Alber 48413 / p. 1 Chan Ho Park „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ VERLAG KARL ALBER A Alber 48413 / p. 2 SCI E N T IA RE L IG IO Band 9 Herausgegeben von Markus Enders und Bernhard Uhde Wissenschaftlicher Beirat Peter Antes, Reinhold Bernhardt, Hermann Deuser, Burkhard Gladigow, Klaus Otte, Hubert Seiwert und Reiner Wimmer Alber 48413 / p. 3 Chan Ho Park „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ Romano Guardinis Verständnis der Person und seine Auseinandersetzung mit dem Buddhismus Verlag Karl Alber Freiburg / München Alber 48413 / p. 4 Diese Arbeit wurde unterstützt durch die Diözese Suwon sowie durch einen Druckkostenzuschuss der Erzdiözese Freiburg. D 25 Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2010 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz: SatzWeise Föhren Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik, Kempten Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Printed in Germany ISBN 978-3-495-48413-5 Alber 48413 / p. 5 Inhaltsverzeichnis Vorwort des Autors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 . . . . . . . . . . . . . . . . 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Der Anlass und das Thema der Untersuchung (Allgemeine Einführung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Vorwort des Reihenherausgebers Einleitung 1. 2. Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3. Der Aufbau und die Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . 35 . . . . . . . 39 Teil I: Der Mensch als Person bei Romano Guardini 1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. Die philosophische Grundposition Guardinis im Hinblick auf die geschichtliche Entwicklung des Personbegriffs . . . . . . Guardinis philosophischer Standpunkt . . . . . . . . . . . Zum geschichtlichen Bedeutungswandel des Personbegriffs von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. . . . . . . . . . . Die wichtigsten Ansätze der Zeitgenossen Guardinis im deutschsprachigen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1. Max Scheler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2. Helmut Plessner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3. Ferdinand Ebner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4. Martin Buber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.5. Martin Heidegger . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Welt und Person . . . . . . . 2.1. Welt als das Ganze des Daseins 2.1.1. Natur und Kultur . . . 2.1.2. Welt und Ganzheit . . . „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 41 44 58 59 62 65 67 70 73 75 76 77 82 A 5 Alber 48413 / p. 6 Inhaltsverzeichnis 2.1.3. Welt als Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.1. Biblisch-theologisches Weltbild . . . . . . . . 2.1.3.2. Das Paradies und dessen Zerstörung . . . . . 2.1.4. Die Welt aus der Begegnung von Ich und Nicht-Ich . 2.2. Person als Daseinsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Philosophische Analyse der Person . . . . . . . . . 2.2.1.1. Ontologische Dimension der Person . . . . . 2.2.1.1.1. Gestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.1.2. Individualität . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.1.3. Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.2. Person als Selbstgehörigkeit und Selbstzweck . 2.2.1.3. Die dialogische Dimension der Person . . . . 2.2.1.3.1. (Un-)Bedingtheit der Person? . . . . . . . . 2.2.1.3.2. Aktuierung der Person durch Ich-DuBeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.3.3. Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Die Worthaftigkeit der Dinge – Ein Übergang . 2.2.2. Theologische Analyse der Person . . . . . . . . . . 2.2.2.1. Eigentliche Ich-Du-Beziehung . . . . . . . . . 2.2.2.2. Anruf der Person . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.3. Person und die christliche Existenz . . . . . . 2.2.2.3.1. Das christliche Ich . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.3.2. Grundvollzüge der christlichen Existenz . . 2.2.2.3.2.1. Freiheit in Christus . . . . . . . . . . . . 2.2.2.3.2.2. Die christliche Liebe . . . . . . . . . . . 2.2.3. Ethische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.1. Person und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.2. Person und das Gute – Das Gewissen . . . . . 2.2.3.3. Die Tugend der Selbstlosigkeit und die Annahme seiner selbst – Ein Widerspruch? . . . 2.2.3.3.1. Die Tugend der Selbstlosigkeit bzw. das Gesetz der Liebe . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.3.2. Die Annahme seiner selbst . . . . . . . . . 2.2.3.4. Der Begriff „Askese“ . . . . . . . . . . . . . 2.3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 SCIENTIA RELIGIO 88 89 95 102 108 109 109 110 115 120 127 132 133 135 142 147 149 151 155 160 162 169 169 173 178 179 183 190 190 195 202 206 Chan Ho Park Alber 48413 / p. 7 Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . 211 Zur Person Buddha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. Die Lehre des Buddha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Die religiös-philosophische Vorgeschichte . . . . . . . . . 2.1.1. Die Weltanschauung der vedischen Religion und des Brahmanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Das philosophische Weltbild der Upanishaden . . . . 2.2. Die Weltanschauung des Buddha . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Die Lehre von den „Vier edlen Wahrheiten“ . . . . 2.2.1.1. Die Wahrheit vom Leiden . . . . . . . . . . 2.2.1.2. Die Wahrheit von der Entstehung des Leidens . 2.2.1.3. Die Wahrheit von der Aufhebung des Leidens – das nirvāna . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.4. Die Wahrheit vom Pfad, der zur Aufhebung des Leidens führt . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Die Lehre von der Wiedergeburt (Samsāra) und das Kamma-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3. Der Lehrsatz vom abhängigen Entstehen – paticcasamuppāda . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Der Mensch und die Erlösung . . . . . . . . . . . . 2.3.1. Die anthropologische Interpretation der „Vier edlen Wahrheiten“ . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Die Lehre vom Nicht-Selbst (anattā) . . . . . . . . 2.3.3. Der Weg zur Erlösung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.1. Der mittlere Weg (majjhimā patipadā) . . . 2.3.3.2. Die Erkenntnis (prajñā) . . . . . . . . . . . 2.3.3.3. Sittliche Zucht (sı̄la) . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.4. Meditation (samādhi) . . . . . . . . . . . . 2.3.4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 221 Teil II: Daseinsverständnis im Buddhismus 1. Teil III: Ergebnis und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 243 247 251 258 261 262 269 277 278 281 285 291 300 305 1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. Woher stammt das Interesse am Buddha? . . . . Der Ausgangspunkt – Sorge um den Menschen Die Gegensatzphilosophie – Der mittlere Weg . Askese als Ganzheitsakt . . . . . . . . . . . . Die paradoxe Logik des Selbst . . . . . . . . . . . . . . 306 306 311 317 322 2. „Dennoch“: Unterscheidung des Christlichen . . . . . . . . 331 „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ . . . . . 221 226 231 231 232 235 A 7 Alber 48413 / p. 8 Inhaltsverzeichnis 8 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 1. Schriften Romano Guardinis . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 2. Literatur zum Werk Guardinis . . . . . . . . . . . . . . . 344 3. Literatur zum Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersetzungen des buddhistischen Pāli-Kanons . . . . . . . . . Literatur zum Thema Buddha bzw. Buddhismus . . . . . . . . 346 346 347 4. Literatur zum Thema „Christentum und Buddhismus“ . . . . . 349 5. Sonstige Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 6. Lexika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 SCIENTIA RELIGIO Chan Ho Park Alber 48413 / p. 9 Vorwort des Autors Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2009 von der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg i. Br. als Dissertation angenommen. Dafür möchte ich mich bei der Fakultät bedanken. Mein besonderer Dank gilt vor allem meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff, der mich mit wertvollen Anregungen und Ermunterungen begleitet hat. Ich danke auch Herrn Prof. Dr. Dr. Markus Enders, der die vorliegende Dissertation in die wissenschaftliche Reihe „Scientia & Religio“ aufgenommen hat und mir bis zur Publikation hilfreich und freundlich zu Seite gestanden hat. Auch denjenigen, die meine Arbeit korrigiert und mir mit Anregungen und kritischen Fragen weitergeholfen haben, möchte ich danken. An dieser Stelle möchte ich dem Korrektur-Service der Internationalen Graduiertenakademie der Universität Freiburg, vor allem Hannah Belecki meinen Dank aussprechen. Die Franziskaner-Schwestern von Erlenbad haben sich während meines Studienaufhaltes um mein geistiges und leibliches Wohl gesorgt und es mir ermöglicht, die Arbeit ohne äußere Ablenkungen zu Papier zu bringen; dafür gilt ihnen mein herzlicher Dank. Die Drucklegung wurde durch die Diözese Suwon, meine Heimatdiözese, meinen Heimatbischof Mathias Lee sowie die Erzdiözese Freiburg in großzügiger Weise unterstützt. Ganz herzlich danke ich dafür. Natürlich denke ich nun an die Amtskollegen meiner Heimatdiözese, mit denen ich während der Zeit der Promotion geistig verbunden blieb. Schließlich danke ich meinen Eltern für alles, was sie für mich getan und auch geopfert haben. Mit folgenden zwei knappen Sätzen, die mich durch meinen Studienaufenthalt hindurch begleitet haben, möchte ich meine Danksagungen schließen. Jeder ist geführt. Nur muss man versuchen, sich zu halten an die geleitende Hand. Romano Guardini Freiburg i. Br., August 2009 „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ Chan Ho Park A 9 Alber 48413 / p. 10 Alber 48413 / p. 11 Vorwort des Reihenherausgebers Die vorliegende Dissertation von Herrn Chan Ho Park setzt sich selbst ausdrücklich zwei Ziele: Sie macht es sich erstens zur Aufgabe, „die Besonderheit der philosophisch-theologischen Anthropologie Guardinis, in deren Mittelpunkt der Mensch als Person steht, nachzuzeichnen und auf ethische Konsequenzen hin zu untersuchen.“ Zweitens versucht sie „zu klären, wie man das Interesse Guardinis am Buddhismus und seine Hochschätzung der Person Buddhas richtig verstehen kann“. Diese beiden Ausgangsfragen werden von dieser Arbeit in drei Teilen entfaltet: Im ersten, umfangreichsten Teil rekonstruiert der Verfasser die philosophisch-theologische Analyse des Personbegriffs bei Guardini und würdigt dessen Personkonzept in ethischer Hinsicht. Im zweiten Teil stellt er die religiöse Gestalt Buddhas und dessen besondere Weltanschauung sowie die urbuddhistische Anthropologie und Soteriologie aus den geschichtlichen Quellen bzw. Ursprungstexten des Buddhismus dar. Im dritten und letzten Teil sucht er den Grund für Guardinis Interesse an der religiösen Gestalt des Buddha zu bestimmen und Guardinis Unterscheidung des genuin Christlichen von allem Nichtchristlichen, insbesondere vom Buddhistischen, sichtbar zu machen. Der weite geistesgeschichtliche und systematische Horizont der vorliegenden Interpretation des Person-Verständnisses Guardinis wird vor allem an den folgenden drei Punkten deutlich: Erstens zeigt der Verfasser vorgängig den systematischen Ort auf, den Guardinis Person-Begriff in dessen philosophischem Denken im Ganzen besitzt; zweitens betrachtet er das Person-Verständnis Guardinis auf dem Hintergrund einer von ihm kenntnisreich skizzierten Begriffsgeschichte des Person-Verständnisses im abendländischen Denken von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert; und drittens geht er auch auf die unmittelbaren geistesgeschichtlichen Quellen für wesentliche Elemente des Person-Verständnisses Guardinis ein, das seine Eigenständigkeit und seine besondere Gestalt diesen seinen Inspirationsquellen gegenüber gleichwohl wahrt. In Bezug auf den ersten Punkt deutet der Verfasser die von Max „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ A 11 Alber 48413 / p. 12 Vorwort des Reihenherausgebers Schelers phänomenologischem Denken (insbesondere religiöser Gehalte) sowie der Lebensphilosophie zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwar inspirierte, von Guardini aber dennoch eigenständig entwickelte Methode einer Phänomenologie des Konkret-Lebendigen an, für welche die unter dem mißverständlichen Etikett einer Gegensatzlehre firmierende Hervorhebung der polaren Grundstruktur alles Lebendigen von maßgeblicher Bedeutung ist. Mittels dieser Denkform hat Guardini sein Verständnis der menschlichen Person entwickelt. Es sind neben Platons apriorischer Wesenserkenntnis in der Schau der Ideen als normativer (Wert-)Größen vor allem christliche Denker, die für Guardinis eigenes, nicht zuletzt für sein anthropologisches Denken Vorbildcharakter gewannen: Dabei weist der Verfasser kenntnisreich auf jene methodischen und besonders inhaltlichen Vorgaben und Anregungen hin, die Guardini Augustinus, Anselm, Bonaventura, Pascal und Kierkegaard als seinen großen christlichen Gewährsleuten verdankt. Seine profunde Gelehrsamkeit dokumentiert der Verfasser zweitens auch in seinem Abriß einer Begriffsgeschichte des abendländischen Person-Begriffs, innerhalb dessen vor allem Kierkegaards Verständnis des Selbst als eines im Vollzug befindlichen und sich zugleich als von Gott gesetzt wissenden, jeweiligen, d. h. je einzelnen, Selbstverhältnisses in seinen Bestimmungselementen der Existenzialität, der Relationalität bzw. seines Selbst- und Fremdbezugs und der Inkommunikabilität für Guardinis Person-Begriff höchst bedeutsam geworden ist. Sehr instruktiv ist auch die Darstellung der zeitgenössischen anthropologischen Quellen für Guardinis Verständnis der (insbesondere menschlichen) Person: Denn Max Schelers Deutung des Menschen als eines Vollziehers von Akten (der aber im Unterschied zu Guardinis Person-Verständnis kein identisches Aktzentrum in sich besitzen soll) und als eines weltoffenen Wesens sowie Helmut Plessners anthropologisches Theorem einer exzentrischen Positionalität der menschlichen Person, die eine geistige Innen-, eine raum-zeitliche Außen- und eine soziale Mit-Welt besitzt, ferner Ferdinand Ebners dialogisches Verständnis der menschlichen Person als einer Existenz aus dem schaffenden Anruf des göttlichen Wortes und Martin Bubers dialogphilosophisches Theorem einer interpersonalen Existenz der menschlichen Person im Begegnungsverhältnis von (menschlichem) Ich und (menschlichem) Du aus einem ihm ermöglichend zugrundeliegenden ewigen bzw. göttlichen Du, welches Buber auch „das Zwischen“ nennt, und schließlich 12 SCIENTIA RELIGIO Chan Ho Park Alber 48413 / p. 13 Vorwort des Reihenherausgebers Martin Heideggers existenzanalytisch bzw. daseinshermeneutisch begründete Fundamentalstruktur des alltäglichen (menschlichen) Daseins als In-der-Welt-Sein – genau diese anthropologischen Positionen sind zu zeitgenössischen Inspirationsquellen für Guardinis gleichwohl eigenständiges Person-Verständnis geworden, wie der Verfasser deutlich herausstellt. Im zweiten Kapitel des ersten Hauptteils seiner Untersuchung entfaltet der Verfasser Guardinis Ausführungen in seinem anthropologischen Hauptwerk „Welt und Person“ zur Weltnatur der menschlichen Person als deren existenzieller Situiertheit. Zur Welt als dem Daseinsraum des Menschen gehören nach Guardini sowohl die Natur in der Zweideutigkeit dieses Ausdrucks (im Sinne sowohl des unkultivierten Bereichs der Gesamtwirklichkeit als auch einer für das menschliche Denken und Tun vorgegebenen, gültigen Norm) als auch die (menschliche) Kultur, deren Selbstverständnis als Schöpfung, mithin als Gotteswerk, mit der Durchsetzung des Autonomiegedankens seit Beginn der Neuzeit eine von Guardini besonders eindringlich beschriebene substantielle Veränderung erfuhr: Durch die rigorose Verdinglichung und Unterwerfung alles Natürlichen unter die Kulturziele des Menschen verlor und verliert die Natur für den Menschen zusehends ihren unberührten, geheimnisvollen und normgebenden Anfangscharakter und wird nur noch zum Werkstoff und zur Materie für ihre technische Kultivierung und inzwischen sogar künstliche Neuschaffung durch den Menschen. Das von Guardini angenommene polare, lebendige Gegensatzverhältnis zwischen Natur und Kultur ist seit Beginn der Neuzeit mit zunehmender Geschwindigkeit außer Balance geraten und bedroht als Umweltzerstörung und neuerdings auch in Gestalt des Klimawandels die natürlichen Existenzgrundlagen der Menschheit. Zum Ganzheitscharakter der Welt als einer fundamentalen Daseinsweise des Menschen gehören nach Guardini genau drei Erscheinungsformen: Die Welt an sich als die Gesamtordnung der vorhandenen Dinge, die unabhängig von dem Wissen und Tun des Einzelnen, ihm vorgängig, bereits besteht; zweitens die sog. Erfahrungswelt, die als erfahrene Welt aus der Begegnung des Menschen mit der Welt an sich hervorgeht; drittens die Existenzwelt des Menschen, in deren Mittelpunkt der jeweilige Mensch als Person steht. Diese drei grundlegenden und von ihm philosophisch erhobenen Erscheinungsweisen von Welt deutet Guardini in seiner Auslegung der biblischen Schöpfungs„Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ A 13 Alber 48413 / p. 14 Vorwort des Reihenherausgebers geschichte zugleich theologisch: Die Welt als ganze ist Schöpfung, d. h. Werk und Erzeugnis, des freien Schöpfergottes, der sie aus dem Nichts ins Sein setzt. Zugleich betont Guardini den anthropomorphen Charakter der geschaffenen Welt, d. h. den Umstand, dass sie von Gott auf die Entstehung und Entfaltung der menschlichen Person hin geschaffen worden ist. Diese hat Gott im Unterschied zu allen nichtpersonalen Entitäten in ihr Dasein gerufen, d. h. als sein Abbild geschaffen, mit dem er in einer persönlichen Beziehung stehen will und die sein Schöpfungswerk nicht nur bewahren, sondern auch vollenden soll. Doch durch den Ungehorsam des Menschen gegenüber seinem Schöpfer verlor der Mensch das Paradies, d. h. die erfahrene Unmittelbarkeit zu Gott und zu seinen Mitmenschen. Die existenziell einschneidendsten Folgen des verlorenen Paradieses sind nach Guardini die Schwermut, die Scham der Geschlechter voreinander und der Tod als Ausdruck der widernatürlichen Unordnung und Verstörung der menschlichen Existenz. Aus dieser Unordnung resultiert wiederum eine geistige Blindheit des Menschen, die die Welt nicht mehr als Schöpfung Gottes, sondern nur noch als zu beherrschende Natur sehen kann. Schließlich leitet Guardini aus der biblischen Paradiesesgeschichte auch das Fundament für die Konstituierung der Existenzwelt des Menschen ab, welches er in der Begegnung von Ich und Du sieht. Ein Wesensmoment echter Begegnung aber ist die Freiheit, als deren materiale Seite Guardini die Möglichkeit zu universeller Beziehung, als deren formale Seite er die Anfangskraft bzw. Fähigkeit zur Urheberschaft bestimmt. Der Gravitationspunkt von Guardinis existenziellem Weltbegriff aber liegt in der Begegnungswelt, welche die beiden polaren Seiten von Verwandtschaft und Fremdheit umfaßt und damit ein lebendiges Gegensatzverhältnis darstellt. Im zweiten Abschnitt des ersten Haupteils der vorliegenden Untersuchung stellt der Verfasser die Grundzüge von Guardinis philosophischer Analyse der Person mit bemerkenswerter Klarheit dar. Dabei zeigt er, dass Guardini ein Schichtenmodell der menschlichen Person vertritt, welches von den drei Grundschichten der Gestalt, der Individualität und der Persönlichkeit ausgeht. Unter der konkreten, lebendigen Gestalt versteht er eine lebendige Einheit von Gegensätzen. Eine solche ist der Mensch in zweifacher Hinsicht: Als Wesensgestalt, d. h. als Bau- und Werdegestalt, die verschiedene körperliche, psychische und geistige Phasen zielgerichtet durchläuft, und als Schicksalsgestalt. 14 SCIENTIA RELIGIO Chan Ho Park Alber 48413 / p. 15 Vorwort des Reihenherausgebers So ist der Mensch sowohl eine Gestalt des Seins als auch eine Figur des Geschehens und damit eine lebendige Einheit von Gegensätzen. Mit der „Individualität“ der menschlichen Person meint Guardini nicht nur ihre Individuiertheit, sondern auch ihre Lebendigkeit, mit der sie sich von der Gesamtwelt wie auch von der Gattung aktiv abgrenzt und selbst behauptet, sich eine eigene Umwelt schafft. Genauer versteht Guardini diese Individualität als ein In-sich-Zentriert-Sein bzw. als Innerlichkeit, die die menschliche Person als eine lebendige Mitte auszeichnet. Diese allem Lebendigen eigene Innerlichkeit gewinnt allerdings bei der menschlichen Person durch deren Geistbesitz eine ganz neue Qualität, welche Guardini die Persönlichkeit nennt. Diese umfaßt die drei Grundvollzüge menschlichen Daseins: die Erkenntnis, den Willen und das Tun. Die Person ist daher nach Guardini die lebendige, konkrete Ganzheit der drei ontologisch unterscheidbaren Bereiche oder Schichten des Menschen, nämlich der Gestalt, der Individualität und der Persönlichkeit. Darüber hinaus ist nach Guardini die Person durch die Eigenschaften des Selbststandes bzw. der Selbstzugehörigkeit und Selbstzwecklichkeit grundlegend und wesensmäßig bestimmt. Mit anderen Worten: Dem Wesen jeder Person kommt die Fähigkeit und damit zugleich das unbedingt schutzwürdige Grundrecht der Selbstverfügung bzw. Autonomie zu: Sie darf auf Grund ihrer unverfügbaren und folglich unantastbaren Selbstzugehörigkeit nicht instrumentalisiert, d. h. als bloßes Mittel zu anderen Zwecken betrachtet und behandelt werden. Die luziden Ausführungen des Verfassers zu Guardinis philosophischer Ontologie der Person finden im Aufweis der dialogischen Dimension der Person ihren Abschluß: Die menschliche Person bedarf zu ihrer Entfaltung und Aktuierung anderer menschlicher Personen, d. h. der Ich-Du-Beziehung, sie bedarf der interpersonalen Begegnung, auch wenn sie von dieser im Unterschied zu Bubers dialogphilosophischem und Schelers akttheoretischem Konzept der menschlichen Person bei Guardini nicht überhaupt erst hervorgebracht wird. Die dialogische Dimension der menschlichen Person manifestiert sich am deutlichsten in der menschlichen Sprache, in der sich die Person selbst – und nicht nur Informationsgehalte in funktionaler Hinsicht – mitteilt und darin anderen Personen begegnet. Doch nicht nur das gesprochene Wort bzw. der mitgeteilte Satz, sondern auch das Schweigen als Ausdruck eines tiefen, inneren Einverständnisses und einer wechselseitigen Zugehörigkeit konstituieren die Ganzheit der menschlichen Sprache. Deren „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ A 15 Alber 48413 / p. 16 Vorwort des Reihenherausgebers wie überhaupt aller zwischenmenschlichen Ich-Du-Beziehung göttliches Urbild und Ermöglichungsgrund aber ist nach Guardini das Selbstgespräch als der Wesensvollzug der göttlichen Trinität, aus dem das göttliche Schöpfungssprechen und die Worthaftigkeit der von ihm gesprochenen Kreaturen allererst hervorgehen. Grundlegend für Guardinis theologische Analyse der menschlichen Person ist deren Annahme, dass die eigentliche und für die menschliche Person ursprünglichste und höchste, sie fundamental bestimmende Ich-Du-Beziehung die zwischen ihr und dem göttlichen Du ist. Denn die menschliche Person existiert von Gott her und auf ihn hin. Dieses elementare Existenzial menschlichen Personseins bringt Guardini mit der theo-anthropologischen Grundbestimmung des Anrufs zum Ausdruck: Weil menschliches Personsein von seinem Wesensursprung her Angerufensein von Gott bedeutet, weil also jede menschliche Person wesensursprünglich aus dem Anruf ihres Namens, d. h. aus dem bejahenden, liebenden Willen ihres göttlichen Schöpfers, heraus existiert, ist ihre Sinnbestimmung die der existenziellen Antwort auf bzw. genauer die des hörenden Gehorsams gegenüber diesem Anruf. Und weil die Inkarnation Gottes für Guardini die Qualität einer Neuschöpfung des Menschen, einer gnadenhaften Verwandlung der menschlichen Natur besitzt, liegt die von Guardini insbesondere an der paulinischen Theologie erhobene Sinnbestimmung der christlichen Existenz der menschlichen Person in der doppelten Inexistenz Christi im gläubigen Menschen: Wie Christus in dem an ihn glaubenden Menschen durch die Einwohnung des Heiligen Geistes existiert, so existiert dieser in der allumfassenden Sohnesbeziehung Christi zum göttlichen Vater. Diese doppelte Inexistenz als Grundverfassung christlichen personalen Menschseins schließt einige Grundvollzüge ein, die der Verfasser im Folgenden darstellt: Unter dem Stichwort der „Freiheit in Christus“ entwickelt der Verfasser Guardinis inhaltlich qualifiziertes Verständnis christlicher Freiheit, die im Unterschied zu dessen philosophisch-ontologischem Freiheitsbegriff als der Urheberschaft und Anfangskraft des Menschen unter „Freiheit“ die von Gott geschenkte Befreiung des Menschen von seiner Selbstversklavung durch die Sünde sowie das neue, gnadenhaft gewirkte Leben in und durch Christus versteht. Der zentrale Grundzug christlicher Existenz aber ist die christliche Liebe, die nach der von Guardini auch hier aufgegriffenen paulinischen Lehre mit der Liebe des göttlichen Schöpfers zum einzelnen 16 SCIENTIA RELIGIO Chan Ho Park Alber 48413 / p. 17 Vorwort des Reihenherausgebers Menschen ihren sachlichen Anfang nimmt und in der Erlösung des Menschen durch und in Jesus Christus ihre Vollendung findet. Aus dieser Kraft der göttlichen Liebe, welche der Heilige Geist in Person ist, und damit aus innerster Zugehörigkeit zu Christus lebt jede genuin christliche Existenz. Im nächsten Schritt zeigt der Verfasser die sich bei Guardini ergebenden ethischen Konsequenzen dieses Grundverständnisses christlicher Existenz auf: Die wesenhafte Bezogenheit der menschlichen Person auf die absoluten Werte muss in einer christlichen Existenz aktualisiert, d. h. bejaht und realisiert werden. Dies gilt für die Wahrheit, deren praktische Aufgabe und Ablehnung zur Erkrankung der menschlichen Person führt, nicht weniger als für die Gerechtigkeit und das Gute, für dessen absolute Geltungsansprüche das menschliche Gewissen empfänglich ist. Das zentrale Organ der menschlichen Liebe zum Guten wie überhaupt allen menschlichen Wertfühlens und -antwortens aber ist in Guardinis Anthropologie im Anschluß an die abendländische Tradition der philosophia und theologia cordis das Herz. Einen herausragenden Platz in Guardinis Ethik der christlichen Existenz nimmt das dialektische Verhältnis zwischen der Annahme seiner selbst und der christlich geforderten Selbstlosigkeit ein. Zwischen der Selbstannahme und der Selbstlosigkeit besteht nur scheinbar ein Widerspruch: Denn während erstere als Selbstbejahung und Selbstliebe die ethische Grundlage der menschlichen Existenz überhaupt darstellt, führt die christlich verstandene Selbstlosigkeit, deren Vorbild in der Menschwerdung Christi liegt, als Selbsthingabe an Christus zu dessen Inexistenz im Menschen und damit zum Finden des eigenen Selbst. Dies ist daher das paradoxe Gesetz der christlich geglaubten Liebe, dass, wer an seinem eigenen Selbst hängt, d. h. wer es für sich behalten will, dieses verlieren und wer es freiwillig an Christus hingibt, es gewinnen wird. Am Ende seines dem Person-Verständnis Romano Guardinis gewidmeten Teils zeigt der Verfasser schließlich, dass diese beiden Grundtugenden der Annahme und der Hingabe seiner selbst den Kern dessen ausmachen, was Guardini unter der christlichen Askese versteht. Im zweiten Hauptteil seiner Untersuchung entwickelt der Verfasser, der als koreanischer Priester mit dem in seinem Heimatland quantitativ gesehen überwiegenden Buddhismus bestens vertraut ist, unter dem Titel „Daseinsverständnis im Buddhismus“ die Grundzüge „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ A 17 Alber 48413 / p. 18 Vorwort des Reihenherausgebers buddhistischer Anthropologie. Seiner ausführlichen, aus den Quellen geschöpften und unter ständigem Bezug auf Standardwerke der Sekundärliteratur entwickelten Rekonstruktion der Weltanschauung des geschichtlichen Buddha stellt er eine instruktive Darstellung der geschichtlichen Person Buddhas und seiner religiös-philosophischen Vorgeschichte in der vedischen Religion sowie im Brahmanismus insbesondere der sog. Upanischaden voran. Ist für die vedische Religion ein magisches Verständnis des Opferkultes sowie ein Polytheismus kennzeichnend, so lehrt das philosophische Weltbild der Upanischaden mit der Identität zwischen dem „Brahman“ genannten absoluten Einen und dem „Atman“ genannten unsterblichen Selbst des Menschen einerseits einen Monismus, sucht aber andererseits zugleich auch mit der Seelenwanderungs- bzw. Wiedergeburtslehre (Yājñavalkyas) das charakteristisch indische Gesellschaftssystem der Kastenordnung sowie die objektive, universale Gültigkeit eines weltlichen Tun-Ergehen-Zusammenhangs und damit die Wirklichkeit der Freiheit und sittlichen Verantwortlichkeit des Menschen zu begründen. Als Kerninhalt der Weltanschauung des Buddha stellt der Verfasser zu Recht die Lehre von den sog. „vier edlen Wahrheiten“ vor: Die erste Wahrheit vom Leiden geht von der Gleichsetzung zwischen Vergänglichkeit und Leidverfaßtheit aus. Weil das irdische Leben mit all’ seinen, auch den schönen, Inhalten vergänglich ist, gilt alles in diesem Leben als leidvoll. Dieses Theorem der universellen Übergänglichkeit und folglich Leidverfaßtheit alles Erscheinenden wendet der Buddhismus konsequent auch auf den Menschen selbst an. Daher wird dem Menschen nur ein empirisches Ich zugesprochen, das sich aus fünf Gruppen von sog. Daseinsfaktoren (die körperliche Form, die Empfindung, die Wahrnehmung, die Gemütsregung und das Bewusstsein) zusammensetzt, welche die Kontaktnahme des Ich mit der Erscheinungswelt und dessen Bindung an diese erklären sollen. Die (zweite) Wahrheit von der Entstehung des Leidens besteht in dem Lehrsatz des abhängigen Entstehens bzw. genauer der Wechselwirkung zwischen den zwölf Gliedern eines Konditionalgefüges, mit dem das Zustandekommen einer Wiedergeburt ohne eine wiedergeborene Seele – höchst wahrscheinlich nicht vom geschichtlichen Buddha selbst, sondern von einer späteren buddhistischen Begründung und Weiterführung seiner Lehre – erklärt wird: Diese zwölfgliedrige Kette der Entstehung des Leidens beginnt mit dem Nichtwissen seines hier gelehrten Entstehungsgrundes und umfaßt die sog. Gestaltungen, d. h. Willensstrebun18 SCIENTIA RELIGIO Chan Ho Park Alber 48413 / p. 19 Vorwort des Reihenherausgebers gen, die sich auf Sinnesobjekte bzw. äußere Erscheinungen richten; ferner das Bewusstsein oder Erkennen als den wandelbaren Träger der empirischen Persönlichkeit, viertens Name und Form als den physischen und psychischen Organismus, der sich nach dem Eingehen des Bewusstseins in einen neuen Mutterschoß bildet; daraus gehen als fünftes Glied des konditionalen Entstehens die sechs Sinnesorgane hervor, welche die sechs Sinnesbereiche der Außenwelt erfassen; dieses Erfassen aber geschieht sechstens durch Berührung, aus der als siebtes Glied des Entstehungszusammenhangs in Abhängigkeit die Empfindung hervorgeht; die, sei es angenehme, sei es unangenehme, Empfindung aber gebiert achtens den Durst, d. h. das Streben nach Begierden, nach dem Werden und dem Entwerden, welches für den geschichtlichen Buddha und damit vor der Entwicklung der Theorie von der zwölfgliedrigen Kette des abhängigen Entstehens der unmittelbare Entstehungsgrund allen Leidens war. Dem Durst aber folgt neuntens das Ergreifen oder Anhaften, d. h. das Inbesitznehmen und Sichfestklammern an vergänglichen Dingen, das insofern unweigerlich zu Leiderfahrungen führt, weil alles Vergängliche früher oder später ohnehin losgelassen werden muss. Das Ergreifen aber führt zehntens zur Ausbildung neuen Kammas als der Tatfolgen, d. h. zu einem Werden, und dieses elftens wiederum zu einer Geburt, die zwölftens Alter und Tod, Schmerz, Kummer, mithin Leid bedingt. Denn nach buddhistischer Lehre sind alle Wesen an den Kreislauf der Wiedergeburt (Samsara) und das Kamma-Gesetz gebunden, nach dem gute Taten eine Wiedergeburt in eine qualitativ bessere, schlechte Taten eine Wiedergeburt in eine qualitativ schlechtere Daseinsform zur Folge haben. Die dritte edle Wahrheit aber ist die von der Aufhebung des Leidens und damit der unaufhörlichen Wiedergeburt, die für den mit der ersten Lehrrede des Siddartha Gautama, d. h. des geschichtlichen Buddha, beginnenden ursprünglichen Buddhismus das vollkommene Verlöschen des Durstes, d. h. die gänzliche Aufhebung der Tätigkeit des eigenen Willens, ist. Diesen Zustand vollkommener Willens- und Wunschlosigkeit aber nennt der Buddhismus das „Nirvana“ (Sanskrit) oder „Nibbana“ (Pāli), welches wörtlich nur „das Verlöschen“ (der positiven wie negativen Begierde) bedeutet, wobei noch zwischen dem „Nirvana“ als einem irdisch erreichbaren Zustand und dem sog. „Parinirvana“ als dem vollkommenen Erlöschen allen Werdens unterschieden wird, das der Erlöste erst nach seinem Tod erfährt. Dieser Heilszustand des höchsten Glücks in vollkommener Ruhe und gänzlichem „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ A 19 Alber 48413 / p. 20 Vorwort des Reihenherausgebers Frieden aber wird von einigen Textpassagen in der kanonischen buddhistischen Literatur auch als „friedvolle Stätte“ und darüber hinaus sogar als das Ungewordene und Ungeborene, mithin als das Absolute, bezeichnet. Die vierte und letzte, die existenziell wichtigste Wahrheit aber ist die vom Weg, der zur Aufhebung des Leidens führt. Sie vermittelt mit dem achtteiligen oder achtgliedrigen Pfad die ethisch-lebenspraktischen Anweisungen, die der Mensch befolgen muß, um zum Nirvana zu gelangen. Deren einzelne Glieder werden üblicherweise in drei Gruppen unterteilt: Es ist dies die rechte Erkenntnis, die die rechte Anschauung, d. h. das Wissen von den vier edlen Wahrheiten, und die rechte Gesinnung als den Verzicht auf jegliches Übelwollen; ferner die sittliche Zucht, welche das rechte Reden ohne Lüge und eitles Geschwätz, das rechte Handeln (nach den sittlichen Vorschriften der Mönchsethik, d. h. kein Leben zu beschädigen, keusch zu leben und auf Gewalt zu verzichten) und die rechte Lebensführung (mit dem rechtmäßigen Erwerb des eigenen Unterhalts) umfaßt; und schließlich die rechte Meditation, welche die rechte Anstrengung (um Vermeidung von Gier, Haß und Verblendung), das rechte Gedenken bzw. die rechte Wachsamkeit, d. h. die sorgfältige Beobachtung von Körper, Gefühlen, Gedanken und Erscheinungen, und schließlich die rechte Konzentration einschließt. An diesem Weg zur Aufhebung des Leidens und seinem Heilsziel des Nirvana macht der Verfasser überzeugend deutlich, dass es dem Buddhismus, um mit Guardini zu sprechen, nur um die „Existenzwelt“ des Menschen geht, dass er als keine Metaphysik, keine Wirklichkeitserklärung aus ersten Prinzipien, sondern ausschließlich eine Heilslehre sein will, deren einziges Ziel die Erlösung des Menschen von dieser irdischen Welt unaufhörlichen Leidens ist. Daher rückt der Verfasser völlig zu Recht das buddhistische Verständnis des erlösungsbedürftigen Menschen und der Wege zu seiner Erlösung in das Zentrum seiner kenntnisreichen Ausführungen zum Buddhismus: Nach gemeinbuddhistischer Lehre sind alle weltlichen Dinge, Realitäten und Prozesse erstens vergänglich, zweitens leiderzeugend und drittens selbstlos, gemeint ist: identitäts- und substanzlos. Die fünf bereits erläuterten Daseinsfaktoren erklären das In-Beziehung-Treten des Menschen mit der Erscheinungswelt. Der „Durst“ als der „Wille zum Sein“ (O. Franke), den Arthur Schopenhauer als einen blinden, irrationalen Drang des Willens zum Leben gedeutet und im Rahmen 20 SCIENTIA RELIGIO Chan Ho Park Alber 48413 / p. 21 Vorwort des Reihenherausgebers seiner Weltsicht hypostasiert und universalisiert hat, dieser Durst treibt den unerlösten Menschen permanent zur Selbstrealisierung an und führt daher zu einem Werden, zur erneuten Wiedergeburt. Wer dieses Verlangen nach Sein aber aufgegeben hat und den Heilsweg zu Ende gegangen ist, wird zu einem „Arhat“, d. h. zu einem, der seine Erlösung durch das Befolgen der Lehren eines anderen erlangt hat – im Unterschied zu einem „Buddha“, d. h. einem aus eigener Kraft Erwachten. Es ist daher einzig und alleine die Sorge um das Heil des Menschen und das Mitleid mit ihm, welche den vier edlen Wahrheiten als dem Kern der buddhistischen Lehre motivierend zugrunde liegt. Einer eingehenden Deutung unterzieht der Verfasser auch die charakteristisch buddhistische „An-atta-Lehre“, d. h. die Lehre vom Nicht-Selbst. Gemeint ist damit die für den Buddhismus fundamentale Annahme, dass alle Gegenstände und individuellen Entitäten ohne irgendeine unveränderliche, selbständige Grundlage existieren, dass sie identitäts- und substanzlos sind. Während in den hinduistischen Upanischaden und in brahmanistischen Texten die Erkenntnis des Selbst ein wichtiger Weg zur Befreiung vom Kreislauf der Wiedergeburten ist, ist für den Buddhismus aus rein heilspragmatischen Gründen eine negative, ablehnende Einstellung zum Selbst charakteristisch. Denn die Annahme eines solchen Identitätskerns im Menschen begünstigt nach buddhistischer Überzeugung das willentliche Anhaften oder Sichfesthalten daran und damit die Fortsetzung des Rades der Wiedergeburt. Die buddhistische Wiedergeburtslehre ohne Seelenwanderung verabschiedet daher radikal jegliches Denken in Substanz- und Identitätsverhältnissen und ersetzt es durch ein Denken in Funktionalitäten. Dabei sieht der Verfasser in der buddhistischen „An-atta-Lehre“ völlig zu Recht eine heilspädagogisch motivierte Antithese gegen die AtmanBrahman-Spekulation der Upanischaden, der die heilspragmatische Haltung einer „Disidentifikation“ motivierend zugrunde liegt. Im letzten Teil seiner Buddhismus-Darstellung läßt der Verfasser die buddhistisch gedachten Heilswege noch einmal Revue passieren: den sog. mittleren Weg zwischen den Gegensätzen eines durch sinnliche Lust geprägten und eines durch asketische Selbstpeinigung bestimmten Lebens, dem das zwischen einer idealistischen und einer materialistischen Weltsicht stehende theoretische Verständnis der Wirklichkeit dieser Welt im Buddhismus entspricht. Der Heilsweg der Erkenntnis umfaßt die Kenntnis der vier edlen Wahrheiten und die rechte Gesinnung als Hasslosigkeit und Friedfertigkeit. Der Weg der „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ A 21 Alber 48413 / p. 22 Vorwort des Reihenherausgebers sittlichen Zucht schließt neben den schon genannten Aspekten wesentlich auch das Schweigen ein, dem der geschichtliche Buddha eine große Heilswirksamkeit beimaß, weshalb er das Schweigen auch vorbildlich übte und deshalb von seinen Anhängern aus als „Meister der Stille“ bezeichnet wurde. Unbeschadet signifikanter Unterschiede zwischen buddhistischer Laien- und Mönchsethik – etwa hinsichtlich der Keuschheit als exklusiv an Mönche und Nonnen gerichtetes Gebot und der Freigebigkeit als eine hohe Tugend der Laien – ist das Gebot des Nichtverletzens bzw. der Lebensschonung für alle Buddhisten in grundlegender Weise verbindlich. Ein körperlich und geistig reiner bzw. heiliger Lebenswandel aber ist für jeden Menschen – ob Mönch oder Laie – eine notwendige Voraussetzung für seine Befreiung vom Rad der Wiedergeburt. Diese Befreiung erreicht der Mensch nach buddhistischer Überzeugung aber erst durch die Meditation, weshalb diese eine herausragende Rolle auf dem Heilsweg spielt. Fünf Hindernisse stehen schon nach der Lehre des geschichtlichen Buddha dem Verweilen in der Meditation entgegen: Jede weltliche Begierde; der Wunsch, anderen zu schaden; Trägheit und Verschlafenheit; Eitelkeit und Geringschätzung anderer; schließlich auch der Zweifel über den richtigen Weg. Angeeignet werden soll durch die Meditation ein innerer Gleichmut, mehr noch: eine vollkommene Gelassenheit und innere Abgeschiedenheit, eine restlose Aufhebung jeder Tätigkeit und Wirksamkeit des eigenen Willens. Mit einem „Zwischenfazit“ beschließt der Verfasser diesen zweiten, der Daseinsform im Buddhismus gewidmeten Teil seiner Untersuchung. Darin wiederholt er, dass nach dem buddhistischen Heilsverständnis die Ichbezogenheit die Quelle aller Übel ist; und dass nur derjenige die Erlösung finden könne, der selbstlos geworden sei. Im dritten und letzten, mit „Ergebnis und Ausblick“ überschriebenen Teil der vorliegenden Arbeit untersucht der Verfasser die Gründe für Guardinis Interesse am Buddha und seinem Denken. Als dessen Ausgangspunkt zeigt er die tiefe Sorge um das existenzielle Wohlergehen des Menschen angesichts seiner zunehmenden Entfremdung von der Natur auf Grund seines maßlos gewordenen Autonomiestrebens auf: Die Gefahr einer sich tendenziell absolut setzenden Freiheit aber liegt in dem Abfall von den in ihrer Gültigkeit unverfügbar vorgegebenen absoluten Werten des Wahren, Gerechten und Guten, deren Ablehnung oder auch nur praktische Nichtbeachtung zu einer tiefgreifen22 SCIENTIA RELIGIO Chan Ho Park Alber 48413 / p. 23 Vorwort des Reihenherausgebers den Erkrankung der menschlichen Person führt. In dieser Sorge und Für-Sorge um den Menschen sieht der Verfasser eine grundlegende Gemeinsamkeit zwischen Guardini und Buddha, ebenso zwischen der buddhistischen Überzeugung vom Leidcharakter alles Vergänglichen und der Schwermut bei Guardini, die dieser als ein existenzielles Leiden an der Endlichkeit und Vergänglichkeit des je eigenen Daseins versteht. Eine weitere Analogie findet der Verfasser zwischen der philosophischen Denkform des Gegensatzes als der Spannungseinheit zweier Pole (wie bei der menschlichen Person zwischen ihrem ontologisch-statischen und ihrem dialogisch-dynamischen Pol) bei Guardini und der buddhistischen Weisheitslehre als eines mittleren Weges zwischen den Extremen von Idealismus und Materialismus, von Determinismus und Indeterminismus, für den das Halten des Maßes und der Mitte von entscheidender Bedeutung ist. Guardinis Sympathie für die Lehre des Buddha gründet ferner auch in der gemeinsamen Befürwortung einer ganzheitlichen Askese, die neben dem Verzicht und der Selbstzucht auch der Wahrung innerer Freiheit durch das Halten der Distanz zu den Dingen sowie der Ruhe und dem Schweigen den notwendigen Daseinsraum gewährt. Schließlich zeigt der Verfasser auch die zweifellos bedeutsamste Gemeinsamkeit zwischen Guardini und dem genuin buddhistischen Denken eindringlich auf: Die Überzeugung, dass der Mensch nur durch Selbstlosigkeit seine vollkommene Existenzweise finden könne. Diese Überzeugung aber bezeichnet der Verfasser unter Bezug auf Henri de Lubac als „das paradoxe Prinzip der Person“ sowie mit Guardini selbst als „die Logik des göttlichen Lebens“. Zugleich erkennt er, dass es sich dabei um das (Verstandes-) Paradox der Liebe selbst handelt, wonach eine Person erst durch die Hingabe ihrer selbst eine Verwandlung in eine vollkommenere Daseinsform – bei Guardini die Inexistenz Christi im Menschen – erfährt. Im Verständnis der Selbstlosigkeit bei Guardini und in der buddhistischen „An-atta-Lehre“ sieht der Verfasser daher dasselbe paradoxale Prinzip verwirklicht: „Der Mensch wird umso freier und eigentlicher, je mehr er sich, sein angebliches Selbst, aufgibt, d. h. je radikaler er von seiner Ichbezogenheit entbunden wird.“ Doch auch wenn diese Gemeinsamkeiten zwischen christlicher Weltanschauung und buddhistischem Daseinsverständnis Romano Guardinis substanzielles Interesse am Buddhismus erklären und verständlich machen können, so bleibt dennoch der fundamentale Unterschied zwischen beiden Daseinsverständnissen – dem christlichen und „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ A 23 Alber 48413 / p. 24 Vorwort des Reihenherausgebers dem buddhistischen – bestehen und Guardini auch vollends bewußt: Buddha ist für Guardini – wie auch für Henri de Lubac – zwar ein herausragender Vorläufer und Vorbereiter des Christusereignisses; aber dennoch ist nach christlichem Verständnis die Fülle des göttlichen Heils erst mit Christus in die Menschheitsgeschichte eingetreten, ist Gott nur in Christus Mensch und darin zum universellen Vorbild und Maßstab allen menschlichen Lebens geworden. Daher beruht die Unterscheidung des Christlichen letztlich auf der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, ist der christlich geglaubte Sinn allen menschlichen Daseins die Nachfolge Christi, das Ähnlichwerden mit ihm. Deshalb ist Vorbild und Mittler des Heils für den Menschen im Christentum eine Person, die des Gottmenschen, während im Buddhismus die Heilslehre an Heilsrelevanz für den Menschen über der Person des geschichtlichen Buddha steht. Und deshalb lernt der Mensch nicht bereits im Buddhismus, sondern erst im Christentum die Vollendung dessen, was er wesensursprünglich immer schon ist: seiner Person. Die vorliegende Dissertation füllt mit ihrer sachlich gründlichen, im gedanklichen Aufbau klar strukturierten sowie argumentativ und sprachlich überzeugend präsentierten Darstellung des Person-Verständnisses Romano Guardinis einschließlich seiner ethischen Konsequenzen sowie der Form und Motive seiner bemerkenswerten Buddhismus-Rezeption zweifelsohne eine Lücke in der bisherigen Forschung zur Anthropologie und Ethik Guardinis. Sie verbindet eine sehr gute Kenntnis des umfassenden und vielschichtigen Denkens Guardinis mit einer gründlichen Analyse seiner geistesgeschichtlichen Inspirationsquellen. Mit ihrer minutiösen Untersuchung von Form und Motiven der Buddhismus-Rezeption Guardinis erschließt sie eine neue, weitere, für viele Leser sicher überraschende Inspirationsquelle von Guardinis monumentalem Werk. Darüber hinaus leistet sie insofern einen gelungenen Beitrag zum christlich-buddhistischen Dialog, als sie sowohl das genuin christliche Person-Verständnis als auch die daraus ableitbaren Grundzüge christlicher Ethik in ihrer repräsentativen Ausformung im Denken Guardinis mit den aus den religionsgeschichtlichen Quellen überzeugend erhobenen Grundzügen der buddhistischen Anthropologie und Ethik vergleicht und dabei bestehende Analogien und bleibende Divergenzen sichtbar macht. Diese Dissertation ist nach meinem ganz eindeutigen Eindruck die qualitativ beste, die ich von einem aus Ostasien stammenden Promovenden in katholischer Theologie bislang überhaupt gelesen habe. Mit ihr hat sich ihr 24 SCIENTIA RELIGIO Chan Ho Park Alber 48413 / p. 25 Vorwort des Reihenherausgebers Verfasser für eine akademische Lehrtätigkeit in seinem Heimatland in vorbildlicher Weise qualifiziert. Sie in die Reihe „Scientia & Religio“ aufnehmen und dem an ihrer Thematik interessierten Leser wärmstens empfehlen zu können, ist mir daher eine echte Freude. Freiburg, den 3. August. 2009 „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ Markus Enders A 25 Alber 48413 / p. 26 Alber 48413 / p. 27 Einleitung 1. Der Anlass und das Thema der Untersuchung (Allgemeine Einführung) „Mir hat immer sehr eingeleuchtet, was die alte chinesische Weisheit lehrt: Das Hinderlichste im Geistigen seien Absichten; je reiner die Absichtslosigkeit, desto stärker die Wirkung. Ich war immer überzeugt, wesentlich sei nur, die Sache so zu machen, wie sie selbst sein wolle.“ 1 Dieses Zitat stammt aus einer Ansprache Romano Guardinis, in der er auf sein Leben und seine schriftstellerische Tätigkeit zurückblickt. Es stellt nicht nur rhetorisch dar, welcher Grundgedanke ihn durch seine ganze wissenschaftliche Arbeit begleitete, sondern deutet auch seine Offenheit gegenüber anderen Kulturen an. Romano Guardini gehört ohne Zweifel zu den großen Gestalten in der Theologie-geschichte des 20. Jahrhunderts. Er wurde jedoch, wie einige Autoren ihm attestieren, nach und nach zum „bekannten Unbekannten“ 2 . Seit 1985, dem 100. Geburtsjahr Guardinis, sind aber die Schriften Guardinis wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht Romano Guardini, Warum so viele Bücher?, in: Stationen und Rückblicke, Würzburg, 1965, 23–34, hier 33. (Kursiv von mir). 2 Gunda Brüske, Anruf der Freiheit, Paderborn, 1998, 11. Schon ein paar Jahre nach dem Tod Guardinis merkte Fridolin Wechsler, dass die Wirkungskraft Guardinis verloren ging, und schrieb: „Seit Romano Guardini am 1. Oktober 196 gestorben ist, ist es um ihn still geworden“ (Fridolin Wechsler, Romano Guardini als Kerygmatiker, Paderborn, 1973, 11). Eugen Biser wies auch darauf hin, dass Guardinis Werke nach seinem Tod immer mehr an Popularität verloren, und dass man sich sogar weigerte, ihn zu den „bahnbrechenden Theologen des 20. Jahrhunderts“ zu rechnen (Vgl. Eugen Biser, Interpretation und Veränderung. Werk und Wirkung Romano Guardinis, Paderborn, 1979, 15). Es ist also ein „merkwürdiges Phänomen“, dass Guardini und seine Werke zu seinen Lebzeiten viele Menschen faszinierten und großen Einfluss auf sie hatten, aber nach seinem Tod nahezu in Vergessenheit gerieten (Vgl. Dorothee Fischer, Wort und Welt. Die Pneuma-Theologie Romano Guardinis als Beitrag zur Glaubensentdeckung und Glaubensbegleitung, Stuttgart-Berlin-Köln, 1993, 10). 1 „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ A 27 Alber 48413 / p. 28 Einleitung worden. Diese Aktion wurde von der Katholischen Akademie Bayern initiiert, und zwar durch die Publikationsreihe „Romano Guardini Werke“, die 43 Bände umfasst. Innerhalb der letzten zehn Jahre erschienen zahlreiche Aufsätze, die Guardinis Denken philosophisch, theologisch und pädagogisch analysierten und interpretierten. Hinzu kommen Monografien, die sein Leben und seine Werke unter den verschiedenen Gesichtspunkten betrachten. 3 Die Werke Guardinis finden also erneut in den Buchläden ihre Leser, und sein philosophisch-theologisches Denken wird in den wissenschaftlichen Fakultäten neu reflektiert. Auch in koreanischer Sprache ist bis heute eine Vielzahl seiner Schriften übersetzt und veröffentlicht worden. 4 Klaus Korfmacher, Romano Guardini – Ekklesiologische Aspekte eines zeugnisstarken Priesters und theologischen Denkers im Hinblick auf das II. Vatikanische Konzil, Bochum, 1996; Kyung-Won Lee, Grundaspekte des Mensch-Seins bei Romano Guardini, Regensburg, 1996; Gunda Brüske, Anruf der Freiheit, Paderborn, 1998; Maria Pelz, Wege des Lebens, Frankfurt a. M., 1998; Berthold Gerner, Romano Guardini in München, München, 1998; Bruno Kurth, Das ethische Denken Romano Guardinis, Paderborn, 1998; Franz Heinrich, Romano Guardini – Leben, Persönlichkeit, Charisma und Wirken, München, 1998; Andrzej Kobylinski, Modernità e postmodernità, Roma, 1998; Joachim Reger, Die Phänomenologie als theologisches Prinzip, St. Ottilien, 1999; Enzo Nardi, Cristianesimo ed esistenza – il messaggio spirituale di Romano Guardini, Padova, 1999; Joachim Reber, Die Welt des Christen, München, 1999; Franz Henrich (Hg.), Romano Guardini – Christliche Weltanschauung und menschliche Existenz, Regensburg, 1999; Stephan Pauly, Subjekt und Selbstwerdung, Stuttgart, 2000; Josef Kreiml, Die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus, Regensburg, 2001; Joachim Reber, Romano Guardini begegnen, Augsburg, 2001; Bernhard Hegge, Christliche Existenz bei Romano Guardini, Würzburg, 2003; Marian Eleganti, „Man muss gut wollen, um wahr denken zu können“ – Ein Beitrag zum Wahrheitsverständnis von Romano Guardini, Salzburger Theologische Studien, Band 22, Innsbruck, 2003; Markus Zimmermann, Die Nachfolge Jesu Christi, Paderborn, 2004; Giuseppe Ruta, Romano Guardini e l’essenza del Christianesimo, Messina, 2005; Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Romano Guardini, Mainz, 2005[Veränderte Neuausgabe]; Dies. (Hg.), »Ich fühle, daß Großes im Kommen ist« – Romano Guardinis Briefe an Josef Weiger 1908–1962, Mainz, 2008; Dies. (Hg.), Gib Raum den Dingen – Romano Guardini Lesebuch, Mainz, 2008. 4 Angefangen von » (Von heiligen Zeichen)« (1976) sind bisher in Korea zahlreiche Schriften von Romano Guardini publiziert worden. Diese sind z. B. » (Der Herr)« (1995), » (Die Technik und der Mensch)« (1998), » (Vom Leben des Glaubens)« (1998), » (Der unvollständige Mensch und die Macht)« (1999), » (Vom Sinn der Schwermut)« (2002), » (Vorschule des Betens)« (2002), » (Die Besinnung vor der Feier der Heiligen Messe)« (2003), » (Grundlegung der Bildungslehre)« (2006) usw. Das Gesamtbild der Übersetzungen spricht dafür, dass die Schriften Guardinis in Korea seit etwa 10 Jahren an Aktualität 3 28 SCIENTIA RELIGIO Chan Ho Park Alber 48413 / p. 29 Der Anlass und das Thema der Untersuchung (Allgemeine Einführung) Einer der Gründe für das steigende Interesse an Guardini ist meines Erachtens seine intensive Beschäftigung mit dem Selbstverständnis des Menschen, dessen qualitative Andersheit gegenüber anderen Lebewesen angesichts der naturwissenschaftlichen Entdeckungen und Thesen immer mehr infrage gestellt wird. Der heutige Mensch fühlt sich immer weniger als ein mit absoluter Würde ausgestattetes, einmaliges Wesen, und immer mehr als ein Teil der Welt, das im Notfall durch ein anderes ersetzt werden könnte. 5 Auch im Laufe der Industrialisierung der modernen Gesellschaft, in der sich eine immer größer werdende Anonymität ausbreitet, schob man die Fragen, was eigentlich der Mensch ist und wie seine Einzigartigkeit und Würde sinnvoll begründet werden können, an den Rand. Aus der Geschichte hat man aber gelernt, dass der technische Fortschritt und der dadurch errungene materielle Wohlstand nicht unbedingt dem Menschen selbst dienen. Die negativen Auswirkungen der Modernisierung zeigen sich nicht nur im innerlichen Leben des Menschen, sondern auch in äußeren Lebensbereichen: Der Mensch wird z. B. durch immer wenigere Bewegung immer dicker und schwächer, die Erdatmosphäre wird durch Schadstoffausstoß immer schlechter und der damit verbundene Klimawandel verursacht furchtbare Naturkatastrophen. 6 Seit Kurzem verbreitet sich weltweit die Einsicht, dass die Erdkugel, der Lebensraum aller Lebewesen, wegen des maßlosen Fortschrittswillens des Menschen immer gewinnen, und zugleich, dass Guardini nicht so sehr als Philosoph und Theologe wahrgenommen wird, sondern eher als christlicher Glaubenlehrer. 5 Hier denke ich einerseits an das moderne Wirtschaftssystem, in dem der Mensch nur als ein Teil des großen Marktgefüges angesehen wird. Darin ist der Mensch entweder Produzent oder Konsument, dessen Sinn verschwindet, sobald er versagt, seine Rolle zu spielen. Andererseits denke ich an die aktuelle medizinische Stammzell- und Klonforschung, welche die herkömmliche Definition der Person und die Würde menschlichen Daseins infrage stellen könnte. Es würde in der Zukunft nicht mehr nur in den KinoFilmen zu sehen sein, dass man den gleichen Menschen – zumindest als einen biologischen Organimus betrachtet – zwei oder dreimal produziert. 6 Als Reaktion auf diese negativen Folgen der Industrialisierung gewinnt der englische Begriff „well-being“, der sich nicht nur auf körperliches Wohlbefinden, sondern auch auf geistiges Glück bezieht, weltweit mehr und mehr an Popularität. So wird „wellbeing“ vor allem im Westen zum Lebensmotto vieler Menschen. Dieser Begriff wird aber irrtümlicherweise häufig mit Begriffen wie „well-living“ oder „well-feeling“ verwechselt. Anders als diese ist „well-being“ kein utilitaristischer Begriff, der sich auf den Nutzen des Menschen bezieht, sondern vielmehr ein philosophisch-abstrakter Begriff, der mit der uralten Frage nach der Natur der Gutheit verbunden ist. Vgl. Roger Crisp u. a. (Hg.), Well-being and Morality – Essays in Honour of James Griffin, Oxford, 2000, 4. „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ A 29 Alber 48413 / p. 30 Einleitung mehr an Gleichgewicht verliert, und somit das Leben selbst gefährdet wird. So hat man begonnen, einerseits über die unvergleichliche Würde des Menschen nachzudenken, andererseits aber auch nach Möglichkeiten zur Wiederherstellung des Gleichgewichts zu forschen. In diesem gesellschaftlichen Kontext scheinen die Schriften Guardinis, der sowohl mit seiner skeptischen Analyse der Neuzeit auf die Ursache der Fehlentwicklung verwies, als auch die unbedingte Würde des Menschen als Person mit seinen philosophisch-theologischen Argumenten in den Mittelpunkt stellte, zeitgemäß. 7 Es ist also die Anthropologie Guardinis, die für den Menschen von heute von Interesse ist. Was Guardini zu einem zeitübergreifenden Denker macht, ist seine großartige Denkleistung, die darin besteht, „einzelne Tendenzen der Zeit ins Allgemeine weiterzudenken, zu ‚extrapolieren‘“ 8 . So konnte er schon am Anfang des 20. Jahrhunderts die heutige Wirtschafts- und Umweltkrise voraussagen, die auf dem blinden Fortschrittsglauben beruhen. Diese prophetische Einsicht gewann Guardini einerseits dadurch, dass er der traditionellen Philosophie und Theologie des Westens treu blieb und zugleich für das Gespräch mit modernen Wissenschaften bereit war. Andererseits war seine vorhersagende Einsicht auch dadurch möglich, dass er anhand seiner Gegensatztheorie ständig nach der Mitte zwischen den entgegengesetzten Theorien und Positionen suchte und daraus ein allgemeingültiges Prinzip ableitete. Diese seine Haltung brachte Arno Schilson, einer der profiliertesten Guardini-Kenner, durch den Titel des von ihm herausgegebenen Buches gut zum Ausdruck: »Konservativ mit Blick nach vorn«. 9 Diese Schon im Jahr 1949 stellte Guardini fest, dass das grundsätzliche Problem der modernen Gesellschaft darin liegt, den Menschen zu versachlichen, und schrieb: „Sobald man anfängt, Nachteile als hinreichenden Grund für die Antastung des menschlichen Lebens anzusehen, kann man in überzeugender Weise keine Grenze mehr festhalten. […] So ist denn der Mensch nicht nur in den Dingen, sondern auch den anderen Menschen gegenüber sehr »sachlich« geworden, das heißt aber, geneigt, ihn als eine Sache zu behandeln, die unter Gesichtspunkten der Nützlichkeit steht“ (Romano Guardini, Das Recht des werdenden Menschenlebens, in: Ders., Sorge um den Menschen, Band 1, Würzburg, 2 1963, 162–185, hier 166). Auch in Bezug auf die heutige Debatte über viele bioethische Fragen, z. B. die Frage nach dem Schwangerschaftsabbruch, der Embryoforschung und der Euthanasie hat diese Einsicht Guardinis nicht an Aktualität verloren. 8 Walter Dirks, Nachwort, in: Romano Guardini, Die Technik und der Mensch, Mainz, 2 1990, 114. 9 Arno Schilson (Hg.), Konservativ mit Blick nach vorn – Versuche zu Romano Guardini, Würzburg, 1994. 7 30 SCIENTIA RELIGIO Chan Ho Park Alber 48413 / p. 31 Der Anlass und das Thema der Untersuchung (Allgemeine Einführung) denkerische Haltung ermöglichte es ihm, sich sowohl von der Tradition als auch von aktuellen Entwicklungstendenzen zu distanzieren und dadurch beides im größeren Zusammenhang zu betrachten. Dies ist eben das Grundprinzip der von ihm entworfenen „katholischen Weltanschauung“. Bei ihr geht es nicht in erster Linie darum, die Welt vom katholischen Standpunkt her zu interpretieren, sondern darum, sie als Ganzes zu fassen und darin einen universalen (katholischen) Sinn zu finden. 10 Diese Sichtweise gewinnt nicht nur im Verhältnis zwischen Welt und Kirche zunehmend an Bedeutung, sondern sie eröffnet heutigen Menschen auch einen weiteren Blick auf ihren ganzen Daseinsraum. Angesichts dieser ganzheitlichen und offenen Haltung Guardinis fällt es uns nicht schwer zu denken, dass der Dialog mit den anderen Religionen und philosophischen Positionen Guardini am Herzen lag. Tatsächlich zeichnen ihn diese Dialogbereitschaft und Friedfertigkeit aus. Der Dialog setzt aber einen gemeinsamen Ausgangspunkt aller Gesprächsteilnehmer voraus, und dieser ist für Guardini „der gleiche Wille zur Wahrheit“ 11 . Die Dinge haben ihre Wahrheit, und jeder verschafft sich verschiedene Zugänge zu dieser Wahrheit. In diesem Sinne bedeutet das geistige Leben, „den Ruf dieser Wahrheit zu vernehmen, in den Gehorsam gegen sie einzutreten und nach ihr zu suchen“12 . Der echte Dialog besteht daher im lebendigen Gegeneinander von Ansichten und seelischen Haltungen, und „die Wahrheit des Gesprächs entspringt erst dem letzten Zusammenklang der Gegensätze“ 13 . Guardinis Interesse am Buddha, dessen Lehre das religiös-geistige Leben vieler Asiaten seit Jahrtausenden prägt, ist in diesem Kontext zu verstehen. Guardini war wohl der erste Theologe, der den Wert dieser fernöstlichen religiösen Gestalt, des Buddha, erkannte und versuchte, zu Katholische Haltung bedeutet für Guardini, „daß jeder auf das Ganze bezogen sei. Nicht zu charakterloser Durchschnittlichkeit ausgeglichen, sondern organisch eingegliedert. Um die eigenen Grenzen wissend, und durch die anderen Typen in die volle Wahrheit gestellt“. Romano Guardini, Vom Wesen katholischer Weltanschauung, Basel, 1953, 35. 11 Romano Guardini, Der Friede und der Dialog, in: Sorge um den Menschen, Band 2, Würzburg, 1966, 33–45, hier 34. 12 Romano Guardini, Pluralität und Entscheidung, in: Ders., Sorge um den Menschen, Band 1, 139–161, hier 160. 13 Romano Guardini, Ein Gespräch vom Reichtum Christi, in: Auf dem Wege, Mainz, 1923, 150–165, hier 150. 10 „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ A 31 Alber 48413 / p. 32 Einleitung zeigen, „was er christlich bedeutet“ 14 . Seine Beschäftigung mit dem Buddha wurde aber bisher kaum in Betracht gezogen. Ein entscheidender Grund für dieses Defizit ist, dass Guardini keine eigenständige systematische Abhandlung über den Buddha hinterließ. Seine Äußerungen über den Buddha bzw. den Buddhismus kommen nur vereinzelt und verstreut in seinen Schriften vor. Doch das Vorhaben Guardinis, eine Art Trilogie von Jesus, Sokrates und Buddha zu schreiben, das leider nicht realisiert werden konnte, 15 deutet an, dass sein Interesse am Buddha nicht gering zu schätzen ist. Er hielt auch zu seiner Berliner Zeit eine Vorlesung mit dem Titel »Der Tod des Buddha. Die buddhistische Sinndeutung des Daseins und ihre Bedeutung für das Verständnis des Christentums«. 16 Sein Interesse, besser gesagt, seine Bewunderung gilt vor allem der außerordentlichen Fähigkeit des Buddha, das Dasein als solches wahrzunehmen und es auf eigene Weise darzulegen. Dieser religionsphilosophische Aspekt ist bisher übersehen worden, und es gibt unter den zahlreichen Studien und Untersuchungen über Guardini keine einzige, die diesen Aspekt ausdrücklich thematisiert. Somit sind der Anlass und der Gegenstand meiner Untersuchung, hoffe ich, mehr oder weniger klar geworden. Die vorliegende Untersuchung zielt zunächst darauf, die Besonderheit der philosophischtheologischen Anthropologie Guardinis, in deren Mittelpunkt der Mensch als Person steht, nachzuzeichnen und auf ethische Konsequenzen hin zu untersuchen. Für mich persönlich, einen katholischen Theologiestudenten aus dem Fernen Osten, ist Guardini vor allem deswegen Romano Guardini, Der Herr, Würzburg, 11 1959, 360. Guardini ist tatsächlich in Bezug auf das christliche Verständnis des Buddhismus pionierhaft und wichtig. Dies zeigt sich auch darin, dass der namhafte französische Theologe Henri de Lubac, der sich mit dem Buddhismus relativ ausführlich befasste und auseinandersetzte, sich in seinem Buch »Aspects du Bouddhisme« ausdrücklich auf Guardinis Stellungnahme zum Buddhismus bezog. Vgl. Henri de Lubac, Aspects du Bouddhisme, Paris, 1951, 8 f. 15 In einem Brief an Mary Luise de Marillac S. S. N. D. vom 3. 8. 1963 schreibt Guardini nämlich: „Tatsächlich bin ich auf die gewisse Parallelität zwischen der Persönlichkeit und der Lehre von Sokrates, und ebenso der von Buddha zur Person Christi durch einige Lektüre der Quellen gekommen. So hatte ich die Absicht, eine Art ‚Trilogie‘ zu schreiben, in welcher der Tod Buddhas, der des Sokrates und der Tod Jesu Christi in ihren Ähnlichkeiten, aber auch, und vor allem, in ihren Unterschieden analysiert werden sollte.“ Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Romano Guardini, 220. 16 Diese Vorlesung wurde von Guardini im Wintersemester 1937/38 an der FriedrichWilhelms-Universität zu Berlin gehalten. Das Manuskript der Vorlesung wurde leider nicht überliefert. 14 32 SCIENTIA RELIGIO Chan Ho Park Alber 48413 / p. 33 Fragestellungen interessant und aufschlussreich, weil man bei ihm sowohl die lange Tradition der abendländischen Theologie als auch die Neuorientierung der Theologie des zwanzigsten Jahrhunderts sehr gut studieren kann. Im Laufe der Untersuchung wird sich herausstellen, was seine Anthropologie zu einem zeitgemäßen ethischen Ansatz macht. Der zweite Schwerpunkt meiner Untersuchung liegt darin, zu klären, wie man das Interesse Guardinis am Buddhismus und seine Hochschätzung der Person Buddha richtig verstehen kann. Dies ist für mich, der in der buddhistischen Tradition aufwuchs und sich zum katholischen Glauben bekennt, ein ebenso interessanter und in gewisser Hinsicht vielversprechender Punkt. Seit etwa hundert Jahren fasziniert der Buddhismus immer mehr Europäer, und einige von ihnen versuchten, den christlichen Glauben und die buddhistischen Lehre zusammen zu betrachten und beides näher zu bringen. Dies ist ein durchaus sinnvolles Unternehmen, doch besteht darin auch die große Gefahr des Synkretismus. In Bezug auf dieses Phänomen könnte die vorliegende Untersuchung einen kleinen Beitrag zur Orientierungshilfe leisten. Denn am Ende wird sich zeigen, aus welchem Grund Guardini als entschiedener Christ und Theologe zum Buddhismus und zur Person Buddha eine gewisse „Zuwendung“ 17 hatte, und zugleich wird sich herausstellen, wo Guardini den fundamentalen, unüberbrückbaren Unterschied zwischen dem Christentum und dem Buddhismus, genauer gesagt, zwischen der Gestalt Christi und der des Buddha sieht. 2. Fragestellungen Die Fragestellungen, von denen ich ausgehen werde, lassen sich gemäß der vorausgehenden Zielsetzung und der Gliederung der ganzen Untersuchung entsprechend folgendermaßen aufbauen: 1. Was macht Romano Guardini zu einer der größten Gestalten der Theologie-geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts? – In welchem theologiegeschichtlichen Kontext steht Romano Guardini? Jacques Albert Cuttat, Buddhistische und christliche Innerlichkeit in Guardinis Schau, in: Helmut Kuhn u. a. (Hg.), Interpretation der Welt – Festschrift für Romano Guardini zum achtzigsten Geburtstag, Würzburg, 1965, 445–471, hier 447. 17 „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ A 33 Alber 48413 / p. 34 Einleitung – Was ist der rote Faden seiner Philosophie und Theologie, und was versteht er unter „Person“? – Welche ethische Relevanz hat seine philosophisch-theologische Anthropologie, und was ist das Besondere in seinem Personkonzept? – Gibt es eine Möglichkeit, Guardinis philosophische Gedanken anders zu interpretieren, vor allem in Bezug auf fundamentalethische Fragen, z. B. „Was heißt es, dass der Mensch Person ist, und was bedeutet es für die Ethik?“, „Was kann die Theologie Guardinis dazu beitragen, eine zeitgemäße Ethik zu entwickeln, die sich die heutigen Menschen zum Maßstab ihres Handelns nehmen können?“ 34 2. Wer ist die Person Buddha, und worin besteht die Besonderheit seiner Lehre? – In welchem religionsgeschichtlichen Zusammenhang entstand der Buddhismus, und welche Weltanschauung lässt sich, vor allem in der ersten und wichtigsten Predigt des Buddha, bei ihm erkennen? – Was sagte der Buddha zum Dasein des Menschen, und wie ist vor allem die sogenannte Nicht-Selbst(anattā)-Lehre anthropologisch zu verstehen? – Welche ethischen Konsequenzen können aus der Lehre des Buddha gezogen werden? – Was macht den Buddhismus für westliche Menschen so faszinierend, dass nicht nur das wissenschaftliche Interesse an ihm, sondern auch die breite Nachfrage nach buddhistischer Lektüre ständig wächst? 3. Was bedeutet die religiöse Gestalt Buddha für Romano Guardini und wie lässt sich sein Interesse am Buddha verstehen? – In welchem Zusammenhang erscheinen Guardinis Stellungnahmen zur Gestalt Buddha? – Worin liegt der Anknüpfungspunkt zwischen dem Denken Guardinis und der Lehre des Buddha? Gibt es zwischen beiden Ähnlichkeiten? – Wie und in welchen Punkten distanziert sich Guardini als entschiedener katholischer Theologe vom Buddhismus? SCIENTIA RELIGIO Chan Ho Park Alber 48413 / p. 35 Der Aufbau und die Vorgehensweise – Was kann das Ergebnis für die christliche Ethik bedeuten, und was kann es zum interreligiösen Gespräch beitragen? Diese sind Leitfragen, die mich durch die ganze Untersuchung hindurch begleiten werden. Im Hauptteil der Untersuchung werde ich die einzelnen Fragen jedoch nicht noch einmal stellen, aber sie werden am Ende explizit oder implizit beantwortet sein. 3. Der Aufbau und die Vorgehensweise Die Fragestellungen deuten bereits an, wie der Aufbau der folgenden Untersuchung aussieht. Die ganze Untersuchung besteht, abgesehen von der Einleitung, aus drei großen Teilen: „Der Mensch als Person bei Romano Guardini“ (Teil I), „Daseinsverständnis im Buddhismus“ (Teil II) und „Ergebnis und Ausblick“ (Teil III). Den größten Umfang besitzt jedoch der erste Teil, d. h. die philosophisch-theologische Analyse des Personbegriffs bei Romano Guardini und die ethische Würdigung seines Personkonzeptes. Im ersten Teil versuche ich zunächst, Guardinis philosophische und theologische Grundposition darzustellen, und zwar im Hinblick auf den geschichtlichen Bedeutungswandel des Personbegriffs (Kapitel 1). Dann komme ich zum Hauptkapitel (Kapitel 2), welches wiederum aus zwei größeren Themenkomplexen besteht. Im ersten dieser zwei Abschnitte befasse ich mich zunächst damit, was Guardini unter dem Begriff „Welt“ versteht (Abschnitt 2.1). Dies ist ein notwendiger Schritt, denn aufgrund der sprunghaften Entwicklungen der Naturwissenschaften und der modernen Psychologie kann die Anthropologie nicht über die Frage nach der Situiertheit des Menschen und seinem Verhältnis zur Umwelt hinweggehen. Dem Selbstverständnis des menschlichen Daseins geht also das Verständnis der Welt voraus, in der der Mensch als Person existiert. Dementsprechend ist auch das anthropologische Hauptwerk Guardinis »Welt und Person« gegliedert. 18 Das Werk »Welt und Person«, das erstmals im Jahr 1939 veröffentlicht wurde, besteht aus drei Kapiteln: Die Welt, die Person und die Vorsehung. Darin befasst sich Guardini zunächst mit dem Begriff Welt, dann versucht er, anhand seines Weltverständnisses den Personbegriff philosophisch und theologisch darzulegen. Im dritten und letzten Kapitel über die Vorsehung versucht Guardini, zu zeigen, wie das christlich verstan- 18 „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ A 35 Alber 48413 / p. 36 Einleitung Nach der ausführlichen Darstellung des Weltverständnisses Guardinis versuche ich, sein philosophisch-theologisches Konzept des Personbegriffs im Hinblick auf dessen vielfältige Aspekte zu betrachten und zu analysieren (Abschnitt 2.2). Zunächst setze ich mich mit Guardinis philosophischer Analyse auseinander, die zwei unterschiedliche Dimensionen enthält: die ontologische und die dialogische (Abschnitt 2.2.1). Im Laufe dieses Kapitels wird erkennenbar werden, dass die Gegensatztheorie der ganzen Struktur seines philosophischen Denkens zugrunde liegt. Gegen Ende dieses Kapitels wird sich auch zeigen, wie Guardini lückenlos von seinem philosophischen Argument zum theologischen übergeht. Durch die anschließende theologische Analyse (Abschnitt 2.2.2), die vom dialogischen Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen ausgeht und im Begriff „Inexistenz Christi“ ihren Höhepunkt erreicht, werden dann die Fragen beantwortet, welche Rolle die Theologie in seinem Personkonzept spielt und worin der Schwerpunkt seines Personbegriffs liegt. Das dritte Unterkapitel, in dem ich die ethischen Konsequenzen der vorangehenden Analysen des guardinischen Personkonzepts darstelle (Abschnitt 2.2.3), versteht sich als das Zwischenergebnis des ganzen ersten Teils. Darin wird auch der Versuch gemacht, das ethische Denken Guardinis, das von einem substanziellen, existenziellen und in gewisser Hinsicht mystischen Personkonzept ausgeht, anders als bisher zu verstehen und zu interpretieren. Für diesen Versuch werden das gegensätzliche Verhältnis zwischen zwei Tugenden, der Selbstlosigkeit und der Annahme seiner selbst, und der Begriff Askese ausschlaggebend sein. Im ganzen zweiten Kapitel (2. Welt und Person) richte ich mich nach der Gliederung dem Gedankengang des oben genannten Werkes »Welt und Person«. Dabei versuche ich, seine Aussagen und Schlussfolgerungen, denen man in diesem Werk begegnet, unter Einbeziehung seiner Äußerungen in anderen seiner Schriften zu erörtern. Der Forschungsgegenstand des zweiten Teils ist die religiöse Gestalt Buddha und seine Lehre über die Welt und den Menschen. Da das Interesse Guardinis in erster Linie nicht dem Buddhismus als solchem gilt, sondern der Person Buddha, versuche ich zunächst, anhand der dene Dasein des Menschen in der Einheit von Welt und Person gedacht werden kann. Vgl. Romano Guardini, Welt und Person, Mainz-Paderborn, 6 1988, 7 ff. 36 SCIENTIA RELIGIO Chan Ho Park Alber 48413 / p. 37 Der Aufbau und die Vorgehensweise historisch ableitbaren Daten und der legendarischen Erzählungen über ihn das Leben des Buddha zu rekonstruieren (Kapitel 1). Somit soll deutlich gemacht werden, wer die Person Buddha war und welchen Anlass seine ganze Lehrtätigkeit hatte. Nachdem dies geklärt ist, konzentriere ich mich auf die Lehre des Buddha, wie sie sich in seiner ersten und wichtigsten Lehrverkündigung, der »Predigt von Benares«, erkennen lässt (Kapitel 2). Diese Predigt, in deren Mittelpunkt die „Lehre von den vier edlen Wahrheiten“ steht, gilt nämlich als die ursprünglichste Lehre des Buddha, von der alle buddhistischen Verzweigungen ausgehen. Da es sich beim Buddhismus aber nicht um eine völlig neue Entdeckung des Buddha selbst handelt, sondern eher um die Übernahme und Erneuerung der bereits bestehenden Religion und der philosophischen Strömungen des alten Indiens, ist es unumgänglich, einen Blick auf die religiöse und philosophische Vorgeschichte vor der Entstehung des Buddhismus zu werfen (Abschnitt 2.1). Danach werde ich die buddhistische Weltanschauung, welche die Vorstellung der Wiedergeburt, die Lehre vom Kamma-Gesetz und den Lehrsatz vom abhängigen Entstehen umfasst, darlegen (Abschnitt 2.2). Im nachfolgenden Abschnitt versuche ich dann, aus der Analyse der Weltauffassung des Buddha heraus das buddhistische Verständnis des Menschseins und der Erlösung aufzuzeigen und dieses ethisch zu interpretieren (Abschnitt 2.3). Im Mittelpunkt dieses anthropologisch-ethischen Abschnittes steht die Lehre vom Nicht-Selbst, die für das Ergebnis der ganzen Untersuchung von großer Bedeutung ist. Dieser Abschnitt gliedert sich in drei kleinere Unterabschnitte: „Die anthropologische Interpretation der ‚Vier edlen Wahrheiten‘“ (Abschnitt 2.3.1), „Die Lehre vom Nicht-Selbst“ (Abschnitt 2.3.2) und „Der Weg zur Erlösung“ (Abschnitt 2.3.3). In Anbetracht dessen, dass es sehr viele angeblich auf den Buddha selbst zurückgehende Lehrreden gibt, beschränkt sich diese Untersuchung auf die »Predigt von Benares«, die als die allererste Verkündigung seiner Lehrtätigkeit gilt und in der alle wesentlichen Elemente seiner ganzen Lehre vorhanden sind. Die ursprünglichen Lehren des Buddha wurden von seinen Anhängern verschiedentlich rezipiert, ausgelegt und weitergegeben, sodass es nun eine Unmenge von buddhistischen Texten gibt. Aus diesem Grund beziehe ich mich, was die Quellenanlage angeht, ausschließlich auf den „Pāli-Kanon“, in dem nach allgemeiner Übereinstimmung die Texte überliefert sind, die den ori- „Wer sein Selbst verliert, wird es gewinnen“ A 37 Alber 48413 / p. 38 Einleitung ginalen Reden des Buddha am nächsten kommen und die deshalb für meine Untersuchung am besten geeignet sind. 19 Um den Lesern zum leichteren Verständnis der Inhalte zu verhelfen, fasse ich am Ende eines Kapitels bzw. großen Abschnittes – sowohl im ersten als auch im zweiten Teil – die Analysen und Argumente noch einmal zusammen und ziehe ein Zwischenfazit. Dieses wird auch als Brückenschlag von dem Vorhergehenden zu dem Nachfolgenden dienen. Der dritte Teil, das Ergebnis der gesamten Untersuchung, versteht sich einerseits als eine schematische Darstellung des ganzen Gedankenganges Guardinis, andererseits als vergleichende Zusammenstellung aus dem anthropologischen Denken Guardinis und dem Daseinsverständnis des Buddha. Auf diese Weise soll ein Gesamtbild entstehen, das sowohl die ethische Relevanz der Anthropologie Guardinis zum Vorschein bringt, als auch das Interesse Guardinis am Buddhismus aufklärt. Darin wird sich auch zeigen, wo die Grenzen zwischen dem Christentum und dem Buddhismus gesetzt werden (müssen). So kann die vorliegende Untersuchung dazu beitragen, einen Standpunkt zu finden, von dem her die Einsicht in die gemeinsame Basis, auf welcher das interreligiöse Gespräch gelingen kann, gewonnen wird. Der Pāli-Kanon wurde in einem nordindischen Dialekt verfasst, den der Buddha selbst gesprochen haben könnte. Die Schriften dieses Kanons sind uns durch Buddhisten der Theravāda-Schule in Sri Lanka, Myanmar und Thailand mündlich überliefert und wahrscheinlich nicht vor dem 1. Jh. v. Chr. niedergeschrieben worden. Der Pāli-Kanon wird häufig mit dem Namen Tipitaka – drei Körbe – bezeichnet, weil man die Schriften in drei getrennten Behältnissen aufbewahrte. Diese sind der Korb der Lehrreden (Suttapitaka – darunter Dı̄ghanikāya, Majjhimanikāya, Samyuttanikāya, Anguttaranikāya und Khuddakanikāya), der Korb der Ordensdisziplin (Vinayapitaka – darunter Suttavibhanga, Khandakā und Parivāra) und eine Sammlung vermischter Lehrstücke. Vgl. Karen Armstrong, Buddha, Berlin, 2004, 9 ff. 19 38 SCIENTIA RELIGIO Chan Ho Park