Der Geschmack der Heimat Die Chinesin Lili lebt seit vielen Jahren in Deutschland, wo es ihr nicht immer leicht fällt asiatische Gerichte authentisch zu kochen. Dennoch gibt sie ihren kulinarischen Traum nicht auf. 家 Text und Fotografie: Lukas Küchenmeister Es brutzelt und dampft, Gemüse wird geputzt, geschnitten und gehackt. Mit langen Stäbchen wird das in der Pfanne gegarte Fleisch schnell gewendet, bevor es anbrennen kann. Aus dem gekippten Fenster strömt ein leckerer Duft von Reis, Sojasoße und allerlei exotischen Gewürzen in die Straße, in der das kleine Haus der dreiköpfigen Familie Allmeroth steht. Es geht hektisch zu, die kleine Arbeitsplatte der Küche ist voll gestellt mit Töpfen und Schüsseln in denen weitere Zutaten auf ihre Verarbeitung warten. Doch dann passiert es: Eine Zutat für das original chinesische Gericht fehlt und es muss auf eine Alternative ausgewichen werden. „Das passiert mir immer wieder“, sagt die seit 16 Jahren in Deutschland lebende Chinesin Lili. „Hier gibt es zwar eine Menge ähnlicher Zutaten, aber mit diesen bin ich nicht immer zufrieden.“ Lili stammt aus der nordost-chinesischen Hafenstadt Dalian in der Provinz Liaoning. Die Region ist vor allem für ihre üppige Auswahl an Meeresfrüchten bekannt, die frisch aus den Fischernetzen auf der Straße verkauft werden. „Wenn ich hier Meeresfrüchte kaufen möchte, habe ich selbst im Asialaden kaum Auswahl“, so die 46-Jährige in gut verständlichem Deutsch. Asialäden sind, trotz des speziellen Sortiments, eben doch nur ein winziger Ausschnitt der bunten Speisekarte in der Ferne. Und meist haben diese dann noch vietnamesische, thailändische oder südkoreanische Produkte im Angebot, sodass die Auswahl an typisch chinesischen Lebensmitteln stark begrenzt ist. Hinzu kommt, dass sich Asialäden nur in größeren Städten ein breiteres Angebot aufgrund der höheren Nachfrage leisten können. Im kleinen 14.000-Seelen-Städtchen Bebra, im Nordosten Hessens, in dem die Familie Allmeroth lebt, gibt es hingegen nur normale Supermärkte. In umliegenden Städten bekommt sie aus Asialäden aber auch nur das Nötigste für ihre asiatische Küche, so dass sie meist auf Vorrat einkauft wenn sie mal in Frankfurt am Main ist, erzählt sie mit traurigem Blick. Lili ist die Kultur ihrer Heimat sehr wichtig, vor allem die Esskultur. „Deutsche gehen oft mit dem Vor- 乡 Lili kocht für sich und ihre kleine Familie so oft es geht asiatische Gerichte. Sie bereitet gerne gesund zu und verwendet viele Zutaten aus dem eigenen Garten. „Essen ist ein sozialer Prozess und soll Spaß machen“ Maultschen sind in China ein typisches Familiengericht; je mehr Leute helfen, desto besser. Seitdem Lili in Deutschland ist, hilft ihr nur noch Tochter Susanna. urteil nach China, dass die Chinesen essen würden wie Schweine“, erzählt sie mit einer wegwerfenden Handbewegung, „die sind alle so vornehm und fühlen sich bestätigt, wenn sie am Tisch rülpsende und schlürfende Menschen sehen.“ Mit einem sehnsüchtigen Blick in die Ferne erklärt sie, was wirklich hinter diesen, für Ausländer oft unanständigen Manieren steckt: „In China ist Essen mehr als nur Energietanken, Essen soll Spaß machen und ist ein sozialer Prozess der verbindet.“ In China isst man traditionell mit Stäbchen und jeder hat eine eigene kleine Schale. Auf dem Tisch stehen meist mehrere Speisen, von denen sich jeder mit seinen eigenen Stäbchen bedient. Alle essen aus einem Topf. „Die Deutschen machen das nicht, aufgrund der Hygiene. Die Chinesen machen dies aus Liebe zu den anderen“, so Lili. In Deutschland isst sie wegen der Praktikabilität allerdings auch mit Messer und Gabel, nur gekocht wird noch mit Stäbchen. Ihr deutscher Mann Hartmut ist wenig begeistert 味 Die Füllung besteht meist aus gehacktem Schweinefleisch und Gemüse, die Hülle aus Mehl, Salz und Wasser. "Durch das Essen erinnere ich mich an meine Vergangenheit und Heimat“ Die fertig gekochten Maultauschen werden zusammen mit Sojasoße serviert. von den chinesischen Tischmanieren, die Lili und ihre 19-jährige Tochter Susanna pflegen. Hartmut hört beim Essen lieber bayerische Volksmusik aus dem kleinen Radio über der Esstischbank, als sich dem chinesischen sozialisierenden Essensspaß hinzugeben. „Wenn sie zu laut schlürfen oder schmatzen, kann es schon mal vorkommen, dass ich die Musik ein bisschen lauter drehe“, sagt der fast zwei Meter große Mann gewitzt. Ansonsten habe er mit der Esskultur nur wenige Probleme, er isst was auf den Tisch kommt, wie er entschlossen hinzufügt. Lili ist begeistert von der Pflegeleichtigkeit ihres Mannes. Meistens macht sie einen Mix aus deutschen und chinesischen Zutaten. Lili behauptet zwar, dass ihr der Mix nicht schmecken würde, letztendlich sind dennoch alle zufrieden, so auch heute. Manchmal packt sie aber auch die Sehnsucht nach der Heimat und sie probiert, mit den ihr hier zur Verfügung stehenden Mitteln Speisen aus ihrer kulturellen Herkunft zu kreieren. „Durch die Speisen kommen oft schöne Asialäden bieten nur eine geringe Auswahl an chinesischen Produkten, wie beispielsweise Reisschnaps von minderer Qualität, so dass authentisches Kochen stark eingeschränkt ist. Mitgebrachte Samen aus China wachsen auf deutschem Boden nur mit besonderer Pflege. Lili kümmert sich daher jeden Tag um ihre zarten Sprösslinge. Erinnerungen zurück, darum versuche ich das Alte wieder aufleben zu lassen, auch wenn es mir nicht immer gelingt“, sagt Lili gerührt. Am liebsten macht sie Maultaschen, nicht nur, weil diese am wichtigsten traditionellen Tag im chinesischen Kalenderjahr – dem chinesischen Neujahrs- oder auch Frühlingsfest – im ganzen Land gegessen werden, sondern, weil sie besonders viele Erinnerungen mit diesen verbindet. „Alle können Maultaschen machen. Das Kochen wird zum Familienevent: Einer macht die Füllung, der andere den Teig. Alle helfen und es ist wie eine Manufaktur, das macht sehr viel Spaß“, erzählt sie voller Euphorie und vergisst vermutlich für ein paar Sekunden, dass sie weit weg von der Heimat und dem Rest ihrer Familie ist. Auch für die Maultaschen sind nicht immer alle Zutaten vorhanden. Deutsches Essen findet sie meistens „langweilig“, es handele sich immer um einen Brocken Fleisch mit höchstens zwei Beilagen und viel Soße, abends meistens Brot. Aus dem Reich der Mitte ist sie drei warme Mahlzeiten am Tag gewöhnt, doch das ist auch ihrer Tochter zu viel, die in Deutschland aufwuchs und oftmals zwischen den Kulturen steht. „Oft bin ich entsetzt, wenn ich sehe, wie meine Mutter versucht deutsche Lebensmittel interessanter zu machen“, sagt sie und schüttelt den Kopf. Ab und zu kämen absurde Mischungen vor, wie Toastbrot mit Käse und Nutella. „Zum Glück macht meine Mutter diese Mischungen nur für sich, ihr fehlt hier einfach die Vielfalt“, wirft sie mit einem Lächeln hinterher. Um sich mehr Möglichkeiten für ihre Gerichtevielfalt zu schaffen, hat sie sich aus China Samen mitgebracht. So wachsen nun im deutschen Gemüsebeet chinesischer Schnittknoblauch, eine asiatische Selleriesorte, chinesische grüne, sowie rote Bohnen. Lili meint, dass man hier zwar viel Gemüse bekommt, dass diese jedoch oft anders schmeckt oder sehr wässrig ist. Sie versucht jedes Jahr etwas zu pflanzen, dies klappt jedoch nicht immer. „Dennoch gebe ich nie auf“, sagt sie entschlossen mit verschränkten Armen vor der Brust. Und so wird sie nie aufgeben den Geschmack der Heimat auch mehr als 8.000 Kilometer von dieser entfernt zu erleben und für ihre kleine Familie zu kreieren. So wird es die nächsten Tage wohl wieder aus dem Küchenfenster duften, nach Sojasoße und exotischen Gewürzen, in einer kleinen Stadt in Deutschland.■ 道