A10 - Elemente und Dimensionen

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Mittwoch · 6. Juni 2012
20 Uhr · Volkshaus
10. Philharmonisches Konzert Reihe A
Elemente und Dimensionen
Lili Boulanger (1893-1918)
D’un soir triste – D’un matin de printemps
Zwei Symphonische Gedichte für Orchester
Pierre Rode (1774-1830)
Konzert für Violine und Orchester Nr. 8 e-Moll
Pause
Claude Debussy (1862-1918)
La Mer
De l’aube à midi sur la mer – Von der Morgendämmerung bis zum Mittag auf dem Meer
Jeux de vagues – Spiel der Wellen
Dialogue de vent et de la mer – Zwiesprache von Wind und Meer
Dirigent: Nicolás Pasquet
Violine: Friedemann Eichhorn
Der Dirigent
Nicolás Pasquet wurde 1958 in Montevideo/ Uruguay geboren. Dort studierte er Violine und
Orchesterleitung an der Hochschule für Musik. Im Anschluss führte er seine Studien in beiden
Fächern an der Musikhochschule Stuttgart fort. Ab 1981 wurde er regelmäßig als Gastdirigent
der Orchester seiner Heimat verpflichtet und war dort in den Jahren 1992 und 1993
Chefdirigent des Staatlichen Rundfunk-Sinfonieorchesters. 1984 und 1986 gewann Nicolás
Pasquet die Bundesauswahl des Deutschen Musikrates für Dirigenten; 1987 erhielt er den 1.
Preis beim Internationalen Dirigentenwettbewerb in Besançon/ Frankreich. Seither arbeitete
er mit namhaften Orchestern darunter den Stuttgarter Philharmonikern, dem Orchester des
NDR Hannover, dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg, der Staatsphilharmonie
Rheinland-Pfalz, den Nürnberger Symphonikern, dem Orchestre du Capitole Toulouse, dem
Orchestre Lamoureux Paris, dem Queensland Philharmonic Orchestra Brisbane, Australien
und dem Münchner Rundfunkorchester. Von 1993 bis 1996 war Nicolás Pasquet Chefdirigent
des Sinfonieorchesters der Stadt Pécs in Ungarn. Von 1996 bis 2001 wirkte er als GMD bei
der Neubrandenburger Philharmonie. In der Saison 2001/2002 war Nicolás Pasquet in der
Position des Chefdirigenten des Orchesters des Landestheaters Coburg für dessen
Sinfoniekonzerte verantwortlich. Für Naxos hat Nicolás Pasquet eine Serie mit
Fagottkonzerten von der Frühklassik bis zur Romantik mit dem Fagottisten Albrecht Holder
aufgenommen. Im gleichen Label hat er mit Friedemann Eichhorn, Violine und dem SWFSinfonieorchester und vor allem mit der Jenaer Philharmonie zwischen 2007 und 2012 die
Violinkonzerte von Pierre Rode eingespielt. An der Hochschule für Musik FRANZ LISZT in
Weimar, wo er eine Dirigierklasse betreut und das Hochschul-Symphonieorchester sowie das
Kammerorchester dirigiert, ist Nicolás Pasquet seit 2006 Dekan seiner Fakultät.
Der Solist
Friedemann Eichhorn wurde 1971 in Münster geboren und studierte Violine bei Prof. Valery
Gradow in Mannheim, Alberto Lysy an der International Menuhin Music Academy in Gstaad
und bei Margaret Pardee an der Juilliard School New York. Er konzertiert mit Orchestern wie
den St. Petersburger Philharmonikern oder dem SWR-Rundfunkorchester und musizierte mit
Yuri Bashmet, Saschko Gawriloff, Gidon Kremer, Yehudi Menuhin, Igor Oistrach und
Gerhard Oppitz. Kammermusikalisch arbeitet er regelmäßig mit Julius Berger, José Gallardo,
Alexander Hülshoff und Thomas Müller-Pering zusammen. Friedemann Eichhorn gastierte in
Musikzentren wie dem Münchener Gasteig, Schauspielhaus Berlin, der Philharmonie St.
Petersburg und dem Schleswig-Holstein-Musik-Festival und spielte zahlreiche CDs - in der
vergangenen Woche die Violinkonzerte Nr. 2 und Nr. 8 von Pierre Rode zusammen mit der
Jenaer Philharmonie unter der Leitung von Nicolás Pasquet für das Label NAXOS – ein.
Seit 2002 lehrt er als Professor an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT in Weimar und
ist Künstlerischer Leiter des Internationalen Louis-Spohr-Wettbewerbs für junge Geiger. Im
Jahr 2005 wurde er mit der George Enescu-Medaille des Rumänischen Kulturinstituts
ausgezeichnet. An der Universität Mainz promovierte er in Musikwissenschaft.
Die Komponisten und ihre Werke
Lili Boulanger wird 1893 in eine Musikerfamilie hineingeboren. Bereits im Alter von zwei
Jahren soll sie gesungen haben. In diesem zarten Alter erkrankt Lili Boulanger an einer
schweren Lungenentzündung, von der sie sich zeitlebens nicht mehr erholen wird. Als Folge
ihres labilen Gesundheitszustandes erhält sie keinen kontinuierlichen Unterricht in
Allgemeinbildung und Musik - Privatlehrer übernehmen sporadisch ihre Ausbildung. Trotz
aller gesundheitlicher Widrigkeiten singt Lili Boulanger mit fünf Jahren Lieder von Gabriel
Fauré, wobei sie der Meister höchstpersönlich am Klavier begleitet. Besonders ihr Talent zur
Improvisation macht sich in dieser Zeit bereits bemerkbar. Auguste Chapius unterrichtet sie in
Harmonielehre, Paul Vidal und Louis Vierne in Klavierbegleitung und dem Orgelspiel.
Wahrscheinlich entsteht ihre erste Komposition im Jahre 1900 aus Anlass des Todes ihres
Vaters mit dem Namen La lettre de mort. Ihren ersten öffentlichen Auftritt hat sie 1901 als
Geigensolistin. Durch ihre außerordentliche musikalische Begabung gelangt sie in der kurzen
Zeit ihres Lebens - Lili Boulanger wird 25 Jahre alt - zu großer künstlerischer Reife. Der enge
Kontakt mit den berühmtesten Musikern von Paris eröffnet Lili Boulanger alle Möglichkeiten.
1909 wird sie im Konservatorium aufgenommen; in der Folge konzentriert sie sich ganz
gezielt auf den Prix de Rome. Das Jahr 1913 bringt ihr den ersehnten Erfolg - mit nur 19
Jahren und als erste Frau gewinnt Lili Boulanger den bedeutendsten Kompositionspreis. In
Frankreich galt sie nun offiziell als Komponistin. Ihr gesundheitlicher Zustand zwingt sie
jedoch immer wieder zu Pausen, auch den Aufenthalt in der Villa Medici in Rom muss sie
unterbrechen. Zusammen mit ihrer Schwester Nadia widmet sich Lili Boulanger nun vermehrt
karitativen Aufgaben, ist jedoch bemüht, bereits begonnene Kompositionen zu vollenden.
Hierzu zählen die beiden Symphonischen Gedichte für Orchester D’un soir triste und D’un
matin de printemps aus den Jahren 1917/1918. Das erste Gedicht (»An einem traurigen
Abend«) bezieht sich offensichtlich auf die Kriegserfahrungen Boulangers beziehungsweise
verweist auf ihr persönliches Schicksal. 1918 verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand
dramatisch und so ist anzunehmen, dass es sich bei den symphonischen Gedichten um die
letzten Werke handelt, die Lili Boulanger selbst niederschreiben kann. Gegensätzlicher
könnten die Kompositionen nicht sein: Während D’un soir triste von einem Trauermarsch
und getragenen Akkorden geprägt ist, schildert D’un matin de printemps mit seinem
drängenden Tempo und Harmoniereichtum einen strahlenden Frühlingsmorgen voller Freude
und Heiterkeit. Die beiden Werke schildern eindrucksvoll das »zerrissene« Leben Lili
Boulangers' zwischen künstlerischem Erfolg und physischem Leiden.
Igor Markévitch fasst eindrucksvoll das Werken von Lili Boulanger zusammen, indem er
schreibt » [...] [Lili Boulanger ist] die größte Komponistin der Musikgeschichte!, die im
übrigen alles in sich vereinigt, um die gefühlvollsten Eindrücke hervorzurufen. Sie war schön;
sie war die erste Frau, die den Rompreis gewann, [...]. Das Œuvre von Lili Boulanger vermag
viel besser, als ich es tun könnte, ihren Stellenwert in der Kulturgeschichte Frankreichs zu
unterstreichen.«
Pierre Rode, ein französischer Violinist und Komponist, wurde 1774 in Bordeaux geboren.
Bereits im Alter von 13 Jahren wird er Schüler bei Giovanni Battista Viotti in Paris und
debütiert 1790 im Theatre de Monsieur mit einem seiner eigenen Violinkonzerte. Es folgten
Anstellungen am Theatre Feydeau sowie an der Pariser Oper als Soloviolinist, eine Position,
die er bis 1799 ausführte. Schon während dieser Zeit unternimmt er mit dem Sänger PierreJean Garat eine Konzerttournee und gastiert in Hamburg und Berlin sowie den Niederlanden
und England. 1795 wird Pierre Rode als Professor für Violine ans neu gegründete Pariser
Conservatoire berufen. Im Zuge einer Reise nach Madrid trifft Rode den berühmten Cellisten
und Komponisten Luigi Boccherini, mit dem ihn eine lange Freundschaft verbinden sollte.
1800 wird er Violinsolist der Privatkapelle Napoleons sowie 1809 Privatsolist beim Zar
Alexander I. in St. Petersburg mit einem Gehalt von 5000 Rubel. Kurz darauf zieht es ihn
wieder nach Paris - die Erfolge bleiben jedoch aus. Während einer Konzertreise durch
Mitteleuropa führte er zusammen mit dem Erzherzog Rudolph zum ersten Mal Beethovens
Violinsonate op. 96 auf. Beethoven war mit der Interpretation jedoch unzufrieden und bat
Rode, die Partitur nochmals genauer zu studieren. Sichtlich hart getroffen von dieser Kritik
fasste Rode den Entschluss, nie wieder eine Geige in die Hand zu nehmen. So verwundert es
nicht, dass er sich von nun der Komposition widmete. Zwischen 1814 und 1819 - Pierre Rode
hat sich in Berlin niedergelassen - entstehen zahlreiche Violinkonzerte sowie die "24 Caprices
en forme d’études dans les 24 tons de la gamme", darunter auch sein Violinkonzert Nr. 8
e-Moll.
Pierre Rode konzentriert sich bei seinen Violinkonzerten weniger auf Themenarbeit, sondern
entpuppt sich vielmehr als Meister des Cantabile. Als führender Vertreter der französischen
Violinmusik - seine Werke wurden von Beethoven geschätzt - waren seine Kompositionen
seinerzeit sehr populär, gerieten jedoch in der Folge immer mehr in Vergessenheit.
Friedemann Eichhorn - Violinist und Musikwissenschaftler - ist es zu verdanken, dass die
Violinliteratur von Pierre Rode wiederentdeckt wurde. Makellos reihen sich bei Rode die
Melodien und Motive aneinander, wobei Friedemann Eichhorn zudem virtuos ins Geschehen
mit eingreift und Verzierungen und Kadenzen erweitert und ergänzt.
Claude Debussy beginnt die Arbeit an seiner Komposition La Mer 1903 in Frankreich und
vollendet sie zwei Jahre später an der englischen Küste. Das Werk wird nach seiner
Uraufführung (unter der Leitung von Camille Chevillard) in Paris vom Publikum und der
Kritik nicht mit Begeisterung aufgenommen, gehen der Premiere doch unzählige Querelen
voraus. Zusätzlich fällt Debussy bei der Pariser Gesellschaft in Ungnade, da er seine erste
Frau für die Sängerin Emma Bardac verlassen hat. Knapp 20 Jahre später avanciert La Mer
jedoch zu einem seiner meist aufgeführten Werke und so zählt es bis heute zu den
beeindruckendsten orchestralen Kompositionen des 20. Jahrhunderts. Um der Einordnung in
die Gattung Sinfonie zu entgehen, wählt Debussy die Bezeichnung Drei sinfonische Skizzen
anstelle der typischen Satzbezeichnungen. Debussy verbindet dabei meisterhaft eine
ungewöhnliche Orchestrierung mit ausgeprägten impressionistischen Harmonien – die Tiefe
des Ozeans ist in jedem Takt hör- und spürbar. Zwei kraftvolle Abschnitte umrahmen den
grazilen, schnelleren scherzoartigen Mittelteil. La Mer kann jedoch auch als eine der ersten
Kompositionen bezeichnet werden, die auf eine geschlossene Form verzichtet und sich
vielmehr nach und nach aus der Einleitung entwickelt und sich in einen regelrecht aufwärts
strebenden Strudel windet. Sämtliche Motive entstehen aus vorangegangenem Material, wie
der Komponist selbst kommentiert aus einzelnen, nacheinander eintretenden Elementen und
Dimensionen. Debussy versteht es, die Charakteristik der rauen See und des Windes in den
Vordergrund zu rücken. Es geht ihm dabei nicht um pure Nachahmung, sondern um eine
passende Übersetzung in seine ganz eigene musikalische Sprache. Vielmehr sollen die
Unfasslichkeit des Meeres und die Eindrücke, die es bei Debussy hinterlassen hat, in den
Vordergrund gerückt werden. Denn so schreibt Debussy 1903 in einem Brief: »Sie wussten
vielleicht nicht, dass ich für die schöne Laufbahn eines Matrosen ausersehen war und dass nur
die Zufälle des Daseins mich auf eine andere Bahn geführt haben.«
Eine mysteriös anmutende Atmosphäre bestimmt den Beginn von La Mer: Wie bei einem
Echo zeigt sich das Meer und die Sonne dem Hörer – der Wind pfeift und die Wellen
sprudeln vor sich hin – die Akkorde der Violinen tanzen wie Drachen im Wind. Diese
idyllische Stimmung ist jedoch nur von kurzer Dauer, es wird unruhiger, gewaltige Ausbrüche
bestimmen nun das musikalische Geschehen. Debussy spielt in der Folge mit
Harmoniefragmenten und kleinen melodischen Figuren und verbindet sie zu einem dichten
organischen Geflecht. Am Ende des ersten Abschnittes wird ein Choral von den Holzbläsern
intoniert, der im letzten Abschnitt des Werkes erneut aufgegriffen wird. Der Mittelteil ist mit
einem Scherzo zu vergleichen: Ein beschwingter Tanz der Elemente, Wasser, Wind und Feuer
steht im Mittelpunkt, bevor das Finale die dunkle und düstere Stimmung wieder aufgreift.
Extreme Intervallsprünge, aufwärts strebende Motive und harmonische Kollisionen
verstärken diesen unruhigen Eindruck und versinnbildlichen die aufgewühlte See. In einem
Moment voller Unsicherheit erklingt aus der Ferne die Stimme einer Sirene, deren Schrei
noch intensiver und erschreckender wiederholt wird. Schnelle rhythmische Figuren und
Fanfaren stehen im Kontrast zu dem wiederkehrenden majestätischen Choral. Mit einem
ungewöhnlichen harmonischen Ende beschließt Debussy La Mer und verweist damit erneut
auf die unendlichen Weiten des Meeres.
Text: Markus Pietrass
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