Laplace. In 1882 trat er in den United States Army Signal Service ein, der erst 1891 U.S. Weather Bureau unter ziviler Verwaltung wurde. Wilhelm von Bezold (1837-1907) Prof. der Meteorologie in München und Nachfolger von Dove als Direktor des Preuß. Meteorol. Inst. Julius von Hann (1839-1921) 1874 bis 1897 Prof. der physikal. Geographie, Univ. Wien; 1897/00 Prof. der Meteorologie in Graz, anschl. bis 1910 wieder in Wien Max Margules (1856-1920) Öster. Meteorologe (geb. in Brody/Ukraine), 1885-1906 an der „Centralanstalt für Meteorologie Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 129 „Funktion“ am Ende des 19. Jahrhunderts bekannt war: N2, O2, H2O, CO288 und Edelgase. Als Fremdstoffe89 wurden bereits genannt, aber noch nicht (oder nur sporadisch) quantitativ nachgewiesen: O3, H2, H2O2, CH4, NH3, HNO3, H2S, HCl, CO, SO2, und Stäube (mit einigen Inhaltsstoffen). Ozon, Wasserstoff, Wasserstoffperoxid, Methan (Sumpfgas), Ammoniak und Salpetersäure (die beiden letzteren Substanzen wurden damals nur im Regenwasser als Ionen gefunden) wurden natürlichen Quellen zugeordnet; NH3 aber auch bereits anthropogenen Quellen (Abwässer). Die „sauren“ Komponenten H2S, SO2 und HCl wurden chemischen Fabriken, metallurgischen Hütten und Kohlekraftwerken zugeordnet, jedoch nur lokal in Städten und Industriegebieten für bedeutend gehalten. Es war bereits bekannt, daß Staubpartikel als Kondensationskerne wirken (und damit das Klima beeinflussen) und gesundheitliche Auswirkungen haben. Es bedurfte jedoch globaler Ausmaße anthropogener Emissionen, wie sie erst nach 1960 registriert wurden, um einen klimarelevanten Einfluß von „Fremdstoffen“ für wichtig zu halten90. An dieser Stelle muß festgehalten werden, daß die Frage, ob im Klimabegriff chemische Komponenten mit zu berücksichtigen seien, sich nicht auf anthropogene Spurenstoffe („Fremdstoffe“) in der Atmosphäre reduzieren läßt. Wenn wir Klima im weiteren Sinne als den Zustand und die Statistik des Klimasystems auffassen (Gates 1995), so kann Klima im engeren Sinne (alleine auf die Atmosphäre bezogen) folgendermaßen definiert werden: Klima bezeichnet den mittleren Zustand der Atmosphäre einschließlich seiner statistischen Charakteristik. Der mittlere Zustand wird durch die klimatischen Elemente beschrieben, welche die atmosphärische Eigenschaften an einem gegebenen Ort und zu einer bestimmten Zeit darstellen. Wetter bezeichnet den momentanen Zustand der Atmosphäre. Der momentane Zustand wird durch die meteorologischen Elemente beschrieben, welche die atmosphärische Eigenschaften an einem gegebenen Ort und zu einer bestimmten Zeit darstellen. Es sollte im Klimabegriff auch nicht mehr der Bezug auf die Wahrnehmung und Auswirkung auf den Menschen im Besonderen und das Leben im Allgemeinen explizit genannt werden – dieser Zusammenhang ergibt sich als ein Teilaspekt. Ein Klima hat vor der terrestrischen Besiedlung gegeben und wird es nach einem möglichen Aussterben der Menschheit geben. Sowohl Klima als auch Wetter sind damit eine Funktion von Raum und Zeit. Es liegt auf der Hand, daß der atmosphärische Zustand a) nicht nur von der in der Atmosphäre selbst ablaufenden Prozessen, sondern auch von den Wechselwirkungen zwischen der Atmosphäre aller an sie grenzenden Reservoire (Hydrosphäre, Biosphäre usw.) bestimmt wird sowie b) von allen in der Atmosphäre ablaufenden stofflichen und energetischen Prozessen abhängt, d.h. den physikalischen und chemischen Größen. Das Klimasystems versus Erdsystem und der Versuch einer Reduzierung der Disziplinen 88 89 90 Die Konzentration wurde mit 1/2000 = 500 ppm (Mangin, 1866) etwa doppelt so hoch angegeben, wie wir sie heute für die damalige Zeit annehmen. Bemerkenswerterweise wurde auch das an der Luft selbstentzündliche PH3 (Phosphin, Phosphorwasserstoff) bereits um die Mitte des 19. JH genannt als Ursache der „Irrlichter“ über Sümpfen und Friedhöfen. Erst in den letzten Jahren gewann PH3 wieder Aufmerksamkeit als Emißion bei anaeroben Prozessen, z.B. der Abfallbehandlung. Der Einfluß des Menschen auf das Klima durch veränderte Landnutzung, insb. Waldrodung wird bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts bechrieben (Reimann, 1857) und bemerkt, daß Fremdstoffe in der Luft wohl nur lokale Wirkungen ausüben. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 130 Das Klimasystem kann nach Gates (1975) aufgeteilt werden in die • • • • • Atmosphäre, Hydrosphäre, Kryosphäre, Lithosphäre und Biosphäre. Die Disziplin zu Erforschung dieses Gesamtsystems wurde mit Kant als physische Geographie91 bestimmt. Das Dilemma der Geographie besteht darin, daß der Gegenstand der Forschung (also das Erdsystem) so groß und komplex ist, daß sich zahlreiche eigenständige Disziplinen (nicht mehr als Subdisziplinen der Geographie aufzufassen) herausbildeten, wie z.B. Hydrologie, Ozeanographie, Meteorologie, Bodenkunde usw. (die alle wiederum Subdisziplinen aufweisen). Auf der anderen Seite bestanden bereits vor dem 19. Jahrhundert naturwissenschaftliche Disziplinen, wie die Physik, Chemie, Biologie und Geologie, welche nicht nur wesentliche Säulen darstellen für die Geowissenschaften92, sondern im Grunde ausreichend sind, um das Klima- und Erdsystem zu beschreiben. Die sog. Umweltwissenschaften haben sich in der späten zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausgebildet (beispielsweise atmosphärische Umweltforschung, Umweltchemie, Umweltmeteorologie usw.) als Disziplinen zur Erforschung der vom Menschen gestörten Umwelt. Da Physik und Chemie die Wissenschaften zur Erforschung der Materie sind93, sollten diese Säulendisziplinen selbst ausreichen, um die Struktur, Bewegung und Veränderung der Materie zu untersuchen. Das nachfolgende Schema stellt neben einer Rangfolge (die darin besteht, welche Disziplin auf eine andere zurückgreift zur Erfassung des jeweiligen Forschungsgegenstandes) auch den Versuch dar, die Umweltwissenschaften auf die drei Naturwissenschaften94 zurückzuführen: Mathematik Physik Chemie Biologie Geologie ........................ 91 92 93 94 Mathematik Physik Chemie Chemie Chemie Mathematik Physik Physik Physik Mathematik Mathematik Mathematik Es tut gut, sich die deutsche Bezeichnung Erdbeschreibung in Erinnerung zu rufen; gr. γράφω = schreiben. Hingegen sind die Endungen –kunde und –logie gleichbedeutend aus dem gr. λόγιος = gelehrt sein und λόγος = Ansicht, Meinung (u.v.a. Bedeutungen) abzuleiten. Begriffe mit der Endung –kunde sind (leider) in der deutschen Sprache als altertümlich aus dem Gebrauch gekommen. Es leuchtet ein, daß Erdkunde eine umfassendere Disziplin im Sinne deiner Erdsystemforschung darstellt. Die alten Begriffe Atmosphärenkunde (Luftkunde) und Atmosphärologie sind wesentlich treffender als Meteorologie, d.i. die Lehre von den in der Luft schwebenden Dingen (µετέωρος; vergl. den Begriff Hydrometeor). Neben den Geo- existieren die Kosmoswissenschaften, die den Raum außerhalb des Erdsystems zum Forschungsgegenstand haben. Wenn Geo- von gr. γή η = Erde abstammt, dann ist schwer einzusehen, daß die Bio- außerhalb der Geowissenschaften geführt werden. Wenn wir das Erdsystem als unsere Umwelt auffassen, dann sind im übrigen alle Wissenschaften a priori auch Umweltwissenschaften. Die Mathematik ist keine Natur-Wissenschaft, sondern erforscht selbstgeschaffene abstrakte Strukturen und deren Zusammenhänge. Wie man sieht, ließe sich die Chemie auf die Physik zurückführen und die Biologie auf die Chemie und Physik (was keine neue Idee ist). Es bleibt aber sinnvoll, neben den grundlegenden physikalischen Prinzipien, spezielle chemische (Stoffwandlungen) und biologische (Stofforganisation im Sinne von „Leben“) separat zu betrachten. Alle anderen Disziplinen hingegen lassen sich auf die drei genannten reduzieren und unterscheiden sich lediglich in ihrer gegenständlichen und räumlichen Abgrenzung. Allen Disziplinen ist zueigen, daß sie methodisch in Phänomenologie (Erscheinungskunde), Morhphologie (Gestaltskunde), Physiologie (Funktionskunde) und Systematik unterteilt werden können. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 131 Die Klimatologie als Lehre (Kunde) vom Klima ist zwangsläufig ein Teilgebiet der Meteorologie (Atmosphärenkunde). Es bedarf keiner Diskussion, neben der (atmosphärischen) Physik auch die (atmosphärische) Chemie als deren Bestandteil anzusehen95. Die atmosphärische Chemie (auch Luftchemie oder Atmosphärenchemie) kann andererseits als eine Disziplin der Chemie (eine sog. angewandte96) aufgefaßt werden. Nach heutigem Sprachgebrauch ist sie auch ein Teil der Umweltchemie97, die sich dann zwangsläufig in die (etablierten) Disziplinen - atmosphärische Chemie (Chemie der Atmosphäre), aquatische Chemie (Chemie der Hydrosphäre), Geochemie (Chemie der festen Erde), welche sich räumlich ab- und eingrenzen, aufgeteilen. Im Unterschied zur Hydro-, Atmos- und Lithosphäre98 läßt sich die Biosphäre hingegen als Lebensraum nicht ausreichend definieren. Der Begriff wurde erstmals von Suess99 eingeführt100 aber nicht weiter vertieft, bis Vernadski101, der sich mit den Fragen des Einflusses des Lebens auf die Geologie und Chemie der Erde befaßte, ihn umfassend definierte. Danach ist es eine Sphäre, die vom Lebenden selbst gebildet wird, die Gesteinshülle (Lithosphäre), die Wasserhülle (Hydrosphäre) und die Gashülle (Atmosphäre) des Planeten Erde durchdringt, integriert und ihre Beschaffenheit zutiefst bedingt. Vernadski (1926) schrieb, daß die Biosphäre der Teil der Erdhülle ist, in welcher geochemische Prozesse als Folge biochemischer Lebensaktivitäten ablaufen, sich adaptieren und evolutionär verändern. Vernadski hat als Erster die Idee biogeochemischer Stoffkreisläufe auf globaler Skala entwickelt. Es war dann für ihn nur noch ein kurzer Schritt (1931) zum Begriff der Noosphäre. Er schrieb: Мы как раз переживаем ее яркое вхождение в геологическую историю планеты. В последние тысячелетия наблюдается интенсивный рост влияния одного видового живого вещества — цивилизованного человечества — на изменение биосферы. Под влиянием научной мысли и человеческого труда биосфера переходит в новое состояние - в ноосферу. Unter der Einwirkung der menschlichen Tätigkeit hat sich die Biosphäre evolutionär verändert und zeigt sich heute in einem neuen Zustand, der Noosphäre102. Heute hat sich der Begriff Anthroposphäre103 durchgesetzt. 95 96 97 98 99 100 101 102 Man kann die Meteorologie aber nicht ausschließlich reduzieren auf die Physik und Chemie der Atmosphäre, da eine räumliche (geographische) Komponente wesentlich ist für die Zustandsbeschreibung der Atmosphäre: Temperatur und (beispielsweise) SO2-Konzentration sind ein Ergebnis physikalischer und chemischer Prozesse in der Atmosphäre, deren (räumliche) Verteilungsdarstellung weder Gegenstand der Physik noch Chemie, sondern Gegenstand der Geographie, genauer, der Klimatologie ist. Louis Pasteur sagte: es gibt keine angewandte Wissenschaft, es gibt nur Anwendungen der Wissenschaft. Oftmals auch mit ökologischer Chemie gleichgesetzt, die sich als eine Fachrichtung definiert, die sich mit den „stofflichen Konsequenzen anthropogenen Handelns chemisch auseinandersetzt“ (von Friedhelm Korte 1968 begründet). Sie begrenzt sich damit ausschließlich auf anthropogene Ursachen („Umweltchemikalien“), während die atmosphärische Chemie auch natürliche Prozesse untersucht. Üblicherweise werden die Litho- (feste Gesteinssphäre) und die Pedosphäre (Bodenhülle) unterschieden, wobei die Pedosphäre die Grenze zwischen Atmosphäre und Lithosphäre bildet. Eduard Suess (1831-1914) österr. Geologie In seinem in drei Bänden 1883-1905 erschienenen Werk “Das Anlitz der Erde”, welches als Standardlehrbuch der Geologie zu damaliger Zeit galt. Wladimir Iwanonowitsch Vernadski (1863-1945) russ. Geochemiker Pierre Teilhard De Chardin (1881-1955), ein Jesuit, hatte 1925 das Konzept der Noosphäre eingeführt als eine Sphäre der Gedanken oder des Lebens, die der Biosphäre aufgesetzt ist. Er schrieb: „Der Mensch entdeckt, daß er nichts weiter ist als die Evolution, welche ihm bewußt wird. Das Bewußtsein eines Jeden von uns ist die Evolution der Sicht auf uns selbst und die Reflexion von uns selbst“. Dasselbe Konzept wurde vom frz. Mathematiker und Philosphen Edouard Le Roy (1870-1954) genutzt (L'exigence idealiste et le fail Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 132 Wir sehen, die Idee der Wechselwirkung zwischen menschlicher Gesellschaft und Biosphäre ist nicht neu, wird aber heute im Sinne des Verstehens des Erdsystems und Klimawandels von Schellnhuber (1999) als global mind und von Crutzen (2002) als anthropozene charakterisiert. Abb. 6: Schema der wechselseitigen Durchdringung von Klimasystems, Atmosphäre, Biosphäre und Technosphäre; Pfeile stellen stoffliche und energetische Flüsse dar Fig. 6: Scheme of interrelatetad penetration between climate system, atmosphere, biosphere and technosphere; arrows show matter and enegy fluxes solar radiation ATMOSPHERE substance (chemical processes) energy (physical processes) CLIMATE SYSTEM TECHNOSPHERE BIOSPHERE Der ebenfalls verwendete Begriff der Geosphäre, definiert als alle am Aufbau der Landschaft beteiligten Sphären, hat die Schwierigkeit, sich über den schlecht faßbaren Begriff der Landschaft zu bestimmen und zudem einen eingegrenzten erdoberflächennahen Raum zu bestimmen. Es macht wenig Sinn, zwischen den Begriffen „Biosphäre – Geosphäre – Umwelt – Ökosphäre – Noosphäre – Erdsystem – Natur“ strenge Unterscheidungskriterien finden zu wollen. Es handelt sich um räumliche Systeme unserer Erde, in denen physikalische, chemische und biologische Prozesse ablaufen: sie alle stellen unseren Lebensraum dar. Inwieweit die Prozesse sich einander bedingen, also komplex verbunden sind, ist keine disziplinbildende Fragestellung sondern Forschungsgegenstand aller auf die Natur und Gesellschaft bezogenen Wissenschaften. Eine Umwelt-Disziplin daher lediglich auf die Erforschung der vom Menschen versursachten Erscheinungen und Folgen begrenzen zu wollen, macht keinen Sinn mehr, da das Gesamtsystem inzwischen völlig vom Menschen durchdrungen ist. Anstelle der Umweltwissenschaft ist die Natur-Wissenschaft im wahrsten Sinne des Wortes wieder gefragt. Noch einmal Vernadski im Zitat104: 103 104 d'evolution. Paris, Alcan, 1927); beide traf Vernadski in Paris Mitte der 1920er Jahre (Вернадский В.И.: Несколько слов о ноосфере. Успехи соврем. биол., 1944, 18, pp113-120). … weil der Begriff Noosphäre in der früheren Sowjetunion und den ehemaligen „sozialistischen“ Ländern verwendet wurde. Niemals in der Geschichte des menschlichen Denkens, besaßen die Idee und Empfindung eines einheitlichen Ganzen, des kausalen Zusammenhangs aller wissenschaftlich beobachtbaren Erscheinungen diese Tiefe, Schärfe und Klarheit wie sie es jetzt erreichten, im 20. Jahrhundert. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 133 Никогда в истории человеческой мысли идея и чувство единого целого, причинной связи всех научно наблюдаемых явлений не имели той глубины, остроты и ясности, какой они достигли сейчас, в XX столетии. Klimawandel bedeutet die Veränderung der Atmosphäre. Globaler Wandel (global change) bedeutet Veränderung des Erdsystems, d.h. eine weitere evolutionäre Veränderung der Biosphäre. Klimawandel ist – wie das Klimasystem zum Erdsystem – eine Teilgröße des globalen Wandels. Der enge Zusammenhang versteht sich von selbst. VERÄNDERUNG DER ATMOSPHÄRE Die Veränderung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre erfolgt durch natürliche bio- und geochemische sowie geophysikalische Prozesse sporadisch (z.B. Vulkanausbrüche) und quasikontinuierlich (z.B. in biologischen Kreisläufen). Über (im geologischen Sinne) kurze bis mittlere Zeiträume kann das Klimasystem quasistationär betrachtet werden, d.h. die Stoffe bewegen sich in biogeochemischen Stoffkreisläufen, was für die Atmosphäre annähernd Emission = Deposition bedeutet. Über große Zeiträume hatte sich die Atmosphäre evolutionär verändert, im wesentlichen durch die biosphärische Evolution. Am Anfang der Erdgeschichte spielten auch maßgeblich kosmogene und geogene Prozesse der Erdgestaltung eine dominierende Rolle. Auf die (langsame) physikalische Alterung des Erdsystems wurde bereits von Claußen im ersten Beitrag hingewiesen. Wir wollen hier die vom Menschen verursachten bedeutenden Änderungen der Luftzusammensetzung skizzieren, die alle – direkt oder indirekt – durch anthropogene Emissionen ausgelöst werden. Solange die stoffspezifischen Emissionsraten klein waren im Vergleich zu natürlichen Emissionen waren auch die Konzentrationsänderungen klein (oder lediglich von lokaler Bedeutung). Auch kann davon ausgegangen werden, daß die Biosphäre einen geringen Teil anthropogen freigesetzter Stoffe „assimilieren“ kann. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber überschritt die Emission einer Anzahl von Substanzen diejenige Rate natürlicher Prozesse (z.B. bei Stickstoff und Schwefel) und verlagerte sich zugleich von einem regionalen zu einem globalen Belastungsproblem. Andere Substanzen (z.B. einige halogenierte Kohlenwasserstoffe) waren bisher in der Natur „unbekannt“. Bei weiteren Substanzen (z.B. Kohlendioxid, Distickstoffmonoxid), die teilweise in erheblich größeren Mengen natürlich emittiert werden, wurden dennoch große Konzentrationsanstiege in der Atmosphäre registriert, weil die Stoffe eine große Verweilzeit aufweisen und nicht im Emissionszeitraum wieder proportional in natürliche Zyklen integriert werden können. Entsprechend unserer neuen umfassenden Klimadefinition sollen die emittierten Substanzen Eigenschaften aufweisen, die den Wirkungscharakter der Atmosphäre (direkt und/oder indirekt) ändern oder beeinflussen. Das sind folgende physikalisch-chemischen Eigenschaften (wobei eine Substanz mehrere aufweisen kann): • • • • • • • Toxizität (Wirkung auf Lebewesen), Azidität (Verschiebung des Säure-Base-Gleichgewichts), Oxidationskapazität (Redoxpotential), Hygroskopizität (Fähigkeit als Wolkenkondensationskern zu agieren), Fähigkeit zur Strahlungsabsorption, insb. im IR („Treibhausefekt“), Fähigkeit zur Lichtstreuung und –reflexion, Fähigkeit zur Störung natürlicher chemischer Zyklen und Gleichgewichte in der Atmosphäre (insb. durch Radikalbildung). Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 134 Die Eigenschaften „Hygroskopizität“ und „Lichtreflexion“ werden ausschließlich von partikelförmigen Spurenstoffen (atmosphärisches Aerosol) ausgeübt. Durch chemische Umwandlung in der Atmosphäre entstehen neue Stoffe mit teilweise anderen Eigenschaften: CH4 N2O SO2 HVOC → CO2 → NOx/NOy → Sulfataerosol → Cl, F, Br, CO2 Wir beschränken uns im nachfolgenden auf ausgewählte Substanzen, die von besonderer Klimarelevanz sind: Treibhausgase CO2 CH4 N2O Azidität, Hygrosk., Streuunga SO2 Oxidantienb Ozonbildner CH4 stratosphär. Ozonzerstörer a nach Oxidation zum Sulfat und Partikelbildung b sekundäre Bildung in der Atmosphäre aus sog. „Vorläufersubstanzen“ c halogenierte Kohlenwasserstoffe O3 HVOCc O3 H 2O 2 HVOCc Emissionen Mit der Seßhaftwerdung des Menschen hat er sich auch schrittweise unabhängiger gemacht von den streng regelnden Zwängen der Evolution, die einem kontinuierlichen Vermehrungsprozeß durch natürliche Selektion entgegenwirkt. In der erdgeschichtlich kurzen Zeitspanne von 10000 Jahren (also nach der letzten Eiszeit) vermehrte er sich von etwa 5⋅106 auf gegenwärtig 6000⋅106 Menschen. Die Siedlungsdichte hat sich dabei um den Faktor 1000 (0,25 auf 250 Menschen⋅km–2) und der spezifische Energieverbrauch um den Faktor 100 (0,1 auf 10 kW⋅Kopf–1⋅d–1) erhöht (Guderian 2000). Der „absolute Streßfaktor“ ist somit um den Faktor 105 angestiegen. Dabei muß bedacht werden, daß diese Entwicklung annähernd exponentiell verlief, d.h. 90% des Anstieges in den letzen 100 Jahren stattfand. Das Bevölkerungwachstum verlief um die Mitte des 20. Jahrhunderts teilweise überexponentiell. Erst in den letzten Jahren zeigt sich ein Abschwächen der Zunahme der Weltbevölkerung, die möglicherweise in eine Sättigungsfunktion gegen Ende dieses Jahrhunderts übergeht (Abb. 7). Neben dem Anstieg der globalen Bevölkerung (den man in erster, allerdings sehr grober Näherung proportional zu allen Verbrauchsgrößen wie Nahrungsmittel, Energie und Rohstoffe setzen kann), besteht in der Zukunft die größte Unsicherheit in a) der Entwicklung des spezifischen Energieverbrauchs (bzw. –bedarfs) und b) der Zeitkonstanten des Energie- und Rohstoffträgerwechsels (Transfer von fossilen Rohstoffen). In der Vergangenheit war der Anstieg von globalen Emissionen nicht linear mit dem Anwachsen der Weltbevölkerung verbunden (Tab. 4). Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 135 1616 optimistisch op timistisch Bevölkerung (in 109 Menschen) 1414 pessimistisch pessimistisch Katastrop he Katastrophe 1212 Asien Asien 1010 88 66 44 22 00 1200 1200 1400 1400 1600 1600 1800 1800 2000 2000 2200 2200 Jahr Abb. 7: Entwicklung der Weltbevölkerung und Annahme verschiedener Szenarien (Daten der Weltbevölkerung bis 2020 nach UNESCO-Angaben), Szenarien des Autors (Möller 2003) Fig. 7: Growth of world population with different assumptions (data from UNESCO), scenarios from the author (Möller 2003) Tab. 4: Anstieg der Weltbevölkerung und ausgewählter Emissionen, nach Cullis und Hirschler (1989) Table 4: Increase of world population and selected global emissions (from Cullis and Hirschler, 1989) Weltbevölkerung CH4 (Landwirtschaft) CO VOC a Anzahl, b Tg a–1 1965 1 (3,344⋅109)a 1 (128,9)b 1 (468,1)b 1 (132,3)b 1970 1,10 1,09 1,35 1,30 1979 1,30 1,18 1,90 1,78 Es fällt auf, daß mit der Nahrungsmittelproduktion verbundene Emissionen (CH4, gilt aber auch für N2O) vor 1970 mit der Weltbevölkerung korreliert waren und nach 1970 geringer ansteigen, wohingegen mit technischen Entwicklungen (insb. Kraftfahrzeugverkehr) verbundene Emissionen (CO und VOC) überproportional mit der Zunahme der Weltbevölkerung ansteigen. Die gegenwärtigen regionalen Unterschiede im Pro-Kopf-Verbrauch (und umgekehrt der spezifischen Emission) liegen bei einem Faktor zwischen 10 und 20. Alle Prognosen gehen von einem starken Anstieg des Weltenergieverbrauchs aus, insbesondere vor dem Hintergrund einer Verdopplung der Weltbevölkerung und einem Anstieg der weltweiten Wirtschaftsleistung um den Faktor 3 bis 5 bis zum Jahr 2050 (Abb. 8). Global kann neben einer verstärkten Kohlenutzung für die nächsten 50 Jahre ausschließlich die Kernenergie die Differenz zum wachsenden Bedarf decken. Allerdings gehen Prognosen (US Dept. 2000) davon aus, daß Kernenergie in den heutigen Industriestaaten eher stagnieren wird und bis 2100 fast völlig zurückgeht, hingegen in Asien einen starken Anstieg erleben wird. So bleibt in Frankreich und Japan die Nutzung der Kernenergie bis 2020 konstant, in Asien steigt sie um den Faktor 2,5 und im restlichen Teil der Welt sinkt sie um den Faktor Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 136 0,73 (US Dept. 2000), s. Tab. 5. Keine Aussagen lassen sich über Fusionsreaktoren oder neuere Generationen von Fissionsreaktoren finden; damit verbleibt dieser Energiebereich reine Spekulation. Erneuerbare Energieformen (Wasser, Wind, Biomasse, Solarstrahlung u.a.) werden zweifellos stark anwachsen105, aber aufgrund ihrer raum-zeitlichen Randbedingungen von regional sehr unterschiedlicher Bedeutung sein; es ist abzusehen, daß sie in den nächsten 30 Jahren weder über einen globalen Anteil von 10% anwachsen, noch die Lücke des Energiewachstums schliessen werden. Abb. 8: Entwicklung und Prognose des Weltenergiebedarfs; nach Möller (2003) Fig. 8: Development and prognosis of world energy consumption (Möller 2003) 14 14 Kohle Kohle 12000 1200 12 12 Erdöl Erdöl 10000 1000 10 10 Energieverbrauch Energieverbrauch Weltbevölkerung Weltbevölkerung 8000 800 88 6000 600 66 4000 400 44 2000 200 22 00 00 1500 1500 Weltbevölkerung (in 109 Menschen) Energie (in EJ) und fossile Rohstoffe (in Mt a-1) 14000 1400 1600 1600 1700 1700 1800 1800 1900 1900 2000 2000 2100 2100 2200 2200 Jahr Tab. 5: Globale Anteile (in %) verschiedener Energieträger Table 5: Globale percentages (in %) o different energy carriers Ressource Gegenwart 1997 2020 2025 (Wellmer 2000) (US Dept. 2000) (US Dept. 2000) (Elistratov 2000) nuklear 6 7 6 20 erneuerbar 8a 8 9 10b Gas 30 22 25 50 Kohle 20 25 23 5 Öl 36 38 37 15 a im wesentlichen Wasserkraft b optimistische (nach Meinung des Autors völlig unrealistische) Schätzungen gehen von 50% aus Eine Konsequenz der weiteren verstärkten Nutzung fossiler Brennstoffe wird ein Anstieg der CO2-Emission sein. Ohne eine CO2-Begrenzung (die der Autor jedoch für unrealistisch 105 Politiker schmücken ihre Bestrebungen gerne mit solchen Aussagen, daß beispielsweise die Windkraftnutzung in den nächsten 20 Jahren um 300% zunimmt. Bei einem Ausgangsanteil von – sagen wir – 2% ist klar, daß damit das gesamte Energiewachstum nicht abgesichert werden kann. Natürlich bleibt das „Solarzeitalter“ einzige Alternative zum „fossilen Zeitalter“. Entscheidende (und m.E. gegenwärtig nicht beantwortbare) Fragen sind die nach dem Zeithorizont a) des Energiewechsels, b) einer „gefährlichen“ Klimaänderung sowie c) wie man diese Prozesse harmonisieren kann. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 137 hält) wird die Emission um ein Vielfaches ansteigen (Tab. 6). Es ist eher anzunehmen, daß die oberen Bereiche der IPCC-Abschätzung noch übertroffen werden, da die unteren Angaben lediglich einer einfache Proportionalität mit dem Anwachsen der Weltbevölkerung entsprechen, aber ein Anstieg des pro-Kopf-Verbrauches von 40% der Weltbevölkerung (Asien) um den Faktor 5-10 bis 2075 realistischer ist. Das würde unter Umständen zu einem doppelt so hohen Wachstum des Energiebedarfs führen (Tab. 6, letzte Spalte) mit entsprechenden Konsequenzen für die Emission (bzw. Anstrengungen nach Energieträgerwechsel und/oder Emissionsbegrenzung). Tab. 6: Entwicklung des Weltenergiebedarfs und der CO2-Emission Table 6: Development of world energy demand and CO2 emission Energie (in EJ a–1), Faktor CO2 (in Gt C a–1), Faktor Faktor Weltbe- Faktor nach IPCC (1996) Energie nach IPCC (1996) CO2 völkerung Energiec 1990 372 1 5,9 1 1 1 2025 488 1,3 5,9-13,5a, b bis 2,3 1,5 2,1 2050 580-700 1,6-1,9 4,7-18,5 bis 3,1 1,7 3,7 2075 650-930 1,7-2,5 3,5-25,9 bis 4,4 1,8 5,4 2100 720-1250 1,9-3,4 2,0-35 bis 5,9 1,9 7,2 a unterer Wert unter Annahme einer CO2-Verpressung in erschöpfte Erdgaskavernen b oberer Wert Maximum verschiedener Szenarien c Energiefaktor unter Berücksichtigung, daß 40% ein überproportionales Wachstum des Energieverbrauches haben werden Jahr Um den relativen Beitrag der verschiedenen Treibhausgase quantitativ ausdrücken zu können, wurden Faktoren als Treibhausgasäquivalent (greenhouse gas equivalents) eingeführt (IPCC, 1996), die den gewichteten Beitrag zum GWP über eine Zeitperiode von 100 Jahren ausdrücken: 1 (CO2), 21 (CH4), 310 (N2O), 6000 (CFC) und 23900 (SF6)106. Damit können GWP-Emissionen in Tonnen CO2-Äquivalent ausgedrückt werden und die Erntwicklung der Emission drückt unmittelbar den beitrag zum Klimaantrieb aus (Tab. 7). Eine der Schlüsselfragen des Klimawandels scheint der weitere Anstieg des atmosphärischen CO2 und der damit verbundene nichtlineare Klimaantrieb zu sein. Die Emissionsprognose ist sehr unsicher, da sie von der zukünftigen Energiebasis abhängt; es gibt einige Argumente, die für einen größeren Anstieg der Emission als die IPCC-Schätzung sprechen. Basierend auf der 1990-Emission wären das die Faktoren: 2025 3 2050 5 2075 8 2100 10 Tab. 7: Entwicklung der Treibhausgasemissionen (in Mt CO2-Äquivalent a-1) innerhalb der Länder der Europäischen Gemeinschaft (EU), nach EEA (2000) Table 7: Development of greenhouse gas emission (in Mt CO2 equivalent a-1) within the framework of EU, after EEA (2000) Substanz CO2 CH4 N 2O CFC a unbekannt 106 1990 3320 440 399 -a 1992 3269 414 377 - 1994 3217 387 375 - 1996 3359 374 392 58 1998 3328 367 360 - Kürzlich wurde ein neues Treibhausgas mit extrem langer Verweilzeit im antarktischen Eis entdeckt, SF5CF3 vermutlich ein Abbauprodukt des SF6, welches vor 1960 noch nicht in der Luft enthalten war (W. Sturges, Science, 289, 2001, p. 611). Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 138 CO2-Emission (in t Kopf-1 a-1) Abb. 9: CO2-Emission pro Kopf und Jahr für verschiedene Regionen, nach GEO (2000) Fig. 9: CO2 emission per capita and year for different regions of the world, after GEO (2000) 2020 5 11975 975 199 1995 1515 1010 55 00 Nordamerika 1 Europa + Westeuropa Lateinamerika 2 3 4 Zentralasien Asien + 5 Pazifik Afrika 6 Eine Verdopplung des CO2-Gehalts (gegenwärtig 365 ppm) führt zu einem Temperaturanstieg von 2,5 K (1,5-4,5) nach IPCC (2000). IPCC (1996) schätzte ein, daß eine Stabilisierung auf 550 ppm zu einer Temperaturerhöhung von 2,0-5,5 K führen würde. Eine Stabilisierung bei 550 ppm CO2 würde bedeuten, daß die mittlere globale pro-Kopf-Emission nur 5 t CO2 für das jetzige Jahrhundert betragen dürfte und 2100 auf unter 3 t reduziert werden müßte. Im Jahr 1995 betrug die Spanne der pro-Kopf-Emission zwischen weniger als 1 t (Afrika) und 20 t (Nordamerika) mit einem globalen Mittel von 4 t (Abb. 9); sie ist dabei für alle Regionen von 1997 bis 1995 gestiegen, außer für die Region der ehemaligen „sozialistischen“ Staaten Osteuropas und Rußlands, was ausschließlich auf den Zusammenbruch des Wirtschaftssystems zurückzuführen ist. Sie war vor 1990 wesentlich höher als in Westeuropa aufgrund einer wenig effizienten Energieversorgung auf Basis von Kohle. Selbst wenn es gelänge, die gegenwärtige CO2-pro-Kopf-Emission Europas von 8 auf unter 4 t a-1 zu senken (dafür gibt es jedoch für die nächsten Jahrzehnte keinerlei Hinweise), ist anzunehmen, daß die CO2-proKopf-Emission der anderen Kontinente (außer Nordamerika) steigen wird. Die Graphik zeigt eindeutig, warum die USA so zögerlich an eine Klimakonvention bezüglich der CO2-Senkung herantreten, schließlich verbrauchen sie pro-Kopf viermal mehr als der Weltdurchschnitt. Abb. 10: Entwicklung der SO2-Emission. Weltdaten bis 1950 nach Möller (2003) Fog. 10: Development of global SO2 emission (Möller 2003) 80 80 70 70 SO2-Emission (in 106 S a-1) 60 60 50 50 Welt Welt Welt REA) Welt(China (China mit mit REA) China China Europa Rußland) Europa(ohne (ohne Rußland) Westeuropa Westeuropa USA+UdSSR (bzw.(bzw. Rußland) USA und UdSSR Rußland) Rest der (ohneEU, EU, RU, USA) Rest derWelt Welt (ohne RU, USA) 40 40 30 30 20 20 10 10 00 1850 1850 1900 1900 1950 1950 Jahr 2000 2000 2050 2050 Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 139 Ein klimarelevanter „Gegenspieler“ zu Treibhausgasen ist das Schwefeldioxid, welches teilweise in der Atmosphäre Sulfataerosol bildet und damit direkt und indirekt (über Wolken als Kondensationskern) zu einer Abkühlung führt. Mit dem wenigstens bis 2050 vorauszusehenden weiteren Anstieg der Nutzung von Kohle muß zunächst ein Anstieg aller mit der Kohleverbrennung verbundenen Emissionen, insbesondere SO2 und Flugasche erwartet werden. Während moderne Entstaubungsanlagen mit einer langfristigen mittleren Abscheideeffektivität von mindestens 98% arbeiten, wird aber der Anteil feiner Stäube (Durchmesser < 1 µm) zunehmen. Einer Anwendung der Rauchgasentschwefelung (REA) – die im Mittel etwa zu einer 95%igen Entschwefelung führt – sind lediglich finanzielle, also ökonomische Grenzen gesetzt. Die seit 1990 in Nordamerika und Europa eingeführte REA führte zu einem starken Rückgang der entsprechenden regionalen Emissionen, die aber zunächst vom Anstieg in China kompensiert wurde (Abb. 10). China trägt zu 65% der asiatischen SO2-Emission bei; von 1985 bis 1997 wurden auch starke Anstiege der SO2-Emissionen in Indien (16% Anteil), Pakistan, Thailand und Indonesien (zusammen 9% Anteil) beobachtet (Streets u.a., 2000). Die weitere asiatische Entwicklung wird zweifellos von China bestimmt. Anfang der 1990er Jahre ging man noch von einem Anstieg der SO2-Emission auf 40-55 Tg S im Jahr 2020 aus; dieser Wert wurde von Streets u.a. (2000) um den Faktor 2 nach unten auf 20-22,5 korrigiert. Der Anstieg betrug zwischen 1985 und 1997 etwa 6% a–1 (konstante Emissionen werden nur für Japan und Korea angegeben) aber zwischen 1990 und 1997 nur bei 2,2% a–1. Momentan wird in China verstärkt die REA nachgerüstet und Neubauten grundsätzlich mitr REA ausgerüstet. Als Folge des starken chinesischen Wirtschaftswachstums kann man wohl eher mit einer verstärkten Abnahme der globalen SO2-Emission rechnen als noch in Abb. 10 dargestellt, was dann allerdings zu einer Verstärkung des Netto-Treibhauseffektes führen würde. Abb. 11: Entwicklung der Düngerproduktion (Möller 2003) Fig. 11: Development of global fertilizer production (Möller 2003) Düngeranwendung (in Mt a-1) 200 200 150 150 10 10 Weltdüngerverbrauch Weltdüngerverbrauch Entwicklungsländer Entwicklungsländer Stickstoff (Welt) Stickstoff (Welt) Industrieländer Industrieländer Weltbevölkerung Weltbevölkerung 99 88 77 66 55 100 100 44 33 50 50 22 11 00 1950 1950 Weltbevölkerung (in 109 Menschen) 250 250 00 1970 1970 1990 1990 2010 2010 2030 2030 Jahr Neben der Nutzung fossiler Rohstoffe für die Energiewandlung und Mobilität ist als zweite große Emittentengruppe die Landwirtschaft zu sehen. Mit CH4- und N2O-Emissionen werden bedeutsame Treibhausgase in die Atmosphäre abgegeben. Methan ist darüber hinaus verantwortlich für den globalen Sockelbetrag troposphärischen Ozons (Möller 2004). Zentrale Eingangsgröße für den landwirtschaftlichen Stoffumsatz und alle damit verbundenen Emissionen (über die Kette Pflanze-Tier) ist der Düngereinsatz (Abb. 11), der sich im Mittel proportional zur Weltbevölkerung seit 1950 entwickelt. Insbesondere der globale NDüngereinsatz zeigt eine erstaunliche Homogenität und Proportionalität zur Entwicklung der Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 140 Weltbevölkerung. Emissionsprognosen können sich daher an die weitere Entwicklung der Weltbevölkerung anlehnen. Es ist aus heutiger Sicht nicht zu erwarten, daß es eine prozeßbezogene Emissionsminderung von signifikantem Ausmaß geben wird. Konzentrationen „Klassische“ Treibhausgase (CO2, CH4 und N2O) In Abb. 12 sind die aus Eisbohrkernen gewonnenen Informationen zum CO2-Gehalt und der lokalen Temperatur (Station Vostok in der Antarktis) gezeigt. Es ist leider nicht möglich festzulegen, was Ursache und Wirkung ist (CO2 gegen T), z.B. die Aussage zu treffen, eine CO2-Verminderung verursachte eine Eiszeit. Man kann jedoch aussagen, daß ein Anstieg der Konzentation von Treibhausgasen mit einer Erhöhung der Temperatur verbunden ist (Schneider, 1991). 280 Temperaturänderung zur Gegenwart (°C) 240 +2,5 220 0 200 -2,5 180 CO2-Konzentration (ppm) 260 CO2-Konzentration Abb. 12: CO2-Kon-zentration (in ppm) verglichen mit der lokalen Temperatur-änderung, gewonnen aus dem Vostok-Eisbohrkern (Antark-tis), nach Schneider (1991) Fig.12: CO2 concen-tration 8in ppm) compared with temp-erature changes from the russian Vostok ice core in Antarctica, after Schneider (1991) -5,0 -5,5 Temperatur -10,0 0 40 80 120 160 Tausend Jahre vor Gegenwart Die berühmte Kurve des CO2-Anstiegs seit den späten 1950er Jahren vom Mauna-LoaObservatorium107 auf Hawaii ist in Abb. 13 dargestellt. Sie zeigt die deutlichen saisonalen Variation (bedingt durch biosphärische Atmung im Winter und Photosynthese im Sommer) und einen steten Anstieg des mittleren Wertes, der sich kaum unterscheidet von später begonnenen anderen Meßreihen auf der Welt (spezifische Unterschiede liegen in der Jahresamplitude; nur in urbanen Gebieten werden leicht höhere CO2-Werte gemessen). In den letzten 100 Jahren stieg die Konzentration von CO2 um etwa 25% während die des CH4 sich verdoppelte und die des N2O um etwa 15% anstieg (Tab. 8). Beeindruckend ist die aus im antarktischen Eis eingeschlossenen Luftblasen rekonstruierte historische Entwicklung der atmosphärischen Konzentrationen, die ausgezeichnet mit gemessenen Werten der neueren Zeit übereinstimmen (Abb. 14 und 15). 107 „Keeling-Curve“: 1958 von Charles Keeling begonnen und seitdem mit derselben Methode (IRGasanalysator) kontinuierlich fortgesetzt. Der mittlere Anstieg beträgt 15,2% von 315,83 ppm (Trockenluft) im Jahr 1959 auf 363,82 ppm 1997 (Jahresmittel). Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 141 Abb. 13: Atmosphärische CO2-Konzentration (in ppm) als Monatsmittelwert am Mauna Loa Observatorium, Hawaii; www.maunaloaobservatory.gov Fig. 13: Atmospheric carbon dioxide concentration (in ppm) as monthly averages measured at Mauna Loa observatory, Hawai; www.maunaloaobservatory.gov 370 CO2-Konzentration (in ppm) 360 350 340 330 320 310 1960 1970 1980 1990 Jahr Tab. 8: Historisch zeitliche Entwicklung der Konzentration von Treibhausgasen, nach Lelieveld u.a. (1998) Table 8: Historic increase of atmospheric greenhouse gas concentration, after Lelieveld et al. (1998) Jahr 1850 1900 1960 1990 1995 τ (in a) CO2 (in ppm) 287 296 316 354 360 50-200 CH4 (in ppb) 750 970 1270 1720 1730 7,9 N2O (in ppb) 260 292 296 310 312 120 carbon dioxide mixing ratio (in ppm) 350 Abb. 14: CO2-Konzen-trationen (in ppm) von verschiedenen antarktischen Bohrkernen (Markierungen) und Messungen am Südpol (Linie), nach Etheridge u.a. (1996) 330 Fig. 14: CO2 mixing ratios (in ppm) from different antarctic ice cores (markes) and atmospheric measurements at south pole (solid line), after Etheridge et al. (1996) 310 290 270 1000 1200 1400 1600 year 1800 2000 Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. ( ) 1600 Abb. 15: CH4-Konzentrationen (in ppb) von verschiedenen antarktischen Bohrkernen, nach Etheridge u.a. (1998) 1400 CH4 mixing ration (in ppb) 142 Fig. 15: CH4 mixing ratios (in ppb) from different antarctic ice cores, after Etheridge et al. (1998) 1200 1000 800 600 1000 1200 1400 1600 year 1800 2000 Abb. 16: N2O-Konzentrationen (in ppb) an der Station Cape Grimm (Tasmanien), vom CSIRO Fig. 16: N2O mixing ratio (in ppb) at Cape Grimm (Tasmania), from CSIRO N2O mixing ratio (in ppb) 315 310 305 300 1980 1985 1990 1995 2000 year Für die letzten Jahrzehnte kann als jährlicher mittlerer Anstieg angenommen werden: CO2 CH4 N2O 1-2 ppm ~ 3 ppb ~ 0,5 ppb. Der anthropogen bedingte CO2-Anstieg beträgt etwa 80 ppm in den letzten 150 Jahren, eine Größenordnung, die vergleichbar ist mit der Änderung nach der letzten Eiszeit, wobei die natürlichen Variationen danach maximal eine Amplitude von 40 ppm aufweisen mit einer Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 143 Zeitkonstanten von mehr als 1000 Jahren. Eine natürliche Abnahme der CO2-Konzentration auf das „natürliche“ Konzentrationsniveau (gleichbedeutend mit anthropogenen NullEmission) würde mehrere Hundert Jahre dauern. Ähnlich „katastrophal“ sieht der Anstieg der CH4-Konzentration über historische Zeiten aus (Abb. 15). Die atmosphärische Verweilzeit von Methan ist zwar bedeutend kürzer (etwa 8 Jahre) als die von CO2, aber genügend groß, um auch eine global weitgehend homogene Vermischung der unteren Atmosphäre zu ermöglichen (nur in Ballungsgebieten weren noch signifikant höhere Konzentrationen gemessen) und auch hier eine „Erholungsphase“ über einen Zeitraum von wenigstens 100 Jahren zu bedingen. Ozonabbauende Treibhausgase (chlorfluororganische Verbindungen) Viele Komponenten dieser Substanzklasse zeigen neben dem troposphärischenTreibhauseffekt vor allem ozonabbauende Eigenschaften in der Stratosphäre, was nach dem MontrealProtokoll von 1992 zu einem schrittweisen globalen Verbot ihrer weiteren Anwendung führte. Die atmosphärischen Verweilzeiten erreichen hier teilweise mehr als 100 Jahre. Die Konzentrationen der Substanzen mit einer relativ geringen Verweildauer zeigen aufgrund der Reduzierungsmaßnahmen entweder bereits Maxima und die mit einer längeren Verweilzeit bereits ein Sättigungsverhalten. Für beide Effekte (stratosphärischen Ozonabbau und troposphärischen Treibhauseffekt) kann eine „Erholungsphase“ von etwa 50-100 Jahren angenommen werden. Somit verbleiben als längerfristige Probleme die Verbindungen CO2, CH4 und N2O. Während das CO2-Problem durch einen Energieträgerwechsel prinzipiell gelöst werden kann, sind die beiden anderen Treibhausgase im wesentlichen mit mit der Nahrungsgüterproduktion verbunden; prinzipielle Lösungen deuten sich noch nicht an. Abb. 17: Entwicklung der atmosphärischen Konzentration (in ppt) verschiedener halogenierter Verbindungen an der Station Cape Grimm (Tasmanien), vom CSIRO Fig. 17: Record of mixing ratios (in ppt) of different halogenated carbon compound at Capa Grimm measuement station (Tasmania), from CSIRO Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 144 Ozon (O3) Ozon wird nicht direkt emittiert sondern, photochemisch in der Troposphäre aus sog. Vorläuferkomponenten (den primären Emissionen NO, CO und VOC) in einem komplizierten Mechanismus gebildet. Der Zusammenhang zwischen der Ozonkonzentration und den genannten primär emittierten Substanzen ist nicht linear und das NO betreffend sogar negativ in bestimmten Konzentrationsbereichen (s. Möller 2004). Marenco u. a. (1994) haben historische Daten vom Pic du Midi (französische Alpen) aus den Jahren 1885 bis 1909 mit gegenwärtigen Messungen verglichen und dabei weitere historische Meßwerte verschiedener Bergstationen aus dem Gebiet der Europäischen Alpen hinzugezogen, um einen Trend nachzuweisen (Abb. 18). Der exponentielle Anstieg ist beeindruckend signifikant (r2 = 0,97) und zeigt, daß die O3Konzentration jährlich um 1,54% angestiegen ist. In Abb. 18 sind jedoch auch andere (zuverlässige) Meßwerte (Arosa, Zugspitze über eine längere Zeitperiode) eingetragen, die durchaus Abweichungen vom stetigen exponentiellen Verlauf erkennen lassen. Die Marenco-Kurve wurde nicht unkritisch in der Fachwelt diskutiert, sind doch Werte aus den unterschiedlichen Höhen und Orten in einem Zusammenhang dargestellt (ausführlich bei Möller 2003 diskutiert). Abb. 18: Historischer Trend der Ozonkonzentration (nach Marenco u.a. 1994), zusätzlich eingezeichnete Ozonmeßdaten (nicht in der Trendkurve enthalten) von Arosa (nach Staehelin u.a., 1993) und der Zugspitze (nach UBA 2000). Trend: [O3] = 9,67⋅exp(0,0154⋅x), x Anzahl der Jahre (Anfangsjahr 1885 mit x = 0), r2 = 0,99. Sog. wahrscheinliche Werte (starke Linie) Fig. 18: Historic increase of ozone (after Marenco et al. 1994); additional date (not included within the trend line) from Arosa (after Staehelin et al. 1993) and Zugspitze (after UBA 2000). Trend [O3] = 9,67⋅exp(0,0154⋅x), x number of years (beginning 1885 with x = 0), r2 = 0,99. So-called probable values (solid line) 60 60 P ic du idi ( 3(3000 00 0 mm) ) Pic duMMidi 50 50 Jun gf r a ujo ch ( 35 0 0 mm) ) Jungfraujoch (3500 M o nt Ve n t oux ( (1900 1 90 0 mm) ) Mont Ventoux O3-Konzentration (in ppb) De utsc he Alp e n ( 10 4 6 mm) ) Deutsche Alpen (1046 40 40 Ho he n pe isse n be r g ( 1(1000 00 0 mm) ) Hoher Peißenberg Zugsp it ze ( (3000 30 00 mm) ) Zugspitze 30 30 Ar o sa ((1860 18 60 mm) ) Arosa d( h d Trend (ohne Arosa und Zugspitze) 20 20 10 10 00 11885 885 1905 19 05 11925 925 19455 194 11965 965 1985 5 198 2005 Jahr Die Konzentration bodennahen Ozons hat sich in den vergangenen 100 Jahren um den Faktor 2,5 erhöht (dabei verdoppelt seit 1950; vgl. auch Tab. 9). Es ist wahrscheinlich, daß die Meßwerte vom Pic du Midi aus der Periode 1885-1909 mit 10-12 ppb zu niedrig sind. Ein Wert um 9±2 ppb hingegen ist für die Zeit vor 1910 für das Flachland typisch (Beilke, 2000). Es ist auch eher anzunehmen, daß zwischen 1885 und 1935 die Ozonkonzentration nur wenig Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 145 angestiegen ist. Es scheint weiterhin, als ob zwischen 1935 und 1950 ein Stagnieren der Ozonkonzentration eintrat. Als wahrscheinliche Werte der historischen Ozonkonzentration in einer Höhe von 2000±1000 m für Mitteleuropa werden angegeben (in ppb), nach Möller (2003): 1885-1900 1930-1935 1950-1955 1990-1995 15-20 20-25 20-25 45-50 Tab. 9: Höhenabhängigkeit der Ozonkonzentration während zwei verschiedener Zeitperioden in der Umgebung von Arosa, Daten nach Staehelin u.a. (1994) Table 9: Dependence of ozone concentration from altitude for two different periodes in the surrounding of Arosa (after Staehelin et al. 1994) Höhe (in m) 800 1850 3450 Korrelation [O3] 1930er Jahre 17,5 22,5 27,5 [O3] = 12,5 + 5⋅z r2 = 1,00 [O3] 1980er Jahre 47 51 57 [O3] = 41,7 + 5⋅z r2 = 0,99 Es ist als zweifelsfrei anzusehen, daß der Anstieg der troposphärischen Ozonkonzentration eine Folge menschlicher Aktivitäten ist. Berechnungen mittels globaler Chemie-TransportModelle zeigen eine Verdopplung der globalen Ozonproduktion seit der vorindustriellen Zeit (Tab. 10). Tab. 10: Troposphärische globale Ozon-Quellen (in Tg a-1) Table 10: Tropospheric global ozone sources (in Tg yr-1) Quelle Photochemie Stratosphäre Summe Crutzen (1999) Wang u. a. (1998) Gegenwart vorindustriell 3940 480 4420 1780 480 2260 4100 400 4500 Seit Beginn der 1990er Jahre kann die weitere Entwicklung der Ozonkonzentration in Deutschland (und vielen Orten) als „widersprüchlich” angesehen werden. Einige Stationen zeigen ein Stagnieren der Jahresmittelwerte (beispielsweise die Zugspitze), andere Stationen zeigen einen weiteren Ozonanstieg. Die Analyse der Ozondaten von der Brocken-Meßstation hat ergeben, daß sich seit 1992 vor allem die Häufigkeitsverteilung verschiedener Konzentrationsklassen verändert hat: hohe und niedrige Ozonwerte nahmen ab, wohingegen mittlere Werte anstiegen. Offensichtlich scheint zu sein, daß die Anzahl der Überschreitungen hoher Ozonkonzentrationen (> 180 µg m-3) seit Mitte der 1990er Jahre in Deutschland signifikant zurückgegangen ist. Ebenfalls offenkundig ist, daß trotz einer starken Reduzierung von Vorläufersubstanzen (VOC und NO), insbesondere durch die Einführung von Automobilkatalysatoren, keine Minderung der mittleren Ozonkonzentration eingetreten ist. Im Zeitraum 19922000 ist das 90%-Perzentile der O3-Konzentration im Mittel von 15 Stationen in den Niederlanden im Sommer um 1,1 ppb a-1 gesunken, im Winter hingegen um 0,26 ppb a-1 gestiegen, insbesondere in urbanen Gebieten (Roemer, 2002). An Hintergrund-Stellen wurde generell ein Anstieg beobachtet; die Emissionen von NO und NMVOC sanken im Zeitraum 19801999 um 20-40% bzw. 40% in Mittelwesteuropa. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 146 Wasserstoffperoxid (H2O2) Im Unterschied zum Ozon wird die Konzentration von Waserstoffperoxid erst seit einigen Jahren an sehr wenigen Stellen systematisch gemessen obwohl diese Subtanz kurze Zeit nach dem O3 in der Atmosphäre entdeckt wurde108. Mit einem Anstieg der O3-Konzentration, wie er langfristig beobachtet wurde, muß auch eine Zunahme der entsprechenden Reaktionswege mit O3 angenommen werden. Ob dabei tatsächlich erstens H2O2 gebildet wird und zweitens dessen Konzentration zugenommen hat, bleibt spekulativ. Modellrechnungen von Derwent und Hough (1987) zeigen, daß mit einer Erhöhung der Emission von Nichtmethankohlenwasserstoffen (NMVOC) die H2O2-Konzentration wesentlich mehr ansteigt als die von O3. Aus den Modellergebnissen folgt, daß ein Anstieg der NMVOC-Emission um 25% eine Erhöhung der O3-Konzentration um 8% bewirkt, wohingegen die H2O2-Konzentration um 48% ansteigt. Umgekehrt bewirkt ein Anstieg der NOKonzentration eine überproportionale Abnahme der H2O2-Konzentration. Dieses Ergebnis ist konsistent mit den späteren Beobachtungen (Gilge u. a., 2000). Aus diesen Fakten und Argumenten läßt sich schlußfolgern, daß die H2O2-Konzentration im Zeitraum 1955 bis 1980 wesentlich stärker angestiegen sein könnte als die O3-Konzentration, vor allem aufgrund der starken Zunahme der NMVOC-Emission aus dem Verkehrsbereich. Lelieveld (2001) hat mit einem globalen Modell berechnet, daß die H2O2-Bildung aus HO2 in der Gasphase seit der vorindustriellen Zeit um 60% angestiegen ist, und als Konsequenz auch dessen Deposition (Zahlen in Tmol a-1 vorindustriell/gegenwärtig): 56/88 27/41 HO2 → H 2 O2 → Abbau durch OH und hν ↓ 29/47 Deposition In diesem Modell sind aber weder andere Bildungs- noch Abbauwege über die Flüssigphase berücksichtigt worden. Thompson (1992) berechnete auf der Basis eines globalen Gasphasen-Oxidantienmodells einen Anstieg der H2O2-Konzentration um 50% zwischen 1980 und 2030, allerdings ohne Berücksichtigung der Flüssigphasen-Schwefelchemie. Die Unsicherheit solcher Berechnungen ersieht man daran, daß Thompson u. a. (1991) für den globalen Anstieg lediglich 22% berechneten (bei Annahme eines weiteren Anstiegs der Emissionen von CH4 und CO um 1% a-1), wobei in der urbanen Grenzschicht ein H2O2-Anstieg von bis zu 100% angegeben wird. Gleichzeitig sollen sich die globalen Konzentrationen von O3 und HO2 um 13 bzw. 8% erhöhen, hingegen die von OH um 10-15% vermindern. Die Relationen sind plausibel und auch das Ergebnis, daß die Konzentration von H2O2 mehr ansteigt als die von O3. Langzeitmessungen existieren nicht, um diese Aussagen zu stützen. Die einzigen bekannten Messungen über mehrere Jahre (1988 bis 1994) wurden in Harwell (England) durchgeführt (Dollard und Davies 1993). Diese Zeitperiode betrifft allerdings bereits die Sättigungsphase bzgl. der NMVOC-Emission (zumindest in Westeuropa), aber auch die Phase der Einführung der Rauchgasentschwefelung. Leider wurden die Messungen 1992 unterbrochen und offensichtlich erfolgten dabei Änderungen in der Meßnordnung (in der Originalliteratur finden sich dazu keine Angaben), da der Mittelwert der zweiten Periode geringer ist als der von der ersten Periode 1988-1991, obwohl in beiden Perioden ein positiver Trend bebachtet wurde. Die Autoren geben für 1988 bis 1991 einen Anstieg der H2O2-Konzentration von 0,15 auf 0,3 ppb mit +0,028 ppb a-1 (r2 = 0,83) an, d.h. eine Verdopplung innerhalb von nur 4 Jahren (!). 108 Das hängt mit der aufwendigen und komplizierten Meßmethode zusammen. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 147 Eines der spektakulären Forschungsergebnisse der letzten Zeit ist der in Grönländischen Eisbohrkernen gefundene Anstieg der H2O2-Konzentration um etwa 60±12% in den letzten 150 Jahren (Sigg und Neftel, 1991; Anklin und Bales, 1997). Allein der Anstieg in der Periode 1975 bis 1995 macht 80% der gesamten Zunahme aus. Allgemeine anthropogene Aktivitäten, welche unmittelbar die H2O2-Bildung beeinflussen könnten (Strahlung, CO-CH4-Chemie) können diesen dramatischen Anstieg (Abb. 19) nicht erklären. Möller (1999b, 2002c) hat eine Erklärung für den beobachteten Anstieg unter Betrachtung der Quellen und Senken im Multiphasensystem gegeben und die Rauchgasentschwefelung – aufgrund des fehlenden SO2 als Hauptsenke für atmosphärisches H2O2 – für den Anstieg verantwortlich gemacht. Der dramatische Anstieg des H2O2 im Eis und der daraus ableitbare Anstieg der atmosphärischen Konzentration soll hier nicht im Einzelnen erläutert werden (s. Möller 2002c). Er ist ein Ergebnis verschiedener Wechselwirkungen sich im komplexen Klimasystem verändernden Parameter (insbesondere der Reduzierung atmosphärischen SO2). Abb. 19: Vergleich zwischen den 10-jährigen Mittelwerten der H2O2-Konzentration im Grönland-Eisbohrkern (vor 1988 nach Sigg und Neftel, 1991; 1988 bis 1995 nach Anklin and Bales, 1997) in µmol l-1, der SulfatKonzentration im Grönland-Eisbohrkern in ng g-1 (nach Delmas, 2002), letzter Wert 1990-1992; der Weltbevölkerung in 109 Menschen und der Summe der SO2-Emission Nordamerikas (nach Gschwandtner u. a., 1986) und Westeuropas (nach Mylona, 1996) in 107 t S a-1 (letzter Wert 1990-1995). Typische Fehlerbreiten: ±10% für die Konzentration im Eisbohrkern, ±20% für die SO2-Emission vor 1990, ±50% für den Wert von 1990-1995; in der Eiskern-Sulfat-Kurve führten folgende Vulkaneruptionen zu Erhöhungen gegenüber dem Hintergrund: Tambora (Indonesien) 1815, Cosiguina (Nikaragua) 1835, Santa Maria (Guatemala) 1902, Katmai (Alaska) 1912 W elt bevölkerung H2O2 im Eiskern SO2-Em ission Sulfat im Eiskern 8 120 7 100 6 80 5 60 4 3 40 2 20 1 0 0 1800 1830 1 850 1970 1890 1910 Jahr 1930 1950 1970 199 0 [Sulfat]-Eiskern (in ng g-1) Weltbevölkerung (in 109 Menschen) SO2-Emission (in Tg S a-1), [H2O2]-Eiskern (in µMol l-1) Fig. 19: Comparison between 10-year means of H2O2 concentration in Greenland ice cores (before 1988 after Sigg and Neftel, 1991; 1988 until 1995 after Anklin and Bales, 1997) in µmol l-1, Sulfate concentration in Greenland ice cores in ng g-1 (after Delmas, 2002), last figure 1990-1992; world population in 109 peoble and sum of SO2 emission in Norther America (after Gschwandtner et al. 1986) and Western Europa (after Mylona, 1996) in 107 t S a-1 (last figure 1990-1995). Typical error bars: ±10% for ice core concentrations, ±20% for SO2 emission before 1990, ±50% for figures 1990-1995. Within the ice core sulfat curve the following eruptions led to an increase: Tambora (Indonesia 1815, Cosiguina (Nicaagua) 1835, Santa Maria (Guatemala) 1902, Katmai (Alaska) 1912 Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 148 ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN Die Definition des Klimabegriffs hat sich im Verlaufe der letzten 200 Jahre mehrfach verändert. Bei der Diskussion des Klimawandels ist es erforderlich, sich auf eine Festlegung des Klimabegriffs zu einigen, um einmal den Rahmen des Klimasystems als Teilgröße des Erdssystems abzustecken und zum anderen die Größen festzulegen, die beobachtet wereden müssen. Die Humboldt´sche Definition war zwar sehr umfassend durch die Einbeziehung des chemischen Zustands der Atmosphäre, aber mit einer Beziehung der Klimaelemente auf die unmittelbare Beeinflussung und Wahrnehmbarkeit durch den Menschen wiederum eingegrenzt. Die Hann´sche Definition (die im wesentlichen von allen nachfolgenden Klimatologen bis heute verwendet wurde) konzentrierte sich ausschließlich auf physikalische Klimaelemente. Wenn auch von heutigen Klimatologen akzeptiert wird, daß chemische Substanzen in der Atmosphäre verantwortlich sind für einen Klimawandel, so ist eine Beschränkung der Klimadefinition auf unmittelbar klimarelevante Spurenstoffe (Treibhausgase, Aerosolpartikel) wiederum eine Eingrenzung, die zu einem nur begrenzten Verstehen des Klimasystems führt. Eine Trennung chemischer Parameter von physikalischen Größen in der Atmosphäre oder lediglich eine Auswahl einzelner Größen ist unzulässig. Klima bezeichnet den Zustand der Atmosphäre, wobei alle physikalischen und chemischen Prozesse mit zu berücksichtigen sind. Das Klimasystem kann im wesentlichen als Biosphäre + Atmosphäre beschrieben werden, wobei wir in den biosphärischen Raum die Pedosphäre, Hydrosphäre, Kryosphäre und kleine Teile der oberen Lithosphäre mit einbeziehen. Der Begriff Ökosphäre ist abzulehnen, da er nichts anderes bezeichnen kann als die Biosphäre109 (alle Sphären können nur global betrachtet werden). Auch sollte der Begriff „Umwelt“ möglichst vermieden werden wegen seiner unscharfen Definition. Umwelt-Forschung kann im engeren Sinne des Wortes auf vom Menschen (anthropogen) verursachte Veränderungen begrenzt werden. Ohne jedoch die natürlichen Prozesse mit einzubeziehen, kann kein Systemverständnis erreicht werden. Die chemische Beeinflussung der Luft (Atmosphäre) erfolgt bereits seit historischen Zeiten durch den Menschen; mit Sicherheit war das (chemische) Stadtklima vor 100 Jahren um ein Vielfaches „gefährlicher“ als in der Gegenwart. Ein Erkennen des lokalen Klimas und seiner negativen Wirkung auf Lebewesen (Bioklimatologie und Lufthygiene) haben zu besseren Technologien sowie Maßnahmen der Luftreinhaltung geführt wodurch das lokale Problem der „Luftverschmutzung“ abgeschwächt und sogar reduziert werden konnte. Das Anwachsen der Weltbevölkerung bringt jedoch eine Erhöhung des Stoffumsatzes und damit verbundener Emissionen mit sich. Weiterhin haben sich die anthropogenen Emissionen aus den klassischen Industriegebieten des 19. Jahrhunderts regional und schließlich global verteilt. Darüber hinaus ist die Emission von Stoffen mit hoher Verweilzeit (CO2, N2O, CH4, HVOC) überproportional gestiegen, was die Atmosphäre dann global veränderte. Die raum-zeitliche Darstellung der atmosphärischen Spurenstoffkonzentrationen ist das Aufgabengebiet der chemischen Klimatologie, die ein Teilgebiet der Klimatologie ist. Die Prognose (und historische Konstruktion) der Veränderung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre ist eine Basis für das Verständnis des Klimawandels; die Veränderung der Luftzusammensetzung ist selbst Klimawandel. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die atmosphärische Konzentration der Gase Kohlendioxid, Distickstoffmonoxid, Methan und Ozon weiter ansteigen. Der dramatische Anstieg halogenierter Kohlenwasserstoffe in der Atmosphäre konnte weitgehend abgebremst und teilweise umgekehrt werden. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Klimarahmenkonvention zu einer auch nur merklichen Wachstumsverringerung des CO2 innerhalb der nächsten 50 Jahre führt. Eine CO2Reduzierung wird erst mit einem signifikanten Energieträgerwechsel einhergehen, wohl nicht 109 Davon unabhängig sind die Begriffe Ökosystem, Biotop, Ökotop und Habitat gut charakterisiert und abgrenzbar. Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt. 149 vor Ende des 21. Jahrhunderts. Die Lösung des CO2-Problems ist technisch jedoch keine Frage mehr. Hingegen werden mit der Nahrungsgüterproduktion verbundene Emissionen (N2O und CH4) langfristig nur abzuschwächen sein; eine drastische Reduzierung ist nach gegenwärtigen Wissenstand nicht möglich. Mit einem weiteren CH4-Anstieg wird auch der globale Sockelbetrag an troposphärischen Ozon steigen. Es ist notwendig, Sättigungsphasen zu erreichen im Sinne neuer noosphärischer Gleichgewichte und den stattfindenden Klimawandel – der neben der chemischen Änderung mit Wandlungen physikalischer Größen (Temperatur, Niederschlag,...) einhergeht – in einem neuen Klimastatus adaptiv durch die menschliche Gesellschaft gestalten zu versuchen. LITERATUR Anklin M, Bales RC (1997): Recent increase in H2O2 concentration at Summit, Greenland. J. Geophys. Res. 102, 19099-19104 Beilke S (2000): Langzeitentwicklung der Ozonbelastung im globalen, nationalen und regionalen Maßstab. In: Troposphärisches Ozon – kritische Bestandsaufnahme über ursachen, Wirkung und Abhilfemaßnahmen. Bd. 32 Schriftenreihe Kommission Reinhaltung der Luft, Düsseldorf, S 55-82 Blücher H (1900): Die Luft. Ihre Zusammensetzung und Untersuchung, ihr Einfluß und ihre Wirkung sowie technische Ausnutzung. Leipzig, Verlag von O. Wigand, 322 S. 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